Tödliche Schönheit von Seranita ================================================================================ Als Temaru am nächsten Morgen erwachte, war in ihm ein Entschluss gereift. Die Legende des letzten Abends spukte ihm noch immer im Kopf herum und er hatte nun den Wunsch, sich zumindest von der Existenz der „reinen Seele“ zu überzeugen, mochte der gesamte Rest auch erfunden sein. Also gab er Sae, entgegen seiner ursprünglichen Absicht, das Geld für einen weiteren Tag. Er wollte erst am nächsten Tag weiterziehen. Er hatte beschlossen, er würde noch einen Tag warten um zu sehen, ob sie kam. Ein Tag, und wenn sie nicht kam, würde er weiterziehen müssen, denn seine Ersparnisse reichten nicht, wenn er allzu lange blieb. Der alten Sae erklärte er nur, er wolle sich noch etwas ausruhen, bevor er wieder weg wanderte. Sie sah ihn nur lächelnd und mit etwas undefinierbarem in ihrem Blick an. Temaru kümmerte sich nicht darum, stattdessen trieb er sich die ganze Zeit im Dorf herum und beobachtete die Leute. Gegen Mittag verzweifelte er schließlich. Viele Leute waren vorbeigekommen, doch er hatte niemand entdecken können, welcher der Beschreibung seiner Wirtin entsprach. Doch andererseits konnte die Beschreibung der Frau auch Betrachtungssache sein. Oder sie war gar nicht so schön und abweisend. Der junge Japaner zögerte. Es musste doch einen Weg geben. Dann fiel ihm etwas ein und er machte sich auf den Weg zum Marktplatz, wo er schon von weitem den Jungen sah, der wie am Tag zuvor hinter dem Stand postiert war. „Konnichiwa“, sagte er und freute sich insgeheim, das der Junge sich an ihn erinnerte. „Konnichiwa, Fremder“, rief dieser und strahlte übers ganze Gesicht. „Was darf es heute sein?“ „Ich heiße Temaru Ishiko, und ich bedaure, heute benötige ich nur deine Hilfe“, meinte der Brünette. „Meine Hilfe?!“, meinte der Junge zögerlich. „Ich weiß nicht, ich muss hier am Stand bleiben. Ich kann hier nicht einfach so weggehen.“ „Oh nein, das ist auch gar nicht nötig. Es ist nur so-“, er streckte die Hände in einer hilflosen Geste nach oben. „- ich habe mir deinen Rat zu Herzen genommen und Sae-san um die Erzählung der Legende von der Reinen Seele gebeten. Sie erzählte mir auch von der Jungen Frau, die demnächst hier wieder vorbeikommen soll, und ich würde sie gerne sehen, könnte sie aber vermutlich nicht identifizieren. Doch du kennst hier doch alle Leute, nicht wahr?! (Der Junge lächelte stolz) Da wollte ich dich bitten, dass ich hier an dem Stand bleiben darf und du mir sagst, sollte sie auftauchen.“ „Aber natürlich“, nickte der junge Japaner gutmütig, „es kann sogar sein, dass sie heute kommt, denn heute ist Markttag und da kommt sie öfters. Und sie kommt immer zu uns, da wir die einzigen sind, die alles haben, was sie braucht. Nebenbei, mein Name ist Shinta Kawasaki.“ Die nächsten Stunden vergingen nicht so zäh wie die am Morgen, denn sie konnten sich viel unterhalten, was so viel bedeutete wie Shinta redete ohne Unterlass und Temaru hörte nickend zu, immer noch die Leute auch dem Marktplatz beobachtend. Nach den Worten des kleinen Händlers hatte er wieder Hoffnung gefasst, doch je mehr die Sonne entschwand, desto unsicherer wurde er, ob das wirklich so eine gute Idee gewesen war, hier zu bleiben. Schon wurden die Massen auf dem Platz weniger und einige wenige Stände begannen, ihre Sachen abzuräumen Es dämmerte schon fast und Temaru hatte sich bereits damit abgefunden ganz umsonst einen Tag verschwendet zu haben, als sie erschien. Er brauchte nicht Shintas aufgeregte Hinweise um sie zu erkennen, so deutlich hob sie sich von der noch vorhandenen Menge ab. Sie trug einen dunklen braunen Kimono und das lange weißliche Haar wog mit jedem Schritt. Sie sah wirklich aus wie ein Kirschblütenbaum und Temaru schwor sich, diesen Bäumen in Zukunft sehr viel Achtung entgegenzubringen. Er fragte sich, wie alt sie wohl war, doch ihre Erscheinung ließ keinen Schätzwert zu. Sie war irgendwie zeitlos, alter los. Ihr Gesicht war ebenmäßig und Temaru war es, als schwebe ein Engel auf ihn zu. Auf ihn zu?! Temaru zuckte bei dieser Erkenntnis zusammen. Doch sie warf ihm nur kurz einen Blick zu und wandte sich dann wieder an Shinta. Freundlich nannte sie ihm all die Dinge, die sie benötigte und er bemühte sich eifrig, ihrem Wunsch nachzukommen. Temaru hingegen konnte sie nur mit offenem Mund anstarren. Fieberhaft überlegte er, was er sagen könnte, doch ihm fiel nichts ein. Und er wäre noch ewig so dagestanden, hätte ihn nicht eine freche Stimme aus seinen Gedanken geholt. „Hey Ishiko-san, wie lange wollt Ihr noch hier her starren, sie ist längst gegangen“ „Hm, was?!“, murmelte Temaru benommen und er spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss, als er bemerkte, dass Shinta Recht hatte. Von dem Mädchen mit der berauschenden Ausstrahlung war nichts mehr zu sehen. Er blickte auf und sah in Shinta’s breit grinsendes Gesicht. „Junge, Junge, sie muss Euch wirklich beeindruckt haben, doch glaubt mir, so geht es fast allen, die sie das erste Mal beobachten“, Shinta klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter und Temaru wurde, sofern das möglich war, noch röter. Er beschloss, dass es jetzt wirklich Zeit wurde, zu verschwinden, bevor er hier in Grund und Boden versank. Er verabschiedete sich hastig und sah zu, dass er zu seiner Unterkunft zurückkam. Dort verzog er sich ohne ein Wort in sein Zimmer, bat lediglich Sae-san darum, nicht gestört zu werden, was diese nur mit einem wissenden Gesichtsausdruck kommentierte. In dieser Nacht lag Temaru noch lange wach. Die Legende und das anmutige Mädchen gingen ihm nicht aus dem Kopf. Er wollte sie unbedingt wiedertreffen. Doch wie?! Dann kam ihm ein Gedanke. Er überlegte noch eine Weile, doch ihm fiel nichts Besseres ein. Befriedigt schlief er ein. Ich pack das nicht! Doch, ich schaff das! Temaru stöhnte leicht auf. Seit er aufgewacht war, plagten ihn Kopfschmerzen und Zweifel. Der Plan, der ihm gestern Abend, als er kurz vorm einschlafen war, noch so genial erschien, wirkte heute nur noch kindisch und lächerlich auf ihn. Aber ihm fiel wirklich nichts anderes ein. Er wollte einfach zu dem Feld gehen und versuchen, dort eine Weile zu bleiben, mit der Ausrede, nach der Legende forschen zu wollen. Und obwohl er die Legende wirklich als sehr faszinierend empfunden hatte, blieb es was es war: eine Ausrede. Aber egal, wird schon schief gehen! Ja, dass wird es allerdings, wenn du mit diesem Argument um Unterkunft oder auch nur die Erlaubnis zu campieren bitten willst, meldete sich wieder eine nagende Stimme des Zweifels aus seinem Kopf und Temaru versuchte sein Bestes um sie zu ignorieren, was ihm allerdings nur mit mäßigem Erfolg gelang. Aber er war nicht bereit, seine Pläne nun noch zu ändern. Also hatte er sich von Sae-san verabschiedet und auch dem Marktjungen noch einmal für seine Hilfe gedankt. Dann war er wieder auf Wanderschaft gegangen. Der Tag verging langsam. Da es immer noch unerträglich heiß war, war Temaru bereits nach wenigen Stunden Wanderschaft vollkommen durchgeschwitzt. Bald machte er eine Pause und begutachtete noch einmal die Karte, die er in dem Dorf erwoben hatte. Er hatte sich eingezeichnet, wo ungefähr nach der Beschreibung der Dorfleute das Feld liegen müsste. Wenn er sich ranhielt, würde er noch vor Einbruch der Dämmerung dort ankommen. Insgeheim fragte er sich, ob er die junge Frau überhaupt antreffen würde. Denn sie wäre doch sicherlich nicht im Dunkeln zurückgewandert, oder? Und selbst wenn sie am nächsten Tag noch vor ihm losgezogen wäre, so hatte er sie bestimmt längst überholt, denn schließlich war es unglaublich heiß und er war das Wandern nach den zwei Wochen schon gewohnt. Also müsste er eigentlich noch vor ihr ankommen. Den Rest des Weges kämpfte er sich mehr schlecht als Recht vorwärts. Es gab keinen Weg und so musste er sich durch das Dickicht kämpfen. Um so erleichterter war er, als er endlich einen Durchgang im Gestrüpp fand. Mit einem letzten kleinen Sprint verließ er den Wald – und fand sich in einer völlig anderen Umgebung wieder. Die Wiese vor ihm war weit, dass Gras war jedoch sehr niedrig, als würde es regelmäßig gekürzt werden. Das Feld breitete sich weit aus. Ein kleines Häuschen stand nur wenige Kilometer von ihm entfernt vor den vielen Hügeln, die das Feld umgaben. Und inmitten des Feldes stand wie in Saes Erzählung der Kirschbaum. Temaru brauchte nur einen Blick auf ihn zu werfen um zu sehen, warum alle ihn für etwas Besonderes hielten. Sein Anblick war... überwältigend. Worte allein konnten ihn gar nicht beschreiben. Temaru fühlte, wie eine Welle von Gefühlen über ihn hereinbrach. Dieser Baum strahlte all das aus, was er erlebt hatte: Freude und Trauer, Leben und Tod, Schönheit und Leid. Temaru war zum weinen zumute, doch soweit wollte er es nun wirklich nicht kommen lassen. Wie sähe dass denn aus, wenn er wegen einem Baum anfinge zu weinen. Also wandte er schnell sein Gesicht von dem Baum und versuchte ihn aus seinem Bewusstsein zu verdrängen. Er näherte sich stattdessen dem kleinen Haus, das dort so einsam in der Gegend stand. Das Haus selbst erwies sich als kleines Gebäude mit einem niedrigen Anbau daneben. Es schien kein Stall zu sein, aber Temaru kam es dennoch seltsam bekannt vor. Er war sich sicher, so etwas schon einmal gesehen zu haben, doch sein Gehirn war noch zu sehr mit dem Baum beschäftigt, als das es sich nun darum kümmern könnte. Als er sich nun dem Anwesen näherte, durchfuhren den Japaner wieder all die Zweifel, die er in der Aufregung ganz vergessen hatte. Viel zu schnell wurde die Hütte größer und ehe er sich versah, stand er auf der kleinen Holzterrasse vor einer Schiebetür. Er rang mit sich. Er würde sich vermutlich nur furchtbar blamieren! Was war stärker?! Sein Stolz oder seine Neugier? Gerade als er sich entschlossen hatte endlich anzuklopfen, wurde die Tür geöffnet und ihm gegenüber stand ein alter Mann um die 50 Jahre. Er war gerade mal so groß wie Temaru und sah nicht besonders stark aus, doch Temaru vermutete, das diesem Mann gewaltige Kräfte inne wohnten. Das sah er an der Art, wie er sich bewegte und an den ausgeprägten Muskeln an den sehnigen Armen. Sein kurzes schwarzes Haar war von grauen Strähnen durchzogen und er hatte sein runzliges Gesicht in Falten gelegt. Scheinbar hat er jemand anderes erwartet?! Fragte sich Temaru und schalt sich im nächsten Moment selbst. Natürlich hatte er jemand anderes erwartet! Selbstverständlich die „reine Seele“. Sae-san hat doch erzählt, dass sie hier mit ihrem Vater wohnt. Und wer sonst würde sich in diese einsame Gegend verirren? „Guten Tag“, meinte er etwas unbeholfen. Der alte Mann sah ihn nur an. „Ich heiße Temaru Ishiko“, sagte der Brünette nervös, „und man hatte mir im Dorf von Ihnen und der Legende um den Kirschbaum erzählt“ Schweigen. „Ich fand sie sehr faszinierend und da es sowieso auf meinem Weg liegt, wollte ich unbedingt den Kirschbaum sehen um die Legende zu überprüfen“ Er lachte etwas gezwungen. Keine Reaktion. Temaru fühlte sich nun sichtlich unwohl in seiner Haut. Er wüsste zu gern, was der andere nun dachte, doch dieser musterte ihn nur mit undurchdringlicher Miene. Er wusste ja, dass das eine schwachsinnige Idee gewesen war. „Tja, nun, dann will ich auch mal wieder gehen. Den Kirschbaum habe ich ja nun gesehen. Hat mich sehr gefreut, Eure Bekanntschaft zu machen.“ Temaru drehte sich hastig weg und wollte machen, das er verschwand, bevor die Sache noch peinlicher für ihn wurde. Doch er hatte keine zwei Schritte gemacht, als eine überraschend kräftige Stimme die Stille durchschnitt. „Halt“, donnerte der alte Mann und Temaru war so überrascht, dass er gehorchte. Er wartete noch kurz und drehte sich dann vorsichtig um. Der Mann stand immer noch unbewegt an der Terrasse, doch hatte sich seine Gestalt gestrafft und erschien nun viel respekt- und, wie Temaru sich innerlich leise eingestehen musste, auch viel furchteinflößender als zuvor. „Was hast du empfunden, als du den Kirschbaum gesehen hast?“ „Er war unglaublich. So etwas habe ich noch nie gesehen, geschweige denn gefühlt. Der Baum hat eine unbeschreibliche Ausstrahlung. Ich war den Tränen nahe.“ Temaru hielt inne und biss sich auf die Zunge, bevor sie noch mehr verraten konnte. Noch immer völlig perplex von dem ungewöhnlichen Wandel der Situation, hatte er einfach das erste geantwortet, was ihm durch den Kopf geschossen war – und sich damit vermutlich endgültig zum Affen gemacht. Er seufzte leicht und wollte gerade wieder den Rückzug antreten, als... „Wo willst du hin?“ ... er erneut von einer kräftigen Stimme in seinen Überlegungen gestört wurde. „Du wolltest doch hier übernachten, nicht war?! Komm rein!“ „Vielen Dank“, beeilte sich Temaru zu sagen, „Ich gebe Euch natürlich Geld für die Unterkunft“ „Geld, papperlapapp. Ich bin nicht auf dein Geld angewiesen, Junge. Ich will kein Geld von dir, solange du dich anständig benimmst und keine krummen Dinger versuchst. Und jetzt folge mir, ich zeige dir, wo du deine Sachen abstellen kannst.“ Der junge Japaner hatte längst aufgegeben, nach irgendeiner Logik im Verhalten des Älteren zu suchen, und so ergab er sich in sein Schicksal. Als er dem Vater der “reinen Seele“ in das kleine Haus folgte, fragte er sich insgeheim, was der andere wohl für „krumme Dinger“ gemeint haben könnte, doch dann fiel ihm ein, dass dieses Haus normalerweise auch von einer ausgesprochen schönen Frau bewohnt wurde und er fühlte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss. Völlig unbeeindruckt von dem Jüngling, der da mit knallrotem Gesicht in seinem Haus stand, zeigte ihm der Mann die einzelnen Zimmer. Es waren nicht viele. Ein kleiner Raum zu kochen, ein Raum zum waschen und zwei Schlafzimmer. Zu guter Letzt führte ihn der alte Mann zu einem Raum, der offensichtlich als Ess- und Wohnraum benutzt wurde. Er ließ Temaru in dem Zimmer stehen um einen Futon zum schlafen für Temaru zu besorgen. Temaru stand unschlüssig in der Mitte des Esszimmers und wusste nicht, was er mit sich anfangen sollte. Eigentlich sollte er höchst zufrieden mit sich sein, dass es ihm gelungen war, hierher zu kommen und übernachten zu dürfen. Doch nun wurde er, sofern das möglich war, von noch mehr Zweifeln heimgesucht. Was würde wohl die reine Seele sagen, wenn sie in ein paar Stunden hier ankam? Würde sie ihn überhaupt wiedererkennen? Und ihr Vater war auch so anders, als er gedacht hatte. Seine Gedanken wurden unterbrochen, als besagter Vater einen Futon hereinbrachte und ihn mit den Worten „Für dich“ an Temaru weitergab. Dann verschwand er aus dem Zimmer, wies Temaru lediglich noch darauf hin, dass es bei Einbruch der Dunkelheit essen geben würde. Temaru fackelte nicht lange. Bis Einbruch der Dunkelheit war noch viel Zeit. Die konnte er auch nutzen, um die Gegend auszukundschaften. Also verschwand er schnell nach draußen. Er ließ seinen Blick umherschweifen. „Mhmmm... mal sehen“, dachte er, „wo fange ich an?“ Da fiel sein Blick auf den kleinen Anbau. Seine Neugier wurde erneut entfacht. Er hatte bereits festgestellt, dass es kein Stall sein konnte, aber was dann. Vielleicht war es auch ein Hinweis darauf, wie die kleine Familie ihr Geld verdiente. Schließlich ging die reine Seele jede Woche einkaufen und ihr Vater hatte gesagt, er sei nicht auf Temarus Geld angewiesen. Hungerleidend konnten sie also nicht sein. Temaru sah sich schnell um, ob nicht zufällig der alte Mann in der Nähe war, denn dann könnte er einfach um Erlaubnis fragen, bevor er sich so einschlich, aber er war nirgends zu sehen. Also näherte er sich dem kleinen Haus und zögerte nur kurz, dann schob er die Tür zu Seite und betrat den kleinen Anbau. Was er sah, ließ ihm den Atem stocken. Überall waren Schwerter aufgehängt. Manche waren ganz offensichtlich noch nicht fertig. Eine große Kiste stand in einer Ecke. Aus ihr ragten deformierte Eisenstücke. In einer weiteren Ecke war das Metall als Rohmaterial aufgeschichtet. Auf der anderen Seite des Zimmers war ein Feuer zu sehen und überall verstreut lagen Werkzeuge und andere Gegenstände. „Wow“, entfuhr es ihm, „Was...“ „Es ist eine Schwertschmiede, das sieht man doch wohl.“ Temaru fuhr erschrocken zusammen. Das war der alte Mann, der nun ganz gelassen neben ihn trat und ihn ansah. „Ich bin ein Schwertschmied.“ „Ähm, also, ich bitte vielmals um Entschuldigung, ich hätte nicht, ich meine, das geht mich ja gar nichts an und ich sollte nicht –“ Der Alte winkte nur müde ab und unterbrach damit Temarus Gestammel „Sei’s drum. Es war außerordentlich unhöflich von mir dich als unseren Gast alleine zu lassen. Du hast dir nichts zuschulden kommen lassen. Ich musste lediglich Yumi Bescheid geben, dass wir einen Gast haben und dass es heute doch mal früher Essen geben sollte.“ „Yumi?“ fragte Temaru vorsichtig und zum ersten Mal meinte er, auf dem Gesicht des Schwertschmiedes ein leichtes Lächeln erkennen zu können. „Dir dürfte sie eher unter dem Namen „reine Seele“ bekannt sein“ „Ihr meint, sie ist schon da?“, platzte Temaru heraus. „Aber ja“, meinte der Alte nur. „Sie kam bereits heute Morgen hier an.“ Er warf einen raschen Blick zur Seite um zu sehen, wie der Junge neben ihm wohl auf diese Botschaft reagieren würde. Doch Temaru war gerade nicht zu irgendeiner Reaktion fähig. Die „reine Seele“, oder Yumi, war bereits am Morgen angekommen. Normalerweise hätte sie mindestens einen Tagesmarsch benötigen müssen. Das war doch eigentlich nicht möglich! Er beschloss dieses Problem vorläufig außer Acht zu lassen und sich später darum zu kümmern. Er hatte jetzt andere Dinge zu tun. „Eure Schmiede ist sehr schön“, sagte er ehrfürchtig und ließ seinen Blick erneut über die verschiedenen Gerätschaften gleiten. „Danke, doch es ist nicht alles Gold, was glänzt. Ich bin Schwertschmied geworden, weil ich etwas erreichen wollte, doch mit jedem weiteren Tag, der verstreicht, werde ich des Wartens müder“ Temaru schwieg, verwirrt über den unerwarteten Ausbruch des alten Mannes. Sein Blick hatte plötzlich etwas von der schärfe verloren, er wirkte ermattet und... alt. Noch etwas, was Temaru, wie er sich fest vornahm, ergründen würde. Aber nicht jetzt! Das wäre sehr taktlos gewesen. Er zog sich also so rücksichtsvoll wie nur möglich zurück und überließ den Alten seinen Gedanken. Stattdessen wanderte er durch die Felder und streifte ziellos durch die Gegend, bis er bemerkte, das er unbewusst den Weg zu dem alten Kirschbaum eingeschlagen hatte. Warum eigentlich nicht?! Einmal auf den Gedanken gekommen, ließ ihn dieser auch nicht mehr los. Ihm war gar nicht klar gewesen, wie sehr es ihn danach verlangte, den Kirschbaum wiederzusehen. Bald schon tauchte er in seinem Blickfeld auf. Er sah noch genauso überwältigend aus wie wenige Stunden vorher. Aber diesmal konnte Temaru sich beherrschen und seine Empfindungen im Zaum halten. Dennoch wollte er sich auf einmal dem Baum nähern. Der Drang war so überwältigend, dass Temaru ihm überrumpelt nachgab. Schon wenig später stand er vor dem alten Gehölz, dessen Pracht ihn sich klein fühlen ließ. Er legte eine Hand auf den Stamm und unvermittelt durchfuhr ihn ein so heftiges Glücksgefühl, das er zusammenzuckte. Andächtig strich er über die Raue Rinde und bemerkte beeindruckt, wie makellos das alte Holz doch war. Plötzlich landete etwas kleines, leichtes auf seiner Nase. Verwundert hob er die Hand und stellte fest, dass es sich dabei um ein Kirschblütenblatt handelte. Ein paar Blätter hatten sich vom Geäst gelöst und waren sanft auf ihn hinab gesegelt, hatten sich auf sein Gesicht gelegt und in seinen Haaren verfangen. Im Gegensatz zu dem harten Stamm war das Blatt so weich. Es fühlte sich gut an, mit der Hand darüber zu fahren. Temaru betrachtete es aufmerksam. Der untere Teil der Blätter war in ein zartes Rosa getaucht, welches in einem fließenden Übergang weiß wurde. Kaum vorstellbar, dass dieses sanfte Rot Blut darstellen sollte. Bei diesem Gedanken umspielte ein leichtes Lächeln seine Lippen. Er stand noch eine Weile da, versunken in seine eigenen Gedanken. Als er schließlich aufblickte, merkte er, dass es dämmerte. Das rötliche Licht machte den Baum, wenn möglich, sogar noch eindrucksvoller. Temaru musste grinsen. Er war ja schon ganz vernarrt in diesen Baum. Gut gelaunt machte er sich auf den Rückweg. Er betrat das Haus in der Erwartung, auf seine beiden Gastgeber zu stoßen. Und tatsächlich, sie saßen bereits beide an dem Tisch. Als er eintrat, wandten sie ihm ihre Köpfe zu, ohne jedoch ein Wort zu sprechen. Der junge Japaner musterte nervös die junge Frau, die er als „reine Seele“ getroffen hatte. Sie sah nicht sehr überrascht aus. Um genau zu sein wusste Temaru nicht, wonach sie aussah. Ihr schönes Gesicht war absolut emotionslos. Insgeheim fragte er sich, ob sie sich wohl noch an ihn erinnerte. Nein, natürlich nicht, schalt er sich sofort selbst. Sie hat mich nur eine Minute zu Gesicht bekommen, auf dem Markt waren doch noch recht viele Leute und wir haben kein einziges Wort gewechselt. Der junge Japaner schnaubte innerlich. Sie hat mich ja nicht mal richtig angeschaut! Eigentlich sollte er darüber froh sein, denn es würde peinliche Fragen darüber, ob er ihr gefolgt wäre und warum er wirklich hier wäre verhindern, dennoch verpasste ihm diese Erkenntnis einen heftigen Stich. Temaru zog überrascht die Augenbraue hoch. Götter, er war dieser Frau bereits vollkommen verfallen. Sie übte eine unglaubliche Faszination auf ihn aus. Er wollte unbedingt mehr über sie wissen. Ein überdeutliches Räuspern brachte ihn zurück in die Realität. Temaru blinzelte irritiert, dann wurde ihm klar, dass er die „reine Seele“ die gesamte Zeit angestarrt hatte. Er wurde rot – zum wiederholten Male an diesem Tag - und wandte seinen Blick dem alten Mann zu, der soeben etwas zu ihm gesagt hatte. „Verzeiht meine Unhöflichkeit, ich war mit meinen Gedanken ganz wo anders“, brachte er mit entschuldigendem Lächeln hervor. Der Schwertschmied runzelte die Stirn, wiederholte aber geduldig noch einmal: „Dies ist Yumi, besser bekannt unter dem Namen „reine Seele“ und ich bin Fujime Obata. Yumi, dieser junge Herr nennt sich Temaru Ishiko“ Yumi reagierte nicht, stattdessen ließ sie ihren Blick langsam über ihren Gast wandern. Temaru trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Er fühlte sich gar nicht wohl. Plötzlich traf ihr Blick den seinen und er erstarrte. Er sah in dunkle braune Augen, die in dem Licht fast schwarz schienen und ihn gefangen hielten. Er hatte das Gefühl bis in die Tiefe seiner Seele durchschaut zu werden. Dann löste sie ihren Blick wieder und befreite ihn aus der eisigen Erstarrung. Ihr Vater sah sie fragend und irgendwie erwartungsvoll an. Sie zögerte kurz, dann nickte sie. Zufrieden lehnte sich der Alte zurück und richtete seine Aufmerksamkeit dann wieder auf Temaru, der noch immer vor dem Tisch stand. „Nun kommt schon, junger Mann, wir beißen nicht. Nachdem sich nun alle vorgestellt haben, können wir ja endlich mit dem Essen anfangen, bevor es kalt wird. Setzt euch“ Temaru tat wie ihm geheißen und sie begannen zu essen. Der alte Mann war wie ausgewechselt, nichts war mehr von dem Misstrauen und der Unhöflichkeit des Mittags zu spüren. Temaru merkte, wie er sich allmählich wieder entspannte. Er warf einen verstohlenen Blick zu Yumi, doch diese schien vollends mit Essen beschäftigt zu sein und folgte der Unterhaltung schweigend. Temaru erzählte von seiner Heimat, warum er sich auf die Reise gemacht hatte und in dem Dorf gelandet war. Er berichtete auch wie die alte Sae die Legende wiedergegeben hatte – die Reaktionen seiner Zuhörer waren für ihn undeutbar – und erklärte, warum er nun bei ihnen gelandet war. Die Begegnung mit Yumi am Tag zuvor ließ er aus, genauso wie den wahren Grund seines Aufenthalts. ZU seiner Erleichterung schien ihm die Familie das auch abzukaufen und so verbrachten sie einen angenehmen Abend. Anschließend schleppte sich Temaru völlig fertig zu seinem Futon. Seine Gastgeber hatten sich bereits zurückgezogen und Temaru war sich nicht einmal mehr sicher, ob er es noch schaffen würde, sich die Klamotten auszuziehen. Er würde schlafen wie ein Toter, der Tag hatte ihn seine letzten Reserven gekostet. Ein müdes Lächeln überzog sein Gesicht. Das wurde allmählich zur Gewohnheit. Er hätte Wetten darauf abgeschlossen, dass er sofort einschlafen würde, sobald er den Futon berührte, doch stattdessen wälzte er sich nur hin und her. Die gesamte Erschöpfung, die Müdigkeit waren wie weggeblasen und er kam aus irgendeinem Grund einfach nicht zur Ruhe. Das hat so keinen Sinn! Leise seufzend stieg er wieder aus dem Bett und zog sich etwas über. Vermutlich war er einfach noch zu aufgewühlt von den verschiedenen Emotionen, die ihn heute des öfteren heimgesucht hatten. Wahrscheinlich würde es helfen, wenn er sich eine Weile draußen auf die Wiese setzen würde. Das hatte er schon früher oft gemacht. Die Sterne hatten ihn schon immer fasziniert. Als er noch ein kleines Kind war, erzählte ihm seine Mutter immer, die Sterne wären Wegweiser und wenn er ihnen folgen würde, würde er sich nie verirren. Also hatte sich der kleine Temaru immer wieder des Nachts hinausgeschlichen und die Sterne so lange beobachtet, bis er zufrieden mit einem Gefühl von Sicherheit eingeschlafen war. Meistens fand er sich am nächsten Morgen in seinem Bett wieder. Vermutlich hatten ihn seine Mutter oder sein Vater in der Nacht wieder zurück ins Bett gebracht, doch sie sagten nie etwas und auch er sprach sie nie darauf an. Es war eine Art unausgesprochenes Geheimnis gewesen, um dass alle wussten. Dennoch konnte es den kleinen Jungen nicht davon abhalten, in der nächsten Nacht wieder aus dem Fenster zu stehlen und erneut gegen einen Baum gelehnt die Sterne zu betrachten. Egal, was an der Geschichte meiner Mutter dran ist, dachte Temaru an die Hauswand gelehnt und in den nachtschwarzen Himmel blickend, die Sterne sind einfach wunderschön und vertrauenserweckend. Langsam glitt er an der Wand herunter bis er den festen Boden unter spürte. Er legte seinen Kopf in den Nacken und spürte die angenehme Kühle der Wand an seinem Rücken. Leise seufzend zog er seine Beine an und legte die Arme um sie, während er in den erleuchteten Himmel starrte und die vielen Sterne ansah, die sekündlich in seinem Blickfeld erschienen. Er spürte wie eine altbekannte Ruhe ihn ergriff und gab sich ganz der friedlichen Vertrautheit der Situation hin, die eine so beruhigende Wirkung auf ihn hatte. Seine Gedanken schweifen ab und wanderten wie von selbst zu seiner merkwürdigen Umgebung und deren noch seltsameren Bewohnern. Was wohl das seltsame Verhalten von Obata-san zu bedeuten hatte?! Es schien fast so, als bräuchte er erst eine Bestätigung seiner Tochter bis er Temaru ganz vertrauen konnte. Die Blicke, welche die beiden während des Essens ausgetauscht hatten, wenn sie glaubten, er merke es nicht, verwirrten ihn. Er verstand die ganze Situation nicht. Sie schienen etwas zu wissen und wollten ihn wohl nicht einweihen. Wieder entwich ihm ein leiser Seufzer. Das ging ihn ja auch gar nichts an. Stattdessen widmete er seine Gedanken lieber wieder der komischen Familie. Das der alte Mann ein Schwertschmied war, hatte ihn sehr verwundert. Wer sollte in dieser einsamen Gegend nur seine Schwerter kaufen. Auch die Bemerkung, dass er etwas erreichen wolle, was ihm noch nicht gelungen war, gab ihm Rätsel auf. Er brannte darauf, dass das Geheimnis gelüftet wurde. Doch am Abend erschien es ihm furchtbar ungehobelt, die gute Stimmung mit einer so persönlichen und möglicherweise rücksichtslosen Frage zu zerstören. Er war hier schließlich nur zu Gast und kannte diese Leute praktisch gar nicht. Dennoch war er absolut begeistert. Sie stellten ein großes Geheimnis dar. Sie schienen in ihrer eigenen Welt zu leben, ungeachtet dessen was in der Welt sonst geschah, die Hüter eines Wissens das nur sie kannten. Dieser Gedanke war wie aus dem Nichts aufgetaucht, doch Temaru war sofort davon überzeugt, dass er der Wahrheit entsprach. Er ließ seinen Blick über die in dunkle Schatten getauchte Umgebung schweifen. Es war kein Laut zu hören, der die Idylle stören könnte. Ja, dachte er milde lächelnd, ihre eigene kleine Welt. Niemand käme hier an diesem Ort auf die Idee, dass Krieg herrscht. Sie bewahren diesen Ort, der so reich an Vielfalt ist. Und das Kernstück dieses herrlichen Fleckchens Frieden ist der Kirschblütenbaum. Auf was für seltsame Ideen man doch kam, wenn man mitten in der Nacht in den Himmel starrte. Doch jetzt, in diesem Moment, erschien Temaru das alles so richtig. Er hatte das befriedigende Gefühl, dass alle seine Überlegungen so stimmten und es sich so gehörte. Er blieb noch eine Weile so sitzend und sah die blinkenden Lichter an, die den Himmel über ihm bevölkerten. Erst als er merkte, wie er dabei war wegzudriften und seine Sinne abzugleiten drohten, richtete er sich mühsam auf. Er wollte nicht am nächsten Morgen von Yumi oder Obata–san geweckt werden, die ihn fragten, warum er die Nacht im freien verbracht hatte. Also kämpfte er sich aus seinem tranceartigen Zustand hoch und schob sich langsam in sein Zimmer, wo er dem Drang nicht länger nachgeben konnte und sofort in einen tiefen Schlaf versank, kaum dass er sich hingelegt hatte. Er konnte unmöglich sagen, wie lange er geschlafen hatte, doch als er am Morgen von einem lauten Scheppern von Schalen geweckt wurde, fühlte er sich wie gerädert. Noch im Halbschlaf stand Temaru auf und wusch sich den Schlaf aus den Augen. Durch den großzügigen Einsatz von kaltem Wasser aus einer Tonne vor dem Haus fühlte er sich dann endlich wach genug, um sich wieder unter Menschen zu begeben. In der Küche traf er auf Yumi, die gerade Frühstück zubereitete. Er wünschte ihr einen guten Morgen, was sie mit einem Nicken erwiderte und ihm dann mit einer knappen Bewegung seinen Platz wies. Schweigend setzte er sich und bedankte sich höflich, als sie Misosuppe in eine Schüssel füllte und vor ihn hinstellte. „Ich muss mich entschuldigen, sollte es Euch nicht schmecken. Wir essen für gewöhnlich nur Suppe oder Brot morgens, doch letzteres konnte ich noch nicht zubereiten, da ich erst vor zwei Tagen die erforderlichen Zutaten besorgen konnte“ „Aber nein, es schmeckt ganz vorzüglich“, antwortete er schnell, nachdem er sich von seinem Schock erholt hatte – soviel hatte er sie noch nie reden gehört. „Ich glaube so etwas gutes konnte ich mir die letzten zwei Wochen nicht mehr zu Gemüte führen“ Ihre Mundwinkel zogen sich minimal in die Höhe, was man mit viel Fantasie als ein Lächeln interpretieren könnte. Und Temaru besaß davon mehr als genug. „Kann ich Euch während meines Aufenthaltes irgendwie behilflich sein?“ bot er spontan an, bevor er sich davon abhalten sollte. Er meinte wieder für eine Sekunde Überraschung in ihren Augen aufblitzen zu sehen, doch dann verwandelte sich ihr schönes Gesicht wieder in eine undurchschaubare Maske. „Ich benötige keine Hilfe, vielen Dank. Was Fujime betrifft, so solltet Ihr ihn selbst fragen.“ Sie beendeten ihr Frühstück schweigend. Nachdem er seine Schale mit einem groben Lappen abgewaschen hatte, drehte er sich ihr noch einmal zu. „Könnt Ihr mir zufällig mitteilen, wo sich Euer Vater gerade aufhält?“ Sie blickte ihn nur ausdruckslos an. So starrten sie sich fast eine Minute schweigend an. Temaru wollte sich Gedanken zu ihrem merkwürdigen Verhalten machen, doch etwas hielt ihn davon ab. Um genau zu sein, handelte es sich dabei um zwei stechend scharfe und unglaublich klare braune Augen, die sich direkt in die seinen bohrten und einen vernünftigen Gedankengang unmöglich machten. Wie am Abend zuvor versank er in diesen braunen Seen und ihm drohten ob der Intensität dieses Blickes die Beine wegzuknicken. Er war sich sicher, dass er sie inzwischen mit offenem Mund anstarrte und wunderte sich, ob man ihm wohl seine Gedanken inzwischen ansah. Mit Sarkasmus fragte er sich, ob er wohl schon sabberte. „Er ist draußen auf dem Feld. Wenn ihr hinausgeht, werdet Ihr ihn nicht verfehlen können“ Damit entzogen sich ihm diese herrlichen Augen und er hätte fast enttäuscht protestiert. Gleichzeitig war er unglaublich erleichtert. Dann erst ging ihm auf, dass sie etwas gesagt hatte. Da er schon nicht mehr damit gerechnet hatte, dass sie ihm antworten würde, brauchte er eine Weile, bis er verstand, was sie meinte. Viel zu spät merkte er dann endlich, dass er etwas sagen sollte, doch sie hatte sich bereits abgewandt und wusch ihre Schale aus. Zu seiner eigenen Sicherheit – und damit es nicht noch peinlicher wurde - hielt er es für besser, sich vom Acker zu machen, besonders, da er die Hitze auf seinen Wangen bemerkte. Also verabschiedete er sich schnell, was sie schweigend registrierte und verließ das kleine Haus. Temaru fand den Schwertschmied tatsächlich auf dem Feld und wie Yumi angekündigt hatte, war er nicht zu verfehlen gewesen. Er schien gerade etwas anzupflanzen und bei genauerem Hinsehen, konnte man den Schweiß erkennen, der sein Gesicht bedeckte. Auch das schwere Keuchen war nicht zu überhören. Sollte der Alte bemerkt haben, dass Temaru sich langsam aber beständig genähert hatte, ließ er sich davon nichts anmerken. Stattdessen arbeitete er stetig weiter und Temaru konnte einen Blick auf seine Hand erhaschen, in die einige Sprösslinge gelegt waren. „Schweigst du dich noch lange aus, oder sagst du mir, was dich am frühen Morgen wieder hierher treibt? Wenn nicht, dann könntest du nämlich etwas zur Seite gehen, damit ich die Erde besser auflockern kann“ Gerade als Temaru sich die Frage gestellt hatte, ob Obata-san wohl wütend auf ihn war, wie er ob des zynischen Tons befürchtete, drehte erwähnter sich um und das schalkhafte Aufblitzen in den verhärmten Augen erstickte auf der Stelle jeden Zweifel. „Auch Euch einen schönen Guten Morgen, Obata-san“, antwortete er so würdevoll wie möglich und wurde mit einem Lachen belohnt. „Ich bin gekommen, um Euch während meines Aufenthaltes meine Hilfe anzubieten“, er beugte sich vor und versuchte verzweifelt, sein Grinsen zu verbergen, „doch nun, wo ich sehe, dass ihr tatsächlich etwas für mich zu tun habt, habe ich es mir doch wieder anders überlegt. Es ist so schwer Euch nur zuzusehen.“ „Tatsächlich?!“, erwiderte sein Gegenüber gelassen und zog lächelnd eine Augenbraue hoch. „Nun, was soll man denn von der Jugend von heute auch erwarten. Keine Ahnung mehr von gar nichts. Solltest du denn tatsächlich ein solcher Strolch sein?! Oder versuchst du verzweifelt zu verbergen, dass du in deinen dünnen Ärmchen keine Kraft beherbergst?!“ „Niemals“, rief Temaru gespielt empört und schnappte sich die Hacke. „Ich werde Euch lehren was es heißt, Temaru Ishiko herauszufordern.“ „So. Na denn, zeigt mir, dass deine Arme noch zu etwas anderem taugen, als nur Misosuppe in deinen viel zu frechen Mund zu schaufeln“ „Jawohl, Sir.“ „Spaß beiseite, Grünschnabel. Ich habe vor, hier verschiedene Gemüsesorten anzupflanzen, damit wir nicht mehr ganz so sehr auf das Dorf angewiesen sind. Du kannst helfen, wenn du willst, musst aber nicht“ „Ich wäre froh, wenn ich mich nützlich machen könnte, nachdem Ihr mir, einem Fremden, so ohne weiteres Eure Gastfreundschaft angeboten habt“, sagte Temaru aufrichtig und auch ein wenig neugierig. Vielleicht würde der alte Mann ihm ja verraten, warum er gestern so plötzlich zugestimmt hatte, dass er bleiben durfte. Dieser ging zu seinem Leidwesen jedoch nicht weiter darauf ein. „Gut, dann pass jetzt gut auf. Ich will das Gemüsebeet von diesem Baum dort, den du ein paar Meter von hier sehen kannst, bis zu dem Gestrüpp mit den roten Beeren wenige Meter weiter auf der anderen Seite. Hast du das verstanden?! Gut. Brauchst du noch weitere Erklärungen oder reicht dir das?“ „Danke, aber ich komme schon zurecht. Ich habe schließlich bisher auf einer Farm gelebt und kenne mich daher aus. Auch wenn ich natürlich nicht die Erfahrung besitze, die einem Mann in Eurem Alter innewohnt“ „Willst du frech werden, Bengel?!“ grummelte der alte Schwertschmied. Temaru lachte und gemeinsam machten sie sich an die Arbeit. Sie arbeiteten den ganzen Vormittag und als die Sonne ihren höchsten Stand erreichte, waren sie beide schweißüberströmt. „Seltsam“, dachte Temaru keuchend, „dabei kam mir diese Arbeit gar nicht mal so anstrengend vor... Ich hab das schon zu lange nicht mehr gemacht!“ Er fühlte sich vollkommen ausgelaugt. Erschöpft stützte er sich auf den Händen ab. Doch als er einen raschen Blick zur Seite warf, musste er feststellen, dass das Hemd des älteren zwar durchnässt war, er jedoch noch immer vollkommen ruhig atmete, so als würde er nichts anstrengenderes machen als einen Spaziergang. „Muss wohl von seiner Arbeit kommen“, überlegte Temaru. Der Schwertschmied sah ihn ruhig an so dass Temaru sich fragte, ob er die Worte wohl laut ausgesprochen hatte. „Mach eine Pause. Ich komme schon allein zurecht“ Temaru wollte schon protestieren, doch der alte Mann blickte ihn mit stechenden Augen an, so dass er es für klüger hielt, nichts zu sagen. Zudem konnte er eine kleine Pause wirklich ganz gut vertragen, auch wenn er das nicht einmal unter Folter eingestehen würde. Er legte die kleine Hacke weg, die er zum auflockern der Erde bekommen hatte und beschloss, sich kurz zu dem angrenzenden Bach zu begeben. Das kalte Wasser würde ihn erfrischen und die Bäume spendeten genügend Schatten. Tatsächlich fühlte er sich schon viel besser, als er aus der Sonne heraus war. Er zog sich das verschwitzte Hemd aus und legte es beiseite. Dann beugte er sich über den gemächlich fließenden Strom und spritzte sich das Wasser ins Gesicht. Götter, tat das gut! Er blieb noch eine Weile so, vor dem Bach hockend, bis er merkte, dass sich sein Körper wieder erholt hatte. Er wollte sich gerade aufrichten, als er hinter sich ein Geräusch hörte. Überrascht drehte er sich um. Was auch immer er erwartet hatte, das nicht. Yumi kümmerte sich nicht um seine überraschte Miene, sondern kam gemächlichen Schrittes auf ihn zu. Als sie nur noch wenige Schritte trennten, blieb sie schließlich stehen und richtete ihren Blick auf die kleinen Stromschnellen vor ihnen. Und so verharrte sie, offensichtlich vollkommen zufrieden damit, den Bach zu begutachten. Temaru verwirrt zu nennen, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts gewesen. In seinem Kopf kreiste alles. Was wollte Yumi hier?! Ein kleines hoffnungsfrohes Stimmchen in Temaru verkündete, dass sie vielleicht wegen ihm hierher gekommen war. Doch warum sprach sie dann nicht?! Und warum fixierte sie den Bach so eisern. Nicht das Temaru so unglücklich darüber war, wenn sie ihn so angeschaut hätte, wäre er entweder in Grund und Boden versunken oder er hätte sich von ihrem Blick gefangen nehmen lassen. Also eigentlich ein Vorteil für ihn! Die junge Schöne sagte immer noch nichts, sondern sah weiter einen unsichtbaren Punkt im Wasser an. Temaru überlegte fieberhaft, was er sagen könnte, um die Stille zu durchbrechen, doch ihm fiel einfach nichts ein und schließlich gab er es mit einem leichten Seufzer auf. Er lehnte sich zurück und stützte sich auf seine Arme. Auch er beobachtete nun das wechselnde Muster des Baches. „Wieso seid ihr hier?“ „Hm?!“ Temaru musste sich erst aus der Starre lösen, in die er verfallen war. Zudem hatte er auch nicht mehr damit gerechnet, dass sie etwas sagen würde. „Wieso seid ihr hier?“ wiederholte Yumi geduldig und sah ihn mit undurchdringlichem Gesichtsausdruck an. „Wie meint Ihr das?“, fragte Temaru ehrlich verwirrt. „Ich habe Euch doch gestern die Gründe genannt.“ Er runzelte die Stirn. Vielleicht hatte sie ja einfach nicht zugehört?! Gestern hatte sie sich jedenfalls nicht an dem Gespräch beteiligt. „Warum habt ihr nicht erzählt, dass ihr mich schon auf dem Marktplatz, vorgestern getroffen hattet?!“ fragte sie streng. Temaru zuckte zusammen. Erwischt! Sie hatte sich also doch noch an ihn erinnert. Obwohl das ein prickelndes Gefühl in ihm auslöste, hatte er jetzt erst einmal ein wichtigeres Problem: Sie wollte wissen, warum er geschwiegen hatte. Was nun?! In Gedanken ging er schnell alle Möglichkeiten durch, die ihm einfielen. Er könnte a) die Wahrheit sagen b) alles Leugnen c) weiterhin stumm bleiben und sie anstarren, als wären ihr Hörner gewachsen Er beschloss, die Möglichkeiten a und b zu kombinieren. „Ich, ähm, ich habe euch allerdings für kurze Zeit auf diesem Markt gesehen, doch ehrlich gesagt war mir gar nicht in den Sinn gekommen, dass ihr diejenige wart, die dort aufgetaucht ist. Schließlich haben wir uns nur sehr kurz zu Gesicht bekommen und erst heute Morgen kam mir der Gedanke, es könnte sich um euch gehandelt haben!“ Sie erwiderte nichts und Temaru musste sich beherrschen um nicht aufzuspringen und in kindischem Stolz Sieg! zu rufen. „Zudem“, setzte er, mutig geworden, hinzu, „bin ich gestern sehr früh losmarschiert. Es ist mir einfach unbegreiflich, wie ihr so schnell hierher zurückwandern konntet und noch vor mir wieder hier wart!“ Touché!, dachte er befriedigt. Endlich würde er eine Antwort bekommen. Nicht nur, dass das endlich seine Neugierde befriedigen würde, nein, er hätte ihr endlich bewiesen, dass er auch zurückschlagen konnte. Seine Euphorie schwand allerdings, als er in ihr Gesicht blickte. Sie sah ihn noch immer schweigend an. Doch inzwischen wohl nicht, weil sie es einfach immer so machte, sondern sie schien tatsächlich nicht zu wissen, was sie sagen sollte. Und dieser leicht hilflose Ausdruck in ihrem Gesicht, ließ Temaru wieder zur Besinnung kommen. Er könnte sich schlagen. Er hatte kein Recht, fragen zu stellen, die ihr unangenehm waren, nur weil er sie in Verlegenheit bringen wollte, um es ihr heimzuzahlen. „Ihr müsst nichts sagen. Es steht mir nicht zu, Euch so etwas zu fragen“, sagte er hastig. „Schon gut“, winkte sie ab, „ich kann manchmal einfach sehr schnell sein!“ Noch eine Weile starrten die beiden sich an, dann lösten sie ihren Blick. Wieder sahen sie auf den Bach, doch diesmal war das Schweigen unangenehm. Das was nicht gesprochen wurde, stand zwischen ihnen. Schließlich richtete sich Yumi abrupt auf. „Nun denn, ich muss zurück, das Essen für heute Abend vorbereiten. Vielleicht solltet auch Ihr Eure Pause beenden!“ Pause?! Oh nein! Temaru stöhnte auf. Er hatte Fujime total vergessen. Wie lange hatte er hier gesessen? Hektisch blickte er zum Himmel und musste erkennen, dass die Sonne schon viel weitergewandert war. Schnell rannte er zurück zum Feld, doch der alte Mann war nicht mehr zu sehen. Temaru hätte schreien mögen, als er das fertige Feld sah. Dabei hatte er doch seine Hilfe angeboten. Er biss sich auf die Lippe. Schließlich wandte er sich frustriert um. „Daran ist jetzt nichts mehr zu ändern“, murmelte er niedergeschlagen. Das nächste Mal würde er mehr machen und sich nicht ablenken lassen. Er hoffte nur, dass Fujime ihm das nicht übel nahm. Noch während er ging, beschloss er, sich zu entschuldigen. Aber Temaru hatte keine Ahnung, wo er sein könnte. Und er wollte jetzt nicht Yumi begegnen. „Wenn er im Haus ist, werde ich mich eben dort entschuldigen, Yumi hin oder her“, überlegte Temaru, „Auf dem Feld ist er ja offensichtlich nicht... vielleicht in der Schmiede?!“ Das Glück schien ihm hold zu sein. Sobald er sich auf hundert Meter an das Haus angenähert hatte, konnte er den Rauch erkennen, der über dem kleinen Anbau in die Höhe stieg. Scheinbar war der ältere Mann tatsächlich in seiner Schmiede. Temaru war ziemlich nervös. Der für sein Alter so rüstige Mann hatte ihm von Anfang an Respekt abgerungen. Zudem verhielt er sich so unberechenbar, dass Temaru jetzt einfach nicht einzuschätzen vermochte, wie wohl dessen Reaktion ausfallen würde. Und das flößte ihm, wenn überhaupt möglich, noch mehr Unbehagen ein. „Ganz ruhig“, versuchte er sich zu beruhigen, „es handelt sich nur um eine Entschuldigung. Er hat selbst gesagt, dass ich nicht helfen muss“ Leider schien sein Herz anderer Meinung zu sein, den er konnte er spürte, wie das Adrenalin plötzlich mit doppelter Geschwindigkeit durch seinen Körper gepumpt wurde. Inzwischen ragte das Haus bedrohlich vor ihm auf. Er wusste selbst nicht genau, warum er hier eigentlich so ein Theater machte. Vielleicht lag es daran, dass er heute den älteren so freundlich erlebt hatte! Er wollte nicht, dass das misstrauen wieder zurückkehrte. Er wollte akzeptiert und in diese Familie aufgenommen werden. Dies gestand er sich schamlos ein, als er weiter auf die Behausung zuschritt. Ihm war nicht wirklich klar, was er für Yumi empfand, doch er hatte den alten Mann schon nach nur einem Tag so sehr schätzen gelernt, dass er nicht wollte, dass dieser ihn für einen Aufschneider und Drückeberger hielt, der erst großspurig seine Hilfe anbot und sich dann gleich aus dem Staub machte. Inzwischen konnte er bereits Geräusche aus der Schmiede hören. Er hielt den Atem an! Das Geräusch klirrenden Metalls, kurz darauf gefolgt von einem Zischen, dass er nicht zuordnen konnte. Er versuchte den dicken Kloß in seiner Kehle zu ignorieren und schob langsam und bedächtig die graue Schiebetür beiseite. Hinter ihr offenbarten sich wie schon am Tag zuvor verstreute Werkzeuge und Eisenstücke. Allerdings war das Feuer diesmal an und warf dunkle Schatten auf den Schwertschmied, der davor stand und konzentriert ein Stück Metall bearbeitete. „Obata-san“, grüßte Temaru nervös und fuhr mit der Zunge über seine Lippen, die ihm mit einem Mal wie ausgetrocknet schienen. Er erhielt keine Reaktion, doch er hatte auch keine erwartet. „Ich wollte Euch nur sagen, dass es mir Leid tut.“ Der alte Mann hatte das Eisenstück inzwischen fertig und nahm es aus dem Feuer, um es in Wasser zu tauchen. Erneut hörte Temaru das Zischen, doch bildete er sich das ein, oder klang es aggressiv?! Er schluckte. So etwas lag ihm einfach nicht! Tief holte er Luft. Jetzt musste er es auch zu Ende bringen. „Ich wollte Euch wirklich nicht einfach so sitzen lassen. Ich war nur kurz verschnaufen am See und dann suchte mich Yumi auf und dann habe ich wohl die Zeit vergessen. Es tut mir sehr leid und ich werde es nicht wieder vorkommen lassen“ „Kein Problem“, erwiderte Fujime völlig ruhig. Temaru versuchte einen Blick in sein Gesicht zu erhaschen, doch sein Gegenüber stand nun fast mit dem Rücken zum ihm. „Ich hatte dir gesagt, dass du nicht zu helfen brauchst und es machte mir nichts aus. Du hattest mir schon am Morgen ganz ordentliche Dienste geleistet. Ich bin dir zu Dank verpflichtet. Außerdem hat Yumi bereits erzählt, dass sie dich noch etwas gefragt hat.“ Nun war der Junge völlig überfahren. Yumi hatte ihn entschuldigt! Obwohl sie nichts hätte erzählen müssen. Auch erklärte Fujime hier eindeutig und wie selbstverständlich, dass er nichts zu entschuldigen hätte. Das stimmte den Jungen nachdenklich. Gut, so gesehen hatte er sich wirklich nichts zu schulden kommen lassen. Doch in seiner Heimat wäre dies kein so kleinlicher Delikt gewesen. Jeder musste mitarbeiten. Wenn einer sich weigerte, oder durch ein Missgeschick nicht mitarbeitete, so senkte dies die Moral der anderen und zudem wurde jede Arbeitskraft gebraucht. Temaru dachte mit säuerlicher Miene daran, dass er manchmal durchaus ohne Abendbrot schlafen gehen musste, weil er während der Arbeit oftmals verträumt gewesen war. So hatte er sich dies schnell wieder abgewöhnt. Dafür konnte er ja nachts die Sterne betrachten und seinen Gedanken nachhängen. Ein wohliges Gefühl durchfuhr ihn! Er würde auch heute Nacht wieder aufstehen und sich hinausschleichen. Dieser ort war so faszinierend, sogar die Sterne schienen noch viel klarer und friedvoller. Er verbeugte sich lächelnd vor dem älteren, der noch immer über seinen Amboss gelehnt das angehende Schwert bearbeitete. „Vielen Dank Obata-san. Wenn ihr erlaubt, werde ich mich nun ins Haus zurückziehen“ „Ja, tu das“, bemerkte dieser abwesend. Temaru wandte sich nun tatsächlich dem Haus zu, und nach einiger Überredungskunst hatte er Yumi soweit, ihr bei dem Abendessen helfen zu dürfen. - tbc - Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)