Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 112: Ein perfektes Dinner? ---------------------------------- „Du bist pünktlich“, meldete sich Brad in kühlem Tonfall. „Ich vermisse dich auch, Ami“, gab Schuldig den ‚herzlichen’ Willkommensgruß zurück. Damit wusste Brad jedoch zugleich, dass es Schuldig gut ging, er in keinen Schwierigkeiten steckte, die ihn zu diesem Anruf mittels einer 9 mm Walther, oder seiner eigenen Luger an seiner Schläfe überredet hatten. Brad entspannte sich etwas, nahm einen Schluck Wein und spürte erst dann wie angespannt er gewesen war. Wenn seine Schwester hier in Tokyo ihm einen Besuch abstattete, wer konnte es ihm schon verwehren, einen Abgesandten in die Staaten zu schicken um nach dem Rechten zu sehen? „Wie läuft es?“ Brad schaltete auf Lautsprecher, damit Ran mithören konnte. „Ist Ran bei dir?“ „Eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten ist wenig produktiv.“ Aya grinste. Manchmal war es eine wahre Freude, die beiden zu erleben. Er hielt sich erst einmal zurück und bedeutete Crawford mit einem leichten Kopfschütteln, es ebenso zu versuchen. Er war erleichtert, dass Schuldig lebendig klang, sehr erleichtert, vor allen Dingen, da sich der Telepath in Amerika befand für die nächsten Tage um ein paar ihrer Spuren nachzugehen, die sie durch Manx‘ Informationen erlangt hatten. In Ayas Augen gefährlich, aber nicht so sehr, dass er sich nun die gesamten Tage über Sorgen machen müsste. „Soll ich in deinen lausigen Verstand eindringen und mir die Information holen oder sagst du mir freiwillig wo er sich herumtreibt?“, murrte Schuldig gelangweilt. Im Hintergrund hörte Brad, dass Schuldig mit etwas hantierte. Brad ließ den Kommentar, der sich um das Eindringen in seinen Verstand drehte unkommentiert. Es war ein kritisches Thema zwischen ihnen, über das Schuldig noch nicht ganz hinweg war. Brad selbst…hatte zu großen Respekt vor dieser Thematik um nebst dem Problem seiner Schwester sich auch noch damit auseinander setzen zu müssen. Wie er die Angst überwinden konnte, dass Schuldig wieder in Versuchung geriet um tiefer als nötig in seinen Verstand eindringen zu wollen, wusste er noch nicht. „Der streunende Kater sitzt neben mir und schüttelt den Kopf. Offenbar möchte er keinen Beitrag zu dieser Unterhaltung leisten. Vielleicht ist ihm eine Maus entwischt. Zumindest hat er ein entsprechendes Gesicht gemacht, als er vorhin hier aufgeschlagen ist.“ „Ran… hast du nichts gegessen?“, kam die direkte Anrede an besagten Kater und Brad lehnte sich zurück, toastete Ran spöttisch zu und nahm einen Schluck. Aya stellte fest, dass es vielleicht doch keine so große Freude war, die beiden zu erleben, zumindest, wenn sie es auf ihn abgesehen hatten. „Konzentrier dich auf deinen Auftrag, Schuldig und nicht darauf, wie ich es mit dem Essen halte!“, knurrte er gespielt böse. „Aber um dich zu beruhigen...“, kam es versöhnlicher hinterher, während er Crawfords Toast erwiderte und einen Schluck nahm. „...Crawford war so nett und hat extra für mich gekocht, einen Auflauf um genau zu sein. Ich denke, er wird meinen Hunger gut stillen.“ „Ich bin mir nicht sicher, wen von beiden du damit meinst. Aber ich vermute eher die Sache mit den fleischlichen Genüssen… im Auflauf“, sagte Schuldig ironisch. „Wenn du gerade Fantasien davon hast, wie Crawford mich mit besagtem sizilianischem Auflauf füttert, dann muss ich dich enttäuschen. Das wird er nicht, oder, Crawford?“ Ayas Blick ging mit erhobener Augenbraue zu Crawford selbst. „Ich werde dich enttäuschen müssen“, meinte Brad wenig interessiert an besagter Tat oder vielmehr Untat in Richtung Fujimiya. „Lass dich nicht von seinem Gerede täuschen, Brad, er steht darauf gefüttert zu werden.“ Schuldig konnte es nicht lassen und musste Ran aufziehen. Da pochte eine gewisse, japanische Halsschlagader aber ganz gewaltig. Er stand darauf, gefüttert zu werden? Wenn er Schuldig in die Finger bekam, ihn hier so zu... entblößen! „Dem kann ich nur beipflichten, Crawford... Schuldig steht drauf, von DIR gefüttert zu werden“, kam es leicht und selbstverständlich von Aya zurück. Brads Lippen verzogen sich zu einem gut versteckten Lächeln. „Das weiß ich“, erwiderte er dann in Erinnerung an die eine oder andere Krankheitsepisode des Telepathen in der älteren Vergangenheit. Schuldig pflegte dann in den Hungerstreik zu treten. Schuldig enthielt sich vornehm dem Geplänkel. Es war seltsam still in der Leitung und Brad dachte schon, dass dieser die Verbindung gekappt hätte, als er sich wieder meldete. „Leute, ich muss weg. Ich melde mich später wieder. Mein Kontakt hat sich gerade gemeldet. Schön brav bleiben. Ihr wisst sicher, was ich meine…“ Die Verbindung wurde beendet, noch bevor Brad etwas sagen konnte. „Weshalb überrascht mich dieser Abgang nicht wirklich?“ Diese Abfuhr per Telefon würde ein Nachspiel haben. Das drückte Brads Gesicht aus, als er sich das Headset vom Kopf nahm und es auf den Tisch legte. Seine Augen verdunkelten sich als er sich ausmalte, wie er Schuldig zusammenstauchen würde für diesen unsinnigen Telefonanruf, der rein gar nichts über seine Fortschritte ausgesagt hatte. Dann glitt sein dunkler Blick zu Ran hinüber. „Ein Punkt, der für den Angeklagten spricht ist, dass er sich überhaupt gemeldet hat und dass er wohlauf ist. Der überflüssige Rest…“ ...würde bestraft werden. Brad wusste nur noch nicht wie… Aya schmunzelte. Dieser dunkle Blick kam ihm nur allzu bekannt vor. Der Blick, der viel Tod versprach... viel Leid. „Man sollte nicht meinen, dass du dich über diesen Anruf freust, so dunkel, wie dein Blick ist.“ Er schüttelte amüsiert seinen Kopf und toastete Crawford zu. „Ist er nicht immer so rebellisch? Ich wüsste nicht, wann er jemals nach Befehl gehandelt hat.“ Brad schlug die Beine übereinander und betrachtete sich sein Gegenüber lange. Da saß er: Fujimiya Ran, Ex-Mitglied und Teamführer von WEISS und sprach hier von Schuldig und dessen disziplinlosem Verhalten ihm gegenüber. „Das klingt als wärst du die letzten Jahre der Leidtragende von Schuldigs disziplinlosem Verhalten gewesen.“ Brad musste über diese Doppeldeutigkeit lächeln. Ein kaltes, dunkles Lächeln. Dem Aya gelassen mit einer erhobenen Augenbraue begegnete. „Sagen wir es mal so... für fünf Tage plus ein paar danach habe ich das durchaus so gesehen. Du erinnerst dich? Ist schon ein paar Monate her. Doch mittlerweile bin ich eigentlich recht froh darum, also nein, ich war nicht der Leidtragende, sondern bin mir voll bewusst, dass du es bist, der als Anführer unter seinem penetranten Drang zur Selbstverwirklichung gelitten haben muss… zumindest in den Monaten, in denen ich euch beide beobachten konnte. Er hat ja schließlich keine Gelegenheit ausgelassen, dich zu triezen, zumindest in meiner Gegenwart nicht.“ Das Mienenspiel des anderen, faszinierte Aya, verbarg es doch meist geschickt, was der andere wirklich dachte. Richtige, ausgelassene Freude zeigte Crawford nie, wenn dann nur ein königlich leichtes amüsiert sein. Da waren Kälte und angedeutete Mordlust schon eher zu sehen. Oder Arroganz. Früher hatte es Aya wütend gemacht, extrem wütend und auch heute noch schaffte Crawford es von Zeit zu Zeit, doch nicht mehr so oft wie früher. Was vielleicht auch an ihrer gemeinsamen Zeit während Schuldigs Verschwinden lag. „Wenn Schuldig nur ein wenig mehr Disziplin gehabt hätte damals, dann säßen wir hier heute nicht.“ Ob das nun wirklich negativ in Crawfords Augen war, konnte Aya nicht mit Sicherheit sagen. „Stimmt.“ Brad erhob sich und blieb vor Ran stehen. „Dann wärst du heute ziemlich blass und ziemlich tot“, sagte er langsam. Sein Blick glitt mit sezierender Gründlichkeit über Rans sitzende Person. „Mit blass kann ich dir dienen... mit meinem Tod leider noch nicht.“ Ein weiterer Toast begleitete Ayas Worte. „Wenngleich es sehr amüsant wäre, dich als Poltergeist heimzusuchen und dir deinen Schlaf zu rauben.“ Daran hätte er ganz sicherlich Spaß, das wusste Aya. „Gefällt dir, was du siehst, wenn du mich schon so gründlich untersuchst?“ Ayas Stimme hatte einen leichten, dunklen Anklang. Nicht viel, nur ein wenig, aber genug, um das Amüsement heraus zu lassen. Brad Blick traf den von Ran als er seinen Satz beendet hatte, als dessen Stimme ein anderes für ihn unbekanntes Timbre annahm. Schwer einzuschätzen, resümierte er. „Ich mache mir gerade Gedanken darüber, ob ich es heute bedauern würde, wärest du Futter für die Fische geworden.“ „Würdest du, denn ich wage die vorsichtige Prognose, dass Schuldig und du keinen Schritt weitergekommen wärt in euren Zuneigungsbekundungen, wäre ich nicht dagewesen. Was nicht unbedingt an meinen Handlungen liegt, sondern schlicht daran, dass meine Präsenz einiges verändert hat.“ Diese hellbraunen Augen hatten schon etwas für sich, beobachtete Aya. Arroganz, Härte, Kälte... und doch verbarg sich ein Mensch dahinter. Interessant. „Hattest du das Gefühl, dass ich diese – wie nennst du es – Zuneigungsbekundungen, je gewollt hatte? Hattest du auch nur eine Sekunde nicht das Gefühl, dass ich mich nicht dagegen gewehrt habe?“ Brads Kiefer waren angespannt, sein Tonfall jedoch wie stets, nüchtern und ohne Emotion. Ein Moment der Stille verging, bevor er sich abwandte. „Ich bin in der Küche.“ Aya ließ Crawford ein paar Minuten Vorsprung um in die Küche zu gelangen und dort die Spannung in seiner Mimik loszuwerden, bevor er aufstand und dem Amerikaner folgte. Der Wein tat schon seine Wirkung, musste Aya feststellen, was auch Sinn machte, da er nicht wirklich etwas zu sich genommen hatte heute. Schuldig, der Aufträge alleine erledigte, war immer noch ein recht wunder Punkt bei ihm, vor allen Dingen so weit weg. „Nein, du hast es nicht gewollt. Aber ja, du hast es gebraucht. Und nein, es sieht momentan nicht so aus, als wärest du unglücklich damit“, erwiderte Aya und streunte zum Backofen, versuchte, hinein zu linsen. Fujimiya verstand nicht, was Unglück bedeutete. In seinem Fall bedeutete. Brad schob diesen Gedanken für einen Moment zur Seite und schenkte Ran unaufgefordert das Glas erneut halb voll. „Ich weiß durch dein Profil, dass du deine Nase oft in Dinge steckst, die dich nichts angehen und sehr viel Ärger damit bei anderen verursachst. Aber in Gottes Namen lass das Essen in Ruhe“, brummte Brad und schaltete erneut das Licht des Backofens aus. „Es ist noch nicht soweit.“ „Du bist schon etwas eigen, was das von dir gekochte Essen angeht, kann das sein?“, fragte Aya zweifelnd und runzelte gespielt verzweifelt die Stirn, als er sich zu Crawford umdrehte und eine Hand in die Hüfte stemmte. „Du kannst außerdem doch nicht allen Ernstes von mir erwarten, dass ich dir glaube, dass so etwas in irgendwelchen Akten steht.“ DASS über sie Akten geführt wurden, konnte er sich denken, doch dass Brad sie in die Hände bekommen hatte...es war, als wäre er gläsern. Gläsern für seine damaligen Feinde und nun...Schuldig hatte viel von ihm gesehen, war ihm näher als jeder andere gekommen. Aber Brad? Er war noch nicht soweit. Würde es vielleicht nie sein. Mit Rans Drehung war dieser Brad sehr nahe gekommen und Brad beugte sich etwas vor, bis er Ran direkt und nah in die Augen blicken konnte. Dessen Atem streifte seine Wange. „Glaubst du nicht? Dann wäre es angebracht, deine ehemalige Vorgesetzte zu konsultieren.“ Brads Augen lachten vor Belustigung, während seine Mimik nichts über sein Amüsement bekundete. „Die Neugier ist der Katze…“ Brad verstummte und lehnte sich seitlich an den Schrank an, betrachtete sich den anderen. Woher kannte er diesen Spruch nur? Er hatte ihn zuvor nie benutzt. Etwas aus einer Vision? „...Tod...“, vollendete Aya Crawfords Sprichwort und sinnierte einen Moment lang über ihre Nähe wie auch die Worte des anderen. Seine ehemalige Vorgesetzte? Manx? Was hatte sie mit Crawford zu schaffen? Vor allen Dingen, wenn es um intime und persönliche Dinge über Weiß ging? Dunkel erinnerte er sich an etwas, das Crawford ihm mal gesagt hatte. Sehr dunkel, denn es war damals nicht wirklich schön gewesen, keine schöne Zeit. „Ihr habt tatsächlich gemeinsame Sache gemacht. Ich fasse es nicht. Und wahrscheinlich habt ihr dann auch noch miteinander geschlafen.“ Aya schnaubte ungläubig. Sachen gabs. Damals hatte er es gar nicht in dieser Form registriert, doch nun... „Sie hat dir Akten über mich ausgehändigt?“ Aya war unauffällig näher gerückt und taxierte Crawford nun mit durchdringendem Blick, als könne er in der Bewegungslosigkeit des anderen lesen. In den amüsierten Augen. „Glaubst du, das würde sie tun?“ Brad hob eine Braue, fragend, herausfordernd. „Was? Mit dir schlafen oder dir die Unterlagen aushändigen?“, stellte sich Aya jetzt sehr dumm, jedoch mit der deutlichen Botschaft, dass Crawford wohl an nichts Rothaarigem vorbeigehen konnte ohne zumindest einmal genascht zu haben. Warum kam der Japaner im Augenblick fast bei jedem Satz auf das Thema Sex zu sprechen?, fragte sich Brad gerade und einer seiner Mundwinkel hob sich. „Meine Frage bezog sich auf Letzteres.“ „Wenn dem so ist, dann denke ich, dass sie es nicht tun würde. Warum sollte sie auch? Nur damit du weißt, dass ich scheinbar neugierig bin."Sie waren sich immer noch nahe, so nahe, dass Aya sehr gut den Geruch des anderen aufnehmen konnte. Der Geruch, den er immer mit etwas Angenehmen verband, es seit dem Tag getan hatte, als Crawford ihm Wasser eingeflößt hatte. Damals hatte er es nicht wahrgenommen, doch mittlerweile wusste Aya recht gut, wer ihn da gefüttert hatte. Genauso wie er sich sehr gut daran erinnerte, wer ihn daran gehindert hatte, sich selbst aufzugeben, wer ihn bekocht hatte, mit wem er im Bett gelegen hatte, an wen er sich geschmiegt hatte, als Schuldig für tot gegolten hatte. Genau diese Nachdenklichkeit zeigte sich für einen Moment lang auf seinem Gesicht, bevor er einen weiteren Schluck Wein nahm. „Außerdem bezweifle ich, dass du noch auf Manx‘ Akten angewiesen warst... ihr werdet eure eigenen gehabt haben!" Brad konnte sich der guten Stimmung, in der er sich gerade zu befinden schien – wie er selbst mit Erstaunen bemerkte – nicht erwehren. Er schob die Ursache auf Schuldigs Wohlbefinden. „Das stimmt nicht ganz“, gab Brad zu bedenken. „Wir haben sie immer noch.“ Irgendwie überraschte das Aya nicht wirklich. Absolut nicht. Er würde mal wetten wollen, dass Weiß auch noch Zugang zu den Akten über Schwarz hatte. „Zum Nachschlagen, wenn ihr mal wieder Fragen zu einer Verhaltensweise habt?“ Wieso konnte er sich nur allzu gut vorstellen, wie Crawford sich samt Brille und gutem Whisky auf die Couch zurückzog und versuchte, sich anhand der Akten den besten Plan zurecht zu legen, wie er ihn am Besten triezen konnte? „Nein. Eher dazu, einiges zu ergänzen, was damals nicht bekannt war oder erkannt werden konnte.“ „Das da wäre?“, entsprach Aya nun der ihm unterstellten Neugierde mit einer erhobenen Augenbraue. „Top secret!“ Brad lächelte nun mit stiller Freude an dem Gespräch und er fand Rans Neugierde wieder einmal bestätigt. War es einer der Wesenheiten an Ran, die Schuldig so faszinierten? Und vermutlich auch amüsierten. Verengte, violette Augen taxierten den Amerikaner einige Momente lang schweigend. Top secret? Als würde er sich selbst nicht kennen! Allerdings interessierte es ihn, wie andere ihn sahen. „Jeder ist käuflich“, sagte er schließlich verhandlungsbereit. „Nenn mir deinen Preis.“ „Wie weit würdest du gehen?“ Brad hatte kein Interesse an Devisen. Brads Augen kreuzten den Blick der halb gesenkten Lider, die leuchtendes Violett beschatteten. Rans Augen glommen vor Interesse und Neugierde. „Das wirst du sehen, wenn du mir den Preis nennst.“ Da hatte er harte Verhandlung vor sich, vor allen Dingen würde der Preis vermutlich sehr hoch sein. Sehr sehr hoch. Ran trat einen feigen Schritt zurück, befand Brad als er die ausweichende Antwort von diesem hörte. Ein spöttisches Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht. Nun, dann lag es wohl an ihm zu sagen, was er für einen Preis wollte. „Ich werde es dir mitteilen, wenn ich reiflich darüber nachgedacht habe. Aber ich denke, mir schwebt schon etwas vor.“ „Du überlegst noch? Hast du etwa Angst?“, kam es nun ausgerechnet von besagtem Feigling, der herausfordernd die Zähne entblößte und lächelte. „Immer heraus mit dem Preis, ich warte...“ „Angst?“ Brad lehnte sich mit dem Rücken an den Küchenschrank und drehte den Kopf in Richtung seines so neugierigen Gesprächspartners. „Vor wem? Vor einem Hänfling wie dir?“ Brad hatte tatsächlich Spaß. Seit langem wieder. Früher hätte ihn das ‚Hänfling‘ aufgeregt, fiel Aya auf, doch nun rang es ihm nur ein amüsiertes Lächeln ab. „Natürlich vor mir, sonst würdest du ja schließlich antworten.“ Brad registrierte diese gelassene Erheiterung auf seine Provokation. Anders als früher. Wer hätte das damals gedacht, dass der so hitzköpfige Abyssinian einmal derart gelassen auf ihn reagieren würde? Er nicht. Und das wollte etwas heißen. Nicht in seinen kühnsten Visionen hätte er ein derartiges Gespräch damals auch nur… befürchtet. „Es würde mich lediglich interessieren was du von mir erwartet hättest, dass ich dir als Preis genannt hätte. Deine Einschätzung meiner Person, wenn du so willst.“ „Ich soll dir also einen detaillierten Einblick in meine Ansicht deiner Person geben, quasi, mein persönliches Charakterprofil von dir, ohne gegebenenfalls etwas zurück zu bekommen?“ Kritisches Verhandlungsgeschick traf hier auf Neugierde auf Seiten des Amerikaners. „Denn dass eine tiefgreifende, psychologische Analyse als Grundlage für eine scheinbar so schlichte Antwort von Nöten ist, weißt du sicherlich besser als ich! Es sei denn, du möchtest eine Antwort aus dem Bauch heraus.“ Aus eben diesem Bauch heraus – seinem eigenen nämlich – verspürte Brad gerade jetzt die große Lust Ran für diesen kleinen Vortrag etwas anzutun. Vorzugsweise etwas, das ihn in angenehmer Weise leiden ließ. Brad wusste nicht was – und darüber dachte er auch nicht wirklich groß nach, er wusste nur, dass Ran ihn reizte und das auf erotische Weise. Diese Mischung aus stetem Ärgernis, Herausforderung, die aus jeder Pore sprach, dem attraktiven Aussehen des Japaners und seinem nicht zu unterschätzenden Intellekt stifteten Brad dazu an, sich mehr auf den anderen einzustimmen. Ihn als interessant einzustufen, sich nicht nur mit ihm abgeben zu müssen, weil Schuldig mit ihm liiert war, sondern sich mit ihm abgeben zu wollen, weil er ihn selbst interessierte, weil er ihn selbst … wollte. Nein. Soweit waren sie nicht, zog Brad die Notbremse. „Falls dein Bauchgefühl knurrende Geräusche macht, würde ich nicht zu viel darauf geben, ansonsten bin ich schon gespannt auf die Antwort.“ „Etwas Gemeines, das sagt mir mein Bauchgefühl“, erwiderte Aya spontan. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was er anderes sagen konnte. Ihm fiel nur das ein. „Irgendetwas, das dir gut gefällt, aber nicht notwendigerweise deiner Umgebung. Irgendetwas, das dich amüsiert oder dich weiterbringt.“ Ein weiterer Schluck Wein folgte und Aya war nun auch soweit, dass er sich anlehnen musste. „So, und was bekomme ich nun für diese tiefgreifende und neuerliche Erfassung deiner Seele?“ „Meiner Seele?“ Brad lachte auf. Er stieß sich vom Schrank ab und ging um Ran herum um auf die Uhr zu blicken und gleichzeitig den Backofen auszuschalten. „Du hältst meine Seele also für gemein? Gemein im Sinne von normal oder im Sinne von bösartig?“ Er schlug sich das Küchentuch über die Schulter, nahm sein Weinglas vom Tisch und ließ einen guten Schluck seine Kehle hinunterlaufen. Gerade in diesem Moment fragte er sich, ob er Ran noch ein Glas einschenken konnte oder ob er das besser unterließ… Das Essen war fertig! Aya spitzte um Crawford herum und warf einen gierigen Blick auf den Backofen und das legere über die Schulter geworfene Handtuch. Was hatte ihm Schuldig mal erzählt? Der Amerikaner kochte nur selten? Das konnte er nicht behaupten, zumindest nicht auf seine Person bezogen. „Nun... ich halte deine Seele für einfach gemein bösartig!“, erfreute sich Aya seines eigenen Wortspiels, das ganz sicher schon dem gestiegenen Promillegehalt zuzuschreiben war. Brad wandte den Kopf und fand sich Auge in Auge und Nase an Nase… an neugieriger Nase mit dem anderen. Sie streiften sich bevor er sich aufrichtete. Für einen Augenblick war ihm dieses Violett dunkler erschienen als zuvor. „Du schließt von meinem Verhalten auf eine gemein bösartige Seele? Wie kommt‘s zu dieser geistreichen Schlussfolgerung?“ Aya stierte Brad weiterhin an. Auch er hatte die Berührung sehr deutlich wahrgenommen, sehr sehr deutlich. Sie waren sich ja auch nahe gewesen... „Der Hunger. Es ist der Hunger“, winkte der Zaun samt Pfählen und Garten. „Also, was bekomme ich nun für diese Einschätzung?“ „Du meinst der Hunger ist schuld an deiner akuten zerebralen Minderversorgung und du somit nicht verantwortlich für diese lausige Fehleinschätzung?“ Brad drehte sich mit dem Rücken zum Ofen und verschränkte demonstrativ die Arme. „Nun… dann würde ich sagen bekommst du gar nichts, denn aufgrund dieses „Handicaps“ müssen wir diese Diskussion wohl vertagen, fürchte ich.“ Er hörte sich auch sehr bedauernd an. Beinahe hätte es Schuldig sein können, der dieses Bedauern, äußerst „bedauernd“ ausgesprochen hätte. „Lausige Fehleinschätzung? Genau, deswegen trägst du ja auch einen Heiligenschein mit dir herum!“ Aya wartete brav, konnte sich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass der gute Crawford den Zeitpunkt des Essens mutwillig hinaus zögerte, alleine, um ihn zu ärgern. „Wenn du übrigens nicht willst, dass ich meinen Hunger mit einem zähen Stück Fleisch stille, dann sollten wir in naher Zukunft mit dem Essen beginnen.“ „Du würdest dir ohnehin an mir die Zähne ausbeißen. Bisher war dies auch der Fall gewesen.“ Wie oft hatte der Japaner in seiner Rolle als Weiß Agent versucht ihm den Garaus zu machen? „Wie sagtest du vorhin? Jeder ist käuflich. Was bekomme ich denn dafür, dass ich dich hier durchfüttere?“ Brad wich keinen Millimeter vom Backofen weg. „Schließlich habe ich mit Liebe gekocht.“ „Bisher war ich auch noch nicht ernsthaft an deinem Fleisch interessiert...“ Aya musste schon gestehen, dass er ein wenig ungeduldig wurde, was er allerdings auch dem Alkohol zuschrieb. Nur dem Alkohol zuschrieb. „Du hast mit Liebe gekocht... extra nur für mich? Dann ist es doch wohl klar, was du bekommst.“ Noch triezender konnte er in der Stimme nicht werden, befand Aya und kam etwas näher. „Genau das, was ein liebendes Weib bekommt, das ihrem Mann Essen gekocht hat....“ „Memo an mich selbst: Fujimiya Ran nie wieder Essen kochen.“ Brad lächelte zuvorkommend. Tja, das hatte er nun von seiner Gutmütigkeit, jetzt wurde er auch noch ins klassische Rollenverhalten hineingedacht. Aber es hatte keinen Zweck, er musste den Auflauf herausholen, denn er selbst hatte auch Hunger. Und bevor der andere sich hier noch um Kopf und Kragen redete oder Dinge tat, die er im nüchternen Zustand nie tun würde – nur um ihm hinter her gehörig auf seine restlichen Nervenzellen zu gehen – die sich gerade in einer Erholungsphase befanden, da beendete er dieses Thema besser. „Genieß es. Es wird das letzte Mal sein.“ Er drehte sich um und öffnete nun endlich den Backofen. Der Duft von Käse, Kräutern, Fleisch und Gemüse erfüllte ihre Nasen und er musste zugeben, dass er Hunger hatte. Das letzte Mal... daran glaubte Aya nicht, vor allen Dingen, wenn ihm nun der verheißungsvolle Geruch des Essens entgegen schwebte. Endlich. Das Weinglas leerend, setzte auch er sich nun in Bewegung. Zum Tisch gehend nahm er einen kleinen Umweg über Crawfords Hintern, als er diesen mit einem freundlichen Schlag bedachte und sich im nächsten Moment fragte, ob er nicht zu viel Alkohol getrunken hatte. Kurzschlussreaktion, beschloss Aya stumm für sich und streunte, so als wäre nichts gewesen, zum Tisch, setzte sich dort an seinen Platz. Nein, es war nichts passiert... aber dieses feste Fleisch... Eine Kurzschlussreaktion, die eine wahre Kette an Ereignissen nach sich zog. Zum Einen rechnete Brad nicht mit derlei Dingen, für eine Vision war diese sogenannte Kurzschlussreaktion, doch ein wenig zu kurz gewesen… was auch daran lag, dass sein Verstand mit Alkohol nicht gut zurecht kam und seine Visionen hinauszögern konnte. Also erschrak er sich, kam mit der Hand an die Innenseite des Backofens, zuckte zurück und der Auflauf geriet in schwere Schieflage, was zur Folge hatte, dass er die Form stabilisierte und weiter an der Wand entlang schrammte. Ein Stöhnen in Begleitung eines Zischens verriet das Unglück und einige Sekunden später – der Vorgang kam ihm wie eine Ewigkeit vor – stellte er den Auflauf auf der Anrichte ab… „Schlechtes Timing um sich im Machosein zu üben… Großer.“ Brad ging hinüber zur Spüle und ließ Wasser über seine Hand laufen. „Sehr schlechtes Timing“, bestätigte Aya erstaunt über die Schreckhaftigkeit des anderen, machte jedoch keine Anstalten, aufzustehen und Crawford zu Hilfe zu eilen. Vermutlich würde er in diesem Fall gar kein Essen mehr bekommen. „Beim nächsten Mal achte ich auf ein besseres Timing. Vielleicht, wenn du nicht gerade mit der Essensbeschaffung beschäftigt bist.“ „Höre ich da dein Opportunistenherz sprechen?“ Brads Sarkasmus war gut herauszuhören, vielleicht ein bisschen zu gut. „Beiße nie die Hand, die dich füttert?“ Er stellte den Wasserhahn ab und ging hinüber zum Tisch, nahm sich Rans Teller und ging hinüber zur Anrichte um seinem „Gast“ den Teller zu füllen. Er stellte Ran den Auflauf vor die Nase und wünschte guten Appetit. Danach war sein Teller an der Reihe. „Gebissen habe ich dich nicht... das hätte sich dann etwas anders angefühlt“, gab Aya zu bedenken, holte sich aber zur Sicherheit seinen Teller zu sich und wartete brav, bis Crawford sich auch an den Tisch setzte. „Außerdem bin ich nie opportunistisch, ich bin ehrlich.“ „Klugscheißerei gehört zu Nagis Repertoire“, sagte Brad unbeeindruckt von derlei Ausreden. „Wobei, wenn ich…“ Brad setzte sich und nahm einen Schluck Wein. „… es genau bedenke, ist das keine Klugscheißerei sondern vielmehr eine falschverstandene Metapher.“ „Klugscheißer!“, kam es prompt zurück und Aya grinste. „Guten Appetit und danke fürs Füttern, du gebissene Hand.“ Es dauerte maximal eine Sekunde, dann war die Gabel im Auflauf und Aya ließ den ersten, dampfenden Happen abkühlen. Es schmeckte selbst ihm sehr gut und das wollte schon etwas heißen, hatte er doch damals die Suppe des anderen mehr als verschmäht. Darauf gab es nichts weiter zu sagen und Brad sah, währenddessen er selbst aß, zu, wie sein Gegenüber sein Mahl verspeiste. In Windeseile hatte Ran seinen Teller leer. „Es ist noch reichlich da, du kannst dir ruhig noch nachholen“, sagte Brad bedächtig und fragte sich erneut ob der Japaner die letzte Zeit überhaupt etwas gegessen hatte. Zumindest seit Schuldig weg war hatte sich das wohl mit Sicherheit auf ein Minimum reduziert. Aya nickte, schenkte sich aber zunächst erstmal noch ein zweites Glas Wein ein und trank einen Schluck. Crawford hatte Recht gehabt, Aya hatte nicht wirklich Hunger gehabt den Tag über und gestern Abend auch nicht. Genau genommen hatte er bis er zu Crawford gefahren war, keinen Hunger gehabt. Doch nun... Er erhob sich und strebte den Auflauf an, den Crawford noch vor ein paar Momenten unter Einsatz seiner Haut aus dem Ofen geholt hatte und lud sich eine weitere Fuhre auf den Teller. Dieses Mal aß er langsamer und genoss die Stille zwischen ihnen. Vor Monaten wäre das nicht möglich gewesen. Wirklich nicht. „Hast du eigentlich je für Schuldig gekocht?“ Nicht, dass da noch der Futterneid aufkam. Darüber musste Brad nachdenken. Wenn er es genau betrachtete… „Nicht für ihn allein.“ „Dann solltest du das nachholen. Sagt mir mein Gefühl.“ Aya prostete Crawford zu und malte sich schon Schuldigs Gesicht aus, wie dieser sich darüber beschwerte, hier eindeutig benachteiligt worden zu sein. „Weshalb sollte ich für ihn kochen?“ Brad erschloss sich die Logik daraus nicht. „Schuldig kann alleine auf sich achten. Vor allem was das Essen angeht.“ Wenn er damit anfangen würde, ihn zu bekochen, würde das den Telepathen zu sehr verweichlichen. Der Blick, den Crawford nun von Aya bekam, war im besten Fall als kritisch zu bezeichnen. Der andere hatte nicht viele Erfahrungen im Zwischenmenschlichen, oder? „Weil es ihn freuen würde“, kam die entsprechend zweifelnde Antwort. „Weil er drauf steht, bekocht zu werden.“ „Dafür hat er dich.“ Auf Brads Gesicht bahnte sich ein versteckt gemeines Lächeln aus. „Schließlich musst du ja zu was gut sein. Wenn ich alles tue…“ Er machte eine ausladende Handbewegung und nahm dann sein Weinglas um damit auf ihn zu deuten. „… dann bleibt für dich nichts mehr.“ Er trank einen Schluck auf seine Worte. Aya nickte beflissen, während sich auf seinem Gesicht teuflisches Vergnügen ausbreitete. Da waren sie, die Gemeinheiten, die Crawford ausmachten. Nun, er hatte ja auch einiges aufzuholen, wenn sich Aya schon erdreistete, ihm auf den Hintern zu schlagen. „Hm... du erklärst dich also dazu bereit, für ihn in Zukunft deinen Arsch hinzuhalten? Interessante Vorstellung!“ Vor allen Dingen, da Aya sich das nicht wirklich vorstellen konnte. Dafür war Crawford einfach viel zu dominant, als dass sich Schuldig nur in die Nähe seines Hinterns wagen würde. „Oder mit ihm fangen zu spielen. Das würde ich gerne sehen wollen. Wirklich.“ Brad antwortete während der nächsten Augenblicke nichts. Es lag ein versteckter Vorwurf in Rans erstem Satz. Ein Vorwurf, der nur in seiner verborgenen Weise Brad an die Schuld in seiner und Schuldigs Vergangenheit erinnerte. Rans Präferenzen waren ihm durchaus bekannt – schließlich standen in Kritikers Akten nicht nur seine „beruflichen“ Fähigkeiten. Zwei Drittel der Akte beschäftigte sich mit Rans Eigenschaften, seinen Verhaltensweisen in bestimmten Situationen, Vorlieben und so weiter. „Fangen spielen? Ich wüsste nicht, dass Schuldig darauf steht. Das müsste dann eine deiner Vorlieben sein.“ Brad bemühte sich die Dämpfung seiner Laune zu verbergen. Das war es, aber Schuldig machte definitiv gerne mit, das konnte niemand bestreiten. Außerdem brauchte Schuldig durchaus das Gefühl, ihn zu erobern und der Ton angebende Part zu sein. „Schuldig hat auch seine dunklen Seiten...“, erwiderte Aya kryptisch und musste schmunzeln. „Sehr dunkel..“ Bei Aufträgen vielleicht, aber nicht im Privaten, nicht, wenn er ausgeglichen war. „Ja? Du kannst mir sicher etwas Neues erzählen?“ „Nein nein, dann würde ich dir ja die Spannung nehmen, das kannst du sicherlich selbst herausfinden.“ Wenn Crawford es nicht schon längst wusste. Es würde zumindest zum Amerikaner passen, alles über seine Umgebung zu wissen und wissen zu wollen. Crawford wollte kontrollieren, was vermutlich alleine schon durch seine Gabe kam. Brad musste über die Ernsthaftigkeit von Rans Antwort innerlich schmunzeln. Offenbar hatte der andere den feinen Spott in seinen Worten nicht herausgelesen. „Ich kann auf noch mehr Spannung in meinem Leben gut verzichten.“ Unwillkürlich musste er an den jungen Mann denken, dem er während Schuldigs Urlaub begegnet war, seinem One-Night-Stand. Er konnte damals nicht auf seine Fähigkeiten der Vorhersage zurückgreifen und wusste sich einem tollpatschigen jungen Mann gegenüber, der ihm mit seinen kleinen Katastrophen durchaus unerwarteten Spaß gemacht hatte. Brad lächelte fast unsichtbar in Erinnerung daran. „Deine Worte passen gerade nicht zu dem beinahe schon schwelgenden Gesichtsausdruck, weißt du das?“ Aya lächelte, hatte er sehr wohl die minimalen Veränderungen im Gesicht des Amerikaners gesehen. Es blieb ihm ja auch nichts übrig, als auf die kleinen Dinge zu achten, wenn Crawford ansonsten so schwierig zu lesen war. „Nichts von Bedeutung“, wischte Brad mit einem Schulterzucken die Erinnerungen an Asugawa weg. „Nur eine Erinnerung.“ „Anscheinend eine schöne... erzähl!“ Eine unverschämte Forderung, befand Aya, aber was war er, wenn nicht unverschämt? Vor allen Dingen, wenn Crawford hier schon ins Schwärmen geriet – für seine Verhältnisse. „Ich denke… nicht, dass ich das tun werde.“ Brad beendete sein Mahl und lehnte sich angenehm gesättigt zurück, sein Weinglas zur Hand nehmend. Brad konnte sich lebhaft vorstellen, wie sehr Ran Schuldig anfänglich mit seiner Fragerei zur Weißglut gebracht hatte. „Wieso habe ich das auch ohne die Gabe der Vorhersehung erkannt?“, fragte Aya mit spöttischem Unterton. Eine Strähne seiner zurückgebundenen Haare hatte sich gelöst und er strich sie genervt zurück. Warum hatte er sie sich damals nochmal wachsen lassen? Damit er sich von Schuldig einen Handel aufschwatzen lassen konnte, genau. „Weil du weise bist“, sagte Brad glatt und verbarg den Spott dahinter nicht. Er trank seinen Wein leer und stellte das Glas ab. O ~ Nach dem Essen und dem recht zweifelhaften Kompliment von Crawford, hatten sie sich in den Wohnbereich zurückgezogen. Aya hatte sich die aktuelle Tageszeitung gegriffen und blätterte sie lustlos durch, bis ihm etwas ins Auge stach. Er nahm die Anzeige genauer in Augenschein und stellte fest, dass es ihn wirklich interessierte. „Wie wäre es hiermit?“, drehte er die Zeitung zu Crawford um und zeigte ihm die Werbung für den Kinofilm, die ihm gerade ins Auge gesprungen war. Brad ließ sich die Zeitung reichen. Der dreißigste James Bond Film. Dieses Mal wollte sich erneut ein neuer Darsteller mit der fiktiven Figur des Geheimagenten des MI6 messen. „Für mich nicht, danke. Derartigen Vergnügungen kann ich nicht viel abgewinnen.“ Bei dieser Gelegenheit begann er selbst die Zeitung durchzublättern, anstatt sie wieder zurückzureichen. Jetzt war er die Zeitung los und konnte sich vermutlich auch darauf einstellen, alleine ins Kino zu gehen. „Das kann ich nachvollziehen. Vor drei Jahren habe ich genauso gedacht wie du.“ Aber ein wirkliches Leben war es nicht gewesen. Aya erhob sich – recht unsicher, wie er selbst befand – und zuckte mit den Schultern. Es war schon später am Tag, wenn er noch in die Stadt wollte, sollte er sich jetzt auf den Weg machen. Leider mit öffentlichen Verkehrsmitteln, da er sich eine Verhaftung wegen Trunkenheit am Steuer nicht erlauben konnte. „Sieh zu, dass du unterwegs nicht umgebracht wirst“, sagte Brad nebenbei und schien gänzlich in einen Artikel vertieft. „Ich muss dir den Preis für deine Akte noch nennen und es wäre doch schade, wenn wir beide um diesen Handel kommen würden.“ Überrascht sah Aya zu Crawford. Er hatte das Thema eigentlich für erledigt gehalten, aber anscheinend war der Amerikaner doch zu einem Ergebnis gekommen. „Dann nenn ihn mir, bevor ich mich aus Versehen unterwegs umbringen lasse.“ Er war mal gespannt, welchen Preis er für seine Akte zahlen musste. „Wenn du wieder hier bist. Das steigert die Spannung. Und du gibst dir etwas Mühe weder entführt noch sonstwas mit dir veranstalten zu lassen.“ Brad sah immer noch nicht von seiner Zeitung auf. „Ich werde es unseren potenziellen Feinden mitteilen, falls sie solches planen. Erst nachdem ich wieder hier bin.“ Er nickte zur Bekräftigung und tippte sich als Bestätigung und als Abschiedsgeste an die Schläfe. „Bis später.“ Damit nahm er sich seine Jacke und verließ das Haus, kam nicht umhin, über den merkwürdigen Tag nachzusinnen. Crawford, der für ihn gekocht hatte, zu dem er wieder zurückkehren würde, wenn er ins Kino gegangen war... Wenn Schuldig das wüsste. Nicht ganz sicher auf den Beinen strebte er die nächste Haltestelle an. Doch etwas zu viel Wein...aber der Nieselregen und die damit beginnende Kühle sorgten für einen etwas klareren Kopf. Es brauchte seine gute halbe Stunde, bis er die Haltestelle erreicht hatte, von der aus er in die Stadt kommen würde. Das Kino würde sich dann noch einmal eine Viertelstunde vom Bahnhof entfernt befinden. Was Schuldig gerade wohl tat? Ging es ihm gut in Amerika? Sicherlich, er musste nur loslassen, er musste Schuldig auch seine Freiheit lassen. Denn dass diese Einsätze dem Telepathen gut taten, war unbestreitbar. Ihm würde jetzt erst einmal gut tun, sich einen Actionfilm anzuschauen, sich darüber zu amüsieren, wie viel davon nicht stimmte und einfach mal seine Gedanken auf Wanderschaft zu schicken, während er sich berieseln ließ. Genau das tat er nun auch, als er sich mit Cola und Popcorn bewaffnet in den vollen Kinosaal setzte, dabei den Platz neben einer halbstarken Jugendgang erwischte, die ihren männlichen Hormonen anscheinend nur in Form von lautstarken Kommentaren eine Stimme verleihen konnten. Auch wenn seine langen Haare durchaus den Spott der Gang herausforderten, was ihm ein nicht allzu leiser Kommentar bestätigte, so entspannten Aya doch die Kombination aus Actionfilm, der nicht mehr viel mit Realität zu tun hatte und seitlichen Kommentaren, wie cool und geil doch diverse Actionszenen waren. Wenn die Jungs wüssten. Aber das taten sie nicht und das war auch gut so. Zwei Stunden später verließ Aya das Kino und stellte fest, dass es wie aus Kübeln schüttete und extrem windig war. Kein Wunder in der Regenzeit, nur absolut ärgerlich, da er an einen Schirm – aufgrund seiner Kapuze – nicht gedacht hatte. Und die Kapuze half nicht wirklich viel, wusste er spätestens nach dem fünfzehnminütigen Marsch zur Haltestelle, der ihn jetzt schon klatschnass zurückließ. Da hätte er doch gewettet, dass eine Regenjacke wasserdicht war. Aber nein. Zitternd und die Nase rümpfend, saß er in der Bahn, die ihn in die Vororte brachte, von wo aus er noch eine halbe Stunde laufen musste. Wunderbar. Und nein, er würde Crawford nicht anrufen. Nein, nein, nein. So lief er schließlich. Das Haus lag Dunkel da, nurmehr im oberen Stockwerk in einer der größeren Schlafzimmer brannte schwach Licht. Brad hatte sich mit seinem Notebook dorthin zurückgezogen um auf Ran zu warten. Er wusste, dass dieser die heutige Nacht hier verbringen würde und deshalb hierher zurückkommen würde. Draußen goss es in Strömen. Als es klingelte war es kurz nach Mitternacht und er beendete das Gespräch mit Nagi, welches er via Internet führte. Er legte das Notebook zur Seite und erhob sich seufzend. Bereits in Schlafanzughose und Shirt gekleidet, schlüpfte er in einen leichten Morgenmantel um dann hinunterzugehen und nach einem Blick in die Kameras die Tür zu öffnen. Der potentielle Übernachtungsgast sah aus wie ein potentieller Grippekandidat, so nass und zitternd – was Ran versuchte vergeblich zu verbergen – stand dieser vor der Tür. „Scheiß Regenzeit“, murmelte Aya und bestätigte damit das Offensichtliche, fluchte, als ihm eine besonders heftige Böe die Kapuze vom Kopf fegte und seine klatschnassen Haare offenbarte, die ihm ins Gesicht schlugen. Unwirsch wischte er sie weg und ging an Crawford vorbei ins Haus hinein. Ein Gutes hatte das Ganze: er war jetzt wieder nüchtern und konnte nach Hause fahren. Wenigstens hatte er diesen Tag mit Abwechslung hinter sich gebracht, wo er doch momentan schichtfrei hatte für die nächsten drei Tage. Gutes Timing, Gabriele, murrte er in Gedanken. Musste am Namen liegen... die Gabriels dieser Welt hatten sich gegen ihn verschworen. „Da hat aber jemand schlechte Laune.“ Brad schloss die Tür und somit das garstige Wetter draußen aus. „Freust du dich nicht ins Trockene gekommen zu sein? Weshalb die schlechte Laune?“ Brad verschränkte die Arme und blickte die traurige Gestalt vor sich an. Alles an Ran hing irgendwie nass herunter. Seine Haare, seine Arme, seine Kleidung… seine Mundwinkel. Aya zuckte stumm mit den Schultern und entledigte sich seiner Jacke, die er über die Heizung im Flur hängte. Vielleicht hatte sie da eine Chance, wenigstens ein Bisschen zu trocken, bevor er sich wieder auf den Weg machte. „Eine dreiviertel Stunde durch den Regen kann jedem die Laune verderben“, sagte er, auch wenn das nicht die ganze Wahrheit war. Die Nässe hatte die Gedanken an den Film vertrieben, an die Szene, die er vor seinem geistigen Auge weggeschoben und verdrängt hatte. Natürlich war der Held im Film gestorben, galt zumindest als tot. Der Film hatte das Leid der Liebenden durchaus realistisch gezeigt, auch wenn er nachher wiedergekommen war... wie der Phönix aus der Asche. James Bond eben. ZU realistisch. „Hast du ein Handtuch und einen heißen Tee für mich?“ „Du kennst den Weg ins Badezimmer. Ich bring dir etwas rauf, dass dir hilft warm zu werden.“ Brad überließ es Ran sich zu entscheiden ob er ihm zunächst in die Küche folgte oder ob er seinen Ratschlag befolgte und hinauf in eines der Badezimmer ging. Sie hatten zwar mehrere im Ryokan, benutzten aber überwiegend das größte Bad für ihre Bedürfnisse, nebst der größeren Badeabteilung im Erdgeschoss, die sie ihr Eigen nennen durften. Und die auch gerade wenn Schuldig hier war gut genutzt war. Währenddessen kam er tatsächlich dem Wunsch des Japaners nach Tee nach, allerdings war es einer von der Kräutersorte und barg einen kräftigen Schuss Rum in sich. Tatsächlich dem Vorschlag des anderen folgend, kämpfte sich Aya nach oben und betrat das Bad. Wider besseren Wissens zog er sein Oberteil aus und griff sich eines der weichen, großen Handtüchern, um zumindest seinen Oberkörper trocken zu rubbeln. Danach wickelte er seine Haare darin ein und wrang sie aus. Seinem Blick im Spiegel begegnend, wusste Aya, warum Crawford ihn auf seine schlechte Laune angesprochen hatte. Man sah ihm an, dass er über etwas ganz und gar nicht erfreut war. Wie denn auch, hatte ihn doch besagte Szene allzu sehr an Schuldigs Tod erinnert, den Tod, der doch keiner war. Und schon war sie zurück, die alte Angst um den Telepathen. Die Spirale seiner Gedanken drehte sich... Brad verließ die große Küche, die dafür ausgelegt war für Gäste zu kochen, löschte das Licht und brachte den Tee über die schmale Treppe nach oben. Es war still im zweiten Stockwerk und erst als er den Flur vom Licht ins Dunkel tauchte, erkannte er, dass im Badezimmer noch Licht an war. Er öffnete vorsichtig die Tür zum Badezimmer, den Tee auf das Sideboard dabei stellend. Sein Blick fiel auf Ran und er blieb im Türrahmen stehen. „Ist etwas passiert?“ Er kannte diesen Gesichtsausdruck von Ran. Sorge spiegelte sich darin wieder. Sorge, Angst und die hässliche Erinnerung an einen schmerzlichen Verlust. Ran hatte viel in seinem Leben verloren. Brad wollte sich deshalb nicht festlegen, ob es sich um die übliche Paranoia um Schuldig handelte, die den Japaner so abwesend hier zurück ließ. Doch Aya reagierte nicht. Momentan war er viel zu sehr damit beschäftigt, die zwei Wochen von Schuldigs Verschwinden durchzugehen. Er musste sich aktiv damit auseinandersetzen, damit es sich nicht aufstaute, in seinem Inneren. Es musste aktiv verarbeitet werden. Was nicht hieß, dass es angenehm war, ganz im Gegenteil. Brad nahm einen der beiden Morgenmäntel vom Regal und kam damit zu Ran. Er hängte ihm diesen über die Schultern. Rans Arme hingen herab und so war dieses Unterfangen leichter als gedacht. Brads Linke schob sich nach unten, während er Rans Gesicht im Spiegel beobachtete. „Du solltest raus aus der nassen Kleidung. Schuldig wird sicher Freude daran haben dich zu pflegen. Oder wie immer hilflos daneben stehen und hoffen, dass sich jemand anderer darum kümmert.“ Brads Worte waren ruhig, seine Hand zupfte am Hosenbund und öffnete daraufhin den obersten Knopf. Die Hand an seinem Körper brachte Aya aus seinen Gedanken wieder zu sich und sein Blick glitt in Zeitlupe nach unten, blieb dort an der fremden und doch vertrauten Hand hängen, die sich ihm hier bot. Er versuchte, sich an die Worte zu erinnern, die gerade zwar sein Ohr, aber nicht wirklich seinen Verstand erreicht hatten. Es gelang ihm nicht wirklich. „Was machst du?“, fragte er, noch nicht einmal wirklich in Panik, ganz und gar nicht wütend... einfach nur ruhig. „Versuchen herauszufinden...“, Brad nahm eine Hand vom Bund der Hose und legte sie auf Rans Oberarm, dort wo auf der gegenüberliegenden Seite seine Rechte bereits lag und den Bademantel sicher hielt. „… ob du dich erneut einem Zusammenbruch näherst, oder ob du einfach nur abwesend bist. In ersterem Fall hättest du meine Hand wohl kaum bemerkt. Zumindest wenn es wie letztes Mal gelaufen wäre.“ Brad sah Ran unverwandt an. „Trotz allem solltest du aus diesen Kleidungsstücken heraus. Denk an Schuldig. Mit einem kranken Japaner tut er sich immer noch sehr schwer.“ Aya nickte und rang sich ein schwaches Lächeln ab. „Sehr schwer, das stimmt.“ Ein leises Seufzen entrang sich seinen Lippen. „Ich war nur nachdenklich, ein erneuter Zusammenbruch steht nicht zur Diskussion. Es war der Film...“ Weiter sprach Aya nicht, kam er sich doch dumm vor, sehr dumm. Nur wegen eines Films. Sein Blick begegnete dem Crawfords im Spiegel und er kam nicht umhin zu bemerken, dass er sich in der Gegenwart des anderen wohl fühlte, wohl und sicher. „Geh duschen…“ Brad hielt inne und zog den Bademantel Rans Nacken leicht nach oben. Er würde seine übliche Anweisung etwas umgestalten müssen. „Was hältst du davon wenn du zunächst duschen gehst. Währenddessen bringe ich dir warme Kleidung. Der Tee ist bis dahin trinkfertig.“ Er ließ Ran los und wandte sich zum Gehen. „Wenn du jedoch zu lange in der Dusche vor dich hinbrütest, komme ich und hole dich. Das ist ein Versprechen.“ Er lächelte ironisch und verließ das Badezimmer. Sein Weg führte ihn zu seinem Kleiderschrank in dem er nach einer geeigneten Schlafgarnitur für Ran suchte und schließlich fündig wurde… Versprechen? Aya nannte das Drohung. Aber gut, er war müde und wenn er sich noch länger hier aufhielt, dann würde er garantiert einschlafen. Doch zunächst stahl er sich einen Schluck heißen Tees, der mit ordentlich viel Rum versetzt war, wie er nun feststellte. Wollte Crawford ihn abfüllen? Wie gut, dass er soweit wieder nüchtern war. Aya stellte sich unter die Dusche und ließ das Wasser heiß und angenehm entspannend über seinen Körper laufen, seifte sich schließlich ein und spülte den Schaum von seinem Körper und seinen Haaren. Da er allerdings anscheinend wie immer, wenn er die Gelegenheit nutzte, in der Nähe des Amerikaners zu duschen, in der Gefahr schwebte, dies eben nicht alleine zu tun, verkürzte er seine Duschzeit nun und stieg aus der weitläufigen Kabine, nahm sich besagtes Handtuch und trocknete sich ab. Seine Haare folgten kurz danach. Auf dem Badewannenrand sitzend, begann er mit geschlossenen Augen die langwierige Prozedur des Haareföhnens. Brad hörte den Föhn, klopfte einmal an und trat dann ohne eine Antwort abzuwarten ins Badezimmer ein - Schlafanzug inklusive. Er fand Ran nackt vor, lediglich ein Handtuch bedeckte das Nötigste. Malerisch wie stets in diesem Zustand der Blöße saß Ran am Badewannenrand und föhnte sich die Haare. „Hier. Denn ich gehe nicht davon aus, dass du heute noch nach Hause fährst.“ Überrascht durch die Anwesenheit des anderen fuhr Aya im ersten Moment hoch, bevor er sich bewusst wurde, dass er sich beruhigen konnte. Sein Blick glitt schließlich von Crawford selbst zum Schlafanzug, der ein dezentes, leuchtend-intensives Giftgrün aufzuweisen hatte. „Nicht?“, fragte er recht dumm nach, hatte er es doch bis gerade eben noch fest eingeplant. Wenn er ehrlich war, hatte er jedoch durchaus Lust, hier zu schlafen, denn er wollte sich nicht mehr in den Regen begeben. Auf dem Oberteil prangte, gut von ihm sichtbar, ein Samurai in SD-Form, der sein Katana schwang. Aya hob eine Augenbraue. „Er passt zu dir. Du kannst ihn behalten. Falls du Gefallen daran finden solltest. UND… ich möchte keine Fragen bezüglich der Herkunft dieses geschmack- und stilvollen Kleidungsstücks.“ Der Tonfall machte klar wie sehr er dieses „Ding“ mochte. Nämlich gar nicht. Brad hatte durchaus bemerkt wie abwesend Ran erneut war. „Ich habe schon eine Tasche mit einer SD-Kirsche, die mir Schuldig geschenkt hat. Ich glaube, das stillt meinen Bedarf an japanischem Kitsch“, erwiderte Aya säuerlich und zum ersten Mal traf sein Blick klar auf den Crawfords. „Nur weil meine Augen etwas schmaler und mandelförmiger sind als deine, heißt es nicht, dass ich auf alles stehe, was klein und niedlich ist. Wäre auch schlimm, wenn.“ Crawford trug auch schon seine Schlafbekleidung, fiel ihm jetzt auf und sie war in dezenten Tönen gehalten. Schlicht, bequem und die wichtigen Muskelpartien betonend. „Aber er fühlt sich gut an. Besser, als nackt zu schlafen, wie es gewisse andere Rothaarige immer tun.“ Ein schwaches Lächeln umspielte seine Lippen. „Das wäre sicher etwas anderes zum sonstigen Ritus zwischen uns, das muss ich einräumen.“ Brad hob eine Braue und verließ das Badezimmer in Richtung Schlafzimmer. Er setzte sich aufs Bett, unterschlug ein Bein und zog sich sein Notebook heran um es auf neue Nachrichten zu kontrollieren. Der sonstige Ritus? War es schon ein Ritus geworden? Aya bejahte das. Ein angenehmer Ritus. Er machte sich wieder daran, seine Haare zu trocknen und zog schließlich den weichen Schlafanzug über, der zwar mit den roten Haaren harmonierte, aber sonst... nun gut, einem geschenkten Gaul sah man bekanntlich nicht ins Maul. Sich den Tee nehmend, verließ er das Bad, löschte das Licht und machte sich auf die Suche nach Crawford. Wenn sie dem Ritus schon Rechnung trugen, dann würde er nicht alleine schlafen. Er fand ihn in seinem Schlafzimmer und setzte sich wortlos neben ihm aufs Bett, lehnte sich an das Kopfende an. Brad versetzte das Notebook in den Standby Modus, nahm seine Brille ab und rieb sich die Nasenwurzel. Seine Augen brannten. Er legte Notebook und Brille zur Seite und löschte das Licht auf seiner Seite des Bettes. „Ist dir bereits warm geworden?“ Aya nickte schweigend. Die Dusche hatte ihm gut getan und der Tee tat sein Übriges um langsam die Gedanken an den Film zu vertreiben und damit seine Angst, dass doch etwas passierte. „Hast du keine Probleme damit, dass er alleine unterwegs ist?“, fragte Aya schließlich und trank nachdenklich den Tee. Es war wie Brad sich gedacht hatte, Ran hatte tatsächlich erneut Befürchtungen wegen Schuldig. Und das offenbar nicht nur in moderatem Maß, wie es schien. Das zeigte sich indem der Japaner so offen über seine „Probleme“ damit sprach und das mit ihm. Brad lag auf dem Rücken, einen Arm unter den Kopf geschoben. Seine Augen waren geschlossen, er hatte sie heute überanstrengt und sie tränten, wenn er sie jetzt zu lange aufhielt. „Nein. Er kann auf sich aufpassen.“ Er schwieg einen Moment. „Wäre ich in China nicht dabei gewesen, wäre es nicht zu dieser katastrophalen Wendung gekommen. Er hat gezögert und dieses Zögern war ihm zum Verhängnis geworden. Dadurch, dass er keinen generalisierten Angriff riskieren konnte um mich nicht zu verletzen versuchte er die Gegner einzeln auszuschalten. Das hat ihn zu viel Zeit gekostet. Alleine ist er sicherer.“ Irgendwie beruhigten ihn die Worte des anderen, wenngleich... „Und was, wenn ihn Gegner erwischen, die er nicht lesen kann? Die, die auch Jei nicht lesen konnte?“ Doch diese Gefahr bestand immer, sie bestand bei jedem von ihnen. Ein weiterer, kräftiger Schluck folgte. Natürlich konnte Schuldig auf sich aufpassen, nur... es gab eben immer jemanden, der stärker war. Brad sah das Ganze nicht so verbissen. „Schuldig verlässt sich nicht mehr nur auf seine Fähigkeiten. Wir machten Fehler in der Vergangenheit. Deshalb versuchen wir in diesem Punkt keine mehr zu machen. Allerdings kann auch ich nicht sagen ob wir in der Zukunft nicht noch welche machen werden. Schuldig ist besser alleine dran. Er kann besser und effizienter arbeiten.“ Aya seufzte. Was für ein blödes Thema. Vor allen Dingen ein Thema, das er hinter sich lassen wollte, denn er konnte sich nicht immer Sorgen machen, wenn Schuldig weg war. Das war nicht gut für seinen Seelenfrieden. „Du wolltest mir noch den Preis für meine Akte nennen“, wechselte er das Thema. Brad zog seinen Arm unter seinem Kopf hervor und legte ihn sich über die Augen. „Dein Körper, was sonst?“, sagte er leichthin, doch ein amüsiertes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Es war beruhigend, erneut zu hören, dass Schuldig besser auf sich alleine aufpassen konnte als mit jemand anderem zusammen zu arbeiten. Sehr beruhigend. Gerade deswegen ließ Aya dieses Thema nun auch endgültig fallen und wandte sich dem anderen zu. Dem wichtigeren. „Wie... was sonst? Warum meinen Körper?“, fragte Aya verständnislos nach. Er konnte sich nur einen einzigen Reim darauf machen und der erschien ihm als zu unwirklich, zu abnorm. Fühlte sich Crawford von ihm angezogen? „Warum nicht? Ich wusste gar nicht, dass du dich selbst als so unattraktiv einschätzt. Ist nicht deine Lieblingsbezeichnung für mich „Zuhälter“. Was läge dann näher als den Preis in Naturalien einzufordern?“ Darauf wusste Aya erst einmal nicht wirklich etwas zu entgegnen. Also doch. „In Naturalien...“, sinnierte er über diesen Preis nach und ließ seinen Blick in die Ferne schweifen. Es war ja nicht so, als hätte er nicht schon darüber nachgedacht, mit Crawford zu schlafen. Doch nun... „In Ordnung“, stimmte er schließlich zu, doch alleine schon der Ton seiner Stimme verriet, dass die ganze Sache einen großen Haken für Crawford haben würde. Die Zustimmung kam schnell und Brad ahnte auch warum. Ein warmer Laut löste sich aus seiner Kehle als Brad lachen musste. „Schlag dir das gleich aus dem Kopf“, musste er Rans Fantasien gleich in Luft auflösen, als er vorhersah, was Ran für ihn angedacht hatte bei diesem Kuhhandel. Aya erwiderte das Lachen, diesen allzu angenehmen Laut mit seinem eigenen. Natürlich wusste auch er genau, was genau Crawford meinte. „Dito, Brad Crawford, dito“, schmunzelte er schließlich. Hier hatten sie die klassische Pattsituation, aus der keiner von ihnen beiden auch nur einen Millimeter zurückweichen würde. Entspannter als vorher leerte er die Tasse und platzierte sie neben dem Bett auf dem Nachtschrank. „Es ist der Preis für die Akten. Das ist alles.“ Brad fühlte sich ungeahnt von Rans Wohlgefühl selbst auch etwas entspannter. Er hätte heute nicht so viel arbeiten dürfen, aber – was er nicht zugegeben hatte – er hatte sich in Arbeit gestürzt um nicht an Schuldig denken zu müssen. Er wagte es kaum die Augen zu öffnen damit sie nicht erneut anfingen zu tränen. „Könntest du das Licht löschen?“ „Sicher.“ Aya stand auf und tauchte den Raum in ein angenehmes Dunkel, hatte er durchaus schon mitbekommen, dass Crawford anscheinend Probleme mit seinen Augen hatte. Danach kam er zum Bett zurück und grub sich unter die Decken. „Du hast mir den Preis genannt, ich dir die Konditionen und wir sind nicht überein gekommen. Passiert eben.“ Er drehte sich zu Crawford. „Außerdem kann in den Akten nicht mehr über mich stehen, als ich schon über mich selbst weiß.“ „Wer weiß…“, sagte Brad unbestimmt, ganz der kryptische Geheimniskrämer. Ran war neugierig, das konnte er selbst nicht leugnen. Es war nur eine Frage der Zeit bis Ran Schuldig auf die Akten anspitzte. Brad war gespannt. „Es gibt Wichtigeres“, schloss Aya auch dieses Thema und zuckte innerlich wie äußerlich mit den Schultern. So zum Beispiel die angenehme Wärme, die seinen Körper nun durchzog. Aya nieste. „Oh Nein. Du wirst nicht krank werden. Wiederhol das bitte. Sprich mir nach: Ich werde nicht krank, weil ich zu stolz war Brad Crawford anzurufen, oder mir ein Taxi zu holen.“ Brad hörte jetzt schon das Gequengel in seinen Ohren klingeln. Erst war es Verwunderung, dann Unglauben, dann Amüsement, die Crawford in der Dunkelheit auf Ayas Gesicht nicht sehen konnte. „Ich wiederhole: Ich werde krank, weil das stolze Orakel Brad Crawford es nicht für nötig gehalten hat, mich von der Haltestelle abzuholen.“ Ein weiteres Niesen folgte stehenden Fußes. „Da mich diese Situation offenbar nicht persönlich betrifft habe ich auch keine Information darüber erhalten wann du dich an der benannten Haltestelle befunden haben sollst.“ Brad gähnte verhalten. „Es wird dich aber persönlich betreffen, wenn ich hier darniederliege und Schuldig dich in zwei Tagen höchstpersönlich dafür verantwortlich machen wird. Vor allen Dingen wird er DICH rufen, wenn es mir schlecht geht. Kennen wir ja schon.“ „Du willst also allen Ernstes die These aufstellen, dass er mir die Schuld geben wird und mich gleichzeitig darum bittet ihm zu helfen?“ Ein amüsierter Laut war zu hören. „Du unterschätzt seine Fähigkeiten zu bekommen was er will und das nicht mit Schuldzuweisungen. Im Übrigen wird er den Teufel tun und sich mit mir anlegen. Schließlich habe ich sein Betthäschen warm gehalten. Das bisschen Erkältung… alles nur Kollateralschäden.“ „Du glaubst doch nicht etwa, dass er DIR glauben wird, dass du mich warm gehalten hast, wenn ich mit einer Erkältung zurückkomme. Außerdem wird er dir erst die Schuld geben, wie er es eben immer macht, mit seinem höchst anklagenden Blick und dich kurz darauf mit seinem lieben, berechnenden Blick bitten, ihm zu helfen. So wird‘s laufen.“ Vorausgesetzt, Aya wurde krank und das plante er nicht. „Du vergisst, dass er dich gut genug kennt um zu wissen, wie stur und stolz du sein kannst. Und das ich der letzte Mensch auf dieser schönen Erde bin, von dem du dir etwas sagen lässt.“ Brad lächelte in sich hinein. „Wobei du da wiederum bedenken solltest, dass er weiß, dass ich von alleine hierher gekommen bin. Das widerspricht deiner Stolztheorie. Warum sollte ich also zu stolz sein, dich zu fragen ob du mich abholst, aber nicht zu stolz, hierher zu kommen?“ „Das frag dich selbst. Du hast es offensichtlich nicht getan.“ Ein Grollen antwortete Crawford, doch bis auf dieses Grollen wurde es still zwischen ihnen beiden. Natürlich hätte er anrufen und fragen können. Doch er war schließlich kein kleines Kind mehr, sondern ein erwachsener Mann. Er brauchte sich von niemandem abholen lassen. Das tat er ja noch nicht mal von Schuldig, es sei denn, dieser kam ihm zuvor und tauchte plötzlich dort auf, wo er gerade alleine hatte starten wollen. Dann ließ er sich von Schuldig chauffieren. Kein Grund, Crawford dort ein Vorrecht einzuräumen. Aya wühlte sich noch etwas tiefer in die Decke und schloss die Augen, doch so richtig angenehm war es noch nicht. Vor allen Dingen, da dieser impertinente Amerikaner neben ihm schon nach wenigen Momenten eingeschlafen zu sein schien. Wieso konnte er so schnell schlafen, während Aya selbst hier lag und irgendwie nicht die richtige Position fand. Vor allen Dingen, da er gerne etwas mehr vom Rand rutschen würde. Natürlich nur, um Abstand zwischen sich und dem Abgrund zu bekommen, zumindest war das die offizielle Version. Die inoffizielle lautete, dass er diesem Geruch einfach näher kommen wollte, der seiner Unsicherheit Schuldig bezüglich ein Labsal war und der ihn beruhigen würde. Warum also nicht? Crawford würde es sowieso nicht mitbekommen, jetzt, wo er schon schlief. Es brauchte nur ein paar Momente, da startete Aya seinen Vormarsch, vorsichtig und geheim... der perfekte Ninja eben, bis er schließlich ganz nahe an Crawford lag, jedoch ohne ihn zu berühren. So vorsichtig und so geheim, dass Brad seine stille Freude daran hatte. Er schlief noch nicht, wie angenommen von Ran, sondern war noch sehr wach. Eines seiner Rituale um die Visionen des Tages und die Informationen, die sie mitbrachten zu verarbeiten war, dass er einige Zeit damit zubrachte sie zu analysieren und das tat er, bevor er in den Schlaf sank. Er musst die Informationen, die ihm zufielen mit denen, die er bereits in seinem Gehirn abgespeichert hatte vernetzen und sie wie in eine Art Datei ablegen, sonst würde er Probleme mit einer Überlastung bekommen. So hatten ihn die PSI Lehrer bei SZ geleert einen Zeitpunkt des Tages zu wählen an dem er sich zu einer Art Meditation oder Ruhe begeben konnte, die Atmung vertiefte, verlangsamte und im Wachzustand zu verarbeiten begann. Damit die Verarbeitung in seiner Traumphase nicht zu unliebsamen Überraschungen führen konnte, wie Albträumen oder ähnlichem. Das Ran Fujimiya annahm, dass er bereits schlief veranlasste ihn zu einem amüsierten Lächeln aufgrund der schutzsuchenden Geste des anderen – die er heimlich vollziehen wollte. Keine Zugeständnisse. „Jetzt hast du es doch noch geschafft, bevor ich eingeschlafen bin.“ Brad rieb sich über die Augen, gähnte verhalten und beschloss, dass es Zeit war zu schlafen. Die Jalousien waren bis auf die kleinen Aussparungen zwischen den Lamellen geschlossen, nur die Fenster waren offen und ließen das Prasseln des Regens als stetige Geräuschkulisse herein. Er legte seinen Arm über den unbenutzten oberen Teil von Rans Kissen. „Was ist los? Kannst du nicht schlafen?“ Wieso zum Teufel war Crawford noch wach? Er hatte doch genau gehört, dass dessen Atmung den Schlaf angezeigt hatte! Aya war es nicht so peinlich, wie es vielleicht sein sollte... ganz und gar nicht. Aber es war ihm unangenehm, offenbarte es doch seinen Wunsch nach Nähe und das ausgerechnet vor Crawford. Dabei war dies noch nicht einmal eine Ausnahmesituation. Der Arm über seinem Kopf sprach jedoch eine andere Sprache. „Nicht wirklich“, kam es ebenso wach von ihm und er versuchte, Crawford durch die Dunkelheit hinweg auszumachen. „Warum? Der Rum sollte dir im Regelfall gute Dienst geleistet haben.“ Brad hielt das für ein probates Mittel um Ran von seinen trüben Gedanken wegzubringen, die ihn wie eine schwarze Wolke umgaben und Brad selbst daran erinnerten, dass er mehr Teamleader sein sollte, denn Lover. „Anscheinend braucht er heute etwas länger um zu wirken.“ Und manchmal gab es zudem auch noch viele Dinge, die ihn am Einschlafen hinderten. Sehr viele Dinge. Unter anderem auch seine wie auch ihre gemeinsame Vergangenheit. „Manchmal... fällt es einem eben nicht leicht, die Vergangenheit loszulassen vor dem Einschlafen“, veräußerte er schließlich seine Gedanken. Für einen Soziopathen, der sich gerade nicht in der Nähe seines telepathischen Psychotherapeuten befand, hielt er sich ganz gut, sagte Aya sich mit einem guten Schuss an Selbstironie. Ein kaum zu hörendes mit Ironie getränktes Lachen füllte den intimen Raum zwischen ihnen. „Das spüre ich. Du suchst förmlich die Nähe deiner Erinnerungen. Aber offensichtlich nur der schlechten.“ „So kann man das nicht sagen... du hast schließlich nicht nur schlechte Seiten an dir. Du kannst gut kochen, du riechst angenehm, du...“ Aya überlegte, ob ihm noch mehr gute Seiten an Crawford einfielen, doch viele gab es da tatsächlich nicht. Aber eine... eine wichtige hatte er noch. „...tust Schuldig gut...“ „Bei diesen überschwänglichen Komplimenten schätze ich den Promillegehalt in deinem Blut sehr hoch ein und wundere mich tatsächlich warum du noch nicht ausgeknockt neben mir liegst.“ Brad sinnierte noch über die Tatsache, dass er für den Japaner gut roch… Fortsetzung folgt... Vielen Dank für's Lesen. 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