Der Glasgarten von Gadreel_Coco ================================================================================ Kapitel 116: Badgeflüster ------------------------- ~ Badgeflüster ~ o~ Schuldigs Aufmerksamkeit lag nicht auf Nakazawa. Zwar streifte er gelegentlich dessen Gedanken, allerdings stets auf der Suche nach einer Bedrohung für Ran. Schuldig hatte in einem nach französischem Vorbild gestalteten Bistro Posten bezogen und gönnte sich ein zweites Frühstück. Von hier hatte er einen guten Blick über den Eingang des Polizeireviers und konnte vorgeben eine Zeitung zu lesen, was er auch mit belesener Emsigkeit tat. Draußen begann es sich einzuregnen und Schuldig war froh, dass er noch mindestens eine Stunde hier verbringen konnte, ohne dass es zu auffällig wurde. Nach dieser Stunde verließ er das Bistro und schlenderte in einen kleinen Geschenkartikelladen und erstand einige Kleinigkeiten für seine beiden ‚Daheimgebliebenen’. Er ließ sie verpacken und verstaute die Mitbringsel in seinem Rucksack. Während die Zeit dahinzog vertrieb er sich die noch verbleibende indem er die die einzelnen Individuen, die ihn kreuzten und in Rans Nähe gelangten telepathisch beleuchtete. Natürlich musste er sich auch darauf verlassen, dass Ran sich telefonisch meldete, wenn etwas vorfallen würde – was Schuldig weder glaubte noch befürchtete. Dennoch mussten sie auf der Hut sein. Gelegentlich erlaubte er sich einen gedanklichen Abstecher zurück zur Situation vor einigen Tagen und zu seinen misslungenen Avancen in der Herrentoilette am Flughafen. Die Stadt schlängelte sich langsam an Aya vorbei, als dieser gedankenverloren den Blick aus dem Fenster des Taxis schweifen ließ, das ihn zu seinem Hotel brachte, indem er als Polizist untergebracht wurde. Er hatte sich bei Nakazawa für die Mitarbeit bedankt und dem Mann Mut zugesprochen, seine Arbeit weiter so gründlich wie bisher zu tun. Mit dem gleichen Eifer und dem Pflichtbewusstsein. Das war es, was Japan brauchte, das waren die Ordnungshüter, die den kleinen Fischen habhaft wurden. Für alle anderen gab es Kritiker. Aya schloss für einen Moment lang die Augen, als ihm wieder die Bilder der Leichen vor Augen kamen und ungute Erinnerungen weckten. Warum ausgerechnet Schuldig? War es, weil er einen von ihnen getötet hatte? War da der Zusammenhang? Oder war es ein Vorzeichen auf das, was noch geschehen würde? Auf Schuldigs wirklichen Tod? Er wäre erst ruhig, wenn er wieder bei Schuldig war und den anderen in Sicherheit wusste, befand Aya für sich und sah auf, als der Fahrer anhielt. Er gab ihm das Geld und stieg aus, checkte ins Hotel ein. Ein großes Haus, in dem es nicht auffiel, wenn er plötzlich verschwand. Die Zimmer waren eng, winzige Zellen aus schmalen Betten und einem Waschbereich mit Dusche. Funktional bis ins kleinstes Detail. Doch momentan reichte Aya der Spiegel, in dem er sich betrachten konnte, sich und den Schrecken auf seinem Gesicht, jetzt, wo er die Maske fallen ließ. Er tat nicht viel die restlichen zwei Stunden über. Zog die Uniform aus, befreite sich von der Perücke und schüttelte seine Haare aus, zog sich schlichte, schwarze Kleidung über, die er zum Wechseln mitgenommen hatte. Schließlich begab er sich auf den Weg nach unten, von wo aus er von Schuldig abgeholt wurde. Dieser war bereits wie verabredet in der Lobby des Hotels und gerade dabei das Gedächtnis des Personals nach seinen Wünschen, bezüglich des Polizisten zu formen. Er lümmelte in einem Sessel und nuckelte an seiner kürzlich erworbenen Cola. Als Ran aus dem Aufzug stieg sezierten Schuldigs Augen die attraktive Gestalt des Japaners. Sie blieben in dem verschlossenen, ihm nichts sagenden Gesichtszügen hängen, die trotz oder gerade wegen ihrer klassischen Schönheit nichts über die Gefühle dahinter preisgaben. Doch dass sich dahinter etwas abspielte zeigte Schuldig die Nachlässigkeit, mit der Ran seine Haare behandelt hatte. Er trug sie offen. Was selten in der Öffentlichkeit um diese Uhrzeit geschah und während einer geschäftlichen Transaktion schon gar nicht vorkam. Es sei denn aus taktischen Gründen. Und Ran war in seinem Team nie der Lockvogel gewesen, eher der Mann fürs Grobe. Inmitten all diesen Schwarzes sah Aya eines: Feuerrot. Und zwar wirklich eins, genau ein Telepath gab sich hier betont lässig, wie er an seinem Getränk nippte und ihn mit stechendem Blick ansah, als wenn er durch ihn hindurch sehen konnte. Aya behielt die Ausdruckslosigkeit bei, die ihm doch leichter als gedacht fiel und kam zu Schuldig, nickte ihm zu. Dann ließ er sich neben ihn in einen der Sessel fallen. „Wie ist es gelaufen?“ Schuldig bot Ran seine Cola an. „Willst du?“ „Ja, gerne.“ Aya nahm von Schuldig die Cola an und nahm einen Schluck. „Reibungslos. Ich habe alles, was wir brauchen, ein paar Zusatzinformationen und womöglich ein Leck im Informationsfluss. Bei dir auch alles gut gelaufen?“ „Jepp. Das Croissant im ‚Petit‘ um die Ecke war lecker, ansonsten habe ich mir die Zeit noch etwas mit dem Shoppen von Zeitschriften vertrieben. Ich hab dir die Times und noch zwei andere mitgebracht. Ansonsten war es ziemlich langweilig und es hat dauernd geregnet“, meinte er mit leidgeprüfter Stimme und Miene. „Sollen wir?“ Ein kurzes Lächeln huschte über Ayas Gesicht, als er dem müßigen Bericht lauschte. Er erhob sich, leerte die Cola. „Je eher, desto besser.“ Damit schloss er seine Regenjacke, die er über seine Kleidung gezogen hatte, denn draußen war es nicht besser geworden, was den Regen anging und er hatte überhaupt keine Lust, sich seine Haare zu föhnen. Schon wieder. Schuldig setzte seine Baseballkappe wieder auf seinen Schopf, der gebändigt mit einem Haargummi im Nacken gehalten wurde und erhob sich. Im Gegenzug zu Ran konnte er nicht mit regentauglicher Kleidung aufwarten, denn er trug lediglich eine taillierte Lederjacke und darunter ein Shirt. Sie verließen das Hotel und steuerten den Mietwagen an. Wenig später fuhren sie über die Schnellstraße in Richtung Hyatt Regency. Brad würde sich am nächsten Tag des Wagens annehmen, während er sich um den echten Oniwara kümmerte. Auf dem Weg ins Hotel fielen Schuldig seine Geschenke ein. „Hol dir mal den Rucksack von hinten, ich hab dir was mitgebracht! Das blaue Päckchen ist deins.“ Mit einem überraschten Blick nahm sich Aya schließlich den Rucksack und öffnete ihn. Das blaue Päckchen fand er mühelos und nahm es in seine Hände. Probeweise schüttelte er es leicht und machte schließlich die Schleife ab, öffnete das Päckchen. Schokokekse enthielt es. Seine Lieblingssorte und Marzipanblumen. Eine Orchidee und zwei Rosen. Ein Lächeln streifte Ayas Gesicht und er wurde überschwemmt von einer Woge von Zuneigung, die aber auch getränkt war von der Sorge anhand der Bilder. Seine Lieblingskekse... er hatte es in Schuldigs Gegenwart nur ein einziges Mal erwähnt und da waren sie sich noch nicht einmal freundlich gesinnt gewesen und doch behielt der andere es. „Fahr bei der nächsten Möglichkeit raus und halte an, bitte.“ „Hmmm?“ Doch auf seine fragwürdig eindeutig gestellte Frage bekam Schuldig keine Antwort. Er vermutete, dass jetzt eine ordentliche Standpauke bezüglich der Toilettenanmache kommen würde, oder zumindest etwas Ähnliches zu dem Thema. Er hatte so gar keine Lust dazu, dennoch fügte Schuldig sich und tat wie geheißen. Er nahm die nächste Abfahrt und an einer Ausbuchtung am Straßenrand hielt er an. Aya sah sich prüfend um und schüttelte den Kopf. „Dahinten ist ein Parkplatz... fahr bitte dorthin.“ Da waren sie geschützter und nicht so auf dem Präsentierteller. Schuldig erahnte Rans Absicht der Abgeschiedenheit, als er dessen Wunsch entsprach. „Was hast du vor? Mich heimlich hier zu vernaschen? Sex in der Öffentlichkeit?“ Er blickte zur Seite und blieb an Rans verschlossenem Profil hängen. Zunächst schwieg Aya, denn jetzt, wo sie standen, fiel es ihm schwer, das, was er fühlte, in Worte zu fassen. Die Wut in Worte zu fassen, die er auf Schuldig gehabt hatte, die Fotos, die Entsetzen in ihm hervorgerufen hatten. Langsam drehte er seinen Kopf zu Schuldig und seine Augen waren einen Moment ein wirbelnder See aus eben diesen Emotionen: Trauer, Verzweiflung, Fassungslosigkeit, Liebe. „Schuldig, ich...“ Offenbar war es keine Standpauke, die jetzt kam, es war viel schlimmer. „Es… es tut mir Leid“, fuhr er Ran schnell dazwischen, als er sah was sich kurz auf Rans Gesicht widerspiegelte. „Ich weiß, dass es nicht lustig war, obwohl ich mir nicht wirklich viel dabei gedacht habe. Du warst wütend und ich habe diese Wut noch geschürt, aber du sollst wissen, dass ich mich in derartigen Situationen in Zukunft professioneller verhalten werde, okay? Ich werds nicht mehr tun. Ran“, fügte er drängender an. „Sieh mich nicht so an. Es tut mir wirklich leid.“ Schuldig wusste, dass er Ran verletzt hatte, aber er schaffte es nicht aus dieser Spirale herauszukommen. „Schuldig... ich bin so froh, dass du lebst“, sagte Aya zunächst einmal vollkommen aus dem Kontext gegriffen und sein Blick änderte sich nicht. Erst nach und nach wurde er ruhiger, als er das ausgesprochen hatte. „Es ist mir egal, dass du mich gereizt hast, dass du mich wütend gemacht hast, nein, eigentlich nicht, aber ich bin nicht wütend, nicht mehr. Weil es... unwichtig war, wütend zu sein. Das bist eben du... und so mag ich dich.“ Ja, so mochte er Schuldig, so mochte er den Telepathen, der vieles für ihn war: Defibrillator, wenn er wieder dabei war, in Emotionslosigkeit abzurutschen, Therapeut, Sargnagel, Partner, Spielkind... Ran war emotional aufgewühlt. Weshalb? Schuldig öffnete den Mund um etwas zu sagen. Etwas… Intelligentes oder in Ermangelung dessen vielleicht etwas Beruhigendes, aber er klappte den Mund ungenutzt wieder zu. Sein Gesicht wurde nachdenklich und er fixierte Rans Miene eine Weile. „Was ist passiert?“, fragte er dann ernst, mit einem auffordernden Lächeln. Seine Hand fand Rans Schulter, den Unterarm auf dessen Rückenlehne gelegt. Aya schüttelte den Kopf. „Passiert ist nichts, Schuldig. Ich wollte es dir einfach nur sagen.“ Ihm kamen Crawfords Worte in den Sinn. Er musste Schuldig vertrauen, dass dieser durchaus in der Lage war, sein eigenes Leben zu schützen. Aber wie sollte er darauf vertrauen, wenn jemand sie in so deutlicher Weise provozierte? Eine Weile schwieg er. „Die Fotos vom Tatort...“ „Was ist damit?“, hakte Schuldig nach wie ein Pitbull, der ein Stück Schienbein zwischen seinen Kiefern hatte. Er witterte etwas. Etwas, dass Ran so entsetzt hatte, dass er derart emotional wurde und ihm hier im Wagen eine versteckte Liebeserklärung machte. Nun ja, zumindest etwas Ähnliches. „Es betrifft mich?“ „Die Opfer haben dich dargestellt. Und es gab Dinge aus deiner alten Wohnung am Tatort.“ Aya schloss die Augen für einen Moment lang und schüttelte dann den Kopf. Sein Blick schweifte nach draußen. „Sie sind es also wieder“, erwiderte Schuldig im ersten Moment. Sie hatten mehr mitgenommen als nur Sexspielzeug. Und sie wollten Rache weil er ihre Reihen etwas ausgedünnt hatte. „Blöd“, murmelte er und lehnte sich etwas zurück. Blöd. Ja, blöd war es, sehr sogar, ereiferte sich eine kleine, frustrierte Stimme in Aya. Er hätte es zwar nicht ganz so milde betitelt, aber letzten Endes lief es wohl darauf hinaus. Stille kehrte in den Raum zwischen ihnen ein. Schuldigs forschender Blick suchte in Rans Gesicht die Bestätigung dafür, dass dieser nicht in alte Verhaltensmuster zurück zu fallen drohte. „Ich bin hier, Ran.“ Aya nickte, bevor er ebenfalls zu Schuldigs Blick zurückkehrte. „Ja, das weiß ich und Crawford hat es auch sehr eindringlich erklärt, dass ich dich spielen lassen soll, dass du sicherer bist, wenn du alleine unterwegs bist anstelle mit uns, aber trotzdem!“ Zugegeben, das hatte jetzt trotzig geklungen. Aya grollte, als wolle er diese doch recht kindliche Regung damit tilgen. „Ich finde nicht eher Ruhe, bis wir den letzten von ihnen getötet haben.“ Schuldig fand etwas ganz anderes interessant. „Das hat er wirklich gesagt? Wortwörtlich?“, er spitzte in grüblerischer Manier leicht die Lippen. „Er sagte wortwörtlich, dass du alleine konzentrierter bist, weil dich ein Partner auf einem Auftrag ablenkt. Warum?“ Aya hatte gedacht, dass Schuldig und Crawford schon darüber gesprochen hatten, aber anscheinend war dem nicht der Fall. Schuldig lehnte sich wieder in seinem Sitz zurück und blickte durch die Windschutzscheibe. Es fing heftiger an zu regnen und prasselte auf das Autodach, hüllte sie in abgeschiedene, verschwommene Zweisamkeit. „Ich wusste nicht, dass er so denkt. Er erweckt mit seinem Kontrollzwang immer den Eindruck als wäre ich unfähig und als müsse man mich überwachen, damit ich keinen Mist mache oder mir etwas passiert. Naja zumindest habe ich diesen Eindruck sehr oft. Aber vielleicht will er mich auch nur ärgern.“ „Vielleicht will er das ja auch, weil er nicht mitkommen kann. Er weiß, dass es besser ist, dich aus der Ferne zu überwachen und das tut er nach Leibeskräften. Nichtsdestotrotz hält er sehr viel von dir. Er vertraut dir.“ Wenn Crawford je erfuhr, dass er hier seine Böser-Mann-Masche zerstörte und zwar gründlich, dann würde Aya sehr aufpassen müssen, dass er nicht im Schlaf gemeuchelt wurde – von eben diesem Orakel. „Hmm“, machte Schuldig und er musste daran denken wie Brad wohl reagieren würde, wenn er ihn seinerseits mit derartigen, heißen Informationen aus erster Hand… oder zweiter… konfrontieren würde. Plötzlich irrlichterte ein unternehmungslustiges Grinsen auf seinen Lippen und ein freudiges Glitzern erschien in seinen Augen. „Es ist ja jetzt nicht so, dass ich nicht beunruhigt wäre, wegen der Bilder… doch momentan können wir kaum etwas anderes machen als die Daten auswerten, an die wir gelangt sind“, sagte er jedoch zurück zum Thema kommend, trotz der verlockenden Aussichten… „Das sollten wir tun.“ Aya nickte und betrachtete sich den anderen nachdenklich. Nach einer Weile wurde sein Blick noch nachdenklicher und seine Lippen kräuselten sich zu einem missbilligenden Zug. „Du weißt, dass du damit mein Todesurteil unterzeichnest?“, fragte er und wischte sich die etwas zu lang gewordenen, normalerweise jedoch kurzen, ponyartigen Stufen aus den Augen. Es wurde mal wieder Zeit für die Schere. „Ach wirklich?“ Schuldig mimte den Ahnungslosen, grinste aber sehr verschlagen dabei. „Du meinst ich habe kein gutes Druckmittel in der Hand?“ „Es gibt unangenehmere Dinge, als von Brad Crawford umgebracht zu werden, also nein, hast du nicht.“ Aya lächelte in diese Verschlagenheit hinein. „Ach du meinst, er tut es schnell und gründlich? Im Gegensatz zu manch anderem der diese Gelüste hätte? Aber du bist doch immer so lieb mein kleiner Polizist, wer könnte dir denn etwas Böses wollen?“ heuchelte Schuldig und zwinkerte Ran zu. „Außerdem sollten wir jetzt los, oder möchtest du noch etwas besprechen?“ Aya schauderte. „Nein danke, ich bin bedient.“ Er hatte schon so seine Vorstellungen, was zum Beispiel Schuldig mit einem braven Polizisten machen würde. Natürlich hatte er die, eine dieser Vorstellungen hatte er ja schon bekommen. Schuldig lachte ehrlich amüsiert und ließ den Wagen an um den Parkplatz zu verlassen. Er fuhr wieder zurück zur Schnellstraße und fädelte sich in den Verkehr ein. Zwanzig Minuten später waren sie im Hyatt angekommen und parkten den Wagen. Schuldig schnappte sich den Rucksack und stieg aus. „Hast du Hunger?“, fragte er Ran, während sie Richtung Hoteleingang schlenderten, ihre Umgebung im Auge behaltend. „Ja. Irgendwie gab es heute nichts zu essen.“ Was Aya nicht sonderlich verwunderte, da sie sich auf den Fall konzentriert hatten und nicht darauf, etwas zu essen. Zumal Nakazawa schließlich auch dazu zu müde gewesen war. Gemeinsam gingen sie nach oben und betraten das Hotelzimmer, wo Crawford schon auf sie wartete. Aya nickte ihm knapp zu und ließ sich auf die luxuriöse Couch fallen, entledigte sich seiner Jacke und seiner Schuhe. „Wie ist es gelaufen?“, wollte Brad wissen als Schuldig den Rucksack von seiner Schulter auf einen der drei Stühle gleiten ließ und sich Brad gegenüber setzte. Schuldig sah aus als würde er etwas im Schilde führen, befand Brad und war auf der Hut. „Nichts passiert! Da ich ja gut aufpasse ist ü~überhaupt nichts passiert“, war die Antwort und Schuldig saß breit grinsend vor ihm. Brad verzog keine Miene, hob lediglich ob des impertinenten Grinsens fragend eine Braue. „Was soll das Gegrinse?“, stellte er seine Frage an Schuldig, blickte aber in Richtung Ran. Hatten sie den Auftrag besonders ‚einfallsreich’ gestaltet oder was sollte Schuldigs ‚Freudestrahlendes Gesicht’? Dunkel erwiderte Aya den Blick des anderen, bevor er sanfter wurde, weicher gar und Aya mit den Schultern zuckte. Er schüttelte den Kopf und erhob sich wieder von der Couch. „Wollen wir uns etwas zu essen bestellen?“, fragte er, um vom Thema abzulenken und warf Schuldig einen SEHR intensiven, weil warnenden Blick zu. Brad stimmte diesem Vorschlag zu. „Hast du die Daten bekommen, wie vorgesehen?“, wandte er sich dann an den Japaner. Schuldig hatte sich mitsamt dem Stuhl etwas zurückgelehnt und wippte leicht auf zwei Stuhlbeinen hin und her. „Hat er“, merkte Schuldig voreilig an bevor Ran etwas antworten konnte. „Und sie sind wenig beruhigend, aber dafür umso aufschlussreicher, wie ich hoffe.“ Er lächelte Ran sonnig an und kippelte weiter auf seinem Stuhl herum. Irgendetwas war anders... was genau, konnte Aya nicht beziffern, doch irgendwie hatte er das Gefühl, dass sich Schuldigs Drang, sie zu ärgern, proportional zu Crawfords Nähe doch sehr gesteigert hatte. Aber dafür fand er keine haltbaren Anhaltspunkte. Stirnrunzelnd betrachtete er den Telepathen, bevor er sich an Crawford wandte. „Wir beide sollten uns ein paar der Fotos vorab anschauen.“ Er konnte jetzt schon das Geschrei Schuldigs hören, aber er wusste nicht, wie Schuldig auf einige der Tatortbilder reagieren würde. Das Stuhlgewippe hörte abrupt auf und Schuldig blickte zu Ran und dann zu Brad hinüber. „Warum denn das? Ich weiß doch um die Bilder, warum soll ich sie nicht auch als erstes sehen dürfen?“, fragte er verstimmter, nörgelnder. „Wie sagst du so schön: Ich bin kein Kleinkind.“ Seine Lippen schoben sich minimal nach vorne als er sich erhob. Er wollte nicht, dass sie etwas ohne ihn besprachen, ihn ausließen, womöglich noch über ihn sprachen – über ihn und seine Verletzlichkeit, die er zwangsläufig manches Mal bereits zur Schau gestellt hatte. Er hatte keinen Bock darauf. Aya erkannte seinen Fehler, als er Schuldigs Reaktion sah. Aber er konnte Schuldig ein paar der Bilder einfach nicht zeigen, es ging nicht. Er seufzte niedergeschlagen. Wie gut, dass er von Schwarz gelernt hatte, von Schuldig selbst. „Gut, wir sehen sie uns an, wenn du es unbedingt willst“, lenkte er ein. „Aber ich möchte vorher etwas essen und auf der anderen Straßenseite gibt es ein Restaurant. Kommst du mit, dann können wir uns von dort etwas holen?“ Schuldig blickte von Ran zu Brad. Mit einer Drehung umschlossen seine Hände Brads Stuhllehnen rechts und links des Mannes und er beugte sich ganz nahe zu Brad, bis er ihm in die warm glimmenden Iriden blicken konnte. Atemberaubend, resümierte Schuldig kurz bevor ihm wieder einfiel was er eigentlich wollte. „Du wirst deine Hände schön von den Bildern lassen und wehe du siehst sie dir vorher an.“ Brad schmunzelte gelassen. „Willst du mir drohen, Mastermind?“ Schuldig verengte kurz die Augen, als sich Brad erhob und er zwangsläufig diesen freigeben musste. „Und wenn ja?“, mimte er den Unnachgiebigen. Gleichzeitig begann er rückwärts zu gehen, da Brad ihm deutlich auf die Pelle rücken wollte. Sein Unbehagen wuchs als er irritiert bemerkte, wie sich Brad den rechten Ärmel hochkrempelte. Aya, der gerade dabei war, den Koffer auszuräumen und mit halben Auge das Techtelmechtel der Beiden beobachtete, dabei all seine Ersparnisse gegen Schuldig setzte, was besagte Drohung anging, war ebenso verwundert wie Schuldig auch. Dass Crawford die Ärmel hochkrempelte konnte nichts Gutes verheißen, war es doch meistens ein Anzeichen dafür, dass er im nächsten Moment zuschlagen würde. Der Laptop landete auf der Anrichte, die Sachen des Polizisten auf dem Sofa. Kurzzeitig in Gedanken versunken, betrachtete er sich die Handschellen. Schuldig hatte sich zwar entschuldigt dafür und Ayas Wut war... nicht mehr da, aber vielleicht... Crawford hatte Schuldig nicht geschlagen, ganz im Gegenteil. Er tat nur mit amüsiertem Gesicht Schritt um Schritt zu Schuldig, dieser trat Schritt für Schritt zurück direkt ins Bad. Aya folgte den beiden, scheinbar neugierig, was sie da taten und lugte Crawford über die Schulter, während Schuldig motzte und seine Augen nur so vor Spieltrieb blitzten und den Amerikaner triezten. Gerade noch unsicher ob seiner Idee, gewann Aya nun an Sicherheit. „Treibts nicht zu doll, ihr beiden. Ich bestelle derweil etwas zu essen“, sagte er und seine Hand steckte Crawford versteckt durch dessen Rücken die Handschellen in die rechte Gesäßtasche. Dann zog er sich mit einem scheinbar tadelnden Blick zurück und machte sich daran, den Laptop aufzubauen und den Rest der Sachen zu entsorgen. Währenddessen maulte und meckerte Schuldig ohne Unterlass, wie gemein Crawford doch wäre, wie gemein sie alle beide wären und dass er ja sowieso der Ärmste war und überhaupt... man hätte meinen können, Schuldig forderte die Gefahr nur so heraus. „Jetzt bleib doch mal stehen“, hörte sich Schuldig selbst wie seine Stimme beinahe schon einen panischen Klang bekam. Es war auch eine kleine Naturgewalt, die ihn hier derart in die Ecke zu drängen versuchte und Schuldig wich nur deshalb stetig nach hinten aus weil er befürchtete wenn es keine Fluchtmöglichkeit mehr geben würde, dann wäre er bestimmt ziemlich gearscht. Brad konnte manchmal eine ziemlich üble Laune entwickeln und irgendetwas sagte Schuldig, dass er es zwar herausgefordert aber mit Sicherheit nicht verdient hätte. „Lass mich doch erklären… Bra~ad“, zog er den Namen etwas in die Länge um vielleicht mit etwas Effekthascherei doch noch zu entkommen. Vielleicht in Richtung Ran… der gerade über Brads Schulter lugte. „Hilf mir! Ran… Komm gefälligst zurück!“, keifte er und seine Hände fanden die Wand der Dusche, fanden die schwarzen Fließen unter seiner Haut, fühlten ihre Glätte. Er mochte dieses Badezimmer, aber er mochte nicht hier mit Brad stehen, der etwas ausheckte. Das waren zwei Dinge, die nicht gut waren. Für niemanden. Ganz speziell nicht für Schuldig, der etwas angestellt hatte oder Brad auf den Keks gegangen war. Und das auch noch absichtlich. Schuldig sah Brad mit leichter Nervosität an und kaute auf der Innenseite seiner Lippe, während Brad herausfordernd den Kopf leicht drehte, als würde er auf etwas lauschen. Schuldig tat ihm nicht den Gefallen und fing erneut an zu plappern, sondern griff an. Er versuchte links an Brad vorbeizukommen, dort wo die Möglichkeit einer erfolgreichen Flucht am Größten war, denn es war schlicht und ergreifend mehr Platz vorhanden, wo er sich durchschieben konnte. Oder hätte können, in diesem Fall, denn seine Vorderseite schmiegte sich im nächsten Moment gar harsch an besagte Fliesen und irgendwie hörte er ein vertrautes Klickgeräusch. „Scheiße… Scheiße nochmal! Brad… verdammte Scheiße…!“ Schuldig fluchte und wand sich, versuchte Brad mit seiner freien Hand zu erwischen. Was ihm nur marginal gelang, denn der Schmerz in seinem Arm nahm proportional zu seinen Fluchtversuchen zu und er gab schließlich auf. Brad nutzte seine minimale Aufgabe um sein anderes Handgelenk ebenfalls zu fesseln und das um die Haltestange an der Duschwand, die vertikal in Brusthöhe zum Boden verlief. „Bist du jetzt völlig bescheuert?“ Schuldig zerrte demonstrativ an den Handschellen. Ein Gefühl des alten Spieltriebes war in ihm aufgekommen, als er Brads Hände auf sich spürte, den festen, harten, bedingungslosen Griff, dem er sich so oft ergeben hatte in den letzten Jahren, den er hingenommen hatte. Schuldig wünscht sich in diesem Moment mehr. Mehr von Brads Berührung. Doch alles was kam war… Wasser. Kaltes Wasser von oben. Schuldig keuchte. „Bastard! Mach das aus.“ Brad besah sich Schuldig wie dieser sich schüttelte, wie er kämpfte und vor Wut schier zu platzen schien. Es amüsierte ihn und er schloss die Duschkabine in dem er die Glasscheibe sanft zuzog, bis sie von selbst in ihre Arretierung glitt. Er nahm sich ein Handtuch von der Ablage und wischte sich im Hinausgehen – kurz bevor er das Licht löschte – die Hände trocken. Das Handtuch legte er sich auf die Schulter als er wieder in den Wohnraum der Suite kam. „Hattest du Schwierigkeiten im Revier?“, fragte er Ran. Aya hatte das ganze Theater nur mit einem mehr als wachen Ohr verfolgt und hatte nun auch ein etwas schlechtes Gewissen, da er Crawford quasi die Möglichkeit zur Hand gegeben hatte, Schuldig zu fesseln, die dieser anscheinend auch ausgiebig genutzt hatte, dem plätschernden Wasser und den jämmerlichen, wütenden Lauten zufolge, die ihnen aus dem Bad entgegenschallten. „Gar keine, lief alles reibungslos. Der Polizist war übernächtigt und froh, dass ich nachher wieder weg war. Hast du ihn an die Duschstange gefesselt? Und das kalte Wasser aufgedreht? Muss ich jetzt solange warten, bis er ruhig ist, oder kann ich uns jetzt schon mal das Essen bestellen? Ich habe Hunger.“ „Bestell ruhig eine kleine Auswahl, ich habe bis auf das Frühstück nichts zu mir genommen.“ Brad schloss die Badezimmertür. „Ich denke so wird es gehen. Nicht, dass noch das Schlimmste angenommen wird, wenn im Hintergrund dieses Gewinsel zu hören ist.“ Brad machte es sich auf dem Bett bequem, lehnte sich an das Kopfende und setzte sich sein Headset wieder auf, um eine Datenübertragung an Nagi in die Wege zu leiten. „Ihm geschieht schon nichts. Dort ist er gut aufgehoben. Leise. Sauber. Aufgeräumt.“ Brad lächelte spöttisch. „Findest du es nicht etwas... gemein... das kalte Wasser aufzudrehen? Ihn im Dunkeln da drin zu lassen und DANN auch noch die Tür zu schließen?“, fragte Aya und verschränkte nachdenklich die Arme. „Dabei hat er dich heute noch gar nicht SO sehr getriezt.“ Sein Blick glitt in Richtung Bad, aus dem nun kein Laut drang und zurück zu Crawford. „Es reicht dennoch. Im Übrigen finde ich es durchaus bemerkenswert wie sehr er ‚aufdreht’ sobald wir beide in seinem unmittelbaren Dunstkreis zu Gange sind“, meinte Brad wie nebenbei und leitete die Verbindungssequenz ein. „Er riecht eben unsere Dominanz und meint, uns aus der Fassung bringen zu können“, lachte Aya und nahm sich das Telefon zur Hand, bestellte für sie drei eine etwas größere Auswahl an Speisen und Vorspeisen, für Schuldig und Crawford auch noch heißen Kaffee, für sich selbst Tee, das alles in genügend großer Menge. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass Schuldig nun seit exakt fünf Minuten da drin war. Vielleicht...sollte er noch weitere fünf in der Dusche bleiben, bevor Aya ihn holen würde. Vielmehr... „Hast du eigentlich geplant, ihn irgendwann da raus zu holen, oder überlässt du fauler Sack das mir?“ „Ich glaube nicht, dass er viele Hoffnungen darauf setzt, dass ich ihn befreie, oh weißer Ritter“, sagte Brad ohne aufzusehen. Er legte den Laptop beiseite und stand auf um sich den von Ran auf der Anrichte zu holen. „Aber wir können gern ein Spielchen spielen. Der Gewinner des Spiels ist der, der nicht dem Bedürfnis erliegt Schuldig aus der Dusche zu befreien. Verlierer ist der, der aufsteht. Ganz einfach.“ Währenddessen fühlte sich Schuldig mies behandelt. Vermutlich hatte Ran Brad die Handschellen zugesteckt. Anders ließ sich das nicht erklären. Es sei denn, Brad hatte noch ein anderes Paar vor ihrem Betreten der Suite an sich genommen. Aber warum sollte er dies getan haben? Wo war noch mal der Regler für das Wasser? Es war stockfinster im Bad. Er bezweifelte jedoch, dass er mit gefesselten Händen an die Regler kommen würde, dennoch versuchte er es und tastete alles ab, soweit seit beschränkter Radius es zuließ. Wie erwartet fand er nichts und das kalte Wasser prasselte weiter auf ihn herab. Er setzte sich auf den Boden der Dusche und arrangierte seine Arme so, um bequem seinen Kopf anlehnen zu können. Er konnte sich hinsetzen, allerdings würden die Arme, die hoch über seinem Kopf in den Schellen hingen, mit der Zeit wohl taub werden, denn das kalte Wasser machte die Sache nicht besser. ‚Brad. Hol mich hier raus’, begann er seine verbale Gedankenfolter. ‚Erst wenn du dich etwas abgekühlt hast’ ‚Das ha~abe ich bereits’, erwiderte Schuldig genervt. Und dann kam leider keine Antwort mehr. Brads Gedanken waren zwar vorhanden, allerdings keine an der Oberfläche liegenden. Dieser Ami hatte ihn in gewisser Weise ausgeschlossen. Das konnte Brad ganz gut. Er hatte Übung darin. Und tiefer wollte Schuldig nicht bohren, das hatte er sich verboten seit der Sache mit dem Krankenhaus. „Ra~aaaan!“, schrie er lauthals. Ran konnte er mit Sicherheit weich kochen. Da war es schon, sein schlechtes Gewissen, das in Form eines schreienden Telepathen zu ihm drang. Zumindest vermutete Aya, dass Schuldig schrie, sein Name wurde ihm gedämpft, beinahe schon sanft zugetragen. Durch die gute Isolierung des Hotels ging einiges an Lautstärke verloren. Aya beobachtete Crawford dabei, wie dieser seinen Laptop hochfuhr und versuchte sich damit abzulenken, auch wenn ihm das nur mäßig gelang. "Die Frage ist nur, was derjenige gewonnen hat, der nicht aufsteht. Einen kranken, missgelaunten und eingeschnappten Telepathen, der ihn für die nächsten Wochen nicht mehr mit dem Hintern anschaut, vielleicht? Ein sehr guter Gewinn, sehr wünschenswert", erwiderte er schließlich Crawford und seine Stimme war mit Ironie getränkt. "Außerdem wird er wohl kaum an dir seine Rache ausleben, weil er sich nicht traut. Im Falle dessen, dass ich entgegen aller Wahrscheinlichkeit sitzen bleiben werde, werde ich sowieso meines Lebens nicht mehr froh, geschweige denn, meiner Gesundheit." So viel zu seiner Abhandlung zum Thema Schuldig. Aya verschränkte willensstark die Arme. Nein, er würde hier noch sitzen bleiben. Die zehn Minuten waren noch nicht um. Egal, wie laut Schuldig schrie. Aber wenn das Wasser wirklich kalt war... eiskalt, wie er Crawford einschätzte. Eisig. Brads Mundwinkel kräuselten sich zu einem arroganten Lächeln. „Er traut sich nicht? Weshalb sollte er sich nicht trauen?“ Er verband beide Rechner. Aya sah nachdenklich aus dem Fenster, dann gespielt kritisch zu Crawford zurück. „Hm, lass mich überlegen. Er verhält sich dir gegenüber – wenn er nicht gerade so ist wie jetzt – geradezu lieb und unterwürfig. Er würde sich im Leben nicht in die Nähe deines Hinterns trauen ohne deine Rache zu fürchten und zu fürchten, deine Autorität zu untergraben. Bei mir ist das anders. Ich schwebe ständig in der Gefahr, meinen Hintern in Sicherheit bringen zu müssen, weil ich nicht das Flair der Gewalttätigkeit ausstrahle, das dir anhaftet.“ Spielerische Worte mit Ernst belegt. Brad sah von seiner Arbeit auf. „Er weiß wie wenig gefallen ich daran finde, wenn er unterwürfig ist und ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass er sich dieses Mittels bedient.“ Ein kurzes, schwaches Lächeln huschte über Ayas Lippen, als er den hellen Iriden des anderen begegnete. „Hattest du es nicht oder bist du es mittlerweile so sehr gewohnt, dass er sich dir gegenüber zahm und brav verhält, dass du es nicht mehr erkennst? Er ist komplett anders, wenn wir beide zusammen sind. Forscher, wagemutiger...“ „Unter zahm und brav, verstehe ich nicht Unterwürfigkeit. Er darf gerne zahm und brav sein. Die Momente in denen dies der Fall ist sind rar gesät. Ich genieße es, wenn er mir nicht die Nerven raubt.“ Er wandte sich wieder seiner Tätigkeit zu. „Ich habe eher das Gefühl, dass er wie ein Tier ist, das sich versucht zu wehren und deshalb so aufgekratzt ist, wenn wir drei aufeinandertreffen. Ich kann mich in diesem Bezug aber auch irren. Meine Kenntnisse was zwischenmenschliche Verhaltensweisen anbetrifft sind verkümmert. Das ist Schuldigs Resort.“ Die Worte waren in einem dermaßen ernsthaften Ton ausgesprochen, dass Aya Crawford einen Moment lang einfach nur anstarren konnte. Dann schüttelte er fassungslos den Kopf. Sie waren sich wirklich ähnlich, ähnlicher als gedacht. Auch wenn er nicht mit dieser Art von Seelenstriptease gerechnet hatte, diesem ehrlichen Lippenbekenntnis, das er vor Wochen im Leben nicht erhalten hätte. Zwei Soziopathen unter sich, in der Mitte den telepathischen Psychotherapeuten. „Wir haben Schuldig schon verdient“, erwiderte Aya kryptisch und lachte leise, wurde dann jedoch ernst. „Solange er sicheren Abstand zu dir hat, ist er keinesfalls brav. Sobald du ihm näher kommst, wird er jedoch flatterig und beinahe unsicher. Und er wartet auf dich, was du tust. Er würde dich niemals von sich aus aufs Bett werfen und... nun, du weißt schon. Das hat nicht viel mit wehren zu tun, finde ich.“ Aya schwieg einen Moment lang, als ihnen das Essen und die Getränke gebracht wurden und er beides auf seine Karte schreiben ließ. Erst als der Page wieder gegangen war, drehte er sich zu Crawford zurück... seinem Pendant in Sachen Menschenkenntnis. „Davon bin ich nicht überzeugt. Vor nicht allzu langer Zeit wirkte er ganz und gar nicht flatterig oder unsicher.“ Brad dachte daran wie Schuldig in seinen Geist eingedrungen war, wie unbeschreiblich niederschmetternd, bloßstellend und schlicht erniedrigend dies gewesen war. Brad begann mit der Datenübertragung zu Nagi, nachdem dieser seine Zustimmung vermeldet hatte. Während dieses Gespräches krakeelte Schuldig weiterhin ab und zu nach Ran, hatte aber offenbar wenig Erfolg damit. Er malte sich bereits die wenig erquickliche Situation aus, dass die beiden dort draußen Sex miteinander hatten, oder sich weniger erotisch gegen ihn verschworen – die Bilder zusammen ansahen und sie ihm vorenthalten wollten wie einem unmündigen Kind. Und was er mit Sicherheit wusste, dass es dort draußen trocken war und dass jemand das Zimmer betreten hatte… ein Page mit Essen. Das war mehr als gemein ihn hier drinnen schmoren zu lassen wie einen Schwerverbrecher. Mutlos ließ er den Kopf sinken. „Was meinst du?“, fragte Aya, hatte er doch eine Nuance aus der Stimme des anderen... Brad Crawford, wie er sich sagte, herausgehört, die nicht zu den neutralen Worten zu passen schien. Zwei Minuten noch... zwei Minuten, dann würde er sich diesem Bündel an Widerspenstigkeit widmen. Brad versuchte die Abscheu und die Wut aus seinen Worten herauszuhalten, während er die Bilder überflog, die Ran vom Revier mitgebracht hatte. Erinnerungen an Gefühle, die ihn noch vor Wochen fest im Griff gehabt hatten drängten sich in den Vordergrund. Das Gefühl, der Schuld stand ihm nicht besonders gut. Reue ebenso wenig. „Nichts im Besonderen“, sagte Brad schließlich und legte beide Laptops beiseite, während des Transfers um sich dem Essenswagen zu nähern und sich dann schlussendlich für die Pasta zu entscheiden. Er nahm sich seinen Teller und setzte sich an den Tisch. „Es hat auch Vorteile wenn Schuldig im Badezimmer bleibt. Hier ist es ruhig, keiner isst uns etwas weg, das übliche Chaos bleibt aus. Du solltest dir überlegen ob du wirklich dort hineingehen willst um die Büchse der Pandora zu öffnen und dir das Wehklagen und das Chaos aufzuhalsen“, spielte Brad das teuflische Stimmchen, welches Ran diverse ungute Vorschläge unterbreitete. Das teuflische Stimmchen, dem Aya mit einer hocherhobenen Augenbraue begegnete und aufstand. Er begab sich Richtung Bad und schaltete zunächst das Licht an um sich Schuldig dann zu betrachten, der äußerst trotzig auf dem Boden der Dusche saß. Aya seufzte und schüttelte den Kopf. Befreien musste er ihn ja nicht... er konnte ja erst mal... die Dusche auf warm stellen. Oder ausmachen. So schob er mit einem Lächeln ob der tickenden Zeitbombe hier die Duschwand auf und langte angestrengt nach dem Regler um das Wasser auszustellen. Schuldig sah auf, als das Licht anging und blinzelte gepeinigt. Als dann tatsächlich die Möglichkeit zur Rettung vor ihm auftauchte zog er ein Gesicht wie Drei-Tage-Regenwetter. Er verengte die Augen und blickte bissig zu Ran auf. „Verräter“, murrte er anklagend. „Du hast mich verraten. Du bist schuld, dass ich hier jetzt gefesselt bin und du hast zugesehen wie er das mit mir gemacht hat.“ Er ruckelte an den Handschellen um Ran aufzuzeigen was genau er meinte, nicht, dass diesem vielleicht die Brisanz des Ganzen entging. Sein Blick fixierte Rans Gesicht, als dieser Anstalten machte die Dusche auszustellen. So, aus war sie! Aya sah auf Schuldig herunter und bedachte sein völlig durchnässtes, blasses Zackelschaf mit einem überraschten Blick. Gut, er hatte keine überschwängliche Dankbarkeit erwartet, dass er derjenige war, der Schuldig befreite, aber das hier... „Findest du es günstig, mir das jetzt zu sagen und nicht erst, wenn du beide Hände wieder frei hast? Vor allen Dingen, da es Crawford war, der dich hierhin gebracht hat, der das Wasser angestellt und dich gefesselt hat.“ „Sicher“, meinte Schuldig sarkastisch. „Und wie ist er so plötzlich an die Handschellen gelangt? Und war das nicht dein Schopf, der sich neugierig um die Ecke geschoben hatte um zu sehen was gerade mit mir passierte? Hmm?“ „Undankbares Stück“, murmelte Aya nun seinerseits, verließ das Bad wieder, augenscheinlich, weil er eingeschnappt war, in Wirklichkeit jedoch nur, weil er die Schlüssel zu den Handschellen brauchte, die noch in der Tasche waren. Schuldig fand das gar nicht witzig. Er begann unkontrolliert zu zittern, da jetzt der Reiz des prasselnden Wassers fehlte und er nun wirklich anfing erbärmlich zu frieren. Es war nass und kalt und das war die unangenehmste Kombination für ihn. Er nieste unterdrückt. „Ich habe es ihm gesagt, dass du krank wirst, ich habe es ihm gesagt“, kam es erneut von der Tür und Ayas unleserlicher Blick ruhte einen Augenblick lang auf Schuldig, bevor er sich zu diesem begab und sich neben ihn kniete, sich an den Handschellen zu schaffen machte und die aufgeweichten und kalten Hände in seine legte und sie rubbelte, so als wäre ER nicht der Hauptschuldige. „Das ist DEM doch egal“, meinte Schuldig und schob trotzig seinen Mund vor, beäugte Ran und sein Tun mit Misstrauen. Noch während Ran dabei war sich bei ihm einzukratzen zog er ihn vollends in die Dusche, an seinen nassen kalten Körper und mit dem Rücken gegen die ebenso nassen Fliesen. „So… du weißt ja was dir jetzt blüht, hmm?“, fragte er mit trotzigem, rachsüchtigem Blick. Seine Hand fand den Regler. Er griff hinauf und schaltete warmes und kaltes Wasser an. Schauer rannen durch ihn, als das warme Wasser auf ihn niederprasselte und er legte seine Stirn an Rans Schulter um das warme Nass richtig auskosten zu können, das auf sie niederprasselte. Zu beschäftigt, sich so auf dem rutschigen Boden der Dusche zurechtzufinden, damit er raus kriechen konnte, wurde Aya nun von einem Schwall an Wasser getroffen, dem er lieber ausgewichen wäre. Reflexartig riss er seine Arme nach oben auf seinen Kopf und vergrub sich so gut es ging an der Wand um seine gerade frisch gewaschenen und... geföhnten Haare zu schützen und aus der Dusche zu kriechen, doch beides wollte ihm nicht so recht gelingen... eigentlich gar nicht, also blieb er so gekauert, in der Hoffnung, das Gröbste abwenden zu können. „Schuldig, du ARSCHLOCH!“, fluchte er lieber anstelle dessen herzhaft, jedoch gedämpft durch seine eigene Kleidung. „Jaja… jetzt rumwinseln, aber zuvor genießen wie ich hier drin im kalten Wasser versauere“, klagte das Arschloch an. Er griff um Ran herum und pinnte diesen erneut an die Fliesen, wischte dessen bereits feuchte Haare aus dem Gesicht und bestürmte die warmen Lippen mit seinen ausgekühlten. Schuldig stöhnte wohlig und brach den Kuss ab als er erneut schauderte. „Wenn mir nicht so scheißkalt wäre, dann hätte ich nicht übel Lust das kalte Wasser aufzudrehen.“ Das hatte er nun von seiner Gutmütigkeit. Man hätte meinen können, dass das blöde Orakel alles schon vorhergesehen hatte. „Mit ihm da draußen hättest du das nicht gemacht“, grimmte es von der rothaarigen, schwarzen Gewitterwolke neben Schuldig, die alles, nur nicht glücklich darüber war, den Telepathen befreit zu haben. „Dank mir hast du, ja jetzt die Chance, warm zu werden“, kam es vom klatschnassen Japaner, dem alleine schon deswegen warm war, weil er vor Wut köchelte. Schuldig hob den Kopf. „Du bist doch der größte …“ Schuldig blickte Ran bedauernd an, bevor er zu lachen begann. „In dem Moment, in dem er die Idee für das hier hatte, wusste er, wie die Sache ausgehen würde. Er wusste, dass du hier sitzen würdest. Du hast dir dein eigenes Grab geschaufelt, Schlaukopf.“ Schuldig küsste Ran auf die wütenden Lippen, schmiegte diesen an sich und umarmte ihn. „Du bist heute den ganzen Tag schon sauer auf mich“, seufzte er niedergeschlagen. Du gibst mir auch allen Grund dazu, wetterte das kleine Männchen direkt hinter Ayas Stirn, das nun Schuldig die Zunge herausstreckte, eben weil er wusste, dass dieser ihn nicht hören konnte. Gerade deswegen! Aya befand sich noch im Schmollstadium. „Sauer könnte man es nicht nennen. Frustriert wohl eher, dass ich jetzt schon WIEDER EINE STUNDE IM BAD VERBRINGEN DARF!“ Zugegeben, er war SEHR frustriert. „Du könntest zur Abwechslung Crawford triezen, weißt du das? Er mag dich, wenn du widerspenstig bist. Er mag es, wenn du ihn ärgerst.“ Nun lachte Schuldig aus vollem Hals. „Die Taktik geht nicht auf, Gewitterwölkchen. Ich würde nicht hier sitzen wenn er es so gerne hätte.“ Als er sich wieder etwas beruhigt hatte schmuste er, sich mit seinem Gesicht an Rans Wange und stupste mit seiner Nase Rans an. Aya schloss geschlagen die Augen und ließ sich beschmusen, fügte sich in sein Schicksal, während immer noch kleine Blitze hier und da an Schuldig leckten, als sie seine Gefühlswelt verließen. Schuldig grinste vor sich hin, als Ran langsam anschmiegsamer wurde. „Ich koch dich weich… ich koch dich weich, warts nur ab“, sang Schuldig leise, für sie beide in die plätschernde Geräuschkulisse hinein. „Niemals“, kam es zurück und schließlich öffnete Aya seine Augen wieder. Eine Weile schwieg er, dann kam er auf etwas zurück, was Crawford ihm gerade gesagt hatte. „Was hast du eigentlich mit Crawford gemacht, dass er dich, als nicht zahm beschreibt? Er hat da so eine Anspielung gemacht...“ „Nicht zahm? Wie seid ihr denn auf das Thema zahm und mich in Verbindung gekommen?“, wollte Schuldig wissen und furchte nachdenklich die Stirn. Dann gab er Ran frei und setzte sich auf die andere Seite der Dusche um sich anzulehnen. Für einen Moment lang spielte Aya mit dem Gedanken, das Wasser abzustellen, doch dann wäre es erst recht kalt geworden und das... nein. „Er hat es eher flatterig und unsicher genannt, als zahm... aber wir sind so auf das Thema gekommen, weil du so artig unter der Dusche warst.“ „ER hat gesagt, ich wäre flatterig und unsicher?“, echote Schuldig und grübelte über diese Aussage nach. Es brachte ihn zum Schweigen. Dachte Brad wirklich so über ihn? Jetzt fühlte er sich wirklich unsicher. Vielleicht war es an der Zeit neue Seiten aufzuziehen! „Nein, er hat gesagt, dass du es NICHT warst... zu einem gewissen Zeitpunkt. Was meinte er denn damit?“ Ayas Blick lag intensiv auf Schuldig. „Dann meint er aber, dass ich es sonst immer bin.“ Schuldig kam nicht drüber hinweg, dass Brad von ihm glaubte er wäre … derart. „In seiner Gegenwart bist du es auch. Du flatterst um ihn herum und ärgerst ihn, wo du nur kannst, du großer, böser Telepath.“ Aya strich Schuldig zärtlich über die Wange. „Hmm“, Schuldig verfiel in Grübelei. Das hörte sich an wie ein Kind, das Aufmerksamkeit wollte. So wollte er sich Brad gegenüber nicht benehmen. Ganz im Gegenteil. Er musste etwas ändern. „Wie dem auch sei, wenn wir nicht bald aufstehen, brauchst du dir da keine Sorgen mehr zu machen, weil ich dich dann aufgefressen habe. Ich habe Hunger, um es mal ganz unromantisch zu sagen, weil ich den ganzen Tag nichts gegessen habe. Draußen wartet auf uns Essbares und wenn wir uns nicht beeilen, hat uns besagter Amerikaner alles weggegessen. Also hoch mit dir!“ Aya für seinen Teil zog sich an der Duschstange nach oben und fluchte unterdrückt. Komplett durchnässt. Unwirsch stellte er das Wasser ab und reichte Schuldig eine Hand, um diesem aufzuhelfen. Schuldig blickte verspätet zu Ran hoch, lächelte sparsam und ergriff die ihm gereichte Hand. Ran hatte ihm einiges zum Nachdenken gegeben und er würde sich wohl damit befassen müssen. Und damit wie er sich bei Brad dafür rächen konnte. „Du hast nicht eine gute Idee wie ich mich dafür rächen könnte?“ „Viele, aber die Tatsache, dass du hier der Fantasievollere bist, überlasse ich dir die Wahl deiner eigenen Rache.“ Aya lächelte charmant und griff sich zwei Handtücher, von denen er eines Schuldig auf den Kopf stülpte und die Haare des Telepathen so fest rubbelte, dass es diesen nur so schüttelte. „He!“, maulte Schuldig. Ayas eigenes Handtuch fand etwas gesitteter den Weg um seine Haare, die nachher eine langwierige Begegnung mit dem Föhn haben würden. Zunächst mussten sie sich allerdings noch umziehen und Aya betrachtete sich für einen Moment lang die sauber aufgereihten, kleineren Handtücher. Eines von ihnen tränkte er mit kaltem Wasser und nahm es mit in den Raum hinaus. Crawford sollte schließlich auch etwas von ihrem Vergnügen haben. Dieser vermutete, dass der so umsichtige Japaner nicht damit gerechnet hatte, dass sein Opfer neben der Tür in der Nähe des Eingangs wartete, ihm das Handtuch abnahm und ihn in den offenen Raum schubste, sodass Brad bequem das Badezimmer betreten, es schließen und verschließen konnte. Währenddessen bedachte er Ran noch mit einem guten Tipp: „Die Pasta schmeckt hervorragend.“ Als der Schlüssel sich im Schloss drehte hatte sich Schuldig ausgezogen und hielt mit dem Handtuch, mit dem er sich gerade das Gesicht abtrocknete inne. Sein Blick ruckte vom Anblick seines blassen Spiegelbildes zu Brad hinüber dann zur verschlossenen Tür. „Du hattest eine Beschwerde vorzubringen, Mastermind?“, hörte er da die kühle, spöttische Note an sein Ohr schallen. Ayas Körperbeherrschung hatte währenddessen verhindert, dass er zu weit in den Raum stolperte, so hatte er sich dann schon wieder gefangen, als die Tür hinter ihm zufiel und das Schloss nur zu deutlich umgedreht wurde. Natürlich hätte Aya das für die Hotelsicherheit übliche Einsteckschloss mit einer Geldmünze leicht öffnen können, oder mit einem Messer, doch wo wäre da denn der Spaß geblieben, auch wenn ihm Schuldig durchaus leid tat... Schuldig, der schon wieder in diesem schicksalsträchtigen Raum gefangen war. Dieses Mal mit dem zweiten Teufel in persona. Sich an den Rat besagten Teufels haltend, nahm sich Aya etwas der vorzüglichen Pasta, lud sie sich auf einen Teller und begab sich schließlich wieder zu seinem Platz an der Badezimmertür. Nicht, um als weißer Ritter das Bad zu stürmen und die holde, in Bedrängnis geratene Maid zu retten, nein, sondern um zu lauschen. Wenngleich er vermutete, dass er nicht viel hören würde. Wenn es sich Aya allerdings ehrlich eingestand, so machte er sich doch im Hinblick auf seinen Wortwechsel mit Crawford doch einige Sorgen um Schuldig. Dass das Orakel sich allerdings erneuter Gewalt bedienen würde... nein. Vielleicht war es auch diese Erkenntnis, die ihn schließlich dazu bewog, sich wieder von der Tür zu entfernen und sich auf die Couch zu setzen. Er musste von Zeit zu Zeit loslassen... die beiden loslassen. Crawford war ein Teil von Schuldigs Leben, also auch ein Teil des seinigen. Privatsphäre war da unabdingbar. Schuldig, der sich seiner Nacktheit zwar bewusst war sich ihrer aber weder schämte, noch sich vor Brad genierte, wandte sich diesem zu, das Handtuch fand seinen Weg zu seinen Haaren und rubbelte sanft darüber. Währenddessen ließ er Brad und dessen abwartende Gestalt nicht aus den aufmerksamen Augen. „In der Tat“, sagte er aufgeräumt, als säßen sie sich bei einem guten Glas Wein gegenüber und nicht in dieser Aufmachung im Badezimmer eines Hotels. „Das geschwätzige biedere Polizistchen dort draußen“, er wedelte in Richtung angrenzender Suite. „…berichtete mir, dass du geäußert hättest ich wäre in deiner Gegenwart… wie war das noch gleich… unsicher und flatterig. Was kannst du zu deiner Verteidigung vorbringen?“ Schuldigs Blick hatte sich an den bernsteinfarbenen Iriden festgebissen. Er machte noch keine Anstalten auf den anderen zuzugehen, keine Zugeständnisse. Brad blieb ebenfalls auf seinem Territorium. Es wunderte ihn, dass Schuldig diesen Punkt als ersten von vermutlich vielen Vorwürfen ins Feld führte. Offenbarte dies einen wunden Punkt? „Falls ich eine Verteidigung nötig hätte würde ich sagen: Es waren Fujimiyas Worte gewesen. Ich sagte lediglich, dass ich dich durchaus auch in anderen Stimmungen und zu weit mehr, als nur Flatterhaftigkeit und Unsicherheit in meiner Gegenwart bereit, kenne.“ Schuldig wickelte sich ein frisches Handtuch um die so exponierten Teile seiner Männlichkeit und ging auf Brad zu. Er sah ihn immer noch forschend an, denn er ahnte was Brad damit meinte. Unmittelbar vor ihm blieb er stehen. Er fühlte sich ganz und gar nicht unsicher im Moment. Lediglich schuldig. Seine rechte Hand hob sich in Richtung Brads Schläfe und seine feuchten Finger, die zuvor noch seine Haare bearbeitet hatten berührten die warme Haut. „Empfängst du problemlos Visionen?“ Die Besorgnis aus seiner Frage bewusst heraushaltend. Brad nahm die Hand des anderen nach einer gewissen Toleranzzeit herunter, sanft und nicht abweisend. „Dank dir.“ Schuldig behielt den Blick für einen Moment mit Brads verschlungen, bevor er ihn auf einen Punkt an dessen Hals vorbei auf die Fliesen senkte. Seine Lippen bildeten einen schmalen Strich. Er wollte etwas sagen, aber welche Bedeutung hätten diese Worte? „Bist du deshalb derart ‚unsicher’ und ‚flatterig’ in meiner Nähe? Wie unser Hobbypsychologe meinte?“ Schuldig schüttelte langsam den Kopf. „Unsinn. Das bin ich überhaupt nicht. Ich will dich lediglich aus der Reserve locken. Es macht Spaß dir auf die Eier zu gehen. Das ist alles. Ein Hobby. Das habe ich früher getan, also warum jetzt nicht auch?“ Brad schien mit seiner Antwort nicht zufrieden zu sein. „Was willst du denn noch hören?“, murrte Schuldig und lehnte seine Stirn auf Brad Schulter, stützte seine Hände an dessen Flanken ab. Brad löste seine Haltung um ihm mittels eines umgelegten Arms die Sicherheit zu geben, die Schuldig mit seiner körperlichen Annäherung suchte. „Ich war enttäuscht und wütend. Ich hatte eine verdammte Scheißangst, dass du…“ „Um was geht es hier jetzt, Schuldig?“ „Darum, dass du mir Angst gemacht hast. Dass du mich… uns verraten hattest, mit deinen verdammten Alleingängen. Dass du mir nichts über deine fehlenden Visionen gesagt hast. Du hast dich derart weit von mir entfernt… ich wusste mir nicht anders zu helfen, als dir zu zeigen, dass du gefälligst bei mir bleiben solltest.“ „In deinem Einflussbereich?“ „Ja, verdammt, von mir aus auch das.“ „Dafür musstest du alles aus mir herausbrechen?“, fragte Brad erneut ruhig und gelassen nach. Schuldig hob das Gesicht zu dem des anderen weil er nicht glauben konnte, dass Brad ihm nichts vorspielte. Dennoch war der Ausdruck der Augen, die auf ihn herabblickten, milde, warm aber auch mit etwas durchzogen, das er nicht einordnen konnte. Etwas Dunkles, Unbefriedigtes, Schwarzes. Aya hörte nicht viel vom Gespräch der Beiden, eigentlich gar nichts, bis auf ein paar gedämpfte Laute. Er bemühte sich, sich auf die Pasta zu konzentrieren, und als er damit fertig war, sich eine große Tasse grünen Tee zu nehmen, mit der er nun über die Skyline von Osaka schaute und seine Gedanken schweifen ließ. Es war Wahnsinn, wie schnell sie sich in den letzten Monaten entwickelt hatten. Wie sehr sie sich verändert hatten um sich näher zu kommen. Crawford hatte ihm einmal vorgeworfen, dass er diese Nähe nicht gewollt hatte, doch das bezweifelte Aya in jeder Minute mehr, die der andere im Bad und sowieso in der Nähe des Deutschen verbrachte. Schuldig wusste um den Vertrauensbruch, den seine Tat nachgezogen hatte, um die Verletzung, die Erniedrigung, in die er Brad überantwortet hatte. Er war kein Empath, er konnte keine verletzten Gefühle kitten, sie nicht wieder ausmerzen, ihnen kein neues Gewand geben und seine Tat so kaschieren. Und er wusste, sie alle wussten, dass Brad am Verletzlichsten von ihnen war. Von dem Punkt einmal abgesehen, dass er Schuldig gegenüber am Wehrlosesten war. Dennoch fühlte Schuldig sich dem anderen keineswegs überlegen. Nur dort in der Klinik, dort wollte er Rache, wollte er, dass Brad sah wie stark er ihn verletzt hatte und es war Schuldig egal gewesen, dass Brad keine Voraussicht gehabt hatte, dass er körperlich eingeschränkt gewesen war und sich nicht wehren hatte können. Schuldig fühlte wie Finger seine Haare im Nacken umschlossen, wie ein fester Griff den Zug auf seine Kopfhaut verstärkte und er diesem nachgeben musste. Er blickte wieder auf, da er sein Gesicht von Brad zuvor abgewandt hatte. Brad blickte in das ihm so verletzlich präsentierte helle Gesicht, die Lippen, die im Augenblick weit davon entfernt waren ein provozierendes Grinsen zu vollführen, die Augen, die ihn abwartend, und reuevoll anblickten. War es tatsächlich dieser Punkt, der Schuldig dazu veranlasste einen Schritt zurückzugehen, wenn er einen vor tat und das nicht nur aus rein spielerischen Zwecken? „Hör auf damit.“ Schuldig legte die Stirn in Falten. „Hör auf damit“, wiederholte Brad. „Reue oder Schuld zu fühlen. Das macht dich schwach und angreifbar“, ordnete er kühl an. Schuldigs Hände krallten sich in Brads Hemd, fühlten die Wärme der Haut darunter. „Ich kann das nicht abstellen, wie einen Lichtschalter“, bemerkte Schuldig und der Hauch eines spöttischen Lächelns irrlichterte über die blassen Gesichtszüge. „Dazu war der Bruch zu groß, den ich begangen habe.“ „Du… oder ich?“, fragte Brad und die Frage schwebte im Äther wie Giftgas. Schuldigs blaugrüne Augen suchten stumm die von Brad. Nach einer Weile, die ewig schien, versuchte der Telepath sich an einer Antwort, auch wenn sie für ihn sehr schwierig war, denn er wusste nicht, ob er ins Schwarze traf. Aufgrund Brads wortkarger Rückfrage jedoch… „Du hattest keine Schuld an Kitamuras Verhalten mir gegenüber“, sagte er die Worte betont neutral gehalten. Etwas in Brads Blick wurde härter, unnachgiebiger, dennoch spürte Schuldig wie sich diese Emotionen nicht gegen ihn richteten. Warum fühlte er dies? Die Stirn runzelnd war sein Gesicht nun ein Ausbund an Konzentration, als er diesen Gefühlen versuchte nachzuspüren. Seine Lider fielen herab und ihn traf die plötzliche Erkenntnis genauso plötzlich wie ihn Brads Hände an den Schultern packten und ihn heftig schüttelten. „Raus aus meinem Kopf, Schuldig“, hörte er Brads Stimme etwas weiter entfernt, als er sie eigentlich hören sollte und öffnete erschrocken die Augen. Schuldig zuckte regelrecht zusammen unter dem Gefühlsansturm, der auf ihn eingeprasselt war. Bleich schüttelte er den Kopf. „Ich… ich“, er befeuchtete sich die trockenen Lippen und seine Finger zogen sich näher an Brad heran, der ihn jedoch seinerseits auf Abstand halten wollte. So starrten sie sich an und verhielten still. „Das…“, stotterte er und schüttelte erneut den Kopf. Brad sah sich dieses Schauspiel an. Seine Laune war weit unter den Nullpunkt gesunken, als er einen Eingriff in seinen Geist vermutet hatte. Doch irgendetwas hatte Schuldig erschüttert. Was hatte er gelesen? Brad hätte Schuldig für diesen erneuten Bruch seines Versprechens am liebsten eine harte Lektion erteilt. Nur die fahle Farbe in diesem attraktiven Gesicht und Schuldigs Unvermögen sich zu artikulieren hinderten ihn an dergleichen. „Was ist los?“, verlangte er zu wissen und seine Stimme hörte sich wie das Knurren eines Wolfes an. „Ich war nicht in deinen Gedanken“, wiederlegte Schuldig Brads Verdacht hastig. „Ich empfing empathische Potenziale.“ Er starrte seine Hände an. „Von dir.“ Brad war angefüllt mit Emotionen der unterschiedlichsten Art gewesen. Ganz anders als Schuldig vermutet hatte, denn es war konfus, nicht geordnet, sondern… wie eine Art… Rausch der Farben. Unwillkürlich musste Schuldig an Jei denken. Als könne er diese Farben fühlen und nicht sehen. Er hatte einen kleinen Ausschnitt darüber erhalten, wie sich diese Gefühle anfühlten und ihm fiel nur ein, dass sie ihm wie eine große Farbpalette erschienen. „Eine Weiterentwicklung?“ Brads Stimme verlor ihren eisigen, wütenden Tonfall, milderte sich etwas ab. Er ließ es zu, dass sich Schuldig ihm nähern konnte, wenn er wollte und er registrierte tatsächlich eine Art Flucht zu ihm hin. „In letzter Zeit übte ich viel mit Ran. Die ganzen alten Sachen. Grundübungen, Aufbau, Erweiterung… vielleicht deshalb“, sagte er nachdenklich immer noch mit dem Hauch von Unsicherheit durchwirkt. „Ich bin mir nicht sicher, ob das gut ist.“ Schuldig verzog das Gesicht. „Mit Sicherheit nicht. Vor allem nicht, wenn ich es nicht steuern kann. Meine Schilde scheinen im Moment nicht sehr gut zu sein.“ „Du solltest an ihnen arbeiten. Und rede mit Jei“, mahnte Brad und wusste selbst nicht, wie er mit der Situation umgehen sollte. Schuldig und empathische Fähigkeiten? Das war so etwas wie eine kleine Katastrophe. „Ja… mach ich“, murmelte Schuldig und er legte seine Stirn erneut an Brad Schulter. Er spürte wie Brads Arme sich mehr um ihn schlossen, wie dessen Hände sich warm auf seinen Rücken legten. Diese Umarmungen waren sehr selten und Schuldig schloss ob des seltenen Glücks seine Augen. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. „Erzähl bloß nichts dem Polizistchen dort draußen. Er weiß zwar, dass ich latente Fähigkeiten in diese Richtung habe, allerdings eher als begleitende Erscheinung zur Telepathie, denn als separierte Fähigkeit.“ „Das ist deine Entscheidung.“ Brads Hand fand ihren Weg in Schuldigs Nacken, lag dort ruhig und sicherheitsversprechend. „Und was Kitamura anbetrifft…“, kam er auf das Thema zurück. Schuldig hörte ein Zögern heraus. Er schwieg, denn er wollte Brad aussprechen lassen. Es war eine seltene Gelegenheit für sie beide um diese Dinge mit etwas Abstand anzusprechen. Dinge, die für sie beide elementar waren um sich vertrauen zu können. Um sich wieder vertrauen zu können. „… die Entscheidung, dir deine Amnesie zu lassen, war keine, die ich leichtfertig getroffen habe.“ Schuldig hob seinen Kopf und blickte Brad an, seine Hand ruckte zu dessen Lippen und die Spitzen seiner Finger legten sich über diese. „Ich weiß. Ich habe es in deinen Gedanken gelesen, Brad. Ich weiß um diese Vision. Ich weiß darum… um deine…“ Schuldig stoppte. Brad… hatte keine Angst… so eine Umschreibung würde diesen vor den Kopf stoßen und Schuldig war im Moment nicht danach. Vielleicht nach dem Gespräch, nach dem sie diesen Raum der Nähe, der Verbundenheit wieder verlassen hatten. Dann konnte er Brad wieder auf die Nerven gehen, doch jetzt nicht. „… deine Bedenken darüber, dass ich unser Arbeitsverhältnis beenden würde, zum Anlass genommen hattest. Ich weiß das alles. Und es ist in Ordnung.“ Brads Lippen kräuselten sich zu einem leisen Lächeln unter den Fingern. Seine Hand löste sich von dort wo sie an Schuldigs Flanke ruhte und er pflückte Schuldigs Finger von seinen Lippen. „Du warst so gänzlich anders, Schuldig. Ich fühlte mich verantwortlich für dich. Und trotz deiner beschönigenden Worte – die ich dir hoch anrechne – war es Angst, du könntest von SZ abgezogen und mir entzogen werden. Es hätte meine Rache an Kitamura und SZ, die ich mir geschworen habe wesentlich erschwert.“ Er schwieg für Augenblicke. „Wir sind quitt“, sagte er dann. Schuldig nickte. „Wir sind quitt.“ Wenn Brad das brauchte, dann würde er ihm diese ‚Begleichung der Schuld’ geben. Auch wenn Schuldig es ganz und gar nicht so sah. Er hatte Brad aus Verletztheit, Wut und Verzweiflung geistig geschändet. Er wusste nicht wie das alles mit Brads Schweigen in Bezug auf Kitamura verrechnet werden sollte. „Ich brauche einen geistigen Führer, jemanden der mich lehrt. All die Jahre wäre es dringend nötig gewesen. Nur… ich wüsste nicht wer dies sein sollte.“ Brads Lippen berührten Schuldigs Stirn, der seinen Kopf wieder angelehnt hatte. „Vielleicht sollten wir uns bald auf die Suche machen. Nach Gleichgesinnten in den Archiven suchen.“ „Nach Europa reisen? Hältst du das für klug?“ „Es wäre ein Anfang. Zu lange haben wir uns nicht mehr darum gekümmert was die Weiterentwicklung, die Verfeinerung unserer Sinne und die Arbeit damit angeht.“ Schuldig lachte freudlos auf. „Das wolltest du doch gar nicht“, sagte er brummend. „Zumindest bei dir selbst nicht.“ „Es reicht durchaus, wenn ich mich um wirtschaftliche Vorhersagen bemühe, sie sind weniger belastend, Schuldig.“ Weniger belastend als zu sehen wie täglich Menschen auf bestialische Weise dem Tode überführt wurden, wie Katastrophen geschahen oder ähnliche, emotional aufwühlende Dinge. Früher hatten sie ihn fast verrückt gemacht. Heute blockte er sie ab, wie Schuldig wusste. War Brad deshalb so kühl geworden? Und hatte der kleine empathische Exkurs ihm gezeigt, dass diese Kühle nicht ständig vorhanden war? Unter Umständen nur ein Schutzschild? „Geldgeschäfte können auch emotional belastend sein“, grinste Schuldig zu Brad hoch. „Nicht wenn ich dabei der Gewinner bin.“ Brad betrachtete sich Schuldigs Gesicht, die gerade Nase, die feinen Wimpern, der helle Teint. Er lehnte noch an Brad und hielt seine Augen halb geschlossen, schien es zu genießen. „Wie wäre es, wenn du dich fertig machst, wir mit dem Rotfuchs essen und danach etwas trinken gehen?“ Schuldig legte den Kopf leicht in den Nacken und seine Lippen verzogen sich zu einem unternehmungslustigen Lächeln. „Du meinst also, dass wir heute noch einen drauf machen können?“ Brad löste sich von Schuldig, zupfte ihm das Handtuch von den Hüften und warf es ihm zu. „Beeil dich.“ Er schloss das Badezimmer auf und verließ es. Schuldig hätte sich gerne von Brad küssen lassen, aber dieser … Aufseufzend machte er sich daran seine Haare zu trocknen. Mit der Zeit war Aya unruhig geworden, sehr unruhig. Es drang fast kein Laut aus dem Bad, bis auf ein einziges Mal, bei dem Aya glaubte, Crawfords Stimme vernommen zu haben. Doch nun stand der Amerikaner gelassen im Raum, scheinbar gelassen, denn Aya meinte, eine latente Spannung in der Statur des Orakels ausmachen zu können. „Brauche ich Verbandszeug für Schuldig? Oder muss ich ihn noch einmal von der Duschstange lösen?“, kam es mit Verdächtigungen beladen von Aya. „Es muss schon ein schlimmer Zwang sein, von mir ständig als bösen Unhold zu denken“, merkte Brad an und öffnete die Flasche Wasser, die Ran mitbestellt hatte. Fortsetzung folgt… Vielen Dank für’s Lesen. Bis zum nächsten Mal! ^.^ Coco & Gadreel Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)