Clinging to habits von Tsutsumi ================================================================================ Kapitel 2: Neun von zehn Punkten -------------------------------- Titel: Clinging to habits Teil: 2/7 Autor: Tsutsumi Disclaimer: Alle Charaktere aus Yu-Gi-Oh!, die ich hier benutze, gehören nicht mir. Ich leihe sie mir nur aus und gebe sie hoffentlich unbeschädigt zurück. Ebensowenig verdiene ich Geld hierfür. Pairing: Tristan x Joey Kommentar: Diese FF hier ist die Antwort auf Rei17´s und Maddles Päckchenchallenge "7 Angewohnheiten" vom "Challenge"-Zirkel hier auf Animexx. Ich hoffe, ich kann sie gebührend beantworten^^ Warnung: sappy, Shounen Ai Neun von zehn Punkten Ich fühle mich wie durch den Fleischwolf gedreht. Als hätte mich heute Nacht irgendwas gefressen und wieder ausgekotzt. Als ich zehn Minuten nach dem Weckerklingeln in Richtung Küche um Wohnzimmer an der Pizza vorbeilaufe, wird mir direkt übel. Scheint so, als würde der Pizzajunge in nächster Zeit nicht kommen müssen. Da wird er sich aber freuen! Gedankenverloren kippe ich zwei Tassen Kaffee in mich hinein, esse ein Käsebrot und fange ein zweites an. Ich stehe im Badezimmer, rasiere mich, höre Musik. Ziehe mir mein Uniformhemd falsch herum an. Es ist, als hätte ich ein Vakuum im Kopf. Böse Zungen behaupten zwar, dass das immer so sei, aber ich fürchte, diesmal stimmt es tatsächlich. Als hätte sie mich gestern ins technische K.o. befördert, schlägt Joeys Stimme noch immer ein wenig in meinen Ohren, so ähnlich wie der Pulsschlag rauscht, wenn man gerade die Meile gerannt ist. Ich bin noch wie benebelt. Vielleicht liegt es auch an der ganzen Schiff-Sache, versuche ich mir auf dem Schulweg einzureden. Von wegen Titanic, sterbende Menschen, gerettete Menschen, Dramatik pur- und dazwischen rief eben zufällig Joey an. Hey, in Wirklichkeit geht alles wie gewohnt weiter. Kaiba schmeißt eben alle Jubeljahre ein neues Produkt auf den Markt, damit er sich wieder einen neuen Hubschrauber kaufen kann mit diesem prollig silbernen KC drauf oder damit er Mokuba ein Pony schenken kann oder irgendsoetwas. Joey wird sich davon immer faszinieren lassen. Das heißt nicht, dass ich abserviert bin. Oder? Wir waren immer zusammen, seit der Mittelschule. Ich kenne Seiten an Joey, die kaum ein anderer gesehen hat. Ich war dabei, als er seine Wandlung durchmachte vom immer übelgelaunten Schläger, der tief drinnen einfach nur ein verdammt trauriger Kerl war, zum strahlenden Nervenbündel. All das schweißt doch zusammen. Hundertprozentig, da bin ich mir fast sicher. Und es ist tatsächlich wie gehabt. Als ich in das Klassenzimmer trete, sitzt Seto Kaiba, ein Bein über das andere geschlagen, wie immer teilnahmslos an seinem Platz, schon wieder mit einer Zeitung am Wickel. Nur, dass er gerade die Börsenseite aufgeschlagen hat. Wahrscheinlich hat er den Teil mit der sinkenden `Queen Victoria´ schon längst durch. Einen Moment lang muss ich still in mich hineingrinsen. Kaiba mit dem Börsenteil der Zeitung. Ausgerechnet er beruhigt heute Morgen als erster meine Nerven, indem er einfach tut, was er immer tut und nicht plötzlich ganz andere Sachen veranstaltet. Joey sollte sich an ihm ein Beispiel nehmen! Aus Dankbarkeit grinse ich ihn direkt an, während ich an ihm vorbeistolpere und ihm einen guten Morgen wünsche. Er antwortet, wie immer, nicht. Schließlich bin ich ein so niederes Subjekt, dass er mit mir nicht zu reden braucht. Wie immer. Braver Kerl! Die nächste, die mein verwirrtes Ego streichelt, ist Tea. Sie sitzt ebenfalls bereits an ihrem Platz, spielt gedankenverloren mit einer ihrer braunen Strähnen und blättert dabei mit vorsichtigen Fingern in einer Sportzeitschrift. Joey hasst es, wenn sie ihr Haar so zwirbelt. Er meint, davon würde man Spliss bekommen, jedes Mal. Dann beginnt er immer, sich mit spitzen Gesten durch die Haare zu fahren und mit einem französisch-schwulen Akzent über Teas Haarpflege auszulassen. Ein Spielchen, was er solange treibt, bis es nicht mehr witzig ist; weil Tea ihm entweder den Mund zuhält oder Yûgi vor Lachen vom Stuhl fällt. Apropos...der Kurze ist ja auch schon da. Wie immer mit seinen Karten zugange. Wie hätte es anders sein können. Ab und an beugt er sich möglichst unauffällig nach vorne und flüstert stimmlos seinem Milleniumspuzzle zarte Worte zu, immerzu mit seinem typisch seligen Blick. Im selben Moment klingelt draußen die altersschwache Schulglocke, von der es eigentlich heißt, dass der Hausmeister sie seit drei Monaten reparieren soll. Wenn man sie hört, hat man immer den Eindruck, einer sterbenden Gans, so leicht quäkig und quietschend. Zeitgleich- der Lehrer kramt gerade die Anwesenheitsliste aus seiner Tasche- knallt, wie beinahe jeden Tag die Tür noch einmal auf. Ich muss beruhigt grinsen. Ja, das ist er, mein bester Freund Joey Wheeler, der mit hängender Zunge, schief geknöpftem Hemd und wehenden Haaren gerade noch so rechtzeitig zum Unterricht kommt. Manchmal habe ich das Gefühl, er passt diesen Moment absichtlich ab um so als eine Art Running Gag in die Geschichte unserer Oberschule einzugehen. Für eine gute Story tut er schließlich alles. Dass Joey ohnehin ein einziges Phänomen auf zwei Beinen ist, ist hier jedem klar. Joey, der so viele Großen der Größten im Duel Monsters ohne irgendwelche Götterkarten geschlagen hat. Joey, der das Geld aufbrachte, um seiner Schwester eine Augen-Operation zu bezahlen. Joey, der alles und jeden in seinen Bann zieht. Er hat es immerhin geschafft, dass Seto Kaiba ihn als sprechendes, menschliches Subjekt ansieht. Ich weiß, dass ich diesen Status wahrscheinlich ohnehin nie bekommen würde, da könnte ich anstellen was ich wollte. Vielleicht, weil ich die Leute nicht so einfangen und für mich begeistern kann. Mein bester Freund ist darin Spezialist. "Alle finden Joey niedlich", sagt Tea regelmäßig, wenn ich sie manchmal nach dem Sportunterricht abhole und wir gemeinsam zu Yûgi und Joey zum Mittagessen gehen. "Die anderen Mädels sehen ihn beim Fußballspielen herumalbern und würden ihn am liebsten knuddeln, knutschen und verhätscheln!" Dann lache ich jedes Mal und frage sie, ob sie das denn nicht auch gern tun wolle. Schließlich sei sie doch auch ganz süß. Blaue Flecken von Ellenbogen, die mir daraufhin verschämt in die Seite gerammt werden, trage ich mit Würde. Mit zerzausten Haaren wirft Joey schließlich sein Schulzeug von sich, kramt nach seinem Englischbuch und startet einen Rundumwinker an Yûgi, Tea und mich, die wortlose Art, guten Morgen zu sagen. Und was danach geschieht ist so reine Routine, dass ich die Uhr danach stellen könnte. Bücher aufschlagen, Übersetzungsübungen, Leseübungen, wasweißnicht-Übungen. Auch der Englischlehrer enttäuscht mich nicht. Mit einem Mal fühle ich, wie müde ich wirklich bin. ~~~*~~~ Die gefühlte Temperatur draußen beträgt so sommerlich schöne 25 Grad Celsius, dass es mir zur Mittagspause buchstäblich in den Zehen und Fingern juckt. Manchmal spielen Joey, Yûgi und ich nach dem Essen ein bisschen Volleyball auf dem Schulhof. Ja, direkt nach dem Essen; so ungesund leben wir. Nebenbei johlen wir Tea und ihren Mädels auf ihren Stepper-Stufen zu, um ihr das Gefühl zu geben, eine richtig heiße Braut zu sein. Das ist sie nämlich in der Tat, aber so glaubt sie es uns nie. Taten zählen bekanntlich mehr als Worte. Und so kommt es, dass, als die Schulglocke zur Mittagspause quäkt, ich so schnell wie möglich nach meinen Sandwiches greife und die anderen förmlich vor die Tür schleife. "Herrliches Wetter!", plaudert Tea begeistert, als sie sich neben uns drei anderen auf der Schulbank niederlässt. "Da müsste man direkt nach der Schule zum Baden fahren." Sie reckt sich und atmet demonstrativ tief ein und aus. "Bin dabei!", nuschele ich durch Weißbrot und Truthanschinken. Etwa übereifrig, das gebe ich zu. "Dann machen Joey und ich Yûgi und dich beim Wasserball zur Schnecke!" Beste Freunde sind nämlich unschlagbar. Damals, in unserer finstersten Bandenzeit konnten Joey und ich gemeinsam fünf Kerle vom Kaliber eines Bodyguards fertigmachen. Fertigmachen in dem Sinne, dass sie hinterher blaue Augen hatten und uns beim Wegrennen nicht erwischt haben; okay, aber man muss bedenken, dass diese Typen reichlich älter waren als wir. Wenn ich mich im Nachhinein daran erinnere, waren das die besten Momente damals. Mit vom Keuchen offenen Mündern durch die Straßen hetzen, nebeneinander, umeinander, uns gegenseitig über Zäune helfend, an Jacken und Händen zerrend, halb ineinander verschlungen und beinahe grenzenlos frei. "Na, was ist, ihr beiden?", wendet Tea sich Yûgi und Joey zu. "Kommt ihr auch mit?" In dem Moment starrt der Kleine auf einmal verlegen zu seinem Milleniumspuzzle herunter und an ihm vorbei auf seinen angefangenen Schokokeks. "Tut mir Leid", sagt er verschämt; "Aber heute Nachmittag ist in der City Hall diese Spielemesse..." "Na, das ist doch nicht so schlimm", mische ich mich ein und versuche, nebenbei unauffällig Schinken, der zwischen meinen Zähnen klemmt, mit der Zunge wegzupulen. "Dann gehen wir halt abends baden. Da ist es ohnehin nicht mehr so heiß." "Aber die Messe ist wahnsinnig groß!", sagt Joey plötzlich, der von Yûgi Kekse am laufenden Band isst. Wann sich das eingebürgert hat, weiß ich auch nicht. Jedenfalls isst er Yûgi regelmäßig die Hälfte seines Schulessens weg. Früher ist er auch schon ohne Essen zur Schule gekommen. Das liegt manchmal daran, dass sein Vater nicht einkaufen geht. Oder so besoffen ist, dass er manchmal Essen oder gar ganze Wohnungseinrichtungsgegenstände aus dem Fenster wirft. Zum Glück wohnen sie nur im zweiten Stock. Aber die Lebensmittel kann man schlecht verwenden, wenn sie erst mal auf der Straße liegen. Früher habe ich Joey Sandwiches mitgebracht. Die mit Ei und Käse mag er besonders gerne. Aber irgendwann hat sich das geändert. Ich glaube, es fing damit an, dass Yûgi zu mir meinte, dass wir uns gemeinsam um Joey kümmern könnten in der Hinsicht. Wann, warum und wie daraus ein Alleingang geworden ist, kann ich nicht mehr genau sagen. "Eh man da überall durch ist und alles ausprobiert hat, ist der ganze Tag rum!", fuchtelt mein bester Freund wild mit den Händen herum. Seine braunen Augen sind meinen so nahe, dass ich in ihnen das berühmt-berüchtige Wheeler-Glitzern erkennen kann. Das hatte er schon immer, und jedes Mal, wenn ich es auf´s Neue erblicke, fühle ich mich wie beruhigt und nervös zugleich. Es ist diese Energie, die er um sich herum verteilt und mit der er Leute ansteckt ohne dass er es weiß. "Da müssen wir gleich nach der Schule hin!" , sagt er bestimmend. "Ja..", Yûgi lächelt. "Das wollte ich eigentlich damit sagen. Kommt ihr auch mit?" Meine Tagträume vom Wasserspaß zu viert, von einer Freizeitaktivität, die ich endlich wieder mit Joey tun möchte, ohne die Worte "Karte" oder "Monster" zu gebrauchen, versinken in der Finsternis meiner Gedanken. Ist das alles etwa ein Fluch? "Ich komme gerne mit!", sagt Tea am anderen Ende der Bank und lächelt. "Vielleicht finde ich ja was Schönes!" Ich bewundere ihren Optimismus. Nein, wirklich, Tea würde selbst inmitten einer Jahrhundertsturmflut noch solche Sachen sagen wie "Ach, seht mal, wie schön die Muscheln aussehen, die da an dem überfluteten Hausdach kleben!" Gut, ich gebe zu, das ist übertrieben. Aber es ist Tea. "Und du, Tris´?" Ich schrecke aus den halb abgedrifteten Gedanken hoch. Irgendwie würde mich Joeys Stimme immer wieder zurück ins Bewusstsein reißen. Selbst wenn ich einen Motorradunfall hätte und für klinisch tot erklärt werden würde- ein Wort von Joey Wheeler und ich würde aufstehen und mit ihm aus der Leichenhalle rennen. So muss das zwischen besten Freunden sein. Selbst wenn einer von ihnen sich gerade verraten fühlt. "Ach, weißt du..." Ich grinse unbeholfen und kratze mich umständlich am Kopf. "Du weißt doch, ich bin nicht so der Typ für solche Sachen. Ich würde eh nur bei den Videospielen hocken- und selbst da würde es mir irgendwann langweilig werden." Joey legt den Kopf schief, sodass ihm ein paar der hellblonden Strähnchen sanft in die Augen fallen. "Ach komm schon, Duke kommt wahrscheinlich auch!" Als ob das ein Argument wäre. Wenn ich nicht von vorne bis hinten mit Karten zugeschmissen werde, dann mit Würfeln und Karten. Ich schließe meine Augen frustriert, doch lächle weiter, fahre müde mit den Händen über die Augen. Und dann platzt plötzlich ein Satz aus mir heraus, der mir so unpassend erscheint wie ich unpassend wäre wenn ich mit Tea auf Steppern herumhüpfen würde. "Kommt deine Schwester auch?" Eine watteweiße Wolke schiebt sich in dem Moment vor die Sonne, sodass ich die Augen nicht zukneifen muss, als ich sie wieder öffne und die bunten Flecke vor ihnen zähle, die daher rühren, dass ich an meinen Augäpfeln herumgedrückt habe. Ich blicke in drei grinsende Gesichter. "Wenn ich sie frage, bestimmt." Joey kaut geräuschvoll auf einem Schokokeks herum. Krümel sprenkeln seine roten Lippen, dunkel, süß. "Sie hat ja ohnehin einen Narren an die gefressen!" Jetzt lachen sie, alle drei. Bin ich hier in einer Sketch Show gelandet? "Na, und wie´s scheint, beruht das auf Gegenseitigkeit!", witzelt Tea und zwirbelt schon wieder an ihren Haaren herum. "Ah, Tea, wie oft soll ich´s dir noch sagen, du sollst deine Haare nicht so misshandeln!" Natürlich springt Joey gleich darauf an. Er fuchtelt mit dem Keks herum, krümelt seinen ganzen Blazer damit voll. "Lass mich mit meinen Haaren doch machen was ich will!", keift Tea gespielt beleidigt zurück. "Kümmere dich mal lieber um deine Mähne!" "Mit meiner Mähne ist alles in Ordnung! Aber du hast bald keine Haare mehr auf dem Kopf, wenn du so weitermachst!" Irgendwo drifte ich ab in Gedanken. Zurück in die Vorstellung, wie es wohl geworden wäre, wenn wir heute zum See gefahren wären. Wasserball gespielt hätten. Ich hätte Sandwiches gemacht. Salami. Und Käse mit Ei, extra für meinen besten Freund. Meinen besten Freund, der mir schon wieder wie durch die Finger gleitet. Hinüber zu Yûgi und seinen Karten. Plötzlich habe ich das unbestimmte Gefühl, unter so einer kleinen Gewitterwolke zu sitzen, wie sie sie in den Cartoons und Comics so gern darstellen. Als ob es nur auf mich niederregnen würde. Und Blitze treffen mich direkt in den Kopf. Irgendwo bemerke ich wie nebenbei, wie Tea aufgestanden ist und plötzlich neben mir steht, um sich für den Rest der Pause zu entschuldigen. Der Stepper und die männlichen Groupies rufen. Irgendwo zwischen Gewitter, Kekskrümeln, braunen Glitzeraugengedanken und den Geräuschen vom knirschenden Kies unter uns dringt plötzlich ihr besorgter Blick zu mir durch. Der Sonnenschein funkelt in ihren gezwirbelten Haaren. "Alles klar mit dir, Tristan? Du grinst die ganze Zeit schon so komisch, als würde dir wer die Mundwinkel hochzerren." ~~~*~~~ Seto Kaiba telefoniert. Es ist eines dieser ganz neuen, tollen Silberhandys, die die Mädchen mit glitzernden Strasssteinchen und Herzchenstickern bekleben und die sie anschließend mit fünf Kilo Schlüsselanhängern belasten, angefangen bei Hello Kitty bis zu Batman. Aber Kaiba nicht. Der hat stattdessen an der Klappe wieder einmal nur sein Firmen-"KC" kleben. Spontan versuche ich mir vorzustellen, wie es wäre, wenn er Mokuba wirklich ein Pony kaufen sollte. Ob sie das arme Tier silbern färben und ihm ein "KC" ins Fell rasieren würde? Ich hänge halb, sitze halb an meinem Tisch und blinzele müde durch die heruntergezogenen, aber leicht geöffneten Lamellen der Jalousien des Klassenzimmers. Draußen dringt der Lärm von den letzten fünf Minuten der Mittagspause herein. Ich habe keine Lust gehabt, bei Tea zuzugucken und mir mitanzusehen, wie sich Kerle nach ihr umgucken. Sie anfeuern macht nur mit Joey richtig Spaß, zumal er das viel, viel besser kann als ich. Und als Yûgi und eben mein bester Freund die Karten auspackten, um "nur mal eben schnell" das Duell von gestern Abend nachzustellen und zu gucken, welche Alternativen man hätte spielen können, habe ich das Handtuch entgültig geworfen. Wer hätte gedacht, dass ich einmal hier landen würde? Schließlich verbringen nur Außenseiter ihre Pausen allein im Klassenzimmer. "Es ist mir egal, wie viel Johnson davon hält!", bellt Kaiba in sein Handy, allerdings mit gehaltenem, geschäftsmännischem Ton. "Diese Aktien werde abgestoßen, wenn ich es sage! Ich pokere nicht um zwei Millionen." Er lehnt sich langsam zurück und schlägt wieder das eine Bein über das andere. Wie er das schafft, ist mir ein völliges Rätsel. Seine Beine sind viel zu lang, eigentlich müsste er unpraktischerweise mit dem Knie gegen die Tischplatte knallen, vor Schmerz wimmern und den Kerl am anderen Ende aus Frust anbrüllen. Aber das wird wohl nie passieren. Vor ihm liegt, akkurat zusammengefaltet, die heutige Zeitungsausgabe. Vorne ist ein Bild von der `Queen´ zu sehen, fast ganz versunken. Daneben Berichte und Interviews mit dem Kapitän. Ich blinzele verhalten hinüber. "Nein, das werde ich nicht.", fährt Kaiba ruhig fort. Bedrohlich ruhig. "Ich sehe Johnson und Sie heute Nachmittag ohnehin in der Konferenz. Sollten Sie beide bis dahin keine ordentlichen Zwischenberichte vorzuweisen haben, sagen Sie mir besser jetzt schon Bescheid, damit ich Ihre Kündigungspapiere vorbereiten kann." Ich lege meine verschränkten Arme auf der Tischplatte ab und bette meinen Kopf darin. Und auf mich fallen unzählbar viele Licht- und Schattenstreifen von der Jalousie. Es ist still. Kaiba hat aufgelegt. Wahrscheinlich werden die Leute aus seiner Firma schnell aufmüpfig. Kein Wunder, hätte ich einen Chef, der womöglich nur halb so alt ist wie ich, würde ich auch aufmucken. Andererseits bewundere ich Kaiba irgendwo für sein Durchhaltevermögen, mit der er unermüdlich anderen ihre Grenzen aufzeigt. Darin ist er klasse. "Sag mal, Kaiba..." Ich blinzele aus dem Fenster, sehe Mädchen draußen vor dem Haus vorbeiflanieren, sehe Jungen hinterhergucken. Und diese beiden Lehrer da, die gemeinsam Pfeife rauchen. "Ich weiß, ich bin für dich nur eine nicht ernstzunehmende Randfigur, und du hast sowieso immer Besseres zu tun." Auf dem Volleyballfeld rutscht ein Mädchen böse aus. "Aber eines würde ich echt gern mal wissen. Nur so aus Neugier!" Er raschelt mit dem Blazer seiner Schuluniform. Und auch wenn ich ihn nicht ansehe, ich habe das Bild seines ausdruckslosen Gesichtes mit den hartgeformten Augen direkt in meinem Kopf. Seto Kaiba, der Großkotz, dem Joey so wunderbar Paroli bieten kann. Können wird. Ich weiß das, ich habe Joey immer dabei zugesehen und angefeuert. "Angenommen, du würdest Mokuba ein Pony kaufen..." Licht blendet mich. "Was würde er dann damit machen?" Ich höre, wie sich der lange, schmale Körper vom seinem Stuhl erhebt. Eine Präsenz, die mir in einem friedlichen Moment wie diesem trotz allem Respekt einflößt. Die Stille des Zimmers hängt dumpf in meinen Ohren. Ich kann förmlich hören, wie alles um mich herum verstaubt. "Würde er jeden Tag ausreiten? Würde er es Butterblume nennen und nur noch Bücher über Pferde lesen? Und sich nie wieder mit Duel Monsters beschäftigen? Oder gar dir?" Kaibas Schritte hallen leicht, als er auf den Flur tritt und die Tür hinter sich zumacht. Er hat kein Wort gesagt, sich nicht einmal geräuspert. So wie immer. Ich wusste es. Kaiba lässt mich nicht im Stich. ~~~*~~~ Es ist Abend, als ich auf der Couch wieder zu mir komme. Noch immer liegt da diese abartige, kalte Pizza von gestern Abend. Irgendwo zwischen Traum und Bewusstsein nehme ich mir vor, sie so schnell wie möglich zu entsorgen. Und dann weiß ich wieder, was ich hier mache. Dass ich mich hierher geschmissen habe, gleich nachdem ich aus der Schule gekommen bin. Mein Kopf hämmert unerträglich. Ich wette, Yûgi, Tea und Joey amüsieren sich gerade prächtig auf der Messe. Vielleicht, denke ich, hätte ich doch mitkommen sollen. So tun, als ob mich das alles wahnsinnig interessieren würde. Nun, ich hasse Duel Monsters nicht. Ich hasse gar nichts. Aber das ist bei mir so wie mit Kaninchen. Ich mag Kaninchen, ich streichle sie gerne, ich weiß ungefähr, wie man sie hält und dass man sie nicht an den Löffeln anfassen darf, weil ihnen das weh tut. Das gibt mir aber noch lange keinen Grund, zu einer Kaninchenausstellung zu gehen, um dort über die Fellzeichnung eines Löwenköpfchenwidders zu diskutieren. Duel Monsters ist genau so. Ich mag es. Ich weiß ungefähr, wie man es spielt. Fertig. So richtig habe ich nie verstanden, warum alle Welt plötzlich ihre Konflikte mit den Karten lösen wollte. Ich wurde überrumpelt davon, habe verpasst, mich einzufügen und mitzumachen. Darwin würde jetzt sagen, dass ich nicht fit genug war und von der Evolution zum Nebendarsteller degradiert wurde. Nur weil ich Probleme lieber mit Worten oder, falls nötig, mit den Fäusten löse. Es wäre auch alles kein Problem...aber diese Karten...und Yûgi...entziehen mir meinen besten Freund. Ich nehme erschöpft einen Schluck wunderbar abgestandener Cola und gehe im Gedanken den heutigen Tag durch. Kaiba mit seiner Zeitung. Tea mit ihrer Sportzeitschrift und ihrer Lieblingsdisziplin ´Haare zwirbeln´. Yûgi, der an seinem Platz Karten und Puzzle ordnete. Die quäkende Schulglocke. Joey, der zu spät kam. Der Lehrer mit seiner alltäglichen Fadheit. Sodann Joey, der bei Yûgi Kekse und Brot pumpte. Tea auf dem Stepper. Kaiba, der mich ignorierte. Es ist wie eine Liste; eine Liste von Dingen und Menschen, die so wie immer waren, sich wie immer verhielten. Gewohnheiten, Alltag, der um mich jeden Tag passiert, dem ich vertrauen kann. Aber eines fehlt; Tristan, der mit Joey zusammen ist. Neun von zehn Punkten. Im Kopf zähle ich noch mal durch. So wie man Punkte einer zurückerhaltenen Arbeit noch mal durchzählt, weil man hofft, dass der Lehrer sich verzählt hat, dass es doch in Ordnung ist, dass man doch noch den fehlenden Punkt irgendwo findet. Aber hier weiß ich ganz genau, dass Joey nicht innerhalb der nächsten zehn Sekunden in mein Wohnzimmer stürmen wird, mir um den Hals fallen und sagen wird, dass er jetzt doch baden gehen will. Ich bin durchgefallen, habe versagt. Den Freundschaftstest nicht bestanden. Neun von zehn Punkten. Weniger als ungenügend. Missmutig sitze ich auf der Couch und versuche, meine durcheinandergeratenen Haare zu ordnen. Meine Frisur neigt sich leicht nach links. Ich zappe durch die Kanäle, auf der Suche nach etwas, was mich ablenkt. Doch da ist nichts, was meine Aufmerksamkeit für länger als zehn Sekunden hält. Eine tiefe Unruhe sitzt in mir und da ist nichts, was mich besänftigen, was mich beruhigen kann. Ich kann ihn nicht einfach anrufen; er ist nicht zu Hause und ein Handy besitzt er auch nicht. Wenn ich jetzt bei ihm anrufen würde, würde ich ohnehin nur seinen Vater am Rohr haben. Und was sollte ich mit dem schon besprechen? Ich trinke Cola und pflege den ekligen Geschmack, der sich in meinem Mund angesiedelt hat wie eine Horde wüster Bakterien. Draußen ist es bereits dunkel. Neun von zehn Punkten. Als die Colaflasche leer ist, läuft im Fernsehen diese Werbung für den Top-Süßwarenhersteller des Landes. Menschen, die sich umarmen, die einander küssen und herzen; wunderschöne Mütter, die ihre noch wunderschöneren Kinder umarmen, nachdem diese ihnen Schokolade in die Hand gedrückt haben. Büromenschen, die eher danach aussehen, als ob sie Besitzer eines Fitnessstudios wären, strahlen über das ganze Gesicht. Warum auch nicht? Die werden immerhin nicht mit Karten betrogen. "Weil es dich gibt!" trällert der Slogan engelsgleich. Fünf Minuten später halte ich es nicht mehr aus. Wie ein nagendes Gefühl, ganz tief drinnen, ist diese unglaubliche Nervosität. Gepaart mit den Kopfschmerzen bauscht sich in mir der reinste Amoklauf hoch; es ist als würde mir der kalte Schweiß ausbrechen- was er aber nicht tut, es fühlt sich nur so an-, es ist als würde ich ohne zusammenhängendes Denken handeln, kopflos, haltlos. Neun von zehn Punkten. "Ja, hallo?" Plötzlich hocke ich am Telefon und weiß weder ein noch aus. "Hallo? Ist da jemand?" Durch die Telefonleitung klingt diese Stimme noch niedlicher und noch mädchenhafter als ohnehin schon. Schon als ich sie zum ersten Mal gehört habe, als Joey sie mir vorgestellt hat, war ich so verzückt von ihr, dass ich dachte, sie könnte glatt eine Barbie-Stimme sein. "Ja...hi.", presse ich hervor. Mein Kopf hämmert. "Ich bin´s...Tristan." Da endlich die Erleichterung; "Ah, du bist es! Wie geht´s dir?" "Gut.", lüge ich. "Und dir? Hoffentlich auch gut!" Hoffentlich besser als mir. "Ja, auch gut." Ich fürchte, sie strahlt so richtig am anderen Ende. In diesem Moment fällt mir wieder ein, was Tea vorhin meinte. Angeblich soll Serenity an mir einen Narren gefressen haben. Verdammt, warum hab ich sie angerufen? "Aber sag mal...warum rufst du mich denn an?" Ja, warum? Ich kann kaum richtig denken unter all den Kopfschmerzen, unter dem ekelhaften Mundgeschmack, unter den zitternden Gliedern, die vor Schreck ganz schön beben. "Weil...ähm...weil es dich gibt.", imitiere ich die Stimme aus dem Fernsehen, in erbärmlicher Art und Weise. Ich habe nicht die geringste Ahnung, was hier geschieht. Was ich mache. Wie ich von Joey plötzlich auf Serenity, seine Schwester, gekommen bin, will mir nicht in den Kopf. Vielleicht wollte ich ihre Stimme hören? Als Ersatz zu seiner? Ich stehe da wie der letzte Idiot, habe ein mit Cola bekleckertes Hemd an und pule im Gel in meinen Haaren herum. Und ich fühle mich nervös. Unendlich nervös. "Weißt du, Serenity... willst du...hast du nicht mal Lust, mit mir auszugehen?" To be continued... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)