Nicht aus Stein von Vienne (Der Kardinal und das Mädchen) ================================================================================ Kapitel 13: Hinterhalt ---------------------- Kapitel XIII: Hinterhalt Nancy war schwieriger zu erobern als alle anderen Städte vorher. Richelieu dachte, er hätte mit Reims das schlimmste hinter sich, doch Nancy trieb ihn fast in den Wahnsinn. Maries Brief war nur ein kleiner Trost. Beantworten wollte er ihn jedoch nicht. Sein geliebter Engel war schon besorgt um ihn genug. Noch so ein ähnlicher Brief wie aus Reims und sie würde sofort und unter allen Umständen hier auftauchen. Die Gefahr wäre viel zu groß. Es wäre natürlich eine Möglichkeit, ihr alles über Nancy zu verschwiegen, doch Marie war klug genug, um das zu durchschauen. Also schrieb er ihr erst gar nicht, auch wenn es sein Herz brach. Richelieu saß nachdenklich in seinem Stuhl, das Gesicht in den Händen vergraben. Die Reise von Reims nach Nancy hatte ihn ausgelaugt. Die Reise hatte nur drei Tage gedauert, aber das Wetter war zum Reisen völlig ungeeignet. Es regnete die ersten zwei Tage ununterbrochen. Den letzten Tag war es eisig kalt und der Wind pfiff aus jeder Ritze in die Kutsche hinein. Die Hälfte seiner Soldaten war erkältet und lag teilweise mit Fieber im Krankenzelt. Jetzt waren sie schon sieben Tage in Nancy und hatten kaum Fortschritte erzielt. Sie hatten gerade mal genug Soldaten, um die Vorstädte zu durchkämmen, allerdings fand man dort nur wenige bis gar keine Hugenotten. Doch hinter den Stadtmauern Nancys sah es da schon anders aus: Die Stadt war gerade zu überfüllt von fliehenden Hugenotten. Im Lager von Richelieu witzelte man schon, dass man auf jedem Meter vier Hugenotten finden würde. Für Richelieus Geschmack waren das vier Hugenotten zu viel. Doch ihm fehlten die Männer, um diese vier und die restlichen festzunehmen. Zwar hatte er ein schrieben an den König verfasst, dass er mehr Männer bräuchte, um Nancy zu befreien. Aber die Antwort war knapp. Es können keine weiteren Soldaten geschickt werden, da man sonst nicht mehr für die Sicherheit Seiner Majestät garantieren könne. Die knappen Worte des Kardinals. Richelieu wünschte ihn zum Teufel. „Den Kardinal zum Teufel und mich zu Marie.“, murmelte er leise zu sich selbst. Er nahm den Brief von Marie, der ihm vor ein paar Stunden überbracht worden war und las ihn erneut. Sie wünschte sich zu ihm und er sich zu ihr. Doch was sie trennte, waren die Hugenotten. Und es war noch kein Ende in Sicht. Wie Marie jetzt wohl aussah? Sie schrieb, sie suche schon nach neuen Kleidern, also musste schon etwas zu sehen sein. Sie sah bestimmt noch schöner aus, noch schöner als vorher. Richelieu vermisste seine Frau aus vollem Herzen. „Eminenz!“ Richelieu drehte sich in Richtung des Zelteingangs. „Was gibt es, Raoul?“ Ein junger Mann stand im Zelt und verneigte sich. Er war kaum älter als fünfundzwanzig Jahre und erst seit einem Jahr in der Garde der Musketiere. Raoul Baisieré stammt aus der Provence. Sein Teint machte es nur allzu gut sichtbar. Und Richelieu hätte schwören können, dass Raoul immer nach Lavendel roch. Raoul genoss das Vertrauen des Bischofs und wusste auch, es zu schätzen. „Ich hoffe, Eminenz haben noch nicht zu Abend gegessen?“, Raoul schaute Richelieu scheu an. In seinen Augen war Richelieu der Typ von Mann, der für seine Ziele kämpfen würde und nur privat ein anderes Gesicht zeigen könne. „Doch, das habe ich. Vor einer halben Stunde hat man das Essen abgetragen. Doch warum fragt Ihr? Wolltet Ihr mir dabei Gesellschaft leisten?“ „Nun ja, das weniger, nur habe ich den Gedanken, dass Ihr Euer Essen, verzeiht mir den Ausdruck, nicht lange in Euch behalten werdet, wenn Ihr meine Nachricht erfahrt.“ Richelieu erhob sich von seinem Stuhl. Sein erster Gedanke galt Marie. Vielleicht war ja ihr etwas passiert. „Was habt Ihr für Nachrichten?“ „Diese hier.“, Raoul trat bei Seite und ein Soldat niederen Ranges kam nun ebenfalls ins Zelt. In seiner Hand der Kopf des Pastors der Stadtkirche von Nancy. Fassungslos starrte Richelieu minutenlang auf den Kopf. Ein schmerzverzerrtes Gesicht mit leeren Augen starrte ihn an. Aus dem Hals tropfte unaufhaltsam warmes Blut. Die Haare klebten am Gesicht und Kopf. Richelieu musste sich regelrecht von diesem Anblick losreißen: „Schafft ihn weg!“ Der Soldat schaute ihn, erschrocken von dem wütenden Tonfall Richelieus, verwirrt an. „Na los, schafft ihn weg! Wird’s bald?“ Fast in Panik verließ der Soldat das Zelt. Richelieu wandte sich vom Eingang ab und setzte sich auf seinen Stuhl. „Geht es Eurer Eminenz gut?“ In Raouls Stimme lag ein Hauch von Sorge. Doch er konnte nicht sehen, wie bleich Richelieu in jenem Moment war. „Ja, es geht mir gut. Wie ist es dazu gekommen?“ „Der Pastor war gerade auf den Weg zu unserem Lager. Er wollte wohl Schutz bei uns suchen. Doch er wurde in einen Hinterhalt gelockt. Ich und zwei Soldaten warteten am westlichen Stadttor auf ihn. Doch alles was wir bekamen, war sein Kopf. Gebracht von zwei Kindern.“ „Von Kindern?“, Richelieu starrte Raoul fassungslos an. „Ja, Eure Eminenz, von Kindern. Beide nicht älter als zehn Jahre. Ein Junge und ein Mädchen.“ „Hugenotten?“ „Nein.“ „Warum seid Ihr euch so sicher?“ „Sie trugen einen Zettel bei sich.“, Raoul ging ein paar Schritte auf Richelieu zu und überreichte ihm einen blutverschmierten Zettel. „An Seine Eminenz, den Bischof Richelieu, Wie Ihr seht, laufen einige Eurer Verbündeten schon kopflos umher. Einschließlich die Eltern dieser heidnischen Kinder! Die Kinder reichten gerade noch dazu, für uns den Boten zu stellen. Sie werden es nicht mehr lange machen. Genauso wenig wie Ihr und Eure Schergen. Lange haltet Ihr es nicht mehr aus. Wir erwarten also Euren Rückzug.“ Keine Unterschrift war darauf zu finden. Und Richelieu war ratlos. „Eminenz, was soll mit den Kindern geschehen?“ „Wo sind sie jetzt?“ „Sie warten vor Eurem Zelt.“ „Schickt sie mir herein. Und geht dann mit den Männern auf Patrouille um die Stadtmauer. Nicht das wir noch mehr Köpfe finden. Attackiert sie von außen mit Bomben, Pfeilen und Musketenkugeln. Beschießt sie mit allem was Ihr finden könnt. Und wenn es nur Gabeln und Messer sind. Nur in Gottes Namen, räuchert diese verdammten Hurensöhne aus!“ Richelieu stand schon wieder und griff nach seiner Robe. Er schäumte vor Wut. Nie hatte jemand so seine Wut bis ins Unendliche gereizt, wie es diese Hugenotten von Nancy taten. Raoul wusste, dass er besser nur noch ein knappes „Ja!“ zur Antwort gab. Er verneigte sich tief vor dem Bischof und verließ rückwärts gehend das Zelt. Keine zwei Minuten später standen Richelieu zwei verschreckte Kinder gegenüber. Das Mädchen war am weinen, der Junge schaute Richelieu trotzig an. Richelieu beugte sich zu dem Mädchen hinunter. „Wie heißt du?“ Das Mädchen schaute ihn, noch immer weinend, scheu an. „Julie!“ Richelieu schaute zu dem Jungen. „Sie heißt Julie und ich bin Laurien. Sie ist sieben und ich neun.“ „Habt ihr Hunger?“ Die Kinder nickten und Richelieu ließ sofort einem Diener Bescheid geben, Essen zu bringen. Während sie warteten, nahm Richelieu Julie auf den Arm und Laurien setzte sich wagemutig an den Schreibtisch von Richelieu. „Mama und Papa sind tot.“, begann Julie leise zu erzählen. „Böse Männer haben sie getötet.“ Sie begann wieder zu weinen. Liebevoll strich Richelieu ihr über die blonden Haare. „Still, es wird alles wieder gut.“ „Wohin kommen wir nun?“, Laurin sah Richelieu mit Angst in den Augen an. „Ich werde Euch nach Paris schicken. Dort habe ich einen lieben Freund. Er wird sich sehr, sehr gut um euch kümmern.“ „Ist er reich?“ „Ja, dass ist er.“, Richelieu grinste Laurin an. „Aber erst einmal werdet ihr was Richtiges zu essen bekommen, euch ausschlafen und dann schicke ich euch nach Paris.“ Laurin und Julie nickten. Keine fünf Minuten später kam das Essen für die beiden, welches sie eifrig verschlangen. ************************************** Die nächsten drei Tage verbrachte Richelieu in seinem Zelt und schmiedete Pläne. Die Kinder hatten ihn gestern in Richtung Paris verlassen mit einem Schreiben an den Compte du Marseillié. Richelieu wusste, dass sich die Comptesse mit Freuden um Julie und Laurien kümmern würde. Vor allem da die Comptesse keine Kinder bekommen konnte. Am vierten Tag trat Richelieu aus seinem Zelt und bestellte Raoul zu sich. „Eminenz!“, Raoul verbeugte sich. „Lasst die Vorstädte ruhen. Sucht alle fähigen Soldaten zusammen.“ „Was haben Eure Eminenz denn vor?“, Raoul schaute ihn überrascht an. Was wohl? Wir stürmen die Stadt. Morgen in aller Frühe. Noch vor Sonnenaufgang.“ Raoul blieb nur ein stummes Nicken, dann begab er sich zu den anderen Lagern und trommelte die Soldaten zusammen. ************************************** „Eminenz, das Stadtpalais wurde von unseren Männern eingenommen.“, Raoul rief Richelieu die Nachricht zu, als dieser an ihm vorbei ritt. „Sehr gut, weiter so!“, war die antwort, die er zurückbekam. Richelieu ritt wie ein Wilder durch die Straßen Nancys. Überall bekam er gute Nachrichten zu hören. Nun war also auch das Stadtpalais eingenommen wurden. Die letzte Bastion der Hugenotten. Von nun an sollte also alles glatt gehen. Diese würde die letzte Schlacht sein. Die allerletzte. Dann würde er zurück nach Paris können. Er würde seine geliebte Marie wiedersehen. Euphorisch ritt er durch die Gassen, bahnte sich einen Weg durch die kämpfenden, durch seine Soldaten. Ihm gingen die Worte seines Engels durch den Kopf: „Begib dich nicht mit Absicht in die Gefahr! Es mag jetzt hart und herzlos klingen, aber du hast Soldaten. Sie sind dafür ausgebildet.“ Doch wenn er genauer darüber nachdachte, tat er das gerade. Er begab sich absichtlich in Gefahr. Er ritt, zwar mit eisernem Brustpanzer, durch die umkämpfenden Straßen von Nancy. Das durfte und sollte Marie nicht erfahren. Selbst wenn er ohne Kratzer heim kommen würde. Sie würde ihm Vorwürfe machen. Und das wollte er nicht. Sie sollte ihn unbeschadet wieder bekommen. Ohne trübe Gedanken. Ein Lächeln zauberte sich auf sein Gesicht. Doch das Lächeln sollte er sofort bereuen. Ein lauter Schrei ließ Raoul den Degen senken, sich auf sein Pferd schwingen und in die Richtung reiten, aus der der Schrei kam. Sein Pferd hatte bereits Schaum vorm Maul, doch Raoul trieb es immer weiter. Er schickte Stoßgebete zu Himmel, dass es nicht der Mann sein möge, den er bewunderte. Das Gott nicht den Bischof zu sich genommen hatte. Er verscheuchte seine dunklen Gedanken daran und preschte auf seinem schwarzen Wallach um die Ecke. In einem Zug sprang er ab, als er den Bischof auf dem Boden liegen sah und rannte zu ihm. „Eminenz, Eminenz, seid Ihr schwer verletzt? Könnt Ihr sprechen? Aufstehen?“ „Ja, es ist nur der Arm. Und durch den Sturz vom Pferd der Knöchel.“ Raoul half Richelieu beim Aufstehen und stützte ihn. „Was ist denn genau passiert?“ „Ich kam hier um die Ecke und in dem Moment traf mich auch schon eine Kugel. Doch sie ist nicht ins Fleisch eingedrungen. Es ist nur ein Streifschuss. Macht Euch keine allzu großen Sorgen darum.“ Raoul nickte und half Richelieu auf seinen Wallach. Er stieg hinter ihm auf und zusammen ritten sie in Richtung des Lagers. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)