Celine von Taoya ================================================================================ Kapitel 1: ----------- >>You can tell by the way, she walks that she´s my girl...<< >>You can tell by the way, she talks that she rules the world...<< Diese Liedzeilen gingen mir durch den Kopf, als ich Celine hinterher sah, wie sie mit wehenden Haaren über die Wiese ging. Sie drehte sich zu mir um und lachte mich an. Ihre weißen Zähne blitzten in der Sonne und ihre blauen Augen strahlten mit dieser um die Wette. Mir selbst trieb der Wind auch vereinzelte Haarsträhnen ins Gesicht, eine besonders widerspenstige verhakte sich in meiner Sonnenbrille. In meiner >neuen< Sonnenbrille, wohlgemerkt. Celine hatte gelacht, als ich sie ihr voller Stolz vorgeführt hatte. Ich entwirrte die Strähne, was nicht viel brachte, denn gleich darauf flogen wieder neue in mein Gesicht. "Komm schon!" rief Celine in ungeduldigem Ton nach mir. Ich stieß mich von dem Felsbrocken, an den ich mich angelehnt hatte, ab und folgte ihr. Ohne es unterdrücken zu können machte sich auf meinem Gesicht ebenfalls ein Lächeln breit. Sie schaffte das immer wieder... Wir streiften ziellos umher, immer nur querfeldein durch das blühende Grün. Ich war froh um die Jeans, die ich trug, denn die Brennnesseln tauchten immer dann auf, wenn man gerade mal nicht nach unten sah. Celine war das egal, sie tanzte in ihrem fast knielangen Flatterrock praktisch vor mir her. Die Welt war so ruhig, so sanft. So als wäre die Zeit stehen geblieben, weil wir gerade nicht dabei waren, weil wir gerade nicht hinsahen. Ich erzählte Celine meinen Gedanken und sie lächelte mich an. Dann gab sie mir einen Schmatz auf die Wange. "Das ist ein schöner Gedanke!" sagte sie. "Er macht frei. Man kann tun und lassen, was man will. Es kann ja keiner sehen." "Aso?" fragte ich neckend und zog eine Augenbraue nach oben. Sie lachte kurz laut auf und wurde gleichzeitig rot. Ich fand das unheimlich süß. Sie errötete noch mehr, als ich ihr das zuflüsterte. Ihre schwarzen Wimpern glänzten in der Sonne, als sie fast die Wangen berührten. Ich sah das so genau, weil ich direkt neben ihr stand. Nur langsam fand ihr Blick wieder den Weg nach oben und sie knuffte mich freundschaftlich in die Seite. "Tu nicht immer so cool, Phi! Ich weiß, dass du auch anders kannst." "Ja, kann ich," entgegnete ich, "aber, ob ich will, ist die andere Sache." "Das sieht dir wieder ähnlich." Aber sie lachte und sah mich wieder voll an. "Lass uns weiter gehen." meinte ich und stupste sie mit der Schulter an. Wir schlenderten dicht nebeneinander durch das hohe Gras, pflückten ab und zu einen Halm, zerrupften ihn stückchenweise, ließen ihn fallen, nahmen einen Neuen. Unser Gespräch nahm keine besondere Richtung an, ging mal dahin, mal dorthin. Ich spürte ihre Wärme, die von ihrem Arm ausging, der an meinen rieb. Und ich nahm ihren ganz eigenen Duft wahr, der immer mal wieder an meiner Nase vorbei wehte, gemischt mit dem Duft der Wiese. Es kribbelte an meinem ganzen Körper, eine wohlige Gänsehaut überzog mich. Sie schien es zu spüren, denn ab und zu, in ruhigen Momenten, sah sie mich von unten durch ihre Wimpern hindurch an und verzog ihre Lippen zu einem neckenden Lächeln. Irgendwann konnte ich nicht mehr an mich halten und vergrub meine Nase tief in ihrer Halsbeuge. An ihrem Kichern merkte ich, dass mein Atem sie kitzelte, aber sie ließ mich gewähren. Sie lehnte ihren Kopf an mein Schlüsselbein und schlang ihre Arme um meinen Bauch, ohne das ich die Hände aus den Hosentaschen zu nehmen brauchte. "Du riechst soo guuut!!" murmelte ich gedämpft, meine Lippen an ihrer zarten Haut. "Hm..." Lange blieben wir einfach so stehen. Ich sog ihren Duft ein, als wäre es Gottes Odem selber, spürte, wie sich ihr Brustkorb hob und senkte, wie ihr Herz schlug und dessen Rhythmus dem meinen immer ähnlicher wurde, wie sie langsam mit ihren Händen meinen Rücken entlang strich, fühlte, wie ihre Haare sich mit meinen verwebten und sich um unsere Schultern schlängelten als der Wind uns fast zärtlich umspielte. Ich genoss diese Nähe, diese Wärme, die Ruhe und die Zärtlichkeit. Man konnte wirklich alles um sich herum vergessen. Gab es die Welt überhaupt noch? Ich kam mir vor wie im Paradies... "Phi..." "Was ist, Kleines?" Hatte sie gerade denselben Gedanken? Sie seufzte nur leise. Dann drehte sie ihren Kopf ein wenig und küsste meine Wange. Erst nur ganz kurz, aber dann kamen ihre Lippen noch einmal und verharrten länger. Wieder kuschelte sie ihren Kopf an mein Schlüsselbein. Ich seufzte tief, nahm nun doch die Hände aus den Hosentaschen und schlang sie um ihren zarten Körper, um sie so nah wie nur möglich an mich zu ziehen. "Mhmmm..." war das Einzige, was ich zu hören bekam und lachte leise. "Jaja... Lach du nur. Aber hab ich nicht gesagt, dass du immer nur so cool tust?!" Als Antwort verließ ich die Wärme ihrer Halsbeuge, hob eine Hand, drehte damit ihren Kopf zu mir und küsste sie direkt auf den Mund. Sie lachte jetzt auch, direkt an meinen Lippen. "Du weißt genau, wer ich bin, Ce." flüsterte ich in den Kuss. "Ja", kam die Antwort, "du bis Phi. Und du gehörst mir, nur mir. Für immer." Für immer... Wir hatten keine Lust mehr, noch weiter zu gehen und legten uns dort, wo wir gerade waren, ins Gras. Celine kuschelte sich ganz eng in meine Umarmung und wir beide blickten gen Himmel und beobachteten die kleinen weißen Wölkchen, die sachte vom Wind umher geschoben wurden. Lange sagte keiner etwas. Wir verstanden uns auch ohne viele Worte. "Irgendwie richtig kitschig, nicht? Die Ruhe, der Himmel, die Wiese..." "Die Bienchen und die Blümchen..." warf ich ein. Sie lachte. Es klang wie Glockengeläut. Glockengeläut... "Ja, die auch. Aber auch wir zwei, wie wir hier so liegen..." "...und uns lieben..." ergänzte ich leise. Celine stützte sich auf ihren Ellenbogen und sah mir in die Augen. Das heißt, sie versuchte es. "Menno... Deine Sonnenbrille ist so unromantisch..." maulte sie. "Aber sie sieht cool aus!" erwiderte ich. Wir führten dieses Gespräch nicht zum ersten Mal. "Ja, stimmt. Aber ich mag deine Augen. Sie leuchten so." "Das tun sie nur, wenn du da bist..." raunte ich ihr zu. Sie kicherte. "Bin ich ja." Sie machte eine Pause und blickte etwas unsicher auf mich hinab. "Was?" "Darf ich sie dir abnehmen?" fragte sie zögerlich. Ich seufzte theatralisch und lächelte sie dann an. "Na gut, aber nur weil du es bist." Sie strahlte bis über beide Ohren, entfernte die Brille und verschlang meine Lippen. Sie konnte ganz schön rangehen, wenn sie in der Stimmung war... Und sich sicher fühlte. Das war bei ihr ein ganz großer Faktor. Sie hasste nichts mehr, als bei etwas erwischt zu werden, was nur ihr ganz alleiniges Privatleben betraf. Ich hatte das mal nebenbei bei meiner Mutter erwähnt und sie hatte verwundert die Augenbrauen zusammengezogen. "Ich dachte, ihr steht zu eurer Beziehung?" Da war es an mir gewesen, verwundert zu sein. Aber ich konnte ihr den Unterschied zwischen diesen beiden Sachen nicht verständlich machen. Wobei ich aber auch den Eindruck hatte, dass sie es gar nicht unbedingt verstehen wollte. Damals hatte ich mit den Schultern gezuckt, aber verletzt hatte es mich doch. Später überhörte ich eine Bemerkung von ihr an meinen Vater, dass ich ihr, seit ich mit Celine zusammen war, ein Rätsel geworden war, und dass sie es aufgegeben hätte zu versuchen, es zu lösen. Das hatte mich tief getroffen. Mein Vater hat zum Glück nie aufgegeben. "Harte Schale... aber zuckersüßer, weicher Kern..." Ich war schon halb weggetreten und brauchte etwas, um auf den Satz angemessen zu reagieren. "Wen meinst du damit, Ce?" Wir lagen gemeinsam in meinem Bett, genossen es, wie sich unsere Herzen langsam wieder Normalpuls näherten und richteten uns auf eine Nacht in sturmfreier Bude ein. "Na dich, Phi." kam es belustigt zurück. "Wen denn sonst?" Ich drehte mich vom Bauch auf die Seite und zog Celine zu mir. Dieses Gefühl... Von oben bis unten Haut an Haut... Anscheinend war ich doch noch nicht so müde. Zärtlich strich ich ihr über den Rücken, bis sie anfing zu schnurren. Ich lachte leise. "Wie kommst du darauf?" fragte ich schließlich. "Na ja, du tust immer so, als wärst du unverwundbar. Cool und über alles erhaben. Aber das bist du gar nicht. Du bist sehr verletzlich. Wovor hast du solche Angst, dass du diese Mauer aufbaust?" Ich lachte trocken. "Das fragst du noch? Ich hab keine Lust zum Spielball anderer Leute zu werden! Meine Devise ist, leben und leben lassen. Aber nur die wenigsten Menschen machen das genauso." "Bei mir bist du aber ganz anders." betonte sie. "Ja." Ich lächelte sanft und sah ihr in die Augen. ">Du< bist ja auch anders. Ich vertraue dir." Celine errötete leicht und wandte ihr Gesicht ab. "Danke Phi..." Dann sah sie mir wieder voll ins Gesicht. Leise flüsterte sie: "Ich liebe dich so sehr... weißt du das??" "Ich hoffe es!" erwiderte ich ebenso leise. "Mir geht es nämlich genauso, wenn nicht noch viel mehr..." Damit zog ich ihren Kopf zu mir, damit ich an ihre Lippen kam und rollte mich herum, bis sie zwischen mir und der Matratze lag. Einladend bewegte ich meine Hüften und sie lachte befreit in den Kuss. Dann nahm sie ihre Hände von meinem Hintern- wo sie in der Zwischenzeit gelandet waren- und zog mir damit die Ohren lang. Ich grinste nur und küsste sie wieder, ließ meine Zunge über ihren Hals und ihre Brust gleiten, bis sie von meinen Ohren abließ und leise stöhnend mit ihren Händen andere Ziele suchte. Wir saßen in einem kleinen Café, gegenüber unserer Schule. Wir hatten Mittagspause und diesmal keine Lust gehabt, in unsere Schulküche zu gehen. Es war Herbst und wir waren gerade in die elfte Klasse gekommen. Wir sinnierten darüber, ob wir es wohl schaffen würden, die nächsten drei Jahre auch noch halbwegs unbeschadet zu überstehen. Auch Berufswünsche bzw. -vorschläge für den jeweils anderen flogen wie Pingpong-Bälle zwischen uns hin und her. Wirklich ernst war uns dieses Thema allerdings noch nicht. Schon gar nicht, als der Kellner uns unsere riesigen Eisbecher brachte. Wohl unsere letzten für diese Saison. Wir fielen wie hungrige Wölfe darüber her. "Wie lange kennen wir uns jetzt schon, Phi?" fragte Celine, während sie nachdenklich aus dem Fenster sah. Ihr voller Eislöffel hing zwischen dem Becher und ihrem Mund in der Luft. Ich grinste. "Fünfte Klasse, Tag eins." Das brachte sie dazu, wieder mich anzusehen und ebenfalls zu grinsen. "Das ist ne ganz schöne Ewigkeit, findest zu nicht?" "Ist das schlimm?" "Nein, Gott bewahre!" fuhr sie erschrocken zusammen. "Ich meinte nur so. Es erstaunt mich nur immer wieder." Sie lächelte sanft. "Hm. Ja." Dann ging sie auf meinen Spaß ein und fragte schmunzelnd: "Und wie lange lieben wir uns schon?" "Fünfte Klasse, Tag zwei!" platzte es aus uns beiden gleichzeitig heraus und wir prusteten los. In Wahrheit hatte das Ganze natürlich schon etwas länger gedauert. Zwar hatten wir uns wirklich vom ersten Tag an super verstanden, aber das mit der Liebe brauchte seine Zeit. Ich hatte mich Ende der siebten Klasse in Celine verliebt und quälte mich die ganzen Sommerferien lang damit herum. Ich wollte mich nicht bloßstellen und etwas kaputt machen, was bis dahin so wunderschön gewesen war, unsere unvergleichliche Freundschaft. Celine war natürlich nicht blöde und hatte bemerkt, dass mit mir etwas nicht stimmte. Ende der Ferien stellte sie mich dann zur Rede und quetschte und drückte und zog so lange, bis ich es ihr endlich gestand. Zuerst war ich furchtbar böse auf sie, dass sie mich doch noch dazu gebracht hatte, aber als sie mir einfach erleichtert und glücklich um den Hals fiel waren alle Zweifel vergessen. Sie gestand mir dann auch, dass sie sich schon Anfang der Sechsten in mich verknallt hätte, aber sich nie getraut hatte, etwas zu sagen. Da war ich natürlich noch mal etwas böse auf sie, mehr aus Prinzip, weil sie alles aus MIR heraus gequetscht hatte, aber eigentlich war ich nur noch glücklich. An dem Tag goss es zwar aus Kübeln, aber für uns war es der schönste Tag, den wir bis dahin erlebt hatten. (Dieser Meinung waren wir später noch einmal und einigten uns darauf, dass es wohl mehrere schönste Tage im Leben geben würde...) Bis wir unseren Eltern sagten, dass wir zusammen waren, brauchte es ein Weilchen. Zuerst waren sie auch etwas skeptisch, fragten uns, ob wir uns wirklich sicher wären. Fragten uns das wiederholt. Und als wir nach sechs Monaten immer noch bejahten, glaubten sie uns endlich und akzeptierten es. "Unser 3-jähriges dieses Jahr war echt toll..." seufzte Celine. "Oh ja!" stimmte ich ihr- ebenso seufzend- zu. Wir hatten Geld gespart und waren eine Woche in den Süden gefahren. Das erste Mal, so ganz ohne Eltern oder sonstige Aufsichtspersonen... War das herrlich gewesen! Grinsend sahen wir uns an und wussten in dem Moment, dass wir 100% gerade an dasselbe gedacht hatten... Ich lehnte mich zu ihr hinüber und küsste sie sanft auf den Mund. Dann zwinkerte ich ihr zu und löffelte schnell an meinem Eisbecher weiter, bevor er nur noch Soße sein würde. Celine tat es mir nach. Wir verreisten noch viel. In jeden Ferien hatten wir ein anderes Ziel und manchmal nahmen wir sogar ein langes Wochenende und fuhren zu einem, nicht ganz so weit entfernten, Ort. Unsere Eltern beobachteten uns amüsiert, aber da wir für den Großteil unserer Reisen auch Arbeiten gingen und die Noten auch in Ordnung waren, ließen sie uns gewähren. Ich würde nicht behaupten wollen, wir hätten die Welt gesehen. Dafür reichte unser Erspartes dann doch nicht. Aber wir lernten trotzdem unheimlich viel kennen, uns selbst nicht zu vergessen. Wir klebten in diesen Urlauben wie Kletten aneinander und genossen die Zeit allein zu zweit. Nicht das wir zu Hause nicht auch wie Kletten gewesen wären... (Wie mein kleiner Bruder mal scharfsinnig bemerkte. Celine blieb von solchen Kommentaren verschont, sie war ein Einzelkind.) Ich bin froh, dass wir so viel gereist sind. Und das wir uns durch nichts und niemandem davon abbringen ließen, so viel Zeit zusammen zu verbringen. Es war ganz am Anfang der Sommerferien. Celine und ich hatten erfolgreich die Zwölfte überlebt und unsere Eltern spendierten uns- und sich- einen Familienurlaub an der See. In den Jahren hatten sich unsere Familien richtig gut angefreundet und so fuhren wir alle zusammen weg. Wir wollten zwei Wochen bleiben. Celine und ich hatten vor, danach noch etwas in die Berge zu fahren, Genaues hatten wir noch nicht geplant. Wir wollten uns spontan entscheiden. Das Wetter war herrlich, nach einer Woche waren wir alle schokobraun. Es war Mittagszeit und die ganze Sippe machte sich auf den Weg vom Strand zurück zum Hotel. Es war ein Weg von zehn Minuten. Celine klebte die ganze Zeit an mir und turtelte mit mir herum. Die letzte Nacht war berauschend gewesen. Tjaja, was so ein Sternenzelt doch alles ausmacht... Wir standen an der Küstenstraße am Zebrastreifen und begannen zusammen ihn zu überqueren. Ich half meiner Mutter die Strohmatten tragen. Celine lachte über irgendetwas und verlor ihre Sandale. Sie beugte sich nach unten, um sie wieder anzuziehen und dabei sah sie das Auto nicht kommen, das um die Ecke schoss. Ich schrie und schrie. Man hatte mich nicht mit in den Krankenwagen gelassen, die Eltern hatten Vorrang. Mein Vater brachte mich dazu, mir etwas anderes anzuziehen und fuhr mich dann ins Krankenhaus. Während der Fahrt saß ich mit meiner Mutter hinten auf dem Rücksitz und sie versuchte mich die ganze Zeit zu beruhigen. Ohne Erfolg. Im Krankenhaus erfuhr ich, dass sie gerade im OP war und ich mich gedulden müsse. Gedulden! Ha! Aber es blieb mir nichts anderes übrig und so setzte ich mich auf eine Bank vor der Tür auf der Unbefugten der Zutritt zum OP untersagt wurde und wartete. Niemand konnte mich auch nur einen Schritt von dort wegbewegen. Als es immer später wurde, versuchte meine Mutter mich dazu zu bringen, mit ihr nach Hause zu fahren. Wir würden auf jeden Fall gleich wieder herkommen, sobald die OP beendet war. Ich funkelte meine Mutter wütend an und sagte ihr, ich würde so laut schreien, wie ich konnte, würde sie versuchen, mich auch nur einen Zentimeter von hier fort zu bekommen. Sie hatte wohl an meinen Augen gesehen, wie ernst es mir war und ließ von mir ab. Aber sie brachte meinen Bruder heim, der die ganze Zeit nur verstört neben mir gestanden und mir über den Kopf gestreichelt hatte. Mein Vater blieb bei mir. Er setzte sich neben mich, sprach kein Wort und ich war ihm dankbar dafür. Celines Eltern wechselten sich mit unruhig auf dem Flur umher laufen ab. Nach einer Ewigkeit kam ein sehr ernst aussehender Arzt auf uns zu. Er meinte die OP sei zwar beendet, aber die Patientin schwebe immer noch in Lebensgefahr. Sie läge jetzt auf der Intensivstation und man tue für sie, was man könne. Die Eltern waren wie betäubt. Ich nicht. Ich tobte und heulte und tobte weiter, bis man mich schließlich zu ihr ließ. Das heißt, bis zu der Glasscheibe hinter der sie lag, in einem sterilen Raum, umgeben von schier tausend Geräten, noch mal so vielen Schläuchen und drei grünen Männchen, die sich als Intensivpfleger entpuppten. Ich brach vor dem Fenster zusammen und mein Vater hatte mich gerade zu Hälfte wieder auf die Beine gekriegt, da standen schon zwei Schwestern neben uns, die mich schließlich in ein Zimmer bugsierten und mich hinlegten. Etwas stach meinen Arm, ich schätze es war ein Beruhigungsmittel. Eine Schwester blieb bei mir und hielt meine Hand während die andere meinen Vater zu einem Telefon dirigierte, damit er meiner Mutter mitteilen konnte, dass wir wohl die Nacht im Hospital verbringen würden. Celines Eltern waren auch nicht davon zu überzeugen, ins Hotel zurück zu fahren. Sie starb zwei Tage später in meinen Armen. Meine Mutter war mit Celines Eltern kurz nach draußen gegangen, um frische Luft zu schnappen und einen neuen Kaffee zu tanken. Ich, ganz in grün- nach Vorschrift-, war bei ihr geblieben hatte ihre Hand gehalten. Trotz des kritischen Zustandes, in dem sie sich befand, hatte sie ab und zu ein paar wache Momente. Sie wusste- oder fühlte- trotzdem, was mit ihr passiert war und dass es zu Ende ging. "Phi..." hauchte sie plötzlich. Ich schreckte hoch. Ihre Augen flogen wild umher. Ich würgte den Kloß im Hals hinunter. "Hier Kleines, ich bin hier!" Sie hörte mich! Ihre Augen fielen auf mich... und sie lächelte. Es brach mir das Herz. "Phi... ich..." "Schsch... Nicht reden, das strengt dich zu sehr an. Warte bis du wieder gesund bist!" Was für eine Lüge, eine schamlose Lüge! Warum faselt man an Krankenbetten nur solch dämliches Zeug?! Sie schloss kurz die Augen, sah mich dann wieder an. Es war ein fiebriger Blick, aber ich wusste, dass sie mich erkannte. >Wirklich< erkannte. Sie hustete kurz. "Phi..." Mir schossen die Tränen in die Augen. "Phi... ich... ich liebe dich..." Es war nicht mehr als ein Hauch und trotzdem hörte ich es so laut wie tausend Trommeln. "Ich liebe dich auch!! Oh Gott, Ce... Ich liebe dich so sehr!!! Verlass mich nicht, bitte bitte... verlass mich nicht..." Jetzt heulte ich wie ein Schlosshund. In dem Moment kamen meine Mutter und die Eltern wieder ins Zimmer. Auch ein Pfleger war dabei. "...liebe dich..." PIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIEEEEEEPPP. Trance. Die nächste Zeit erlebte ich wie in Trance. Ich heulte, ich schrie, ich tobte. Ich aß nichts, trank nur wenig, man musste mich dazu zwingen. Ich schlief nicht, außer vor Erschöpfung. Ich ließ niemanden an mich heran. Wer es dennoch wagte, wurde gnadenlos angefaucht. Und wer dann immer noch nicht zurück schreckte, bekam gezielte Hiebe unter die Gürtellinie- sprichwörtlich. Mit der Zeit hatte ich alle verjagt, die kamen, um mir ihr Beileid zu bekunden. Selbst enge Freunde wandten sich von mir ab. (Die meisten zum Glück nur vorübergehend, wie sich später herausstellen sollte.) Nur meine Eltern und sogar mein Bruder hielten eisern zu mir. Von dem kleinen Wicht hätte ich soviel Kraft und Geduld nie im Leben erwartet. Er ließ mich so gut wie nie allein. Irgendwann würde ich mich dafür bedanken. Nach fast einem Monat konnte ich wieder alleine stehen. Nicht viel, aber immerhin. Ich lebte noch. Und hasste mich dafür. Mir fehlte etwas. Es war, als hätte man mich halbiert. Und vergessen die Wunden zu versorgen, die Blutung zu stillen. Es mag kitschig klingen, aber so war es. Ist es. Ich tobte nicht mehr. Ich hatte keine Kraft mehr dazu. Meine Liebe, mein Leben, war einfach so dahin. Ich hatte so einen großen Teil meiner Zeit mit Celine verbracht, dass ich nicht mehr wusste, wie man alleine zurechtkam. Ich fing an, alles aufzuschreiben. Von vorne bis hinten, von hinten nach vorne. Jedes kleine Fitzelchen, was mir von ihr in Erinnerung war wurde aufgeschrieben. Ich kramte meine ganzen Fotokisten unter meinem Bett hervor, sah sie mir an. Erst heulte ich, bis ich nicht mehr konnte, dann schrieb ich weiter. Meine Eltern litten sehr unter meinem Zustand. Sie wussten nicht, wie sie mir helfen sollten. Sie hätten es sowieso nicht gekonnt. Irgendwann mal kamen Celines Eltern vorbei. Sie sahen nicht viel besser aus als ich. Wie auch? Zu sagen hatten wir uns wenig. Wir weinten zusammen. Danach gingen sie wieder. Aber sie hinterließen ein gutes Gefühl. Man war nicht allein. Es gab noch andere Menschen, die Celine von ganzem Herzen geliebt hatten. In dieser Nacht fand ich keinen Schlaf, sondern heulte die ganze Zeit. Die Beerdigung hatte ich verdrängt. Als ich danach fragte, sagte mir mein Vater, dass ich mit versteinertem Gesicht neben Celines Eltern gesessen hätte und damit dann auch zum Grab gegangen wär'. Das ich ein Bouquet mit acht weißen und fünf dunkelroten Rosen niedergelegt hätte. Jetzt erinnerte ich mich. Die weißen für die Jahre die wir uns kannten, die roten für die Jahre die wir uns liebten. Ich würde jedes Jahr eine weitere dunkelrote Rose dort niederlegen. Zeit hörte auf für mich eine Rolle zu spielen. Nur sehr sehr langsam fand ich wieder zu mir zurück, konnte mich selbst wieder fühlen. Die Betäubung, die der Körper nach einer heftigen Verletzung selber verursacht, ließ nach. Ich traute mich wieder auf die Straße. Alles sah so anders aus. Und doch irgendwie gleich. Scheußlich. Gestern traf ich meine alte Klassenlehrerin, die mich und Celine schon seit der fünften Klasse kannte, vor dem Supermarkt. Der Sommer war fast rum, bald würde das letzte Schuljahr für mich beginnen. "Hallo, schön dich zu sehen! Wie geht es dir, hattest du schöne Ferien?" Ich verzog den Mund zu einem halbherzigen Lächeln und sie deutete es wohl damit, dass ich keine Lust hatte wieder die Bank zu drücken. "Wie geht es Celine, habt ihr viel unternommen?" Ich musste die Übelkeit hart bekämpfen, die beim Anblick ihres unschuldigen Lächelns in mir hochkam. "Celine ist vor zwei Monaten von einem Auto überfahren worden." Das Lächeln der guten Frau erstarb sofort und so etwas wie Entsetzen machte sich stattdessen breit. "Gütiger Himmel... Es tut mir leid, davon wusste ich nichts!" Ich zuckte verkrampft mit der Schulter. Ich hatte keine Lust hier in Tränen auszubrechen, auch wenn mir noch so sehr danach war. Und ich hatte noch nicht einmal meine Sonnenbrille dabei! Mitleidig sah die Frau mich an. Fast hätte ich ihr wirklich ins Gesicht gekotzt. "Oh Phiola... Das tut mir wirklich sehr leid. Ihr wart doch so gute Freundinnen..." Ich zuckte wieder mit den Schultern, blinzelte heftig und wandte mich ab. Was gab es da noch zu sagen? ***************************************************************** Diese Geschichte ist Petro gewidmet, der in der Zehnten- zusammen mit Mario- eine Woche lang seinen Tafeldienst nicht machte. 15.02.06 ***************************************************************** Ich bin sehr gespannt auf eure Kommentare. Die Geschichte kam mir plötzlich in den Sinn und verlangte, sofort aufgeschrieben zu werden. Ich bin mit ihr sehr zufrieden, habe aber keine Ahnung, wie sie auf andere wirkt. Bitte sagt mir eure Meinung! Taoya Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)