Clinging to habits von Tsutsumi ================================================================================ Kapitel 5: Amphetamine ---------------------- Titel: Clinging to habits Teil: 5/7 Autor: Tsutsumi Disclaimer: Alle Charaktere aus Yu-Gi-Oh!, die ich hier benutze, gehören nicht mir. Ich leihe sie mir nur aus und gebe sie hoffentlich unbeschädigt zurück. Ebensowenig verdiene ich Geld hierfür. Pairing: Tristan x Joey Kommentar: Diese FF hier ist die Antwort auf Rei17´s und Maddles Päckchenchallenge "7 Angewohnheiten" vom "Challenge"-Zirkel hier auf Animexx. Ich hoffe, ich kann sie gebührend beantworten^^ Warnung: sappy, Shounen Ai Amphetamine Schlechte Laune ist nur dann wirklich genießenswert, wenn man erstens; nicht weiß wo sie herkommt und zweitens; sie allein und in Ruhe pflegen kann. Heute ist Samstag, ein nahezu perfekter Tag dafür. Schon beim Aufwachen spüre ich den verdächtigen dumpfen Groll irgendwie im Innersten meines Kopfes. Doch heute kann ich etwas dagegen tun, heute kann ich schnell genug eine Schmerztablette nehmen. Beinahe regungslos sitze ich beim Frühstück über meinem Kaffee und Käsebrot und male mir, es wirkt als wär es stundenlang, aus, was ich tun würde, wenn ein Tumor in meinem Kopf sitzen würde. Wenn mir der Arzt sagen würde, dass ich nur noch zwei Wochen zu leben hätte. Draußen scheint die Sonne milchig durch einen seltsamen Wolkendunst, den der Tag gestern hinterließ wie einen furchtbaren Nachgeschmack, den man verzweifelt mit Pfefferminz bekämpft. Wahrscheinlich würde ich einmal Bungee Jumping machen. Wenn mein Rücken dabei kaputtginge, wäre das ja letztendlich völlig egal. Ich würde allen Leuten etwas Kleines schenken. Tea einen nagelneuen Stepper für zu Hause. Oder auch zwei oder drei, damit sie sich eine vernünftige Treppe bauen kann. Den Kaibas ein quietschbuntes Handy mit rosa Hello Kitty-Aufklebern. Yûgi einen Hund, damit er ihm statt meiner das Stöckchenholen beibringt. Serenity eine Schildkröte und eine fette Schokoladentorte als Entschuldigung für gestern. Und Joey... Stundenlang hocke ich am Fenster, starre aus der Küche in die Welt hinaus wie durch einen Türspion ins ganze Universum, als hätte es vorher an meiner Tür geklingelt. Starr und stumm betrachte ich, wie das Wetter aufklart und langsam aber sicher immer sonniger wird. Wie soll ich Joey beibringen, dass ich seiner Schwester nicht wehtun wollte? Obwohl ich´s doch getan habe, mit vollstem Bewusstsein? Wie soll ich ihm sagen, dass es mir so furchtbar Leid tut? Jetzt wird er noch viel weniger mit mir zu tun haben wollen. Super-Tristan ist zum Oberschurken geworden. Ich zocke zehn Minuten lang mein Lieblingsvideospiel. Die Farben auf dem Fernseher verschwimmen immer wieder wie von selbst ineinander und werden zu einem rosa Mischmasch, wie durchgekauter Kaugummi. Ein seltsames Ziehen aus meinem Darm, welches ich zuerst als Hunger interpretiere, treibt mich von der Couch weg. Einen Salat mit Öl und Zitronensaft später sitze ich aber wieder da. Mein Gehirn arbeitet unablässig auf Hochtouren. Wie ein Puzzle ist mein Leben plötzlich geworden. Weil auf einmal nichts mehr so ist, wie ich es gewohnt bin. Angewohnheiten haben mich bisher immer bestimmt. Ich war es immer gewöhnt, mit Joey durch die Gegend zu ziehen, nicht mit Serenity. Bin ich deswegen so durcheinander? Verdammt, denke ich dann wiederrum, als ich mich durch das Sonntagnachmittagsprogramm zappe, ich bin nicht Yûgi, ich hasse Puzzles. Ich will auch keines haben mit einem uralten Geist, der mir ständig vorsagt, was als nächstes in meinem Leben passieren wird. Wenn Yûgi der Meister und Besitzer aller Rätsel- und Kartenspiele ist, bin ich höchstens König der Loser. Das dafür dann aber auf ganzer Linie. Zweimal versuche ich, bei Serenity anzurufen. Mein Gewissen quält mich so sehr, dass mir davon schon schlecht wird. Oder es lag daran, dass der Salat schon seit drei Wochen im Kühlschrank lag. Oder daran, dass der Elefant von gestern irgendwelche Elefantenviren auf mich übertragen hat und daraus jetzt Menschenviren geworden sind, die sich meinem Bauch eingenistet haben. Ich wähle, aber höre vor der letzten Zahl auf. Was sollte ich schon sagen? Hey, Serenity, tut mir Leid wegen gestern, aber eigentlich will ich gar nichts von dir? Ich krame in meinem Portemonnaie herum um mir selbst vorzumachen, dass ich nach ihrer Festnetznummer zu Hause suche. Doch alles, was mir dabei in die Hände fällt, ist das uralte Stück Kaugummipapier von dem Spielchen, was Tea Joey und mir beigebracht hat. Als ich die Buchstaben noch mal durchzähle, ist mir beinahe schon wieder nach Heulen zumute. Weil ich ein J raus bekomme. Tea und Joey. Ein Traumpaar, was sich bei mir schon jetzt vorauszusagen scheint. Wir hätten so ein schönes Doppelpaar abgegeben. Tea und Joey. Serenity und ich. Naja, beinahe. ~~~*~~~ Irgendwann wird mir all das zu blöde. Eine Weile überlege ich, ob ich mir nicht einfach eine Pizza bestelle. Nicht weil ich Hunger habe, sondern um mal wieder mit dem Pizzajungen zu streiten. Damit hätte ich wenigstens etwas Gewohntes in dieser komischen Realität. . Als es zu dämmern beginnt, nehme ich mich schließlich zusammen und beschließe, einen Spaziergang zu machen. Davon abgesehen, dass das ohnehin nur Leute machen, die jenseits der sechzig sind, beziehungsweise einen Hund haben, erkläre ich mich für noch freakiger als ich zweifellos ohnehin schon bin. Die Gedankenflut in meinem Kopf hat sich nicht verändert. Noch immer versuche ich, dieses Puzzle zu durchschauen, in welchem ich scheinbar knietief stecke. Doch das Rauschen ist bereits leiser geworden, wie ein immerwährender Tinnitus, der einen in die Verzweiflung treibt. Wo ich gerade über Puzzles nachdenke und mir das wenige Hirn zermartere, kommt plötzlich wie gerufen Yûgi des Weges. Manchmal fühle ich mich wie der Kerl in diesem Film, dessen Leben von Geburt an von Fernsehkameras verfolgt wird und voll ist von Schauspielern. Doch zum Glück bin ich nicht egozentrisch genug, um den Gedanken an eine „Tristan Show“ weiter zu verfolgen. Obwohl es ja interessant ist, sich vorzustellen, wie Millionen von Menschen auf der Erde herumspekulieren, was ich als nächste tun werde. Wird er am Ende doch glücklich? Oder rafft ihn das Unglück über den Verlust seines besten Freundes dahin? Ein junger Mann mit diesem herrlich altmodischen Namen, der an gebrochenem Herzen stirbt; hatten wir das nicht schon einmal in diesem Buch...? „Hi!“, ruft Yûgi schon von weitem und seine Frisur hüpft munter auf und ab. Natürlich ist er so eifrig und rennt auf mich zu anstatt zu warten bis wir uns in der Mitte des Gehwegs treffen. Die Sonne hat sich gerade verabschiedet und zerrt über den Himmel einen Schleier aus mittelblauer Dämmerung hinter sich her. Ein wunderbar weiches, rötliches Licht taucht den Kleinen in hübsche Farbtöne, die irgendwo zwischen Violett und Rosa schwanken. „Hi!“, gebe ich zurück und erhebe eine Hand zum Gruß. „Na, was machst du hier?“ „Ich dreh nur so ´ne kleine Runde.“, nuschele ich und vergrabe die Hände in den Hosentaschen. Irgendwie ist mir gerade gar nicht danach, mit Yûgi zu reden, so ganz und gar nichts. „Und du?“, frage ich dann aber doch nach. Ja, das ist auch so eine Angewohnheit von mir. Selbst wenn es mich nicht interessiert, ich frage trotzdem danach um meinem Gesprächspartner das Gefühl zu geben, dass er mich interessiert. Oder nein...vielmehr um ihm das Gefühl zu geben, dass auch ich wichtig bin. Irgendwie muss ich mir das bei Joey angewöhnt haben. Yûgi spielt verträumt mit einer seiner wirren Haarsträhnen herum; „Mein Opa veranstaltet heute eine `Nacht der Spiele´. Bis um drei Uhr in der Früh können die Leute kommen uns kostenlos seine Spiele ausprobieren. Magst du auch kommen? Es gibt auch Getränke umsonst!“ Als ob er mich damit ködern könnte. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass die Mutos ihre Cola extra für mich abstehen lassen. „Ich ähm...ich weiß nicht so recht...“, stammele ich und grinse angestrengt. „Das wäre doch echt schön!“, plappert der Kleine weiter; „Wir sehen dich in letzter Zeit so gut wie gar nicht mehr.“ Nur mit aller Mühe und Not schaffe ich es, mich zu beherrschen. Allerdings würde ich Yûgi jetzt am liebsten mit Manier von früher in den nächsten Mülleimer stecken, mit dem Haarschopf voran. Als ob es meine Schuld ist, dass diese Spielefreaks mich nicht mehr sehen! „Ich bin halt nicht so der Spieletyp.“, presse ich angestrengt heraus, aber die Mimik stimmt. Zement ist nichts gegen die Steifheit meines Grinsens. „Ja, ich weiß.“ Jetzt lächelt er versöhnlich. Das ist so typisch Yûgi irgendwie. Man hat immer den Eindruck, dass er versucht, einen zu retten mit seinem Gerede über Freundschaft, guten Willen und Anstand. Er ist wie ein Hypnotiseur, der dir ganz ohne Pendel Schuldgefühle einreden kann. Und das Schlimmste daran ist ja, dass er das nicht einmal absichtlich macht. Zum Ausrasten. „Aber...“ , er senkt den Blick. „...ich glaube, du und Joey...“ Angestrengt blicke ich hoch in den Abendhimmel. Irgendwie glitzert die Venus und ein Stück daneben steht die Mondsichel, fein und spitz wie eine Sense. Ich spüre den Zorn in mir ganz genau. Weil Yûgi plötzlich anfängt, in meiner Wunde herum zu stochern. „..ihr seht euch nicht mehr so oft.“ Meine Schultern verkrampfen sich. „Da hast du allerdings recht.“, entgegne ich ruhig. „Ich würde aber nicht sagen, dass das unbedingt meine Schuld ist.“ Eines ist aber angenehm an Konversationen mit Yûgi, denn er hat eine unglaublich hohe emotionale Intelligenz. Man braucht nur Andeutungen zu machen und schon versteht er sie. Als wäre sein Gehirn ein einziges Netz aus Assoziationen. Und so senkt er sein Köpfchen noch ein wenig mehr. Weil er versteht. Eigentlich müsste ich ihn jetzt noch mehr mögen. Er ist der einzige, der begriffen hat, was hier los ist. „Mag sein...“, sagt er leise. Wir laufen ganz langsam nebeneinander her. Unter unseren Füßen knirschen winzige Kieselchen auf dem sommerheißen Asphalt. „Ich habe so etwas schon geahnt. Willst du nicht mit Joey darüber reden?“ „Was sollte ich denn da mit ihm reden?“, entgegne ich patzig. In meinen Gedärmen scheint sich gerade alles zu verknoten. Dieser beschissene Salat von vorhin. Und da heißt es, man soll sich gesund ernähren! Ich wette, Schweinshaxe wäre schon längst verdaut; zum Teufel mit Ballaststoffen! „Wenn ich sage, dass ich mit seinen Karten nichts anfangen kann, würde das gar nichts helfen.“ In der Ferne taucht die Straßenecke mit dem Laden der Mutos auf. Man kann schon das Gekreische von Kindern und Jugendlichen hören, die sich bereits zweifellos amüsieren. Ich glaube sogar, Duke zu erkennen, der in diesem Moment zur Ladentür hereinhuscht. „Nein, das meine ich nicht.“, sagt Yûgi schnell und hüstelt kurz. „Ich meinte eigentlich ein grundlegenderes Gespräch.“ Da bleibe ich stehen. In meinem Kopf sticht es plötzlich, trotz Schmerztablette. Entweder die Dinger taugen nichts oder...es ist wirklich etwas Ernstes. „Wie?“, blaffe ich. „Worüber sollten wir diskutieren, verdammt?“ Irgendwo vor zehn Metern muss ich mein Lächeln verloren haben. Und vor fünf Metern den eisernen Willen, immer freundlich zu sein. Doch es geht nicht. Yûgi hat zwei Finger genau dahin gelegt, wo es verdammt weh tut und nun rührt er unsensibelerweise darin herum als wäre ich Gulaschsuppe. „Zum Beispiel darüber, dass du von ihm enttäuscht bist.“ , beharrt Yûgi vorsichtig. Seine hellen Augen schimmern irgendwie wie Wassertropfen durch den alten Abend. Überall um uns herum gehen die Straßenlaternen an und surren ins Halbdunkle hinein. „So enttäuscht, dass du versuchst, dich an seiner Schwester abzulenken.“ Jetzt ist der Augenblick gekommen, in dem ich spätestens beginne, mich nach dem nächstbesten Mülleimer umzusehen. Der große, Allwissende spricht zu mir, nicht zu fassen! Yûgi, der doch von nichts eine Ahnung hat. Yûgi, der immerzu die Welt retten will und immer wie ein Blumenmädchen mit einer Bombenlaune herumläuft; Yûgi, bei dem immer alles so verdammt einfach zu sein scheint. „Kümmere dich lieber um deinen eigenen Kram“, presse ich angestrengt heraus und schaue zur Seite. „Um zu sehen, wie ihr drei immer unglücklicher werdet?“ Er ist ja richtig hartnäckig heute. Hat er nicht etwas Besseres zu tun? Hat er nicht ein Turnier zu schlagen, eine Entführung zu verhindern, eine Welt zu retten? Irgendwas? „Tristan, unsere Clique hat ein entscheidendes Problem. Nämlich, dass wir alle nicht über unsere Probleme reden, wenn es uns nicht gut geht. Aber das ist nicht gut. Serenity, Joey und du, ihr würdet nie darüber reden, dass euch etwas bedrückt.“ Wie ein Redner am Pult hält er inne, wahrscheinlich um die Worte auf mich wirken zu lassen. Ich gebe zu, insgeheim hoffe ich auch darauf, dass Serenity nicht petzen geht und dieses Desaster von Date von gestern irgendwo im Kapitel `Jugendsünden´ einordnet. Und wenn sie nach Joey kommt, kann ich mir da ja vielleicht recht sicher sein. „Also...“ Yûgi schaut mir fest in die Augen, als es ihm gelingt, meinen Blick einzufangen. Die Nacht wird lauwarm werden, wie es scheint. Über allem, dem Asphalt, dem Himmel, dem Zirpen der Grillen, liegt diese sommerliche Gemütlichkeit, die ich so liebe. Ich spüre mich zittern. „...willst du es Joey nicht einfach sagen?“ Yûgis Augen strahlen diese Allwissenheit aus. Diese ruhige, gemächliche Mentalität eines alten Weisen, der das Ende der Welt vorraussagen kann. Yûgi ist perfekt. Ein perfekter, hübscher Junge, mit dem perfekten Herzen, so unendlich freundlich und niemals nachtragend. Yûgi räumt auch immer sein Zimmer auf; er gewinnt in allen Spielen, die er beginnt, er schreibt mitunter die besten Noten in der Klasse. Der perfekte Freund Yûgi. Irgendwo brennt bei mir eine Art Sicherung durch. „Ach, meinst du wirklich?“ , donnere ich mit einem Mal und komme ihm bedrohlich nahe. Der Impuls, ihn am Kragen zu fassen und unsanft zu mir zu ziehen, siegt schließlich. Weil ich in diese perfekten Augen schauen, die nie etwas Argwohn ausstrahlen, die niemals über jemanden lästern würden. Yûgi, das Unschuldslamm hoch drei! Er bringt mich schlicht zur Weißglut. „Ich soll ihm also sagen, wie sehr es mich ankotzt, dass er mich einfach links liegen lässt und nur noch hinter dir herrennt wie so ein dämlicher Hund, ja?“ Plötzlich habe ich das Gefühl, als würde ich würgen. Nicht wirklich körperlich; aber trotz allem ist es, als würde etwas in meiner Brust aufplatzen und rausschleimen wie zu alter Joghurt. „Tristan..!“, keucht Yûgi ängstlich und fasst nach meinem Handgelenk. Mein Griff muss ziemlich hart sein. Gut so, denke ich da, einmal soll er mal nicht ungeschoren davonkommen. Das Adrenalin putscht mich hoch wie in den schlimmsten Bandenzeiten, in denen ich Leute von größerem Kaliber verprügelt habe. Gemischt mit dieser schleimenden Wut aus meinem Brustkorb fühlt sich alles mit einem Mal nur noch furchtbar an. Als ob irgendwo Eiter austreten und eine alte Wunde aufdecken würde. Nämlich die Wahrheit. Dass ich Joey furchtbar vermisse. So furchtbar, dass es manchmal eben weh tut. „Ich sag dir was, du ach so toller Freund!“, wüte ich und stoße Yûgi mit der Hand, die eben noch sein Hemd festhielt, zurück. „Ich habe mich nie beschwert, dass Joey mich gegen dich eingetauscht hat. Auch nie darüber, dass du mich mit deinen verdammten Klugscheißereien beinahe in den Wahnsinn treibst. Aber dann mach dich gefälligst nicht auch noch lustig über mich!“ Er taumelt zwei, drei Schritte zurück von der Wucht meines Schubses. Seine waidwunden Augen starren mich so riesig wie Teller an und ich habe das Gefühl, wenn ich mir den gequälten Gesichtsausdruck noch länger angucke, werde ich wirklich zum Amokläufer. So ähnlich wie ein Bär alles kurz und klein schlägt, weil die Kugel in seinem Fleisch so fürchterlich schmerzt. „Manchmal wünsche ich mir...,“ schnaufe ich, als ich schon dabei bin, mich von Yûgi abzuwenden und die Straße runterzulaufen; weg von dem Spielzeugladen, von Duke, von dem kleinen Quälgeist hinter mir. „Manchmal denke ich, es wäre besser, wenn wir dir für deine Klugscheißereien doch noch mal eins auf´s Maul hauen würden!“ ~~~*~~~ „Hey, du!“ , versucht dieser Typ meine Aufmerksamkeit zu erregen. Den kenne ich inzwischen; hat er doch eben noch die beiden süßen Mädchen da an der Ecke angequatscht und davor die schwarz geschminkten Kerle an der Tür. Ja, ich bin wirklich geflüchtet. Ich habe genau das getan, was man an einem Samstagabend überhaupt am besten gar nicht tun sollte: Mich mit einem guten Freund verkracht, mich nicht bei einer lieben Freundin entschuldigt, der ich Glauben gemacht habe, dass ich sie interessant finde. Zu allem Übel bin ich tatsächlich in den nächstbesten Club geflohen. Mit dem gestern verregneten „Kiss my ass“-Shirt bin ich hier ja auch genau richtig, auch wenn ich eben bemerkt habe, dass da am Bauch ein netter Fettfleck prangt. Aber das egal, denn ich bin nicht hier um jemanden aufzureißen. Es ist eher ein Verstecken gekoppelt mit dem Vorgang des sich Ablenkens. Die Luft ist typisch stickig für eine Disco. Man ist ja praktisch eingehüllt in einen stickigen Nebel aus Zigarettenrauch, Biergestank (innerhalb von zehn Minuten verkippen auf der Tanzfläche zwei Leute ihr Bier) und Grasgeruch, der so abartig stinkt, dass einem übel wird. Seichte Popliedchen wechseln sich ab mit Trance und leichten Rocknummern. Die Musik dröhnt ungemein im Ohr, besonders, wenn man sich wie ich, gleich auf die nächste Sitzgelegenheit stürzt, die gleich neben dem Lautsprecher ist. Da bekommt der Ausspruch `Sich betäuben wollen´ doch mal eine ganz neue Bedeutung. „Hey, du sieht down aus!“, raunt mir der Typ neben mir zu. Sein Haar steckt voller Gel und steht in alle verschiedenen Richtungen ab. An der Augenbraue hängt dieses Piercing; das erste und Markanteste der Merkmale, die mir an ihm auffallen. „Stress mit der Freundin?“ Ha, wenn der wüsste! Auf der Tanzfläche schieben sich unzählige Menschen halb lüstern, halb breit ineinander. Kerle mit Mädchen, Mädchen mit Mädchen. Einige sehen gar nicht mal so schlecht aus. Und weil es so heiß ist hier drinnen, wird man den Gesamteindruck einer verschwitzt-unkontrollierten Orgie gar nicht mehr los. Alle wollen ´dirrty´ und `naughty´ sein und merken dabei gar nicht, wie bescheuert sie sich aufführen. „Das geht dich gar nichts an!“, brülle ich dem Störenfried ins Ohr und fühle mich so unendlich deprimiert. Was mache ich auch hier ganz allein in diesem Hexenkessel? „Ah, verstehe!“ Er grinst. „Schlampen sind sie alle!“ Ja, na klar. Alles Schlampen. Vor allem Yûgi, denke ich sarkastisch und versuche mir, ihn in so einem knappen Lederhöschen vorzustellen, sich durch die Stadt hurend. Dieser absurde Gedanke lässt mich unweigerlich grinsen. Ich werde das Gefühl nicht los, dass mein Gesprächspartner- wenn man ihn so nennen kann- selbst schon etwas breit ist. „Aber hier, ich hab hier das Wunder für dich!“ Kommt jetzt etwa der große, berühmt-berüchtigte Moment, in dem die Dealer ihre Ledermäntel zur Seite biegen und „psst“ machen? Gelangweilt erwartungsvoll wende ich mich dem schmierigen Kerl wieder zu. Er hat den Mund halb offen und guckt wie ein Fisch. Und tatsächlich, unter seiner kurzen Jacke kommt ein kleines Röhrchen zum Vorschein, wie ein Reagenzglas im Chemieunterricht- darinnen bunte Dingerchen, die wie Liebesperlen aussehen. „Damit kommst du echt auf Touren! Und alles and´re ist vergessen!“ Ich und Drogen? Das wäre ja mal ganz was neues. Die einzigen Drogen, die ich bisher konsumiert habe, waren Alkohol und zwei Zigaretten. Wobei mir nach den Zigaretten so schlecht war, dass ich Joey auf den Schoß gekotzt habe. Danach haben wir beschlossen, nie wieder diese Dinger anzufassen. Ich wegen der Übelkeit und Joey wegen des Traumas einer stinkenden Hose. Außerdem sind die Teile ohnehin viel zu teuer. Der Gedanke an Joey ist plötzlich ein sehr schmerzlicher. Mit der hohen Kunst des Vergraulens habe ich es bis jetzt auf sage und schreibe zwei Leute gebracht, die er sehr mag und die wegen mir jetzt wahrscheinlich weinen. Gut gemacht, Tristan, besonders nach den vielen Aktionen, wo du so getan hast, als wäre alles Friede, Freude, Eierkuchen. Eine kleine Welle der Verzweiflung jagt mir wie eine Gänsehaut über den Rücken. Und dann ist das auf einmal dieses Gefühl des „Jetzt ist auch alles egal“. „Wie viel?“, schreie ich gegen den Lärm an. Und es wirkt tatsächlich! Wenn man im Fernsehen Reportagen und Berichte über das Problem Drogen sieht, kann man überhaupt nicht nachvollziehen, wie rund es im eigenen Körper geht, sobald man zwei bunte Pillchen eingeworfen hat. Nun gut, keiner weiß, was alles darin ist; doch im Moment ist mir das egal. Vollkommen egal. Alle Müdigkeit, alle Trübseligkeit ist wie weggeblasen. Ich wandle wahrhaftig auf Watte, weicher, weißer Watte, die meine Füße zärtlich einhüllt wie ein mysteriöser Nebel. Die Discolichter senden kiloweise Lichter aus wie Fäden, wie Flecke, die sich vermischen und zu klingen beginnen. Noch nie habe ich vorher klingende Farben gesehen. Im Pulsschlagtakt dazu zucken die Töne vor meinen Augen hin und her. Die Musik ist jetzt nicht nur um mich herum- sie ist mir selbst; ich bin der Verstärker, der Mittelpunkt meiner kleinen Welt. Nichts ist laut und nichts ist leise. Ich bewege mich tanzend, hüpfend, taumelnd durch die Menge, strahle wildfremde Menschen an, werde sogar von zwei Mädchen angetanzt, tanze zurück, werde aber schnell wieder stehen gelassen, weil ich mich irgendwie nicht so ganz unter Kontrolle habe. Immer wieder taumelt mein Körper zur Seite, schlägt mein Kopf zu sehr aus. Ich kippe Bier hinter dem Drogenscheiß her, literweise wie mir scheint. Dreimal gleite ich aus auf den Bierresten der Vorgänger. Dann komme ich nicht schnell genug wieder hoch, liege auf dem dreckigen, stinkenden Boden und spüre kichernd harte Stilettoabsätze, Pumps, Stiefel auf meinem Rücken von den Leuten, die mich nicht oder erst zu spät sehen. Nie hätte ich gedacht, dass soviel wilde Energie in meinem Inneren steckt. Sie ist so unerschöpflich wie die in Joey, als ob sie beide verwandt wären. Wie ein Derwisch wüte ich über die Tanzfläche. Einige schubsen mich mit glücklichen, bunten Gesichtern zur Seite, dann lache ich, wühle in meiner bereits vollkommen zerstörten Frisur herum und poge zurück. „Hey!“ Irgendwann habe ich vergessen, was ich hier mache. Warum ich hergekommen bin. Da bin nur noch ich. Und diese seltsame, helle Stimme an meinem Ohr. „Hey! Tris´!“ Und der Arm, die Hände, die an mir zerren und versuchen, meinen total zusammengesunkenen Körper aufrecht zu stellen. Die energische Kraft darin fühlt sich wunderbar an. „Hey! Mein Gott, was ist denn nur los mit dir?!“ Wie ein sanftes Flüstern im Hintergrund zu der hämmernden Musik, die in meinen Ohren zu einem zärtlichen Tonmischmasch wird. Unendlich liebevoll umarmen mich Farben, Musik und Berührung, der Atem, der so nahe an mir ist. „Tris´, hallo!“ Jetzt ist alles gut. Das ist alles, was ich denke. Das ist alles, was ich wahrnehme und empfinde. Die leuchtend braunen Augen und die weichen Haare meines Freundes, noch so unverschwitzt, schließen sich mit meinen Farbenfantasien zusammen, werden eins. Unschlagbar. Joey ist hier. Jetzt ist alles gut! Ich fühle mich so unwahrscheinlich froh, so überglücklich, dass ich hochhüpfen will. Doch mein Körper versagt auf einmal seinen Dienst und ich kann nichts weiter machen als still am Rand der Tanzfläche zu stehen, Joey zu sehen und zu fühlen und meinen erschöpften Atem rasseln zu lassen. Amphetamine. Eine wundervolle Erfindung! Die geben mir alles was mir gefehlt hat, mit einem Schlag. Wer braucht Yûgi, wer braucht Tea oder Serenity? Niemand, denn die konnten mir nicht geben, was mir wundervolle bunte Pillchen hergezaubert haben. Irgendwann ist dieser millimeternahe Atem so warm und kitzelnd, dass ich mein Dauergrinsen erschöpft fallen lasse. Fremde Arme sind mit meinen verhakt. Ich spüre diese Körperwärme an mir, frisch und weich. Der Bass und die Melodie des Liedes dröhnen durch meinen Kopf, zum einen Ohr rein, zum anderen wieder hinaus. Farben zerren mein Hirn in das totale Chaos. Und ich stehe da, meine sehnsüchtigen Lippen so warm und fest auf Joeys gepresst, an ihm trinken wollend, mich an ihm halten wollend. Er ist hier, er ist da. So wahrhaftig wie ich wahrhaftig bin, wie meine Sehnsucht, genährt aus chemischen Stoffen, wahrhaftig ist. Sein Mund ist ruhig und süß, ich kann ein leichtes Beben in den Lippen fühlen, von dem ich nicht weiß, ob es von mir oder von ihm kommt. Aber ich habe ihn. Hier bei mir. Ich darf nicht loslassen. Wenn ich Joey jetzt loslasse, wird er niemals wiederkommen. To be continued... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)