Nicht aus Stein von Vienne (Der Kardinal und das Mädchen) ================================================================================ Kapitel 1: Suche in finsteren Gassen ------------------------------------ Nicht aus Stein Kapitel I: Suche in finsteren Gassen ,Oh wie ich dieses Gezwitscher hasse. So lieblich, so abartig schön. So richtig zum Kotzen.' Gelangweilt lehnte der junge Edelmann Armand Jean Duplessis am Fenster. Er war noch kaum richtig wach. Und eigentlich würde er auch schlafen, hätte dieses Frauenzimmer neben ihm, ihn nicht so unsanft geweckt. "Sagt, was werden wir heute unternehmen?" Armand drehte sich um. Ausdruckslos und mit einer Kälte in den Augen starrte er sie unverholen an. Hatte er eben tatsächlich richtig gehört? Die wollte was mit ihm unternehmen. Womöglich nicht nur heute. Womöglich nicht nur morgen. Womöglich nicht nur die nächsten Wochen. ,Ich hätte es wissen müssen. Immer dasselbe mit ihnen.' Er drehte sich von ihr weg in Richtung Fenster und riss mit einem Male die schweren Damastvorhänge auf. Nicht nur die Vögel gingen ihm auf die nerven, jetzt tat es auch die Sonne. "So schön ist der Tag nun auch nicht, um etwas zu unternehmen. Schaut nur hinaus. Dieses grässliche Sonnenlicht. Es würde Eure vornehme Blässe nur allzu schnell in ein hässliches Braun verwandeln. Ich nehme nicht an, dass es das ist, was Ihr wollt?", ein leicht teuflisches Lächeln umspielte seine Lippen. Wie er es liebte, die Frauen in eine Raserei zu treiben. Wie er es liebte, sie einer Ohnmacht nahe vor die Tür zu setzen. "So wollt Ihr den Tag mit mir im Bett verbringen?", setzte die junge Frau an, doch wurde durch eine unwirsche Handbewegung Armands unterbrochen. "Sagte ich das etwa?", er drehte sich zurück zu ihr. "Sagte ich etwa, ich wolle den Tag weiter mit einer Hure wie Euch im Bett vertreiben? Ich habe bei Gott besseres zu tun, glaubt mir. Und dazu brauche ich Euch nicht. Also verschwindet. Und zwar sofort!" Noch immer lag die Kälte in seinen grau-blauen Augen. Noch immer umspielte dieses teuflische und sogleich verführerische Lächeln seine schmalen Lippen. "Wie konntet Ihr mich nur so sehr ausnutzen? Ich gab mich Euch hin. Ich gab Euch mein Leben. Meine Liebe. Und Ihr tretet sie mit Füßen!", echauffierte sich die junge Frau plötzlich. Da war sie wieder: Diese blanke Hysterie die er so über alle Maßen liebte und auf die er sich jedes Mal diebisch und wie ein kleiner Junge freute. Langsam bewegte er sich auf das Bett zu, in welchem sie immer noch lag. Er beugte sich zu ihr hinunter zu ihrem linken Ohr. Langsam strich er durch ihre blonden Haare und begann leise in ihr Ohr zu hauchen: "Ich bat Euch nie darum, mir Euer Leben zu geben und mir Eure Liebe zu Füßen zu legen. Deshalb, ja deshalb konnte ich sie auch nicht mit Füßen treten. Und ausnutzen... Ich Euch? Das käme mir niemals in den Sinn. Eher würde ich sagen, ist es anders herum. Nicht wahr, meine Liebe?!" Armand erhob sich wieder. Und er sah wieder diesen blanken Hass, den er jedes Mal sah, wenn er Frauenzimmer abservierte. Er begab sich zurück zum Fenster, ohne noch einmal auch nur einen Blick auf die Frau zu werfen, die ihm noch vor wenigen Stunden ausgesprochen wohl gesonnen war. Warum sollte er auch? Er hatte seinen Spaß gehabt. Jetzt war sie ihm nur noch lästig. Ein lauter Knall hinter ihm, ließ ihn gewahr werden, dass sie verschwunden war. "Endlich.", seufzte er erleichtert. Endlich war er wieder für sich. Zumindest noch für eine Weile. Solange, bis sich sein alter Herr wieder auf ihn stürzen würde, um ihn zu einer Heirat zu drängen. Doch soweit wollte er es nicht kommen lassen. Was sollte er mit einer Frau, die ihm ewig ans Bein gebunden war. Er wollte, wenn überhaupt, nur eine für eine Nacht. Nicht für den Rest seines Lebens. Er hatte andere Pläne mit sich selbst. Und nur einer wusste, was er vorhatte. Der Herr selbst. Nur Er wusste von seinen Plänen. Kein zweiter. Und das sollte gefälligst auch so bleiben. Sich zu offenbaren, wäre nur ein Fehler. Armand starrte hinaus in die weiten des Parks. "Oh Herr, wie lange nur soll das noch so weiter gehen? Mein Vater bringt jeden Tag weitere Weiber ins Haus. Von Mal zu Mal werden sie aufdringlicher, dreister. Man sollte meinen, sie wären nur hier, um herum zu huren. Für wahr, ich bin nicht anders. Ich gebe ihnen nach. Wie eine männliche Hure. Doch wenn Ihr mir genügend Kraft geben würdet, dann würde ich auch widerstehen können. Es ist nicht so, dass ich Euch die Schuld gebe, aber ohne Eure Kraft kann ich mein Ziel nicht erreichen. Ich bitte Euch, lasst mich nicht allein." Er sank langsam an der Wand hinunter auf den Boden. Ja, wie sollte er sein Ziel nur ohne den göttlichen Beistand des Herrn erreichen? Wie nur sollte er ohne Ihn seine Studien fortsetzen? Ohne Ihn würde er nur ein kleines Licht unter all den anderen Idioten von Edelmännern bleiben. Ein wahrer Albtraum für ihn. "Zuerst muss ich ihn aus dem Weg schaffen. Er darf mir nicht noch mehr Hurentöchter hierher schleifen. Nur...", langsam stand Armand wieder auf, sein Lächeln, was für kurze Zeit verschwunden war, kehrte nun zurück und das Sonnenlicht spiegelte sich in seinen kalten Augen wieder. "...nur darf ich mir nicht selbst die Hände schmutzig machen. Wie würde das vor dem Herrn aussehen? Ich brauch einen willigen Vollidioten. Einem dem der nötige Verstand fehlt, es mit mir geistig aufzunehmen, aber einen, der die Kraft hat, die Tat durchzuführen. Ich habe die geistige Macht, ich brauche nur einen mit der körperlichen Kraft. Und einen, der mir loyal ist. Denn aus Stein bin ich nicht, so brauch ich einen, der es ist." ******************************** Kaum hatte die Dienerschaft das Essen auf den Tisch gebracht, fing Armands Vater auch schon an: "Wie ich hörte, hatte mein verehrter Sohn heute Nacht Frauenbesuch." "Ihr hörtet richtig, Vater. Eine junge Dame besuchte mich.", gab Armand halb gelangweilt, halb euphorisch von sich, da er auf die diesmalige Reaktion seines Vaters gespannt war. "Nun ja, wie war sie denn? Hatte sie Euch mehr in Euphorie versetzt, als die letzteren?" Um die väterliche Reaktion besser beobachten zu können, sie mehr auszukosten und sich so mehr zu amüsieren, legte er Messer und Gabel von sich, tupfte sich mit der Serviette seine schmalen Lippen ab und lehnte sich zurück. Mit einem süffisanten Grinsen gab er von sich: "Für eine kurze Zeit ja." "Das heißt?" "Das heißt, mein werter Vater, dass sie uns leider schon wieder verlassen hat." In den Augen des Vaters war mit einem Male derselbe Hass zusehen, wie in den Augen der jungen Frau wenige Stunden zuvor. Aber auch die Kälte, wie man sie auch in Armands Augen sah, trat hervor. Unverkennbar, diese Kälte war den Männern der Familie Duplessis in die Wiege gelegt worden. Und auch das gleiche teuflische Lächeln trat auf des Vaters Gesicht. "Was war der Grund dafür?" "Ich denke, sie hatte das Gefühl, dass ich mir nicht sehr viel aus ihr mache." "Nun, ich kann es ihr nicht verdenken." "Spart euch Euer Mitleid, Vater. Ich brauch sie sowieso nicht. Keines dieser Weibsbilder. Sie stören mich nur." "Wobei? Ich wüsste nicht, dass Ihr anderen Interessen nachgehen würdet." Elegant erhob sich Armand von seinem Stuhl, und ging um die lange Tafel hinüber zu seinem Vater. Als er ihn erreicht hatte, beugte er sich ebenso zu ihm hinunter, wie er es schon bei der jungen Frau wenige Stunden zuvor getan hatte. "Meine Interessen gehen Euch nicht im Geringsten an. Merkt Euch das, werter Vater." Mit diesem Satz verließ er stolz den Saal. Noch nie hatte er seinen Sohn so erlebt. Natürlich reagierte er manchmal und vor allem in letzter Zeit über alle Maßen, aber mit solch einem Ton in der Stimme. Der alte Duplessis hatte Mühe, seinen eigenen Sohn wieder zu erkennen. Insgeheim hatte er ihm Angst gemacht. Und er wusste, dass sein Sohn es sehr ernst meinte, sich nicht in seine Interessen einzumischen. Seit ein paar Monaten schon, vergrub sich Armand in seinen Geheimnissen, und kein Mensch wusste, was er den ganzen Tag und Zeit weilend die ganze Nacht in seinen Gemächern trieb. Manchmal sah der Alte seinen Sohn kaum. Nur durch Frauen konnte er ihn noch hervorlocken. Noch. "Es wird nicht mehr lange dauern, und auch diese Bastion wird fallen.", seufzte der Alte. "Was treibt der bloß die ganze Zeit. Hab ich ihm denn nicht alles gegeben? Hab ich ihm nicht die schönsten Frauen vorgeführt? Und nun scheint er all das fallen zu lassen. Was bezweckt er damit?" **************************** Mit einem lauten Knall ließ Armand Jean Duplessis die Tür zu seinem Schreibzimmer hinter sich zu schnappen. Wie schön der Alte doch blass geworden war. Ein zufriedener Seufzer kam über seine Lippen. Es würde ein leichtes sein, ihn ins Jenseits zu befördern. Doch ohne Hilfe? Er brauchte so schnell wie möglich eine rechte Hand, die zu blöd war, um zu erkennen, dass sie eine war. Nur wo sollte so was zu finden sein? Hier, mitten in der Pampa; wohl kaum. Dafür waren sie zu weit weg von Paris, als dass sich hier irgendwelche Gauner herumtreiben würden. Die, die hier waren, waren die Gauner seines Vaters und ihm so loyal gegenüber, wie es nur noch die Musketiere dem König gegenüber waren. "Das Einzigste, was mir bleibt, ist nach Paris zu reiten. Nur, welchen Vorwand soll ich dafür anbringen. Wenn er zu lapidar ist, wird Vater mitkommen. Nun ja, dann würde er vielleicht auch auf offener Straße umgebracht, und keiner würde mir die Schuld geben. Aber das wäre zu leicht. Und einen Dummkopf bräuchte ich trotzdem dafür." Wieder lehnte sich Armand an das Fenster und schaute hinaus. Für wahr, mit Verstand war er reichlich beseelt, also sollte es nicht zu schwer sein, dass ihm eine passende Idee kommen würde. Vielleicht würde auch das Schicksal gut mitspielen, sodass er noch nicht einmal lügen bräuchte. Was wiederum eine Sünde weniger wäre. "Es muss doch etwas geben. Herr, so helft mir doch. Mein Plan ist so perfekt in meinem Kopf verankert, lasst ihn nicht zerfallen. Es ist doch nur, damit ich mein Ziel, unser großes Ziel erreichen kann. Und ohne Euch wird mir das nicht gelingen." Alles hing von Gottes Gnade und seinen Geschicken ab. Und das wusste Armand. Das wusste er, seit er ein kleiner Junge war. Und er wusste es so genau, wie er wusste, was er in seinem Leben erreichen wollte: Er wollte keine Null sein, so wie die anderen dümmlichen Edelmänner Frankreichs. Sie waren alle so dumm. Sie heirateten, zeugten, was es zu zeugen gab, hielten sich Mätressen und traten genauso reich und dumm wieder vor ihren Schöpfer, den sie ehemals verlassen hatten. So wie sie, so wollte Armand nie enden. Er wollte an die Spitze des Staates. Wenn er schon nicht als Bourbon geboren worden war, so würde er dennoch für einen dienen und ihn lenken. Er würde an die Spitze des Staates gelangen und den König, der im Grunde nicht besser war, als alle anderen reichen Schwachsinnigen, lenken und ihn sich gefügig machen. Er, Armand Jean Duplessis, würde die Geschicke des Staates lenken, alle würden auf ihn hören. Er würde der mächtigste Mann in Frankreich sein! "Pierre!" Ein hagerer alter Mann erschien im Schreibzimmer Armands und verbeugte sich tief. Seine Wangen waren bereits eingefallen und seine Haare waren mausgrau. So lange sich Armand daran erinnern konnte, sah Pierre schon so aus. Doch mittlerweile hatte er schon das siebzigste Lebensjahr überschritten. Armands Vater ihn schon längst aus seinen Diensten entlassen. Als Armand es damals erfahren hatte, übernahm er Pierre in seine Dienste. Und er hätte sich keinen besseren aussuchen können. Pierre war verschwiegen, wie kein zweiter. Alles was ihm Armand anvertraute, behielt er schweigend für sich. Nie ließ er sich auch nur von den Schurken des alten Duplessis einschüchtern, wenn diese im Auftrag ihres Herrn eine Depesche des Sohnes abfangen wollten. Selten oder besser gesagt, so gut wie nie, kamen sie ohne blaue Flecken, Kratzspuren oder Bisswunden weg. Armand fand es jedes Mal amüsant, wenn ihm Pierre erzählte, wie er einen von ihnen, wieder verhauen hatte. "Wozu hab ich schließlich meinen Stock?", beliebte er jedes Mal zu sagen, "Gehen kann ich eigentlich auch ohne ihn." Und jedes Mal musste Armand Tränen lachen. Erstaunt war er auch immer, wenn ihm der alte erzählte, dass er einen von den Idioten des Vaters gebissen hätte. "Wie macht Ihr das, Pierre? Wo Ihr doch keine Zähne mehr im Mund habt?" "Na kleine Stummel hab ich ja noch, und den Rest erledigt ein starker Kiefer." Armand hatte Respekt vor dem alten Kerl. Als einzigen aus der Dienerschaft, sprach er ihn ehrfurchtsvoll mit "Ihr" an. Aber nie würde er ihm den Plan verraten, den er nun schmiedete. den Plan seinen Vater zu töten. Oder besser töten zu lassen. Es wäre vielleicht doch etwas zu viel für den alten Herrn. "Ihr liest mich rufen, mein Herr?!" Wie aus einem Traum erwachte Armand. "Mein Herr, geht es euch nicht gut?" "Doch, doch mir geht es gut.", besann sich Armand wieder. "Was kann ich für Euch tun?" "Ihr werdet mit mir nach Paris kommen." "Aus welchem Grund?" "Tja, dass ist die Frage. Mir ist nämlich noch keiner eingefallen.", gab Armand zu. "Also, Sie könnten einen alten Studienbekannten treffen, wenn Sie denn wollen." "Würde schon, aber mein Vater weiß leider nur allzu gut, dass ich mit den Idioten nie sehr viel am Hut hatte." Der alte Pierre stützte sich auf seinen Stock. Armand wusste nur zu gut, dass es jetzt in ihm arbeitet. Genauso wie es in ihm arbeitet. Doch ihm kam partout keine Idee in den Sinn. "Ach verflucht! Ich kann noch nicht mal sagen, dass ich auf Brautschau gehe, dass wäre zu unpassend für mich.", rief Armand plötzlich laut aus, sodass der arme Pierre zusammen zuckte. "Und wenn Ihr Eurem Vater gar nichts sagen würdet?" "Hmmm, das könnte klappen." Sein kurzes Lächeln verwandelte sich in ein kaltes Lachen. "Soll ich packen lassen?", fragte Pierre und ein kurzes Nicken bestätigte seine Frage, sodass er sogleich in die anderen Gemächer seines Herrn verschwand. Anscheinend hatte der Herr dringende Dinge in der Hauptstadt zu erledigen. Er schien keine Zeit verlieren zu wollen. Und Pierre ließ der Gedanke nicht los, dass es nicht nur mit dem liebsten Wunsch seines Herrn zu tun hatte. Da schien noch etwas zu sein, was den jungen Mann so plötzlich nach Paris trieb. Ihn, der sich sonst von jeglichen Lärm der Großstadt fern hielt. "Oh Herr, danke für diesen Mann!", mit diesen Worten griff Armand Jean Duplessis nach seinem Reiseumhang und verließ sein Gemach durch eine Geheimtür. Sollte sein Vater ihn ruhig suchen lassen. Wenn er ihn findet, würde es zu spät sein. ********************************* Sie waren kaum in Paris und in einer Herberge angekommen, als sich Armand schon wieder aufmachte. Gegen gutes Geld schickte er ein paar Männer aus, ohne den Plan den er hegte jedoch zu erklären. Sie sollten ihm einfach einen fähigen Mann herbeischaffen, der sein Handwerk versteht. Und er brauchte auch nicht lange zu warten, als einer der Männer auch schon wieder zurückkehrte. Armand entfernte sich etwas vom alten Pierre, und begann mit dem Fremden eine kleine und leise Unterredung. Pierre konnte nur ab und an ein Nicken vernehmen und ein leises aber feines Lachen seines Herrn. Immer mehr bekam er das Gefühl, dass sein Herr diesmal nichts Gutes im Schilde führte. Er kannte seinen Herrn zu gut und wusste, was auch immer er getan hatte, noch nie hatte er sich nach Handlangern umgeschaut, geschweige denn sich welchen bedient. Aber solange Armand nicht an ihn wandte, ging es ihn auch nichts an. Auch wenn ihm das Wohl seines jungen Herrn am Herzen lag. Es war sicher auch für seinen größten Wunsch. Nach wenigen Minuten, dem alten Pierre kam es vor wie Stunden, kehrte Armand zurück zum Tisch. Er verzog keine Miene und nicht zum ersten Mal kam es dem alten Diener vor, als zeige der junge Mann der ganzen Welt nur eine Maske. Niemand schien hinter seine Fassade blicken zu können. Es war, als wäre er aus Stein. "Pierre, bezieh du das Quartier, ich habe noch etwas zu erledigen." Und ohne einen weiteren Satz stand Armand auf und verließ die Gaststube der Herberge. Sein Weg führte ihn in eine dunkle Gasse, nicht weit entfernt von der Bastille. Noch nie war er einem solchem Elend begegnet. Bettler, Huren und Zurückgebliebene. So viele, dass er sie kaum zählen konnte. Und hier sollte er also einen Mann treffen? Er sah sich um. Niemand war zu sehen. In der Gosse knieten Kinder und spielten mit dem Unrat der halben Stadt. An den Häuserwänden standen Huren und boten sich an. Links und rechts von ihm saßen Bettler, teils fehlten ihnen komplette Gliedmaßen. Es war erschreckend. Und der Geruch war unerträglich. Armand hielt sich ein Taschentuch vor den Mund und die Nase. Und noch immer konnte er niemanden sehen, der nach einem Handlanger aussah. Vorsichtig und darauf bedacht, wenigstens nur die Schuhe zu beschmutzen. Am Ende der Gasse sah er auch nur einen Einäugigen. Zumindest ließ das die Augenklappe schließen. Und eben jener winkte ihn zu sich. "Seit Ihr Armand Jean Duplessis?" "Ja, warum fragt ihr?" "Weil ich derjenige bin, den Ihr sucht." Armand betrachtete den Kerl genauer. Er war sogar noch etwas jünger als er. Vielleicht fünf oder sechs Jahre. "Ich suche jemanden, mit dem ich meine Pläne verwirklichen kann." "Aha!" "Ich suche jemanden, der mich nicht in Frage stellt.", fuhr Armand fort und zupfte teilnahmslos an seinem Lederhandschuh herum. "Aha!" "Ich suche jemanden, der mir loyal gegenüber ist." "Denjenigen habt Ihr bereits gefunden, mein Herr!", schnurrte der Fremde und zog sogleich den Hut. Armand gefiel es. Diese Schmeicheleien, egal ob ehrlich oder nicht. Hauptsache er tat seine Arbeit gut. "Dürfte ich den Namen meines neuen Herrn wissen?" Und wieder zog er den Hut und verbeugte sich so tief, das der junge Mann hätte schwören können, der Fremde würde seine Zehenspitzen berühren. "Ihr dürft, aber nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit.", zischte Armand. "Selbstverständlich." "Der Name Eures neuen Herrn ist Armand Jean Duplessis. Das sollte Euch reichen.", Armand wartete auf die Bestätigung dazu, welche durch ein Nicken kam. "Und Eurer? Oder soll ich Euch nur den "Einäugigen" nennen?" Die Kälte war zurück in seinen Augen. Für kurze Zeit hatte er sie verloren. Er gab diesem widerwärtigem Gestank die Schuld, doch nun, dass er seinen eigenen Handlanger hatte, seine eigene rechte Hand, kam sie zurück. Ihn durchströmte wieder dieses Gefühl von Macht. "Nennt mich Rochefort." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)