Clinging to habits von Tsutsumi ================================================================================ Kapitel 4: Fortpflanzung ------------------------ Titel: Clinging to habits Teil: 4/7 Autor: Tsutsumi Disclaimer: Alle Charaktere aus Yu-Gi-Oh!, die ich hier benutze, gehören nicht mir. Ich leihe sie mir nur aus und gebe sie hoffentlich unbeschädigt zurück. Ebensowenig verdiene ich Geld hierfür. Pairing: Tristan x Joey Kommentar: Diese FF hier ist die Antwort auf Rei17´s und Maddles Päckchenchallenge "7 Angewohnheiten" vom "Challenge"-Zirkel hier auf Animexx. Ich hoffe, ich kann sie gebührend beantworten^^ Warnung: sappy, Shounen Ai Fortpflanzung Es ist mir geradezu peinlich. Als ich aus dem Bus steige, der direkt vor dem Zoo hält und gemächlich auf den Eingang zuzuschlendern beginne, mache ich mir Gedanken darüber, ob ich nicht lieber den im Kleiderschrank verstaubenden Sonntagsanzug hätte anziehen sollen. Ich sehe Serenity schon weitem; sie leuchtet geradezu in ihrem sonnengelben Kleid. Zum Glück sind da keine Rüschen dran. Rüschen sind mir unheimlich. Aber die dazu passenden gelben Schleifen im Haar, der ebenfalls strahlendgelbe Sonnenschirm, den sie über sich aufgespannt hat und das zierliche Umhängetäschchen in Gelbrot, welches sie dazu über der Schulter trägt, machen das Bild von einer jungen Dame, die auf ihren Rosenkavalier wartet, perfekt. Aber ich habe keine Rosen dabei. Auch keine Pralinen. Das einzige, was mir spontan einfällt, sind die letzten beiden Kaugummis in meiner Hosentasche, die bestimmt schon zwei Jahre da liegen. Meine Frisur sieht aus wie immer und als ich prüfend an mir herunterschaue, starren mir ein Paar blaue, schlammverschmierte Schuhe, ausgewaschene Jeans und ein rot-schwarz-graues T-Shirt entgegen, auf dem vorne „Malice“ und auf dem Rücken „Kiss my ass“ steht. Noch schlimmer hätte ich meine Wahl wohl wirklich nicht treffen können. Dennoch strahlt Serenity buchstäblich von Kopf bis Fuß als ich sie erreiche. Ganz rote Wangen hat sie, wahrscheinlich vor Aufregung. „Mylady!“, sage ich grinsend, fasse sanft nach ihrer rechten Hand und gebe ihr, um mein äußeres Erscheinungsbild wenigstens ein bisschen zu entschärfen, einen zarten Handkuss. „Ich hoffe, Ihr musstest nicht allzu lange meiner harren!“ Das scheint ganz gut bei ihr anzukommen. „Ja..ich meine, nein, musste ich nicht!“ Sie kichert verlegen und schaut aus großen Augen zu mir hoch. „Ähm..ich meine...hi!“ Ich kann mir direkt vorstellen, wie sie heute Früh vor ihrem begehbaren Kleiderschrank stand und sich nicht entscheiden konnte, was sie anziehen sollte. Einmal habe ich den Zirkus bei Tea mitgemacht und bin jetzt für mein Leben gezeichnet. Warum machen Mädchen sich solche Gedanken darum, was ihr Liebster davon halten könnte, wenn sie mal ein Paar blaue Schuhe zu einer mintgrünen Hose anziehen? Wenn es danach ginge, hätte mich die Modepolizei schon längst eingebuchtet, ausgepeitscht und bei Brot und Wasser verrotten lassen. Mit Joey war es nie so kompliziert. „Wollen wir reingehen?“, frage ich mit dem besten Lächeln, was ich Serenity zu schenken gedenke und halte ihr meinen Arm zum Unterhaken hin. Sie zwirbelt den Griff ihres Schirms mit nervös zittrigen Fingern und kommt aus dem Verlegen-Gucken gar nicht mehr raus. „Ja, natürlich.“ ~~~*~~~ Wir flanieren durch den Zoo, in gemächlich gemütlichem Tempo, immer die Sonne im Rücken, immer den zarten Sommerwind von vorne. Ein wunderbar weiches Licht hüllt uns ein; sie in ein würdevolles Dahinschreiten mit wehender Spitze und golden glänzenden Haaren; und mich in ein krummes Hinterherlatschen mit den Händen in den Hosentaschen. Wenn ein Hersteller dieser abartig kitschigen Hintergrundvideos für Karaokelieder die Szene beobachten würde, er würde mich raustuschieren und statt meiner ein hübsches Pferdchen oder so was reinsetzen. Mokubas Butterblume, genau. Gemeinsam bestaunen wir die Giraffen, denen ich gerade mal bis zum Knie gehe und von denen eine so aufgeplustert und arrogant daherstolziert, dass ich sie im Geheimen Seto Kaiba taufe. Wir kommen am Streichelzoo vorbei, der sofort das Interesse meiner Begleitung erweckt. Die nächste Dreiviertelstunde stehe ich da, halte Schirm und Tasche, komme mir blöde vor und lache trotzdem Serenity zu, während sie versucht, möglichst stilvoll Schafe, Esel und Ziegen zu füttern und zu streicheln. Sie hat hinterher einen Haufen grauer Haare an ihrem Kleid, aber das sage ich als Gentleman lieber nicht. Und während des gesamten Ausflugs spüre ich, wie das Mädchen mir im Geiste, und auch körperlich, verzagt näher zu kommen versucht. Einmal eine kurze Berührung unserer beiden Hände, flüchtig wie ein Windhauch. Dann ihr verlegenes Lächeln, welches über allen Eindrücken in den Sonnenschein hineinstrahlt wie eine erdnahe Supernova. Die Art, wie sie den Sonnenschirm dreht, wenn sie mit mir redet. Oh ja, sie redet in der Tat sehr viel; von der Schule, von Lehrern, von Freunden, von Süßigkeiten, von Spielen, von der Schule, von Lehrern... Ich habe das Gefühl, sie fängt irgendwann immer wieder von vorne an. Aber irgendwo hat sie keine andere Wahl. Ich weiß nämlich nicht, wie ich ihr auf all die Informationsstürme antworten soll. „Ist ja klasse!“ sage ich zwischendurch, oder „Echt, wirklich? Das muss ja ziemlich abgefahren gewesen sein!“ Abgefahren. Dieses primitive Wort benutze ich sonst nie. „Weit du, Tristan...“ , beginnt sie mit ihrer zuckersüßen Stimme, als wir an einem Softeisstand halten. „Ich hätte nie damit gerechnet, dass du mich mal...fragen würdest, ob wir mal...“ „Hm? Ob wir was?“ Ich krame in meinem Portemonnaie nach Kleingeld. Aus den Augenwinkeln heraus sehe ich, wie der Eisverkäufer hinter der Kasse ungeduldig von einem Fuß auf den anderen tappt. „Naja, zusammen weggehen.“, vervollständigt meine hübsche Begleiterin sich. Ihre zarten Finger greifen nach der Waffel, so richtig lady like. Und ich kann nicht anders, als ihr dabei zuzusehen, während ich dem Verkäufer das Geld beinahe gegen den Kopf werfe vor Verpeiltheit. „Weißt du was?“, übertöne ich sein Fluchen. „Deine Hände sehen ja fast aus wie Joeys!“ Irgendwo im Hintergrund ertönt das laute klagende Miauen eines Pfaus. Serenity hält im Eislecken inne. Ihre kleine, niedliche Zunge ist genauso quietschrosa wie das Erdbeersofteis in ihrer Waffel. Überhaupt alles ist klein und niedlich an ihr. Angefangen bei den Sandaletten, in denen ihre Füße über ihre Knie bis zu den zierlichen Wimpern, die verwundert hoch- und runterklappen. Manchmal habe ich das Gefühl, Serenity ist wirklich eine Art Puppe. „Wie kommst du jetzt darauf?“ , fragt sie perplex, als ich sie vom Eisstand wegziehe, da mir der Eisverkäufer bereits Schläge androht. Ja, wie komme ich darauf? Soll ich ihr sagen, dass ich gerade bemerkt habe, dass ich die ganze Zeit versuche, Joey in ihr wiederzuerkennen? Wäre nicht besonders ratsam zu einem Date. Das wäre dasselbe, wie wenn Joey mit mir zusammen wäre und mir die ganze Zeit erzählen würde, wie geil meine Schwester aussähe. Wenn man davon absieht, dass ich keine habe. „Ach, nur so.“, lüge ich, sogar ohne rot zu werden. Das Ganze ist mir schon ein wenig peinlich. „Ich hab ihm ja oft genug auf die Hände geguckt, wenn er sich duelliert hat.“ Das besänftigt ihre Sorge einigermaßen. „Ach so. Ja, das ist wohl so ziemlich das einzige, was uns äußerlich verbindet.“, sagt sie grinsend. „Joey wurde ja schon öfter damit geärgert, dass er Hände hat, die wie meine aussehen. Alle in der Familie meinten, dass er zu weiblich sei.“ Sie schaut kurz auf den Asphalt unter uns. Hinter uns liegt in der Ferne der Streichelzoo und vor uns eröffnet sich ein neuer Gehegekomplex. Ein afrikanischer Elefant schaut zu uns herüber und lässt seine großen Ohren in der sommerlichen Hitze hin und herflappen. „Das war noch vor der Trennung unserer Eltern.“, erzählt Serenity weiter und zeigt mir plötzlich ein strahlendes Grinsen. Und ich weiß, dass dieses Grinsen von derselben Sorte ist, die ich in letzter Zeit bei Joey und Yûgi anwende. Das lässt mich mit Serenity mitfühlen. „Joey war da noch klein und ich ja auch. Aber ich weiß noch genau, dass er sich daraufhin auf dem Spielplatz ab und zu mit voller Wucht und Absicht hingestürzt hat. Damit er, wenn unsere Mutter ihm die aufgeschürften Knie und Hände eincremen musste, sagen konnte, dass er ja ein richtiger Junge ist.“ Ich muss mir das bildlich vorstellen. So ein kleiner, winziger Joey, schon damals mit blonden Wuschelhaaren , Pflastern an den Händen und diesem trotzigen Blick, mit dem er heute noch Kaiba und andere Idioten bedenkt. Wer hätte gedacht, dass sich daraus so ein Komplex entwickeln konnte. Ich bereue es, ihn nicht früher gekannt zu haben. Der feinen Familie hätte ich schön die Meinung gesagt. Vielleicht hätte das was geholfen. Und ich hätte Joey beschützt und davor bewahrt, absichtlich hinzufallen. Vielleicht wäre er dann gar nicht erst traurig geworden. Wir kommen dem Elefanten näher. Er steht neugierig am Graben, der sein Gehege vom Weg der Zoobesucher abschirmt. Seine kleinen Augen haben sich auf uns geheftet, als wäre er ein Privatdetektiv in Aktion. Wer betrachtet hier eigentlich wen? „Ist der nicht süß?“, freut Serenity sich und reißt mich damit schon fast brutal aus den Gedanken. „Komm, Tristan, füttere ihn mal!“ Jetzt bin ich daran, verwundert von meinem Eis abzulassen. Der Geschmack von Pistazie und Mandel liegt mir so wunderbar auf der Zunge. Ja, ich liebe extravagante Eissorten. „Was? Wieso?“ , bringe ich verdutzt heraus. „Weil er bestimmt will! Hier, ich nehm dein Eis solange!“ Auf einmal ist sie ganz flink, kramt mit der freien Hand in der Tasche herum, fördert etwas Weißes, Viereckiges zutage und drückt es mir in die Hand. Erst bei näherem Hinsehen stelle ich fest, dass es sich um ein klebriges Würfelzuckerstück handelt, an dem Sandkörnchen haften. Wie lange und warum Serenity so etwas mit sich herumschleppt verkneife ich mir mal zu fragen. Man weiß ja, Frauen tragen die seltsamsten Sachen mit sich durch die Gegend. Als ich wieder hochsehe, starrt mich der Elefant nun direkt an. Diese Szenerie scheint er wohl zu kennen und streckt langsam und gemächlich den Rüssel vor. „Vergiss es!“, keuche ich erschrocken. Mein Herz ist zwei Etagen nach unten gerutscht und puckert wie irre durch meine Gedärme wie eine Achterbahn, die über Gleise rattert. „Der beißt mich doch!“ „Das ist doch nur sein Rüssel!“, gibt Serenity schon fast empört wieder und nimmt mir das Eis ab. „Komm schon, du siehst doch, dass er es haben will!“ Sie lächelt entschuldigend. Na toll, das habe ich ja total vergessen. Als Kerl muss ich ja gemäß der Rollenverteilung stark und mutig sein, mit Steinen Mammuts erledigen und Löwen mit bloßen Händen erwürgen können. Plötzlich stehe ich da, mit weichen Knien, im schwarzen „Kiss my ass“-Shirt und mit einem Dreitonner vor mir, der sich mit allen Mitteln verbiegt und streckt, um seinen Rüssel über den Graben zu bekommen. Ich habe kein Problem damit, mich mit allem möglichen Getier anzulegen, wenn es jemanden, den ich sehr mag, bedroht. Dann springt so etwas wie ein Beschützerinstinkt an, der mich alle Angst vergessen lässt. Aber dieser Elefant will Serenity nun mal nicht fressen. Der steht einfach nur da. Kein Fall für Super-Tristan. Daran werde ich mich nie gewöhnen, denke ich leicht verzweifelt, als ich verzagt einen Schritt näher auf die Absperrung zugehe und zitternd die Hand nach dem Rüssel auszustrecken beginne. Immer den Starken zu spielen. Natürlich bin ich ein starker Kerl. Manchmal. Und wenn ich mal nicht stark gewesen bin bisher, kam mir immer Joey zu Hilfe. Auch jetzt würde er neben mir stehen, mir gut zureden und mich anfeuern, und nicht hinter mir stehen und von mir erwarten, Tiere dressieren zu können. Zum Glück ist der Elefant ganz vorsichtig. Als ich beinahe über die Absperrung falle weil ich mich so strecke, wandelt sich meine Angst. Weich und warm fühlt sich so ein Rüssel an, mit der rauhen Haut wie Schmirgelpapier. Das Tier tastet sich behaglich über meine offene Hand und dann spüre ich, wie es den Zucker aufnimmt, wie in eine Art Faust einschließt und wegnimmt. Ich kann sehen, wie der große Kopf sich hebt, das große Maul geöffnet wird und der viel zu winzige Zucker darin verschwindet um genossen zu werden. „Das war genial!“, würde Joey jetzt sagen und mich sanft in die Seite knuffen. Und ich würde ihn zurückknuffen und ganz stolz seinen anerkennenden Blick genießen. Wenn er hier wäre. Als ich mich erleichtert und schon beinahe stolz, weil ich über meinen eigenen Schatten gesprungen bin, umdrehe, stehen da nur Serenity, die mich anstrahlt und ein Tierpfleger, der mir die Ohren lang zieht, weil es verboten ist, Tiere zu füttern. Ich kann mich nicht daran gewöhnen. Ein unbestimmtes Gefühl sitzt mir im Bauch, so ähnlich wie eine Übelkeit bevor man kotzen muss, weil man etwas Schlechtes gegessen hat. Doch es ist so unsicher und so unsichtbar, dass ich nicht anders kann, als es wieder hinunterzudrücken in die Tiefen meines Darms, in die Penetranz meiner erneut aufkommenden Kopfschmerzen. Ich nehme mir insgeheim vor, mich demnächst auf Migräne untersuchen zu lassen. Wir flanieren bei den Affen vorbei. Ein riesiger Orang Utan sitzt zusammengesunken vor der Scheibe, die ihn von der Außenwelt abgrenzt, den Kopf unter die Höhe der Schultern gesenkt und starrt trübe vor sich hin. Als ich mich vor ihn stelle und versuche, seinen Blick einzufangen, habe ich auf einmal das Gefühl, dass er durch mich hindurchsieht als wäre ich nur eine weitere Scheibe, unbedeutend. Irrelevant. Wolken schieben sich vor die Sonne. Mir fällt zwischendurch auf, dass ich heute keinen Wetterbericht gehört habe. Aber das ist ja egal, denke ich und versuche dabei zu grinsen. Serenitys Schirmchen würde uns zur Not auch vor dem Regen schützen. Im Tropenhaus ist es gerammelt voll. Am Eingang lese ich, dass vor einer Woche Krokodilbabys geschlüpft sind. Eigentlich interessiere ich mich nicht für solche schuppigen Viecher, die einen wie Porzellanfiguren anstarren, bevor sie einem das Bein ausreißen; ich bin eher der Typ Junge, der seit zehn Jahren schon einen Hund haben will um ihm beizubringen wie man Stöckchen holt, bis zehn bellt und morgens die Zeitung holt, natürlich mit passgenau ausgebissenem Politikteil, damit man sich am Frühstückstisch nicht ganz so sehr aufregen muss. Doch Serenity, die sich nun den Mut gefasst hat, meine Hand zu nehmen, zerrt mich einfach begeistert hinter sich hier. Zwischen grünen Pfeilgiftfröschen, die einen durch die Terrariumscheiben scheinbar hypnotisieren wollen und Komodowaranen huschen wir wie durch eine eigene Dschungelwelt. „Jetzt sag bloß, du stehst auf all dieses Getier!“, sage ich belustigt, als sie sich am dritten Echsenkäfig die Nase plattdrückt. „Ein bisschen schon“, kichert sie und wirft ihr langes Haar zurück, was überhaupt nicht wie Joeys aussieht. „Die sehen alle so anders aus...beinahe wie Aliens! Nur die Spinnen will ich mir lieber nicht ansehen, die finde ich eklig!“ Richtig, eine Insekten- und Spinnenabteilung gibt es ja hier auch noch. Dass ich da lieber auch nicht reingehe, sage ich besser nicht. „Sag mal, Tristan...“ Vorsichtig greift Serenity wieder nach meiner Hand. Ihre Finger sind sonnengewärmt und fühlen sich noch weicher an als Joeys, so ähnlich wie Zuckerwatte. Nur dass sie nicht kleben. „Wenn da eine riesige Vogelspinne wäre“, sie schüttelt sich demonstrativ um mir zu ihre Abneigung gegen diese Viecher zu zeigen. „Würdest du sie für mich wegmachen?“ Ich schlucke kurz. Nichts läge mir ferner. Wahrscheinlich würde ich lauter kreischen als Serenity, auf den nächstbesten Baum hechten und warten, bis sich das Vieh verzogen hätte. Nein, da ist mir die Variante „Löwe mit bloßen Händen erwürgen“ lieber. Aber als ich in Serenitys Augen sehe, kommt mir die Erwartung eines immer mutigen Kerls entgegengekrochen. „Natürlich.“, sage ich also, mit geknickter Stimme, weil ich mich gerade nicht ganz so gut verstellen kann. Und fühle mich irgendwie unendlich müde. Mein Kopf schmerzt. „Wah, sieh mal, Tristan!“ Irgendwie habe ich mehr das Gefühl, mit einem Kind unterwegs zu sein als bei einem Date. Was wahrscheinlich auch eher an mir liegt. Unter einem Date habe ich mir bisher immer Candlelight Dinner vorgestellt, Kino mit Popcorn, große Gefühle und vor allem Herzklopfen. Herzklopfen. Was soll ich denn sagen, wenn mich Tea später löchert? (Und das wird sie.) Dass ich nur Herzklopfen hatte, als ich mit einem Elefanten Rüssel gehalten habe? Serenity zieht mich zu einem Terrarium mit der hundertsechsundsiebzigsten Schildkrötenart, die sie hier haben. „Hast du auch schon mal gesehen, wie die sich fortpflanzen?“ Nein, das habe ich wirklich nicht. Und es sieht auch wirklich, wie das Mädchen sagte, alienhaft aus. Das Weibchen mit dem kleinen Mäulchen und dem gelbgefärbten Kinn steht teilnahmslos in der Gegend herum, kaut schnappend auf Eisbergsalat herum. Der Schildkrötenkerl hingegen hängt halb auf ihm, den Hals langgestreckt, die Stummelbeinchen auf dem Panzer der Liebsten abgelegt und stöhnt. Er stöhnt wirklich, das kann man sogar durch die Scheibe hören. Wie ein alter, kranker Lustgreis, der keinen mehr hochbekommt, völlig bewegungslos, als hätte man da drinnen die Zeit angehalten, mit aufgerissenem Maul. Fortpflanzung. „Sex sieht echt bei jeder Spezies gleich aus!“, witzele ich und habe plötzlich Joeys Lachen dazu im Kopf, als wäre ich so eine Soap, wo nach jedem Kalauer die Lachmaschine angeworfen wird. Serenity aber lacht nicht, sondern schaut mich nur aus großen Augen unverständlich an. Und ich habe schon wieder diese schmerzenden Mundwinkel vom Dauergrinsen. So anstrengend. Auf einmal erscheint mir all das sinnlos, stelle ich insgeheim fest, als wir das Reptilien- und Amphibienhaus verlassen und plötzlich in strömendem Regen stehen. Ich mag Serenity. Wirklich. Aber wenn ich ganz ehrlich bin...und diese Ehrlichkeit gestehe ich mir plötzlich ein, vielleicht weil ich solche Kopfschmerzen habe und so müde bin, ist das auch alles. Wenn ich so grausam wäre, meine Freunde nach Beliebtheit zu ordnen, käme Serenity irgendwann hinter Yûgi. Vielleicht habe ich nur so oft an ihr herumgebaggert, weil es damals ganz lustig war, mit Duke Konkurrenz zu spielen. Verdammt, warum habe ich sie nur angerufen? Warum muss ich die Arme so in die Irre führen für eine Lüge, eine Vermutung, durch die ich nicht mal selbst durchsteige? Unter ihrem leuchtendgelben Schirm, der uns beide nur dürftig schützt, weil er so klein ist, stehen wir mitten im Zoo. Neben uns kreischen die Zebras übermütig hin und her, ihr hoher, schriller Singsang tingelt durch die feuchte Luft wie ein einziges Echo. Wie halb in Trance fühle ich mit einem Mal Serenitys zarte, kleine Puppenlippen auf meinen. Nie hätte ich vorher gedacht, dass sie so dominant werden würde, mich so schnell zu sich runterziehen und mit einem Kuss überrumpeln würde. Süß wie Zuckerwatte ist ihr lipglossgetünchter Mund, süß wie Zuckerwatte ist alles an ihr, ihr ganzes Wesen. Und vor meinem geistigen Auge sehe ich mich plötzlich vor dem Traualtar mit diesem Mädchen. Weil ich sie angerufen habe und nicht wusste, warum. Plötzlich sehe ich unsere Kinder vor mir, in süßen gelben Kleidchen und Sonntagsanzügen, mit Krawatten mit Sponge Bob-Motiven drauf, mit Sonnenschirmen, in einem netten Gärtchen mit englischem Rasen; sie trinken selbstgemachte Zitronenlimonade und waschen ihre Haare nur mit Bioshampoo. Fortpflanzung. Tristan, alles was zählt, ist die Fortpflanzung. Du passt nicht in das Schema der Natur, wenn du dich nicht an Serenity hängst wie der Schildkrötengreis vorhin; wenn du nicht stöhnst und dabei Spaß hast. Im Gedanken erscheint vor mir Serenity, nackt, mit diesem Eisbergsalatblatt im Mund... In genau diesem Moment schnelle ich zurück, so plötzlich als hätte ich mich verbrannt. Regen klatscht mir unsanft auf die Haare, von hinten an das Shirt, sodass es mir nass an den Schulterblättern klebt. Ich keuche, und Serenity schaut mich geschockt an. „Tut...tut mir Leid...“, stammelt sie. Doch ich bin so furchtbar durcheinander und perplex, dass mein Beschützer- und Beruhigungsinstinkt wie ausgeschaltet ist. Nicht einmal grinsen kann ich mehr. „Ich wollte nicht...“ „Es liegt nicht an dir!“, entgegne ich und schnappe nach Luft wie ein Ertrinkender. „Es ist nur...ist nur so, dass...“ Ja, was denn eigentlich? Ich bin ein Kerl und sie ist ein Mädchen. Ein furchtbar tolles Mädchen. Fortpflanzung. „Tristan, ist alles in Ordnung mit dir?“ Ihre großen Augen...mit diesen abertausenden von Lichtspiegelungen darin, kommen näher. Und eine kühle Hand legt sich auf meine. „Du bist so schrecklich blass!“ Mein Kopf explodiert! Wahrhaftig, eine Sekunde lang überlege ich, ob ich nicht um Hilfe rufen soll, ob ich nicht schnell das Handy hervorkramen und schnell einen Notarzt rufen soll. Es ist, als würde in mir etwas hochkochen, von dem ich bis dato nicht wusste, dass es existiert. Vor meinen Augen tanzen Farben. „Es tut mir Leid...“, stottere ich und taumele Schritte nach hinten. Der Sommerregen weicht mich ein wie eine verkalkte Dusche. „Ich kann nicht... Ich will nicht.“ Das Gesicht des Mädchens wird kleiner, wenn ich weggehe. Und das Keckern der Zebras dröhnt in meinen Ohren. „Du kannst nicht was?“ Sie steht noch immer auf dem selben Fleck. Von hier aus sieht sie aus wie so eine Wunschelfe aus Cinderella, wunderhübsch. Wie eine Porzellanpuppe. Etwas, was man ansehen, aber nicht anfassen will, weil die eigenen Hände viel zu schmutzig sind. Und von oben strömt der Regen, viel zu kalt, viel zu klischeehaft. „Ich kann nicht bei dir sein...“ ~~~*~~~ Nass bis auf die Haut. Durchgeweicht bis auf die Unterhose und darunter. Wenn die zwei Kaugummis in meiner Tasche vorhin noch genießbar waren, jetzt sind sie es garantiert nicht mehr. Ich schaue nicht nach oben, weil ich weiß, dass mich all diese schwarzgrauen Wolken da oben sonst zum Flennen bringen würden. Und Kerle flennen nicht, egal wie verwirrt und durcheinander sie sind. Es reicht, wenn Serenity sich gerade höchstwahrscheinlich die Augen ausweint, weil ich sie hab stehen lassen und weggelaufen bin wie von der Tarantel gestochen. Der Regen wäscht das Gel aus meinen Haaren, sodass sie beginnen, fade herunterzuhängen. Aber das macht nichts. Ich will ja niemanden mehr beeindrucken. Ich will nie wieder jemanden beeindrucken. Ich bin beziehungsunfähig. Irrelevant. Die Evolution wird mich beiseite schieben. Was sollte sie auch sonst anfangen mit so einem komischen Männchen, welches um Weibchen balzt, sie aber sofort fallenlässt, sobald es sie haben kann. Mein Kopf summt, als würde ein Schwarm Hummeln durch sein Vakuum rauschen. Und das Gatter von der Absperrung zum Elefantengehege, zu dem ich zurückgelaufen bin, über das ich nach innen geklettert bin, drückt mir von hinten an den Rücken. Meine Hose ist schon längst durchgeflutet. Vom auf dem Boden Sitzen. Ich weiß nicht, was ich will. Alles, was da ist, ist die Gewissheit, dass der geplatzte Augenblick von eben nicht mehr zu reparieren ist. Es gibt kein Zurück mehr. Joey wird mich hassen. Wenn er das nicht ohnehin schon tut. Ich habe seine Schwester stehen lassen. Mit zerbrochenem Blick neige ich meinen Kopf nach oben und lächle, mit klatschnassem Gesicht, dem Elefanten traurig zu, der mich wiedererkannt hat, sich wieder über den Graben streckt und meine feuchte Hand nach Würfelzucker absucht. Seine rauhe, knubbelige Haut streicht über meine. Und fühlt sich fast schon tröstend an... To be continued... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)