Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 107: Silence -------------------- ~ Silence ~ Schuldigs Hand schmerzte, sie zitterte und doch hörte er die Worte, sie durchdrangen ihn und er wusste, dass er eines nicht mehr sein wollte: allein. Und nur Ran bewahrte ihn vor dem Alleinsein. Ran gab ihm etwas, dass Brad ihm nie geben konnte. Diese Art von Geborgenheit, Zärtlichkeit, Leidenschaft und Zweisamkeit, die Brads kühlem, kalkulierendem Wesen fehlten. Schuldig schüttelte den Kopf, er riss Ran zurück und zog ihn mit sich, sodass er selbst auf dem Boden zu liegen kam und Ran mit ihm halb auf ihm zu liegen kam. Noch immer zitterten seine Hände, doch sie pressten Ran fest an sich. Schuldig fühlte Übelkeit in sich, sein Herz raste und sein Atem ging schnell, als hätte er einen heftigen Lauf hinter sich. Wie war es dazu gekommen? Wie…? „Du… bist so schwach…“, sagte Schuldig stockend in einer Mischung aus Staunen und Resignation vor dieser Erkenntnis. Fester Boden… ein warmer, bebender Leib… Aya erschauerte, als der Schock Einzug hielt, als er sich vermeintlich sicher glaubte für den Moment, als er selbst anfing zu zittern. Er lag auf Schuldig, in Sicherheit vor dem Abgrund und hörte verzögert dessen Worte, die er auf sich bezog. Schwach? Er? Ja… anscheinend schon und Aya hatte dem nichts, aber überhaupt nichts entgegen zu setzen. Er lag hier, keine Kraft aufzustehen und wegzugehen, wie er es eigentlich sollte. Keine Kraft, irgendetwas zu erwidern, irgendetwas Wütendes oder Schlaues auf Schuldigs Worte zu erwidern. Er sah Schuldig nicht an, konnte es gar nicht, da dieser ihn so eng an sich presste. Seine Hände schmerzten umso mehr, je mehr er Ran an sich hob, an sich schmiegte. Alles schmerzte. Aber vor allem seine Gedanken, die ihn peinigten, ihn malträtierten. Er kämpfte mit den Tränen der Wut über sich selbst und über das, was letzte Nacht geschehen war, hielt Ran im Arm und spürte dessen Zittern an sich. „Wir… wir… wir dürfen das nie wieder tun. Nie wieder.“ Seine Stimme anfänglich noch unsicher, wurde mit jedem Wort verzweifelter. Schuldig war wieder da... die gute Seite, die verzweifelte Seite. Sehr verzweifelt, wie Aya es hörte. Resigniert schloss er die Augen. Resigniert vor der ganzen Situation, vor seinem Entsetzen und dem Schock. Resigniert vor der Trostlosigkeit, die sich gerade in ihm ausbreitete. „Es wird nicht wieder vorkommen“, sagte er tonlos, jedoch deutlich zittrig in der Stimme. Gott…Schuldig hätte ihn fast in den Abgrund stürzen lassen. Er hatte ihn fast umgebracht. Das dämmerte Schuldig auch und seine Hände fielen von Ran ab, gaben ihn frei, als er dessen Stimme und das Zittern darin vernahm. Ja… es würde vielleicht nicht mehr vorkommen. Nein, es würde mit Sicherheit nicht mehr vorkommen. Ganz sicher nicht mehr. Blind vor aufkommender Verzweiflung löste er sich von Ran, stand fluchtartig auf und strauchelte prompt dabei. Seine Hände fingen den vermeintlichen Sturz noch rechtzeitig ab. Er kam nicht gerade elegant hoch und erreichte die Tür zum Treppenhaus durch die er in seiner übereilten Hast stürzte. Es würde nie wieder vorkommen. Nie wieder. Eine Sekunde verging, als Aya zur Seite geschoben wurde, auf den kühlen Asphalt. Schuldig floh und eine zweite Sekunde verstrich. Zumindest in Ayas Wahrnehmung, in Wirklichkeit vergingen sie vermutlich schneller. Er musste Schuldig hinterher! Er durfte ihn nicht so gehen, geschweige denn fahren lassen. Für einen Moment flackerte so etwas wie Kampfgeist in Aya auf, doch dieser Moment reichte aus, um ihm genug Kraft zu geben, Schuldig zu folgen. Hastig rappelte sich Aya auf und sein Kreislauf machte ihm im ersten Moment fast noch einen Strich durch die Rechnung, doch das war nebensächlich! Auch er strauchelte die Treppen hinunter, fiel ein paar Mal fast, prallte in der Mitte des Treppenhauses gegen die Flurwand. „Schuldig!“, rief er, aber seine Stimme war zu zittrig um laut zu sein. In diesem Moment, als Schuldig seinen Namen so schwach ausgesprochen hörte, eine Treppe über sich, achtete er nicht auf die letzte Stufe und stolperte, schlitterte auf einem Knie halb auf dem Hintern gegen die Wand, wo er sitzen blieb. Sein schneller Atem brach sich an der bröckelnden Mauer. Seine Hände fanden zu seinem Kopf und pressten sich dagegen, als ihn die Verzweiflung überkam und er erstickt aufschluchzte. Warum war er nur so verrückt, so abgedreht? Warum konnte er sich nicht beherrschen? Er gehörte weggesperrt. Schon lange. Er lehnte seine Schläfe gegen die Mauer und presste seine Linke auf seinen Mund um verräterische Laute zu verbergen. Aya hatte zumindest das erste Schluchzen schon gehört und an der restlichen Geräuschkulisse bemerkt, dass Schuldig stehen geblieben war. Er raffte sich auf, ein letztes Mal, und stolperte die Treppen hinunter, bis er vor Schuldig stand. Das war Verzweiflung in Reinform, die hier vor ihm saß. Verzweiflung, die die dunkle Seite zurückgelassen hatte. Aya kam zu Schuldig und sackte auf die Knie, die Arme um den anderen gelegt. Mehr konnte er auch nicht mehr tun, denn seine Kraft war am Ende. Wenn Schuldig jetzt aufstand und ging, würde er zurückbleiben, bis er wieder genug Kraft hatte um aufzustehen. Und dann war Schuldig weg. Völlig weg. „Bleib bei mir“, wisperte Aya, immer noch im Schockzustand. „Ich werde dir nicht halb dein Gehirn rausficken um dir zu zeigen, zu wem du gehörst und jetzt abhauen!“, schrie Schuldig aufgebracht, keuchte und fluchte unterdrückt. Er sank zusammen an der Wand, ließ sich umarmen und starrte in das Halbdämmer vor sich hin, Rans Geruch in seiner Nase. „Das alles…“, sagte er mit lebloser düsterer Stimme. „... macht mich noch verrückter, als ich schon bin. Ich sollte besser ohne Menschen um mich sein. Es wird nicht besser. Kein Stück.“ Aya zuckte zusammen ob der lauten Töne, die Schuldig ihm hier entgegen spie. „Ich will aber nicht ohne dich sein“, flüsterte Aya durch das Rauschen in seinen Ohren. Er konnte jetzt nicht mit Schuldig diskutieren, geschweige denn, sich ganz auf dessen Worte konzentrieren, wenn er immer wieder das Gefühl hatte, gleich das Bewusstsein zu verlieren und nur für kurze Momente wirklich bei sich zu sein. Seine Arme lagen nur locker um den anderen, aber sie hielten den Kontakt. „Warum… warum willst du mich so unbedingt?“, wisperte Schuldig und wandte sein Gesicht halb Ran zu, fühlte wie die Hände über das Leder streiften und Ran schwankte. Lediglich antrainierter Bewegungsmuster geschuldet, wandte er sich rasch zu Ran und bewahrte ihn vor dem Aufschlag auf dem Boden. Er richtete ihn auf und bettete ihn mit dem Kopf an seine Schulter. Er atmete, lautete die erste Bestandsaufnahme und der Puls seines Partners ging zwar etwas schneller als normal, aber er ging, wie er an Rans Hals fühlen konnte. „Ich hätte dich beinahe getötet…“ Schuldig strich über Rans Gesicht. Er schämte sich in Grund und Boden, wie es so schön hieß. Etwas war froh in ihm, dass Ran ihn nicht ansah, er hätte den Blick nicht ertragen. Für eine lange Zeit sah Aya Schuldig nicht an, denn sein Körper brauchte Minuten, bis er wieder ansatzweise aus der Bewusstlosigkeit wieder auftauchte. Zumindest so, dass er sich seiner Umgebung wieder bewusst wurde. Er lehnte an etwas Hartem, das sich mit viel Mühe und gutem Willen als Schuldigs Schulter herausstellte. Er war also noch da! Aya seufzte erleichtert auf und schloss die Augen wieder. Er hatte das Gefühl, als würde er neben sich stehen, als wäre sein Körper schwerelos ohne den Hunger, die Erschöpfung, den Schock, den er zuvor verspürt hatte. Seine Hand suchte die des anderen und fand sie schließlich auf dessen Oberschenkel. Er bettete seine Finger über Schuldigs, konnte sie jedoch aufgrund mangelnder Koordination nicht wirklich verschränken. Der Seufzer sprach ganze Bände und Schuldig schloss die Augen ob der Scham über sein Verhalten. Nicht, dass er Ran misshandelt hatte in der letzten Nacht, nein, er wollte ihn auch noch töten. Hinzu kam noch, dass er ihn dort oben allein gelassen hatte und abgehauen war, ohne zu merken, wie fertig Ran zu sein schien. Und immer noch sagte Ran, dass er nicht wollte, dass er ging. Ran war definitiv krank. Genauso seelisch krank wie er selbst. „Hast du… wenig gegessen?“, fragte er kleinlaut, ein paar Worte mit dem Hauch von Stimme und gefärbt mit tiefer Schuld. Die Frage schien so normal zu sein, so liebevoll, dass sie Aya schier schmerzte nach all dem, was die letzten Stunden passiert war. „Gar nichts“, gestand er schließlich leise ein, leise, weil er für alles andere keine Kraft hatte. Selbst das strengte ihn an. Er wollte Schuldig so viel sagen, musste ihm so viel sagen, doch nicht hier. Er wollte nach Hause, endlich wieder nach Hause. „Du sollst doch essen… sonst mach ich mir…“ Gott… Schuldig legte den Kopf in den Nacken, presste seine Lider fest aufeinander und öffnete sie wieder. Er starrte an die dunkle, weit entfernte Decke. ‚Gott... darf ich mir Sorgen um ihn machen? Darf ich das überhaupt? Sag es mir verdammt!‘ Verzweiflung ließ ihn diese Worte denken, diese Sätze in Gedanken formulieren. Er schüttelte einmal den Kopf und wandte sich wieder Ran zu. Durfte er sich Sorgen um Ran machen, wenn er ihn zunächst vergewaltigte und ihn dann einige Stockwerke hinunter auf den Asphalt schicken wollte? ‚Brad… hol uns hier raus. Bitte… hol uns hier raus.’ Der so unvermittelt in Gedanken angesprochene hatte gut zu tun, um Nagi in Sicherheit zu lotsen und war wenig erfreut über diese Störung. ‚Wo seid ihr? Haben die örtlichen Behörden euch geschnappt?’ ‚Nein. Die haben uns nicht gesehen. Aber…’ Schuldig zögerte. ‚Ich… Ran und ich… wir… wir sind… hol uns bitte hier raus.’ Das waren keine konkreten und daher keine akzeptablen Angaben für Brad und er pflückte sich nach Rücksprache mit Nagi, der sich nun alleine durchschlagen konnte das Headset vom Ohr und warf es ungewohnt genervt auf die Tastatur vor sich. ‚Wie ist euer Status? Seid ihr noch auf dem Hafengelände?’ ‚Uns geht es einigermaßen. Ran ist fertig, ich werde ihn vom Gelände schaffen können mit dem Bike, aber hol uns bitte trotzdem mit dem Van ab. Ich will nicht, dass die Bullen sein Gesicht sehen, falls sie uns in die Quere kommen. Ein Treffpunkt wäre nicht schlecht.’ „Ich bin erst… heute Abend aufgewacht…“, murmelte Aya wie zur Entschuldigung. Er war mit der dunklen Seite des anderen aufgewacht und hatte in dem Stress nichts zu sich genommen, immer darauf bedacht, Schuldig im Auge zu behalten. Stille antwortete ihm und er war versucht, sich ein weiteres Mal auszuklinken, doch er versuchte gewaltsam, sich bei Bewusstsein zu halten. „Ich möchte nach Hause…“ „Ich weiß.“ Schuldig strich Ran mit einer behandschuhten Hand über die Wange, strich die Strähnen der roten Haare weg. „Willst du schlafen? Ich verspreche… ich bringe dich sicher nach Hause, ja?“ kam es wieder sehr leise von Schuldig. „Ich verspreche es dir, ja? Brad wird kommen, er… mit ihm… kann nichts passieren. Ja…? Er passt auf.“ Aya brachte gerade mal ein Nicken auf, bevor er seine Augen schloss und ein weiteres Mal erschlaffte, dieses Mal jedoch aus Müdigkeit und nicht Ohnmacht. Sie würden sicher nach Hause kommen… irgendwie… Crawford würde es schon richten. Zuhause würden sie reden, nicht hier. Zuhause mussten sie reden. Reden gegen das Gefühl der Trostlosigkeit und der Verzweiflung, was ihre Beziehung anbetraf. „Kannst du dich an mir festhalten? Ich bring dich runter.“ Schuldig wartete bis Ran seiner Aufforderung nachkam und entfaltete sich selbst ein wenig bis er ein Bein hochbekam und Ran und sich selbst in die Höhe stemmen konnte. Stemmen war ein wenig übertrieben, denn Ran war nicht wirklich schwer, aber Schuldigs Arme zitterten noch immer. Über das Geschehene konnte er sich wohl immer noch nicht beruhigen, registrierte er selbst als beträfe es ihn nicht. Unten angekommen, verharrte er in der Tür einige Momente und trat dann nach draußen. Keiner war in der Nähe. Von Fern konnte er das Licht der Polizeifahrzeuge in den Himmel zucken sehen. Weit genug weg. Er ging zu seiner Maschine. „Ran… meinst du, dass du es schaffst mit der Maschine?“ Gerade wieder wach sah sich Aya nun mit einem Problem konfrontiert, das alles nur nicht gering war. Er wusste nicht, ob er sich auf der Maschine halten konnte. „Ich versuche es.“ Er war schon halb auf der Maschine, die Augen gerade so weit offen, dass er sah, wohin er musste, als ihm etwas einfiel. „Die Waffe… ich habe meine Waffe verloren, als du…“ ….mich fast vom Dach geworfen hättest, das war es, was er hatte sagen wollen, was er aber nicht äußerte. Später, später würden sie darüber sprechen, aber nicht jetzt. Später. „Ist sie dir runtergefallen?“ Schuldig hatte Ran den Helm aufgesetzt und sich vor diesen auf das Motorrad geschwungen. Er ließ die Maschine an und zog Rans Arme um sich. „Verschränk die Finger.“ „Wir müssen sie finden, sie ist hier irgendwo“, sagte er eindringlich, in diesem Moment vollkommen vergessen, dass der Besitzer der Waffe trotz ihrer Registrierungsnummer nicht aufzufinden wäre, wenn die Polizei Nachforschungen anstellen würde. Eine Schattenidentität eines Verbrechers, der schon lange tot war. Dennoch. Mit Mühe die Finger verschränkend, wollte er hinter sich sehen, gerade so, als könne er sie in der Dunkelheit hier finden. „Wir finden sie schon. Keine Sorge“, Schuldig strich an seinem Bauch über die verschränkten Finger um sich zu vergewissern, dass diese es auch waren und fuhr dann eine kleine Runde ums Gebäude. Auf den ersten Blick war nichts zu sehen - wie auch, es war finster. Die Straßenbeleuchtung zu weit weg. „Neuer Plan, Ran. Wir fahren zu Brad und besprechen das weitere Vorgehen, in Ordnung?“ Er musste seinen kleinen Sturkopf auf dem Rücksitz zumindest die Chance lassen eine Entscheidung treffen zu dürfen, auch wenn Schuldig Ran später abladen und diese verfluchte Waffe alleine suchen würde. Aber das würde er Ran natürlich nicht sagen, denn dann wäre das Drama groß. Und mehr Drama als ohnehin schon in ihrem kleinen Theater aufgeführt worden war, wollte er heute Abend nicht mehr heraufbeschwören. „Hmm…“ Irgendetwas passte Aya an diesem Vorschlag nicht, doch was genau, das wollte er momentan nicht für sich entscheiden. Lieber schloss er die Augen und lehnte seinen Kopf so gut es ging an Schuldigs Schulter, ließ sich von diesem durch die Gegend fahren, die Waffe momentan vollkommen vergessen. Die Waffe hatte Schuldig auf den ersten Blick nicht gefunden und da Ran nicht weiter quengelte fuhr er zum vereinbarten Treffpunkt. Er versuchte es, denn immer wieder kamen sie an Stellen, die entweder zu belebt waren, oder bereits Straßensperren erhalten hatten. Es dauerte und schlussendlich bediente sich Schuldig seiner Fähigkeiten, bis er eine dieser Straßensperren passieren konnte und in die Straße einbog, auf der sie sich mit Brad treffen wollten. Immer wieder versicherte er sich, dass Ran seine Hände um seine Körpermitte geschlungen hielt, weckte ihn, wenn es die Umstände erforderten. Es dauerte noch gute zehn Minuten, als sie die kleine holprige Seitenstraße erreichten und Schuldig den dunklen Van erkannte. Brad wartete bereits. Schuldig erkannte schon von weitem, dass der Amerikaner telefonierte. Er hätte nicht gedacht, dass ihn dieser Anblick so freuen oder eher erleichtern würde. Das Motorrad hielt neben Brad. „Hi. Kannst du mir helfen? Er pennt schon halb ein.“ Brad verabschiedete sich von Nagi in seiner üblichen wortkargen Art. Und ebenso wortkarg trat er an das Motorrad heran. Aya merkte in seinem dösigen Zustand, dass Schuldig angehalten hatte und versuchte nun auf eigene Faust, sich den Helm abzunehmen. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, wie lange er schon dafür brauchte, mit seinen zitternden Fingern den Verschluss zu öffnen. Sich des Amerikaners nur nebenbei bewusst, war er schließlich soweit, dass er den Helm abnehmen und vom Kopf ziehen konnte, das erschöpfte seine spärlichen Kraftreserven vollends und er ließ den Helm kraftlos sinken. Schuldig hatte den Motor abgestellt und wandte sich halb Ran zu um diesem den Helm abzunehmen, doch Brad hatte bereits die Hand daran und pflückte diesen Ran aus den Händen. „Was ist mit ihm?“ Brads Anführermodus war voll eingeschaltet, das hörte Schuldig sofort an dem reservierten, kalten Tonfall. „Ich habs übertrieben, kannst du ihm runterhelfen. Er wird’s alleine nicht schaffen.“ Schuldigs Stimme hörte sich verloren an und auch sein Blick streifte nur marginal Brads Gesicht. Brad nahm Ran unter dem rechten Arm und griff ihn sich vom Rücken her, zog ihn so behände von der Maschine. Es war schon komisch, wie müde Aya war. Ihm war alles egal, Hauptsache, er konnte die Augen schließen und Hauptsache, er hatte Körperkontakt zu Schuldig, der genauso roch wie damals, als er aus der langen Zeit der Einsamkeit und des Hungers wieder zu sich gekommen war. Dass er nun auch noch hochgehoben wurde, nötigte ihm jedoch ein wenig Widerstand ab. „Es… geht alleine…“, brachte er hervor, ganz gegensätzlich jedoch dazu, dass er seinen Kopf an die Schulter des anderen Mannes legte. Schuldig stieg ab, klappte den Seitenständer der Maschine aus und kam um diese herum, während er Ran in den sicheren Armen des Amerikaners wusste. Schuldig wischte sich die vom Wind zerzausten Haare aus dem Gesicht und blickte unglücklich auf das ruhige, dösige Antlitz des Japaners. „Er mag es nicht, wie eine Braut herumgetragen zu werden“, sagte er überflüssigerweise. „Ich glaube nicht, dass er jemals diesen Status innehaben wird. Er kann unbesorgt sein“, spöttelte Brad und sah, dass Schuldig ordentlich durch den Wind war - und das nicht nur im wahrsten Sinne. Es erinnerte ihn an die Zeit vor einem halben Jahr, als der Japaner bei Schuldig das erste Mal gastierte. Deshalb wählte er seine Fragen mit Bedacht. Er ging nach vorne um den Wagen herum, Schuldig folgte und öffnete die Beifahrertür auf der linken Seite. „Warum ist er in diesem Zustand?“, hakte Brad nach und setzte Ran auf den Sitz ab. „Er hat wenig gegessen…“, Schuldig zögerte. „Nein, er hat gar nichts gegessen und dann… hatten wir einen Streit und in dessen Folge ein wenig zu heftig Tuchfühlung… und dann ist irgendwie alles so schnell gegangen…“ „Hmmm“, knurrte Brad. Wie gut, dass der Rotfuchs und er schon telefoniert hatten. Sie unterhielten sich über ihn. Das war es, was Aya als Erstes bewusst wurde. Als Zweites konnte er identifizieren, wer sie überhaupt waren. Schuldig und Crawford. Crawford war also da. Aya versuchte sich zur Wachheit zu zwingen und wandte den Kopf zu beiden. Er sah sie verschwommen, aber er sah sie und Erleichterung kolorierte seine Züge. Das Zuhören wurde unterbunden in dem Brad die Tür des Wagens schloss und sich dann zu Schuldig umwandte. Sein Blick drückte aus als wolle er sagen: so mein Lieber, raus mit der Sprache. Jetzt wo die Tür zu ist kann ich jetzt einen ganz anderen Ton anklingen lassen. Schuldig wartete auf die Standpauke. Die ausblieb. Also… „Ich muss nochmal zurück. Er hat seine Waffe verloren.“ Schuldig ging um den Wagen herum zu seiner Maschine. Brad folgte ihm. „Er hatte Handschuhe an, die Waffe ist unwichtig.“ Schuldig nahm den Helm vom Sitz. „Das ist sie nicht“, sagte er nachdenklich, mit gerunzelter Stirn. „Ihm ist es wichtig, dass sie geholt wird, also werde ich sie holen.“ Brad war das Ganze nicht geheuer. Schuldig war in einer seltsamen Stimmung und dies ließ ihn misstrauisch werden. Er lehnte am Van und hatte die Hände in den Taschen seiner Jeans verborgen. „Kannst du ihm die Riegel geben, die müssten doch noch im Fach unter dem Sitz sein, oder?“ Schuldig wandte sich zu Brad um. „Damit er wenigstens etwas isst, bis ich wieder da bin. Kümmerst du dich um ihn, ja?“ In einer plötzlichen - von Schuldig nicht erwarteten Bewegung - griff Brad nach ihm, zog ihn herum und im nächsten Moment prallte er mit einem dumpfen Geräusch gegen den Van und wurde konfrontiert mit Brads Gesicht, welches zum großen Teil im Schatten lag. Er zog an Schuldigs Haaren im Nacken. „Hör…“ weiter kam er nicht, denn eine Hand legte sich über seine Lippen. „Das letzte Mal, als du mir ihn anvertraut hast, bist du hinterher tot gewesen. Gewisse Parallelen drängen sich mir da auf.“ Brads Stimme klang rau, emotional hätte Schuldig sie sogar bezeichnet, hätte jemand ihn in diesem Moment gefragt. „Ich weiß nicht, was zwischen euch genau vorgefallen ist, aber ich habe eure masochistischen Spielchen satt und ich habe es ebenso satt hinter euch aufzuräumen. Verstanden?“ Schuldig sah ihn mit großen Augen an. „Hast du mich verstanden?“ Der Zug im Hinterkopf wurde stärker und Schuldig kniff die Augen kindlich zusammen bevor er nickte. „Gut“, sagte Brad. „Du wirst mir jetzt genau zuhören. Du fährst dort hin, suchst die Waffe und wenn du sie bei der ersten Besichtigung nicht findest, fährst du wieder. Verstanden?“ Schuldig nickte artig und ein warmes Gefühl beschlich ihn. Er lächelte unter der Hand. „Hier gibt’s nichts zu grinsen“, blaffte Brad, nur Schuldig nahm ihm die schlechte Laune nicht übel. „Du kommst auf dem schnellsten Weg hierher zurück. Falls etwas schief geht, kontaktierst du mich. Wenn du irgendein Risiko eingehst oder mir kommt sonst eine Unregelmäßigkeit zu Ohren, kannst du was erleben!“ Schuldig nickte wieder. „Und jetzt ab mit dir.“ Brad ließ Schuldig los, öffnete die Wagentür und nahm die Stablampe auf, die im Fach der Wagentür lag. Er warf sie Schuldig zu. Dieser setzte sich den Helm auf, verstaute die Lampe und fuhr los. Brad knurrte. „Wegen dieser beschissenen Waffe…“ Fluchen gehörte nicht in seinen Wortschatz. Ab und an jedoch überkam es ihn… Im Wagen hingegen wurde es unruhig, denn Aya hatte wie beabsichtigt nicht viel von der Unterhaltung mitbekommen. Ganz im Gegenteil… alles, was er gehört hatte, war ein dumpfes Poltern gewesen, das ihn sich hatte aufrichten lassen. Irgendetwas passierte da draußen und er wollte wissen, was. Doch bevor er sich nach draußen quälen musste, ging die Fahrertür auf und Ayas Kopf fiel nach rechts, erblickte Brad. „Wo ist Schuldig?“, fragte er mit Sorge in der Stimme leise. „Weg. Deine Waffe holen. Dumm genug, dass sie dir aus den Händen gefallen ist, aber sie jetzt auch noch unbedingt zurück zu wollen, wo es dort vor Bullen nur so wimmelt ist nicht wirklich gut durchdacht.“ Eigentlich gar nicht und eigentlich sehr dumm. Brad setzte sich auf den Fahrersitz und schloss die Tür. Er bückte sich und zog unter Rans Sitz ein Fach hervor, das voll war mit Eiweißriegeln und hochkalorischen Snacks. Diese Rationen hatten sie in jedem Wagen vorrätig, falls gewisse Observationen länger dauerten oder sie sonst aus Gründen unterschiedlichster Art eine Nahrungsquelle brauchten. Oder… sie hatten Ran dabei. Brad holte zwei Riegel hervor, öffnete einen davon und hielt ihn Ran hin. „Iss das, Schuldig sagte, du hättest nichts gegessen die letzten Tage.“ Aya stellte fest, dass ihn nichts so zuverlässig in die Realität zurückbringen konnte wie Crawford und dessen Vorwürfe. „Sie darf dort nicht gefunden werden… kann uns vielleicht in Verbindung mit den Morden bringen.“ Aus Reflex griff Aya zu dem Riegel und betrachtete ihn sich. „Ich… konnte sie nicht halten, als ich halb über dem Abgrund hing. Das hättest nicht einmal du geschafft“, gab er zurück und hob müde seine Hand, steckte sich die ersten drei Zentimeter des Riegels in den Mund, biss ab und kaute langsam. Ekelhaft. Er verzog den Mund vor Widerwillen und ließ den Riegel wieder sinken. Brad ließ sich in den Sitz sinken. „Ich weiß, das Zeug schmeckt furchtbar und wird eher mehr statt weniger im Mund. Gegessen wird es trotzdem. Wenn du schon zur Belastung wirst während eines Einsatzes, solltest du nachher auch die Konsequenzen tragen.“ Brads Mundwinkel umspielte ein ironisches Lächeln. „In diesem Fall einen Eiweißriegel zu dir nehmen.“ Er wandte sich nach hinten in den offenen Laderaum um und zog einen schwarzen Pullover hervor, den er sich mitgebracht hatte. Ihm war kalt. „Belastung“, schnaubte Aya abfällig und sah auf den Riegel in seiner Hand nieder. Schuldigs Worte kamen ihm wieder in den Sinn, dass er selbst Schuld an dem Ganzen war. Vielleicht sollte er doch etwas essen, denn momentan war er völlig hilflos, sollten sie angegriffen werden. Völlig. Ein weiteres Mal kämpfte sich seine Hand zum Mund und biss die nächsten zwei Zentimeter ab, die er mit einem innerlichen Schütteln hinunterwürgte. Brad beließ das Thema wie es war, obwohl er es gerne noch etwas ausgereizt hätte, doch er sah, dass Ran den Riegel folgsam aufaß und sah gnädig von einer weiteren bohrenden Folter und dem vorbringen von Vorwürfen ab. „Gib mir einen kurzen Überblick über die Dinge, die passiert sind und warum ihr beide in einer derart desolaten Verfassung seid.“ Einer Verfassung die Schuldig dazu brachte ihn anzuflehen sie abzuholen. „Habe ich doch am Telefon schon“, erwiderte Aya und nahm das als Entschuldigung, den Riegel auf seinem Oberschenkel ruhen und reifen zu lassen. Vielleicht schmeckte er ja mit Sauerstoffzufuhr besser – irgendwann. „Was willst du denn noch wissen?“ „Sage ich dir, sobald der Riegel kleiner wird und zwar ohne, dass du ihn aus dem Fenster wirfst oder anderweitig entsorgst.“ Brad hob abwartend eine Augenbraue. „Das Telefongespräch hat mir gesagt wie es dazu gekommen ist, dass du Schuldig hinterher gegangen bist, aber nicht wie es dazu gekommen ist, dass er mich angefleht hat euch abzuholen und das mehrfach.“ „Gilt dir in den Hintern schieben auch als anderweitige Entsorgung?“, fragte Aya mit wenig Hoffnung darauf, dass dem nicht der Fall war, aber mit viel Lust, eben dies zu tun. Die Worte des Amerikaners ließen ihn dann jedoch nachdenklich werden, soweit es sein Zustand erlaubte. Schuldig hatte ihn angefleht? Sicherlich, Schuldig war verzweifelt gewesen. „Als er Nagi unterstützt hat, bin ich ihm gefolgt. Als wir dieses Massaker gesehen haben und die Polizei gekommen ist, sind wir beide geflohen… er ist geflohen und ich bin ihm gefolgt. Auf das Dach eines halb eingestürzten Parkhauses. Irgendwie… hat er mich dann…“ Aya stockte, versuchte sich an das zu erinnern, was passiert war und das Zittern nahm wieder zu. Mit Gewalt versuchte er es unter Kontrolle zu bekommen. „An was ich ich erinnere, ist, dass ich mit dem Unterkörper auf dem Asphalt lag und dass er mich mit dem Oberkörper über den Abgrund gehalten hat.“ Aya schloss seine Augen vor der Angst, die er immer noch spürte. „Das erklärt einiges.“ Brad wandte sich wieder nach hinten und holte aus der Tasche, die dort stand eine Thermoskanne und schraubte diese auf um in den dazugehörigen Becher einen Tee einzuschenken, der mit einem guten Schuss Rum versehen war. Brads Spezialgetränk, wenn er als letzte Reserve in ihrem ‚Planungswagen’ in die Bresche springen musste um Schuldig aus irgendeinem Loch zu ziehen, in dem dieser feststeckte, weil er sich - wieder einmal - zu weit vorgewagt hatte. „Hier… das wärmt dich vielleicht etwas.“ Schuldig hatte Ran über das Dach eines Parkhauses ‚entsorgen’ wollen. Was beide ordentlich erschreckt hatte. Aya ergriff den Becher, dankbar, den Riegel nun liegen lassen zu können und nahm vorsichtig einen Schluck. Danach einen zweiten und dann hielt er sich ganz an dem Becher fest. Leichter Rumbeigeschmack drängte sich ihm auf und Aya war dankbar über den Alkohol. Vielleicht ließ er ihn ruhiger werden. „Er meinte, wenn er mich fallen ließe, hätte er ein Problem weniger. Dann würde ihn niemand mehr zwingen zu vergewaltigen.“ Ayas Stimme war leise, bitter sogar und er musste schlucken. Brad beäugte die schmähliche Vernachlässigung des Riegels. „Der Riegel wartet immer noch. Bring mich nicht dazu ihn in den Tee zu werfen damit du ihn trinken kannst“, warnte Brad. „Denk daran, dass wir dich nicht brauchen können, wenn du hier erneut deine Lider von innen betrachtest.“ Aya hasste Crawford dafür, dass dieser Recht hatte mit dem, was er sagte. Er nützte den beiden gar nichts so wie er momentan war. Also… Ein weiterer Blick traf auf den Riegel, dieses Mal mit absoluter Verachtung und er schob sich den Rest gänzlich zwischen die Lippen, kaute mit Widerwillen, zermalmte dieses widerliche Zeug und schluckte es kloßweise hinunter um mit dem Tee nachzuspülen. Wenigstens der schmeckte. „Gut.“ Brad lehnte sich im Sitz zurück. „Zurück zu Schuldig und dir. Kannst du mir sagen warum ihr derart masochistisch veranlagt seid? Ihr beide schenkt euch in diesem Punkt nichts“, sagte er mit ruhiger Stimme, der drohende Unterton, der zuvor in der Sache des Eiweißriegels noch vorgeherrscht hatte, fehlte nun gänzlich. „Wenn ich dich schon seit Monaten ficken würde, dann würde ich dir diese Frage beantworten, doch so ist sie etwas zu intim gestellt, meinst du nicht auch?“ Sie brauchten Ehrlichkeit, das stimmte schon, aber Aya hatte nicht vor, Crawford sein Seelenleben auszubreiten. Er schwieg einen Moment lang. „Wir haben uns als Feinde getroffen, gelegentlich bei Aufträgen, wie du selbst weiß. Näher haben wir uns kennen gelernt, als ich damals in Gefangenschaft bei ihm war… keine gute Basis, aber es war eine. Als wir uns dann näher gekommen sind, stand das nie im Vordergrund, aber unterbewusst war es da. Und irgendwann war es wichtiger, den anderen nicht zu verlieren. Sehr viel wichtiger. Alles bestimmend, quasi.“ Aya hielt Crawford den Becher hin, damit dieser ihn noch einmal voll machen konnte. Brad nahm den Becher entgegen und reichte Ran den zweiten Riegel hinüber. Ein simpler Schokoriegel mit vielen Kalorien. Der Becher wanderte in eine der Halterungen und blieb leer. „Du hast keinen Grund um ausfällig zu werden. Wir sind schon längst bei Intimitäten angekommen, falls dir das entgangen sein sollte.“ Brad blickte zu dem nachdenklich blickenden Japaner hinüber. „Den anderen nicht zu verlieren ist ein guter Ansatz wird bei euch beiden jedoch gelegentlich von euch selbst sabotiert, was mich zu dieser - deinen Unmut erregenden - Frage brachte.“ Aya starrte währenddessen den Schokoriegel in seiner Hand an, den er im Verdacht hatte, genauso widerwärtig zu schmecken wie das, was er vorhin bekommen hatte. Also legte er ihm Crawford ohne viel Federlesens wieder auf den Oberschenkel. „Nicht ohne Tee“, bestimmte er, denn der schmeckte ihm wirklich. „Wo sind wir intim? Dass wir den jeweils anderen an Teilen unserer Gedanken teilhaben lassen, ist unabdingbar, besonders im Hinblick, dass wir eine Gemeinsamkeit haben: Schuldig. Ich habe allerdings nicht vor, dir meine innersten Gedanken darzulegen. Wofür du Verständnis hast, nehme ich an, denn du scheinst in der Hinsicht genauso zu sein wie ich.“ Brad sah das ein wenig anders. Allerdings bargen für ihn ihre Umarmungen in der Zeit, als sie Schuldig tot glaubten, eine gewisse Intimität. Er durfte jedoch nicht den Fehler machen und von sich selbst auf den Japaner schließen. „Wie du meinst“, sagte er unbestimmt und ließ auch dieses Thema fallen. Seine Gedanken glitten zu Schuldig und er hoffte, dass dieser nicht trotz seiner Warnung Dummheiten machte. Trotz seines sadistischen Verhaltens im Krankenhaus und der ungeheuren Macht, die Schuldig ihm damals sehr eindrucksvoll demonstriert hatte machte sich Brad Sorgen um ihn. Es war selbst für ihn nicht nachzuvollziehen, warum er seine Wut über den Telepathen hinter sich lassen konnte, sobald die Sorge um ihn Einzug hielt. „Iss den Schokoladenriegel, ansonsten bist du nach dem nächsten Becher betrunken.“ Ein Blick traf Crawford, der alles ausdrückte, nur kein Vertrauen. „Sicherlich“, lächelte Aya schwach. „Und wenn ich dieses eklige Zeug aufgegessen habe, sagst du, dass ich doch keinen Tee mehr bekomme.“ Er streckte seine Hand aus. „Schokoriegel und Tee oder du darfst Schuldig erklären, warum du mich nicht zum Essen bewegen konntest, Orakel von Schwarz.“ Ihm war zwar immer noch latent schwindelig, aber er war schon ruhiger und gelassener. „Oh, ich denke, dass Schuldig genau weiß, wie nervtötend sein Honeybunny sein kann, wenn es etwas will oder nicht will“, erklärte Brad spöttisch und sprach den übertriebenen Kosenamen in ziemlich breitem amerikanischen Akzent aus. „Und falls es dir entgangen ist, du hast bereits einen davon gegessen, mein Auftrag ist ausgeführt.“ „Ich denke nicht, dass sich Schuldig mit einem gegessenen Riegel zufrieden geben wird, Big pimp daddy.“ Ayas säuerliche Miene drückte nur zu gut aus, was er von dem Kosenamen hielt, den er sehr wohl verstand. Er sah sich im Wagen um und suchte die Thermoskanne, die Crawford doch wohl irgendwo hierhin gepackt haben musste. Gerade eben hatte er sie doch noch in der Hand gehalten. Aufseufzend ließ Aya seine Hand sinken, rührte aber auch den Riegel nicht an. Brad empfand das Gespräch langsam als ermüdend. „Du wirst es ja wissen, schließlich muss sich Schuldig offenbar öfter Sorgen um dein leibliches Wohl machen. Als hätte er nicht schon Sorgen genug“, fügte er seufzend hinzu. „Auch glaube ich kaum, dass er mir diese Nacht deswegen in irgendeiner Form Schwierigkeiten jeglicher Art machen wird.“ Ganz im Gegenteil. Brad würde ihm Schwierigkeiten machen, wenn er so weiter machte. Schuldig war innerlich aufgelöst und verzweifelt gewesen - seine Augen hatten ihm das gesagt und Brad war sehr unzufrieden damit ihn gehen haben lassen zu müssen. Und das auch noch wegen so einer Dummheit. „Muss er nicht. Ich bin erwachsen genug, um auf mich selbst aufzupassen“, erwiderte Aya und ließ seinen Kopf zur anderen Seite fallen. Ihm war warm und er war entspannt, das zählte für ihn in diesem Moment. Was natürlich auch zählte war der Stolz, der ihn davon abhielt, den zweiten Riegel anzubrechen ohne eine weitere Tasse. Irgendwie schon latent unerwachsen, sagte er sich selbst, doch er hatte keine Lust, jetzt noch irgendwelche eigenen Hürden zu überwinden. Brad lachte leise auf, enthielt sich aber eines Kommentars. Diese verbohrte Sturheit amüsierte ihn. Sie schwiegen eine Weile in trauter Zweisamkeit. Brad blickte wiederholt auf seine Armbanduhr. „Du hast Recht. Ich hätte dir keinen zweiten Becher gegeben, selbst wenn du den Schokoladenriegel gegessen hättest.“ Er lächelte. „Der zweite Becher ist für Schuldig. Denn so fertig wie er hier angekommen war mit dir hinten drauf hätte ich ihn nicht für viel zurückfahren lassen.“ Ayas Kopf wandte sich sehr langsam wieder zurück zu Crawford und bedachte den anderen Mann mit einem wissenden Blick. „Du bist ein vorhersehbares Orakel, Brad Crawford“, murmelte er und seine Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln bei diesem Wortspiel. Er hatte es gewusst, er hatte es wirklich gewusst! „Was, wenn irgendjemand den Besitzer der Waffe ermitteln kann? Was, wenn doch unsere Fingerabdrücke darauf sind? Wenn sie uns irgendwann einmal zum Verhängnis werden wird?“ „Es wäre dumm von euch auf euren Waffen Fingerabdrücke zu hinterlassen. Im Übrigen, wo habt ihr diese Waffe her? Schuldigs Waffen haben keinerlei Registrierungsnummer. Wir pflegen diese zu entfernen.“ Brads Stimme strotzte nur so vor Spott und Skepsis. Er würde Schuldig den Hals umdrehen, wenn er derart schlampig arbeiten würde. Crawfords Spott wurde mit einem gepflegten Mittelfinger quittiert, den Aya doch noch – und wenn es ihn den letzten Rest seiner Kraft kostete! – langsam emporhob in Richtung Amerikaner. Doch so langsam er hochkam, so schnell sank er auch wieder, weil selbst das Aya anstrengte. Selbst das Reden strengte ihn an. „Das Wetter ist schön draußen, meinst du nicht auch?“, fragte er grimmend. „Was hat Nagi hier eigentlich zu suchen gehabt? War es eine heiße Spur?“ „Nein. Es war lediglich ein Routinecheck. Wir wollten einige Verbindungen zwischen den Familien überwachen - für kurze Zeit. Dass diese harmlose Überwachung auf diese Weise abgebrochen wurde, war mir vorher nicht bewusst, ich habe davon erst kurz bevor Nagi sich bei mir meldete erfahren. Offenbar hat Schuldig sich spontan zu bestimmten Aktionen hinreißen lassen. Ich hatte kurz hintereinander mehrere Visionen. Auswerten können wir das Geschehene erst, wenn die Bilder und die Daten der Polizei abrufbar sind, was noch etwas dauern könnte. Schuldig wird mir so einiges erklären können.“ „Hm…“ Kurz schloss Aya die Augen, doch kurz bevor er eindöste, rappelte er sich hoch, fuhr schier vor Schreck im Sitz zusammen. Er durfte nicht einschlafen, er musste wach bleiben. Solange wach bleiben, bis Schuldig wieder da war. Wenn er ehrlich war, genoss er die Stille, die im Van herrschte, wozu auch die ruhige Präsenz an seiner Seite beitrug, die ungewöhnlich leger gekleidet war. Jeans, Hemd, Pullover. Das war ja fast sportlich. „Ich habe früher immer gedacht, du wärst im Anzug geboren worden.“ Brad überlegte für einen kurzen Augenblick woher der Japaner dieses Thema gerade nahm. „Wie kommst du darauf, jetzt etwas anderes zu denken?“ Brad bedachte den Mann mit einem gelangweilten Blick. „Ich habe jetzt wiederholt gesehen, dass du keine Anzüge trägst. Das betrachte ich als Fortschritt.“ Fortschritt wohin?, fragte sich Aya im Stillen. Er wollte doch keinen Fortschritt mit dem anderen Mann. Nun, zumindest nicht, was das freundschaftliche Annähern anging. Oder? Die Zeit vor Schuldigs Wiederkehr hatte ihm anderes gezeigt. Dort waren sie friedlich gewesen. Zueinander. Miteinander… Brads Gesicht trug den Hauch von übertriebenem Zweifel, als er in den Seitenspiegel blickte als könne er Schuldig kommen sehen. Was noch nicht der Fall war. „Fortschritt? Ich habe nicht vor mich von eurem Lack und Lederstyle assimilieren zu lassen“, knurrte er. Er liebte seine Anzüge. Seine Hemden. Crawford würde sich nicht assimilieren lassen? Aya brachte das zum Schmunzeln. Er konnte sich den anderen allerdings gut in so einer Kluft vorstellen. „Hast du noch nie Lack und Leder getragen? Auch nicht bei einem Auftrag zur Tarnung?“ Hoffentlich war die Frage nicht zu offensichtlich gestellt, bediente sie ja Ayas dunkle Seite mit Fantasien… dem Amerikaner gehörte ein Halsband angelegt, inklusive Manschetten und Ketten… Aya runzelte die Stirn. Wo war das denn jetzt her gekommen? „Ich glaube dein zu niedriger Zuckerspiegel sorgt gerade dafür, dass du diese seltsam wirkenden Fragen stellst.“ Brads Stimme klang unterkühlt. „Vielleicht hätte ich dir besser doch den ganzen Tee überlassen.“ Dann hätte er jetzt mit Sicherheit seine Ruhe. „Hättest du, ja. Also willst du mir auf meine Frage nicht antworten?“, fragte Aya. Es mochte wirklich der Zuckerspiegel sein, der ihn soviel Spaß haben ließ, den anderen zu triezen und sich nicht durch dessen eiskalten Ton abschrecken zu lassen – der ihn noch nie hatte abschrecken können. Würde er Crawford doch noch etwas mehr provozieren. Sein Kopf wandte sich nach vorne und er starrte aus der Frontscheibe. „Lack und Leder haben so ihre Vorteile“, begann er mit einem doch recht breiten Lächeln um die Mundwinkel. „Warm, bequem, nicht spießig, Wasser abweisend…“ „…schön eng anliegend, wie dieser Schokoladenriegel in deiner Mundhöhle, wenn du ihn komplett hineinschieben würdest.“ Brad hatte genug. Der Monolog konnte lang werden, zu dem Fujimiya angesetzt hatte und Brad hatte keine Möglichkeit zur Flucht, also musste er anderweitig für die gewünschte Ruhe sorgen: der Schokoladenriegel wanderte schnell und effizient zwischen Rans Lippen, mit etwas Nachdruck selbstverständlich. Mit etwas sehr viel Nachdruck, denn plötzlich blockierte ein großes, sperriges Stück Schokolade Ayas Monolog und er grunzte empört über diese rabiate Behandlung. Allerdings blieb ihm auch nun nichts anderes übrig, als dieses Ding zu essen. Das hieße, erst einmal zu kauen und dann zu schlucken, was er jetzt mit einem teuflischen Blick auf Crawford tat. Es dauerte seine Zeit, bis Aya den Rest des Riegels hinuntergewürgt hatte, der eindeutig besser schmeckte als der vorherige. „Ich hoffe nicht, dass du immer so rabiat bist, wenn du anderen längliche Dinge in den Mund schiebst“, grollte er. „Wenn ich noch einmal gezwungen sein sollte einen Vortrag über die Vorzüge von Lack und Leder anzuhören sind unter deinem Sitz noch genügend längliche Dinge, die ich dir… in den Mund schieben könnte.“ Brads Blick glitt zu Fujimiya und sagte deutlich, dass er vor einem erneuten Schokoladenriegelanschlag nicht zurückschrecken würde. Aya, der trotz dem besseren Geschmack in seinem Mund nicht darauf versessen war, noch einen Riegel zu sich nehmen zu müssen, schwieg daraufhin natürlich. Schließlich lernte auch er aus seinen Fehlern. Was nicht hieß, dass es ihm nicht doch gut tat, hier mit Crawford zu… ja… herum zu spaßen. Aufseufzend drehte er seinen Kopf nach vorne und schloss die Augen ein weiteres Mal, ließ dem Zucker Zeit, sich in seinem Körper breit zu machen. Ja, diese Ruhe war schon wesentlich besser, schwelgte Brad fast schon und rutschte in seinem Sitz ein wenig tiefer. Kurz danach meldete sich Schuldig und kündigte seine baldige Rückkehr an. „Er ist unterwegs“, gab er die Information weiter. Wenn er Schuldig wieder in seinen Händen hatte, dann würde sich dieser ein Satz heißer Ohren einfangen und nicht nur das: ein Vortrag über misslungene Einsätze und eigenmächtiges Handeln würden ebenso folgen. Sofern er dem niedergeschlagenem Telepathen samt seines havarierten Selbstbewusstseins, welches sich in dessen Augen zeigen würde, widerstehen könnte… Aya war erleichtert, dass Schuldig nun zurückkam, denn in seinen Augen war die Gefahr immer noch nicht gebannt… vielleicht trieben sich ja noch andere am Tatort herum, andere, die auch sie schon angegriffen hatten. „Sei nicht so streng mit ihm“, sagte er leise, hatte er doch Crawfords Gesichtsausdruck gesehen. „Er ist aufgewühlt, sehr sogar. Und wage es ja nicht, ihn zu schlagen. Du hast ihn schon genug geschlagen in der Vergangenheit.“ „Schuldig ist kein Kind und wir sind auch kein Ehepaar, auch wenn du dich anhörst wie eine besorgte Ehefrau, Fujimiya.“ Zugegeben nervige Ehefrau. „Deine Ratschläge behalte für di…“, weiter kam er nicht, da er das Motorengeräusch hörte, welches sich schnell näherte. Brad sah Schuldigs Maschine. ‚Bin da’, kam es in seine Gedanken geschlichen und Brad stieg aus um zur hinteren Ladetür zu gehen und diese zu öffnen. Er war nur ein kurzer, vorsichtiger Gedankenkontakt, den sich Schuldig erlaubte. Als hätte er Angst Brad zu nahe zu treten, hielt er den telepathischen Kontakt auf ein Minimum beschränkt. Und tatsächlich war es Angst und ein unbeschreibliches Gefühl welches am Besten mit Unwohlsein zu benennen war, welches Brad erfasst hatte, seit Schuldig gewaltsam in seine Gedanken eingedrungen war. Brad drängte diese Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf die Gestalt des Telepathen, die er besser händeln konnte als die sorgenvollen und düsteren Gedanken, die dessen Fähigkeiten und seine Launen betrafen. Schuldig stieg ab, während Brad die kleine Laderampe ausfahren ließ. Den Helm abnehmend versuchte Schuldig zu erkennen in welcher Stimmung Brad war und streifte flüchtig dessen Gesicht mit einem Blick. Aya wusste, dass Schuldig gleich zu ihnen kommen würde, deswegen verbrauchte er jetzt auch keinerlei Kraftreserven, um sich zu Schuldig umzudrehen oder gar zu versuchen, das Auto zu verlassen. Er sollte seine Ratschläge für sich behalten? Dabei hatte er doch nur zu sehr recht mit dem, was er sagte. Crawford schlug gerne zu, zumindest hatte es den Anschein und das konnte Schuldig im Moment nun gar nicht vertragen. Schuldig fuhr die Maschine über die Laderampe in den Van und Brad schloss die Türen hinter ihm. Während dieser um den Wagen herumkam ging Schuldig nach vorne und kam zu Ran, setzte sich hinter diesen in den dritten Sessel der nachträglich eingebaut worden war. „Hab sie gefunden, ein paar Kratzer hat sie abbekommen.“ Schuldig sah, dass Ran wesentlich wacher war und seine Hand strich über dessen Oberarm. „Geht’s dir besser?“ Ayas Hand wiederum fischte nach Schuldig und er versuchte sich in seinem Sitz umzudrehen. Trotz seiner Wachheit war das aber eine ganz eigene Kraftprobe, die er fast verlor. Er lächelte leicht und strich nun seinerseits über Schuldigs Hand. „Ja. Dir auch?“ Aya war erleichtert, dass die Waffe wieder da war, dass nun nichts, aber auch absolut gar nichts auf sie hindeuten würde. Brad rutschte auf den Beifahrersitz, ließ den Wagen an und sie fuhren aus der schmalen Nebenstraße in Richtung Yokohama. Schuldig lehnte seinen Kopf an Rans Rückenlehne und schloss die Augen. Was für ein Fiasko. Zumindest hatte er seinen Kopf etwas klären können als er auf der Suche nach der Waffe gewesen war und er hatte den Ermittlern ein wenig auf den Zahn fühlen können wo überall Vorkehrungen zur Absperrung der Straße getroffen worden waren. Seine Finger und Handinnenflächen stachen im dumpfen Schmerz vor sich hin. Er spürte jetzt erst, wo er zur Ruhe kam, wie das Blut zwischen dem Handschuh und seiner Haut feucht und warm klebte. Ein ekliges Gefühl. Eine Weile fuhren sie schweigend, dann jedoch wurde sich Aya bewusst, was er schon die ganze Zeit unterbewusst wahrgenommen hatte, was sich ihm aber nun schier aufdrängte, je länger er dem nur allzu bekannten Geruch hinterher schnupperte. Blut. Kaltes Blut. Diesen Geruch würde er nicht vergessen, ganz gleich, wie lange er schon nicht mehr getötet hatte. „Es riecht hier nach Blut“, veräußerte er seine Gedanken und drehte sich halb um, sah alarmiert zu Schuldig. Schuldigs Hand schlich sich automatisch ein wenig hinter den Sitz. „Nur ein tiefer Kratzer an der Hand. Das wird wohl das Blut sein im Handschuh“, sagte Schuldig mit angeschlagener Stimme in den Sitz hinein. Lieber halb gelogen als voll erwischt, meinte Schuldig für sich und richtete sich etwas mehr auf. „Hast du einen Schokoriegel gegessen?“ „Einen und eine Folter für jegliche Geschmackszellen“, sagte Aya leise mit einem kurzen Seitenblick auf Crawford. Gut, wenigstens konnte er dem Orakel nicht vorwerfen, ihn zu diesem ekelhaften ersten Riegel gezwungen zu haben. Seine Hand fischte nach hinten. „Lass mich den Kratzer sehen.“ „Zuhause, okay? Hier haben wir ohnehin nicht das geeignete Zeug um den Kratzer zu reinigen.“ Schuldig lehnte sich seitlich an Rans Sitz an und spürte wie bleierne Müdigkeit an ihm zog. Er gähnte verhalten und als er die Augen aufschlug erblickten diese eine Thermoskanne. „Ist das der gute, alte Spezialtee?“, richtete er an Brad. „Der gute, alte Spezialtee“, sagte dieser zur Bestätigung und Schuldigs Mundwinkel zierte ein kleines Lächeln. Er sah sich nach dem Becher um, der auf die Kanne gehörte und fand diese in der Halterung vorne zwischen den Sitzen. „Hast du ihm das Zeug gegeben? Ich dachte, das dürfte nur ich trinken?“, empörte sich Schuldig halbherzig mit weichem Spott in Richtung Brad. „Gibst du mir den Becher, Ran?“ „Das war eine Ausnahme. Er hat hier angefangen zu winseln und zu zittern, wie ein ausgesetztes Kätzchen. Ein Notfall wenn du so willst“ , räumte Brad ein. „Winseln? Zittern? Das wünschst du dir, Amerikaner, das wünschst du dir!“, schnaubte Aya mit einem letztem, kritischen Blick auf Schuldig und dessen Ausweichmanöver. Er wollte sich die Hand anschauen, wenn sie zuhause waren. Er drehte sich langsam um und nahm den Becher, gab ihn Schuldig. Brad gönnte sich ein entsprechend zufriedenes Lächeln in Richtung des Japaners. Offenbar hatte er einen wunden Punkt getroffen. Schuldig rollte mit den Augen und nahm den Becher entgegen um sich von dem leckeren Tee einzuschenken. „Ich liebe das Zeug. Das gibt es nur in Einsätzen, wenn Brad mit raus muss.“ Deshalb hatte er es sich früher schon zum Ziel gemacht Brad von seinem Schreibtisch weg zu locken… „Säufer“, murmelte Aya, jedoch nicht erbost über die Zärtlichkeit und den Wehmut in Schuldigs Stimme, die dieser Crawford entgegenbrachte. „Alle miteinander!“ Dass er selbst auch gerne getrunken hätte, verschwieg er dann mal galant. „Er ist angesäuert, weil ich ihm keinen zweiten Becher gegeben habe.“ Brad wollte dies natürlich nicht verschweigen. „Kann ich mir denken.“ Schuldig nahm einen Schluck und hielt den Becher still und heimlich Ran an die Lippen. Ihr könnt mich beide mal, dachte sich Aya, nahm jedoch ebenso still und heimlich einen kleinen, dankbaren Schluck. Na, vielleicht durfte Schuldig ihn mal ein paar Mal öfter können als Crawford. Also ungefähr hundert Prozent. Sie fuhren über ein paar kleinere Umwege und kamen schließlich nach mehr als einer halben Stunde an Schuldig und Rans Wohnung an. „Fahr den Wagen in die Garage“, wies Schuldig Brad an und machte Anstalten auszusteigen. Brad hatte angehalten und wartete, bis sie ausgestiegen waren. Schuldig kam um den Wagen herum und öffnete die Beifahrertür um Ran vom Sitz zu helfen. Was ihnen beiden schließlich auch recht umständlich gelang, denn Aya bestand darauf, nicht getragen zu werden, sondern auf Schuldig gestützt selbst zu laufen. Komisch… warum erinnerte ihn gerade dieser Moment ganz plötzlich an den allerersten Weg in Schuldigs Wohnung? Den unfreiwilligen Weg damals? Weil er ebenso hilflos gewesen war? Doch auf eine ganz andere Art und Weise. Auch jetzt hatte er die beiden älteren Schwarz an seiner Seite, doch nun… Nun vertraute er ihnen, wollte er den Gedankengang fortsetzen, doch eine Stimme in ihm, eine kleine Stimme sagte, dass er heute Abend gelehrt worden war, dass selbst der Partner in der Lage dazu war, ihn umzubringen. Beinahe umzubringen. Nein… das war die Verzweiflung gewesen. Dennoch. Es konnte wieder vorkommen. Aya erschauerte und konzentrierte sich auf den Weg nach oben, denn das bot ihm wenigstens eine gelungene Abwechslung. Wenig Abwechslung hatte dagegen Schuldig in seinen Gedanken. Er lief mit niedergeschlagenem Gemüt neben Ran her, bis sie in der Wohnung angekommen waren. Brad folgte mit etwas Abstand, denn er telefonierte mit Nagi um dessen Aufenthaltsort und dessen Befinden zu erfahren. Schuldig dirigierte Ran in Richtung ihres Schlafzimmers, denn dort war es nicht ganz so chaotisch wie im Rest der Wohnung. „Soll ich dir etwas zu trinken holen?“ Das Schlafzimmer war Aya nicht so lieb wie der Wohnbereich, in dem er bei den anderen beiden hätte sein können, doch er war auch froh, auf das Bett gelegt zu werden. Er brauchte Ruhe und Schlaf, wollte aber Schuldig bei sich wissen. „Und etwas zu essen?“, fragte er, seine behandschuhte Hand in Schuldigs lederne schiebend. „Außerdem wollte ich noch nach deinem Schnitt schauen.“ Ein leises Miauen unter dem Bett ließ ihn zusammenfahren, hatte er doch im ersten Moment nicht mit Banshee gerechnet. Doch als er sie rufen wollte, stob sie unter der Matratze hervor und lief in Richtung Wohnraum. „Ich glaube die wird mich mindestens eine Woche mit würdeloser Nichtachtung strafen“, sagte Schuldig und blickte dem fliehenden Fellknäuel hinterher. Er stand einen Moment untätig vor Ran. „Bin gleich wieder da, ich hol dir nur schnell was zu essen und du kannst es dir ja schon bequemer machen. Die Hand kann ich selber versorgen, bin ja auch selber Schuld dran. Mach dir keine Sorgen, das hast du schon zu Genüge heute.“ Schuldig knipste das kleine Licht in der Ecke an. Bleib!, rief eine Stimme in Aya, eine andere jedoch verbot ihr das Sprechen. Nein, er brauchte Ruhe, noch eine weitere Nacht Schlaf, auf dass er diese Schwäche loswurde, die nun schon seit dem Dach des Parkhauses von ihm Besitz ergriffen hatte. „Du hättest sie fast getötet…“, murmelte Aya beinahe lautlos, wen er damit meinte, war klar…Banshee, nicht wahr? Oder sie beide, Banshee und ihn. Schuldig hatte das Schlafzimmer verlassen und war nun in der Küche um Ran etwas zu Essen zuzubereiten. Ein kleiner Imbiss sollte es werden. Brad hatte ähnliche Aussetzer von Schuldig in der Vergangenheit erlebt, schließlich hatte dieser in seiner letzten Wohnung aus gutem Grunde Sicherheitsglas in den Fenstern. Nach einem kleinen Rundgang kam er zu Schuldig und nahm diesem das Messer aus der Hand. „Setz dich hin, ich übernehme das hier. Das ist doch nicht nur ein Kratzer in diesen Händen, oder irre ich mich.“ Brads Iriden sezierten Schuldigs zusammengesunkene Gestalt, die sich gerade auf dem Hocker platzierte. „Nein“, sagte Schuldig und verzog die Lippen. „Die Handschuhe auszuziehen wird nicht lustig werden.“ Er zuckte mit den Schultern. „Aber das war der ganze Abend sicher auch nicht.“ Brad sagte nichts darauf und machte Ran das Sandwich, reichte es schließlich Schuldig weiter. Kurz darauf wurde Aya das Sandwich gebracht und er stemmte sich umständlich hoch. Nur noch ein wenig Kraft, dann konnte er schlafen, nachdem er gesättigt war. Sich Schuldig betrachtend, biss er langsam in das Sandwich, legte es auf den Teller. „Du gehst aber nicht weg, oder?“, fragte er misstrauisch, argwöhnisch gar. Nein… wie sollte Schuldig denn auch gehen? Crawford war doch hier. „Mit Crawford hier als dreiköpfigem Cerberus?“, fragte Schuldig tatsächlich erstaunt über Rans Frage. Das schaffte niemand, auch er nicht, sich da davonzuschleichen. Er hatte auch gar keinen Nerv mehr auf irgendwelche Manöver in diese Richtung. Es tat ihm alles sehr Leid. Das Erstaunen tat gut, zeigte es Aya doch, dass Schuldig tatsächlich hier bleiben würde. Er nickte leicht und vertilgte mit Mühe den Rest des Sandwiches, das Glas Wasser gleich hinterher. Erst dann legte er sich so, wie er war, auf die noch unordentlichen Decken und sah Schuldig von unten an. „Lass uns morgen reden.“ Und sie würden viel zu reden haben. Sehr viel. Doch eines musste er heute noch klären. „Du hast mich nicht vergewaltigt, Schuldig“, sagte er leise, denn er wollte nicht, dass es irgendjemand außer ihnen beiden hörte. Zudem schmerzte es, diese Worte auszusprechen. Schuldig nickte und der Kloß der plötzlich in seinem Hals zu spüren war legte sich in einer feucht schimmernden Schicht über seine Augen. „Ja.“ Das war das einzige was er sagte bevor er das Licht dimmte, das Schlafzimmer verließ und die Tür anlehnte. Vor der Tür atmete er tief ein, straffte sich und ging den breiten Flur entlang, der sich in das weitläufige Wohnzimmer ergoss und einen freien Blick auf die nun zerstörte Fensterfront bot. Schuldig blieb stehen und sah mit einem bedauernden Gesichtsausdruck auf das, was er da in seinem Wahn angerichtet hatte. Am besten, er räumte alles auf bis Ran aufwachte, sodass er sich nicht mehr so ganz schlimm an die letzten beiden Nächte erinnert fühlte. Die Tatsache, dass er ihn umbringen wollte konnte er mit einer kleinen Aufräumaktion jedoch nicht auslöschen oder die Schwere des Vorkommnisses mildern. Die gazeartigen Vorhänge wogten auf als der Wind vom Meer hereinfegte. Durch die feine Gaze sah er Brads Gestalt auf dem Balkon stehen. Schuldig durchquerte das Trümmerfeld seiner Verzweiflung und kam zu den zerstörten Doppeltüren, die hinaus führten. Der Mond war zwar nicht zu sehen aber in den Wolken reflektierte sich das Licht der Städte und legte einen kühlen diffusen Schein über alles. Brad war ihm zugewandt, er lehnte am Geländer, sein Blick ging in Richtung Lichtermeer der Stadt und somit sah Schuldig nur Brads strenges aristokratisches Profil. Schuldig wurde von dieser so ruhig dastehenden Gestalt angezogen und ging auf sie zu, bis Brad sein Gesicht ihm zuwandte und er neben diesem stehen blieb und sich diesen wissenden Augen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert fühlte. Er sah in Richtung Wasser, welches dort schwarz und grau vor sich hin wogte. „Ich war völlig außer Kontrolle. Ich verstehe nicht warum ich diese Aussetzer habe und sie nicht besser unterbinden kann.“ Brad schwieg für lange Momente und Schuldig glaubte schon er würde diese selbstanklagenden Worte unkommentiert lassen, wollte er doch ein Gespräch, als Brad zu sprechen begann. „Weil du sehr emotional bist. Das ist ein Teil von dir und den kannst du nicht unter Kontrolle zwingen. Es sei denn du gibst einen großen Teil von dir selbst auf. Was bleibt dann noch übrig?“ Das hatte sich Brad oft in den letzten Tagen gefragt. Was bliebe noch von Schuldig ohne seine Telepathie, ohne seine an Genialität grenzende Verrücktheit? Schuldig zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung“, murmelte er verdrossen und zog eine mitleiderregende Schnute. „Die Frage kann ich dir beantworten und ich denke, dass du selbst weißt, dass dann nicht mehr viel von deiner Persönlichkeit vorhanden wäre. Davon abgesehen, dass du gerade durch deine Emotionalität deine Wut in Bahnen lenken kannst, die weit weniger gefährlich für dich und für alle anderen sind.“ Schuldig wandte den Blick Brad zu. Ein zartes mit sich selbst sich versöhnendes Lächeln kreiste um seine Mundwinkel. „Du zählst erst mich auf und dann die anderen? Hört sich an, als gelte meine Sicherheit sehr viel in deinen Augen.“ Brad hob spöttisch die Braue. Schuldig erkannte dies sogar im spärlichen Licht. „Ja. Ich weiß“, sagte Schuldig zerknirscht. Er wusste, was er Brad im Krankenhaus angetan hatte. Wut und Verletztheit hatte ihn beherrscht. Brad sagte nichts dazu. Schuldig machte einen halben Schritt auf Brad zu, fühlte die Arme, die sich um ihn schlossen und senkte die Lider als seine Stirn Brads Schulter berührte. Was bei Ran momentan nicht möglich für ihn war, weil er sich seiner Schuld und der daraus resultierenden Scham noch zu sehr ausgeliefert fühlte, geschah hier bei Brad: Er fühlte sich sicher und angenommen vor dem hohen Gericht seines Selbst. Schuldig hätte heulen können, so schlimm fühlte er sich, doch er riss sich zusammen. Brad und großes Geheule passte nicht zusammen. Und dabei hatte er es sich mit Brad vor nicht allzu langer Zeit auch verscherzt. Dennoch hatte dieser ihm augenscheinlich verziehen. Doch in dessen Gedanken getraute sich Schuldig nur in Ausnahmen hinein. Er fürchtete dessen Angst vor ihm. Nach ein paar Minuten, es hätte auch länger sein können hörte er und fühlte er Brads leise Stimme. „Was ist mit deinen Händen? Die Glasscheiben?“ Schuldig nickte lediglich und löste sich. Brad gab ihn frei. „Wir gehen ins Bad und ich sehe mir das an.“ „Nein… ich krieg das hin. Es dauert nur länger. Ich will nicht, dass du…“ So schnell wie Schuldig mit seinen Widerworten anfing so schnell wurden sie auch effizient im Keim erstickt. Allerdings mit einer wenig liebevollen Note. Schuldig fing sich eine Ohrfeige ein. Und das auch noch ohne Vorwarnung. Die übliche Brad-Art eben. Auch wenn es nun absurd klang aber Schuldig rebellierte zwar innerlich gegen diese unfaire Behandlung, doch etwas wünschte sich Bestrafung, Kontrolle. Die Erinnerung an Gewohnheiten. „Ich sage das nicht noch einmal. Ich seh mir das an. Du hast heute deinen Willen in ausreichender Form kundgetan und durchgesetzt. Verstanden?“ Schuldig bewegte seine Kiefer übertrieben und provozierend, sagte jedoch nichts. Er ging voraus in Richtung Badezimmer. „Setz dich.“ Brad sah sich um. „Hinter der Tür, der Koffer dort“, half Schuldig ihm und freute sich diebisch, dass er Brad, dem großen Macher, doch noch helfen musste. Nach der Ohrfeige keimte schon wieder Rebellentum in ihm auf und er tat nichts um Brad zu helfen - dieser hatte ihm ja gesagt er solle sich hinsetzen. Schuldig setzte sich rittlings auf die Bank in ihrem Badezimmer - die laut Ran jedes Bad haben sollte, also auch ihres - und Brad setzte sich ihm in der gleichen Pose gegenüber, ein Handtuch zwischen sie platzierend. Der Koffer war noch geschlossen und stand neben Brad auf dem Boden. „Erst die Linke“, wies Brad ihn an und Schuldig hob die Hand. Er biss die Zähne zusammen als Brad ihm den Handschuh auszog und das verkrustete Blut welches schon angetrocknet war und sich nun ablöste, erneut die Schnitte aufriss. Seine Hand fing an zu zittern ohne dass er es wollte. Seine Finger sahen übel aus und seine Handinnenfläche nicht minder schlimm. „Dafür hättest du noch ein paar mehr Ohrfeigen verdient.“ Schuldigs Hand zitterte so schlimm, dass er sie zur Faust bildete, bis Brad einen Weg fand um die glitzernden Glassplitter, die sich festgesetzt hatten aus seiner Haut zu holen. Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie mit unterschiedlichsten Hilfsmitteln und dem Auswaschen der Wunden die erste Hand versorgt hatten und Brad sich mit Akribie an die zweite machen konnte. Schuldig beobachtete während der Prozedur Brads konzentriertes Gesicht. Er genoss den Anblick der konzentrierten Ruhe, genoss auch die Stimmung zwischen ihnen. Seine Gedanken glitten zu Ran und er fragte sich ob Brad wohl mit ins Schlafzimmer kommen würde. Ob er dessen Nähe genießen durfte. „Fährst du wieder?“, fragte er und stand auf, die Hände in weiche Baumwollhandschuhe eingepackt, damit die salbengetränkten Auflagen samt der Mullbinden nicht behinderten und an Ort und Stelle blieben. Brad verräumte die Utensilien in den Koffer, während Schuldig die Ledermontur öffnete und aus dem Oberteil herausschlüpfte. Brads Blick glitt kurz - wie zufällig - über Schuldigs freien Oberkörper, bevor er sich wieder seiner Arbeit zuwandte. „Soll ich fahren?“ „Nein.“ Die Antwort kam schnell. „Ich…“ Schuldig hielt inne, der Reißverschluss seines Overalls bis knapp unter den Bauchnabel gezogen. „Bleib hier. Ich fänds gut wenn ich dich in meiner Nähe hätte“, sagte Schuldig mit entwaffnender Ehrlichkeit, die ihm auch gleich zurückschoss als Brad den Koffer hochnahm und ihn zurück an seinen angestammten Platz räumte. „Ich bin nicht dein Aufpasser, Schuldig.“ Brad kam zu ihm und blieb eine halbe Armlänge vor ihm stehen, wusch sich die Hände am Waschbecken. Schuldig besah sich den Amerikaner und knurrte missgelaunt. „Was soll ich denn sagen? Dass ich es geil fände, wenn du mit mir im Bett liegen würdest und ich im Schlaf wüsste, dass du bei mir bist? Oder, dass ich dich in meiner Nähe spüren möchte? Ist das besser?“, keifte er. „Ja“, antwortete Brad und ein spöttisches Lächeln erschien auf seinem Gesicht als er sich zu Schuldig wandte. „Das ist in der Tat besser.“ Schuldig kniff die Lippen beleidigt zusammen und zuckte zusammen als Brad - den er eigentlich nach dem Handtuch greifen sah - an seinem Reißverschluss zog und diesen bis zum Bauchnabel hochzog und zwar möglichst harsch, sodass seine Weichteile darunter auch noch etwas davon hatten… o~ Fortsetzung folgt... Vielen Dank für's Lesen. Bis zum nächsten Mal! Gadreel & Coco Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)