Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 61: Wer im Glashaus sitzt… ---------------------------------- ~ Wer im Glashaus sitzt… ~ o~ Er beobachtete müßig die Schwärme an bunten Fischen, die direkt vor seiner Nase herschwommen. Schnurgerade in die eine Richtung, dann schnurgerade in die Andere. Dann abrupt nach oben, als der Räuber der See kam und majestätisch durch sein Reich glitt. Omi bewunderte die brutal anmutende Gestalt des Katzenhais, der gerade an ihm vorbeizog und sein Maul aufsperrte. Wie gebannt starrte der blonde Weiß auf die kleinen Fische, die vor ihm flüchteten und sich in Sicherheit brachten…alle in ihrem Schwarm, denn da waren sie stark. Nur er, er stand alleine hier in diesem riesigen Aquazoo und wartete. Er glaubte nicht, dass Nagi kommen würde, wenngleich er ihm eine Nachricht in den Briefkasten seiner kleinen Wohnung geworfen hatte. Er war nun schon einige Zeit aus China wieder da, laut Ran, und Omi hatte den Entschluss gefasst, dass es an der Zeit war, sich ein weiteres Mal in die Schwarzsche Gefahrenzone zu begeben. Ob diese jedoch auch mitspielte…würde er noch sehen. Er schaute auf seine Uhr. Zwei Uhr hatte er geschrieben…es war viertel nach. Etwas würde er noch warten und die künstliche Unterwasserwelt hier vor sich beobachten. Alles andere als etwas Künstliches beobachtete der augenscheinliche Zuspätkommer. Doch Nagi war schon früher hier als von Omi angenommen, nur … hatte bei seinem kleinen Versteckspiel Unsicherheit eine große Rolle gespielt. Sie hatten sich fast drei Wochen nicht gesehen und … wie würde ihre Begegnung nun sein? Er sah den wiederholten Blick auf die Uhr und erkannte, dass er sich nun endlich dazu entschließen musste hinzugehen oder so zu tun, als hätte er die Nachricht verspätet erhalten und somit keine Möglichkeit mehr gehabt zu dem Treffen zu erscheinen. Feigling, zwitscherte etwas in ihm und dies gab schließlich den Ausschlag dazu, seine Beine in Bewegung zu setzen. Die kühlruhige Atmosphäre traf genau seinen Geschmack und so war zumindest die Umgebung eine, in der er sich glaubte wohl zu fühlen. Sich dem Blonden nähernd, hob er seine Hände und führte sie über dessen Augen. Omi erschrak und blinzelte gegen die ihn blendenden Hände. Er war schon halb zurückgezuckt, als sich seine Lippen zu einem Lächeln nach oben bogen. „Hmm….wer könnte das wohl sein?“, grübelte er nachdenklich und runzelte unter den kalten Händen seine Stirn. „Gib mir einen Tipp!“ „Das Gegenteil von Weiß“, antwortete Nagi im trockenen Tonfall, da er auf derlei kindische Ratespiele eigentlich wenig Lust hatte. Einfach unsinnig. „Ooh!“, meinte Omi demonstrativ überrascht und entwand sich dem anderen wie eine Schlange. Er drehte sich abrupt um und lächelte. „Du bist also doch gekommen“, stellte er fest und legte den Kopf schief. Kritisch besah er sich Nagi und hob die Augenbraue. Und da Omi diesen Blick eher selten mit ihm in Verbindung anbrachte wurde die Unsicherheit in Nagi größer und sein Nervenkostüm bröckelte leicht. Er blickte zur Seite und dann wieder zu Omi. „Was… ist?“ Hatte er etwas an sich, was so nicht ganz ins Gesamtbild passte? „Du siehst gut aus“, sagte Omi in dem gleichen, kritischen Ton wie vorher. „Wenn auch etwas blass, aber wohl genährt.“ Wohl…genährt? Nagis Mundwinkel zuckten, konnten sich jedoch aufgrund eines Befehls von höchster Stelle zum Stillstand bewegen. „Ich … habe nicht trainiert, während des Einsatzes.“ Da hatte er es doch genau gesehen, das Lächeln, das sich da anbahnen wollte, aber schändlichst unterdrückt wurde. Gut…noch war nicht aller Tage Abend und noch hatte Omi nicht aufgegeben. Ihm lag ein ‚Wie lief es?’ auf der Zunge, doch er sagte nichts, schließlich waren sie nicht hier um über den Beruf zu reden. „Wie geht es dir?“, fragte er anstelle dessen. Nagi trat neben den anderen, verbarg seine Hände in seiner Jackentasche und betrachtete sich für einen Moment das satte Blau um sie herum, die gelben Fischschwärme die es durchzogen. „Gut, Danke. Und dir?“ Er wusste wirklich nicht, was er sagen sollte, die Situation empfand er als furchtbar für sich selbst. Sein Magen fühlte sich flau an und er konnte kaum atmen in Gegenwart des anderen. War es Aufregung? Doch die hatte er doch sonst nicht? Nicht einmal bei Einsätzen! Dies hier war aber anders als ein Einsatz, es war viel gefährlicher, viel hinterhältiger und unberechenbarer: es war Omi. „Gut geht’s mir! Ein Bisschen Familienstress, aber gut“, lachte er und stupste Nagi mit seiner Schulter an. „Schau mal, ein Feuerfisch“, sagte er und deutete auf das Prachtexemplar dieser Art, das gerade indigniert an ihnen vorbeizog und sie anglotzte. „Familienstress?“, hakte Nagi nach einigen Minuten des einträchtigen Schweigens nach. Er wusste nicht genau welche Familie der junge Takatori neben ihm meinte. Vermutlich war es Weiß. „Du weißt schon…unser Sorgenkind mal wieder. Aber was erzähle ich es dir“, lachte er. „Du hast den Kleinen sicherlich schon eher zu sehen bekommen als ich!“ Wenn Ran das hörte, wäre er doch glatt mal einen Kopf kürzer, befand Omi. Wie gut jedoch, dass Ran eben NICHT hier war. „Alles etwas chaotisch in der letzten Zeit. Dafür ist es hier aber umso ruhiger.“ „Oh… du meinst… wegen dieser…“, Nagi deutete auf seine rechte Gesichtshälfte mit dem Zeigefinger. „…Sache?“ Danach schwieg er wieder etwas, ließ sich von dem sachten Treiben hinter der dicken Scheibe einlullen. „Glaubst du auch, dass wir es waren?“ Das war eine Frage, mit der sich Omi seit längerem nun beschäftigte und auf die er keine Antwort erhalten hatte. Ran war zwar noch einmal da gewesen und hatte mit ihm darüber gesprochen, hatte ihn in dem Zuge gleich darum gebeten, die Augen offen zu halten, was neue Aktivitäten in gewissen Kreisen anging. Mehr konnten sie nicht machen. Omi runzelte die Stirn, als er sich daran erinnerte, wie Ran sein Katana mitgenommen hatte – zu Übungszwecken, wie es hieß. Doch daran glaubte er nicht wirklich. Er fuhr sich mit der Hand über sein Gesicht und sah Nagi von der Seite her an. „Ihr…nein. Er…vielleicht. Aber ich weiß gar nichts. Es sind alles nur Vermutungen, die sich nicht beweisen lassen. Genau das ist das Schlimme. Es gibt keinen konkreten Anhaltspunkt und das lässt genügend Raum für Spekulationen.“ „Er? Wen meinst du damit?“ Nagi überdachte die Worte. Wir nicht, aber er. Fujimiya war wütend abgerauscht und Schuldig wenig später zornig angerauscht. Verdächtigten sie vielleicht Brad? „Du meinst Brad?“ Seine Gestalt straffte sich etwas. Omi nickte schweigend. „Rein logisch – von UNSERER Logik aus – betrachtet, ist er der momentan dringlichste Verdächtigte. Ja, auch wenn Ran gesagt hat, dass er es vermutlich wohl doch nicht ist und dass er nichts damit zu tun hat.“ Omi sah zu Nagi, nahm den anderen ganz genau in Augenschein. „Crawford hat nichts davon, dass Ran und Schuldig etwas miteinander haben. Er hätte MEHR davon, wenn sie es nicht hätten.“ Nagis Unsicherheit fand ein Ventil und entlud sich nun in Wut und auch Enttäuschung. „Hast du mich deshalb hierher gebeten um über diese exorbitante Lage zu sprechen?“, wurden seine Worte leidenschaftslos und sein Blick ging durch den anderen hindurch. Erst jetzt wurde ihm wirklich bewusst, in welcher Umgebung er sich befand und dass er hier seine Fähigkeiten besser zurückhielt, wenn er nicht mit den Fischen schwimmen wollte. Er selbst würde hier wohl ein nasses Grab finden. Er wich einen Schritt zurück vom Glas weg, als ginge von dem Material selbst eine Gefahr aus. Wachsbleich im Gesicht sah er sich um, über sich und um ihn herum… Glas und Wasser welches einen hohen Druck ausübte…ein kleiner Stoß und … Die Menschen um ihn herum wurden ausgeblendet, sein Sichtfeld schränkte sich ein, die Ränder verwischten, wurden zu Schatten. Einen weiteren Schritt zurückgehend hatte sich seine Unsicherheit mit Angst vermischt. Furcht über die Tatsache seiner Unbeherrschtheit. Omi wusste nicht, was er mit der Angst anfangen sollte, die er in den Augen des Jungen sah, der sich Schritt für Schritt von ihm entfernte. War es wirklich nur wegen Crawford? Nein… „Ich habe dich hierher gebeten, weil ich dich sehen wollte. Ich würde am Liebsten gar nicht über Crawford sprechen. Sondern nur mit dir über dich.“ Er lächelte gewinnend und steckte die Hände in die Hosentaschen. Die Luft wurde Nagi eng und die Leute um ihn herum machten diesen Umstand der aufkommenden Panik keinen Deut besser, ganz im Gegenteil. „Ich…“, fing er an, wusste aber nicht, was er eigentlich sagen wollte, so beschränkte er sich darauf, den anderen in der Ellenbeuge mit klammem Griff zu fassen und ihn mit scheuklappenartigem Blick raus aus diesem speziellen Raum zu ziehen. Dunkle Schatten umringten sein Sehfeld und er war froh, als er in einem Raum mit normalem Sichtglas nach draußen auf eine Bank sank. Fest die Zähne zusammengebissen atmete er tief ein, dabei nach draußen in die Weite des Himmels hinauf blickend. Alles war hier gut, er musste sich nur beherrschen, dann wäre dort drinnen ebenfalls nichts geschehen, weshalb hatte er plötzlich diese Furcht besessen? Nur weil er wütend geworden war? Wut wegen etwas anderem. Nicht wegen der Umgebung. Sie war schön. Hier war es schön und ruhig. Keiner wollte ihm hier etwas Böses. Vorher war doch alles in Ordnung gewesen. Sich neben Nagi setzend, fuhr Omi dem anderen schweigend durch die Haare. Es war nur eine kurze, flüchtige Geste, nichts, das groß auffiel oder Nagi zu sehr aufrütteln würde. „Was ist los mit dir?“, fragte er, hatte er doch die Panik in den Augen des Telekineten gesehen, diese Flucht aus der Wassergrotte. Oder war es genau das? Fühlte sich Nagi begraben? Das konnte vielleicht sein, denn vielen ging es so. Youji zum Beispiel mied den Aquazoo wie die Pest, er HASSTE die Tonnen an Wasser um sich herum, die irgendwann über ihn zusammenbrechen könnten. Hatte Nagi… Jetzt dämmerte es Omi und er konnte sich vorstellen, warum der andere so reagierte. „Sollen wir woanders hingehen?“ Nagi schmälerte seinen Blick um den anderen zu fokussieren, nickte dann erleichtert. „Es …ist schön hier, aber …gefährlich“, führte er nicht näher aus, was er damit meinte. Es war einfach albern, er führte sich auf wie ein Kleinkind, ein verzogenes noch dazu. Warum konnte er sich nicht beherrschen! Gerade eben, warum musste er wütend werden? Er hasste diese Wut dieses Gefühl des Zorns in sich, schon immer hatte er es gehasst und gefürchtet zugleich. Diese Gefühle mussten eingedämmt werden, sie mussten verschwinden. Omi wusste, was Nagi meinte und nickte schweigend. „Wir können auch in den Dschungel gehen, weißt du? Da gibt’s nur gefährliche Krokodile, keine Aquarien! Und die kannst du ganz leicht fertig machen, wie wäre es?“ Er lächelte gewinnend und aufmunternd, während sich seine Hand wie von selbst auf den Oberschenkel des Schwarz legte. „Du kannst mir aber auch etwas über Shanghai erzählen. Wie war es denn dort?“ Wärme drang durch den Stoff seiner Hose dort wo er den Kontakt mit Omis Hand fühlte. Er strich flüchtig, schüchtern darüber und erhob sich dann. „Reptilien klingt gut.“ Ein schwaches Lächeln kräuselte seine Lippen. „Es war interessant… aber auch wie immer das Gleiche.“ Besser er erzählte nichts über seine Verschleierungstaktik… „Was war denn dann interessant daran? Hattest du auch Gelegenheit, Land und Leute kennen zu lernen?“, fragte Omi ganz weg von der Missionsthematik, die hier bei weitem nicht hingehörte. Er stand auf und bedeutete Nagi aufmunternd, mit ihm dorthin zu schlendern. Er freute sich schon auf die Krokodile…besonders dann, wenn sie gefüttert wurden. Nagi musste sich daran erinnern, wie er in dieser Mädchenkleidung herumgelaufen war. „Ja… ich hatte genügend Gelegenheit“, verzog er den Mund zu einem halben Schmunzeln. Schuldigs dumme Sprüche als sein zukünftiger Ehemann waren der Gipfel der Unverfrorenheit gewesen. „Ich agiere meist separiert von den anderen.“ Sie passierten einen anderen Eingang und der erstickende Geruch von feuchtklimatisierten Räumen und Reptilien hing dezent in der Luft. Omi lauschte im Hintergrund auf das kreischende Zwitschern der Vögel, die über ihren Köpfen hin und herflogen. Er ließ sich die Worte Nagis schweigend durch den Kopf gehen und lächelte schließlich. „Dann erzähle mir etwas Ungefährliches, aber Interessantes, das du erlebt hast!“ Eine klare Ansage, dass er diese Frage niemals als Weiß gestellt hatte, sondern als Omi. Und dass er diese Informationen auch nie weitergeben würde. Und ebenso war es der Hinweis darauf, dass Omi sich brennend dafür interessierte, was Nagi überhaupt zu erzählen hatte. „Hmm“, sinnierte Nagi und blickte in einen der größeren Schaukästen, in dem sich augenscheinlich nichts bewegte. Neugierig versuchte er die kleine grüne Schlange, die sich dort laut Bild befinden sollte, auszuspähen. „Ich … war hauptsächlich in den Auftrag involviert. Kannst du die Schlange sehen?“ Omi ging noch etwas näher an das Glas heran und stierte in das Fenster. Noch konnte er das Reptil nicht sehen…er verengte die Augen. Wo war sie denn? Eine wirkliche Möglichkeit zum Verstecken gab es unter all dem offenen Grün nicht, also musste sie doch irgendwo da sein… „Ich sehe sie nicht…du?“ Enttäuscht die Lippen vorschiebend verneinte Nagi ebenso und verzog seine Schnute missbilligend. „Ich will mein Geld zurück!“, sagte er ernst und hob seine Braue, einen nicht ganz ernsten Blick zu Omi werfend, bevor er zum nächsten Schaukasten ging. „Vermutlich ist sie ausgebrochen und macht sich jetzt draußen ein schönes Leben“, lachte Omi auf den Kommentar des Telekineten und besah sich Nagi noch einmal genauer. Dieser Schmollmund lud zum Küssen ein. Sein Blick glitt über die ganze Gestalt. Der Andere war größer als er, aber dünner. Und wieder grau in grau gehüllt…dabei würden ihm bunte Sachen wirklich gut stehen. Omi überlegte sich, ob er Nagi das nächste Mal - sollte es denn eines geben - zum Einkaufen mitnahm und ihm gewisse Dinge aufschwatzte. „Aber schau, sie kann man sehen!“, grinste er und deutete auf die Kobra, die ihnen in diesem Moment genauso interessiert entgegenstarrte. „Ja…und sie uns…irgendwie …unangenehm“, krauste Nagi die Nase und versuchte die Kobra niederzustarren. Was ihm nicht recht gelingen wollte. „Glas ist wirklich sehr vorteilhaft … in mancher Situation“, versuchte er seine vorherige Schwäche abzumildern und einen Scherz daraus zu machen. Omi wusste das zu würdigen, denn seine Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln, allerdings nicht nur wegen des Humors, sondern dem dramatischen Kampf hier vor seinen Augen. Manchmal war er sich nicht so wirklich sicher, wer von ihnen sich mehr im Glaskasten fühlte: die Schlange oder sie selbst…vielleicht dachte die Kobra ja auch, dass sie die interessanten Objekte zur Anschauung waren - oder zur Fütterung. Die Kobra näherte sich dem Glas und schwebte regelrecht von Nagi zu ihm, dann wieder zurück. Eine kleine, gespaltene Zunge fuhr heraus um ihre Umgebung zu ertasten. "Sehr vorteilhaft!", stieg Omi darauf ein und meinte es ernst. Ihr wollte er nicht ohne einen Schutz begegnen. Obwohl…so viele gefährliche Raubtiere hatten sich schon als zahme Katzen herausgestellt, als sie dem richtigen Dompteur überantwortet worden waren. "Aber gruselig, meinst du nicht auch?" „Gehört nicht zu meinen Lieblingstieren“, wisperte Nagi und wandte sich von der Kobra ab, die sich von ihm – kleinem Menschen – nicht beeindrucken hatte lassen. Wobei … Ein kleines Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Diese Kobra schien keine Angst vor so etwas wie ihm zu haben! "Dann hast du also andere Lieblingstiere?", fragte Omi prompt. Irgendwie hätte es ihm noch vor Wochen absurd erschienen, dass jemand von Schwarz derart menschlich wäre. Doch nun war das anders. Nun konnte er sich das durchaus vorstellen, die Frage war nur… "Welches?" Omi tippte da ja auf eine Spinne…zumindest könnte sie zu dem anderen Jungen passen: äußerst giftig, aber eigentlich ängstlich und schnell aufbrausend. Ob der Telekinet allerdings mit dieser Wahl zufrieden sein würde? Omi behielt seine Erkenntnisse lieber für sich. „Nein, habe ich nicht. Aber wenn ich welche hätte, gehörten Schlangen nicht dazu. Obwohl sie schön anzuschauen sind“, räumte er ein und blieb vor einem Kasten mit Nattern stehen. Hübsche Farben hatten sie. „Als Kind favorisierte ich Elefanten, vermutlich wegen ihrer Größe und wegen des praktischen Rüssels… denke ich.“ Er verzog den Mund missmutig. „Die wirft so schnell nichts um“, erinnerte er sich an seine Kindheitstage. „Nein, das sicherlich nicht“, bestätigte Omi. Elefanten? Spinnen? Okay…Er lächelte. „Elefanten sagt man nach, dass sie sehr intelligent und sozial seien. Kennst du die Berichte von Menschen, die beinahe von ihnen zu Tode getrampelt worden wären, weil sie ihnen böses getan haben? Im letzten Moment aber haben die Elefanten von ihnen abgelassen…vielleicht kennen sie so etwas wie Gnade, was meinst du?“ Er selbst hatte sich immer vor diesen Tieren gefürchtet, als er damals mit der jungen Manx im Zoo gewesen war. Sie war zu dieser Zeit schon eine Kritikeragentin gewesen, noch lange bevor er sich bewusst geworden war, dass dieser gütige Mann, der ihn gerettet hatte, das nur tat, weil er ihn zum Killer erziehen wollte. Omi konnte sich nicht mehr richtig an diese Zeit erinnern - er wollte es auch nicht - doch solche Sachen stachen hervor. Ebenso wie der Elefant, der groß und imposant vor ihm gestanden hatte und vor dessen Rüssel sich Omi hinter Manx versteckt hatte. „Gnade? Darüber kann ich nichts sagen. Ich beschäftige mich nicht mit diesem Thema, du weißt ich ziehe Physik der Philosophie vor“, erschien ein kleines Lächeln im Mundwinkel des Braunhaarigen. „Wie waren eigentlich deine Prüfungen? Die sind doch sicher schon vorbei, nicht?“, lenkte Nagi das Thema um und er spähte über eine gläserne Begrenzung in die reich mit Pflanzen angelegten Becken, in denen sich das ein oder andere Urzeitgetier herumtrieb. Omi lachte verlegen. „Ich bin knapp dem ‚Haut-über-die-Ohren-ziehen’ entkommen, wenn du das wissen willst. Aber es hat gereicht und ich bin durchgekommen. Nächstes Semester geht es wieder mit voller Power weiter!“ Er hatte in der letzten Zeit einfach zu viele Sorgen gehabt, als dass er sich wirklich auf die Uni hatte konzentrieren können. Ran…Weiß…Kritiker…all das hatte seine Aufmerksamkeit gefordert. „Wie sieht es denn bei dir aus? Hast du alles unter einen Hut bekommen?“, fragte er der Ablenkung halber und starrte auf eines der riesigen Krokodile hinab, das gerade träge am Rande des Wassers lag. „Ich mache meist nichts anderes als Projekte auszuarbeiten oder Studienbriefe durchzuarbeiten. Ab und an kommt mir ein Auftrag dazwischen, das wirft mich dann fast um vier Wochen zurück, in denen ich auch die Vorlesungen nicht besuchen kann. Momentan muss ich den Stoff der letzten Wochen aufarbeiten.“ Ein wenig erfreuter Blick traf Omi und spiegelte dessen Leid mit der Vollzeitbeschäftigung und dem lukrativen Nebenjob wieder. Einen Moment in die Betrachtung der grüblerisch verzogenen Lippen vertieft, erinnerte sich Nagi der Nacht bevor sie nach China aufgebrochen waren. Süße Lippen und eine talentierte Zunge die dahinter lag… wie er sich entsann. "Das kann ich nachvollziehen", seufzte Omi. "Ist der Stoff wenigstens interessant?" Er erwiderte den Blick der grauen, ihn taxierenden Augen und fragte sich, was wohl dahinter verborgen sein mochte. Was dachte der Telekinet gerade über ihn, wo er ihn doch schon so eindringlich anstarrte? Ein kleines, laszives Lächeln breitete sich auf Omis Lippen aus, als er einen Schritt näher zu Nagi kam. "Sag, was würdest du machen, wenn ich dich hier vor aller Leute Augen einfach küssen würde?", flüsterte er ihm ins Ohr und pustete sanft gegen, die empfindliche Haut. „Fändest du das so klug?“ Nagi hob eine Braue und wandte den Kopf leicht sodass Omis Atem seine Wange streifte. Er musste lächeln bei diesem warmen, fedrigen Gefühl. Noch einen Moment länger blickte er in das freche Blau bevor er näher kam, sodass sich fast ihre Lippen berührten, einen Moment verharrte bevor er zwinkerte und sich umdrehte. Die Röte auf seinen Wangen zeigte bis auf Omi allen, die ihn anblickten, dass diese kurze Berührung ihn nicht kalt gelassen hatte. Trotzdem freute er sich, dass er dem Charme des anderen widerstanden hatte und ausgebüxt war. So strebte er die kleine Brücke über dem Krokodilbecken an. „Hey!“, maulte Omi indigniert. Das waren ja ganz neue Seiten an dem schüchternen Telekineten. Seiten, die er ganz und gar nicht zu schätzen wusste! Leise vor sich hin schimpfend ging er Nagi hinterher und überlegte, ob er nicht einfach einen Überfall planen sollte, oder ob sie das beide unweigerlich nach unten zu den großen Beißerchen brachte. Er plädierte da doch stark auf Letzteres, also begnügte er sich damit, friedlich neben Nagi herzulaufen und nach unten zu spähen. Wie gut, dass sie mit knapp vier Metern einfach zu hoch für diese Viecher waren! „Kann es sein, dass du dir mehr und mehr von Schuldig annimmst?“, fragte er schelmisch. Obwohl…der Telepath war nicht zu überbieten an Kokettierung. Das brachte Nagi allerdings wirklich zum …Entsetzen … oder Staunen. Jedenfalls warf er Omi einen zweifelnden Blick zu. „Das halte ich für unwahrscheinlich“, meinte er und blickte angesäuert. Er … und Schuldig gleichen. „Nicht im Entferntesten!“, schnaubte er und sah nach unten zu den Krokodilen, lehnte sich an die Absperrung. Omi stellte sich neben Nagi und knuffte den anderen leicht in die Seite. „Sicher?“, lächelte er spitzbübisch und schielte ins Becken. „Vielleicht kannst du dich seinem Einfluss gar nicht entziehen, auch unbewusst nicht“, grübelte er nachdenklich. „Er hat dich assimiliert!“, war schließlich das glorreiche Ergebnis seiner Nachforschungen. „Aha“, war Nagis trockene Antwort. „Du siehst zu viel Star Trek, fürchte ich.“ Ich glaube eher, dass Schuldig Fujimiya assimiliert hat und zwar mit Haut und Haar…vollständig sozusagen.“ „Naa! Also das muss noch geklärt werden, wer da wen assimiliert hat!“, hielt Omi dagegen und musste schmunzeln. Für einen Moment kam es ihm so vor, als würde das ein kleiner Kampf zwischen Weiß und Schwarz sein; wer hatte über wen triumphiert. Doch da waren sie schon weit drüber hinweg…auch wenn es Weiß immer noch schwer fiel zu akzeptieren, dass Schuldig sich Aya einverleibt hatte und dieser sich das so gefallen ließ - wo sie doch vorher Feinde gewesen waren. Omi wusste nicht genau, was in diesen anfänglichen fünf Tagen zwischen den Beiden vorgefallen war, doch er vermutete, dass genau das der Grundstein für diese…Assimilation war. „Außerdem lenk nicht ab! Du bist frecher geworden als beim letzten Mal!“ „Wer sagt dir denn, dass ich nicht immer so frech war?“ Nagi warf dem anderen einen trockenen Blick zu und schürzte die Lippen minimal. Natürlich stimmte es nicht wirklich, was er da als Verteidigung ins Feld brachte, aber schließlich musste ein guter Zocker auch einen guten Bluff beherrschen. „Hm…stimmt. Allerdings müsste ich das dann erst einmal austesten!“, grinste Omi und hielt diesem verdächtig verschlagenem Blick tapfer stand. Verstohlen sah er sich um, um festzustellen, ob ihnen jemand zusah, bevor er einen minimalen Kuss auf diese einladend gespitzten Lippen platzierte und sich dann, als wäre nichts gewesen, wieder auf das Terrarium unter ihnen konzentrierte. Federleicht… und doch mit genügend feinem Druck appliziert um tiefe Eindrücke in Nagi zu hinterlassen. Dieses zarte Küsschen war süß und sofort wurde dieser Süße nachgeschmeckt. Er sog leicht die Lippe zwischen die Zähne und spitzte mit der Zungenspitze darüber, fast verstohlen wirkte diese kindlich anmutende Tat. Omi lächelte und zwinkerte schelmisch zu Nagi, bevor er seine Hände in die Taschen vergrub und leise pfeifend voraus ging. Na da genoss aber jemand die Zuwendung, da war aber jemand ganz und gar nicht abgeneigt. Omi war für diesen Moment wirklich geneigt, Crawford und seine Vaterallüren zum Teufel zu jagen, wenn ihm dieses Versprechen nicht so wichtig gewesen wäre. Er wollte Nagi nicht gefährden, indem Kritiker mitbekamen, was er hier trieb. Also…musste er sich zurückhalten. Genau. Zurückhalten. Wie in Nagis Apartment vor viereinhalb Wochen. Später…viel später ging Omi mit eben diesem beschwingten Gefühl nach Hause und ließ seinen Blick zum dunklen Himmel empor gleiten. Er grinste wie ein Verrückter und das schon die ganze Zeit auf dem Nachhauseweg. Der Tag war…toll gewesen. Sie waren sich näher gekommen, aber doch soweit auf Abstand geblieben, dass es selbst der Anstandsdame gepasst hätte, die ihre Orakelaugen auf sie beide hatte. Leise pfeifend betrat er das Koneko und kam in die Küche, wo ihn Youji empfing, der die Augenbraue anhand seiner guten Laune deutlich in die Höhe erhoben hatte. „Hallo!“, tschilpte Omi und raubte dem Kühlschrank seinen viel getrunkenen Orangensaft. „War er gut?“, fragte Youji trocken und Omi lachte auf. „Wen meinst du?“ „Dein Date natürlich!“ „Wie kommst du darauf, dass ich heute ein Date hatte?“, fragte Omi zurück und lehnte sich an den Kühlschrank, das Glas Saft in seiner Hand. „Du hast dich angezogen, als wolltest du ganz Tokyo aufreißen, natürlich mit deinem jungfräulichen“, Yohji fiel Omis verschlagen Grinsen ins Auge. „…Charme. Außerdem kann man das Glück schon beinahe aus deinen Ohren quillen sehen!“ Der blonde Junge verzog bei der Vorstellung angewidert seine Nase. „Manchmal bist du echt eklig, Youji, weißt du das?“ „Tzz. Also…wer ist es?“ „Sag ich nicht!“ „Du kannst es sowieso nicht vor mir geheim halten!“, grinste Youji zweideutig und nickte in Richtung Küchentisch. „Wie wäre es mit DEM da?“ Omi runzelte die Stirn und nahm den unscheinbaren, einfachen Zettel auf, der zwischen ihnen lag. Auf ihm stand nichts…fast nichts. Nur ein Datum und eine Uhrzeit. Ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. Oh ja. „Omi…“ „Schlaf gut, Youji!“ „Hey! Du kannst mich doch nicht so abspeisen! Ich muss doch wissen, was hier vor sich geht!“ „Aber alles wirst du nicht erfahren!“, flötete Omi und zog lächelnd in seine Gemächer. 20. Februar. 19:00 Uhr. Na wenn das mal kein Date war… o~ „Hmm, was meinst du?“ Nagi lehnte sich in den Ledersessel zurück und las zum wiederholten Mal die kurze Nachricht auf ihrer Messagebox, die sie anonym über ein Hotel geschaltet hatten. Eine ihrer vielen Auslegeradressen, um Schwarz für einen Auftrag zu engagieren. Allerdings hatten nur zwei Kontaktmänner diese Nummern. Diese Nachricht kam über das Grand Hyatt. Brad hatte seinen linken Arm über die Lehne gelegt und richtete sich nun auf, lehnte sich an den Tisch an. Nagi blickte ihn an. „Könnte eine Falle sein“, meinte Nagi ruhig. „Mit Sicherheit ist es eine.“ Pause. Brad hatte die Arme verschränkt, zog ein nachdenkliches Gesicht. Er schien vor sich hinzubrüten. Eine Weile war es still in dem Raum, bis ein unwilliges Knurren aus der Denkerkehle zu vernehmen war. „Aber weshalb ausgerechnet jetzt?“ Nagi behielt seinen Blick auf den Bildschirm. „Weder besser noch schlechter zu früher, woran denkst du?“ „An Fujimiya. Der Angriff war vor ungefähr zweieinhalb Wochen. Sie hätten vorher bereits Gelegenheit gehabt, sich Schuldig zu greifen, wenn sie diese Absicht verfolgt hätten. An dem Tag, an dem die beiden Spaßvögel mich an Kritiker verkauft haben, hätten sie genügend Männer ins Spiel bringen können. Ohne Aufsehen könnte Schuldig sie in Harajuku nicht ohne weiteres abschütteln, oder gar ausschalten. Nicht alle auf einmal und mit Fujimiya im Schlepptau. Zu viele Zeugen, zu viele Unsicherheiten.“ „Das heißt, du wirst hingehen?“ Nagi legte seine Hände auf die Lehnen und blickte zu Brad auf. „Warum?“ Brad sah ihn länger an als nötig, was Nagi zu dem Schluss brachte, dass er selbst noch nicht ganz überzeugt von seiner Idee war. „Weil hier etwas nicht stimmt. Und ich möchte wissen, was es ist.“ Er stieß sich ab und massierte sich kurz die Schulter, eine seltene Geste, zeigte sie, dass Brad in Sorge war. „Schick eine Bestätigung und vereinbare ein Treffen am Treffpunkt zweiter Kategorie, ich leg mich hin.“ Nagi nickte und wünschte Brad eine gute Nacht. Der Telekinet formulierte eine kurze Nachricht mit Ort, Zeit und Datumsangabe. o~ Manx spielte mit dem silbernen Füllfederhalter in ihrer Hand, der müßig auf ihrem Zeige- und Mittelfinger balancierte. Er fiel herunter und sie griff sich ihn, bevor er den Tisch herunterrollen konnte. Hätte sie gedacht, dass er unpünktlich war? Nein. Aber vermutlich saß er irgendwo schon hier und beobachtete sie. Manx sah sich schweigend um und begegnete der Kellnerin mit einem Lächeln, während sie noch einen weiteren Kaffee bestellte. Ihr Blick ging geradewegs auf die Straße heraus von ihrem kleinen Tisch in dem Café, wo sie wortwörtlich mit dem Rücken zur Wand saß. Mal sehen, ob er sich sehen ließ. Bradley Crawford, Orakel von Schwarz. Wenn sie es genau nahm, IHR Eigentum, fair ausgetauscht gegen die Freiheit Fujimiya Rans und seines Teams. Das so betitelte Eigentum war bereits zwei Stunden vor dem Eintreffen der Abteilungsleiterin von Kritiker eingetroffen. Die Umgebung war augenscheinlich sauber, nichts, was auffällig wäre, niemand der nicht hier her gehörte. Brad erhob sich und verließ den Coffeshop gegenüber dem Café und überquerte die Straße mit lässigen, nicht eilenden Schritten. Er fand sie an einem gut gewählten Tisch, an dem sie beide den Eingang im Auge behalten konnten, ohne sich zu nahe zu kommen. Er ging näher und noch im Hinsetzen ging er auf das Thema seines Hier seins ein. „Was wollen Sie?“, fragte er mit leiser, ruhiger Stimme. Seine Miene war unleserlich. Meinen vereinbarten Preis, sagten ihre Augen, „Eine kleine Unterredung mit Ihnen“, ihre Lippen, als sie das Orakel mit einem ihr angeborenen Misstrauen betrachtete. Zweifellos war er ein einnehmender Mann, sowohl von seiner Aura, als auch von seinem Auftreten, doch dadurch ließ sie sich nicht einschüchtern. Auch nicht dadurch, dass Schwarz ihren Kritikeraufträgen jahrelang dazwischengefunkt hatten, auch nicht davon, dass auf ihren Befehl hin Schuldig entführt worden war. Auf ihren Befehl hatte Abyssinian den anderen Mann bewacht. Sie war es, die sich Sorgen um den rothaarigen Japaner gemacht hatte, als er verschwunden war und selbst sie nicht wusste, was ihn erwarten würde. „Vielen Dank für Ihr Kommen. Wie geht es Ihnen?“, fragte sie höflich, jedoch distanziert. „Haben Sie mir nichts Wichtigeres als Höflichkeiten anzubieten?“ Brads Augen zeigten seine ruhige Kühle, die ihn stets unnahbar und undurchschaubar wirken ließ. „Sie sollten zur Sache kommen“, forderte er sie erneut auf, ihm den Grund für dieses Treffen zu nennen. Manx lächelte. "Ich habe Informationen für Sie, die Sie vielleicht interessieren könnten. Informationen über feindliche Aktivitäten, die auch meinen Ex-Agenten und Ihr Teammitglied schon tangiert haben. Vielleicht sollten Sie sich einen Moment Zeit nehmen und sich anhören, was ich Ihnen zu sagen habe", erwiderte sie und der Füllfederhalter in ihrer Hand kam auf der blank polierten Tischplatte zum Ruhen. Brads Beobachtungen hatten ihm gesagt, dass die Frau nervös war, auch wenn es bis auf das Spiel mit dem Schreibgerät keine offensichtlichen Hinweise darauf gab. „Wie haben Sie uns gefunden?“ „Kontakte, Informationen, das Übliche“, erwiderte Manx bedächtig. „Hier und da ein erledigter Auftrag, die richten Leute befragen und schließlich die Informationen in der richtigen Reihenfolge miteinander kombinieren. Es war zwar nicht leicht“, sie nickte anerkennend in Crawfords Richtung. „Aber nicht unüberwindlich.“ „Wer sagt ihnen, dass ich diese Tatsache nicht als störend empfinde und mir darüber Gedanken machen werde, ob ich Sie nicht aus dem Weg räumen werde.“ Was soviel hieß wie die Agentin samt ihrer Abteilung auszuschalten. Die blaugrauen Augen blickten ihn fest an und das herzförmige Gesicht war aufmerksam und doch mit einer gewissen Unnahbarkeit auf ihn gerichtet. Er war der Agentin früher begegnet, als sie noch für Takatori tätig waren. Sie wusste, wie anziehend sie wirken konnte. Heute hatte sie sich eher zugeknöpft gekleidet. Doch auch so formten der knielange Rock, das Kostüm ihre weibliche, schlanke Figur nach. Brad hatte darauf geachtet, ob das kleine Gerät, dass Nagi ihm mitgegeben hatte und etwaiges Abhörequipment ausfindig machen sollte, stummen Vibrationsalarm gab. Doch es blieb aus. „Nennen Sie es Risikobereitschaft oder einfach den Spaß am Spiel mit dem Feuer“, scherzte Manx, lachte kurz, doch nicht lange genug, als dass es echt wirken konnte. Sie schüttelte schließlich den Kopf. „Sie hätten die Gelegenheit dazu schon vor Tagen gehabt, wenn Sie es gewollt hätten. Sie hätten sich nicht die Mühe eines Herkommens machen müssen, der ganzen Absicherung, die Sie getroffen haben. Ein Mann Ihres Profils macht keinen Handschlag umsonst oder aus reiner Freude, habe ich nicht Recht? Von daher scheint Ihr Interesse an dem, was ich Ihnen zu sagen habe mehr zu wiegen, als an meinem Tod. Und dem meiner Mitarbeiter.“ Sie wusste aus den Akten, dass er eine Brille trug. Doch heute hatte er anscheinend die andere Variante gewählt, die seine Augen noch heller erscheinen ließen. Stechend hell in einer Intensität, die sie nahe zu durchbohren schien. Manx hielt diesem Blick gelassen Stand. „Ich bin kein Spieler, Manx-san.“ Brad war sich nicht sicher, was ein Spiel mit diesen Informationen zu tun hatte. Für ihn sah es eher wie eine Bedrohung aus. „Verraten Sie mir auch, was Sie für die Informationen wollen?“ „Hilfe bei einem kleinen Problem, das ich gerade habe“, erwiderte Manx und nippte an ihrem Kaffee. Ihre Augen waren ernst, als sie sich die vergangenen Tage durch den Kopf gehen ließ, die schlechten Nachrichten, die eine nach der anderen eingetrudelt waren…mal auf die eine oder andere Weise. Berichte von toten Agenten, von Aktivitäten, die sie nicht vorhergesehen hatten, von Organisationen, die sie nicht kannten… „Und vermutlich wird unser Problem auch bald Ihres sein, Crawford-san. Das sollten Sie auch bedenken.“ Aha, daher wehte also der Wind. Kritiker suchten ihre Hilfe. Beinahe hätte er sich zu einem Lächeln hinreißen lassen. Welch Ironie diese Situation doch beinhaltete. „Sie brauchen also die Hilfe von Schwarz.“ Er hatte es einfach so sagen müssen. Keine böse Absicht, wirklich. „Wie sieht ihr Problem denn aus?“ Manx ließ sich zu einem säuerlichen Lächeln hinreißen. Ja, er hatte es sich wirklich noch einmal auf der Zunge zergehen lassen müssen. „Mein Problem sind mindestens vier Männer, die einen meiner Ex-Agenten zusammengeschlagen haben und das aus unbestimmtem Grund. Sie haben allerdings genau gewusst, wen sie vor sich haben. Seltsam, dass es erst jetzt geschieht.“ Sie öffnete die schmale Aktentasche, die auf ihrem Schoß lag und zog eine schwarze Mappe hervor. Eine ihrer Waffen, die sich in eben dieser Tasche befand, blieb jedoch, wo sie war. „Und so sieht mein Problem in Bildern aus.“ Tote Kritikeragenten, allesamt in ihren Wohnungen erschossen oder anderweitig umgebracht. „Wie kommen Sie darauf, dass wir ihnen helfen werden? Das Problem scheint nur Sie kümmern zu müssen. Bisher sehe ich nur Ihre Agenten in einer Blutlache.“ Brad warf einen flüchtigen Blick auf die Bilder und reichte sie wieder zurück. Wenn Fujimiya nicht wäre, würde sie dieses Problem nicht im Entferntesten tangieren. „Richtig, bisher sind es nur unsere Agenten. Die Katzen sind davon nicht betroffen, was aber ist mit demjenigen, der Verbindung zu einem Ihrer Mitarbeiter pflegt? Seltsamer Zufall, dass es erst jetzt passiert. Sehr seltsamer Zufall, meinen Sie nicht auch? Jemand ist gut genug um uns aufzuspüren, wie lange meinen Sie, wird es dauern, bis er über Ihre Schwachstelle auch SIE erreicht hat?“ Ihr Ton war freundlich und ruhig, doch Manx’ Augen spiegelten den Ernst der Lage wieder. Sie steckte die Akte wieder weg. „Uns ist es damals gelungen, Ihren Mitarbeiter in unsere Obhut zu bringen. Was gibt Ihnen die Sicherheit, Crawford-san, dass so etwas nicht noch einmal geschehen wird - von jemandem initiiert, der sich nicht so leicht verschleppen und gefangen halten lässt?“ „An dieser Gefangenhaltung ist besagter Mitarbeiter unserer Organisation schuld. Er hat sich gegen meinen Befehl der Tötung ausgesprochen, verehrte Manx-san“, lächelte Brad eisig. „Generell sind wir nicht wählerisch, was unsere Aufträge angeht. Wir haben unsere Regeln, allerdings … durch, sagen wir spezielle Umstände in der Vergangenheit lässt sich eine Zusammenarbeit zwischen uns wohl ausschließen.“ Eine Absage, allerdings… noch nicht vollständig. „Nun, dann muss ich mich leider entschuldigen, Crawford-san. Mein Zeitplan erfordert meine Anwesenheit bei einem wichtigen Projekt, da Sie nun nicht geneigt sind, auf den Handel einzugehen“, lächelte sie auf eben der professionellen Ebene, die sämtliche ihrer Gedanken vor der Außenwelt abschirmte. Sie hatte sich eine kleine Hoffnung gemacht, doch diese war niedergeschlagen worden. Dann musste sie einen anderen Weg finden. Welcher sich ihr allerdings auftun würde…wusste sie nicht. Sie winkte der Kellnerin und ließ sich ihren Kaffee abnehmen. Anschließend erhob sie sich und griff sich den dunkelgrünen Tweedmantel, der neben ihr lag. „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, Crawford-san. Hoffentlich überleben Sie und Ihr Team“ Sie nickte dem sitzenden Mann zu und verließ das Café. Kaum draußen steckte sie sich eine Zigarette an…eigentlich hatte sie ja aufgehört, durch den Stress jedoch wieder angefangen. Crawford hob eine Braue ob diesem schnellen Abgang und es erstaunte ihn ein wenig, dass die Leiterin einer Einheit wie Kritiker nicht vehementer gewesen war. Er schloss daraus, dass sich Kritiker in die Enge getrieben vorkam. Er beschloss seinen bestellten Kaffee zu genießen und über die Worte nachzudenken. Lange würde er jedoch nicht hier verweilen. Kritiker waren also schon soweit gekommen, dass sie Schwarz zur Zusammenarbeit bewegen wollten? Wenig später verließ auch er das Café und stieg in das bestellte Taxi. o~ Es war kaum eine Woche seit ihrem Treffen mit dem Schwarzanführer vergangen und Manx erstickte in Arbeit. Weitere Agenten waren bei Aufträgen gestorben, gezielt oder grausam. Das alles schien kein Muster zu ergeben, nur eines war gleich: die Brutalität, mit der vorgegangen wurde und immer waren die Leichen gut sichtbar positioniert. Gut sichtbar für Presse und Polizei, was sie in allen Fällen gerade noch hatte verhindern können. Manx trank ihren dritten Kaffee in Folge, rauchte Zigarette um Zigarette, als sie jedem der Prioritäts-Stufe A-Agenten neue Domizile zuwies, die nur sie kannte. Ab in die Anonymität ohne Verbindung zur Außenwelt. Nicht, dass sie sie nicht alle überprüfen ließ, denn wie oft war der Tod eines Imperiums der Verrat aus der Mitte gewesen? „’Warum du, Brutus?’“, zitierte sie leise und aktualisierte ihr Mailpostfach um eine neue Nachricht dort zu finden. Sie runzelte die Stirn und verfolgte den Weg der Mail, bevor sie sie öffnete und der Inhalt bestätigte, was sie vermutet hatte. Nein…nicht vermutet, aber gehofft. Sehr gehofft. Es war der gleiche anonyme Absender, die gleiche IP, der gleiche Server. Datum, Uhrzeit und Treffpunkt waren genannt. Sie fuhr sich durch die Haare, drückte ihre nur halb gerauchte Zigarette aus. „Jawohl“, grollte sie. „Hoffe, du hältst, was du versprichst“, teilte sie der Mail mit, der Hoffnung, die in ihr schwelte. o~ Brad war wie üblich sehr viel früher am genannten Treffpunkt eingetroffen. Falls sich Kritikeragenten oder sogar deren Gegner sich an Manx Fersen geheftet hätten, würde er sie sehen. Es war eine seiner Lieblingslokalitäten, abseits der großen Straßen und des hektischen Treibens etwas außerhalb des Zentrums. Eine Bar, in der es Lifemusik gab. Sie hatte zwei Ausgänge, einen regulären und einen Notausgang. Er saß im hinteren Teil etwas abgeschirmt und den Blick gut in Richtung Eingang. Auch hin zur Tür, die sich nun öffnete und ebenfalls pünktlicher als zur angegebenen Uhrzeit, den Blick auf Manx freigab, die nun von tragender Musik und verschiedensten Gerüchen umgeben wurde. Die Welle aus unzähligen Menschenstimmen schlug über sie herein und vereinnahmte sie als die ihre. Hier fühlte sie sich sofort wohl, obwohl sie noch nie in dieser Bar gewesen war. Die Tür schloss sich hinter ihr und sie warf einen letzten Blick zurück. Niemand war ihr gefolgt, zumindest niemand, den ihre Augen bemerkt hatten. Sie bemerkte viel…schon immer. Mehr als andere Agenten. Graue Augen suchten den Raum nach einem bekannten Gesicht ab und nach einigen Momenten fand sie ihn: etwas abgeschirmt, in Anzug und Jackett. Manx fragte sich, ob das Orakel jemals etwas anderes anzog. Kein einziges der Bilder in den Kritikerakten zeigte etwas anderes als diesen Mann in Anzug. Nicht, dass er ihm nicht stand. Manx belächelte innerlich ihre eigenen, unprofessionellen Gedanken und stählte sich für ihr Zusammentreffen. Sie setzte ein professionelles Lächeln auf die Lippen und kam zu Crawford. „Crawford-san…“, nickte sie leicht und ließ sich auf den Stuhl seitlich neben dem Orakel nieder. Aus dieser Entfernung wehte schon wie im Café der leichte Geruch seines Aftershaves zu ihr. Eine herbe, nicht zu sportliche Note. Es gefiel ihr. „Danke für Ihr Kommen.“ Der Höflichkeit geschuldet begrüßte Brad die Japanerin mit der nötigen Etikette und gönnte sich sogar ein kleines Lächeln, welches jedoch nur in seinen Augen sichtbar wurde. Der Temperaturunterschied von beißender Kälte zur angenehmen Wärme ließ ihre blaugrauen Augen aufgrund eines leichten Tränenschimmers erstrahlen. In der weichen warmen Beleuchtung, der Intimität der abgeschirmten Bereiche, ließ dieser Umstand ihre aufmerksamen, taxierenden Augen heller wirken. „Sind Sie ein Stück des Weges gelaufen?“ Er vermutete es, denn mit einem Wagen zu kommen war sicherlich auch für Sie ein zu hohes Risiko. „Die Bar ist nicht leicht zu finden“, meinte er und tatsächlich kräuselten sich seine Lippen zu einem fast schon gemeinen Lächeln mit dem Hauch von echtem Humor. Diese Örtlichkeit lag versteckt in einem verwinkelten Gassensystem und überwiegend Stammpublikum bekannt, zu dem er in größeren zeitlichen Abständen gezählt werden konnte. Manx lachte laut, aber ehrlich amüsiert auf. „Ich kann Ihnen versichern, dass ich mehr als ein Stück des Weges gelaufen bin, eben weil diese Bar nicht leicht zu finden ist!“ Es war nicht ihr Stil, sich zu verlaufen, das konnte sie sich in ihrem Beruf gar nicht leisten, doch das Orakel hatte es tatsächlich geschafft, sie viermal an diesem kleinen, versteckten Eingang vorbeilaufen zu lassen, der zu eben jener Gasse führte, in der auch diese Bar lag. Es musste die ganze Atmosphäre sein, oder auch die Tatsache, dass sie sich tatsächlich ein zweites Mal trafen…oder auch einfach diese kleine Emotion auf seinem Gesicht, die sie entspannter werden ließ. Natürlich vergaß sie die, ihr antrainierte Vorsicht dabei nicht, das Misstrauen Crawford gegenüber. Manx strich sich eine aus ihren hochgesteckten Haaren gefallene Locke zurück, die ihr störend im Gesicht hing und warf einen kurzen Blick auf die Karte, die unweit von ihnen stand. Scheinbar hatte er eine noch nicht gekannte Vorliebe für Rothaarige, stach dieses Merkmal Brad sehr deutlich ins Auge. Vielleicht sollte er bei Gelegenheit einen Glückskeks kaufen, in dem er dann die längst verdrängte Wahrheit geschrieben fand: Die Farbe Rot wird in ihrem Leben eine herausragende Rolle spielen. Rot wie das Blut, Rot wie Schuldigs Haare, Rot wie der Name des Teufels, der sich Schuldig angenommen hatte… Rot wie die Chefin des Teufels… Korrektur: Ex-Chefin des Teufels… Tja…wie gut, dass er kein Hellseher war, sonst wäre ihm wohl bei all dem Rot sehr seltsam zumute geworden. Wie gut. Graue, wachsame Augen nahmen jede Bewegung, jede Regung sogar in den Zügen des Mannes vor ihr auf. Sie beobachte die Lippen, welche an dem Glas nippten wie auch seine Augen, die sie schier zu durchbohren schienen. Nichts entging ihr, auch nicht die Spannung, die zwischen ihnen in der Luft lag. Sie war anders als zuvor, viel ruhiger, wenn auch nicht ungefährlicher. Ganz im Gegenteil. Dieser Mann war ein gefährliches Raubtier, dem man nicht den Rücken zudrehen durfte. Aber machte ihn das weniger interessant? Die Antwort war einfach. Nicht umsonst hatte Manx Abyssinian diesen Handel abgeschwatzt, dessen Lohn gerade vor ihr saß. Sie fragte sich, ob er davon wusste, was geschehen war und ob er mit einer natürlichen Arroganz behauptete, dass ihm sowieso nichts passieren konnte. Der Kellner kam auf sie zu und sie bestellte sich einen Suntory. „Was denken Sie?“, fragte Manx frei heraus, als der Mann wieder weg war und legte den Kopf leicht schief. Brad stellte seinen 16 Jahre alten Single Malt ab. „Dass Sie Schwierigkeiten haben und ich überlege mir gerade, wie ich Ihnen in dieser Lage helfen sollte“, kam er auf das Geschäftliche zu sprechen. Auch wenn die Agentin wohl etwas anderes erwartet hatte als Antwort auf ihre Frage. Nun war Manx doch tatsächlich überrascht worden von den Worten des Mannes an ihrer Seite. Es zeigte sich nicht in ihren Augen, ebenso wenig wie dieser kleine, penetrante Hoffnungsschimmer, der sich in ihr ausbreitete. „Nun, es ist naturbedingt so, dass Ihr Team Fähigkeiten besitzt, die unserer Organisation im Kampf gegen diese Bedrohung fehlen. Außerdem scheinen Sie ein größeres Sicherheitsnetz zu besitzen, als wir es tun, trotz aller Professionalität. Auch wenn ich meine Mitarbeiter schon umgesetzt habe, so bin ich immer noch nicht der Meinung, dass sie in Sicherheit sind“, bot Manx ihm als Gesprächsgrundlage an. „Umgesetzt… haben Sie jedoch Weiß nicht. Sind Ihnen Ihre Spitzenleute nichts wert oder sind Weiß in der Rangfolge bereits weit nach unten gerutscht seit dem Weggang Fujimiyas?“ Er hatte nicht verstanden, warum Nagi ihm während seiner Recherchen mitgeteilt hatte, dass keines der Weißmitglieder in Sicherheit gebracht worden war. Dies gab ihm zu denken. Manx lächelte kurz, aber nicht wirklich freundlich. Der Kellner kam und sie nahm ihren Suntory entgegen. „Sie irren sich. Weiß ist immer noch so wertvoll, wie vor seiner unseligen Verbindung zu Ihrem Teammitglied, von der wir anscheinend beide nicht so begeistert sind, wie wir es eigentlich sein sollten. Es gibt Gründe dafür, unter anderem auch dafür, dass es in letzter Zeit so wenige Aufträge für diese Mitarbeiter gegeben hat. Aber momentan brauchen wir diese Einheit im Notfall noch, wir können sie nicht in den inaktiven Status versetzen.“ Ja, den letzten beißen die Hunde und so würde es auch mit dieser Einheit geschehen, die augenscheinlich eine der letzten von Kritiker war, die noch inoffiziell- offiziell operierten. Tja Jungs…dumm gelaufen. Er lehnte sich bequemer in den Sessel und beobachtete für einen Moment äußerlich scheinbar abwesend das Spiel des Bassisten. „Wollten Sie eigentlich etwas Bestimmtes bei Ihrem „Deal“ mit Fujimiya von mir? Oder geschah dieses kleine Tauschgeschäft aus einer dummen Laune, des Ex-Bestandes Ihrer Einheit heraus?“ Er hatte es nicht vergessen, dass er verhökert werden sollte. Und scheinbar saß hier nun sein neuer Besitzer. Ein Blick wie aus den Augen eines wachsamen Wolfes maß die Gestalt und vor allem das Gesicht der Agentin. Fast reglos saß Brad ihr scheinbar gelassen gegenüber. Ihre Gedanken gerade noch bei der ernsten Thematik von Weiß’ Evakuierung, wurden nun zu einem Thema gelenkt, das ein kleines, minimales Lächeln auf ihre Lippen zauberte. Ihr Blick kehrte voller Aufmerksamkeit zu Crawford zurück und sie nippte durch und durch gelassen an ihrem japanischen Whiskey. Hatte er es also doch angesprochen…hatte Schuldig ihn wohl vorgewarnt. „Sie sind ein interessanter Mann, Crawford-san und das auf vielen Gebieten. Zuletzt natürlich nicht auch noch durch Ihre Gabe, die Sie sehr wertvoll macht für Ihr Team…aber auch für mich. Dass mein ehemaliger Mitarbeiter mir diesen Vorschlag unterbreitet hat, geschah aus dem Glauben heraus, ich würde es nicht ernsthaft annehmen, auch wenn ich leider sagen muss, dass mein Interesse durchaus ernst zu nehmen ist.“ Ein Satz den Brad nicht wirklich ernst nehmen konnte auch wenn das Vorhaben wohl tatsächlich ernst war. „Ist es das?“ Irgendwie musste er über so viel Dreistigkeit lachen. „Wie kann ich Ihnen nun mit meinen Fähigkeiten helfen? Ich bezweifle, dass Ihre Abteilung die nötigen finanziellen Mittel aufgreifen kann um Außendienstmitarbeiter, wie wir es dann wären, anzuheuern.“ „Um unsere finanziellen Mittel machen Sie sich mal keine Sorgen, Crawford-san“, lachte sie ebenso amüsiert über seine Wortwahl. „Um die Mitarbeiter zu retten, die ich großgezogen und gefördert habe, ist mir jedes Mittel recht, wenn Sie verstehen, was ich meine“, wurde sie schließlich ernster, doch der helle Funke in ihren Augen blieb. Sie verschwieg Crawford, dass die Entführung aus der Psychiatrie, mit der alles begonnen hatte, eben aus diesem Grund geschehen war. Um Kritiker mit dem Wissen, was sie aus ihren Erkenntnissen gezogen hätten, zu stärken, hätte sie das Opfer des feindlichen Agenten in Kauf genommen. Und sie würde es auch jetzt noch tun, ganz gleich, welche Verbindung Fujimiya Ran zu Schuldig hegte, wenn es Kritiker mit Sicherheit retten würde. Sie zog sich aus diesen Gedanken hoch und konzentrierte sich auf seine erste Frage. „Wie Ihre Fähigkeiten mir helfen könnten? Nun, das dürfte wohl klar sein. Ich will das, was Sie auf der Hand haben: die Zukunft.“ „Da sind Sie nicht alleine“, meinte er ruhiger, als er sich innerlicher fühlte. „Und …glauben Sie, Sie könnten mit dieser Information „der Zukunft“ irgendetwas anfangen? Oder sie richtig einsetzen?“ Er bezweifelte es. Die wenigsten ertrugen diese Last ohne gierig zu werden. „Gesetzt dem Fall, ich wäre nicht in der Lage dazu, hätte ich einen kompetenten, gut bezahlten Ratgeber, der sich der Zukunft annimmt“, nickte sie bedeutungsvoll. Manx kam jedoch nicht umhin, sich zu fragen, warum Crawford hier war. Aus welchen Motiven er es sich doch noch überlegt hatte, ihnen vielleicht zu helfen. Ein großes Vielleicht, aber zumindest schon mal eines. Eine Möglichkeit bestand. Er spielte ein doppeltes Spiel und nutzte diese Verbindung, um Kritiker von innen heraus zu zerstören. Doch hätten Schwarz das nicht schon längst gekonnt? Manx brauchte sich die Frage gar nicht erst zu beantworten, sie konnte sie gleich als unwichtig abtun. Etwas anderes war wohl eher der Grund: eben dass für Schwarz eben so viel Gefahr bestand wie für Kritiker. Das wiederum jedoch konnte bedeuten, dass Crawford die Zukunft eben nicht kannte. War das möglich? „Um eine Schattenkönigin zu sein?“, gab Brad zu bedenken. Er hielt nichts davon, anderen das Denken zu überlassen. Und er hielt noch weniger davon seine Informationen preiszugeben, die ihm das Schicksal oder …was auch immer ihm diese Fähigkeiten gegeben hatten. Vermutlich eher eine evolutionäre Laune, als göttliche Eingebung. „Von einer Schattenkönigin kann keine Rede sein. Ich führe MEIN Unternehmen mit meiner Hand. Nur ich. Einflüsse von außen sind erwünscht, solange sie hilfreich sind, doch sie werden uns nicht infiltrieren.“ Sie überlegte einen Moment, nahm einen weiteren, kleinen Schluck ihres Getränks. „Das Einzige, was mir wichtig ist, ist das Überleben meiner Mitarbeiter. Ich will diese neue Bedrohung vernichten, doch das schaffe ich nicht alleine. Sollten wir zusammenarbeiten, dann gilt das ausschließlich solange, bis diese Gefahr gebannt ist. Danach wird keine weitere Zusammenarbeit erfolgen. Wie Sie schon sagten, aufgrund gewisser Begegnungen in der Vergangenheit wird es zwischen uns keine andauernde Kooperation geben. Dieser Fall ist allerdings eine Ausnahme…gemessen an der Schwere der Gefahr.“ „Das ist beruhigend zu wissen“ Brad nippte an seinem Drink. „Was bekomme ich… wir dafür, dass Kritiker unsere einzigartigen Fähigkeiten nutzen darf?“ Nichts sagte, dass er sie überhaupt zur Verfügung stellen würde. „Das kommt ganz darauf an, in welchem Umfang Sie mir ihre Gaben zur Verfügung stellen und was Sie dafür haben wollen.“ „Wir können unsere ‚Gaben’ nur in vollem oder gar keinem Umfang zur Verfügung stellen.“ Einen Moment schien die Luft zwischen ihnen zu schimmern, fast als schwele ein Brand aus Feuer und Eis dort, wo sie sich anblickten. Dramatisch ausgedrückt, doch selbst die Musik und das Stimmengewirr rutschten in den Hintergrund und verkamen zu einem Murmeln. „Ich will alle Daten, die Weiß an sie bindet, sämtliche Akten, Unterlagen, Querverbindungen. Um es antiquiert auszudrücken: ihre Schuldscheine, die sie an sie binden.“ Graue Augen weiteten sich nun ehrlich überrascht und dieses Mal machte Manx nicht den geringsten Hehl daraus. Sie lachte auf. „Crawford-san…das ist ein sehr hoher Preis für Ihre Dienste. Ich traue Ihnen nicht. Und ich vertraue Ihnen schon gar nicht meine beste Einheit an, damit Sie sie vernichten.“ Schwarz als Arbeitgeber für Weiß. Wenn sie dem Team diesen Verkauf bekannt machte, konnte sie sich sicher sein, von Weiß nie mehr etwas zu hören. Die Jungs würden vermutlich auswandern, bevor Schwarz sie in die Finger bekam. „Was wollen Sie mit Weiß?“ „Sie sehen aus, als glaubten Sie, ich hätte unehrenhafte Dinge mit den Burschen vor“, meinte er fast schon den Beleidigten spielend, lächelte aber wölfisch danach. „Keine Angst, mir geht es nicht darum sie zu vernichten, das klingt so …dramatisch. Nein, es geht mir darum zu wissen, wo sie ihr Unwesen treiben und dass sie mir nicht ins Handwerk pfuschen. Das ist alles. Damit umgehe ich einen gewissen Interessenkonflikt, dem der eine… oder andere meiner Männer ausgesetzt wäre.“ Schuldig beispielsweise… Nagi in Zukunft … vielleicht. Ihm wurde schlecht bei dem Gedanken, aber er musste dem Schrecken – alias Takatori junior – ins Auge blicken. Furchtlos. Und zu Nagis Wohl. Manx horchte auf. Der eine oder andere? Schuldig war die eine Person, die schon beschlagnahmt war, denn nichts anderes hatte Abyssinian getan. Unter der kalten Oberfläche des rothaarigen Mannes, schlummerte etwas Wildes, das sich bisher nur in Missionen entladen hatte. Von dem kurzen Zusammentreffen mit dem Telepathen und Abyssinian hatte sie aber einen Eindruck mitgenommen: das Fujimiya Ran seine Leidenschaft und seine Dominanz von seinem Team auf eben diesen Mann übertragen hatte. Ja, eines musste Manx zugeben: der Profiler in ihr interessierte sich für dieses Beziehungsgefüge. Ebenso wie für das zweite Beziehungsgefüge, das sich noch auftun würde. Wer von den Jungs war derjenige? Doch weit ab von dem löste das immer noch nicht ihr momentanes Problem. Weiß eintauschen gegen das Fortbestehen von Kritiker? Ihr war unwohler, als es ihr eigentlich hätte sein sollen und das lag nicht nur daran, dass Weiß ihre beste Einheit war. „Ich denke, Sie wissen auch so, wo sie ihr Unwesen treiben und wissen es zu verhindern, dass sie Ihnen ins Handwerk pfuschen. Es hat schließlich zwei Jahre lang geklappt, bis es dann zu diesem bedauerlichen Zwischenfall gekommen ist. Dafür muss ich Ihnen nicht Weiß überschreiben. Allerdings sagten Sie etwas von mehreren Personen. Wer noch von meinen Mitarbeitern?“ Sie hatte angebissen. Brad ließ sich zu keiner äußeren Regung hinreißen, stumm und kalt wie ein Fisch. Nur verschlagener. „Zwei Jahre … bis meine rechte Hand und ihr Leiter der Gruppe ihr eigenes kleines schmutziges Ding drehen wollten. Tja und nun … sehen Sie das Dilemma. Es kommt ständig zu Konflikten und das schadet sowohl meinem als auch Ihrem Ex-Mitglied. Und damit Ihrer Gruppe im Gesamten. Es wäre besser, sie komplett aus dem Weg zu räumen, auf die saubere oder eher unsaubere Art. Ich biete Ihnen Sicherheit für diese Männer, dafür bieten Sie mir eine sorgenfreie Zeit ohne Gezeter und Dramen an.“ Er überhörte nonchalant die letzte Frage. Mal sehen ob sie wirklich interessiert genug war. Wobei …wollte er überhaupt diese Information herausrücken? Schließlich war es die Sache der Jungen ob sie es jemandem sagten oder nicht – von ihm natürlich einmal abgesehen. „Die Sicherheit, die Sie mir für meine Mitarbeiter bieten, ist mir zu wenig. Ich kann mich nicht darauf verlassen, dass Weiß schließlich nicht dazu eingesetzt wird, sich gegen mich zu wenden oder für Ihre Seite zu arbeiten. Das Risiko ist mir zu hoch, denn mit dem Wissen, was Weiß über uns verfügt, sind sie nicht mehr dazu gedacht, den Arbeitgeber zu wechseln.“ Sie lächelte bedauernd und nahm noch einen Schluck Suntory. „Ich muss Ihnen allerdings in punkto Konflikten widersprechen. Seitdem es zu dieser unseligen Verbindung meines ehemaligen Beschäftigten und Ihrer rechten Hand gekommen ist, haben sich Weiß und Schwarz nicht mehr tangiert. Ein Spannungsverhältnis ist also hier nicht aufgetreten. Zumal Sie unsere Informationsquellen nicht unterschätzen sollten. Auch wir wissen, wer alles anwesend sein wird.“ Manx prostete Crawford bedächtig zu. „Die elementarste Frage ist sicherlich…wie können Sie für die Sicherheit meiner Leute garantieren? Wissen Sie, es hat mich schon misstrauisch gemacht, dass Ihre rechte Hand nicht zugegen war, als mein ehemaliger Mitarbeiter an diese Männer geraten ist. Oder Sie selbst es verhindert haben.“ Manx hatte die Frage nach dem weiteren Teammitglied nicht vergessen…sie schob sie nur zurück. „Wir waren …nicht im Land.“ Er legte den Kopf leicht schief, fragend. Natürlich hätte Schuldig alles dafür getan um Fujimiya unversehrt zu sehen, das sollte die Agentin wissen, wenn sie behauptete, das Verhältnis zwischen den Beiden zu kennen. Sie nickte in Anerkennung seiner Worte. „Damit haben Sie wohl Recht, doch das wirft ein schlechtes Licht auf die Qualität Ihrer Gabe, also des Produktes, um das wir hier werben.“ Ihre Augen funkelten herausfordernd. „Nun, dann scheint das Produkt nicht gut genug zu sein und ich frage mich, was Sie dann von mir wollen“, lächelte er wissend. „Sagen wir es so: das Produkt entspricht nicht dem Preis, für den es angesetzt werden soll“, erwiderte Manx freundlich. Sie schlug bequem die Beine über und strich sich eben die gleiche Locke zurück, die ihr vorher schon störend im Gesicht gehangen hatte und die genauso störrisch war wie der Mann vor ihr. „Dass ich vorher nicht über die Qualität des Produktes informiert war, mir die Information fehlte, dass Sie es nicht vielleicht absichtlich übersehen haben, und dass sich der Preis als höher herausgestellt hat, als zunächst vermutet, habe ich vorher nicht erahnen können. Eine Frau in meiner Lage sollte sich die ihr bietenden Chancen nutzen, gleichzeitig aber Grenzen setzen. Die Grenze liegt bei Weiß. Dieses Team wird unter meiner Aufsicht bleiben, allerdings können WIR beide eine gewisse… Übereinstimmung aushandeln, was Aufträge angeht.“ Sie ließ ihren Blick routinemäßig durch die Bar gleiten, fand jedoch nichts, was verdächtig wäre. „Voraussetzung ist allerdings, dass Sie mir plausibel machen können, warum Sie es nicht vorhergesehen haben.“ „Sie wollen etwas von mir, nicht ich von Ihnen“, meinte Brad sich genötigt zu fühlen, diesen klitzekleinen, jedoch nicht zu verachtenden Umstand zu erwähnen. „Wie meine Fähigkeiten funktionieren und weshalb oder ob sie zu diesem Zeitpunkt funktioniert oder eben nicht haben … dies ist eine Information, die ich selbst meinen Mitgliedern vorenthalte. Weshalb sollte ich es Ihnen also sagen?“ Eine längere Pause entstand in der sie sich mit nichts enthüllenden Masken anblickten. „Sie wissen nichts von uns, und dabei sollte es bleiben. Eine gewisse Übereinkunft wäre ein guter Boden für eine Verhandlung“, räumte er jedoch ein. „Sehen Sie, ganz meine Meinung. Aber um es deutlich zu sagen: ich kaufe nicht die Katze im Sack, Crawford-san und das sind Sie momentan. Ich möchte etwas Bestimmtes von Ihnen und ich möchte keine Abstriche in der Qualität machen. Sie haben also Recht, ich bin in diesem Fall die Bittstellerin, allerdings eine anspruchsvolle Bittstellerin, da es nicht nur um mein Leben geht.“ Ihre Finger spielten mit dem Glas, schwenkten es leicht hin und her. Ihre Augen hefteten sich auf die bernsteinfarbene Flüssigkeit - etwas heller als seine Augen war sie - kehrten dann jedoch wieder zurück zu ihm. „Ich werde Ihnen in keinem Fall Weiß überantworten, wenn sich nachher herausstellen sollte, dass Ihre Gabe mir nicht das liefern kann, was Bestandteil unseres Vertrages ist: wichtige Informationen über die neue Gefahr.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)