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von

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Deal

Gakoru sass auf dem unbequemen Bett des Motels, in welchem er seit einer Woche residierte, und polierte seine Waffen, während er auf die ganzen Steckbriefe vor ihm auf dem Boden starrte. Er prägte die Gesichter darauf ein. Die meisten von ihnen waren Massenmörder, manche Diebe, manche sogar lediglich kleine Fische. In letzter Zeit gab es nicht mehr so viele Aufträge, weshalb Gakoru sich zur Aufgabe gemacht hatte, auch kleinere Fische zu jagen. Im Gegensatz zu den anderen, liess er diese aber am Leben. Tot gab es für die ganz grossen mehr Geld - und er säuberte den Unrat, den die Gesellschaft zeitweise abwarf. Er hasste die Gesellschaft, aber er sah nicht ein, warum er diese nicht nach seinen Regeln gestalten sollte.

Sein Blick schweifte auf einen ganz speziellen Steckbrief, den er sich immer ganz oben hinlegte, über allen anderen. Den Steckbrief jener Person, die er als einzigen qualvoll verenden lassen würde, für all das, was man ihm seinetwegen angetan hatte. Er betrachtete die leuchtenden dunklen Augen des jungen Mannes, in dessen Adern dasselbe Blut floss.
 

Gakoru stand auf. Er musste los, ehe jemand es sich doch in den Kopf steigen liess, ihn bei der Weltregierung zu melden. Er hatte keine Lust sich mit der Armee aufzuhalten, schliesslich hatte er noch ein paar Steckbriefe, die er ungültig machen musste.
 

"Du solltest nicht mit dem Rücken zur Tür sitzen." sagte eine Frauenstimme mit einem spöttischen Unterton hinter ihm. Gakoru wirbelte herum. Er hatte sie tatsächlich nicht gehört. Wie war sie hereingeschlichen? Die Frau stand sogar direkt hinter ihm. Sie hätte ihn erstechen können. Vielleicht. Die Entsicherung klickte, als Gakoru die Mündung hart auf ihre Stirn setzte.

"raus hier" zischte er ungeduldig. Die Frau bewegte sich nicht. Nicht ein einziges My. Immer noch leicht spöttisch und völlig von sich überzeugt starrte sie ihm mit ihren giftgrünen Augen in die seinen. Irgendwo hatte er sie schon gesehen. Gakoru durchforstete sein Erinnerungsgut und verglich die Steckbriefe mit ihren Merkmalen. Lange, dunkle, blutrote Haare, zierliche Figur, spitze Ohren und augenscheinlich einem Hang zu Leder, so wie sie sich gekleidet hatte. Ihm fiel auf, dass sie unbewaffnet war. Wie dumm.

"ich an deiner Stelle würde die Waffe wieder senken." Sagte sie ruhig, ohne ihren Blick abzuwenden.

"und warum sollte ich das?" donnerte Gakorus tiefe Stimme. Er erinnerte sich. Auf ihren Kopf war ein hohes Kopfgeld gesetzt. Sehr hoch. Er grinste innerlich.

"du wärst wohl schneller tot als dir lieb ist"

Es juckte in Gakorus Finger. Die Frau seufzte.

"ich weiss etwas, was du nicht weißt. Doch ich sag's dir erst, wenn du die Waffe absetzt. Ich krieg noch ein Feilchen auf meiner Stirn, wenn du so weiter spannst."

"es interessiert mich nicht, was du mir zu sagen hast. Sag mir nur, wie du hier reingekommen bist und wir bringen's hinter uns."

Sie grinste. Warum grinste sie?

"Du bist ganz schön unhöflich, Trageselchen."

Trageselchen? Gakoru knurrte. Das erinnerte ihn an seine Jugend, wo er dieses freche Mädchen 15 Mal zwischen zwei Dörfern rumtragen musste, weil diese verletzt war und das nach Strich und Faden ausgenutzt hatte. Damals hatte sie ihn so genannt. Er hatte sie darauf ganze zehn Jahre nicht mehr gesehen, bis zu jenem Tag, an dem sie sich für das Spielchen revanchiert hatte. Er war noch Anfänger gewesen, und jener Tag wär ihm fast zum Verhängnis geworden, wäre SIE nicht aufgetaucht. Auch das war nun mehr als 6 Jahre her.

Gakoru sah sie ohne eine Mimik an. Allerdings dämmerte es ihm langsam. Sie hatte sich sehr verändert. In positivem Sinne, wie er fand.

"Thairss." Sagte er ruhig.

Sie lächelte. "geht doch. Nimmst du jetzt die Waffe runter?"

"nein"

"und warum nicht??"

"du bist strafgängig."

"das ist so ein dehnbares Wort."

"Ausserdem hat man ein Kopfgeld von über 20'000'000 Quen auf dich gesetzt."

"Deins beträgt 40'000'000 Quen. Das ist doppelt so hoch."

"ich kann selber rechnen"

"mir doch egal. Tragesel."

"nenn mich nicht so!"

"was hält mich davon ab, hm??"

"vielleicht die geladene Knarre an deiner Stirn? Nicht grade sinnvoll es drauf ankommen zu lassen."

"doch."

"ach?"

"oh ja."

"so??"

"Jupp. Der Scharfschütze auf dem anderen Dach macht ansonsten 'nen Aschenbecher aus dir." Sie grinste triumphierend. Gakorus Augen funkelten. Darum war sie also unbewaffnet. Sie war lediglich der Köder.

"für wen arbeitest du?" knurrte Gakoru. Er wollte sie einfach nur noch loswerden.

"Eigentlich für niemanden."

"du bist wohl auf mein Kopfgeld aus was?"

"nein"

Gakoru sah sie etwas verwirrt an. Thairss Lächeln war verschwunden. Sie steckte die Hände in ihre Hosentaschen und sah ihn immer noch ruhig an.

"was zur Hölle soll das dann? Kommst hier unbewaffnet rein wo ein so hohes Kopfgeld auf dich gesetzt ist. Bist du lebensmüde oder was??"

"ich werde erpresst." Sagte sie ruhig. Gakoru zögerte. "ich bin hier, um dir einen Vorschlag zu machen." Sagte sie ruhig. "nimm einfach die Knarre aus meinem Gesicht und stell dich vom Fenster weg."

Gakoru konnte dem ganzen nicht folgen. Geheuer war ihm das erst recht nicht.

"die Waffe ist immer noch entsichert. Nur dass du's weißt." Sagte er schroffer als er eigentlich wollte und senkte sie. Dann trat er neben den Schrank, so dass man ihn nicht mehr sehen konnte. Aus keinem Winkel.

"also?" fragte er.

"Die Weltregierung hat mich gefangen genommen. Wir beide sind vom gleichen Schlag. Auch ich habe Verbrecher gejagt, aber eine meiner Mitstreiterinnen hat dafür gesorgt, dass mir die Lizenz entzogen wird, ohne dass ich davon bescheid wusste. Ich hab lediglich meinen Job erledigt, ohne zu wissen, dass ich das gar nicht mehr durfte." Sie sah nervös aus dem Fenster. Ich habe jetzt drei Monate auf Fort Baldor verbracht. Ich soll hingerichtet werden."

Sie zuckte etwas mit den Schultern.

"und was machst du dann hier draussen?" fragte er etwas verärgert. Allerdings über sich selbst, dass er ihr die Waffe an den Kopf gehalten hatte. Er schämte sich dafür, dass er denselben Leuten auf den Leim gegangen war, wie er selber. Er hatte sich an den Steckbriefen orientiert, ohne darüber nachzudenken, was sie wohl angestellt haben könnte. Sie war schliesslich eigentlich nicht der Mensch, der einfach so Massenmorde beging. Ohne dass sie es hören konnte, sicherte er die Waffe wieder. Er brauchte sie nicht. Nicht für sie.

"ich hab den Vorschlag bekommen, dich reinzulegen. Ich entspreche scheinbar deinem Typ" Sie grinste. "allerdings wissen sie nicht, dass wir beide uns kennen." Ihre Augen waren wieder sicher auf ihn gerichtet. Seine Waffe schien sie überhaupt nicht nervös zu machen, eher der Typ, der draussen lauerte. Vielleicht weil sie wusste, dass diese Typen ihr mit Sicherheit nicht in den Kopf schiessen würden. Irgendwie beeindruckte sie ihre Furchtlosigkeit. Wer schlich sich sonst einfach unbewaffnet in sein Zimmer? Er musterte sie.

"in wiefern reinlegen?" fragte er ungeduldig.

"ich soll dafür sorgen, dass du ne Beziehung mit mir anfängst. Und dann soll ich dich ausliefern."

"Aaaah, die übliche Tour." Sagte er scheinbar unbeeindruckt. Innerlich kochte er. Er hätte sie erwürgt, hätte sie das gewagt. Thairss kicherte.

"selbstverständlich folgen sie mir auf Schritt und Tritt, dass ich auch ja nicht versuche abzuhauen. Und wenn doch - bumm." Sie sagte das mit einer Unbekümmertheit, die ihm doch etwas zu denken gab.

"du lieferst mich also aus. und dann?" fragte er etwas spöttisch.

"ich werde freigesprochen, du wanderst an meiner Stelle nach Fort Baldor. Allerdings ohne Todesstrafe. Ich habe dafür weitaus mehr verbrochen als du."

"Was springt für mich dabei raus?"

"100'000'000 Quen." Gakoru verschluckte sich und hustete. "soviel Geld hast du doch gar nicht."

"das nicht." Sagte sie lächelnd. "aber du wirst drei Monate dort verweilen. Bis dahin hab ich das Geld zusammen." Sie deutete mit ihren Augen auf die Steckbriefe.

Er betrachtete sie eindringlich. Dann regte er sich wieder. "einverstanden." Sagte er und umarmte sie - der Tarnung wegen. Der Scharfschütze senkte seinen Bogen. Von jetzt an nahmen die Dinge ihren Lauf. Hundert Millionen Quen. Ein hübsches Sümmchen, dafür, dass er sich auf Fort Baldor einen Drei-Monate-Urlaub gönnte.

Ausserdem...

Es sprang noch etwas anderes für Gakoru raus, was er allerdings selber bereits wusste, weshalb es unausgesprochen blieb:
 

Sie schuldete ihm noch einen mächtig grossen Gefallen...

Fort Kolmora

Thairss suchte sich also einen Job nach dem anderen. Sie hatte Schulden bei Gakoru, der nun für sie ins Gefängnis gegangen war.
 

Anfänglich hatte er sie noch behandelt wie Auftragskiller nun mal einen Dealpartner behandeln. Es hatte ihr nicht sonderlich etwas ausgemacht, schliesslich musste es sein. Aber mit der Zeit hatte sie tatsächlich angefangen ihn zu mögen – nein, zu lieben. Seine Art mit der Situation umzugehen gefiel ihr, die Tiefe, die sie in seinen Augen sah, die Stille, die ihn umgab und die Härte, die er nach aussen zeigte, faszinierte sie. Er sass oft sehr nachdenklich da, schwieg vor sich hin und starrte auf einen alten Revolver. Er litt. Das sah sie. Etwas quälte ihn abartig. Ob das nun Schmerz war, oder Hass, konnte sie an seinem Pokerface nicht ablesen. Aber sie erkannte, dass er einen weichen, sehr emotionalen und fast schon kindlichen Kern hatte, der sehr schwer verletzt worden war. Einen Kern, den er unter vielen dicken Schichten verscharrt hatte, damit es niemals wieder ans Tageslicht kam.

Die Faszination, die in Thairss geweckt wurde für diese vielschichtige Person, war nicht unerwidert geblieben…
 

Die beiden hatten ausgemacht, an welchem Tag Gakoru ausgeliefert werden sollte. Die allerletzte Nacht war die Schlimmste gewesen. Thairss wollte ihn nicht mehr hergeben, Gakoru wollte sie nicht mehr alleinlassen. Er hatte erst befürchtet, dass sie Thairss dann doch noch hinrichten würden, wenn sie ihn hatten, und dass das Netz, das sie der Regierung gespannt hatten am Ende sie selbst einfing – und vernichtete.

Er hatte sich geirrt.
 

Nun war Thairss in Fort Kolmora, welches im Süden des Hauptkontinentes lag. Fort Kolmora war eine sehr ungemütliche dunkle Stadt mit vielen ungemütlichen Menschen. Sie war sogar dunkel, wenn die Sonne schien. Die schwarzen Steine, aus denen die riesigen Gebäude dieses Forts gebaut waren, schienen das gesamte Licht zu absorbieren. Die Dunkelheit dieser Stadt frass einen und drohte sein Opfer nie mehr herzugeben. Die Menschen darin hatten ebenfalls nur Dunkelheit in ihrem Herzen – die Schatten der Nacht trieben sich ununterbrochen an diesem Ort herum. Tagsüber liefen die Kleinkriminellen durch die Strassen der ehemaligen Grafenstadt. Nachts trieben jene Verbrecher, die Steckbrieflich eine hohe Summe aufbrachten, ihr Unwesen. Also genau richtig für die hochverschuldete Thairss.
 

Um das Fort herum standen die fünf Beleuchtungstürme. Sie waren von Fort Baldor, welches ein ganzes Stück westlich davon entfernt war, deutlich zu sehen. Die Magischen Kugeln, welche in den Türmen installiert waren, verbreiteten ein aschfahles Licht auf die Hauptstrassen. Sie dienten scheinbar zur Sicherheit auf der Hauptstrasse. Wenigstens ein bisschen Licht gab es also in dieser trostlosen Stadt. Die Nebenstrassen waren allerdings völlig dunkel. Nur die einzelnen Lichter in den Häusern warfen kleine helle Flächen auf die düstere Strasse. Daneben wirkten die Dunkelheit noch tiefer als gewohnt…
 

Auf ihrem Weg ins Tiburmadeg Gelände, wo die Elben lebten und wo sie Unterschlupf fand, wenn sie erschöpft war, war sie an Gamori vorbeigekommen, wo sie von der Situation in Fort Kolmora hörte. Sie hatte ihre Ausrüstung an Pfeilen, Ersatzsehnen, Kurzschwertern und Dolchen aufgefrischt und sich von dort aus direkt nach Fort Kolmora gemacht.
 

Nun ging sie also schwer bewaffnet durch eine der Nebenstrassen. Die Menschen funkelten sie böse oder drohend an. Die meisten wussten wohl von ihrem Kopfgeld, das spürte sie. Das schmutzige Grinsen der meisten ging ihr auf die Nerven. Allerdings war sie überrascht, wie viele der Menschen, die sie sah, auf einem Steckbrief abgebildet waren. Wenn sie nachzählte, war es jeder dritte. Sie fragte sich, wo wohl die ganzen Unschuldigen in dieser Stadt lebten. Vielleicht versteckten sie sich, um nicht wegen ein paar Qen in ihrer Tasche umgebracht zu werden.

Sie würde hier diese Nacht ordentlich aufräumen.

Nicht nur des Geldes wegen.
 

„Hey du!“ lallte einer hinter ihr. Thairss blieb stehen. Sie wandte etwas den Kopf und schielte ihn lediglich über die Schulter an. Sie würdigte ihm keinen gleichengestellten Blick; den hatte der Abschaum hier nicht verdient. Der eigentlich sehr muskulöse Mann war vor lauter Alkohol kaum noch in der Lage gerade zu stehen. Er stank, seine Jeans war schmutzig, sein Hemd ausgeleiert und wenn sie sich nicht irrte an den Ärmeln blutgetränkt – wochenaltes Blut. Sie musterte ihn angewidert. Der Typ näherte sich ihr und sah ihr mit seinen glasigen Augen ins Gesicht. „sieh mich an wenn ich mit dir rede!“ schrie er sie an. Thairss stand immer noch mit dem Rücken zu ihm. „was willst du?“ fragte sie schroff und genervt. Sie hatte keine Lust hier von einem Typen angebaggert zu werden, der kaum stehen konnte. Und doch tat er es, auf die derbste Weise. Ihm kamen viele schmutzige Worte über die alkoholisierten Lippen und schliesslich jene Frage, die man einer Frau niemals so direkt stellen sollte.

Thairss Geduldsfaden riss.

Es ging keine Sekunde, da hatte der Idiot bereits einen Pfeil zwischen den Augen stecken. Thairss hatte noch nicht mal ihren Bogen dafür benutzt. Er taumelte und fiel hin. Der metallische Geruch von Blut stieg ihr in die Nase. „Ein Verbrecher weniger.“ Dachte sich Thairss, die wissentlich einen der meistgesuchtesten Vergewaltiger erlegt hatte. Ein paar Tausend Qen waren ihr schon mal sicher.

Sie ärgerte sich über die Worte, die er ihr zugerufen hatte, wandte sich wieder ihrem Weg zu und wollte weiter.
 

„HEY!“ rief ein weiterer. Thairss blieb erneut stehen und liess den Kopf hängen. „was denn jetzt schon wieder?“ fragte sie genervt und drehte sich um. Eine Gruppe von Schlägern und Grosskriminellen standen in der Gasse, an welcher sie entlang wollte, um endlich zum Gasthof zu kommen. Alle waren sie Steckbrieflich gesucht.

„der Typ war ein Mitglied unserer Bande!“ rief der Grosse mit der Glatze und der Zahnlücke. „und da du ihn getötet hast, du Miststück, musst du jetzt auch sterben.“ Thairss schätzte ihre Chancen ab. Die Gasse war eng. Mit dem Bogen konnte sie Wendprobleme bekommen, sollten sie sie in die Gasse hineindrängen, was wohl auch der Fall sein würde.

„ihr solltet euch nicht mit mir anlegen.“ Warnte sie und knöpfte ihren Mantel auf, wo ihre ganze Ausrüstung an Dolchen, Kurzschwertern und Wurfgeschossen angeschnallt waren. Der Bogen hing an den Sehnen längs an ihrem Rücken, dazwischen die Pfeile in einer an einer Platte festgeschraubten Box. So war ihr Rücken auch gleich Schusssicher.

Es fielen keine Worte mehr.

Drei der Jungs gingen bereits auf sie los. Einer wetzte ein nicht sonderlich scharfes Messer, der Zweite zog einen Revolver, der Dritte war unbewaffnet. Er stellte wohl das kleinste Problem dar. Der mit dem Revolver würde ihr gefährlich werden. Thairss wich dem Ersten aus, der mit dem Messer ausgeholt hatte, trat ihn zur Seite und warf noch in derselben Bewegung ein dünnes Wurfmesser in die Mündung des Revolvers ihres zweiten Angreiffers. Das zweite Messer folgte innert Millisekunden und brachte den Revolverhelden zur Strecke. Der Erstere mit dem Messer hatte sich erneut aufgerappelt und griff sie schon wieder an. Er fing sich noch einen Tritt. Immer noch schreiend stolperte er rückwärts und fiel polternd gegen die Mülltonnen. Ein Wurfstern brachte seine nervigen Attacken zum erliegen. Zwei weitere kamen angerannt. Auch sie fanden ein schnelles Ende. Lauter Kleinkaliber. Sie lächelte den Dritten an, der unbewaffnet auf sie zuging. „was denn? Willst du eine Frau verprügeln?“ fragte sie neckisch, zeigte ihm ihr spöttisches Grinsen und schlug ihm mit der Faust in den Magen. Keine Reaktion. Sie hatte sich verschätzt. Eindeutig verschätzt. Bei der Muskulatur, die sie beim Schlag zu spüren bekam, würde sie auch mit dem Pfeil Probleme bekommen. Thairss wich knapp einem Fausthieb aus. Sie fühlte den Druck, den er damit auslöste. Er würde ihr mit einem Schlag die Knochen brechen. Er durfte sie also nicht erreichen. Thairss schlug ein Rad rückwärts und rette sich mit einem Salto auf ein Fenstersims. Sie hörte das Kampfgebrüll der anderen, die den Schock überwunden hatten und jetzt zusätzlich auf sie losgingen. Sie musste nach oben, wo sie den Bogen benutzen konnte. Die Gebäude waren enorm hoch; es würde eine ziemliche Anstrengung darstellen aufs Dach zu kommen. Sie nutzte die Nähe der einzelnen Wände und hangelte sich hoch, in dem sie von einer Wand zur anderen sprang und bei den Fenstersimsen Anlauf holte. Zu ihrer Verwunderung sprangen ihr viele ihrer Gegner hinterher die Wände hoch. Ein Luftkampf also. Konnten sie haben.

Thairss zog ihren Bogen und schoss einige Pfeile mit der vorderen Sehne, die kurze aber starke Schüsse abgab. Zwei wurden getroffen und sausten nun die paar Stockwerke wieder runter in die Gasse. Nur zwei, von so vielen.

Thairss stieg immer höher. Dreizehn, vierzehn, fünfzehn Stockwerke. Ihre Feinde direkt auf den Fersen. Aus einem Grund den sie nicht verstand, kamen ihre Gegner ihr immer erstaunlich nah. Sie wehrte sich mit allem was sie schiessen konnte. Für die, die knapp ein Stockwerk entfernt waren, benutzte sie ihre Pfeile, für jene, die es noch näher schafften, die Wurfmesser und die Wurfsterne.

Sie erreichte das 28ste Stockwerk, als einer sie von der Seite ansprang. Er hatte am Fenster gewartet und brachte sie nun mit einem Stoss aus dem Schwung. Thairss fiel. Schnell packte sie den Typen, der sie noch festhielt am Handgelenk, drehte sich in ihrem Sturz und warf den Widerling mit voller Kraft von sich weg.

Sie sauste an ihren Gegnern vorbei, die ihr hinterhersprangen. Das würde schwierig werden. Die über ihr schossen, die unter ihr schossen und auf dem Boden warteten der Glatzkopf und der Schläger, den sie unterschätzt hatte. Sie würde nicht nach oben schiessen, die Partie würde sie verlieren. Noch im Fall wendete sie sich kopfvoran nach unten und schoss was sie an Pfeilen hatte. Sie nutzte die Schwerkraft zu ihrem Vorteil. Ausserdem würden die Kugeln, die an ihr vorbeisausten, zu ihren Gunsten fallen. Sie durfte sich nicht erwischen lassen, nicht, wo sie Gakoru so viel schuldete, nicht, nachdem Gakoru sich geopfert hatte, damit sie weiterleben durfte. Jeder Schuss musste sitzen. Jeder Pfeil treffen. Sie schoss so schnell, wie sie noch nie geschossen hatte. Sie spannte den Bogen in einer Geschwindigkeit, die sie selbst verwunderte. Nein. Noch würde sie nicht sterben.
 

Die Gegner unter ihr gingen einer nach dem anderen zu Boden. Mal von ihrem Pfeilen, Mal von den Kugeln, die von ihren Gegnern über ihr nach unten prasselten. „wo haben diese Idioten zielen gelernt?“ fragte sie sich innerlich grinsend. Der Boden kam näher und näher.

Mit einer Schraube drehte sie sich wieder horizontal, um mehr Luftwiderstand zu erzeugen, sah ihren Gegnern das letzte Mal in die Augen. Zwei waren nur einige Meter entfernt. Sie bekamen jeweils einen Pfeil ab. Thairss musste zusehen dass sie sich abfing und riss sich geistesgegenwärtig die Schnalle vom Hosenbein ab. Die Gurtung um ihren Stiefel löste sich. Ihr Fangseil. Sie warf den Haken, der eigentlich zur Befestigung an der Hose gedacht war, gegen eins der Fenster. Jenes zerbrach und zu ihrem Glück verhackte die Schnalle sich am inneren Fenstersims. Thairss drückte die Beine an die Gurtung und fing an zu bremsen. Kaum stand sie still, schwang sie auch schon auf das nächste Fenstersims. Sie befand sich im vierten Stock. Ihre Gegner sausten an ihr vorbei. Manche versuchten ihr Glück und schossen auf sie. Doch in der Fallgeschwindigkeit war es unmöglich sie noch zu treffen. Sie stürzten alle zu Tode.
 

Thairss sah hoch. Einige standen noch an den Simsen und schossen. Ein leichtes Spiel, jetzt wo sie mit dem Bogen schiessen konnte. Sie brach mit dem Ellenbogen das Fenster ein, um ausholen zu können und spannte mit einem Grinsen auf den Lippen die lange Sehne ihres Bogens. Sie waren alle des Todes.

Einer nach dem anderen sauste an ihr vorbei, vom Pfeil getroffen und aus dem Gleichgewicht geraten.
 

Thairss hörte das Klicken der Entsicherung hinter ihr. Sie wand sich sofort um, doch ihr Pfeil löste sich zu spät von der Sehne. Ein Schuss fiel. Ein unerträglicher stechender Schmerz machte sich in ihrer Schulter bemerkbar. Für einen Moment wurde ihr schwarz vor Augen. Sie schwächelte und fiel vom Sims die letzten vier Stockwerke nach unten. Mit dem donnernden Geräusch von vibrierendem Blech landete sie weich im Müllcontainer unter ihr. Die Wucht ihres Aufpralls liess den Deckel scheppernd zufallen. Thairss stöhnte in der Dunkelheit. Ihr Sturz war durch den stinkenden Müll gebremst worden. Sie war gerettet. Vorerst.
 

Thairss vernahm das Gelächter jener Männer, die nun kommen würden, um ihr den Gar auszumachen. Nicht mit ihr. Sie durfte nicht aufgeben. Für einen Moment konnte sie Gakoru vor ihrem inneren Auge sehen. Er würde weiterkämpfen. Bis zu Schluss.

Trotz dem grellen Schmerz in ihrer Schulter zog sie einen ihrer Dolche. Der Bogen würde ihr hier drin nichts bringen.

Einer der vier Typen, die von der ganzen Bande übrig geblieben war, öffnete den Deckel, um sie zu packen. Thairss kam diese Zeit unendlich langsam vor. Mit aller Kraft rammte sie ihm den Dolch entgegen. Der Mann gurgelte und ging dann zu Boden. Der Zweite kam ihr mit gezogenem Gewehr entgegen. Er legte an. Doch noch bevor er schiessen konnte, warf Thairss mit dem gesunden Arm den Dolch in seine Richtung, worauf er ächzend zu Boden ging.
 

Stöhnend kletterte sie aus dem Container und hielt sich die Schulter. Ihr Bein schmerzte. Sie hatte sich beim Sturz wohl doch verletzt. Humpelnd ging sie ein paar Schritte und sah dann mit funkelnden, wütenden Augen zu den beiden Letzten. Der Glatzkopf und der Muskelprotz. Letzterer kam nun stampfend und genüsslich langsam auf sie zu.
 

Thairss dachte rasend schnell. Was sollte sie tun? Was sollte sie benutzen? Sie konnte sich ja kaum mit ihm prügeln. Erst recht nicht mit nur einem Arm.

„Das war’s dann wohl, junges Fräulein.“ Sagte der Kerl mit beachtlich tiefer Stimme. Thairss schauderte. Doch sie war weitaus cleverer als er. „er ist einfach nur ein muskulöser Mensch“ dachte sie sich. „und jeder Mensch ist sterblich.“ Egal wie schwer es sein würde. Sie würde nicht aufgeben. Ausserdem hatte sie einen entscheidenden Vorteil: Sie war auch im verletzten Zustand wesentlich flinker als er.

„leider nein.“ Sagte sie nun sicher und grinste spöttisch. Verunsichert blieb der Kerl stehen. Er ahnte, dass sie einen Plan hatte.

Thairss zog ein Messer und warf es. Der Kerl schlug es mit dem Handrücken zur Seite. Als er wieder in ihre Richtung sah, war sie weg. Fragend sah er sich um. „RECHTS!“ schrie der Chef. Thairss kam mit dem Kurzschwert auf ihn zugerannt – die Schmerzen ignorierend. Der Mann wollte sie zur Seite schleudern, doch sie wich gekonnt aus. Sie wandte sich blitzschnell um und trat ihm mit dem gesunden Bein in die Kehle. Kurz darauf holte sie wieder mit dem Kurzschwert aus. Der Typ stiess sie hustend von sich. Er war kräftig. Sehr kräftig. Thairss stolperte rückwärts und fiel hin. Mit einem Satz stand sie jedoch wieder und griff ihn schreiend frontal an. Mit dem verletzten Arm zog sie einen Dolch. Mit Zwei Klingen dreschte sie auf ihn ein. Er wich aus so gut er konnte, doch sie war ihm zu schnell. Kaum wollte er sie schlagen, schlug sie einen Haken und verletzte ihn mit den Klingen an den Unterarmen. Irgendwann würde er so nicht mehr abwehren können. Thairss Arm randalierte gegen die Belastung. Trotz grosser Schmerzen versuchte sie den Kerl zu Fall zu bringen. Für einen kurzen Moment deckte er sich nicht, worauf sie den Dolch in seine Seite rammen wollte. Ein weiterer Schuss fiel. Sie verlor den Dolch aus ihrer Hand, welche der Glatzkopf angeschossen hatte. Klirrend schlitterte der Dolch von Thairss weg. Im nächsten Moment fing sie sich von ihrem Gegner eine Ohrfeige. Sie drehte sich bei der Wucht zweimal um sich, eh sie neben dem Dolch zu Boden ging.

Hustend drückte sie sich auf. Die Schmerzen wurden unerträglich. Sie traute sich kaum noch zu bewegen, aus Angst sie könnte ohnmächtig werden. Es wurde auf einmal noch dunkler, als es bereits war. Sie sah verwirrt auf. Der mächtige Schatten des Muskelpakets lag nun auf ihr. Er würde sie töten. Der Mann bückte sich. Schnell griff sie nach dem Dolch, konnte ihn aber nicht mehr rechtzeitig erwischen… Thairss schrie auf, als er sie an den Haaren hochzerrte. Sie griff sein Handgelenk und packte fest zu.

„nein wie süss“ spöttelte der Mann. Sie wollte sich nicht ausmalen was er vorhatte. Sie griff in ihren Mantel, zog einen weiteren Dolch und rammte ihn mit aller Kraft rückwärts in seinen Brustkorb. Der Griff an ihren Haaren lockerte sich, der Mann taumelte und stürzte schliesslich röchelnd auf den Leichenhaufen hinter ihm. Sein letzter Atemzug dröhnte in Thairss Ohren.
 

Sie wandte sich nun um und sah den Chef an, der als einziger noch übrig geblieben war. Er liess den Revolver fallen und flüchtete. „so nicht…“ knurrte Thairss, humpelte zum Container und nahm ihren Bogen aus dem Müll. Trotz widerlichen Schmerzen spannte sie die lange Sehne. Sie liess sich Zeit und zielte.

Kaum hatte sie die Federseite des Pfeils losgelassen, fühlte sie den Zug, den die Sehne auf den Pfeil ausübte. Die Sehne surrte, als sich der Pfeil endlich von ihr löste und zischend seinem Ziel entgegenflog. Der Glatzkopf ging sofort zu Boden. Thairss liess erschöpft den Bogen hängen. Sie taumelte und fiel.
 

Es war hell. Thairss lag auf etwas sehr weichem. Leise murrend schlug sie die Augen auf und sah verschlafen um sich. Sie war in einem Gasthof aufs Bett gelegt worden, vermutlich von einem der Einwohner. Die Schmerzen rissen sie sehr schnell wieder aus dem verschlafenen Zustand. Halb stöhnend, halb schreiend richtete sie sich auf. Eine junge Frau kam angerannt.

„legen sie sich bitte wieder hin…“ sagte sie sanft. „sie haben eine harte Nacht hinter sich.“

Thairss sah sie fragend an. „wo bin ich?“

„Im Gasthof zum Stern.“ Sagte sie und strahlte. Einige andere standen plötzlich in der Tür. Es wurden von Sekunde zu Sekunde mehr. Thairss bekam es mit der Angst zu tun. Wollten sie ihr Kopfgeld?

„Können wir irgend etwas für sie tun?“ fragte einer der Herren unter den Leuten. Thairss wunderte sich, dass sie keinen einzigen steckbrieflich Gesuchten sah. Sie schüttelte vorsichtig den Kopf.

„wir möchten ihnen danken.“ Sagte nun eine Frau und bekam kurz darauf die Bestätigung aller anderen, welches sich wie ein lautes Murren für Thairss anhörte.

„sie haben uns endlich von dieser schrecklichen Mafia gerettet.“ Sagt dieselbe Frau.

Sie hatte eine ganze Mafia ausgerottet? So viel waren ihr die Gegner gar nicht vorgekommen. Sie wusste nicht, dass sie in dieser einen Nacht 125 Kriminelle getötet hatte. Noch nicht.

Die Schulden bei Gakoru waren damit fast beglichen. In Fort Kolmora würde sie als Heldin gefeiert werden. Sie würde eine ganze Weile lang willkommen sein in dieser dunklen Stadt.
 

Thairss schwächelte, woraufhin die junge Frau neben ihr sie wieder ins Bett legte. Sie musste sich nur etwas ausruhen, dann würde sie wieder ganz die Alte sein. Sie sah in die Menge. Für einen kurzen Moment konnte sie einen Mann in beigem Mantel sehen. Seine Haare waren wirr und mit einem Stirnband hielt er sie aus dem Gesicht. Mit schweren Schritten löste sich der Mann von der Menge, ging in den Gang und verschwand.
 

„Gakoru…“ flüsterte sie vor sich hin und schloss lächelnd die Augen.

Fake (oneshot)

Die Armee sass Gakoru und Thairss im Nacken. Er fragte sich wie es ihr wohl ging. Vor einer Woche waren sie dazu gezwungen gewesen sich zu trennen. Die Armee hatte sie umzingelt und getrennt wären sie besser davon gekommen. Seither hatte er nichts mehr von ihr gehört. Er machte sich sorgen. Es passte nicht zu ihr, einfach ohne ein Wort unterzutauchen. Und wenn sie nun tot war? Wenn man sie erwischt und hingerichtet hatte?
 

Gakoru schüttelte den Gedanken aus dem Kopf. An so etwas durfte er nicht denken. Thairss und erwischt werden. Soweit kams noch.

Er zog den Stofffetzen um seinen Oberschenkel fest. Die Wunde die er sich eingefangen hatte, hatte sich entzündet und brannte nun zischend, wenn er sein Gewicht auf dieses Bein gab. Es war seine erste Wunde seit langem. Gakoru ignorierte den Schmerz und stand auf. Vorsichtig sah er um die Wand durch die mit Müll zugeworfene Seitengasse. Es stank widerlich.

Seine Augen flitzten hin und her. Er lauschte. Kein Ton. Nur das stille Rauschen des Baches, welches durch das Dorf floss, in welchem er sich versteckte. Er brauchte einen Gasthof...
 

Humpelnd verliess er die Seitengasse. Seine Hand lag stets auf seiner Waffe. Er konnte sich keine Fehler leisten. Nicht, wenn er nicht einmal richtig gehen konnte. "ich übertreibe" dachte er, allerdings ohne die Hand von seiner Waffe zu nehmen. Das kalte Eisen zu fühlen beruhigte ihn. Ziehen - entsichern - schiessen. Und gerettet.

Er ging durch das dunkle Dorf. In den meisten Häusern flackerten die Laternen. Das orange Licht strahlte Wärme aus und warf seltsamste Schatten auf die eisigen Strassen. Er musste an Thairss Haare denken. Die dunklen Haare, welche blutrot aufblitzten, wenn die Sonne sie traf.

Er merkte, dass er wieder die Hand von der Waffe hatte gleiten lassen. "verdammt, reiss dich zusammen" dachte er.

Ob es ihr gut ging?
 

Er hörte Gelächter und sah auf. Ein Gasthaus. Bingo. Innerlich grinste er, aber sein Gesichtsausdruck war kälter als die Strasse, auf der er sich befand.

"Ein Bierchen und ins Bett" dachte er und betrat die Gaststätte. Die Männer tummelten sich um eine Bar. Sie stiessen mit ihren Bierkrügen an, wobei sie die hälfte verschütteten, lachten und lallten Lieder vor sich hin. Jemand spielte Geige. Einige jüngere amüsierten sich hinten, indem sie zum Takt stampften. Die Wärme der Laternen zog ihn nur noch weiter in die Bar. Eine dicke Frau, wohl die Wirtin, stand hinter der Bar und lachte die genauso fest gebauten Männer an. Wie Unbekümmert sie waren.

Gakoru liess instinktiv einen Blick durch die Bar schweifen. Waren da Soldaten? Irgendwelche suspekten Männer? Oder sogar - zu seinem Glück - Steckbrieflich gesuchte?

Er prägte sich die Gesichter ein.

Jemand riss seine Hand von der Waffe.

Gakoru wirbelte herum. Ein kleines Mädchen - vielleicht 6 Jahre alt - lächelte ihn an. "wollen sie etwas trinken?" fragte sie unschuldig. Ihre Augen hatten denselben Glanz wie Thairss'.

"nein" sagte er ruhig. "kann man hier übernachten?" fragte er mit seiner dunklen, donnernden Stimme, welche das Mädchen zu verängstigen schien. Eigentlich wollte er das gar nicht.

"ja" sagte sie und deutete zu der dicken Frau hinter dem Tresen, die gerade eine Stange Bier mit den Männern leerte. Wortlos ging er zu der Frau.

"hey". Sagte er erst ruhig. Die Frau hörte ihn nicht,

"HEY!" schrie er und haute die Faust auf den Tisch.

Die Frau drehte sich um und musterte ihn weniger entzückt. "was willst du??" fragte sie schroff.

"ein Bett." Antwortete er genauso schroff. Normalerweise hätte er ihr bereits die Waffe an den Kopf gedrückt. So wurden die Menschen immer ganz schnell richtig nett.

"macht 40 Qen die Nacht. 20 Qen Vorzahlung"

Gakoru warf ihr einen Beutel voller Geld hin. Die Münzen darin klirrten. Er hatte nicht nachgezählt. Würde schon stimmen. Die Frau stopfte das Geld hastig in ihr Dekoltee. Sie holte einen Schlüssel unter dem Tresen hervor und warf ihn ihm zu. Gakoru fing ihn ohne sich grossartig zu bewegen. "zweiter Stock, erste Tür rechts." Rief die Frau und wandte sich um. Er würde den dritten Stock nehmen. Zweite Tür links. Selbstverständlich brauchte er dafür keinen Schlüssel.
 

Oben war es schön still. Gakoru hatte lediglich die Stiefel Ausgezogen und sich aufs Bett geworfen. Er wagte nicht die Waffen abzuschnallen. Seufzend sah er aus dem Fenster. Es war eine düstere Nacht, ohne Mond, ohne Sterne. Er musste wieder an Thairss denken. Etwas stimmte nicht. Das wusste er. Es war einfach nicht ihre Art...
 

Gakoru schreckte auf. Er war wohl eingeschlafen, Hasenschlaf, und hatte nun eine Bewegung wahrgenommen. Sofort richtete er sich auf. Sein Oberschenkel schmerzte höllisch. Er griff zu seiner Waffe.

"bitte" flüsterte es leise von der Tür. "nicht schiessen. Ich möchte sie angagieren..."

Der Typ hatte wohl noch nie einen Kopfgeldjäger angeheuert, so wie er sich benahm. "reinkommen." Sagte er schroff und setzte sich auf. Nicht mal ein bisschen Schlaf gönnten sie ihm. Mit funkelnden Augen betrachtete er den kleinen eher runden Typen. Er trug eine ausgeleierte Lederhose mit Hosenträgern und ein kariertes Hemd. Sein Geschmack und seine fettige Glatze stanken bis zum Himmel. Wie er dieses Bauernvolk hasste. Die dicken Brillengläser reflektierten Licht. Woher jenes kam versuchte Gakoru angestrengt herauszufinden.

"was willst du?" fragte er streng. Er war angepisst. Mitten in der Nacht, so wichtig konnte DER Auftrag doch nicht sein...

"Töten sie eigentlich auch Frauen?" Die Frage war für Gakorus Geschmack doch etwas zu direkt. Er antwortete nicht und behielt den Idioten im Auge.

"Sie hat meinen Sohn getötet." Sagte er mit einer Nervosität, die ihm zu denken gab. "er hatte viele Fehler, aber er hat den Tod nicht verdient..." Gakoru regte sich. Die Matratze knarzte.

"sie hat auch nen Steckbrief..." sagte er leise. Aber im Dorf verstecken sie alle.

Gakoru musterte ihn. Er entschied, sich die Person mal anzusehen, eh er sie über den Haufen schoss. Würde er sie erkennen - steckbrieflich - dann würde er's tun. Ansonsten musste er sich eben einen anderen suchen.

"wie viel" fragte er donnernd. Der Typ reichte ihm einen Beutel. "das ist alles was ich habe." Fügte er hinzu. Das waren vielleicht grade mal 1000 Qen. Gakoru konnte sich nicht beklagen. Im schlimmsten Fall kam er davon OHNE jemanden zu töten - mit 1000 Qen in der Tasche.

"geht klar." Sagte er. "wo finde ich sie."

"sie wird morgen gegen Dämmerung in der grossen Scheune sein." Eine Bäuerin. War ja klar.

Gakoru nickte. "und jetzt raus hier." Donnerte er und machte eine Geste, die zeigte, dass er sich wieder hinlegen wollte. Der Mann verliess eingeschüchtert sein Zimmer. Idiot.
 

Gegen Dämmerung verliess Gakoru also das Wirtshaus. Das kam ihm gelegen. So konnte er auch unbemerkt verschwinden. Hellwach ging er die Strasse hinunter. Er wusste, welche Scheune gemeint war, das Dorf hatte schliesslich nur eine. Thairss war gedanklich völlig in den Hintergrund gerückt. Vielleicht war dieser Auftrag ganz gut so. So vergass er wenigstens für die nächsten paar Stunden seine Sorgen.

Er betrat die Scheune. Es roch stickig. Sie war voll mit Stroh, Dreck, Geräten und diversem Müll. Wenn er richtig hinroch, konnte er auch Pferde riechen. Vielleicht liessen die Pilgerer welche hier während sie schliefen. Er hoffte, eins stehlen zu können, aber es war nur ihr Geruch. Die Pferde selber waren bereits weg. Die Scheune war düster. Die ersten Lichtstrahlen drangen durch die Ritzen in den Wänden. Der Geruch von altem, feuchtem Holz schlug ihm gegen das Gesicht, als er das Tor vorsichtig öffnete. Er wollte keine Geräusche machen. Innen war es seltsam kalt. Er konnte die Konturen einer Frau erkennen. Etwas irritierte ihn. Sie rührte sich nicht von der Stelle. Sie stand stocksteif da. Als er einen Schritt machte, zuckte sie sogar zusammen, doch sonst regte sie sich nicht. Gakoru vernahm ein leises Wimmern. Etwas stimmte hier nicht. Er ging noch einen Schritt nach vorne. Das Stroh knirschte unter seinen Sohlen. Die Frau hatte die Arme erhoben. Was sollte das?

Erst als sich seine Augen anfingen an die Dunkelheit zu gewöhnen, realisierte er, dass die Frau an den Armen an die Decke gezogen worden war. Sie war gefesselt und wie er nun erkennen konnte auch geknebelt. Die langen dunklen Haare hingen über ihren geschundenen Körper. Sie wirkten matt und wirr. Teile ihrer Kleidung lagen auf dem Boden. Jemand hatte ihr übelst zugesetzt. Die vielen dunklen Verfärbungen an ihrem Bauch - Feilchen - liessen ihn ahnen, welches Ausmass die Quälerei genommen hatte. Gakoru kam ein flaues Gefühl in die Magengrube. Er erkannte die zierliche Figur, er erkannte die Kleidungsfetzen und er erkannte die schwachen Augen, die ihn aus der Dunkelheit versuchten wahrzunehmen.

"Thairss!" rief er und rannte zu ihr. Sein Oberschenkel randalierte. Vorsichtig hob er ihr Kinn an und sah ihr in die glasigen Augen. Ihr Körper war eiskalt. Sie fror. "ganz ruhig" sagte er und nahm ihr den Knebel aus dem Mund. Ihre Lippen waren blutig, ihre Wange blau. Man hatte sie zusammengeschlagen. Womöglich ohne ihr die Möglichkeit zu lassen sich zu wehren. Ein dicker Kloss schob sich Gakoru den Hals hoch. Seine Augen brannten. Seine Muskeln verkrampften sich. Er wusste nicht, wann er das letzte Mal so sauer gewesen war. "halt still" flüsterte er. "ich hol dich da runter..." Kaum hatte er ihr Kinn losgelassen, liess sie leise wimmernd ihren Kopf wieder hängen. Wie lang hing sie schon hier?

Er versuchte den Knoten an ihren wundgeriebenen Handgelenken zu lösen. Sie waren viel zu fest gezogen. Ohne weiter darüber nachzudenken zog er die Waffe und schoss das Seil über ihren Händen durch. Thairss sackte einfach zu Boden. Nur mit Mühe konnte Gakoru sie noch festhalten, dass sie nicht auf den Boden aufschlug. Sie hing kraftlos und schlaff in seinem Griff. Er bemerkte ihre Hand an seiner Brust. Ihr versuch sich festzukrallen endete mit einem sanften Griff. So schwach hatte er sie noch nie gesehen. Verdammt wie lang hing sie hier schon?

Gakoru versuchte sie hochzuheben. Sein Oberschenkel erlaubte ihm keine weitere Belastung. Er fluchte vor sich hin. Wenn er die Kerle in die Finger bekam...
 

"Gakoru! Sie sind umstellt! Kommen sie mit erhobenen Händen raus!" Gakoru wirbelte herum. Oh nein. Nicht die auch noch. Sie mussten weg, sofort. Man würde sie noch an Ort und Stelle hinrichten. Er sah zu Thairss, die kaum in der Lage war sich an ihm festzuhalten. Sie konnte so nie und nimmer rennen. Er konnte sie aber auch nicht tragen. Sie wäre eine offene Zielscheibe auf seinem Rücken und schiessen konnte er so auch nicht. An seinen Oberschenkel wollte er gar nicht erst denken. Zurücklassen konnte er sie nicht. Sobald er die Scheune verliess, würde er die Schüsse hören, die ihr das Leben nahmen. Er liess seine Faust knacken. Er würde es allen heimzahlen. Niemand legte IHN rein. Niemand wagte es auch nur sich an IHR zu vergreifen. Der Kloss schnürte ihm die Kehle zu. Er wollte nur noch eins. Rache.
 

Er musste Thairss auf seinen rechten Oberschenkel stützten und festhalten. Also würde er mit Links schiessen. Kein Problem für ihn.

"kommt rein ihr feigen Hunde" schrie er. Er war noch nie so wütend. Er war noch nie so mordlustig. Noch nie so rachsüchtig.

Die ersten Soldaten betraten den Raum. Gakoru drückte die stöhnende Thairss an sich und schoss was er an Munition hatte. Er würde ihnen das nicht durchgehen lassen. Niemals. An den ersten liess er seine ganze Wut aus. Die Kugeln hagelten solange auf seine Opfer bis sie nicht mehr standen. Innert kurzer Zeit mischte sich der süsslich metallische Geruch von Blut in die modrige Luft. Gakoru sah rot. Je mehr Typen umfielen, desto mehr schoss er. Er schrie seinen ganzen Zorn aus der Seele. Thairss versuch sich an ihm festzuhalten stachelte ihn nur noch an. Er würde den Kerl schon finden der ihr das angetan hatte.

Vierzehn Soldaten lagen nach einer Minute vor ihm. Er nutzte die Zeit bis die Nächsten kamen um eine neue Waffe zu ziehen. Nachladen konnte er nicht, da er nicht wagte Thairss abzusetzen. Als die nächsten Soldaten kamen hagelten die Kugeln bereits. Inzwischen ging es ihm nur noch ums Töten. Er ballerte nicht mehr so unbedacht wie am Anfang. Nein. Jetzt nietete er sie einzeln um. Er sah ihnen in die Augen, sah sich an dem Schrecken satt, wenn die Kugeln in sie schlugen und sie zu Tode stürzten.

Gakoru bewegte sich endlich. Er ging still auf die Soldaten zu, die immer noch fast schon verzweifelt auf ihn schossen. Jeden einzelnen nietete er um, zog dabei Thairss schützend hinter sich her. Er würde rausgehen. Er würde sehen wer ihr das angetan hatte.

Die Toten fingen an sich zu häufen. Einer nach dem andern fiel. Gurgelnd. Hustend. Stöhnend. Oder Schweigend, wo sie an Ort und Stelle zitterten, während ihnen das Leben aus dem Leibe fuhr.
 

Er wusste nicht, wie lange er schon Menschen ins Jenseits schoss, aber es kam ihm sehr lange vor. Endlich kam er auch aus der Scheune. Immer noch schiessend. Auf einem Karren stand der Typ, der ihn gestern angeheuert hatte. Er war kein Bauer. Er war ein General. Die beiden Leibwächter von ihm holten sich einen kurzen, unverdienten Tod. Gakoru sah sich um. Einige Soldaten rannten tatsächlich davon. Sie würden weiterleben. Vorerst.

Thairss zuckte bei seinem Anblick zusammen und stöhnte wütend. Sie wollte ihm an die Kehle, das fühlte er, aber sie konnte sich kaum auf den Beinen halten.

Der General wollte etwas sagen, aber dazu kam es nicht. Gakoru schoss ihn von seinem Karren runter. Er konnte ihn Keuchen hören und ihn winden sehn. Vorsichtig setzte er Thairss ab und liess sie an die Scheune lehnen. Sie versuchte ihm was zu sagen, aber er gebot ihr zu schweigen. Ohne ihr wirklich zuzuhören ging er mit grossen Schritten zu dem Kerl. Er schoss ihm in den Oberschenkel. Der Typ schrie.

"Wie lange hast du sie hier drin behalten?"

Er schoss ihm ins andere Bein als er nicht redete.

"Wie lange?" fragte er ungeduldig. Seine Augen funkelten. Er war hellwach.

"Fünf Tage..." hustete der Gebrochene. "Wir haben sie vor dem Dorf gefasst."

"Wie?" herrschte Gakoru ihn an.

"Sie trank aus dem Fluss. Der Jäger hat sie niedergeschossen."

Gakoru schielte zu Thairss. Er hatte keine Schusswunde gesehen. Aber ihm wurde klar, wo das ganze Blut herkam.

Er rammte ihm den Fuss auf die Brust und drückte ihn zu Boden. "du erzählst mir jetzt im Detail was du ihr angetan hast." Sagte er mit beängstigend ruhiger Stimme und zog eine Waffe aus seinem Mantel. Es war die Waffe die er auch seinem Bruder geschenkt hatte. Jene Waffe, mit der er Koragon endlich zur Strecke bringen würde. Mit jener Kugel darin, die er extra für ihn persönlich aufgehoben hatte. Er lud sie durch.
 

Nachdem der General ihm peinlichst genau erzählt hatte, was Thairss durchmachen musste, schoss er ihm mit der Kugel, die eigentlich für Koragon bestimmt war, in die Gurgel und liess ihn jämmerlich an seinem Blut ertrinken.

Dann ging er endlich zu Thairss, die immer noch versuchte sich wach zu halten. Sie war schrecklich erschöpft. Gakoru hob sie ohne ein Wort hoch.

"du bist ein Arschloch." Zischte Thairss, die ihn lieber selber erledigt hätte.

"ich weiss." Antwortete Gakoru, der wusste was in ihrem Kopf vorging. "du darfst dich dann an meinem nächsten Opfer auslassen, okay?"

Thairss antwortete nicht mehr. Sie war bereits eingeschlafen.
 

Gakoru schritt zurück zum Wirtshof. Er würde noch ein Weilchen bleiben. Im ersten Stock. Im fünften Zimmer rechts.
 

Und für Koragon musste er sich halt eine neue Kugel aufheben. Eine neue noch viel bessere. Alles nicht so tragisch.

Longing For Safety - Part 1

Es war Mai. Die schönste Zeit sich in dem Dörfchen nahe dem Steingebilde Stonehenge aufzuhalten - Dolorians Heimatdorf Imori. Es war nun zwei Jahre her, seit die vier JVF vollständig besiegt hatten, Untergang vernichten konnten und schliesslich endlich die Wüste der sieben Religionen verlassen konnten - um endlich nach Hause zu kehren. Noch am selben Tag war Koragon nach Fort Baldor gereist, um seine Mission trotz massiver Verspätung zu vollenden. Shigemi trennte sich kurz vor Gamori um zum Tiburmadeg Gelände zu Gelangen. Sie hatte scheinbar etwas mit den Elben dort zu erledigen (sagte sie jedenfalls, als sie bei Vernunft war...). Kizu und Dolorian waren auf direktem Weg nach Imori gereist, nach Hause.

Seithin trafen sich die vier jedes Jahr am 10. Mai bei Stonehenge, wo damals alles begonnen hatte.
 

"Dolorian, hast du meine Haarschleife gesehen?" rief Kizu grade aus ihrem Nebenzimmerchen. Dolorian schnallte sich gerade sein XtremX um und sah auf. Er hatte Kizu schon lange nicht mit offenen Haaren gesehen. Er lächelte.

"lass sie offen. Die offenen Haare stehen dir besser." Sagte er zufrieden. Kizu wurde rot. Strike.

"hast du meine Schleife trotzdem irgendwo gesehen?" fragte sie verlegen. Dolorian schüttelte den Kopf. Kizu seufzte. "na gut, dann halt ohne." Sie tippelte aus dem Zimmer. Lächelnd sah er ihr nach. Dolorian hatte sich stark verändert. Er war sehr gross geworden und durch das viele Training auch muskulöser. Langsam streifte er seine kindliche Hülle ab und wurde zum stattlichen Mann. Im Dorf erntete er sich viel Respekt. Im Dorf. Zu Hause war er bloss der unfähige Koch, der nicht mal Kartoffeln schälen konnte. Meinte jedenfalls Kizu.

Dolorian liess den Blick aus dem Fenster schweifen. Die Sonne strahlte durch die blühenden Bäume. Es war ein wunderschöner Tag. Und endlich würde er seine Freunde wieder sehen.
 

Koragon kam von Norden in das Dorf Imori. Es war schöner als er es in Erinnerung hatte.

"wieder ein Jahr vorüber. Wie schnell die Zeit vergeht." Dachte er vor sich hin und schob seine Fliegerkappe etwas hoch. Dolorian war damals erst 14 Jahre alt gewesen. Er war bestimmt männlicher und grösser geworden. Er fragte sich ob er trainiert hatte oder sich hatte gehen lassen. Und Kizu....naja...Kizu.... sie war wohl wie immer. Klein und frech. Er lächelte als er an Shigemi dachte. Sie würde sich bestimmt wieder verlaufen - wie immer.

Koragon marschierte durch den vollen Markt. Die Sonne strahlte ihr warmes Licht auf die blühende Stadt. Die Menschen waren heiter, das Klima warm und überall roch es nach der erwachenden Natur. Auch wenn man es ihm nicht ansah. Er liebte es. Er liebte Imori zu dieser Jahreszeit.

Etwas irritierte ihn, worauf Koragon stehen blieb. Was war das für ein Gefühl? Er wirbelte herum und sah hinter sich. Aufmerksam suchte er mit seinen Augen eventuelle Gefahren ab. Doch da war nichts. "Berufskrankheit" dachte er sich und seufzte erleichtert. Er musste über seine Dummheit lachen und ging weiter.
 

Kizu sah sich um, während sie neben Dolorian herging. Der Markt hatte schon sehr früh geöffnet. "wie schön" sagte sie leise vor sich hin. Dolorian sah sie an. "hast du etwas gesagt Kizu?" fragte er. "nichts von Belang" antwortete sie lächelnd. "denkst du Shigemi findet den Weg?" Dolorian lachte. "der Busch vor dem Stonehenge ist so gross geworden, glaubst du allen ernstes sie kann DEM widerstehen?" Kizu kicherte. Sie achtete nicht auf ihren Weg und lief direkt in einen jungen Mann hinein. "Oh verzeihu..." sie brach den Satz ab und starrte in die funkelnden dunklen Augen des Mannes vor ihr. Er hatte was Eisiges an sich. Kizu wich unbewusst zurück. "Entschuldigung" sagte sie. Der Typ starrte sie immer noch eisig an. Er sagte allerdings nichts. Seine Statur war gross und muskulös. Seine Aura war beängstigend. Kizu schluckte und klammerte sich an Dolorian. Dieser sah den Typen an, als er seinen Blick auf ihn selbst richtete. "er sieht Koragon so ähnlich..." dachte er und musterte ihn. Er trug einen engen Mantel, den er offen hielt. Darunter war eine Ledergurtung zu sehen die über seinen ganzen Körper zog. Fast wie bei Thairss.

"Dolorian nehme ich an" sagte der Mann donnernd. Er sah ihn verwirrt an. "äh...ja...? Woher..." Der Mann zog ruckartig Kizu zu sich. Als Dolorian sein Schwert ziehen wollte, klickte bereits die Entsicherung seiner Needle. "lass stecken." Sagte er ruhig. "ich glaube du wolltest dich gerade mit jemandem treffen den ich suche." Dolorian liess die Hände sinken. "und wer sollte das sein?" fragte er genervt. Der Mann starrte ihn eisig an. "das weißt du selber doch genauso gut. Ich schlage vor du nimmst..." Kizu trat ihm in die Eier. Während der Fremde das Gesicht verzog, riss sie sich los, packte Dolorians Hand und rannte los. Sie und Dolorian kannten jeden Winkel dieses Dorfes. Innert Sekunden waren sie in die Menge des Marktes eingetaucht und suchten sich einen Platz wo sie sich verstecken konnten. Kizus ängstliches Gesicht zog die Aufmerksamkeit eines Apfelhändlers auf sich. Er zog Kizu am Arm hinter den Stand und drückte sie und den darauf reinstolpernden Dolorian darunter ins Lager. "seit still, ich verrate euch nicht." Flüsterte der Mann und schlug die Klappe zu.

"puh..." seufzte Kizu, die etwas unbequem auf den ganzen Äpfeln gelandet war. "er wird uns suchen..." flüsterte Dolorian besorgt. Kizu sah ihn an. "er ist hinter Shigemi oder hinter Koragon her..." flüsterte auch Kizu. Dolorian nickte. Er konnte die Schritte auf der Strasse hören. Ein Schritt hob sich deutlich durch ihre schwere ab. Das war er. Dolorian hatte die Eisenstiefel gesehen, niemand im Dorf hatte solche. Er hielt Kizu schnell den Mund zu und wies ihr an still zu sein.
 

"wollen sie einen Apfel? Wir haben frische Äpfel!" hörten sie den Marktmann rufen. Er spielte den neutralen.

"haben sie hier eine zu gross geratene Fee und so nen Jüngling gesehen?" donnerte die zweite Stimme. Dolorian hatte sich also nicht geirrt.

"ja, sie meinen bestimmt Dolorian und Kizu" sagte der Marktmann. "sie rannten vorhin in diese Richtung. Haben die Bengel wieder was geklaut?" Kizu grinste und schielte Dolorian an, der dazu neigte, Äpfel zu "leihen" und sie später zu bezahlen. Dolorian verzog ärgerlich das Gesicht.

Die schweren Schritte entfernten sich.

Die beiden atmeten auf.

Vorerst.
 

"ich hätte ihn fertig gemacht" meinte Dolorian, als der Typ sie rausliess. Kizu sagte dazu nichts. Er kannte Dolorians Kampfwut. Er schaffte tatsächlich alles was er wollte, jedoch machte sie sich sorgen, was diesen fremden anbelangte.

"wir sollten zum Treffpunkt." Meinte Kizu leise und wandte sich bereits Richtung Ost-Ausgang, wo das Stonehenge nun mal lag. Dolorian schüttelte den Kopf. "Koragon ist vermutlich auf dem Markt. Wir müssen ihn suchen."

"und was wenn er hinter Shigemi her ist?"

"es gibt keinen Grund warum er Shigemi jagen sollte." Warf Dolorian ein.

"und was war mit Thairss? SIE hatte was gegen Shigemi. Wer sagt dir, dass Thairss den Typen nicht angeheuert hat?! Ausserdem könnten wir auf dem Markt eher wieder auf ihn treffen als draussen, wo wir uns treffen wollten. Koragon wird schon rausfinden."

Dolorian sah sie still an. Auf dem Feld waren sie doch offene Ziele. Vor allem jetzt, wo sie ihm entkommen waren, würde er sicher nur noch zorniger sein.

"okay." willigte Dolorian schliesslich ein. "lass uns gehen."
 

Koragon erreichte Stonehenge. Shigemi sass dort bereits auf einem Stein und wartete. Sie sah auf, als Koragon sich näherte. "hallo!" rief sie. Sie machte einen Eindruck, als hätte sie seinen Namen vergessen. "na?" fragte Koragon, der sie angrinste. "hast du hergefunden?" Shigemi nickte. "ich hab den Weg gelernt." Sagte sie strahlend und hob triumphierend den Arm. Koragon fragte sich, wie lange es gehen würde, bis sie wieder vergass, wo zum Teufel sie war. Er sah sich um. Wieder hatte er dieses seltsame Gefühl dass etwas nicht stimmte. Wo waren Kizu und Dolorian?

"Koragon!!" rief Kizu, die von der anderen Richtung kam und flatterte her. Sie erinnerte an eine Libelle, wenn sie das tat - die zu gross geratene Fee. Koragon grinste. "wo hast du Dolorian gelassen?"

"er kommt gleich" sagte sie fröhlich und nahm erst einmal Shigemi in den Arm. Dolorian kam ebenfalls einige Sekunden später zum Vorschein. Es dauerte ein Weilchen, bis er ihn erkannte, Dolorian hatte sich tatsächlich sehr stark verändert. Warum er wohl so einen ernsten Gesichtsausdruck machte?

"Grüss dich, Koragon." Sagte er ernst und klopfte ihm erstmal auf die Schulter und packte seinen Arm. Sein Griff war kräftig. Er hatte also doch trainiert.

"lange nicht gesehen alter Freund." Grinste Koragon. "lass das Gesicht nicht so hängen, ich hab diesesmal keinen Drachen im Nacken." Dolorian grinste.

"das seh ich." Sagte er mit einem missglückten Versuch sich ruhig zu geben. "allerdings sollten wir nicht hierbleiben." Kizu sah streng zu Dolorian. Irgendwas stimmte ganz und gar nicht. Koragon wurde ernst. "was ist hier los?"

"sie haben sich mit mir angelegt und fürchten nun wohl um ihr leben." Rief eine ruhige für Koragon allzubekannte Stimme donnernd hinter ihnen. Koragon wirbelte herum und weitete die Augen.

"Gakoru?!!"

"du kennst ihn?" fragte Kizu.

"natürlich... er ist mein Bruder..." sagte Koragon, jedoch ganz und gar nicht glücklich darüber ihn wiederzusehen. Er bemerkte ein leichtes Grinsen auf Gakorus sonst so festgefrorenem Gesicht. Das war kein gutes Zeichen...

"ich habe überall nach dir gesucht, Koragon." Donnerte Gakoru. "du hast etwas, das mir gehört." Dolorian hörte das Klicken der Entsicherung noch bevor Gakoru die Needle tatsächlich zog. Er griff das XtremX, zog so schnell, dass die Luft zischend zerschnitten wurde und schlug mit voller Wucht Gakorus Geschoss ins Feld. Die Stelle wurde in die Luft gesprengt. Der Druck erfasste sie, war allerdings bereits zu schwach, um die vier Helden noch zu fall zu bringen.

Gakoru starrte überrascht zu Dolorian, der jetzt einen Schritt vor Koragon stand - mit erhobenem Schwert.

"nicht übel". Sagte er lobend. "ich habe schon lange keine begabten Kämpfer mehr getötet." Er griff in die Manteltasche. Koragon hörte das Surren. "RUNTER!" rief er, eh Gakoru die Saiten werfen konnte. Jene Saiten, die er dem verrückten Zerschnippeler abgenommen hatte. Die hauchdünnen, jedoch enorm scharfen Saiten surrten durch die Luft. Es war schwer sie zu erkennen. Es war schwer ihnen auszuweichen. Dolorian wich gerade noch einer aus, die über seinem Kopf hinwegsurrte. Er warf sich auf den Boden und robbte durch das hohe Gras in welchem er lag. Richtung Busch, wo Shigemi sich verschanzt hatte und nach ihren Ohrringen tastete... Koragon sprang auf, machte einen Salto rückwärts und landete hinter einem der Begrenzungssteine, nahe dem Steilhang. Er sah kurz um die Ecke, wo auch schon die ersten Geschosse der Neele auf ihn prasselten. Er ging in Deckung und nahm schützend seinen Kopf in die Arme. Er hörte ein Rascheln und entdeckte Kizu, die erschrocken um sich sah. Sie sah aus, als hätte sie ihre Orientierung verloren. Oder stand sie unter Schock? "KIZU, RUNTER!!" rief er, aber es war zu spät. Kizu sah verwirrt auf ihre Hände, auf die von ihrem Gesicht Blut tropfte. Wo kam es her? Vorsichtig tastete sie ihr Gesicht. Sie hatte mit ihrer Wange eine Saite berührt. Der tiefe Schnitt, der quer über ihre Male führte, blutete heftig. Im nächsten Moment wurde sie von Koragon angehechtet und rollte mit ihm den Hang hinunter. Ihr Blut verband sich mit der Oberfläche der Saite, die sie gestreift hatte, was zu einer leichten Detonation führte, die sie aber am Kopf schwer hätte verletzen können.

Die beiden rollten und rollten, wurden schneller und schneller, schlugen sich ständig an irgendwelchen Steinen und Baumstümpfen an und kamen schliesslich nahe dem Strand an einem Plateau zum stillstand. Kizu lag auf ihrem Rücken, die Augen fest zugekniffen. Sie schlug sie auf und sah Koragon an, der auf ihr lag. Seine Arme waren verdreckt und angeritzt. Er hatte sich beim Sturz verletzt. Vorsichtig stemmte er sich hoch und sah nach oben, wo Gakoru stocksteif auf sie hinuntersah. Sie waren geliefert. Er stand hoch oben und konnte nun einen Feuerhagel auf sie prasseln lassen. Sie würden nicht die geringste Chance haben, schliesslich standen sie mitten auf dem Feld. Gakoru grinste und hob seine Needle in die Luft.

Koragon war sofort mit Kizu auf den Beinen und wollte sich bereits die Klippe runter in den Strand stürzen als er auf einmal stillstand und gebannt nach oben sah. Kizu folgte seinem Blick und riss die Augen auf.

Dolorian hatte sein Schwert als Speer benutzt. Die Spitze des XtremX ragte aus Gakorus Schulter. Die Needle, die er in der betreffenden Hand gehalten hatte, war nun den Hang heruntergefallen. Dolorian stand ruhig und mit ernstem Blick hinter ihm.
 

Gakoru biss schmerzverzerrt auf seine Zähne. Er krümmte sich, griff mit dem anderen Arm den Schwertgriff und zog ruckartig das XtremX aus seiner durchbohrten Schulter. Er stöhnte. Dann wandte er sich mit funkelnden Augen zu Dolorian. "jetzt hast du das Recht auf dein Leben verwirkt." Knurrte er gereizt. Er warf das Schwert in hohem Bogen den Hang runter. Mit einem lauten "zing" blieb das Schwert vor den Füssen Kizus im weichen Boden stecken.

Ein Schuss fiel. Dolorian stöhnte laut auf, verlor das Gleichgewicht und stürzte rückwärts zu Boden. Er hustete und krümmte sich. Er hörte Kizu schreien.
 

Shigemi mischte sich nun endlich ein. Sie zog das legendäre Wolkenmacherschwert und hob es in die Höhe. Der Himmel verdunkelte sich, sogar das Meer drehte durch. Wolken stauten sich auf, Blitze zuckten und füllten die Luft mit einer beunruhigenden Spannung. "Hey, Palmenfrisur" herrschte Shigemi den Kopfgeldjäger an. "wie hast du mich genannt?!" Niemand beleidigte Gakoru und kam ungeschoren davon. "ich habe dich Palmenfrisur genannt, du aufgedunsene Kokosnuss." Der Sturm zog sich langsam zusammen. Ein Wirbel bildete sich knapp über dem Boden.

"was ist das..." brachte Koragon gerade noch fassungslos heraus. "das ist der Sturm des Verderbens..." rief Kizu, deren Stimme im Donnern unterging. Sie war kreidebleich, ihr Blick verklärt. "wenn sich jemand zu hastig bewegt, wird es die Person einsaugen..." Kizu starrte noch immer auf die Stelle, wo vor kurzem Dolorian noch stand.

Gakoru sagte nichts mehr und starrte Shigemi wutentbrannt an. Er spannte seine Needle. "was ist los, greifst du keine Frauen an? Herr ich-brauch-ein-Haarband-um-was-zu-sehn"

Das war's. Niemand machte sich über Gakoru lustig. Absolut NIEMAND. Noch während er entsicherte hob er seine Waffe um auf Shigemi zu schiessen. Kaum war sein Arm oben betätigte er schon den Abzug. Etwas rammte ihn, wodurch der Schuss nach oben hin abgelenkt wurde. Koragon und Kizu stöhnten gleichzeitig auf. Gebannt starrten sie auf Gakoru, der Richtung Steilhang das Gleichgewicht verlor - mit Dolorian auf ihm, der ihn trotz schwerer Verletzung angehechtet hatte. Der Wirbel gab einen Arm ab. Die beiden wurden vom Saugarm erwischt und wirbelten rasend schnell auf den Herd zu. Innert Sekunden war alles vorbei: Der Wirbel verschwand, zusammen mit seinen Gefangenen.

Irgendwo ins Nirgendwo.
 

~Fortsetzung folgt~

Longing for Safety – Part 2

Wind säuselte über die verdorrten Gräser nahe Stonehenge und ließ ein dürres Rascheln erklingen. Die legendären und heiligen Steine des Stonehenge waren zertrümmert und zerschlagen worden. Von dem Heiligtum, an welchem Dolorian die meiste Zeit seines Lebens verbracht hatte, waren nur noch Steinbrocken übrig, die nur noch die Form der alten Baut erkennen ließen. Das Meer war schwarz und trotz des Windes beängstigend ruhig. Schwere Wolken hingen am gelblichen Himmel und schluckten fast alles an Licht, welches die Erde erhellen sollte – jene Erde, die bereits zu trocken geworden war, um noch Leben zuzulassen.
 

Inmitten der Trümmer lagen regungslos zwei Gestalten. Raben kreisten wie Aasgeier über den beiden und krähten. Der Wind strich über die langen Haare des blonden Jungen, der verletzt und mit geschlossenen Augen auf dem staubigen Boden lag. Sein blutiges Hemd knisterte im Wind – doch seine Wunde blutete nicht. Auch wenn er schon längst hätte tot sein müssen, atmete er und lebte folglich weiter. Seine Augenbrauen zuckten, worauf er die Augen aufschlug und schwach in die verdorrten Gräser starrte. Dolorian stöhnte etwas und richtete sich dann auf. Wo war er? Was war mit der Umgebung passiert?

Mit dem Krähen des Raben stand auch sein Widersacher Gakoru wieder auf. Auch er stöhnte kurz und ließ seinen Nacken knacken. Dolorian wich unweigerlich zurück. Der Mann sah sich scheinbar genauso verwirrt um, auch wenn sein Gesichtsausdruck keine Interpretation zuließ. Sein eisiger Blick blieb bei Dolorian stehen und ruhte auf ihm. Innert Sekundenbruchteilen hatte Gakoru seinen Revolver gezogen und schoss. Die Kugel streifte seine Wange und schlug hinter ihm in einen verdorrten Baum. Blut lief an seiner Wange herunter. Dolorian verfluchte sich, dass er sein Schwert nicht hatte. Gakoru hob eine Augenbraue. „wo sind wir hier?!“ fragte er ungeduldig. Dolorian schüttelte langsam den Kopf und schielte zum Hang. Sein Schwert war hinuntergefallen. Ob es noch dort steckte?

„dann habe ich also auch keine Verwendung für dich.“ Sagte Gakoru. Ein weiterer Schuss fiel, der dieses Mal sein Ziel nicht verfehlte. Die Kugel schlug in Dolorians Stirn ein. Dumpf fiel er zu Boden.

Gakoru steckte die Waffe wieder in die Halterung und wandte sich um. Genervt sah er sich in dieser Einöde um. „na toll.“ Grummelte er. Er hatte keine Ahnung wie er jetzt wieder zurückkommen sollte. Vielleicht stand ja das Dorf Imori noch – war vielleicht sogar zu einer Stadt geworden. Immerhin musste das hier die Zukunft sein. Stonehenge war noch nie zerstört worden. Etwas irritierte den jungen Kopfgeldjäger, weshalb er auch nicht losging. Er roch das Blut ja gar nicht. Misstrauisch wandte er sich wieder in jene Richtung, wo Dolorian liegen müsste – was er nicht tat. „…“ Mit geweiteten Augen sah er sich um. Wo war er? Wie hatte er das überlebt?

„ich bin hier du Arschloch.“ Gakoru wirbelte herum. Dolorian stand aufrecht einige Meter hinter ihm – mit dem verrosteten XtremX in der Hand. Kizus von Motten zerfressene Haarschleife war darum gebunden. Inmitten seiner Stirn war das Einschussloch, das allerdings nicht blutete. Die Wunde an seiner Wange war bereits vernarbt. „…ein Selbstheiler?“ dachte Gakoru. Sein Gesicht verdunkelte sich. Er starrte ihn an, als würde er eine Erklärung erwarten. Dolorian wusste aber selbst nicht, warum er IMMERNOCH lebte. Er hob das Schwert und griff Gakoru damit an. Der blockte mit seiner Needle den Schlag locker ab und brachte ihn mit einem Kinnhaken sofort wieder auf den Boden. Dolorian rollte sich von Gakoru weg und kam mit einem Satz wieder auf die Beine. Noch in derselben Bewegung holte er erneut aus. Gakoru wich gekonnt seinen Schlägen aus, duckte sich, sprang zur Seite und brachte den Hitzkopf immer wieder zu Fall – schaffte es seinerseits aber nicht ihn umzunieten, da auch Dolorian zu schnell war. Erneut griff Dolorian frontal an. Gakoru hob die Needle und stoppte den Schlag des alten und dumpfen Schwertes mit dem Lauf. Er krümmte sich zurück, biss er mit dem Rücken horizontal über dem Boden hing und trat Dolorian kräftig in den Bauch. Während dieser zurücktaumelte, hob er seine Needle und feuerte. Dann hielt er inne. Was hatte ihn da an seiner Schulter getroffen? Er sah zu seinem hellen Mantel, wo sich das Blut abzeichnete. Wie hatte er sich selbst angeschossen? Blinzelnd sah er zu der Needle, die vorne durch ein Wurfmesser verschlossen worden war – der Schuss war also nach hinten losgegangen.... Fragend sah er zu Dolorian, der allerdings herumgewirbelt war, um selbst zu sehen, wo das Wurfmesser hergekommen war. Eine zierliche Gestalt in einem langen Mantel, der leicht im Wind wehte, stand hinter der Ruine. Die Kapuze war über ihr Haupt gezogen. Die grünen Augen funkelten unter der Kante hindurch. „spart eure Kraft, Mensch, im Gegensatz zu diesem Jungen werden sie diese brauchen.“ – „ach?“ rief Gakoru wütend. Die Frau nickte. „seine Ohren sind spitz. Ich denke er ist von elfischer Herkunft. Das heißt er ist in der Lage einen Zeitsprung von 100 Jahren zu überleben – ganz im Gegensatz zu ihnen, werter Mensch. Auch wenn mir nicht klar ist, wie sie das Zeitchaos bislang überleben konnten“ Dolorian blinzelte. Die Frau irrte sich. Er war zu 7/8 ein Mensch. Er alterte wie ein Mensch und seine Fähigkeiten waren menschlich. Die Ohren waren das einzige, was er von seinem elfischen Vorfahren geerbt hatte.

„was meinen sie mit Zeitchaos?“ rief Dolorian. Die Frau schien ihn verwirrt anzusehen. Dann weiteten sich ihre Augen. „seid ihr etwa nicht von hier??“ fragte sie fast hoffnungsvoll. Die beiden Neulinge schüttelten den Kopf.

Die junge Elfe ging auf die beiden zu, den Kopf geneigt und den Mantel leicht angehoben, um nicht darüber zu stolpern. Als sie direkt vor den beiden stand, hob sie ihren Blick und sah erst Dolorian an. Ihre giftgrünen Augen fixierten ihn. Ihre blutroten Augenbrauen zuckten nachdenklich. Der Wind ließ eine lange Haarsträhne über ihr Gesicht streichen. Dolorian erkannte sie und erschrak. „THAIRSS?“ Die junge Frau rümpfte die Augenbrauen und legte den Kopf schief. „mein Name ist Arai.“ Sagte sie etwas verwirrt über Dolorians Ausruf. Dann wandte sie sich zu dem Kopfgeldjäger, der sie genervt fixiert hatte. Sie musste den Kopf heben, um ihn sehen zu können. Ihre Augen weiteten sich, als sie den Mann erkannte. „du lebst….?“ Flüsterte sie, verlor aber auch gleich die Stimme. Es konnte nicht sein. Dieser Mann hier war ein Fremder. Gakoru schwieg und starrte sie ausdruckslos an. „verzeiht.“ Sagte die Frau schließlich und senkte ihren Kopf wieder. „kommt. Hier draußen werdet ihr euch den Tod holen – und glaubt mir, es wird keiner von euch beiden sein, der den Tod des anderen herbeiführt.“

Mit leichten Schritten ging sie voran. Dolorian sah ihr kurz unentschlossen nach. Was hatte er schon zu verlieren? Und mit Gakoru wollte er sicher nicht alleine bleiben. Also folgte er ihr nach kurzem Zögern. Gakoru wartete eine ganze Weile, eh er dann doch noch hinterherging. Hier draußen würde es unglaublich langweilig werden.
 

Kizu und Koragon waren nach oben geklettert. Kizus Gesicht war tränenüberströhmt. Die Tränen hinterließen helle Linien auf ihrem schmutzigen Gesicht. Shigemi sah sich mit großen verwirrten Augen um. Das Schwert war schon längst verpufft. Kizu rannte zu ihr und schüttelte Shigemi, die fragend in Kizus Augen sah. „wo hast du Dolorian hingeschickt Shigemi?“ Koragon stand mit ernstem Blick hinter ihr. Gakoru würde ihn doch bei der ersten Gelegenheit töten… Er hatte keine Chance gegen ihn. Koragon verfluchte sich, dass er nichts hatte unternehmen können.

Shigemi legte den Kopf schief. „Dolorian fort?“ fragte sie und sah sich um. „wo hin?“

„na klasse…“ stöhnte Koragon und ließ den Kopf in den Nacken fallen.

Kizu sah sie einfach nur entgeistert an.

Vielleicht würde sie ihn nie wieder sehen….
 

Stundenlang marschierten die drei durch die verbrannten und verdorrten Felder, vorbei an den Ruinen der Bauernhöfe und vorbei am zerstörten Heimatdorf Imori. Niedergeschlagen ging Dolorian der schweigsamen Frau hinterher. Was war hier bloß geschehen? Wer hatte diesen wundervollen Ort bloß so geschändet?

„wo führst du uns hin?“ fragte Gakoru schließlich schroff und blieb einfach stehen. Die junge Frau drehte sich um. „das wirst du gleich sehen, Gakoru.“ Sagte sie mit einer Sanftheit, die ihn verärgerte. „wir sind fast da.“ Sie ging noch ein Stückchen, eh Gakoru sie wieder zum Stehen brachte – indem er seine Needle entsicherte. Dolorian sah mit großen Augen zwischen den beiden hin und her. „wohin?“ fragte er nochmals sehr ungeduldig. Arai wandte sich nicht um. Sie starrte vor sich hin. „der Ort hat keinen Namen.“ Sagte sie. „aber wir sind fast da. Nimm bitte die Waffe runter.“ Sagte sie noch immer sanft. „die Kugel wird mich nicht töten.“ – „und warum?“ – „das werde ich zu gegebener Zeit erklären.“ Sagte sie und schritt einfach voran. Gakoru senkte die Waffe. Das alles wurmte ihn. Gereizt wandte er sich zu Dolorian. „ich hoffe du weißt wie wir hier wieder rauskommen.“ Dolorian sagte dazu absolut rein gar nichts und ging weiter der jungen Elfe hinterher.
 

Die Gruppe erreichte ein tiefes Loch in einem Felsen. „hier hinunter.“ Sagte die Frau und kletterte hinein. „schnell, eh es uns eventuell sieht.“ Dolorian starrte lieber an den Horizont, wo ein grelles Flackern zu sehen war. „was ist das dort?“ fragte er und griff instinktiv nach seinem Schwert. Arai hob sich nochmals aus dem Loch und starrte an den Horizont. „oh nein….es kommt.“

„was kommt?“ fragte dieses Mal Gakoru.

„der Zeitstrom…“ Arai machte eine hastige Bewegung. „schnell“ rief sie und verschwand im inneren der Höhlenanlage. Dolorian sprang hinterher, gefolgt von Gakoru.

Arai landete sicher auf ihren Füssen an einem Felsvorsprung. Genauso wie Gakoru. Dolorian kam angerollt und voller Schrammen unten an. Unter der Erde war eine riesige Stadt in den Felsen hineingebaut. Mit Lehmsäulen befestigte Stege dienten als Verbindung zwischen den einzelnen Wohnstellen. Überall waren Laternen befestigt, in denen magisches Feuer brannte, welches nicht erlöschen würde. Die aschfahlen Lichter in den einzelnen Fenstern tauchten das tiefe Loch in warmes Licht. Doch nicht überall brannte es. Viele Fenster waren dunkel. Diese Elfen hatten das Chaos nicht überlebt…

Arai rannte zu einem Vorsprung und sprang hinunter auf den Nächsten. Sie packte das Seil einer alten Glocke und bimmelte mit aller Kraft. Aus allen Löchern kamen die Elfen geschossen. Verängstigtes Gewimmer füllte den zuvor so stillen Raum. Dolorian runzelte die Stirn. „was ist denn hier los…?“ fragte er sich selbst. Seine Frage würde sich gleich von selbst beantworten…
 

Aus der Decke kam das Licht hinein. Erst nur in dünnen Strahlen, dann in breiten Flächen und schließlich drang es gleich ganz ein und überstrahlte das fahle Licht der magischen Feuerlaternen. Schmerzensschreie wurden laut, lautes Weinen und Quengeln. Die Stimmen erklangen verzerrt. Weder Gakoru noch Dolorian fühlten etwas – es war einfach nur etwas zu grell. Sie verstanden nicht, was sich in der Höhle abspielte. Das laute Säuseln übertönte schließlich die ganzen Schreie und ließen sie verstummen. Die Lichtquelle schien vorbeizuziehen – zumindest dimmte das Licht und erlosch schließlich.
 

Gakoru blinzelte leicht und sah ausdruckslos über den Vorsprung nach unten. Wo waren die ganzen Kinder hin? Vor ihm standen erwachsene, stattliche Elfen und alte gebrechliche Senioren. Dann fielen ihm die ganzen zerfressenen Stoffe auf, worin blanke Knochen lagen. Dann begriff er. Die Zeit war rasend schnell vorwärts gelaufen. Die Kinder waren erwachsen geworden, die jungen Elfen wurden alt und alle anderen waren aus der Zeitgeschichte ausgeschieden. Er betrachtete fragend seine Hände. Es waren noch die alten. Ihm war nichts geschehen. Genauso wie Dolorian – was ihn nicht unbedingt erfreute. Dolorian schien auch gerade zu begreiffen. Er war kreidebleich. „warum ist uns nichts geschehen?“ fragte er mit zitternder Stimme. Schweiß rann ihm übers Gesicht.
 

„wir sind festgefroren…“ sagte die junge Frauenstimme. Arai sprang hoch auf den Vorsprung, wo die beiden standen. Auch ihr war nichts geschehen. „ihr beide allerdings nur, weil ihr nicht in diese Zeitebene gehört. Ihr seid Fremdkörper…“ sagte sie leiser und sah nach unten. Ihre Kapuze war hinuntergezogen. Die langen blutroten Haare fielen zart über ihre Schultern. Gakoru musterte sie. „wieso ist DIR nichts passiert?“ fragte Dolorian doch etwas überrascht. Sie schwieg. Unbewusst strich sie sich über den Bauch. Gakoru bemerkte es, sagte aber nichts. „meine Tochter bewahrt mich davor…“ sagte sie fast lautlos und starrte hinunter zu den Elfen, die um die verstorbenen trauerten. „mein Geliebter ist im Kampf gegen „es“ gefallen… Er wird nie erfahren, dass er eine Tochter hätte.“ Murmelte sie. Dolorian verbeugte sich. „das tut mir leid.“ Er richtete sich auf und schielte dann plötzlich grinsend Gakoru an, als er sich an die Szene bei Stonehenge erinnerte. Gakoru bemerkte den unverschämten Blick – und schoss ihm eine Kugel in den Kopf. Dolorian fiel hin. „er kann doch nicht sterben!“ rief Arai. „ein Versuch war’s wert.“ donnerte Gakoru und sah Dolorian zu, wie er sich wieder aufrappelte. Dolorian knurrte ihn an und zog sein Schwert. „STOPP JETZT!“ rief Arai und warf den Mantel nach hinten. An ihrer Lederpanzerung, die fast haargenau so aussah wie Gakorus, waren überall Wurfmesser, Schusswaffen, Giftdarts und jegliche erdenklichen Waffen angeschnallt. Grummelnd senkte Dolorian das Schwert. „ich will nach Hause.“ Knurrte er und starrte Gakoru an. „dazu bräuchtet ihr den Sigma Kristall.“ Sagte Arai. „aber der wird von einem Wesen bewohnt, der dieses Chaos hier genüsslich ausgelöst hat.“ Wut war in ihrer Stimme. „das heißt, wenn das Vieh abkratzt, können wir hier weg?“ donnerte Gakoru ungeduldig. Warum war der so überreizt?

Arai nickte. Dolorian riss die Augen auf. „und warum greift ihr es dann nicht an??“ – „weil jede Armee, die loszieht, entweder vergreist oder wieder zu Kindern wird, eh sie dem Ding auch nur etwas anhaben können. Also weiß auch keiner wie man es besiegen könnte… Sobald sie kampfunfähig sind, greifen die Dämonen sie an…“ Arai sah zur Decke und schloss die Augen. Dolorian überlegte kurz. „wir können weder sterben noch sind wir von diesem Zeitstrom betroffen.“ Er wandte sich zu Gakoru. „wir könnten es locker besiegen.“ Gakoru schielte ihn an. Er hatte das böse Wort mit „w“ benutzt. Dolorian blinzelte. „was ist?“ Er fing sich erneut eine Kugel, dieses Mal in die Brust. „Wofür war der denn jetzt??!!“ schrie Dolorian, der erneut auf dem Boden lag. „ich wollte nur sichergehen, dass es auch WIRKLICH nicht geht.“ Arai schüttelte den Kopf. Er war kein deut anders als IHR Gakoru. Es war seltsam ihn wieder zu sehen…

Gakoru steckte die Waffe ein. „wo ist dieser komische Kristall?“ fragte er und starrte sie ausdruckslos und eisig an. „immer dem seltsamen Leuchten am Horizont entlang.“ Sagte sie. „es wandert, weshalb ihr es anders nicht orten könntet.“

Dolorian stand auf. „heißt das, wir machen ihn jetzt fertig Gakoru?“ fragte er kampflustig. Im nächsten Moment lag er erneut gurgelnd am Boden. Arai verdrehte die Augen. „meinst du nicht, dass du es jetzt oft genug versucht hast?“ fragte sie. „man kann nie wissen.“ meinte Gakoru und ging richtung Ausgang. Wortlos kletterte er hinaus. Arai kicherte. „du solltest ihm sagen, dass sein Vorhaben hier wegzukommen ohne dich nicht gehen wird. Ihr seid zusammen gekommen und müsst zusammen gehen.“ Dolorian rappelte sich auf. Er sah völlig ramponiert aus. „und was müssen wir tun, wenn wir es besiegt haben?“
 

Gakoru stand auf dem verdörrten Feld. Es roch verwest. Der Grad der Zerstörung war enorm gestiegen. Alles wirkte tot und leblos. Ein Rabe zog über ihn vorbei und krähte laut. Seine ewigen Begleiter. Als er dem Vogel der Finsternis mit dem Blick folgte, erblickte er das seltsame Flackern am Horizont, das alles zu überleuchten schien. Es warf sogar Licht an die Unterseite der Wolken, die darüber hinwegzogen. Er wollte zurück – immerhin hatte Koragon etwas, das ihm gehörte und das er dringend zurückwollte. Also ging er mit schweren Schritten los.

Dolorian kam hinterhergestolpert. „warte du Depp!“ Gakoru verdrehte die Augen. Er würde ihn erwürgen, wenn sie wieder zurück waren. „ohne mich kannst du nirgends hin!“ – „ach ja?“ fragte Gakoru donnernd. „Ist mir bislang nicht aufgefallen.“ Dolorian hatte ihn eingeholt und ging neben ihm her. „Arai hat gesagt, dass wir das Ding zusammen zerstören müssen, da wir zusammen hier hergekommen sind. Du kannst ohne mich den Ort nicht verlassen – und umgekehrt.“ Gakoru hatte keine Lust mit diesem Anfänger durch die Gegend zu ziehen. Er verfluchte diese Welt, dass er ihn nicht einfach umnieten konnte, um ihn loszuwerden. „Scheiss Welt“, dachte er. Widerwillig fügte er sich. „wenn’s sein muss.“ Grummelte er. Dolorian grinste. „gut!“ rief er kampflustig. Seine Augen leuchteten. „lass uns diesem Scheißvieh mal deftig in den Arsch treten!“

Gakoru schielte ihn genervt an und antwortete mit einem genauso motiviertem „…“

Miss You So Bad (oneshot)

Fünf endlos lange dauernde Monate waren vergangen, seit dieser schrecklichen Nacht, die Gakoru sein Leben lang verfolgen würde. Es war jene Nacht, in welcher er sich verändert hatte, in welcher er gnadenloser und calculierender wurde. Jene Nacht, in welcher Thairss in seinen Armen gestorben war. Auch wenn Gakoru es nur schwer eingestand, sie fehlte ihm. Ihre verrückte Art, ihr spöttischer Unterton, ihr Ernst, ihre Verträumtheit, ihre zierliche Figur, ja sogar ihr Geruch schienen ihn zu verfolgen, auch wenn sie selbst nicht mehr da war. Sie würde nie wieder bei ihm sein. Er würde nie wieder die Dinge wahrnehmen, die ihn an ihr so fasziniert hatten. Er würde ihr niemals sagen können, dass er sie liebte. Es war viel zu spät.
 

Jede Nacht kehrte Thairss in seine Arme zurück. Jede Nacht stand sie wieder vor ihm, fragte zögernd, wo er seine Wunden herhatte, da sie doch selber mit Shoshin gekämpft hatte. Jede Nacht drehte sie sich erschrocken um, baute die schützende Säule auf, die kurz darauf verpuffen würde. Und jede Nacht wurde sie von den Messern durchbohrt, die sie für ihn abfing. Jede Nacht lag sie regungslos und schlaff auf ihm und riss ihn schweissgebadet aus diesem Albtraum, indem sie scheinbar deutlich seinen Namen rief.
 

Gakoru hatte jede Nacht somit den Hass wieder vor Augen, den er den Menschen gegenüber empfand. Auch wenn er Shoshin in derselben Nacht noch getötet hatte, war sein Hass nicht versiegt. Sein Leben lang wurde er von seinem Umfeld gequält. Von seinen Eltern, von seinem Bruder und jetzt sogar von seiner Geliebten, die einfach so für ihn gestorben war. Diese neue Qual war schlimmer als alles andere jemals zuvor…

Seither hatte sich Gakoru nur noch weiter eingekapselt. Er ass nur noch, wenn er kaum noch stehen konnte, er trank nur noch, wenn der Durst ihn fast zu töten drohte und er tötete nur noch jene, die er tot sehen wollte.

Seit dieser schrecklichen Nacht vor fünf Monaten war Gakoru nur noch gefürchteter als jemals zuvor. Er tötete nicht mehr wahllos. Er suchte sich seine Opfer präzise aus und jagte sie, bis sie entweder Suizid begannen oder er sie in die Finger bekam, um ihnen ein qualvolles Ende zu bereiten. Gakoru versuchte den Hass zu stillen. Doch mit jedem Mord wurde er noch tiefer. Oder mit jedem Tag, in der er Thairss nicht wiedersah.
 

„…du fehlst mir…“
 

Die Nacht war kalt. Der Winter war wieder hereingebrochen und Labargos – seine Heimatstadt – war bekannt für die rauen Winter. Die schweren Schritte der Eisenpanzerung waren als dröhnen und knirschen von der ferne bereits zu hören. Um diese Zeit war Labargos für gewöhnlich sehr still. Gakoru hatte nicht vor nach Hause zu gehen. Er wollte seine alten Eltern nicht mehr wieder sehen – was er seit 20 Jahren auch nicht mehr getan hatte. Allgemein würden sie ihn sowieso nicht mehr wieder erkennen. Seine wuscheligen Haare reichten ihm inzwischen fast bis zu den Schultern, sein Blick war verloren und zeugte nur noch von Kälte, seine Statur war die eines starken verbitterten Mannes und sein Gang liess die Strasse auf der er ging erbeben. Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen ging er also durch die verschneite Strasse. Die Nacht wirkte durch den Schnee sehr hell.

Die Schritte verstummten. Gakoru hob etwas den Kopf und sah unter dem Kapuzenrand auf. Er hatte sein Ziel erreicht: Das kleine Wirtshaus, wo er eine Nacht bleiben würde. Dann würde er an der Küste weiterziehen bis zur Hafenstadt Marmar, um diesen verfluchten Kontinent zu verlassen und vielleicht endlich Frieden zu finden.
 

Er öffnete knarzend die Eingangstür und trat mit schweren Schritten ein. Das Parkett knarzte unter seinem Gewicht. Schnee fiel von seinem Mantel. Er machte sich noch nicht einmal die Mühe die Kapuze runterzuziehen.

Vor der Rezeption blieb er erneut stehen. Er sagte kein Wort. Sein Blick reichte aus um unbezahlt ein Zimmer zu bekommen. Man fürchtete seinen Zorn. Wortlos nahm er die Schlüssel und ging in das betreffende Zimmer. Er war müde.
 

In sich versunken schnürte er den Mantel auf und warf ihn achtlos auf einen Stuhl. Daneben stand ein Kamin, allerdings brannte er nicht. Gakoru betrachtete ihn lange. Er dachte wieder an die Nacht, kurz bevor Thairss starb. Sie hatte klitschnass vor dem Kamin gesessen. Immer wieder hatte sie seine Nähe gesucht, was er ihr nicht gewährt hatte. Wie nachdenklich sie in dieser Nacht gewesen war. Woran sie wohl dachte? Was ihr wohl solche sorgen gemacht hatte, dass sie in sich versunken war? Ihm wurde bewusst, dass er eigentlich gar nicht so viel von ihr wusste. Weder wer ihre Eltern waren, noch ob sie Geschwister hatte, bei wem sie aufgewachsen war, wo sie aufgewachsen war, wie ihre Kindheit verlaufen war, warum sie sich für diesen Beruf entschieden hatte, wer ihr diese Fähigkeiten beigebracht hatte. Sein Gewissen nagte an ihm.

Nun gab er ein erstes Geräusch von sich: Ein verbittertes Seufzen.
 

Aus seinen Gedanken gerissen warf er den schweren Hartlederpanzer von sich ab, den er ebenfalls einfach liegen liess und setzte sich auf das Bett. Schnell schob er einen weiteren Gedanken an Thairss beiseite, eh es ihm wieder jene Flüssigkeit in die Augen trieb, die er geschworen hatte nie wieder zu vergiessen.

Er wollte nicht schlafen. Er wusste, was er wieder träumen würde. Und er wollte nicht mehr daran erinnert werden, dass er versagt hatte.

Oft hatte er sich die Frage gestellt, ob er sie hätte retten können, wenn er einfach bei ihr geblieben wäre, wenn er sie beiseite geworfen hätte oder wenn er sich schützend über sie gelegt hätte, um die Messer mit seinem Panzer abzufangen.

„….warum musstest du das tun…“
 

Gakoru war lange wach gelegen, doch auch er, der grosse Kopfgeldjäger, konnte dem Schlaf nicht entgehen. Und wie jede Nacht träumte er. Doch es war nicht jener Traum, der ihn sonst so quälte.
 

Gakoru stand auf einer nebligen Wiese auf einer Klippe. Er hörte das sanfte rauschen von Wasser. Das Meer um die Klippe herum wirkte grau und blass. Der Nebel war kalt und umspülte seine nackten Knöchel. Er konnte sogar das Gras zwischen seinen Zehen fühlen. Es war so einsam…

Als er sich verwundert umsah, wo er jetzt schon wieder gelandet war, entdeckte er einen Kirschbaum, der einsam mitten auf der Wiese stand. Die zarten Blätter wirkten im Nebel genauso blass wie alles andere an diesem Ort. Darunter stand eine Bank, dem Meer zugewidmet. Eine Gestalt sass darauf, in weissen Samt gekleidet mit einer Kapuze. Ihr Rücken zeigte zu ihm. Der Wind spielte etwas mit ihrer Kapuze und erzeugte einen leichten Blätterschauer.
 

„….Gakoru….“
 

Wer war sie? Vorsichtig ging er auf sie zu, ging um die Bank herum und setzte sich instinktiv neben sie. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen. Die Kapuze verdeckte dieses.

„du hast mich einfach allein gelassen.“ Flüsterte die sanfte Stimme dieser Person neben ihm. Gakoru sah sie schweigend an.

Sie griff sanft an die Kapuze und zog sie herunter. Ihr blutrotes Haar wehte etwas im Wind. Mit ihren tiefgrünen Augen sah sie Gakoru an und lächelte.

„…Thairss….du….“ Er wollte etwas sagen, doch er wusste nicht was. Sie sah ihn fragend an, so wie sie es immer tat, wenn er einfach einen Satz abbrach oder wenn sie ihm nicht folgen konnte.

„warum leidest du so?“ fragte sie.

Gakoru wendete seinen Blick von ihrer Schönheit ab. Er ertrug sie nicht.

„rate mal.“ Er klang schroff. Das wollte er gar nicht.

Sie stand auf. Nein, geh nicht weg.

Gakoru sah hastig auf.

„du irrst dich….“ Sagte Thairss flüsternd und sah ihn immer noch lächelnd an.

„ich bin nicht tot.“

Ihre Haare wehten über ihr Gesicht. Gakoru sah sie leidend an.

Thairss beugte sich vor und kniff ihm in die Nase. Was sollte das?

„du sagtest mal: „wenn du das noch einmal tust, dann bringe ich dich um.““ Sie imitierte seine donnernde Stimme und lachte frech. Ihr spöttelnder Unterton war nicht zu überhören.

Sie beugte sich weiter zu ihm runter, bis sie direkt neben seinem Ohr war. Er nahm ihren zarten Geruch wahr.

„komm und fang mich…“
 

Gakoru schreckte hoch. Die Worte klangen noch in seinem Ohr, als hätte er sie wirklich gehört. Für einen Moment fühlte er sogar noch den schwachen Schmerz an seiner Nasenspitze. Er griff daran und sah verwirrt durch den Raum. Was für ein seltsamer Traum.

Gakoru schüttelte den Kopf und wolle sich hinlegen, als sein Blick an der Kommode haften blieb. Der Revolver lag darauf. Genau jener, den er Thairss gegeben hatte, kurz bevor sie gestorben war. Sie hatte ihn in den Trümmern des Gasthofes verloren. Vor lauter Schmerz hatte er nicht versucht wieder an diese Waffe heranzukommen. Jetzt lag sie direkt neben ihm. Schnell sah er sich um. Die Tür war noch verriegelt und auch die Fenster waren zu. Irritiert nahm er die Waffe in die Hand und strich mit den Fingern darüber.

Sie war warm.
 

Eine Woche verging. Immerwieder träumte er von Thairss, die ihn bat, nach ihr zu suchen. Er glaubte nicht an Übersinnliches. Doch je mehr er sich Marmar näherte, desto intensiver wurden die Träume und desto mehr drängte sie ihn nach ihr zu suchen. In der letzten Nacht, kurz bevor er Marmar erreichte, träumte er nicht mehr von ihr. Er träumte gar nichts. Ob sie aufgegeben hatte?
 

Es war nun helllichter Tag. Marmars Klima war deutlich milder als in Labargos. Die Sonne schien und die Temperatur war ganz angenehm. Marmar war wie immer komplett überfüllt. Es war schwer an den Hafen selbst zu kommen. Aber Gakoru war das egal. Die Menschen um ihn herum hatten ihn noch nie gekümmert. Warum ausgerechnet jetzt?
 

Etwas zog an seinem Mantel. Gakoru wandte sich leicht um und sah unter der Kapuze hindurch zu dem kleinen Mädchen, das sich gerade an seiner Seitentasche festgeklammert hatte. Er sagte nichts. Sein Blick schüchterte Erwachsene ein, die kleine würde schreiend davonrennen.

Aber sie tat es nicht.

„sie…?“ fragte es mit leicht ansteigender Stimme. „ich soll ihnen etwas sagen.“

Gakoru starrte das Kind immer noch an. Er antwortete nicht. Er wartete.

„eine Frau meinte, dass ihrer Waffe etwas fehlt.“

„was sollte das sein?“ fragte Gakoru genervt. Bestimmt eine Händlerin die so Leute anwarb. Die Marmarier waren seltsam. Das entschied Gakoru in dieser einen Sekunde. Das Kind kramte in seiner Tasche und reichte ihm die winzige, pummlige Faust. Gakoru öffnete neugierig die Handfläche um besagtes „fehlendes“ Stück zu nehmen. Das Kind liess es in seine Handfläche fallen. Es war klein und leicht warm. Gakoru betrachtete es, indem er die Hand etwas anhob, aus dem Blickfeld der kleinen.

Es war eine Spezialpatrone.

Jene eine Patrone, die er für Koragon aufgehoben hatte und die als einzige Patrone in dem Revolver geladen war.

Schnell zog er den Revolver und liess die Trommel aufschnappen. Tatsächlich. Sie war leer.

„wo hast du das…?“ Das Kind war verschwunden. Verwirrt sah er auf und in die Menge. Seine Augen flitzten im Schatten der Kapuze hin und her. Stand da wer? Wurde er beobachtet? Wer versuchte ihn auf diese Weise zu quälen?

Seine Augen fixierten eine Person in dunkler Kutte. Die Kapuze war auch bei dieser Person tief ins Gesicht gezogen. Aber er spürte den Blick auf sich. Ruckartig riss er seine Kapuze herunter und starrte hasserfüllt und wütend diese Person an. „HEY!“

Seine Stimme donnerte. Die Masse um ihn herum wurde sofort mucksmäuschenstill. Manche rannten davon, andere wichen weg. Es war Gakoru. DER Gakoru. Was er wohl wollte? Würde er jemanden töten?

Die Angst ergriff fühlbar die Menge und lud die Luft mit einer unangenehmen Spannung. Gakoru konnte das Knistern regelrecht fühlen. Die Person rührte sich nicht. Sie hob etwas den Kopf wobei das Weisse ihrer Augen aufblitzte und man ihr Grinsen sah.

Er starrte sie an. Dann riss sein Geduldsfaden. Er liess niemanden so mit ihm spielen. Blitzschnell lud er den Revolver durch und zielte. Ein erschrockenes Raunen ging durch die Menge. Sie wichen sogar etwas zurück.

„Gakoru, Gakoru, Gakoru…“ die zierlichen Hände der Person griffen die Kapuze und zogen sie langsam über die weichen blutroten Haare. Die zarten Wellen flossen augenblicklich über den elfischen Mantel. Eine kleine Narbe zog sich an ihrem Haaransatz über ihre Kopfhaut, wurde aber fast vollständig von ihren Haaren verdeckt. Thairss lächelte.

„jedes Mal wenn wir uns treffen, hältst du mir dieses Ding ins Gesicht ^^ irgendwann drückst du noch ab.“

Gakoru stand da, seine Augen weit aufgerissen, sein Arm vor schreck zitternd. Sie stand da. Sie stand da direkt vor ihm. Direkt….vor seinem Lauf! Wachgerissen riss er die Waffe nach unten rannte mit zwei Sätzen auf sie zu und schloss sie fest in die Arme – so sehr, als würde er sie niemals wieder loslassen…



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Kommentare zu dieser Fanfic (8)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Komunikaze
2007-09-04T14:51:18+00:00 04.09.2007 16:51
Zu diesem Kapitel: Ich hätte gerne noch mehr erfahren über Arai/Thairss. Wie es sie dorthin verschlagen hat. Aber vielleicht kommt das ja noch in einer späteren Geschichte.
Von:  Komunikaze
2007-09-04T14:49:02+00:00 04.09.2007 16:49
Die ersten fünf Geschichten sind sehr gut.
Sie bringen ganz interessante Aspekte in das Kyodotai-Szenario bzw. vertiefen diese.
Habe ich gerne gelesen.
Danke.
Von:  Komunikaze
2007-09-04T14:41:20+00:00 04.09.2007 16:41
Hä? Keine Erklärung? Höchst seltsam.
Ziemlich unglaubwürdig, er wird sie ja wohl kaum für tot liegen gelassen haben, sondern eher begraben oder so. Da bedarf es eigentlich einer höchst komplizierten Erklärung, wieso sie jetzt wieder lebt. Und wenn es ihr gut geht, wieso sucht sie ihn dann nicht, sondern fordert ihn im Traum auf, sie zu suchen, als ob sie irgendwo in einer Zwischenebene gefangen sei.

Aber insgesamt ordentlich geschrieben. Ich nehme mal an, Verwirrung des Lesers ist das Ziel der Geschichte, insofern gelungen.
Von:  Ryo-Sayuri
2006-04-13T20:59:12+00:00 13.04.2006 22:59
...
Ich sollte ein Schild aufstellen.
"AVIS HAT EINE TOLLE FF!
JEDER DER KEIN KOMI SCHREIBT, IST NICHT NUR GEMEIN
SONDERN AUCH FIES!"
...
So!

Aber eine klitzekleine Fitzelkritik hätt ich^^°
Du schreibst oft "welche", "welches (sich dort befand)"
Das macht mich manchmal wahnsinnig^^°
Es gibt auch "dies", "das" und so was^-^°°°°°°

Aber sonst!
Freu ich mich auf die nächsten Kaps^^
*knuddel*
Good my dear
Klingt wie deer, aber das ist ein Renntier^^
Von:  Ryo-Sayuri
2006-04-13T20:08:51+00:00 13.04.2006 22:08
AAAAAAAALSOOOOO...
Kritik...
...
...
...
Nyo... Du weißt genauso gut wie ich, dass es bei deinen Storys selten Kritik gibt >.<
...
okay, Lob...
...
*lob lob lob*
^^
Mal wieder ein guter Anfang und ich bin zuversichtlich, dass der Rest genauso gut wird!
Es lehnt zwar an den Doji an, den ich leider im Stich gelassen hab >.<
aber trotzdem ist es toll geschrieben.
Ich wusste gar nicht, dass es damals schon Scharfschützen gab^^
hihi

Weiter so!
Alle, die kein Komi verfasst haben, sind gemein! So!
Von:  DukeTeNebris
2006-03-31T02:19:35+00:00 31.03.2006 04:19
Zum Inhalt:
Hat mir wie zu erwarten äußerst gut gefallen.
Endlich originelles Drama, Action, Gefahr, Risiko und Verderben, und alle
kriegen was ab. Wie im richtigen Leben. Die Figuren werden aus ihrer
Routine gerissen und müssen sich gegen den Untergang wehren.
Und auch Gakorus menschliche Seite, seine Schwäche für Thairss,
kommt zum Vorschein - er scheint doch keine völlig gefühllose
Killermaschine zu sein.
Du gibst sogar Kizu und Dolo Heimvorteil!
Hier können die Charas mal zeigen, was sie drauf haben
und müssen all ihr Können mobilisieren, um ernsthafte Probleme lösen.
Werden alle ihre Charakterzüge beibehalten oder werden sie nachgeben,
sich verändern, dazulernen, stärker werden oder verlieren?
Halten die Loyalitäten? Gibt es Hilfe? Kommen alte Bekannte zum Zuge?
Besonders spannend ist, daß man der glaubhaft tödlichen Gefahren wegen
nicht weiß, ob sie es alle überleben.
Bin sehr gespannt, wie es weitrgeht.

Zum Formalen:
-siehe ENS-
Von: abgemeldet
2006-03-30T19:52:25+00:00 30.03.2006 21:52
Absolut genial...^^ *sprachlos sei*
Von: abgemeldet
2006-03-30T13:18:32+00:00 30.03.2006 15:18
waaaah!!! O_O jaaa gakoru mach sie alleee!!!! *lol* total spannend!!


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