Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 78: Die Apothekerin --------------------------- ~ Die Apothekerin ~ o~ Aya hatte schon dermaßen viel Erfahrung darin, Hühnersuppen zur Erstarkung von Grippekranken zu kochen, dass es für ihn im Prinzip etwas Leichtes war, die Zutaten zu einer halbwegs essbaren Brühe zusammen zu mixen und ihr etwas Würze bei zu mischen. Er hatte Schuldig den Morgen über schlafen lassen, nachdem er selbst nur ein paar Stunden Ruhe gefunden hatte. Seine Träumen waren unruhig gewesen… was genau sie beinhalteten, wusste er allerdings nicht mehr. Nun hatte er nach einem Rundgang durch das Haus beschlossen, Schuldig mit Essen aus den Federn zu locken, auch wenn er den Verdacht hegte, dass sich dessen Gesundheit nicht wirklich verbessert hatte. Eher im Gegenteil… Aya sah nach draußen und beobachtete den Regen dabei, wie er mit roher Gewalt an die Scheibe prasselte, während der Sturm die Äste an das Haus trieb. Es war…still hier in diesem Haus, draußen wütete die Natur und es kam ihm vor, als würde dieses Haus sich in einer Blase befinden, die nichts an ihr Innerstes heranließ. Seit geraumer Zeit wälzte sich Schuldig im Bett von rechts nach links im Glauben, das würde helfen beim Wiedereinschlafen. Aber weit davon gefehlt, schlug er nun doch ergeben die Augen auf und blickte an die Decke, lauschte auf die Geräusche im Haus. Sein Blick wandte sich zur Seite und dann zur verschlossenen Schiebetür. Ran war schon auf den Beinen. So richtig fit fühlte sich der Herr Telepath allerdings noch nicht. Immerhin war das Fieber nicht mehr ganz so hoch – so vermutete er zumindest. Trotzdem dauerte es etwas, bis er sich dazu aufraffen konnte tatsächlich aufzustehen und sich zunächst zur Toilette zu begeben. Als er durch das Haus streifte, roch er den Duft des Essens, welches Ran scheinbar offensichtlich und folgte diesem Wohlgeruch in die Küche. „Morgen“, krächzte er und kam zu Ran um in die Töpfe zu linsen. „Morgen, Murmeltier!“ Aya senkte das flache Probierschälchen, mit dem er gerade gekostet hatte, und stahl sich einen kleinen Kuss von den trockenen, rissigen Lippen. „Du siehst fantastisch aus…das blühende Leben!“, lächelte er ob der feinen, fast subtilen Ironie, die seine Worte durchzog. Schuldig sah aus, als hätte er gar nicht geschlafen und Schlimmeres. Lachend zog Schuldig Ran spielerisch an einer Haarsträhne. „Du gibst nicht auf, was?“, amüsierte er sich über Rans Versuche ihm den Titel als Lügenbaron streitig zu machen. „Was kochst du denn da? So wirklich Hunger hab ich ja nicht. Trotzdem riecht es sehr appetitlich.“ Zweifelnd sah er Ran an, lehnte sich - mit in die Ärmel der Kleidung versteckten Händen - an die Anrichte. „Brauchst du auch nicht. Das ist nur eine Suppe mit ganz viel gesundem Zeug und wenig, das man kauen muss. Für kranke Leute geradezu das Idealste!“ Als wenn aus Ayas Worten nun nicht scheinen würde, dass er ein Nein nicht akzeptierte. „Aha“, meinte Schuldig sparsam. „Und wer sagt dir, dass ich diese Suppe esse?“, forderte er den Todesblick heraus. Schließlich hatte Ran auch Zicken gemacht als es daran ging eine Suppe zu essen. Er konnte sich noch ganz genau daran erinnern. Zu genau. „Du bist krank und hast dir die Grippe eingefangen. Das sagt mir, dass du die Suppe essen willst“, erwiderte Aya mit einem Lächeln, sah er doch in Schuldigs Blick, was in dessen und seinen eigenen Gedanken herumschwirrte. Er hatte damals besagte Suppe verweigert, ja regelrecht gehasst, weil er sich vor ihr geekelt hatte. Es war ein anderer Anlass gewesen, ein anderer Grund. „Nein, das ist keine ausreichende Begründung, warum ich sie essen sollte. Da musst du dir schon was Besseres einfallen lassen!“ Schuldig hob die linke Braue herausfordernd. Mal sehen, ob Ran den Lösungssatz brachte, den er als Schlüsselkarte akzeptieren würde. Wo sich Schuldigs linke Braue hob, tat dies nun Ayas rechte und violette Augen nahmen ihr Gegenüber taxierend in Augenschein, während er selbst sich an den Herd lehnte. „Genau genommen bin nicht ich es, der sich etwas einfallen lassen muss. Ich bin schließlich gesund, fähig, soviel…Spaß….und soviel…Entspannung…zu haben, wie ich will. Für dich allerdings ist Sex ja momentan tabu und eine Grippe kann sich sehr lange hinziehen.“ Aya nickte gewichtig. „Unangenehm, ein paar Wochen lang nicht zu dürfen. Mich würde das stören.“ Er zuckte mit den Schultern und drehte sich ein weiteres Mal zum Herd und probierte den Zaubertrank der Gesunden. „Du kannst natürlich auch weiterhin nichts essen…aber spätestens, wenn Crawford von deinem Zustand erfährt und dafür sorgt, dass du etwas isst, könnte das recht unangenehm werden. Allerdings gibt es ja auch da eine mildere Möglichkeit. Youji hat denke ich weitaus mehr Erfahrung im Zwangsfüttern als ich. Du hast doch nichts dagegen, dass er kurz vorbeikommt, oder?“ Aya ließ keinen Zweifel, dass er das, was er gerade gesagt hatte, vollkommen ernst meinte. Vollkommen. Schuldig verzog den Mund verstimmt. Irgendetwas Unverständliches murrend, das soviel hieß wie „Muss mal ins Bad und komm gleich wieder“, trat Schuldig die Flucht an. Plötzlich mit der Stille der Küche konfrontiert, fragte sich Aya, ob Schuldig wohl ernst genommen hatte, was er gesagt hatte. Hatte er deswegen so reagiert? Deutlich ablehnend, denn auch wenn er einen Vorwand hatte, ihn hier alleine zu lassen, so glaubte Aya ihm das nicht. Leise seufzend starrte er in die köchelnde Suppe. Er verstand, dass es Schuldig nicht gut ging, doch sie schienen hier von einem Moment in den anderen von Zärtlichkeit zur negativen Emotionen zu rutschen…oder bildete er sich das alles nur ein? Gut…es war sehr viel auf einmal gewesen. Youji, Crawford…doch er hatte es nicht ernst gemeint letzten Endes. Aya war versucht, Schuldig hinterher zu gehen und ihn zu fragen, was ihn belastete, doch er schien wie festgewachsen hier, in seinen Gedanken verankert. Vielleicht brauchte Schuldig auch einfach nur etwas Zeit? Dieser hasste es, jetzt an Brad erinnert zu werden. Hier an diesem Ort, wo er nicht an seine Probleme denken wollte. Nicht an ihre Entzweiung, die so schnell fort schritt, dass er sich unter Druck gesetzt fühlte. Hier wollte er nicht darüber nachdenken. Und gerade hier wollte er ganz bestimmt nicht womöglich auf diesen Schnüffler stoßen. Das war ihr heimliches Zuhause, ihr beider Ort von dem nur sie wussten. Und er hatte diesen Ort nicht gewählt, damit hier jeder Hanswurst – in diesem speziellen Fall Kudou – hier hereinschneien konnte. Niedergeschlagen ging er ins Schlafzimmer, holte sich dort einen Yukata, der auf ihrer Tasche lag und den Ran wohl erst gestern nachgekauft hatte – in weiser Voraussicht. Schuldig setzte sich für einen Moment neben die Tasche und strich mit der Hand nachdenklich über das Material des Kleidungsstücks. Er sollte wohl lüften, es roch nach abgestandener Luft und nach Kranksein. Schon seltsam, dass er sich in einen Japaner verliebt hatte und dann auch noch so heftig. Vermutlich lag es an der köstlichen Mischung aus verrückt und traditionell. Ersteres glich ihm Selbst, Letzteres vermisste er und wünschte sich sehnsüchtig. Etwas das Bestand hatte. So war Ran …oder? Beständig. Er hatte seine Ansichten und von ihnen war er nur schwer bis gar nicht abzubringen. Manchmal ganz schön lästig und dann wieder tröstlich. Er liebte Ran. Wenn er sich zurück erinnerte an ihre Kämpfe. Wie schnell und tödlich sein Körper damals werden konnte und sein Blick und seine Mimik kalt. So verdammt kalt, leer und einsam. Und dann wieder… so leidenschaftlich, so voller Emotionen: Schmerz, Trauer, Hass, Wut. Jetzt war dies anders geworden. Dieses für ihn so eherne Ziel, die Vergeltung; seine Familie alles war ihm genommen worden. Kein Wunder, dass er danach in ein tiefes Loch fiel. Ran war ruhiger geworden. Für einen Moment in dem Schuldig dort bei der Tasche saß, mit unterschlagenen Beinen, die Hand immer noch auf dem Stoff liegend, fragte er sich ob Ran etwas verloren hatte, seine Energie verloren hatte. Er schien müde zu sein. Zuviel war in letzter Zeit passiert und immer noch kämpfte Ran, darum bemüht alles geregelt zu kriegen. Er hielt sich verdammt gut, dass sah Schuldig. Aber… wie lange noch? Oder war er einfach so stark und steckte dies alles so gut weg, wie er es zeigte? Etwas in Schuldig meldete Zweifel an. Warum nur musste er selbst nun auch noch krank werden? Seufzend erhob er sich und ging zum Fenster um es samt Laden zu öffnen. Danach schloss er die Tür und trabte Richtung Bad um sich etwas zu erfrischen, auch wenn jeder Handgriff zuviel erschien. Gliederschmerzen waren ätzend. Was sollte er auch groß Ran Vorhaltungen machen? Es war nur im Scherz gesagt, das wusste Schuldig. Aber allein der Gedanke an die zwei Problemfelder Crawford und Kudou ließ ihn mit den Zähnen knirschen. Schuldig kniete vor dem Waschzuber, schob sich den Yukata von den Schultern und hielt kurz inne. Er hasste es krank zu sein. Es machte ihn schwach und schaltete ihn völlig aus. Sein Hals tat ihm bei jedem Schlucken weh und er hatte das Gefühl als wären seine Nebenhöhlen aufs doppelte angeschwollen. Stirnhöhlen inklusive. Aber die waren ohnehin egal, weil er die Kopfschmerzen schon seit dem Aufwachen spürte. Er streifte den Yukata auf seine Hüften hinab und war wirklich froh, dass Ran das Bad schon eingeheizt hatte. Mit einem kleinen dankbaren Lächeln für diese Tat beugte er sich seitlich mit dem Kopf nach vorne und benetzte seine Haare mit lauwarmem Wasser. Duschen hielt er im Anbetracht auf die erst in der Nacht erneuerten Verbände nicht sehr klug. Seine Haare waren verschwitzt und er musste sie waschen, sonst fühlte er sich noch kränker, als er eigentlich war… Aya hörte im Hintergrund das Wasser im Bad und drehte sich nun endlich um. Es war schon erstaunlich, wie viel man denken konnte, wenn man eigentlich nichts dachte. Vielleicht sollte er das Bett machen, damit Schuldig ein frisch aufgeschütteltes Kissen und eine frisch aufgeschüttelte Decke vorfand. Langsamen Schrittes kam er ins Schlafzimmer und griff sich beides. Frische, kalte Luft strich über seine Haut, zumindest der Teil, der für die Urgewalt da draußen erreichbar war und ließ ihn frösteln. Es stürmte immer noch, auch wenn es momentan aufgehört hatte zu regnen. Immer wieder ertappte sich Aya dabei, wie er auf die Geräusche des anderen Mannes im Bad hörte. Kam er zurecht? Vielleicht sollte er gleich schauen gehen? Es dauerte eine Ewigkeit, wie es Schuldig schien, bis alle Haare zumindest nass waren. Zweiter Punkt auf der Tagesordnung war das Shampoonieren. Doch bevor er damit beginnen wollte, pausierte er kurz mit den Armen auf dem Waschzuber und griff erst dann mit müder Hand zum Shampoo. So jetzt konnte es losgehen. Diese Ewigkeit verging auch für Aya und er war besorgt aus dem Schlafzimmer herausgekommen, hatte sich in Richtung Bad aufgewacht, wo er nun an der Tür stand und Schuldig beobachtete, wie dieser seine Haare wusch. Er wollte den Telepathen nicht stören, wollte aber auch nicht, dass diesem in dessen angeschlagenen Zustand etwas passierte. Schuldig bemerkte, als er seine müden Arme etwas sinken ließ, dass Ran an der Tür stand und hob den eingeschäumten Kopf und sah Ran fragend an. „Hilfst du mir?“, fragte er bittend und hatte ein angedeutetes lässiges Grinsen auf den Lippen. Ran schien unsicher, vielleicht sogar etwas befangen zu sein. Schuldig spürte, wie eine Haarsträhne sich aus dem Schaumberg löste und ihm nach vorne ins Gesicht fiel. Schnaubend pappte er sie sich wieder oben auf. „Klar“, lächelte Aya kurz und kam dann zu Schuldig, kniete sich neben ihm. „Lehn dich nach vorne, dann kann ich dich besser waschen.“ Es wunderte Aya, dass der andere Mann überhaupt bis hierhin gekommen war, denn die Blässe in seinem Gesicht sah nicht gut aus. „Zieh nicht so ein Gesicht, Ran“, Schuldig drehte sich zu ihm um und stupste ihm ganz frech eine kleine Schaumkrone auf die Nase. „Sonst ziehst du noch mehr Gewitter über dieses Haus.“ „Red keinen Blödsinn“, gab Aya zurück und bespritzte Schuldig zum Dank für die Schaumkrone mit Wasser. Er schnaubte empört, konnte sich jedoch nicht ganz dazu durchringen, zu lächeln. „Mehr kann es hier gar nicht geben.“ Schuldig hielt inne. „Was ist denn?“, hakte er nun ernster nach, wobei er sich nicht gerade in einer Position fand um nicht lächerlich mit dem Schaumberg auf dem Kopf zu wirken. Integer war eine Beschreibung, die momentan eher nicht auf ihn passte. „Bist du sauer weil ich vorhin abgezogen bin?“, fragte er neutral nach. Aya schüttelte nach ein paar Momenten des Überlegens seinen Kopf. „Nein, das nicht. Ich habe mich nur gefragt warum“, erwiderte Aya ehrlich. „Es war ein Spaß.“ „Ja…das wusste ich schon. Nur…mit Brad…zum Einen und Kudou zum Anderen erpresst zu werden, das ist selbst im Spaß für mich nicht leicht wegzustecken“, gab er zu und senkte den Blick auf die Wasseroberfläche im Waschzuber die mit kleinen Schaumbergen besetzt war. „Das mit Brad kotzt mich an und …Kudou hat mir mehr mit dir voraus, als ich je erreichen werde und ich bin eben ein eifersüchtiger Kotzbrocken“, zuckte er mit den Schultern um die Vergeblichkeit einer Verneinung dieser Erkenntnis aufzuzeigen. „Ja, das bist du“, sagte Aya schlicht, jedoch mit einem minimalen Lächeln. Anscheinend war das etwas, was nie in Schuldig verloren gehen würde…er würde immer eifersüchtig auf Youji sein. Aya hatte aber deswegen nicht vor, seinen Kontakt zu dem anderen Weiß abzubrechen. „Beug deinen Kopf, ich will dir den Schaum aus den Haaren waschen, sonst ist er bald getrocknet“, sagte er und stupste den anderen Mann an. „Ich werde die beiden nicht mehr erwähnen.“ Seufzend tat Schuldig wie angeordnet und fühlte sich trotz allem schlecht dabei. Sein Kopf hämmerte nur noch mehr wenn er ihn nach unten beugte. „Ich wollte doch nur weg von all dem, deshalb sind wir doch hier. Und Kudou…so schlimm ist er gar nicht“, murmelte Schuldig zwecks Schadensbegrenzung. „Wenn…wenn ich mal ins Gras beiße dann hätte ich ja auch gar nichts dagegen wenn ihr zwei was anfangen würdet…ich meine er passt auf dich auf und kennt dich verdammt gut. Aber genau da ist der Haken dran…ich muss immer daran denken, wenn wir streiten oder wenn ich wieder mal Mist mache, dass du dann bei ihm landest“, sagte er betrübt. „Das ist ja nicht so, dass ich dir nicht vertraue, ich weiß doch, dass du Kudou nicht an dich ran lässt, weil du eher Bock auf mich hast…darum geht’s ja gar nicht. Ich habe nur Angst, dass ich es vergeige und das permanent.“ „Ich lasse ihn nicht an mich heran, weil wir letzten Endes doch nicht zusammenpassen. Ich habe keine Probleme, mit ihm zu schlafen. Wenn ich da nicht jemanden hätte, der mir ein Bisschen mehr bedeutet, heißt das“, stellte Aya klar, während er Schuldigs Haare schnell und effizient wusch. „Das ist der kleine, aber feine Unterschied. Das, was du hast, fehlt ihm.“ Fertig ausgeschäumt, dirigierte er Schuldigs Kopf langsam wieder nach oben und wickelte den nassen Schopf dann in eines der bereitgelegten Handtücher. „Nur ein …BISSCHEN?“, fragte Schuldig mit großen Augen und herabhängenden Mundwinkeln nach. Kiekte dabei fast schon vor unfassbarem Krächzen. „Sei froh, dass es überhaupt soviel ist“, erwiderte Aya trocken. „Du weißt schon…der böse, kalte Killer, Abyssinian und so. Da sind Gefühle Mangelware.“ Wie unrecht er doch hatte mit diesen Worten. „Blödmann“, schmollte Schuldig und löste den Gürtel, um sich des Yukatas zu entledigen und seinen mitgebrachten anzuziehen. Und wie froh er war, dass es wenigstens das bisschen war. Und das Bisschen, das so schnell wieder verschwinden würde, wenn er einen Fehler machte. Nur ein wenig anders, nur ein wenig fehl und er wäre wie alle anderen und nicht mehr interessant für Ran. Geschäftig werkelte er an der Kleidung herum und erhob sich wackelig. „Kann man so sagen, Idiot“, lächelte Aya zuckersüß. „Aber das kleine Bisschen hält sich hartnäckig. Alle Versuche, etwas dagegen zu unternehmen, zwecklos. Das hat sich festgewachsen.“ Er stand ebenso auf und stützte Schuldig, als er sah, dass der andere Mann schwankte. „Du gehörst ins Bett, nach einer guten Schüssel Suppe.“ „Die ess ich eh nur, weil du sie gemacht hast und nicht weil sie gesund ist“, meckerte Schuldig leise vor sich hin und schimpfte über die Schlechtigkeit der Welt. „Das ehrt mich natürlich, besonders, da es zur Erfüllung meines momentanen Primärziels dient“, lächelte Aya und Schuldig erhielt einen Klapps auf das Hinterteil. Aya hatte mal gehört, das solle gut für die Durchblutung sein. „Das Fenster ist noch offen, ich habs vergessen zu schließen“, sagte Schuldig, während sie in den Wohnraum gingen. Aya nahm eine der größeren Schüsseln aus dem Schrank und machte sie Schuldig ordentlich voll. Dazu holte er Stäbchen und deutete Schuldig, sich hinzusetzen. „Ich mache es gleich zu.“ Schuldig ließ sich nieder, nein, er plumpste regelrecht unelegant hin und stützte seinen schweren Kopf auf den Unterarm auf, befühlte seine pochende Stirn. Seine Augen waren schmal vor Schmerz. Ran hatte ihm die Suppe hingestellt und er starrte hinein. Er hatte nicht wirklich Hunger. Aber da musste er wohl durch. „Hört sich an, als wenn’s heftiger wird“, sagte er leise und schon zog der erste Donner krachend hernieder. Aya nickte und tigerte ins Schlafzimmer, schloss das weit geöffnete Fenster. Keinen Augenblick zu spät, wie er feststellte, als die ersten Tropfen zu fallen begannen und im Nu dicker wurden. Er kam in den Essbereich zurück. „Wir haben noch Schmerzmittel da, wenn du willst“, schlug er vor und strich Schuldig über die heiße Stirn. „Soll ich dir noch einen Tee kochen? Willst du Saft?“ „Tabletten…viele davon und Wasser oder …machst du mir noch einen Tee…aber nicht den Ekligen. Der Saft brennt im Hals, meine Kehle fühlt sich an wie rohes Fleisch“, sagte Schuldig mit deutlich angeschlagenem Stimmorgan. „Natürlich.“ Aya platzierte einen Kuss auf den Feuerschopf und machte sich daran, die Wünsche des Kranken zu erfüllen. Schuldig musste schließlich umhegt werden. Die Frage nach dem Tee war jedoch schon schwieriger…bis Aya auf den Trichter kam, dass er die beiden Kräutersorten auch mischen konnte. So hatte Schuldig nicht den ekligen Geschmack im Mund und er hatte trotz allem seinen Erkältungstee. Mal sehen, ob es dem anderen Mann schmeckte. Während besagter Tee zog, machte sich Aya daran, Schuldig ein Glas Wasser zu der Suppe zu stellen. „Iss etwas, dann wird es besser.“ Schuldig war brav und nahm die Suppe in Angriff. Irgendwie tat sie gut, sie reizte seinen Hals nicht, sie tat seinem Magen gut. Es erinnerte ihn an ein nicht gekanntes Zuhause. „Ist das Hühnersuppe?“ Er nahm einen Schluck aus der Schale. „Ja, ist es. Angeblich soll sie das Allheilmittel gegen alle Krankheiten sein. Omi hasst sie, aber du wirst dir kein Beispiel an ihm nehmen. Gesund ist sie trotz allem“, tönte es wieder aus der Küche und Aya kam schließlich zurück zu Schuldig, stellte diesem den Tee an die Seite. "Brauchst du noch etwas?" Schuldig schüttelte nur den Kopf. „Danke“ und leerte langsam seine Suppe. Nachdem er fertig war, griff er sich die bereit gelegten Tabletten und nahm sich zwei heraus, stürzte sie mit dem Wasser hinunter. Mehr bekam er in seinen Magen nicht hinein. Der Tee musste eben für später herhalten. „Den Tee nehm ich mit ins Schlafzimmer.“ „Ruh dich aus und schlafe etwas“, nickte Aya. „Ich bin in Hörweite.“ Er würde sich, während Schuldig hoffentlich seine Grippe auskurierte, im Haus betätigen und zusehen, dass er die Einrichtungsgegenstände in eine etwas harmonischere, denn zusammen gewürfelte Form bekam. o~ Aya fuhr zum dutzendsten Mal aus seinem leichten Schlummer, als sich der Mann neben ihm wieder herumdrehte und anfing, in seinen Fieberträumen zu sprechen, die im Laufe des Abends sprunghaft angestiegen waren. Er blinzelte erschöpft und setzte sich auf, schaltete die kleine Lampe neben ihrem Bett an, die zumindest für etwas Licht sorgte. Der Wind trieb die Äste gegen das Dach des Hauses, wurde jedoch fast von dem peitschenden Regen übertrumpft, der Aya sich fragen ließ, wie sie in der nächsten Zeit zum Einkaufen in das Dorf kommen sollten, wenn diese Ergüsse anhielten. Die Wege waren nicht befestigt und vermutlich vom Wasser vollkommen aufgeweicht, sodass mit dem Porsche kein Durchkommen war. Also mussten sie…oder er laufen. Aya verschob das auf noch ein paar Tage nach hinten. Bis jetzt hatten sie alles…bis auf, ja, bis auf den Arzt, den Schuldig brauchen würde, wenn sich das Fieber weiter steigerte. Als hätte der Mann neben ihm seine Gedanken erfasst, fing er nach kurzem Schweigen wieder an zu sprechen…in einer Sprache, die Aya nicht verstand, von der er aber vermutete, dass es Deutsch war. Sicherlich…gebrochen war er dieser Sprache mächtig, solange er ein Wörterbuch neben sich hatte, aber so, wie Schuldig nun sprach, verstand er gar nichts. „Hey…shh…alles ist in Ordnung“, sagte er beruhigend und strich der unsteten Form neben sich über das schweißnasse Gesicht. Wo hatte er denn den Lappen gelassen? Aya wandte sich um und holte sich die Schüssel mit lauwarmem Wasser heran. Er tauchte den an der Seite hängenden Lappen in die Flüssigkeit und wrang ihn aus, bevor er Schuldig damit über die Stirn strich, in der Hoffnung, dass es dem Telepathen etwas Linderung verschaffte. Ein Akt, der nur wenig Erfolg brachte, denn Schuldig wurde nicht ruhiger, phasenweise verhielt er wie lauernd, bis er erneut Unzusammenhängendes brabbelte und sich wieder herumwälzte. Die Decke war längst abgestrampelt und die Kleidung feucht und unangenehm für ihn geworden. Obwohl er nicht wirklich wach war, fühlte er sich unwohl, da ihm heiß war und diese feuchte Hitze mit klammen Stoffen an ihm klebte. Aya ließ das ein paar Minuten geschehen, bis er sich an die Kräutermischung erinnerte, die die alte Frau ihm mitgegeben hatte zum Baden. Er würde Schuldig damit doch sicherlich auch abwaschen können, damit er vielleicht so das Fieber etwas lindern konnte, oder? In diesem Moment verfluchte Aya ihre Abgeschiedenheit. Wären sie in Tokyo gewesen, hätte er den anderen Mann zu einem Arzt gebracht und ihm kleine, chemische Wunderwerke zur Bekämpfung von Grippe geben lassen, doch hier war er ganz auf die Natur angewiesen und das machte ihn unsicher. Doch er tat, was er tun konnte und erhob sich, richtete das Kräuterbad an, das auch seine halbe Stunde brauchte, bis es gänzlich abgekühlt war und er mit einem Handtuch und der Schüssel ins Schlafzimmer zurückkehren konnte. Die Müdigkeit hing ihm schwer in den Knochen, als er sich niederließ und Schuldig sanft auf den Rücken drehte, den Yukata löste. Er war sowieso komplett verschwitzt und hätte ausgezogen werden müssen, befand Aya und hob Schuldig leicht an, damit er ihn ganz von dem Kleidungsstück befreien konnte. „Ja…ich weiß…aber es muss sein“, erwiderte Aya auf einen besonders heftigen Brabbelanfall, sich sicher, dass seine Worte überhaupt nicht dazu passten. „Du wirst mir danken, wenn du wieder gesund bist.“ Ja, wenn… Er wrang den Lappen aus und begann bei Schuldigs Hals, seiner Brust und dem Bauch, die er sorgfältig abwischte. „Nh..nh…“, nuschelte Schuldig und seine Lider taten, als würden sie sich heben wollen. Er linste auch tatsächlich etwas, als sein Körper sich kühler anfühlte etwas von der Hitze verlor. Er haschte fahrig nach der Hand, die den kühlen Lappen führte, auch wenn er alles nur verschwommen erkennen konnte. Sich hundeelend fühlend, hob er seine andere Hand erneut und betrachtete sich seine Finger, die Lider nur einen Spaltbreit geöffnet, fühlte er sich hilfloser als ein Säugling. „Bist du wach?“, fragte Aya, während er ein Handtuch über Schuldigs Schritt ausbreitete, damit der mit Minze angereicherte Sud nicht nach unten lief und dort womöglich Reizungen verursachte. Zumindest roch es gut… „Keine Sorge, ich bin es nur. Ich wasche dich gerade, damit dein Körper etwas abkühlt…“, erklärte er und ging zu dein Beinen über. „Aber du solltest Japanisch sprechen, damit ich auch verstehe, was du sagst.“ Doch Schuldig dachte gar nicht daran, denn für ihn war es astreines Japanisch, was er von sich gab, auch wenn es in der Umsetzung dann doch eher an Deutsch erinnerte. „Tut gut“, murmelte er. „Aber ich kann das bestimmt auch alleine, gib mir mal den Lappen“, haschte er nach der Hand samt Lappen und machte Anstalten sich aufzusetzen, was schon im Ansatz scheiterte. Aya seufzte und drückte Schuldig mit seiner Hand zurück auf die Laken. „Soweit kommt es noch, mein Lieber, dass du dich hier aufsetzt. Finger weg von dem Lappen, das mache ich selbst! Du kannst ja noch nicht einmal geradeaus gucken!“, meckerte Aya eher um die Stille in dem Raum zu vertreiben, als auf Schuldigs immer noch unverständliche Worte zu antworten. Er nahm sich die rechte Wade vor und tauchte den Lappen dann wieder in den kühlen Aufguss. Die Vorderseite war fertig… Er hob eine Augenbraue. „Und jetzt, Schuldig, drehen wir dich um.“ Aya schob eine Hand unter die halbwache Form und zog ihn mit der anderen auf die Seite. Wieder bekam Ran nur ein Stöhnen und einen unwilligen Laut zur Erwiderung, als sich Schuldigs Kopf seitlich ins Kissen drückte. „Ra~an“, quengelte er halb vom Kissen erstickt, wobei er auch ein genießerisches Ächzen von sich gab als der kühle Lappen seine Rückfront bearbeitete. Mit einem Mal lag er ganz still, genießend und fast wieder in ruhigere Atemzüge übergehend. Dieses Mal HATTE Aya verstanden, was Schuldig ihm sagen wollte, auch wenn der andere dafür nicht viele Worte brauchte. Doch Aya kannte dafür keine Gnade, wer Fieber hatte, musste gewaschen werden - überall. Aber die Unruhe und der Protest gaben sich und Aya strich mit dem Lappen über die erhitzte Gestalt, bis sie nun völlig mit dem Sud eingedeckt war, den er an der Luft trocken ließ…damit er auch einziehen konnte. „Ich finde es ja schön, wenn du mir keine Widerworte gibst“, sagte Aya mit einem Lächeln. „So folgsam bist du ja selten…aber mal sehen, wie lange das noch anhält, nicht wahr?“ Er schob Schuldig nun wieder auf seine Seite des Bettes, um sich der langatmigen Prozedur des Bettmachens zu widmen. Sich auf Rans Seite zusammenkuschelnd und des Handtuchs verlustig gehend, knautschte sich Schuldig Rans Kissen passend und umschlang es, irgendetwas Kindliches brummend. Aya hielt für einen Moment in dem ein, was er gerade tat. Ein Lächeln stahl sich auf seine müden Lippen und weitete sich zu einem leisen Lachen aus. Da fand jemand aber sehr zielsicher das, was ihm gut tat, schmunzelte er für sich. Und etwas, das IHM persönlich gefiel, wenn er sich herüberbeugen und einen Blick um die Ecke werfen würde. Doch da Schuldig für die nächste Zeit außer Gefecht gesetzt war, würde es auch keinen Sex geben. Nun…es gab wichtigeres. Einen kleinen Klaps auf das ihm entgegengestreckte Hinterteil werfend, versuchte er Schuldig samt ergatterter Beute auf die frisch gemachte Seite zu rollen. „Ich…will hier liegen…Ra~an“, murmelte Schuldig und umklammerte das herrlich nach Ran duftende Kissen wie einen Schatz. Er schmiegte sein Gesicht hinein und seufzte zufrieden. „Hier wird nicht gemeckert, ich mache das Bett frisch für dich, mein Lieber“, erwiderte Aya den deutschen Worten, anhand deren Intonation er mehr verstand als ihrer Übersetzung, derer er sowieso nicht fähig war. „Genau…behalte dein Kissen fest im Arm, das ist gut! Es freut sich sicherlich darüber, dass du es bekuschelst.“ Wenngleich sich jemand anderes da mehr drüber freuen würde, doch Aya nahm einfach mal an, dass Schuldig nicht von ungefähr SEIN Kissen gewählt hatte. Er hoffte es… Er schob den anderen Mann noch ein Stück zur Seite und machte nun auch seine Seite frisch und fertig. Indessen wurde es um Schuldig wieder ruhiger. Er räkelte sich noch leicht zurecht und versank alsbald darauf wieder in ruhigem tiefen Schlummer. Es störte ihn keineswegs, dass er keinen Schlafanzug um sich hatte. Wenn sich Aya Schuldig so betrachtete…so friedlich, wie er hier lag, dann verschwand der Gedanken an einen neuerlichen Yukata ganz schnell in den Hintergrund. Vielleicht würden es auch die beiden, warmen Decken tun, die hier auf dem Bett lagen…und sein Körper, der Schuldigs wärmte, sollte er wieder auskühlen...wenn das irgendwann in nächster Zeit der Fall sein sollte. Eine gute Idee, beschloss Aya und legte sich neben den Mann und zog ihn so gut es mit dem Kissen ging, in seine Arme, um schließlich die Decken über sie beide zu breiten und sie festzuzurren. Es müsste gehen. Schuldig schlief und das Fieber sank für den Rest der Nacht gen Morgen. Von Ran umfangen und von dessen Armen und Duft umhüllt schlief er und ruhte, befreit von Albträumen und weiteren wirren Szenerien die das Fieber ihm vorgaukelte. o~ Das Fieber war schon wieder schlimmer geworden. Nicht nur das, auch das Wetter schien nicht dazu einzuladen, den Telepathen ins Auto zu packen und endlich mit ihm zum Arzt zu fahren…nicht, dass sich Aya das zutrauen würde. Er hatte wenig geschlafen und das schlecht…außerdem waren die ganzen Wege und Straßen schlammig, zudem schüttete es aus Kübeln. Sie waren hier oben gefangen. Ohne medizinische Hilfe. „Scheiße“, fluchte Aya leise wie er besorgt neben Schuldig saß und dem anderen Mann wieder und wieder über die schwitzige Stirn strich. „Das muss auch ausgerechnet jetzt passieren…“ Er meinte es nicht wirklich ernst, sondern sprach eigentlich nur um des Sprechens willen. Er wollte nicht, dass es hier bis auf Schuldigs leichten Atem still war. Die alte Frau Kazukawa stand erneut von ihrem Hocker auf und ging zum Fenster. Ihre knochigen, leicht gekrümmten Hände stützten sich auf der Ablage der Arbeitsplatte ab, als sie sich etwas vorbeugte um die Farbe des Himmels zwischen den Bäumen hindurch zu erspähen. „Was für ein Wetter“, hörte sie die Stimme ihrer Tochter, die gerade zur Tür hereinkam und sich ihrer nassen Sachen entledigte. Misumi löste sich vom Fenster und kam in den Eingangsbereich, nahm ihrer Tochter den kurzen Regenmantel ab und hängte ihn auf die vorgesehenen Haken weit auf, sodass er abtrocknen konnte. „Es wird wohl noch eine Weile so weitergehen.“ Misumi antwortete nicht, sondern ging wieder in den Wohnraum zurück, wo sie ihrer Beschäftigung weiter nachging. Midori hatte ihren breitkrempigen Hut abgelegt und zog sich während sie in den Wohnraum kam das Kopftuch herab und glättete ihre Haare danach prüfend mit der Hand. „Was ist mit dir? Warum bist du so besorgt? Das Gewitter vor zwei Wochen war schlimmer als dieses.“ Misumi winkte ungeduldig ab. Ihre Sorgenfalten blieben jedoch. „Ach, nicht deswegen. Die neuen Bewohner des Herrenhauses…die Fujimiyas machen mir Sorgen. Der junge Hausherr wollte vorbeikommen und den Sud abholen, den ich gemacht habe. Keiner kam. Die Wege sind für einen Reifen unpassierbar geworden. Der schmale befestigte Weg über den Hang ist für einen Wagen nicht befahrbar und die junge Familie wird ihn nicht kennen.“ Sie schwiegen ein Weilchen, beiden ihren Gedanken nachgehend. Midori packte ihre Mitbringsel aus und verräumte sie in die Vorratskammer, während Misumi sich daran machte sich anzuziehen. Ihre wasserabweisenden Hosen, stülpte sie über die Stiefel. Die Prozedur dauerte lange aber sie hatte ja Zeit. „Willst du nicht warten bis Kohai wieder kommt? Er könnte das erledigen.“ Midoris besorgte Stimme ließ Misumi aufsehen. „Er kennt sich nicht aus. Was soll er einem kranken Kind helfen?“ Sie machte ein schnaubendes Geräusch und ließ sich von ihrer Tochter in eine warme Weste helfen, die diese in weiser Voraussicht in Händen hielt. Misumi hatte ihren Rucksack schon gepackt. „Ich halte mich am geschützten Hang, dort wurde der Weg noch nie weggespült in all den Jahrzehnten. Mach dir keine Sorgen. Den Weg bin ich schon oft gegangen bei weitaus schlimmerem Wetter.“ Midori packte ihre Mutter am Arm und drückte ihn versichernd. „Ist gut. Pass auf.“ Sie nickte und holte ihrer Mutter den Rucksack aus dem Wohnraum. „Wenn es zu spät wird dann bleib besser über Nacht.“ Wenig später verließ Misumi das Haus und machte sich mit ihrem Stock auf. Ungefährlich war es nicht. Ein loser Ast oder ein umknickender Baum konnte ihr Ende bedeuten. Aber die Erfahrung halfen ihr, ihre Schritte zu lenken und bald schon war sie im Schutz dichten hohen Buschwerks und fand den befestigten Weg unter ihren Füßen, der weiter hinauf führte. Aya war aufgestanden um neues Wasser für den Lappen zu holen, mit dem er Schuldig etwas Linderung verschaffte. Er hielt es nicht lange an einem Punkt aus, hatte er doch das Gefühl, dass er etwas tun musste außer hier zu sitzen und tatenlos zuzusehen, wie es Schuldig schlechter ging. Wieder und wieder stellte er sich die gleichen Fragen, kam auf die gleichen, unbefriedigenden Antworten – ein Kreislauf, der ihn nur noch mehr frustrierte. Schweigend stellte er das lauwarme Wasser wieder neben ihrem Bett ab und wollte sich gerade neben dem Telepathen niederlassen, als er ein Klopfen hörte…vermutlich waren es Äste gewesen, die nur kurz rhythmisch vom Wind an das Haus geschlagen worden waren. Doch genau dieses Klopfen wiederholte sich nach ein paar Momenten der Stille nur umso lauter und Aya wurde sich auch nun bewusst, dass es von der Eingangstür kam und nicht vom Wohnzimmer aus, wie er erst gedacht hatte. Wer in aller Welt war das? Es war, als hätte dieses einfache Geräusch einen Schalter in ihm umgelegt und ihm den Weg zu Abyssinian geebnet, dessen eiskaltes Kalkül die Sorge um Schuldig überlagerte und nun den Feind vermutete, der dort hinter der Tür lauern konnte. Wie waren ihre Chancen auf einen Kampf? Schlecht. Schuldig war nicht ansprechbar, er hatte nur eine einzige Waffe mit dabei. Sehr schlecht. Doch einen Versuch war es wert…vielleicht war es auch einer der Dorfbewohner, doch was sollten sie bei diesem Wetter hier oben, vor allen Dingen um diese Uhrzeit? Lautlos erhob er sich und nahm die Waffe, die er prüfte und entsicherte, bevor er zur Tür ging und einen Moment lauschte. Schuldigs Ruger in den Falten des Yukata verborgen, öffnete er vorsichtig die Tür, gerade so weit, dass er hinausspähen konnte und gerade so geschlossen, dass er sie im Notfall sofort zuschlagen konnte. Von diesen Vorsichtsmaßnahmen gänzlich unwissend hatte sich Misumi versucht in den Windschatten zu stellen. Der tobende Wind zerrte an ihrem Hut, der fest unter dem Kinn mit einem Knoten gesichert war. Ihre Hände zogen an den Handschuhen um sie abzustreifen und erneut an der Tür zu klopfen, als sie sich plötzlich öffnete. Nur wenig war von ihrem Gesicht zu sehen, denn das halbe Tuch welches um Mund und Nase gebunden war ließ nur ein bisschen ihrer wettergegerbten, faltigen Haut und der tief liegenden Augen erkennen. „Kazukawa Misumi. Guten Tag“, hörte sie selbst durch den Wind nur gedämpft ihre Stimme, bis sie ihr Tuch von Mund und Nase zog. „Fujimiya-san? Kazukawa Misumi…“ Den Finger um den Abzug gespannt, ENTspannte Aya sich selbst, als er eher an der Stimme der Alten als an deren Worten hörte, dass es kein Feind war, sondern die Kräuterfrau, die…die durch den Sturm zu ihnen gekommen war. Ayas Augen weiteten sich und sein erster Gedanke, die Frau nicht hereinlassen zu können, verschwand beinahe augenblicklich. Wie rüde wäre das denn? „Wie überraschend, Sie hier zu sehen!“, sagte er mit einem erleichterten Unterton in der Stimme. „Kommen Sie herein.“ Er wusste instinktiv, dass er Schuldig nicht verstecken können würde. Noch instinktiver wusste er jedoch, dass er das auch gar nicht wollte, auch wenn er nicht die Wahrheit gesagt hatte. Schuldig brauchte Hilfe, die über die seine hinausging. Die Ruger unter den Falten sichernd, trat er zur Seite und verbeugte sich leicht. Die alte Frau Kazukawa trat dankbar ein. Es war ein harter Weg hier herauf gewesen, doch sie war froh den jungen Mann wohlauf zu sehen. „Es ist lange her, dass ich hier war. Noch länger ist es her, dass ich, während ein solcher Sturm aufgezogen war, hier hinaufgegangen bin.“ Sie nickte in Gedanken und nahm ihren Hut samt Kopftuch ab. Der Mantel war triefend nass, hatte ihr jedoch gute Dienste geleistet. Der Rucksack darunter war nicht nass geworden. „Nachdem Sie nicht ins Dorf gekommen sind, habe ich mich um ihre Familie gesorgt. Wenn doch ein Kind erkrankt ist. Und hier draußen ist es schwer abzuschätzen, wann ein Arzt kommen kann.“ „Ja…ja, das stimmt“, sagte Aya und vertraute darauf, dass die Waffe nicht aus der kleinen, eingearbeiteten Tasche fiel, als er nun auch seine zweite Hand hervornahm und Kazukawa-san ihre Sachen abnahm. „Es war schier unmöglich, ins Dorf zu kommen mit meinem Wagen…ich wusste nicht, ob es zu Fuß gut gehen würde und ich wollte ihn auch nicht so lange alleine lassen.“ Aya fiel erst später auf, dass er im Singular und nicht im Plural gesprochen hatte, doch das würde sich innerhalb weniger Minuten sowieso erledigt haben, wenn sie Schuldig sah. „Wollen Sie etwas trinken, Kazukawa-san? Oder wollen Sie ein Handtuch?“ „Über ein Schlückchen Tee würde ich mich sehr freuen, junger Mann. Und ein Handtuch wäre nicht das Schlechteste.“ Bis auf das Toben und Heulen des Sturmes hoch in den Wipfeln der Bäume war das Haus ruhig. Misumi schlüpfte in die bereitgestellten Hausschuhe und musste einige Momente verschnaufen. „Wären Sie so nett und würden mir den Rucksack abnehmen? Ich habe einige Dinge für den Jungen mitgebracht. Meine Tochter hat mir auch ein paar Süßigkeiten für den Rest der Familie eingepackt.“ Aya nickte und nahm sich ihren Rucksack, der doch um einiges schwerer war, als er zunächst aussah. Als nächstes strebte er das Bad an, wo er auch die Waffe deponierte, damit sie nicht doch irgendwann auffiel und einen Verdacht auf sie lenkte, der alles andere als positiv war. Mit einem großen Handtuch bewaffnet, kam er wieder zurück und reichte es der alten Frau mit einem entschuldigenden Lächeln. „Ich bin Ihnen so dankbar, dass Sie sich die Mühe gemacht haben und uns einen Besuch abstatten. Kommen Sie…ich mache Ihnen einen Tee“, murmelte er und machte sich bereits wieder auf den Weg in die Küche um dort das noch warme Wasser ordentlich aufzuheizen und Kazukawa-san Tee zu kochen. Den Rucksack stellte er auf die Anrichte neben sich und musste unwillkürlich lächeln. Süßigkeiten für die Kinder…er hoffte, sie würde sie hier lassen, denn das große Kind mit der noch größeren Grippe im Schlafzimmer würde sich sicherlich darüber freuen. Misumi Kazukawa hatte das leise Lächeln bemerkt, folgte dem jungen Mann in die Küche. Sie musste an die Worte ihrer Tochter denken, die den Familienvater als außerordentlich hübsch bezeichnet hatte. Misumi hatte für derlei nicht mehr viel im Sinn. Doch selbst ihr schon trüber Blick sagte ihr, dass der junge Herr Fujimiya für so eine junge Frau und vielleicht sogar für manch jungen Mann ein Hingucker war. Über diesen Gedanken musste sie lächeln. Gedanken an eine längst vergangene Zeit mit ihrem verstorbenen Mann kamen ihr in den Sinn. Aus den Augenwinkeln heraus war es nun Aya, der das abwesende Lächeln der alten Frau bemerkte, und sich fragte, an was sie gerade dachte. Er stellte ihr mit einer kleinen Verbeugung den Tee hin. Er wollte gerade dazu ansetzen, ihr zu erklären, um wen genau es sich bei seiner Familie handelte, als aus dem Schlafzimmer – auf den Moment genau abgepasst – leises, unverständliches Gebrabbel tönte. Aya horchte auf…vielleicht sprach Schuldig im Schlaf nur wie es so oft vorkam in den letzten Stunden, doch als die für ihn keinen Sinn ergebenden Laute an Intensität zunahmen strebte er mit einem „Entschuldigung…ich muss nach ihm sehen!“ aus der Küche in das Schlafzimmer hinein und kam an Schuldigs Seite. „Ich bin da“, murmelte er und strich dem anderen Mann über die schweißnasse Stirn, holte sich den Lappen heran. „Es ist Hilfe hier…“ Die Alte hob den Kopf und nahm den Tee an, als die Aufmerksamkeit des jungen Mannes von dem, was er sagen wollte zu dem, was er hörte, umschwenkte und er kurz darauf eilig die Küche verließ. Mit einem Nicken pflichtete sie dem Mann bei. Währenddessen sich die alte Misumi – wie sie von vielen im Dorf genannt wurde – aufwärmte und ihren Tee trank, war Schuldig gänzlich unruhig in einem Fiebertraum gefangen. „Ran…Ran!“ Er redete wirres Zeug. Über Angriffe, über Fei Long, über Kitamura und Brad und er war allein. Ran war weg. Es war als wäre er in einem leeren Raum und Ran hätte sich umgedreht und die Tür hinter dem Kapitel Schuldig zugeschlagen. Aber…warum sah er ihn dann manchmal vor sich, wie ein besorgtes Nebelgespinnst? Und warum hörte er ihn so nahe, so besorgt und sanft wie ein Echo aus alten Tagen? „Ran…bleib…hier…bleib!“ Misumi blickte von ihrem Tee auf als einer der dickeren Äste gegen das Haus schlug. Schon lange war Todai nicht mehr hier hinauf gegangen um sie zurückzuschneiden. Jetzt wurde das Geäst vom Wind ans Haus geschlagen. Der letzte Schluck des Tees war getan und ihre Hände warm. Nun würde sie aufstehen und zu dem Kranken gehen. Hier schienen keine Kinder zu sein …, kein Spielzeug war zu sehen, es war viel zu still. Außerdem hatte der junge Mann nichts von seiner Frau gesagt, dass sie gleich zum Tee kommen würde, dass sie sich hingelegt hatte, oder nach den Kindern sah. Aber Misumi nahm es gelassen, wie so vieles in ihrem Leben. Sie würde sehen. Und dann würde sie helfen. Bedächtig stand sie auf und ging zu ihrem Rucksack, nahm ihn mit und folgte dem jungen Mann. „Ich bin bei dir, Schu…niemand ist das. Kitamura nicht, Feilong nicht, nur ich. Beruhige dich“, sagte Aya, sich nicht bewusst, dass Misumi ihm schon gefolgt war. Er machte sich vielmehr Sorgen um Schuldig und um dessen Wohlergehen. Der andere Mann war einfach nicht zu beruhigen, egal, was er tat. Es schien, als würde er ihn gar nicht wahrnehmen…nicht einmal die Hand, die ihn berührte. Doch letzten Endes wusste er auch nicht genau, was Schuldig murmelte…er hatte nur Namen herausgehört und sich anhand dessen erklären können, was der andere gerade durchlebte. „Hey…ich bin es, Ran. Niemand anderes.“ Er küsste den Telepathen leicht auf die klamme Schläfe. Doch wie Misumi sehen konnte beruhigte das den unruhigen Leib nur mäßig. Zwar drehte sich das gerötete Gesicht dem jungen Herrn Fujimiya zu und auch der Mann – ein Ausländer – wurde ruhiger, doch die haspelig dahingeworfenen fremden Worte behielten ihre Dringlichkeit. „Da ist also der junge Bursche.“ Misumi lächelte über einen kleinen gemeinen Gedanken. „Da haben Sie sich aber gut gehalten, Herr Fujimiya, wenn das ihr Sohn ist! Ich hatte Sie für jünger gehalten.“ Ein leises gutmütiges Lachen löste sich von ihren schmalen Lippen, während sie näher trat und in einigem Abstand hinter dem Rothaarigen stehen blieb. Sie witterte eine interessante Geschichte… Aya sah die Frau mit großen, entschuldigenden Augen an, die neben Reue auch noch Verzweiflung spiegelten über den Zustand des anderen Mannes.„Er ist meine Familie“, sagte er leise, als würde das alles erklären. „Er…ist…“ Er verstummte. Sicherlich wollte Kazukawa-san nicht hören, dass Schuldig im Prinzip alles in einer Person war: Partner…manchmal Kind…manchmal eine ganze Horde von Kindern, schlimmer als ein Sack Flöhe. Nein…sicherlich nicht. „…zunächst einmal krank“, beendete Misumi den Satz und lachte leise, als sie um das Futon herumging zur anderen Seite. Der junge Fujimiya sah nun wirklich sehr jung aus. Vielleicht gerade einmal über die Zwanzig? Mitte Zwanzig. Vorhin, als er ihr die Tür geöffnet hatte, waren seine Augen wie die von jemandem gewesen, der Dinge gesehen hatte, die sie vielleicht nicht einmal denken mochte. Jetzt allerdings war er ein junger Mann, der sich sehr sorgte. „Hält das Fieber immer noch an? Oder ist es zwischendurch auch abgeklungen?“ „Zwischenzeitlich ist es stärker, dann schwächt es wieder ab“, nickte Aya, einen Teil weit auch erleichtert, keine Ablehnung in den alten Augen zu sehen, kein Misstrauen oder Missbilligung, dass er es gewagt hatte, in die Dorfgemeinschaft einzudringen und zu lügen - sie alle zu belügen. „Er hatte schon in den letzten Tagen leichte Fieberträume, war aber immer noch bei Bewusstsein…erst seit ein paar Stunden ist es schlimmer geworden. Sein Blick wanderte von ihr zu Schuldig, dessen zusammengezogene Augenbrauen die leisen Worte zu untermalen schienen, die er an die Fiebergestalt richtete. „Hmm“, grunzte die Alte und sie ließ sich neben dem Futon nieder. „Hat er etwas von dem Tee getrunken?“ Ihre trockene Hand nahm eine von Schuldigs in ihre und fühlte den Puls, die klamme Haut nach. „Er fiebert ab“, murmelte sie. „Ein wenig…er hat ihm nicht geschmeckt, so konnte ich ihm nicht das ganze Glas zu trinken geben…“ War es zu wenig gewesen, was er Schuldig gegeben hatte? Doch schon die nächsten Worte ließen Aya Hoffnung schöpfen. „Heißt das, dass es ihm bald besser gehen wird?“ „Das ist schwer zu sagen.“ Misumi beließ es bei lediglich einem: „Er hätte den Tee alle zwei Stunden zu sich nehmen müssen“, und hielt dem jungen Mann keine Standpauke, wie sie es üblich zu tun pflegte. Ihre Stirnfalten waren tief gezogen und sie überlegte, warum ein junger und augenscheinlich kräftiger Mann so heftig auf eine Grippe reagierte um gleich bewusstlos zu sein. Ein kommendes und gehendes Fieber deutete auf eine Lungenentzündung hin, aber dann müsste der Mann geschwächt gewesen sein. „Während wir überlegen und warten, soll er sich ausruhen“, beschloss sie plötzlich mit einem grimmigen Nicken zu dem jungen Mann, dessen hoffnungsvoller Blick kurz die Angst übertünchte. Wobei sie ihn nicht ängstlich einschätzte, aber dennoch war da etwas, was sie nicht deuten konnte… „Los…ans Werk“, scheuchte sie. „Er muss mit dem Sud gewaschen werden, ein frisches Bett, das wird ihn ruhiger machen und dann bekommt er zusätzlich etwas zur Beruhigung.“ Sie erhob sich und ihr Blick fiel auch auf den halb geöffneten Yukata…auf die glatte Narbe, die dem Ausländer über die Brust ging. Nur ein Gegenstand konnte eine derartige Narbe entstehen lassen. So fein, so glatt, so …tödlich. Tiefer furchten sich ihre Stirnfalten, als sie sich ächzend aufrichtete. Welche Menschen ließen sich heute noch auf einen Schwertkampf ein? Aya bemerkte den Blick, auch wenn er sich schon erhoben hatte. Er sah das Stirnrunzeln wie auch das Erkennen und in diesem Moment wusste er, dass er Kazukawa-san nichts, aber auch gar nichts würde vormachen können. Doch er konnte ihr nicht sagen, was sie waren und woher diese Narbe stammte. Er wollte die Leute nicht gefährden…und er wollte SIE nicht gefährden. Sie konnten die Polizei nicht gebrauchen, aber noch viel weniger den Geheimdienst. „Seine Schnittwunden…sie sind auf dem Rücken“, erwiderte Aya anscheinend zusammenhangslos und sein Blick nahm etwas anderes als Angst an…ein kleiner Funken Rachdurst und Wut über diese Verletzungen glomm in seinen Augen. „Ich werde den Sud zubereiten“, ergab er sich stattdessen der Standpauke und wandte den Blick ab, bevor er in die Küche eilte. Wenig zu wissen war immer ein Hort für Spekulationen. Das war eines, was sie gelernt hatte. Deshalb zog sie es vor, die Fragmente an Informationen so zu lassen, wie sie waren ohne zu versuchen sie zusammenzusetzen. Der abgeschiedene Ort, zwei augenscheinlich gestrandete, junge Männer… Während sie ihren Rucksack öffnete und die mitgebrachten Dinge auspackte und den Sud in Händen hielt, erhob sie sich erneut und folgte dem jungen Mann in die Küche. „Hier ist er, er sollte in das lauwarme Wasser gegeben werden, nicht zu viel Wasser.“ Sie sah Fujimiya-san zu wie dieser arbeitete, während sie leise vor sich hinmurmelte… „Die Wunden…heilen sie? Vielleicht sind sie es, die ihm zusätzliche Probleme bereiten. Das würde das wiederkommende Fieber vielleicht erklären. Oder…wenn er eine zeitlang nicht auf sich geachtet hat und sehr geschwächt war…ist das der Fall? Dann wäre es auch zu erklären. Eine Lungenentzündung …dann müssen wir auf jeden Fall in ein Krankenhaus“, schloss sie murmelnd. Aya schaltete den Wasserkocher aus und gab den sprudelnden Inhalt in eine kleine Schüssel, während sein Blick immer wieder zu der alten Frau an seiner Seite zurückkehrte. „Sie sind recht gut verheilt“, bestätigte er schließlich. „Auch wenn noch nicht alle verheilt sind…aber der Großteil. Wollen Sie sie sich zur Sicherheit noch einmal anschauen?“ Er öffnete die Tüte mit dem Sud und schnupperte daran. Es roch gut…ähnlich wie das, was sie schon da hatten. „Er war sehr geschwächt…ist es immer noch, denke ich. Das ist zwei Wochen her…“ Ein Krankenhaus also…er konnte sich schon Schuldigs Beschwerden anhören, wenn dieser aufwachte und mitbekam, was geschehen war. „Ja das wäre gut. Vielleicht hat sich…eine Wunde in der Tiefe entzündet. Dann müssen wir sie öffnen und den Eiter herauslassen, die Wunde entlasten.“ Misumi betrachtete sich das Wasser. „Noch kaltes Wasser hinzu, dann genügt es. Der Sud ist schon fertig vorbereitet.“ Sie nahm Ran mit einem bestimmenden Nicken das Glas ab und kippte etwas von dem dunklen Gebräu, das aus gekochten Wurzeln, Kräutern und Rinden bestand, in das Wasser. „Wenn er aufwacht, dann braucht er zu trinken. Wann hat er das letzte Mal etwas getrunken?“ Fujimiya-san hatte wohl am Bett des Mannes gewacht und sicher Versuche unternommen, dem Mann ein wenig Flüssigkeit zukommen zu lassen. „Kurz bevor Sie gekommen sind, habe ich ihm noch etwas eingeflößt“, antwortete Aya. „Wir können nach den Wunden schauen, wenn ich ihn gewaschen habe…oder?“ Es war ihm unwohl dabei, der alten Frau die Verletzungen zu zeigen, doch was war, wenn sie wirklich Recht hatte? Und vielleicht konnte Schuldig dann endlich geholfen werden. "Ja, das können wir.” Misumi sah, wie wenig sicher der junge Mann gegenüber der ganzen Situation und ihr vermutlich auch war. „Soll ich hier warten, Fujimiya-san?“, fragte sie und sah Aya direkt an. Dieser war im ersten Moment versucht, auf diese Frage zu nicken, ganz einfach um Schuldigs Privatsphäre zu schützen, solange der andere Mann bewusstlos war. Doch auch hier bot seine Sorge ein großes Gegengewicht und er seufzte leise. „Ich bin mir nicht sicher. Was ist, wenn Sie etwas sehen, dass ich ÜBERsehen habe? Wäre es dann nicht besser, Sie würden mitkommen?“ Er nahm die Schüssel mit dem Sud auf und ging in Richtung Flur. „Das werden Sie nicht, junger Mann“, machte sie ihm Mut und berührte ihn fest an der Schulter, klopfte aufmunternd darauf. „Machen Sie ihn fertig und ich werde ihn mir dann ansehen. Decken Sie ihn nur leicht zu und ziehen Sie ihn noch nicht an, ja?“ Sie würde währenddessen ein Zigarettchen rauchen. Im Zimmer des Kranken angekommen, schloss sie von außen die Tür und beschloss, kurz vor die Tür zu treten und sich dort in den geschützten Winkel der Tür zu hocken. Dort war eine niedrige Bank, die noch trocken aussah. Es war stiller geworden. „Na…machst du eine Pause?“, fragte sie den Wind, mit dem Blick gen Himmel gerichtet, bevor sie sich mit einem leisen Seufzen setzte. Aya hielt sich an die ihn aufmunternden Worte und seufzte vernehmlich, als Schuldig wieder zu sprechen begann. „Ja…ich weiß, es passt dir wahrscheinlich nicht, du deutsches Zackelschaf, dass sie hier ist, aber was soll ich machen? Sie hilft dir!“, murrte er, während er Schuldig ein weiteres Mal entkleidete, wusch und die feuchte Haut trocknen ließ, während er das Bett machte. Schließlich in sauberen, weißen Lacken – die langsam zuneige gingen – nur mit einem leichten Tuch bedeckt, lag der andere Mann vor ihm, die Haare wirr, ebenso die Worte, die leise seine Lippen verließen. Aya erhob sich und schob die Tür zum Flur wieder auf, suchte Kazukawa-san. Er fand sie schließlich draußen auf der Veranda. „Ich habe ihn gewaschen“, sagte er mit einem leichten Lächeln ob dem Glimmstängel zwischen ihren Lippen. Bisher hatte sie noch nichts zu Schuldig gesagt…oder zu ihrer offensichtlichen Beziehung. Sie nickte einmal und deutete kurz mit dem Kinn in den Himmel. „Der Wind hat sich ein Weilchen zur Ruhe gelegt. Diese Ruhe wird nicht lange anhalten. Aber das Haus ist ein gutes Haus. Es beschützt die, die darin wohnen.“ Sie zog an ihrer Zigarette. „Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein“, sagte Aya in Gedanken und wurde sich erst danach bewusst, was er gesagt hatte. Doch aus welcher Intention…das konnte die Alte nicht wissen, oder? Nein…vermutlich bezog sie es auf Schuldigs Erkrankung. „Uns gefällt das Haus, ihm und mir. Aber das wissen Sie ja.“ Ayas Blick schweifte über den Garten. „Er hat es mir geschenkt.“ Misumi lachte leise in sich hinein und blickte zu dem jungen Mann auf, nur um wieder in den seichten Nieselregen hinauszublicken. „Ein gutes Geschenk. Eine Möglichkeit um an einen Ort zu kommen, der einen immer willkommen heißt. Das ist gut.“ Sie schwieg einige Momente, hörte dem leisen Pitschen des ablaufenden Regenwassers vom Vordach zu. „Todai hat berichtet, dass es so ausgesehen hätte, als hätte ein Fremder das Herrenhaus gekauft. Als wir niemanden hier her kommen sahen, dachten wir daran, dass es vielleicht doch noch nicht verkauft worden war. Das Haus ist alt. Es hat schon viele Gesichter, viele Leiden und Freuden aber auch Geschichten gesehen.“ Ein Ort, der einen immer willkommen hieß… Aya schien, als wäre er sich der Bedeutung gar nicht bewusst, denn es hatte so lange keinen Ort gegeben, der ihn hundertprozentig hatte willkommen geheißen. Das Koneko war durchsetzt mit schlechten Erinnerungen an Missionen und Kritiker, wenn es auch sicherlich gute Momente gegeben hatte. Schuldigs Wohnung wiederum barg ebenso viele negative wie positive Erinnerungen. Dieses Haus jedoch war neutral und nicht beschmutzt durch Krieg oder negative Emotionen. Aya lächelte in sich hinein. Konnte ein Haus rein sein? „Man spürt es…dass es alt ist, meine ich. Es ist nicht seelenlos wie manche Hochhäuser in Tokyo.“ Er schwieg wieder einen Moment. „Sie kennen viele dieser Geschichten, oder?“ „Ja.“ Sie nickte bedächtig und nahm einen weiteren Zug aus ihrer Zigarette. „Aber…ich bin nicht die einzige, die viel zu erzählen hätte“, nickte sie und blickte wieder hinauf zu dem jungen Mann, mit wissenden Augen, so scharf, als hätte ein Habicht seine Beute erspäht, bevor sie den Blick wieder abwandte. Es war nicht unauffällig, wenn zwei junge Männer, einer davon krank mit einer Schwertnarbe und wirren Worten und Sätzen, der andere mit einem alten, weisen Blick, dessen Hände aussahen, als hätten sie hart gearbeitet, dessen Statur aber etwas anders sagte. Ja…wenn diese Männer hier in der Abgeschiedenheit plötzlich ein Haus kauften. „Wir sind ein beschauliches Dorf und wir lieben die Ruhe, Fujimiya-san. Wir heißen jeden willkommen, der ebenfalls diese Dinge mit uns teilen möchte. Wir haben nicht viel zu bieten…“ Sie seufzte. Aya fühlte sich mit einem einzigen Blick durchschaut. Denn so, wie ihn diese Augen ansahen, sahen sie direkt in ihn hinein und wussten, dass sie kein normales, modernes Pärchen waren…wie auch? Genug Anzeichen sprachen ja dagegen…doch in Kazukawa-sans Blick lag etwas anderes, etwas, das darüber hinausging. Gerade deswegen schienen ihm ihre Worte wie eine Warnung an sie beide, keine Bedrohung von außen in diesen Frieden zu bringen. Er nickte. „Sie haben Ruhe zu bieten, das ist das Wichtigste“, erwiderte er schließlich. „Für zwei gestresste Großstadtmenschen ist das der Himmel.“ „Da haben Sie Recht, junger Mann.“ Sie löschte den Rest ihrer Zigarette und erhob sich schwerfällig. Lächelnd nickte sie. „Na, kommen Sie hinein, sehen wir uns mal Ihren Freund an. Und passen Sie mir auf dieses Haus auf“, schimpfte sie gutmütig, während sie in das Schlafzimmer voranschritt. „Jawohl“, lachte Aya auf diesen Befehl hin und folgte ihr ins Schlafzimmer, wo Schuldig sich auf die Seite gerollt, sich in die spärliche Decke eingewickelt hatte und momentan anscheinend etwas tiefer schlief, da er aufgehört hatte zu sprechen. Aya kniete sich neben ihn und strich ihm ein paar der Strähnen zurück. „Die Waschung hat ihm gut getan.“ Misumi murmelte etwas über die Menge der Kräuter bei der nächsten Waschung, setzte sich auf die Seite, auf die der junge Mann mit dem Rücken zugewandt lag. Sie konnte die hellroten Striemen schon auf den Schulterblättern erkennen. „Drehen wir ihn auf den Bauch.“ Misumis Stimme war fest, aber sie spürte eine Traurigkeit in sich. Sie ahnte, dass es nicht nur die Schultern waren, die von den Striemen betroffen waren. Und sie wusste woher so etwas kam. „Ich weiß…das passt dir nicht“, murmelte Aya, als er Schuldig auf den Bauch drehte und der andere Mann wieder anfing zu sprechen, ein leises Murren in der Stimme. „Aber danach wird es besser gehen, ganz bestimmt.“ Ein leises Aufschnarchen antwortete ihm und Aya musste unwillkürlich lächeln. Doch dieses Lächeln schwand mit jedem Zentimeter, den er von Schuldigs kompletter Rückfront entblößte. Er sagte nichts dazu, wusste, dass er es nicht brauchte. Was hätte er auch sagen sollen? Was konnte er sagen? Das hier war schon schrecklich wie auch auffällig genug. Schuldig hatte seine Arme halb unter sich gebracht, sie an sich gezogen und die Finger seiner Hand lagen vor seinem Gesicht. „Ran…“, krächzte er mit starken Halsschmerzen und dröhnendem Schädel. „Ran?“ „Ich bin hier…keine Sorge, Schu. Es passiert nichts. Dir wird geholfen, Zackelschaf“, erwiderte Aya und hauchte Schuldig einen Kuss auf die Schläfe. Misumis Lippen waren zu einem Strich zusammengepresst, als sie das ganze Ausmaß der Verletzungen sah und ihre Stimme klang selbst in ihren Ohren aufgeraut. „Einige sind entzündet…“, murmelte sie. „Ich brauche mehr Licht. Die Fensterläden müssen weiter aufgemacht werden. Würden Sie sie öffnen, junger Mann?“ Sie beugte sich bereits über den Rücken, ihre Hände rieben sich mit einem scharfen Öl ein um sie zu säubern. „Natürlich.“ Aya erhob sich und öffnete die Fensterläden, sodass Kazukawa-san besser sehen konnte…also war es wirklich schlimmer als gedacht und er hatte seine Arbeit nicht richtig gemacht. Er kam wieder zurück und kniete sich neben die alte Frau. „Sie sind dann der Grund für sein hohes Fieber?“ Er hatte das Entsetzen in ihrer Stimme wahrgenommen…das gleiche Entsetzen, das er zu Anfang getragen hatte und nun immer noch empfand, als er daran dachte, wie es geschehen sein mochte. „Nein, nein“, winkte sie fast unwirsch ab, da sie in Gedanken zu sehr mit dem weiteren Vorgehen beschäftigt war. „Er hat eine Grippe, das ist schon richtig. Aber einige der Wunden, sind von Anfang an nicht richtig verheilt, sie sind schon einige Tage alt.“ Sie setzte sich wieder auf ihre Fersen und kramte in ihrem Rucksack nach einem kleinen Etui. Daraus entnahm sie filigrane Werkzeuge. Aus einem anderen holte sie ihre Brille hervor, die sie sich auf die Nase setzte. „Seit wann ist er krank? Wie ist er krank geworden?“ Die Folterspuren ließen vermuten, dass der Mann vielleicht länger am Ort der Folter gelegen hatte, vielleicht noch spärlich bekleidet und geschwächt. Wurde er deshalb krank? „Diese Verletzungen trägt er seit ungefähr dreieinhalb Wochen. Richtig krank geworden ist er hingegen ist er vor drei Tagen. Es war alles erst eine leichte Erkältung mit Kopfschmerzen…das sich dann aber gesteigert hat. Und seitdem ist er so.“ Einen Moment lang schwieg Aya, sich nicht sicher, ob es das Richtige war, was er tat. „Er…hat sich nicht ausführlich dazu geäußert, doch ich denke, dass er wenig Nahrung erhalten hat und dass der Raum, in dem er sich befunden hatte, nicht beheizt gewesen war.“ Ein grunzendes, zustimmendes Geräusch kam aus Misumis Kehle, was sowohl ihr Missfallen als auch ihre Entschlossenheit ausdrücken sollte. Die oberen Wunden sahen schon ganz gut aus, nur zwei an der Flanke sahen entzündet aus. „Die machen kein solch hohes Fieber. Aber sie begünstigen die Genesung nicht, weil der Körper an vielen verschiedenen Stellen zu kämpfen hat. Zudem ist er noch geschwächt.“ Ihre Hände huschten geschäftig über die Wunden, prüfte die Haut um die jeweiligen Wundherde und arbeitete sich weiter hinab, bis zu den Fersen. „Sie haben ihn aufgehängt“, murmelte sie in Gedanken. „So kann der Körper wenig oder gar keine Spannung aufbauen und die Haut platzt schneller auf. Die Kniekehlen und am Oberschenkel, sie sind auch nicht richtig verheilt. Auch dort wo die Achillessehnen sind, dauert es noch eine Weile.“ Fernes Donnergrollen ließ Misumi sich aufsetzen und ihren Rücken etwas durchstrecken. Sie war noch rüstig für ihr Alter, doch diese Arbeit forderte sehr viel von ihrem alten Körper. „In meinem Rucksack ist ein kleines Döschen, seitlich, holen Sie es heraus und geben Sie ihm zwei der kleinen Tabletten unter die Zunge. Es wird ihm helfen, ruhiger zu werden und zu schlafen.“ Wieder tat Aya ohne zu zögern, was die Alte von ihm verlangte. Während er das Pillendöschen fand, dachte er über die Worte der Frau nach. Aufgehängt hatten sie Schuldig? Das schien…logisch und noch einen Touch grausamer, als es jetzt schon war. Er kam wieder ins Schlafzimmer zurück und öffnete sanft Schuldigs Lippen mit seinem Daumen. Eine fruchtlose Angelegenheit, wie sich augenblicklich herausstellte, als sein Finger zwischen den Lippen verschwand und annektiert wurde. Aya musste leicht schmunzeln. „Komm, ich hab was Besseres für dich.“ Er nahm seine andere Hand und öffnete den Kiefer, gab Schuldig schnell die beiden Tabletten unter die Zunge und entzog dem Telepathen seinen Daumen. Dies entlockte ein wirklich widerwilliges Knurren aus Schuldigs Kehle und er murmelte etwas Unzusammenhängendes. Nach einer halben Stunde war Misumi mit ihrer Sichtung fertig. „Sie sind nicht tief, nur oberflächlich entzündet. Die Salben werden ausreichen, die ich Ihnen mitgegeben habe. Wären Sie so nett, sie mir zu bringen? Und etwas zu trinken, dann bekommt er später noch etwas gegen das Fieber, am Abend wird es stärker. Dann lassen wir ihn ruhen und sehen später wieder nach ihm.“ Wenig später waren die Salben mit einem Spatel aufgetragen. Feste Klebeverbände sicherten die fünf betroffenen Wunden. Der Regen prasselte auf das Vordach und draußen fing der Sturm wieder an zu wüten, als sie Schuldig auf die Seite drehten und eine dünne Decke über ihn legten. „Lassen wir ihn ruhen.“ Sie erhob sich und reinigte ihre Utensilien, packte sie wieder weg. In der Apotheke würden sie dann einer Desinfektion zugeführt werden. Danach erhob sie sich und nickte Fujimiya-san zu, klopfte ihm auf den Oberarm als sie an ihm vorbei in Richtung Küche ging. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)