Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 23: Früchte der Verführung ---------------------------------- ~ Früchte der Verführung ~ Schuldig wagte einen Blick zu Ran und verzog den Mund zu einem schrägen, traurigen Lächeln. "Für die meisten Menschen...existiere ich nicht in ihren Erinnerungen, sie erlischen - durch mich so gewollt. Du warst einer derjenigen, in dessen Gedanken ich bleiben wollte... welche Gründe dies auch sein mochten. Auch wenn ich sie dir sowieso nicht nehmen hätte können, so war der Wille, dass du mich in Erinnerung behältst doch da.“ Stille trat ein, als er kurz seine Gedanken in die Vergangenheit gleiten ließ. „SZ war eine einzig große Umerziehungsanstalt mit Suggestions- und PSI Einrichtungen. Sie hatten erkannt, was für Fähigkeiten ich hatte und gedachten, sie gewinnbringend einzusetzen. Meine glückliche Kindheit hat damals ein Ende gefunden. Wäre ich besser im Waisenhaus geblieben." Wieder zuckte er mit den Schultern. "Aber da wäre ich vermutlich wirklich verrückt geworden, denn wer hätte mir dort meine Fähigkeiten erklären sollen? Wer hätte mir erklären sollen, dass es nicht der Teufel war, sondern ein außersinnlicher Vorgang, der mich heimsuchte?" Er lächelte zynisch. "Was soll’s", wischte er die Vergangenheit beiseite. „Anscheinend hat es sehr viel ausgemacht. Du hast dich schließlich gegen sie gewendet…“, brachte Aya punktgenau das zum Ausdruck, was Schuldigs Aussage fehlte. „Was hat sie so schlimm gemacht?“ Ayas Hände nestelten ruhig an seinen zum Zopf geflochtenen Haaren, spielten gedankenverloren mit den Spitzen. Den Blick wieder abwendend sagte Schuldig das, was ihm gerade in den Sinn kam: "Ich habe nicht vor, mich daran erinnern zu wollen, Ran." Er war müde darüber nachzudenken. "Nur die Stärksten haben überlebt. Das Wort Umerziehungsanstalt sollte schon alles sagen. Sie nehmen dir den Rest deiner Identität und lassen ihn zwischen ihren neuen Gesetzen und Weltanschauungen verpuffen." Blicklos weilten seine Augen auf dem Hereinbrechen des Abends, den angehenden Lichtern der Stadt. Aya schwieg. Er wusste nicht, wieviel Schuldig vor ihm verbarg, wieviel er ihm nicht erzählte. Ob dazu auch die Menschenversuche zählten, die augenscheinlich mit ihm gemacht wurden. Aya konnte leicht eins und eins zusammen zählen und sich vorzustellen, wie diese Methoden der Umerziehung aussahen. Er mochte sich nicht vorstellen, wie es aussah, wenn Tests an dem Telepathen durchgeführt wurden…doch beinahe wäre es dazu gekommen. Was, wenn sie erfolgreich mit der Mission gewesen wären? Hätte er ausführen können, was ihm aufgetragen worden wäre? Schuldig den Wissenschaftlern abzuliefern und zu wachen, dass er nicht floh, während sie Versuche an ihm durchführten? Wie hatte er jemals so verbohrt in diese Sache hineingehen können? Ayas Blick folgte dem Schuldigs und grub sich in die unzähligen Häuser, die Lichter, die so weihnachtlich brannten. „Was hast du jetzt für Ziele?“, fragte er schließlich immer noch abgewandt. "Ziele?", wiederholte Schuldig und nahm einen Schluck des langsam auskühlenden Tees. Er überlegte eine Weile und in seinen Gedanken schlichen sich seine Träume, die er hin und wieder gehabt hatte. "Keine. Keine mehr. Ich lebe, das reicht...muss reichen." "Und du? Hast du denn Ziele?", fragte er mit leiser Ironie, wusste er doch gleich die Antwort. Vermutlich hatte Ran ebenso wenig Ziele im Leben wie er. Ziele hatten nur Menschen, die etwas im Leben erreichen wollen, für sich oder für ihre Liebsten. Besagter Mann bestätigte Schuldigs Verdacht mit einem nachdenklichen Kopfschütteln. „Nein, keine.“ Er schwieg wieder, überdachte diese Aussage für ein paar Augenblicke. „Aber warum leben wir dann, wenn wir keine Ziele haben?“, fragte er schließlich, war sich in dem Moment nicht wirklich sicher, was die Antwort darauf war. Wieso lebten sie, wenn es nichts mehr gab, für das es sich zu leben lohnte? War das denn wirklich so? Oder erkannten sie ihre Ziele einfach nur nicht? „Ist denn dein Wunsch, nicht in der Psychiatrie zu sterben, kein Ziel?“ Jetzt musste Schuldig doch tatsächlich lachen, ein leises Glucksen, das wirklich aus ihm herauswollte, bewirkte ein Grinsen bei ihm. "Das ist kein Ziel - das setze ich voraus!" Er wandte sich wieder voll Ran zu. "Das Leben an sich ist ein Ziel. Und kein zu kleines, wie ich meine. Aber hey! Leben und Leben ist nicht eins. Man kann gut oder schlecht leben." „Und du lebst gut?“, lächelte Aya zurück, war nun doch alleine anhand des vor ihm strahlenden Optimismus amüsiert. Er wünschte Schuldig, dass dieser Wunsch, diese Voraussetzung wahr werden würde. „Hast du alles, was du dir wünschst?“ "Nein, klar habe ich das nicht. Manchmal wünschte ich mir die Telepathie zum Teufel, und manchmal bin ich Gottfroh, dass ich sie besitze." Er gebrauchte diese christlich-mythologischen Begriffe nur zu gern in diesem Zusammenhang. Ein kleines, perfides Wortspiel, das ihm gefiel. "Das Vergessen hängt damit zusammen und ich wünschte, es würde aufhören, aber damit müsste ich mir auch wünschen, ich wäre kein Telepath. Aber wäre ich kein Telepath... dann ...ich weiß nicht, wo ich dann wäre. Aber ich wünsche mir eines ganz stark", gab er in kindlicher Wortwahl wieder. "Aber das ist nichts, was ich einfach so erzählen kann." Er grinste und der Schalk blitzte aus den Augen. Dabei war sein Wunsch noch nicht einmal so lustig, nein, eigentlich war sein Wunsch eher arm und klein. Deshalb würde er ihn auch nicht vor Ran verlauten lassen. Nicht jetzt. Vielleicht nie. Aya lauschte gebannt den Ausführungen des Telepathen bezüglich seiner Kräfte, konnte sich durchaus vorstellen, wann Schuldig sich für seine Gabe begeistern konnte. Auch wenn es sicherlich unschöne Momente gab, da pflichtete Aya dem Deutschen bei. Unschöne Momente wie das Vergessen…oder den Wahnsinn, in den er abstieg. Er horchte interessiert auf, als Schuldigs Stimme in etwas spielerische Gewässer abdriftete. Das bedeutete nie etwas Gutes, wie er schmunzelnd für sich verbuchte. Schuldig schien wie eine große, experimentierfreudige Katze, die – hatte sie einmal ein Objekt ihres Interesses gefunden – dieses mit Begeisterung für sich vereinnahmte. Was es dieses Mal war… „Nicht? Und wenn ich ganz lieb bitte sage?“ …würde er vielleicht gleich erfahren. Schuldig hob die Braue, grinste aber dazu was dieser Geste die arrogante Note nahm. "Wie lieb?", lachte er. Ein Hauch von Amüsement huschte über Ayas Gesicht. Sie spielte, die große Katze. Mit ihm. Er beugte sich vor, stützte seine Hände auf den Fenstersims und fixierte Schuldigs Augen. „So lieb…dass du nicht mehr weißt, wo vorne und hinten ist.“ Die Augen bannten sich in seine und Schuldigs Lider senkten sich genießerisch. "Ach ja?" Er beugte sich ebenso leicht vor. "Du bist also so lieb zu mir, dass ich nicht mehr weiß, wo vorne noch hinten ist?", verdrehte er mit Absicht die Aussage von Ran. Ran wusste wohl nicht, wie nah er an der Wahrheit, an seinem Wunsch dran war. Pures Necken schlug damit eben diesem Mann entgegen. Leichtigkeit gepaart mit mehrdeutigen, betonten Worten, die alles andere als harmlos waren, die sie beide jedoch im Spaß benutzten. Aya legte seinen Kopf nachdenklich schief und taxierte sein Gegenüber. „Genauso ist es. Es sei denn, du hast da noch andere Wünsche.“ Er hob bedeutend die linke Augenbraue. Schuldig tat, als müsse er scharf nachdenken und als fordere dieses kontemplative Augen-gen- Decke-richten seine ganze Energie. "Ich glaube... das würde mir reichen. Ich bin da genügsam", lächelte er wie ein Wolf, der gerade etwas Lohnendes zum Frühstück entdeckt hatte. Die Worte passten so gar nicht zu diesem Lächeln und dem Funkeln in den Iriden. Er konnte nicht sagen, wie sehr er es genoss hier zu sitzen und dieses Spiel zu spielen, wo sie doch noch vor wenigen Minuten ganz anderer Stimmung waren. Als hätte jemand ihnen eine Pause ...ja Ran eine Pause gegönnt. „Genügsam…soso.“ Aya glaubte Schuldig kein Wort. Das schien einfach nicht zum Wesen des Deutschen zu passen, dass dieser genügsam war. Und schon gar nicht zu diesen Lippen, die sich so bereitwillig grinsend verzogen. „Dann leg mal los“, bat er den Telepathen süffisant zu Tisch. Mal sehen, was dieses große Geheimnis war. "Apfelstrudel!" Schuldig hätte am liebsten lauthals losgelacht, aber er war ein guter Schauspieler und blickte verträumt hinaus, schwelgerisch die Augen verklärt. "Ach, das wäre schön" Aya starrte. Lehnte sich gestützt auf seinen Armen noch ein Stückchen weiter vor und runzelte die Stirn. Lauschte lieber dem Nachklang dieses für ihn fremd scheinenden Wortes. Nein…fremd war es nicht. Nur deutsch. Und so gut sprach er Schuldigs Muttersprache nicht. „Was bedeutet es…das…Apfel…stru…del…?“, hakte er stirnrunzelnd nach, war durchaus misstrauisch anhand des allzu träumerischen Gesichtsausdruckes. Wäre Schuldig ein Fuchs gewesen oder ein ähnliches Wildtier, so hätten sich jetzt seine Ohren aufgerichtet und gelauscht. Ahh, Ran kannte das Wort nicht. Sein unschuldig träumerischer Gesichtsausdruck nahm einen kindlich freudigen an, doch mit einem bewussten Einschlag, sodass Ran womöglich die wahre Bedeutung des Wortes verborgen blieb und er Gott-weiß-was denken musste, so wie Schuldigs Augen glimmten. "Machst du mir einen?", gurrte er fast schon, das Gesicht möglichst lieb schauend. "Ist auch gar nicht so schwer", schüttelte er den Kopf. "Ein bisschen Überwindung... und für einen Mann wie dich... eh kein Problem!" Nun in höchsten Tönen misstrauisch fixierte eben dieser Mann Schuldig mit adlerartigem Blick. Er wusste einfach nicht, was das war. Und Schuldigs Gesichtsausdruck half ihm da so nun überhaupt nicht weiter. Ganz im Gegenteil. Dieser schien sich gerade seine Schnurrhaare in Erwartung dieses Spieles zu putzen und sich äußerst darüber zu amüsieren. „Überwindung? Auf welchem Gebiet? Was ist daran nicht so schwer?“, hakte er nun etwas genauer nach, die Stirn nachdenklich verzogen. In Gedanken ging er das Wort noch einmal durch. Vielleicht sollte er es später noch einmal nachschlagen… "Hmm... na es nimmt schon etwas Zeit in Anspruch, das muss man zelebrieren, sonst kommt der Kick dabei nicht so rüber... Na die einzelnen Abläufe sind nicht so schwer, du hast ja da schon etwas Erfahrung drin... dachte ich mir...", murmelte er und tat als wäre es ein Geheimnis, dann lächelte er schüchtern, als ginge es hier um Sex und nicht ums Kuchen backen. Was ihm Ran wohl sowieso kaum abkaufte, aber er versuchte, gerade noch die Waage zu halten. Wie lange ihm das gelang, da war er sich nicht so sicher. Er musste sich wahrlich zusammenreißen um den Mann nicht in seine Arme zu reißen, ihn festzuhalten und mit ihm darüber zu lachen. Ayas Verwirrtheit wich langsam einem kleinen, gemeinen, boshaften Lächeln. „Erfahrung…habe ich in vielerlei Dingen…“ Er richtete sich grazil auf.. „In sehr vielen Dingen…“ Beinahe schon bedrohlich gemächlich schlenderte er zum großen Bücherregal und zog sich zielsicher eines der Bücher hervor. Streifte zurück und lehnte sich direkt neben Schuldig an die Gemäuerwand. Hob schließlich bedeutsam das Deutsch-japanische Wörterbuch. „Früher…“, begann er zu erzählen. „Wusste ich noch einmal, wie ich so etwas gebrauche, wie es gelesen wird. Doch heute….“ Er warf einen Blick auf die neben ihm sitzende Gestalt. „…habe ich Erfahrung darin. Ich weiß…wo ich ein A finde - nämlich ganz vorne - und schau her: hier haben wir auch einen Apfel….“, er ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen, lächelte böse. „..und nun…“ Schuldig hatte es kommen sehen. Ran ging zum Bücherregal. Ein äußerst mageres Schlucken quälte sich seine Kehle hinunter und zerploppte in seinem flauen Magen wie eine Unheil verkündende Seifenblase auf Kamikazekurs. Mit einem etwas unsicherem Mienenspiel, das sowohl Unwohlsein als auch ein Grinsen aufzeigte, als hätte er etwas ausgefressen. Er schnappte nach dem Buch und verzog die Lippen leidend und schmollend, hielt die Hand an dem Buch während Ran eifrig nach diesem dämlichen Apfelstrudel suchte. "Dafür brauchst du doch kein Buch... du hast doch mich...", versuchte er es ein letztes Mal um seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Aya entzupfte Schuldig das Buch, nahm es mit einem beherzten Ruck wieder in seine Obhut. „Genau deswegen will ich es ja nachlesen…um mir eine UNABHÄNGIGE Meinung zu bilden, nicht wahr?“ Er lächelte ein weiteres Mal. „Da haben wir es ja…den ominösen, sehr aufwendigen Apfelstrudel…“ Ayas Augen flogen über den Text, saugten ihn gierig in sich auf, bis er schließlich das Buch senkte und sich vor Schuldig aufbaute und sich lässig an dessen Rückenstütze lehnte. Er war sich bewusst, wie bedrohlich er wirken musste, als er sich „Eine traditionelle österreichische Süßspeise, die vor allem in Wien zu finden ist. Apfelstrudel besteht aus einer länglichen Rolle aus Strudelteig mit einer Füllung aus zerkleinerten Äpfeln, Zimt, Rosinen und gerösteten Semmelbröseln. Die KUNST der Zubereitung besteht vor allem im Ausrollen beziehungsweise Ausziehen des Teigs.“ auf der Zunge zergehen ließ. Jedes einzelne Wort speziell betonte. „Das gibt einem also den Kick…wenn man Erfahrung darin hat…?“ Jetzt hatte er den Salat. Er hatte das Spiel auch soweit treiben müssen, bis Ran die Oberhand erlangt hatte. "Ach... du weißt überhaupt nicht, wie lecker das Zeug schmeckt. Ich hab’s einfach ewig nicht mehr gegessen", murmelte er verdrießlich, Ran von unten her ansehend. Einen kleinen frechen Blick riskierend, denn auf den Lippen lag schon wieder der Hauch eines kleinen Lächelns. "Und wenn man Sahne drauf macht, schmeckt es noch besser und dazu eine Tasse Kaffee oder Tee... Nicht jeder kann einen Apfelstrudel machen damit der auch gut schmeckt... den muss man mit Liebe machen", schulmeisterte er und kam sich momentan schier selbst schon bescheuert vor. Ein Lachen brach sich in ihm Bahn und er lachte leise, den Kopf schüttelnd. "Und was hast du jetzt mit mir vor? Werde ich bestraft, weil ich dich hinters Licht führen wollte?" Was er jetzt mit Schuldig vorhatte? Zugegeben eine durchaus interessante Wortwahl aus Ayas Sicht. Natürlich schlug ihm sein Hirn lauter kleine, gemeine Dinge vor, die ihm spontan Spaß bereiten würden, doch keines dieser kleinen Entertainments fand seinen Weg über Ayas Lippen, sondern blieb fröhlich tanzend in den Gedanken des Japaners. Aber wer wäre er, wenn er Schuldig nicht wenigstens einen Teil seines Spieles zurückzahlen würde? Ein kleines, feines Lächeln schlich sich auf Ayas Gesichtszüge, während er sich zu dem sitzenden Mann herunterbeugte, einen Arm gegen das Fenster stützte, den anderen gegen die Wand. Schuldig tief in die Augen sah. „Bestrafung…? Hm…“ Die Katze beäugte ihre gefangene Maus eingehend, gar prüfend. „Das klingt durchaus passabel…sehr passabel sogar. Ein wirklich guter Vorschlag.“ Die violetten Augen kamen den nun grünen Seen in ihrem Spieltrieb noch ein Stückchen näher. Schuldig amüsierte sich…also war seine Augenfarbe dunkler – grüner. Das hatte Aya schon mehrmals beobachten können. „Die Frage ist nur, was es da geben könnte, das geeignet wäre um diese…Schandtat zu büßen…“ Schuldig beobachtete Ran wie die Schlange den Mungo bei seinem Tanz um den Kampfgegner. Er bewegte sich keinen Millimeter, doch seine Augen verfolgten alles haargenau. Diese Stimme machte ihn wahnsinnig… Die Worte kamen in Schuldigs Gehör wie ein Schnurren an und seine Haut kribbelte, seine Hand zuckte im Verlangen, nach dem anderen zu greifen ihn zu berühren, ihn näher - als nur diese paar Zentimeter, die sie noch auf Abstand waren - zu ziehen. Doch sie blieb wo sie war. Die Augen immer noch in die von Ran verschränkt, näherte er lediglich sein Gesicht, sein Ziel das Ohr, doch, auf dem Weg dahin ließ er sich Zeit... ... tastete mit Lippen und Nase über die Wange, als wolle er den Geruch, die Berührung aufnehmen. Er küsste nicht, berührte lediglich hautzart, ohne Druck, ohne etwas zu wollen. "Das musst du mir sagen, Ran", raunte er. Blasse Haut verbrannte unter der sengenden Hitze dieser Lippen, die ihm schon einmal so nahe gekommen waren. Und wie schon damals war Aya im ersten Moment zu überrumpelt, um sich dagegen zu wehren oder sein Gesicht zurückzuziehen. Er erinnerte sich an das, was Omi gefragt hatte und wurde sich bewusst, dass er keine Antwort darauf hatte. Noch nicht. Aya schloss ein paar Augenblicke lang die Augen, nur um sie dann wieder zu öffnen. Er lehnte sich ein wenig zurück, sah in das offene Gesicht Seine Hand legte sich unter das Kinn des Deutschen, dirigierte es behutsam zu sich heran. Wie bewegt dieses mit minimalem Blaustich durchsetzte Grün doch war. Er lächelte, näherte sich seinerseits diesen leicht trockenen Lippen. „Apfelstrudel.“ Ein Lachen sprudelte sich frei und ungebändigt aus ihm heraus, als er sich aufrichtete und einen beschwingten Satz nach hinten tat, sich in Richtung Küche wandte. „Das sage ich dir, Schuldig…Apfelstrudel…“ Damit hatte er nicht gerechnet! Erstaunen schlich sich in die Züge, vermischte sich mit dem warmen Ausdruck darauf. Die Lippen hatten ihn beinahe berührt. Beinahe! Jubelte es innerlich in ihm und seine Lippe wurde eingezogen um das Gefühl des durch den Atem hauchfeinen Berührens auszukosten. Schuldig blickte Ran nach, leicht überwältigt und noch genießend was sich ihm gerade geboten hatte. Dieses Lachen stieß in sein Herz und ließ das dunkle Blut wie einen Aderlass herausfließen. Der Druck wurde weniger und die Wärme in ihm ließ ihn lächeln. "Das heißt ich bekomme einen Apfelstrudel ... als ultimative ‚Strafe’?", grinste er, doch auch Wehmut und Sehnsucht stromerten durch sein Gesicht wie Vagabunden. Er war aufgewühlt. „Nein, das heißt, dass du mir einen backen darfst, natürlich nur, wenn ich es dir gnädigerweise erlaube“, warf Aya immer noch lachend und ganz der Pascha zurück und ließ gluckernd Wasser in den verchromten Kocher laufen. Ein edles Stück, wenn man ihn fragte. Aya befühlte seine Wange. ‚Schuldig liebt dich, oder?’ ‚Ich weiß es nicht. Und wenn…’ Ja, was war mit dem und wenn? Wenn es tatsächlich nicht nur eine der Spielereien des Deutschen war? Eine Art zu flirten, die Youjis doch ernstlich nahe kam. Er wusste es nicht. Würde abwarten, wohin sich das noch entwickelte und danach handeln. „Auch noch einen Tee?“ "Ich?", kam der klägliche Ausruf. "Und du bist sicher, dass dies meine Strafe sein soll ...und nicht...", er verstummte und zog nach kurzer eingehender Überlegung eine leidende Grimasse. "Jaa klar! Ich backe ihn und dann mäkelst du herum und das wird mein Untergang sein. So hast du dir das also vorgestellt, clever eingefädelt, das ist sicher." Er stand auf und brachte seine Tasse in die Küche. "Was hältst du von Abendessen? Tee hält mich nicht mehr lange auf den Beinen", grinste er und öffnete den Kühlschrank um einen Blick hinein zu werfen. „Als wenn ich an deinen herausragenden Kochkünsten etwas auszusetzen hätte“, lachte er und drehte sich zu Schuldig. Vielmehr dem prall gefüllten Kühlschrank. „Das klingt gut…sehr gut“, bestätigte er und linste ebenso, was sie alles zaubern könnten. Nein, was Schuldig alles zubereiten könnte. Er würde sein Versprechen einlösen und nichts tun, sich derweil fürstlich bedienen lassen. „Was kochst du mir denn schönes?“ Schuldig sah kurz von seiner akribischen Inspektion auf, war sogleich mit neugierigen violetten Augen konfrontiert. Die Wortwahl des Mannes ließen ihn etwas stutzig werden. Sie klang nicht nach dem trauernden Bruder wie vor wenigen Stunden noch. Seit dem Geplänkel auf der Fensterbank war es als hätte Ran dies verdrängt. Nun, Schuldig würde das beobachten ... aber er konnte jetzt schon sagen, dass es ihm nicht gefiel, wenn dem so war. Aber sagte er jetzt schon etwas konnte das die Stimmung vermiesen... und Aya wieder am Essen hindern. Vielleicht bildete er sich das alles auch nur ein… "Hab ich dir schon erzählt, dass ich nicht der beste Koch bin?" So wie er es aussprach, hätte es eher heißen müssen: Hey Baby, hab ich dir schon erzählt, was für ein toller Hecht ich bin? Er zog Gemüse aus dem Fach und legte alles auf die Anrichte. "Ein bisschen Gemüse hier, ein bisschen Fleisch da, wobei Fisch wäre auch nicht schlecht gewesen", sinnierte er und schloss die Kühlschranktür. "Ich bruzzel das alles an und dann noch etwas Reis dazu" Er konnte sich nicht entscheiden, wobei Steaks, so richtig gute Steaks hatte er schon lange nicht mehr gegessen. „Na da bin ich mal gespannt“, gab eben dieser Mann unbekümmert zurück und ließ sich auf einen der Barhocker nieder. Es schneite schon wieder…was für ein beruhigender Anblick. Er beobachtete die emsigen Hände des Telepathen, die anscheinend wohl erfahren und kochtechnisch gut ausgerüstet wussten, was sie taten. „Lebt jeder von euch in einer eigenen Wohnung?“, fragte er unvermittelt, ebenso abrupt, wie ihm die aus dem Kontext gegriffene Frage eingefallen war. Schuldig hatte sich seine lange Schürze umgebunden und wusch sich die Hände. "Nein, Nagi hat eine Art Studentenzimmer, aber er ist nur selten dort. Meist hält er sich bei Crawford auf, oder er arbeitet an seinen Projekten“, sagte er währenddessen und trocknete sich die Hände. "Farfarello ist ein Fall für sich. Er braucht in gewisser Weise eine Person, die ihn in manchen Dingen des täglichen Lebens betreut." „Ich kann mir Farfarello nicht am Herd vorstellen“, schmunzelte Aya. „Ebenso wenig beim Fensterputzen…oder anderen Dingen, die regelmäßig anfallen. Was macht er den ganzen Tag?“ Aya wunderte sich innerlich selbst über sein Interesse am Privatleben des anderen Teams. Seine Finger huschten spielerisch über das Material der Theke. Noch vor Wochen hätte er jeden für verrückt erklärt, der ihm diese Zukunft geweissagt hätte. Doch so vieles hatte sich geändert…so vieles… "Er lässt uns nichts sehen." Schuldig wandte sich ab und begann zu werkeln. "Seine Augen sind wie blank polierte Spiegel, in denen ich mich oft selbst gesehen habe. Manchmal dachte ich, er spiele mir vor, wie ich selbst bin, er imitiere die Gefühle, die er fühlt um einem damit wehzutun. Es ist schwierig, ihn verstehen zu wollen. Er lebt bei uns. Wir lassen ihm Raum, geben ihm aber auch Grenzen, die er hin und wieder auslotet - und dies bewusst. Er weißt teils autistische Züge auf in seinem Verhalten, in dem, was er uns zeigt. Manchmal. Und dann wieder … gibt es Auslöser, die ihn wieder anders sein lassen. Dumm ist er nicht." Schuldig schüttelte leise lachend den Kopf. Nein, das war Farfarello nicht. „Und der Amerikaner?“, fragte Aya nach kurzem Zögern. „Wie kommt er zu so einem ungeordneten Haufen? Er muss sich doch ständig wie der Pascha vorkommen, wenn ihr alle nach seinem Befehl tanzt.“ Wiederum ließ Aya seine Gedanken Revue passieren. Crawford war ein arroganter, kalter Klotz gewesen, der nicht einmal in Ansätzen fähig schien, zwischenmenschliche Kontakte aufzubauen. Bis er dann eines Besseren belehrt wurde und gesehen hatte, dass er… „wie eine Glucke. Ich…hatte das Gefühl, dass er wie eine Glucke über dich wacht.“ Schuldig schwieg einige Momente. "Er passt schon ganz gut in den Haufen", lächelte er in sich hinein, Ran immer noch den Rücken zugewandt. "Irgendeiner muss das Chaos ja regieren", grinste er, wurde ab gleich wieder ernster. "An was kann es wohl liegen, dass wir ... wie du sagst ... nach der Pfeife tanzen?" „Ihr lasst euch allesamt gerne beglucken“, lachte Aya. „Genau daran liegt es.“ Amüsiert ausgesprochene Worte, waren sie doch nur die reine Wahrheit. Was blieb ihnen denn schon in einer Welt voller Blut? Sie konnten keine Familien gründen, keine Kinder in die Welt setzen…nicht, wenn sie immer Angst haben mussten, dass jemand kam und ihnen dieses Glück zerstören würde. Dass etwas kam…viel mächtiger als alle Menschen der Welt zusammen. Aya seufzte innerlich, ließ seinen Blick durch die verschneite Welt dort draußen schwenken. Kalt, unwirklich, unwirtlich. Nicht die Seinige. War es das Schicksal gewesen, das ihm Aya genommen hatte? Vorherbestimmung oder einfach Zufall? Trauer schlich sich in die Unbeschwertheit seiner vorherigen Gedanken. Morgen…morgen… Er fürchtete sich vor morgen…fürchtete sich so sehr. "So ähnlich." Schuldig schüttelte den Kopf. "Es ist wohl Sicherheit. Durch seine Fähigkeiten sind wir ein Stück sicherer ... oder wir fühlen uns sicher. Es ist unleugbar, dass er Recht hat, also warum sollten wir ihm dieses Recht streitig machen und uns widersetzen? Wir haben oft genug erlebt wie uns dieses Wissen die Haut gerettet hat, also ist es eine Art stille Übereinkunft geworden." Bei diesen Worten drehte er sich lächelnd um, erhaschte kurz einen Blick auf die mit Trauer beschwerte Miene. Ah, da hatte sich Ran wohl gerade an seine Schwester erinnert. Er konnte die Angst in dem Blick sehen, wie er in die Ferne gerichtet war. Das Messer ablegend und seine Hand am Tuch abwischend trat er näher an den Mann heran. "Lass ihn das nur nicht hören, mit der Glucke ...", lächelte er zuversichtlich, die Worte nur gebraucht um die Stille nicht zu drückend werden zu lassen, das Lächeln benutzt um einen Weg ins Herz des anderen zu finden. Es dauerte etwas, bis das Subjekt von Schuldigs Aufmunterung diese auch wirklich als solche wahrnahm und sich wieder dem Hier und Jetzt widmete. „Nicht? Ich wäre da doch mal auf sein Gesicht gespannt…ob ihn nach dem Zuhälter noch etwas schocken kann“, lächelte Aya schwermütig, etwas verhalten. Wurde sich mit einem Male bewusst, dass Schuldig ihren Loverboy-Zuhälter-Dialog gar nicht mitbekommen hatte. Wie gut… "Zuhälter?" Schuldig lachte. "Was sollte Crawford bitte schocken? Er war eine Zeit lang extrem beliebt beim CIA. Die Jungs waren richtig scharf auf ihn. Ich glaube, ihn schockt so schnell nichts. Aber dieser ‚Kosename’ ist durchaus interessant." Er überlegte einen Moment und grinste Ran dann an. "Wobei ... überleg mal ... ‚Glucke’ klingt für ihn weitaus fieser ... als ‚Zuhälter’, meinst du nicht?" Aya nickte bestätigend. „Und auf den Fahndungsplakaten steht dann: Dreihundert Millionen Yen Kopfgeld für einen der gefährlichsten Auftragsmörder Japans. Codename ‚Glucke’. Was macht er mit seinen Feinden? Sie zu Tode brüten?“ Ein amüsiertes Kopfschütteln folgte diesen Worten und klammerte sich nur allzu dankbar an die Ablenkung. Schuldig grinste und hatte sichtlich Erfolg mit seiner Therapie, wobei sie auf Kosten von Brad ging, wie er innerlich glucksend zugab. "Warum hast du ihn eigentlich Zuhälter genannt? Habt ihr euch derart in die Wolle bekommen?" Er befand, dass die momentane akute Gefahr gebannt war und widmete sich wieder seinen nicht vorhandenen Kochkünsten. Eben diese nicht vorhandenen Kochkünste wurden anderweitig weitaus genauer inspiziert. Von kritischen Augen, die jeden einzelnen Schnitt, jedes einzelne Umdrehen in der Pfanne bewachten. Aya musste innerlich doch zugeben, dass es recht ansprechend roch…durchaus. Wenn es dann auch noch genauso schmeckte… „Das war Zufall…passte zu dem Zeitpunkt zu ihm“, erwiderte Aya ausweichend. Er hatte also immer noch nicht vergessen, welche Drohung Crawford gegen ihn ausgesprochen hatte. „Wie war das? Ihr macht keine Gefangenen…und den Rest steckt Crawford ins Luxusbordell…“ Schuldig hob eine Braue und warf einen amüsierten Blick zurück. "Ah und was hat er dir drauf geantwortet?", wollte er wissen. Das hatte sich der Amerikaner bestimmt nicht sagen lassen, so wie Schuldig ihn kannte. "Naja so hat er es ja nicht gesagt", beschwichtigte er und verzog den Mund. "Die Option stand offen, er hat gute Kontakte, wenn nicht ausgezeichnete ... in diese Szene. Crawford hat mehrere Sachen laufen. Frag mich nicht." Er zuckte mit den Schultern und ließ seinen Blick kurz über den Körper von Ran streichen. Bordell ... von wegen. Er gehört mir, zischte etwas in ihm. „Vielleicht sollte ihn mal jemand zwingen, die Beine für alte Säcke breit zu machen…dann würde er anders darüber denken.“ Aya schnaubte. Ließ das Thema fallen. Wohl aber nicht Schuldigs Blick, der allzu taxierend über ihn glitt? „Und, gefällt es dir, was du siehst? Passe ich in Crawfords Beuteschema?“, fragte er bitter nach, schob ein kurzes, freudloses Lächeln nach. „Wenn du errätst, was er mir entgegnet hat, gibt’s gebackene Bananen mit Honig à la Abyssinian zum Nachtisch.“ Das Thema gefiel Schuldig nicht sonderlich, er wollte sich hier nicht auf Kosten von Brad unterhalten. Dafür mochte er den Anderen doch zu sehr. Brad war nicht einfach ... aber das war keiner von ihnen. "Ich glaube da komme ich nicht drauf", sagte er und lächelte, mit einem Seitenblick, damit es nicht aussah als wäre er eingeschnappt. Er mochte es nicht, wie Ran darauf reagierte, wie kurz die Wut und Bitterkeit da war. Wie sehr Rans Stimmungen schwankten. Er wollte auch nicht das Thema wieder aufrollen. Das leidige ... wie sie ihre Dinge handhabten. Die Stimmung schlug etwas um und das war nicht das was er wollte. „Streng dein Köpfchen an. Was passt zum Zuhälter?“, fragte Aya spitzbübisch, aber nur, weil ihnen – wie durch Schuldig auch schon bemerkt – die Situation entglitt. Er sah, welche Ansicht Schuldig da vertrat und wie sehr die mit seiner eigenen kollidierte. Was ihn sich wiederum fragen ließ, ob diese Differenz, diese Kluft zwischen ihnen beiden nicht doch zu groß war, als dass er sie jemals überwinden konnte? Er hatte vollstes Verständnis dafür, dass die Beiden töteten. Das war nachvollziehbar. Doch Vergewaltigung auf diesem Niveau…bestialisch, einfach nur bestialisch. Er verabscheute diese Einstellung. Wieder kroch Wärme in Schuldig und breitete sich stet in ihm aus, denn er hörte aus den Worten, wie Ran, die Stimmung die in die Tiefe fallen wollte, aufgefangen hatte. Er hatte nicht vor, ihn dabei alleine zu lassen. "Hmm", machte er und zog die Stirn in tiefe Furchen. Er warf einen Blick auf die Uhr. Nicht mehr lange und sie konnten essen. Er drehte sich um und lehnte sich an die Spüle, verschränkte die Arme. "Er meinte doch nicht ...Lover Boy?", riet er und grinste anzüglich. Er konnte es einfach nicht lassen. Trotz des vorherigen Tiefs und der Missstimmung, musste er über diese Bezeichnung lachen. Er konnte sich Ran in dieser Umgebung kaum vorstellen, dazu war er selbst viel zu besitzergreifend. Doch belog er sich nicht selbst, damit? Gab es nicht tief in ihm etwas, was durchaus diese Form der sexuellen Annäherung interessant fand - in Kombination mit Ran verstand sich. „Nein, meinte er nicht“, log Aya frei heraus, auch wenn man alleine an seiner süßsauren Miene die bittere Wahrheit erkannte. Er schauderte. Was hatte er dieses Thema auch angeregt? „Das Essen schon fertig?“, fragte er unauffällig und linste in die lautstark vor sich hinbrutzelnde Bratpfanne. o~ Je kälter es draußen wird, desto hitziger innen. Wieder geisterte dieser Gedankengang durch seine Gehirnwindungen und verlor sich schlussendlich. Er würde wiederkehren ... sobald er das Tor zu ihren Gefühlen öffnete, ihre Farben einließ und sie ihn überschwemmten. Er mochte nicht alle Farben. Rot mochte er nicht wirklich. Manchmal war es gut, schmeckte es ihm auch. Aber wirklich mögen ... nein ... das tat er nicht. Und er konnte diese Farbe auch nie trennen. Ständig vermischten sie sich und ärgerten ihn dadurch. Sie froren... Und je mehr sie froren, desto mehr erfroren auch ihre Gefühle... Sie krümmten sich zusammen, ihre Schultern nach vorne gezogen und die Gesichter tief in den Schals verborgen. Sein Gesicht war nicht verborgen, nur sein Auge. Es war interessant zu sehen, wie sie durch die kleinste Manipulation plötzlich zu einer Fülle von Gefühlen fähig wurden, die zuvor nie da gewesen waren. Ein berechnendes Lächeln verzog die Lippen minimal. Jei ging weiter die Treppe hinauf, öffnete die Eingangstür und betrat den Aufzug. Zeit, um zu sehen, wie Schuldig mit diesen neuen Farben zurechtkam, die er sich in die Wohnung geholt hatte. Viel Rot war dabei, aber auch viel Grau und Schwarz. "Aha", kommentierte Schuldig feixend, ging aber auf die Ablenkung ein. Ließ sich aber das Wort noch einmal in Gedanken passieren. .. Lover Boy... Wieder grinste er während er das Essen abschmeckte. "Ja, in wenigen Minuten. Der Reis braucht noch etwas." "Willst du...", wollte er gerade ansetzen, Ran zu fragen ob er den Tisch decken würde, als es klingelte. Er blickte sich fragend zu Ran um. Wer? Noch während des nächsten Wimpernschlages wusste er wer da draußen vor der Tür stand und Einlass begehrte. "Oh", sagte er wenig aufschlussreich, und nahm die Schürze ab, Ran immer noch anblickend. War das jetzt gut, oder eher schlecht, dass Jei vor der Tür stand? Aya wusste nicht so recht, was er mit dieser Bemerkung anfangen sollte. ‚Oh’ konnte alles heißen wie ‚Oh der Weihnachtsmann’, ‚Oh, Kritiker’ oder sonst etwas. Die Augenbrauen gen Haaransatz gehoben, zog er erwartend die Schultern hoch, grub sich tiefer in den Pullover. Angespannter. „Willst du nicht öffnen?“, fragte er skeptisch. "Ja... klar", sagte Schuldig daraufhin etwas fahrig. Zögernd legte er die Schürze beiseite und drehte den Herd ab, prüfte jedoch vorher noch ob das Essen fertig war. Alles sehr bedächtig. Derweil trat er mit dem ‚Gast’ vor der Tür in telepathische Verbindung. Er hatte nicht vor, sich die Antworten selbst zu holen, dazu waren sie zu komplex im Verstand des Iren. ‚Jei? Bist du alleine hier?' ‚Ja' ‚Machst du deinen Spaziergang?' ‚Ja' ‚Ich habe einen Gast' ‚Das weiß ich' ‚Von Brad? Hat er dir das erzählt?' Wieder kam die schlichte Bestätigung. ‚Warum bist du hier, Jei?' ‚Nicht, um ihn dir wegzunehmen' Schuldig ging zur Tür und öffnete sie nach diesen Worten. "Hi, Zombie", begrüßte er den andern mit einem schrägen Grinsen. Es war eher eine vertraute, freundschaftliche Begrüßung, eine alte Rivalität zwischen ihnen. "Hi, Luzifer", lächelte Jei, so kalt als glaube Schuldig die Eiskristalle auf dem Mantel wären nicht nur dort sondern lägen auch auf den Lippen und blitzten aus der hellbraunen Iris heraus. So wie es aussah hatte Nagi ihn zu den Festtagen ordentlich angezogen. Vermutlich wusste der Junge, dass Jei fast ausschließlich unterwegs war an diesen Tagen. Auch wenn er es nicht hatte tun wollen, ließ es sich Aya nun nicht nehmen, vorsichtig um die Ecke zu spähen und zu schauen, wer denn nun der ominöse Klingler war. Nur auf eine durchaus bekannte Gestalt zu stoßen, über die sie gerade noch gesprochen hatten. Ayas Herz schlug einen Takt schneller beim Anblick des Iren, als ihm schmerzlich bewusst wurde, dass er nichts bei sich trug um sich im Notfall zu verteidigen. Ausgerechnet Farfarello…ausgerechnet er. Hätte es nicht der Pimp Daddy in Anzug mit Brille sein können? Wieso der Ire? Aya fühlte sich nicht wohl dabei. Jei hatte Schuldigs eisigstes Lächeln imitiert und ließ es kurz nach dem Eintreten achtlos fallen wie den Mantel, den er jetzt dort, wo er stand, von sich schälte und ihn zu Boden gleiten ließ. Schuldig fiel auf, dass Nagi ihm schwarze Kleidung herausgesucht hatte; sie sahen aus wie die Sachen, die sie ihm kürzlich im Gothic-Store erstanden hatten. Der lange Rosenkranz baumelte ihm am Bauch herum. Nagi achtete wirklich auf die Details, wie Schuldig anerkennen musste. Farfarello wäre wohl zwischen den Visual K und den J-Rockern in Harajuku kaum aufgefallen. Jei ging zielstrebig in die Küche, ohne Halt zu machen und postierte sich vor Ran, ohne ihn anzusehen. Er blickte durch ihn durch. "Schwarz steht ihm nicht, Violett auch nicht", sagte er ruhig. "Löse nicht noch einmal Violett in ihm aus!" Jetzt fixierten sich die Augen in die von Ran und er wandte sich ab. Aya runzelte die Stirn, versuchte sein allzu bereitwillig schnell schlagendes Herz zu beruhigen. Innerlich jedoch schnaubte er. Wenn er Schuldig farbenfrohe Hämatome verpasste, dann war das seine Sache und nicht des Iren. Er selbst sah schließlich auch nicht besser aus. „Dir auch fromme Weihnachten“, soufflierte er dem Rücken des weißhaarigen Mannes entgegen, erhob sich einen Augenblick später und warf einen Blick zu Schuldig. Warum hatte der andere Mann ihn nicht vorgewarnt? Nun... genau das hatte er mit seinem wenig aufschlussreichen ‚Oh’. Sein Blick glitt über die sehnige Statur des Iren. Ein Zombie also. Und Schuldig Luzifer. Und ob das passte. Jeis Silberblick lag auf dem Rothaarigen, als er sich so setzte, dass er am Fenster saß und die Küche gut im Blick hatte. ‚Wie schnell das Herz gleichmäßig und ohne stocken schlagen konnte wenn man Angst hatte, nicht wahr?’ Ausdruckslos war die Mimik und Jei saß ruhig da, als wäre er ein bloßes Anschauungsstück in einem Museum. Doch er lauschte, ließ die Emotionen des Mannes neben Schuldig durch sich fließen, kombinierte anhand ihrer, was die letzten Tage wohl geschehen sein mochte. Schuldig hatte den Blick von Ran aufgefangen und lächelte entschuldigend. "Er ist wohl nur vorbeigekommen um zu sehen ob alles in Ordnung ist." Er hätte jetzt am liebsten zu Ran gesagt, dass er sich beruhigen sollte, in Gedanken, nicht mit Worten, doch das war vergebens, also versuchte er es mit einer kleinen Berührung, als er neben ihn trat und das Geschirr aus dem Schrank nahm. "Hast du etwas gegessen, Jei, bevor du aus dem Haus gegangen bist?" "Ja" "Wann war das?", fragte Schuldig geduldig. "Es war noch dunkel" "Hast du Hunger?" Jei legte den Kopf schief und seine Hand fuhr automatisch auf seinen Bauch. Ihm war schlecht, wie ihm jetzt auffiel. "Ich denke ja." Mit Erstaunen im Blick sah Aya den beiden Männern zu, schwieg jedoch vernehmlich. Vermutlich hatte er mit seiner Entscheidung auch gelegentliche, unerwünschte Auswirkungen mit auf sich geladen, die sich in Form eines hungrigen Iren auftaten, der - wie Crawford auch – gekommen war um nach dem Rechten zu sehen. Aya fragte sich allen Ernstes, ob sie ihn für so gefährlich oder Schuldig für so unfähig hielten, dass sie ihn ständig überwachen mussten. Aber gut. Er warf einen Blick auf die Köstlichkeiten hinter sich und stellte fest, dass auch er Hunger hatte. Nachdem Schuldig einen kleinen Rundgang durch die Wohnung absolviert hatte um kleine Lampen anzuschalten und für musikalische Untermalung mittels Jazz zu sorgen, kam er wieder zurück und verteilte das Essen in Schüsseln die er auf den Tisch stellte, dazu drei Schalen, Besteck und Stäbchen legte. Er füllte Jeis Schale mit etwas Reis, einer großen Portion Gemüse und Fleisch dazu. Daneben stellte er ein Glas Wasser. Aya wohnte der ganzen Zeremonie schweigend bei und fragte sich unwillkürlich, ob zwischen Schwarz nicht eigentlich noch mehr Enge herrschte als zwischen Weiß. So wie sie alle miteinander umgingen, konnten sie alle in einer großen, harmonischen Ehe leben. Er setzte sich gemächlich an die Theke und nahm sein Gegenüber ungeniert in Augenschein. Die feinen wie auch wulstigeren Narben, die sich durch das bleiche Gesicht zogen. Die schneeweißen Haare…das Bernsteinauge. Was hatte den Iren so tödlich gemacht? Die auf ihn gerichteten Blicke fanden ihn interessant wie es schien. Noch bevor er zu Essen begann, wie es von ihm erwartet wurde, krochen seine Augen die Tischplatte entlang, schweiften über die Brust des Rothaarigen, bis hinauf zu den Lippen, und dann ... einen Wimpernschlag später in die Augen. "Du hast Dämonenaugen", sagte Jei ruhig und fing an zu essen. Schuldig hielt kurz die Luft an und tat einfach so als hätte er nichts gehört. Er lächelte zweifelnd zu Ran und reichte ihm den Reis. Den dieser stirnrunzelnd, jedoch kommentarlos annahm. Dämonenaugen also. Ein Lächeln umspielte ungewollt Ayas Lippen, brach sich schließlich zu einem amüsierten Schnauben. Farfarello war kein Mann langer Reden, wie es schien. Doch wenn er etwas sagte, dann hatte das mehr Bedeutung als manches Geplänkel, das ihm Crawford geboten hatte. Er schüttelte ungläubig den Kopf. „Dann passe ich ja in diese illustre Runde, wie schön.“ Schuldig fing an zu essen und tat so als beachte er die zwei nicht mehr wirklich. Gefahr ging von Jei heute nicht aus, er hielt sein Wort, aber er machte manchmal seltsame Auslegungen seiner Worte, deshalb sollte man dennoch etwas Vorsicht walten lassen, wie Schuldig befand. Jei aß wie immer alles auf, was man ihm hinstellte. Sein Blick fiel auf die Serviette die neben dem Besteck lag. Er berührte das leblose Ding, drehte es herum und betrachtete es sich genau. Danach wandte er den Kopf zu Schuldig. "Soll ich noch mehr essen?“ Aya ließ Farfarello keinen Moment aus seinem Interessenfokus, als er die einzelnen irischen Puzzleteile zu einem Gesamtbild zusammenfügte. Aus dem ihn ein Eindruck wie ein Springteufel entgegen kam. Farfarello, der, im Kampf so ruchlos und blutrünstig, sich nicht um die Bedürfnisse kümmerte, die er als unnötig erachtete. Essen. Ein gutes Beispiel. Was für einen Grund hatte er sonst zu fragen, ob er noch etwas essen sollte? Das meinte Schuldig also vorhin. Alleine würde der Gute vermutlich verhungern, weil er seine Welt auf Dinge fokussierte, die sich nicht auf elementare Bedürfnisse beriefen. Interessant. Ein gebrochenes Kind. Seinem Herrn hörig und doch frei in einer Welt, die sein Eigen war. Seine Augen saugten sich an den blassen Händen fest, die so unnachgiebig Dolche führten. Schuldig legte seine Essstäbchen beiseite, überging das Starren von Ran und füllte Jeis Schale erneut auf. "Ja, du solltest noch etwas essen, schließlich ist der Weg zurück lang." Er stellte die Schale ab und wollte sich seinem eigenen Essen widmen als das Telefon klingelte. "Entschuldigt." Er stand auf, angelte auf der Couch nach dem Telefon und nahm ab. Jei sah wieder in sein Essen, die Schale, die wieder aufgefüllt war. Langsam hob er den Blick wieder in der gleichen müßigen Geschwindigkeit wie zuvor und fixierte lauernd den Beobachter. "Du meinst, weil er es mir gibt, dass ich es nicht selbst kann?" Er lächelte etwas, wieder eine Imitation, die er von Schuldig hatte. Er mochte es, wenn dieser lächelte, denn es war nicht immer echt. Und Jei hatte noch nicht herausgefunden wann dieses Lächeln zu den Gefühlen passte, die Schuldig dann hatte. Er war ein überquellendes Studienobjekt. Aya spiegelte dieses Lächeln und fischte sich eine weitere Portion Gemüse aus der Pfanne. Wie auch Farfarello ließ er sich ebenso Zeit für die Antwort, sinnierte über seine vorherigen Betrachtungen. „Du willst es nicht. Du kannst es, überlässt es aber anderen, daran zu denken, weil es zu unwichtig ist“, erwiderte er und widmete sich weiter seinem Essen. Kam allerdings nicht umhin, die Skurrilität dieser ganzen Situation zu bemerken. Auch wenn er sich nicht sicher war, nicht gleich mit einer Gabel aufgespießt zu werden. „Das…“, begann Aya und sah wieder hoch. „...ist sein falsches Lächeln. Dann, wenn er etwas verbergen will.“ Er selbst lächelte auch. Ehrlich. "Verbergen?" Jei legte den Kopf leicht schief, stellte das Lächeln ein. "Was soll er denn vor mir verbergen?" Der Mann war interessant ... sehr sogar. "Sind alle bei euch so interessant wie du?", fragte er, ehrlich Interesse zeigend. „Was sollte er nicht vor dir verbergen?“, stellte Aya die ruhige Gegenfrage. Eine Augenbraue hob sich und violette Dämonenaugen taxierten den Iren. Aya war sich nicht sicher, wie er dessen zweite Frage auffassen sollte. Interessant? Was bedeutete für Farfarello interessant? Auch wenn dieser eher aus kindlicher Neugier gefragt hatte…so lautete zumindest Ayas Instinkt. Doch in was auch immer das umschlagen mochte… „..nein. Niemand. Nur ich.“ Jei blickte den Mann immer noch an. "Die Frage sollte lauten: Was könnte er vor mir verbergen?" Jei richtete seine scheinbare Aufmerksamkeit auf sein Essen, es wirkte als habe er das Interesse verloren. Doch seine Gedanken richteten sich in verheißungsvolle, neue interessante Gebiete. Wer würde schon von sich aus sagen, dass er interessant ist? Der Weiß würde es nicht, es sei denn er schützte jemanden. Ein Lächeln wie es Brad oft auflegte erschien auf dem Gesicht. Und schon wieder war es jemand anderes, dessen Mimik Aya nun sah. Als wenn er verfehlen könnte, wer das war. „Ist es einfacher, das Lächeln der Anderen zu kopieren? Oder besitzt du kein eigenes?“, fragte er und haftete sich wie giftiges Efeu erneut an der Gestik und Mimik des Iren fest. Er legte seine Stäbchen beiseite und richtete sich auf, ließ seinen Rücken durchknacken. Eines bereitete ihm Sorgen. Es war Crawfords Zufriedenheit, die sich im Gesicht Farfarellos widerspiegelte. Zufriedenheit über was? Dass er seine volle Aufmerksamkeit nun auf Weiß richten konnte? Das würde Aya nicht zulassen. Er war noch immer für sein Team zuständig. "Wie entsteht ein Lächeln?", fragte Jei und richtete seinen Blick wieder auf Ran, langsam kauend. Natürlich wusste er wie ein Lächeln entstand. Aber es war interessant ... dieses Gespräch. Aya dachte über die Worte des anderen Mannes nach. Wie entstand ein Lächeln? Eine gute Frage…wirklich gut. „Durch Emotion. Muskeln kontrahieren und ziehen die Mundwinkel nach oben. Wenn man etwas Bestimmtes damit ausdrücken möchte.“ "Wie einfach es doch ist, Antworten auf Fragen zu finden", sagte Jei und hielt das Gespräch für beendet. Er aß weiter während Schuldig im Hintergrund noch immer telefonierte. Einfach….nein, das war es nicht. Die Antwort auf ein Lächeln war nie einfach. Warum lächelten Menschen? Er wusste es nicht, schien es doch nur natürlich, das zu tun. Schier angeboren…oder auch nicht. Manche Menschen lächelten wenig, oder gar nicht. Oder aufgesetzt, falsch… Sein Blick glitt nach hinten, sah dort, wie Schuldig das Gespräch beendete und wieder zu ihnen kam. Dafür, dass es sonst so still in dieser Wohnung war, war seit Farfarellos Ankunft sehr viel Terz. Aya fragte sich, wer das wohl gewesen war. Schuldig setzte sich wieder und nahm sich nachdem er den ausgekühlten Rest aufgegessen hatte, noch einmal nach. "Und? Habt ihr euch prächtig unterhalten?", fragte er in die kleine Runde und lächelte wissend. Wie sollte man sich mit Farfarello prächtig unterhalten, dachte bestimmt Ran. Er ignorierte den fragenden Blick des Mannes nach dem Telefonat. Es würde diesem sicher nicht gefallen, mit wem er telefoniert hatte. Aya überließ Farfarello die Antwort und richtete seinen Blick aus dem Fenster des Lofts. Schneegestöber tobte draußen, färbte den Himmel leicht rötlich ein. Jetzt hatte er doch tatsächlich vergessen, die gebackene Banane zum Nachtisch zuzubereiten. Na so was…was so ein plötzlicher Besuch alles anrichten konnte. So konnte er sich wenigstens auf die wichtigen Dinge konzentrieren…die Beerdigung seiner Schwester. Welch ein hässliches Thema. Farfarello hatte sein Mahl beendet und saß wieder ruhig an seinem Platz beäugte Ran wie ein Tier im Zoo. Schuldig fand die Situation einerseits komisch, andererseits wieder nicht. Jei war niemand über den man lachen konnte ... oder auch sollte. Jei stand auf, ging um Schuldig herum, der sich gerade noch etwas zu Trinken nachschenkte und stellte sich hinter Ran. Schuldig stellte langsam die Flasche ab, sehr genau darauf bedacht was er tat und sofort in den Gedanken des Iren. ‚Jei, du rührst ihn nicht an.' Doch dieser beugte sich dichter an den Mann heran, störte sich nicht an dessen minimalen Bewegungen, wirkte so als nehme er den Geruch von Ran auf. Doch vielmehr hatte ihn der Wandel in den Gefühlen des Mannes erstaunt. Diese Tiefe, mit der dieser seine Gefühle in seinen Augen ausdrückte. Und mit seinem Annähern hatte er wiederum eine Veränderung bewirkt. Interessant. Eine Veränderung, die ihr Träger selbst aber noch nicht bemerkt hatte. Zu tief war er in Gedanken, um die Warnung seines Unterbewusstseins wahrzunehmen, das ihn auf den Iren aufmerksam zu machen versuchte. Wie gerne würde er sich noch von ihr verabschieden…die letzte Nacht bei ihr verbringen und ihre Hand halten…in Erinnerung an ‚alte Zeiten’. Aya lachte innerlich bitter auf. Alte, schreckliche Zeiten. Doch was brachte es, sich zu wünschen, dass es anders gekommen wäre? Gar nichts. Die Gegenwart war geschehen und würde sich nicht mehr ändern. Er tauchte auf aus seinen tiefdunklen Gedanken und blinzelte. Er bemerkte, dass der Ire nicht mehr an seinem Platz saß. War er schon gegangen? Aber so tief war er doch nicht versunken gewesen…Aya warf einen Blick auf Schuldig und wusste im ersten Moment, dass etwas nicht stimmte. Der Telepath wirkte völlig angespannt und auch sein Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes…ebenso wenig wie Ayas Gefühl selbst. Da war etwas. Gefahr. Hinter ihm. Wer es war, brauchte Aya sich kein zweites Mal zu fragen. Er dreht sich bedächtig um, langsam. Ihm war unwohl. Zurecht, wie er feststellte. Farfarello, nicht mal eine Handlänge von ihm entfernt. Doch dieser richtete sich just in diesem Moment wieder auf. "Ich gehe", beschloss er leise und ging zum Ausgang, öffnete bereits dir Tür, als Schuldig hinter ihm herkam und ihn aufhielt. Er kannte die Aufgewühltheit die er hinter sich nachkommen spürte. Das konnte nur Schuldig sein. "Warte. Dein Mantel." Schuldig hob ihn auf und Jei ließ sich das Kleidungsstück anziehen. Danach ging er ohne ein Wort. Schuldig wandte sich um, schloss die Tür und kam zu Ran zurück. "Man, der kann einen ganz schön auf Trab halten", stöhnte er als habe er gerade Babysitting für fünf kleine Racker gemacht. Aya nickte mit immer noch unverständigem Blick. Was gerade eben das sollte…er wusste es nicht. War er wirklich interessant für den Iren? Interessant geworden? Na das hoffte er nicht. Aber da hatte er doch jemanden, der ihm das hoffentlich genauer sagen konnte. Er lehnte sich an die Tischkante und fixierte Schuldig prüfend. „Wenn Farfarello etwas interessant findet…wie äußert sich das dann?“ Schuldig stahl sich noch ein Stück Fleisch aus der Schale und grübelte. "Schwer zu sagen. Kommt drauf an wie groß das Interesse ist. Schlimmer ist es eher glaube ich wenn er kein Interesse an einer Sache hat, falls du das wissen willst." Wieder wanderte ein gestohlenes Stückchen in seinen Mund. Hatte er nicht schon genug gegessen? „Welche Abstufungen gibt es da bei ihm? Wie drückte er das dann aus?“, hakte Aya nach. Ihm wäre momentan wirklich lieber gewesen, wenn der Ire kein Interesse an seinem Team gezeigt hätte. Er runzelte die Stirn. Der Bonsai konnte auch mal wieder etwas Pflege gebrauchen, so vertrocknet, wie er aussah. "Das ist nicht so einfach, Ran. Er hat seine eigenen Kriterien. Aber er macht selten etwas ohne unser Wissen." Schuldig nahm Ran näher in Augenschein. "Machst du dir Sorgen um deine Leute? Ich frag nur ... weil er weiß ..." Er verstummte, senkte den Blick auf sein Essen. „Ja, mache ich…“…weil ich nicht bei ihnen sein und auf sie aufpassen kann, ergänzte er in Gedanken und seufzte schwer. Alles vertrackt. Diese Sache bereitete ihm kein gutes Gefühl. „Woran orientieren sich denn diese Kriterien? Was weiß er?“ Er schien da ja relativ glimpflich von verschont geblieben zu sein, so wie Farfarello von ihm abgelassen hatte. Wäre das doch der beste Weg gewesen, sich seiner zu entledigen…so wie er gerade in Gedanken gewesen war. Schuldig löste den Haargummi, dachte ernsthaft nach. "Gar nichts denke ich. Wir wissen jedoch auch nicht wie hoch sein Intellekt ist, wie viel er mitbekommt, wie viel er hört. Er spiegelt uns nichts wieder, in keiner Äußerung und wenn er redet, dann klingen seine Worte als habe er sie sich sorgfältig zurechtgelegt, einstudiert. Ich denke er weiß, dass ich sehr böse werde wenn er etwas tut was mir missfällt. Deine Leute anzugehen, würde dich ... wie sagte er ... traurig machen ... und mich dadurch äußerst zornig." Er fuhr sich durch die Haare, winkelte seinen Arm an und stützte seinen Kopf darauf, blickte Ran unverwandt an. Damit wollte er sagen, dass Jei genau wusste, dass Ran in Schuldigs Besitz war und somit unantastbar. Was die Freunde von Ran anging ... so hatte Schuldig sich ... etwas künstlerische Freiheit erlaubt. Aya nickte schweigend, dadurch keinesfalls beruhigt. Aber Weiß konnten sich auch alleine verteidigen, auch ohne ihn. Oder? Sie brauchten ihn nicht in allen Lebenslagen…er war schließlich nur da gewesen, um ihr chaotisches Miteinander, das sowohl im Privaten als auch auf den Missionen herrschte, etwas zu glätten. Nicht um sie vor allen Gefahren, die ihn auflauern mochten, wie ein strahlender Ritter in glänzender Rüstung zu beschützen. Nein, das konnten sie wahrlich selbst. Sein Blick ruhte auf der Pfanne, kehrte dann wieder zurück zu Schuldig. „Kann ich dein Telefon benutzen? Ich möchte noch einmal beim Bestattungsinstitut anrufen“, fragte er aus heiterem Himmel, ließ aber außen vor, was er plante. Schuldig fing an abzuräumen. "Natürlich, du kannst hier alles benutzen", sagte er leichthin. Die Zweideutigkeit erst bemerkend als er die Schüsseln zur Spülmaschine trug. Oh man ... er sollte sich mal wieder austoben, sonst rutschten ihm womöglich noch öfter solche Sachen raus und das auch noch in den Momenten, die extrem unpassend für derlei waren. Aber vielleicht hatte Ran das gar nicht so aufgefasst... Hatte er wirklich nicht. Nicht im Geringsten bewusst, dass er sich auch Schuldig selbst zunutzen machen konnte, wie es ihm beliebte, nickte Aya und erhob sich, strebte das Telefon an. Suchte schließlich in der Tasche seines Mantels nach der Nummer des Institutes. Wählte sie schweren Herzens. Das war nicht, was er unter einem traditionellen Begräbnis im Kreise der Familie verstand. So, wie sie es bei seinen Großeltern getan hatten. Zeremonien, von Mönchen vorgelesene Sutren…dreitägige Trauerfeiern…das fehlte hier alles…alles war einem modernen, kalten Japan zum Opfer gefallen. Wie er das hasste. Nein, die letzte Nacht wollte er bei ihr verbringen. Alleine. Er sprach leise mit dem zuständigen Bestatter und erlangte nach kurzer Erklärung auch dessen freundliches Verständnis für seine Bitte. Er könnte kommen, wann er wollte, hatte der Mann gesagt. Jetzt sofort oder auch in drei Stunden, das was völlig egal. Sie würden ihm seine Bitte erfüllen. Aya war erleichtert. Die Spülmaschine rumpelte an ... nun ja ...es hörte sich eher sehr leise an, aber für Schuldig hatten diese Maschinen immer etwas mit Krach zu tun. Er kam in den Wohnraum, bemerkte wie Aya den Zettel noch in der Hand hielt und holte sich seine Zigaretten, ging in den Schlafbereich hinüber, die Terrassentür öffnend. Leiser Jazz erfüllte noch immer den Raum und er fühlte Ruhe in sich kehren. Aya beendete das Telefonat und warf einen Blick hinüber zur geöffneten Tür. Er erhob sich langsam…in der Absicht, Schuldig mitzuteilen, dass er für ein paar Stunden das Loft verlassen würde. Einfach so zu gehen, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, schien ihm…nicht richtig. War er doch zu gewohnt, sich bei seinem Team abzumelden. Zumindest, nachdem Youji ihm das eingebläut hatte. Auf seine gewohnt charmante Art und Weise. Er stellte sich zu Schuldig auf die Terrasse und sah den weißen, schneedurchsetzten Rauchschwaden hinterher, die sie beide produzierten. „Ich habe sie gerade um einen Termin gefragt…und werde gleich hinfahren.“ Schuldig blies den Rauch aus, blickte in die Ferne. "Warum ... so offiziell?", wollte er wissen. Lag es daran, dass Ran nicht mehr bei Kritiker war? Eigentlich schon noch war, nur hatten sie kein Druckmittel gegen ihn, aber sicher stand er noch auf ihrer Liste. "Meinst du die Umgebung um das Institut ist sauber?", fragte er ruhig, über die Situation nachdenkend. Lauerte vielleicht ein Kritikeragent im Institut, wohlweißlich, dass Ran dort noch auftauchen würde? Oder morgen bei der Verbrennung? Es gab viele Möglichkeiten wo sie ihm auflauern konnten. „Weil ich es so wollte.“ Deswegen offiziell. Weil er sich nicht durch die Hintertür hineinschleichen wollte. Aya war seine Schwester und er hatte ein Recht, sie zu sehen…doch Schuldigs laut ausgesprochene Bedenken zeigten ihm etwas auf, das er bisher nicht mehr hatte bedenken wollen. Kritiker. Er lehnte sich gegen das eiskalte Geländer und ließ seinen Blick in die Tiefe fallen. Wie klein doch alles von hier oben aussah…wie unwichtig. „Sie sind da, da bin ich mir sicher…ich werde sie wohl irgendwie umgehen müssen. Mal sehen.“ Vor sich hinbrütend nahm Schuldig erneut einen Zug. "Das geht schief, Ran", sagte er unumwunden nach einigen Minuten der Bedenkzeit. "Die können dir im Institut auflauern und du hast keine Ruhe", knirschte er mit den Zähnen, stützte sich mit den Unterarmen am Geländer ab, sichtbare Sorge in den Zügen, nur verbergend in dem er sich die Stadt ansah. „Wird es wohl“, nickte Aya bestätigend. Er verstummte, verweilte mit seiner Aufmerksamkeit und seinen Blicken weiterhin auf der beleuchteten, nie still stehenden Stadt. „Das wird es wohl…“ Hatte er sich je vorstellen können, wieder aufs Land zu ziehen? In die traditionelle Welt des alten Japans? Dort, wo seine Familie herkam, bevor sein Vater die Arbeit in Tokyo bekommen hatte? Wo er sich seine eigene Firma aufgebaut hatte? Wäre ihnen all das erspart geblieben, wenn sie weiterhin ein schlichtes, von Riten und Religiosität und der alltäglichen Arbeit in ihrer kleinen Stadt geprägtes Leben geführt hätten? "Und was gedenkst du dagegen zu tun?" Schuldig machte die Ruhe des Anderen unruhig. Ran hatte vorhin angedeutet, dass er alleine dort hin gehen wollte, er hatte ihn nicht gefragt ob er mit wollte. Wie sollte er hier in aller Gelassenheit warten, wenn er wusste, dass Ran sich diesen Typen aussetzte? Äußerlich blieb er gelassen, doch die Augen spiegelten die Aufruhr wieder, als er das Gesicht frei von Maskerade zu Ran wandte. Aya wandte seinen Kopf ebenso zur Seite, wollte Schuldig mit einem gleichgültigen Schulterzucken begegnen, seufzte dann jedoch, als er dessen völlig ungeschütztes, ehrliches Gesicht vernahm. Die feinen Töne der Sorge, die zu ihm herüber schwangen. So fein, dass sie ihn beinahe überrollten vor lauter Fürsorge. „Reingehen, gegen sie kämpfen und mich von ihnen töten lassen?“ Er zuckte mit den Schultern, lachte dann bitter. Machte deutlich, dass das nicht wirklich seine Endlösung war. „Es sei denn, du könntest mir helfen.“ Sollte er verschweigen, dass er so und so geholfen hätte? Egal wie Ran sich entschieden hätte? Ja. Ein klares Ja. Er würde es verschweigen. "Ja könnte ich." Er wandte sich um, bot Ran eine Zigarette an. "Sorry", sagte er, da er völlig vergessen hatte, ihm eine anzubieten, da Ran hin und wieder rauchte, wie er nun wusste. "Soll ich warten, oder dir die Typen vom Hals schaffen und ... naja später hol ich dich wieder ab?" Er dachte darüber nach, wie sie das am Besten lösen könnten. Aya lehnte dankend ab. Nickte schließlich. „Ja…das wäre eine Möglichkeit“, erwiderte er, auch wenn er tief in sich wusste, dass das keine Dauerlösung war. Kritiker würden nicht müde werden nach ihm zu suchen und er konnte sich nicht immer abhängig von Schuldig machen. Das ging nicht. Er musste lernen, selbst mit dem Problem klar zu kommen, doch er wusste im Moment wirklich nicht, wie. Es ging einfach nicht. "Du willst gleich los? Kann ich mich noch umziehen, ich werde dann noch Freunde besuchen, während du bei deiner Schwester bist." Schuldig ging hinein, legte sich bereits Kleidung heraus. Lederhose, Hemd Mantel. Aya folgte dem Deutschen ins Apartment und zog die Tür zu, wartete dann geduldig darauf, dass der andere Mann fertig wurde. Es war schwer vorstellbar, dass Schuldig außer Schwarz noch Freunde hatte…hatte er doch immer von Weiß aus geschlossen, dass sie nach außen hin keine schlossen…um sich abzusichern…keine unnötigen Bindungen aufzubauen. Er streifte sich Stiefel und Mantel über und starrte stumpfsinnig an die Tür. Mit einem entschuldigenden Lächeln ging Schuldig noch schnell ins Bad, seine "Freunde" wollte er nicht all zulange warten lassen. Kurz darauf kam er wieder, griff sich die Wagenschlüssel und seinen Mantel. Aya kämpfte sich mehr schlecht als Recht durch die folgende Prozedur des Gefahrenwerdens, des Beobachtens und Ablenkens der Kritikeragenten. Er hatte nur eines vor Augen und das war kein schönes Bild. Der Bestatter hatte ihn vorgewarnt, wie seine Schwester aussehen würde. Nicht so, wie er sie noch vor einem Tag in Erinnerung hatte. Vom Tod gezeichnet… Doch was machte das? Wusste er denn nicht schon längst, dass genau das unvermeidlich war? Aya zog sich mit Gewalt wieder in die Realität zurück. Sah zu Schuldig. Dieser hielt den Wagen an, nickte Ran zu. "Sind weg, ich hab ihnen einen posthypnotischen Auftrag erteilt, die kommen so schnell nicht wieder. Sei trotzdem wenn du raus gehst wachsam. Aber drinnen bist du sicher vor ihnen. Warte einfach drinnen auf mich, ja?" Er tastete noch einmal das Gebiet ab. "Wann soll ich dich abholen?" Eine schwierige Frage für Aya. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn er selbst den Zeitpunkt hätte bestimmen können, wann er gehen wollte. Doch das war die Gegenleistung für den Schutz, den Schuldig ihm bot. Er nickte langsam. „In…vier, fünf Stunden?“, entgegnete er fragend. Vielleicht reichte das aus, um sich zu verabschieden…endgültig. Was für ein hässliches Wort…endgültig…wie hässlich. "Hast du dein Handy dabei?", fragte Schuldig, als er bemerkte, dass es Ran schwer fiel diese Frage zu beantworten. "Ruf mich auf meinem an, die Nummer haben wir ja eingespeichert. Dann kannst du gehen wann du willst." Er suchte sein eigenes aus dem Handschuhfach heraus und steckte es sich in die Innentasche. So was brauchte er eigentlich nicht. Nur für bestimmte Leute, die nicht wussten, dass er Telepath war, wie seine Freunde zum Beispiel oder wie jetzt Ran. Aya bejahte die Frage des anderen Mannes. War erleichtert ob diesem Entgegenkommens. Seine Augen suchten die des Telepathen. „Danke“, nickte er schließlich und öffnete die Tür, ließ seinen Instinkt über die dunkle, stille Gegend schweifen. Nichts…hier schien keine Gefahr zu sein. Er wandte sich um und ging zum Eingang, klingelte. Offiziell, wie Schuldig gesagt hatte. Versuchte, Normalität in sein Leben hineinzubringen. Ein Angestellter öffnete ihm und bat ihn freundlich hinein. Er nickte und ließ sich hineinführen. Zum Büro des Bestatters selbst. Schuldig wartete bis Ran im Institut verschwand und fuhr dann zu seiner Verabredung. Eine halbe Stunde später trat er aus dem Aufzug eines Clubs der über mehrere Etagen ging, er erklomm weiteren Stufen in die oberste Wohnung. Die Tür wurde von einer Japanerin geöffnet, ein fließendes schwarze Abendkleid umschmiegte ihren Körper. "Ahh", raunte sie "du bist schon hier." Sie legte ihre schlanken Arme um seinen Nacken und küsste ihn verlangend. Schuldigs Blick streifte ihren Mann der näher kam, die Tür schloss. Vielen Dank fürs Lesen! Fortsetzung folgt wie immer ^^ Coco&Gadreel Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)