Jäger der Finsternis von Traumfaengero_- ================================================================================ Kapitel 9 --------- Kapitel 9 Die Sonne schien so warm und hell aus einem azurblauen Himmel, wie sie es seit Wochen nicht mehr gemacht hatte. Die Vögel zwitscherten vergnügt und in den Bäumen und Blumen schien noch einmal ein Frühling erblüht zu sein. Kinder spielten lachend in den Gassen und Hunde bellten schwanzwedelnd den Passanten zu. Er hatte eigentlich kein Aufsehen erregen wollen, aber seine liebste Reiseart war und blieb die Pferdekutsche. Heutzutage musste man diesem Gefährt leider auch zuschreiben, dass es nicht das schnellste war und durch fehlende Wege meist doppelt so langer Stecken bedurfte. Der unglaublich vorsichtige Fahrstil des Kutschers verhinderte dieses nicht gerade. All diese Tatsachen sorgten leider Gottes dafür, dass er nur selten in den Genuss solcher Reisen kam. Eine weitere Freude war auch das verdrießliche Gesicht seines Sekretärs, der weder für Pferde, noch für Kutschen irgendetwas übrig hatte. Ebenso musste er nicht durch grüne Walachei und über holperige Sandwege fahren, schon gar nicht bei den heutigen, sehr bequemen Reisemitteln. Umso glücklicher war sein Sekretär also, wenn er genau bis auf den letzten Meter ausrechnen konnte, wie viel besser doch das Auto oder der Zug waren und er dafür leidvolle Zustimmung bekam. Auch dieses Mal hatte er es wieder versucht, doch war ihm zu seinem unerträglichen Leidwesen der alte Kutschweg zwischen den beiden Städten nicht bekannt gewesen. Und nun durfte er hier in dieser miesen, wackeligen und harten Pferdkutsche sitzen. Mit einem Lächeln auf den schmalen Lippen lehnte er sich bei dem unglücklichen Seufzen seines Gegenübers vor und blickte versonnen auf die kargen Felder, die sich links und rechts des Weges erstreckten. Er lächelte nicht besonders oft, aber die warme Sonne auf den nackten Äckern war wie ein Geschenk Gottes. „Herr Bischof.“ Er hob verwundert den Kopf und stellte fest, dass ihm sein Sekretär nicht mehr gegenüber saß. Er hatte sich bis an das Fenster auf der anderen Seite zurückgezogen und starrte mit gefalteten Händen hinaus. Er war ein junger Mann, schwarze, kurze Haare und ernste graue Augen, die aus einem mageren Gesicht blickten. Er überragte den Bischof sicher bis um zwei Kopfeslängen und kannte wohl die ganze Bibel auswendig. „Ist es nicht auffällig?“ Der Unmut über die Kutsche konnte es nicht wieder sein. So runzelte der Bischof nur die Stirn und lehnte sich zurück. Er wartete auf die nächsten Sätze, so war der Schwarzhaarige immer, fing etwas an und sprach erst Minuten später weiter. Es war beinahe, als wollte er einem erst die Möglichkeit aufzwingen, über alle Auslegungen der Worte nachzudenken. Dabei waren das oft so viele, dass man es selbst in einer Stunde nicht geschafft hätte. Hier wäre die Frage, nach dem was und ehrlicherweise konnte er damit alles meinen. Von dem heute morgen leicht ungewohnten Verhalten des Bruders Lucas bis hin zur Sonne. „Vor etlichen Jahren ward ihr mit der selben Aufgabe betraut wie heute.“ Der Bischof schwieg. Leise schloss er die Augen und nickte nur stumm. Ja, er war vor langer Zeit einmal unterwegs gewesen. Da kannte er Bruder Manuel noch nicht. Und wenn man es genau nahm, wiederholte sich alles. So wie er damals auf der Reise war, um den heutigen Meister zum Schüler zu ernennen, so ernannte er heute eine Schülerin. Seine Stimme war gedämpft und wie immer mit dieser belegten Art gedrückt, als er zu seinem Sekretär sprach. „Bruder Manuel, du magst Recht haben, ohne es wirklich zu wissen. Pater Redfort wurde von mir in diesen Orden aufgenommen, ja, aber nicht nur er. Auch sein Meister wurde durch meinen Segen ernannt.“ Verwirrt starrte der junge Mann zu ihm herüber, in seinen grauen Augen war klar zu erkennen, dass diese Aussage doch völliger Schwachsinn sein musste. Schnell überschlug er noch einmal sein Wissen und schüttelte dann den Kopf. „Euer Hochwürden, ich will nicht unhöflich sein, aber der Pater ist 58 Jahre alt, er wurde mit 19 Jahren in den Orden aufgenommen und sein Meister war damals 62. Wie sollte das gehen?“ Er konnte so auf Anhieb nicht genau das Alter bestimmen, in dem dieser dem Orden beigetreten war, aber auch er konnte auf keinen Fall älter als 30 gewesen sein. „Dann müssten sie ja an die 100 Jahre alt sein!“ protestierte er leicht aufgeregt und seine Augen fixierten den alten Mann vor sich. Dieser kicherte nur. „So schlecht ist die Rechung nicht. Aber glauben sie mir, wenn ich in diesem Alter wäre, würde ich ihnen dann noch wie ein Jungspund auf der Nase herum tanzen?“ --- Mit einem gelangweilten Gähnen lauschte er den Ausführungen der Manager und seine goldenen Augen funkelten hinter der schwarzen Sonnenbrille. Wenn er sich vorstellte, dass er all diese alten Knacker mit Vorliebe durch die dunklen Straßen jagen würde, ihre Hilfeschreie wie Musik in seinen Ohren klängen und ihr Blut seinen Hunger vorzüglich zu stillen wüsste... Ja, so ungerecht konnte das Leben sein. Er fragte sich mittlerweile wirklich, warum er diesen Termin nicht abgesagt hatte. Seine schlanken Finger fuhren suchend über die Stuhllehne und er hörte ihnen mittlerweile kaum noch zu. „Wo ist eigentlich Angelina?“ Er fixierte den gerade Sprechenden und musste innerlich genüsslich darüber lachen, wie genau dieser eben das spüren konnte. Schweiß trat dem beleibten Mann auf die Stirn und er schaute sich Hilfe suchend zu den anderen 8 Männern im Raum um. Sie alle drückten sich eher verlegen in ihren Sessel herum, schoben ihre Akten unruhig auf dem großen Ebenholztisch herum und starrten überall hin, nur nicht zu einem der beiden stehenden. „Ich bin nicht gerade geduldig, wenn es um Antworten geht, also meine Herren?“ In seine Stimme hatte sich ein kalter Unterton eingeschoben und sein rechter Zeigefinger tippte ärgerlich auf die Stuhllehne, sodass ein leises aber eindringliches Geräusch entstand. „Nun ja,... es ist ja nicht so, dass wir Frau Richter nicht hier haben wollten.... nur... also,...“ Er räusperte sich verlegen, suchte nach den richtigen Worten und zog ein weißes Taschentuch aus der Hosentasche. Fahrig mit zitternder Hand wischte er sich damit über die Stirn und starrte zu seinem Nebenmann. „Es ist nur...“ Noch einmal versuchte er sich im Räuspern und schaute mit bleichem Gesicht über den Tisch hinweg. Seine Hände begannen das weise Tuch zu bearbeiten, hin und her zu drehen ohne irgendeine Idee zu bekommen. „Sie ließ sich einfach nur entschuldigen, einen Grund nannte sie nicht...“ stotterte der schlaksige Mann neben ihm und dankbar wich sein Blick zu ihm. Die wenigen blassen Haare hingen leicht wirr nach hinten gekämmt, die kleinen Augen wurden durch dicke Brillengläser stark vergrößert. Vorsichtig strich er sich eine Falte aus dem weißen Hemd, drehte dann seinen goldenen Ehering vor und zurück, um einen Grund zu haben, auf seine Hände zu starren. „Wenn sie darauf bestehen, können wir die Sitzung ja verlegen und warten, bis Frau Richter wieder kann...“ Versuchte er hilflos anzubieten und wagte nur einen kurzen Blick zum Tischende hin. „Ihre Meinung ist ja nicht ... ich meine, sie sollte auch die Möglichkeit haben, etwas sagen zu können.“ Mehr als ein halbwegs zusammenhängendes Stottern entfloh seinen Lippen nicht mehr. „Da haben sie Recht, meine Herren! Meine Meinung sollte auf keinen Fall fehlen!“ Mit einem breiten Lächeln stand sie in der offenen Tür, eine große Stofftasche in der Hand und kurz dem Schwarzgekleideten zunickend. Die blonden Haare fielen in wilden Locken um ihre Schultern und das Gesicht, die vollen Brüste wurden von einem großen, blauen Pullover verdeckt und eine rote Perlenkette schmiegte sich auf den Stoff. Lachend schloss sie die Tür hinter sich und schritt auf den letzten freien Stuhl zu. Mit einer lässigen Handbewegung ließ sie die rote Tasche auf dem Holz zum Ruhen kommen und ohne noch einmal einen weiteren Gedanken an die Tat ihrer „Kollegen“ zu verschwenden, sprach sie gleich weiter. „Graf, ich kann ihnen nur von diesem Geschäft abraten. Sie vertreten hier immerhin eine der Stadtgrößten Niederlassungen. Sie haben sich schon gewehrt an die Börse zu gehen, ihre Konkurrenz geht gerade mit Stock und Traube unter! Eine Fusion wäre ihre Machtaufgabe und ein Eingeständnis, dass kleine Firmen wie wir, nicht im Stande dazu sind uns lange genug auf dem Markt halten zu können!“ Während ihrer Worte gestikulierte sie ausfallend. Die blauen Augen waren auf den Mann neben sich gerichtet, den sie trotz des Stehens nicht überragte. Er hatte nichts erwidert, keine Regung von sich gegeben, seit sie den Raum betreten hatte. Nun begann zum ersten Mal Leben in ihn zurück zu kehren und seine kalte Stimme erhob sich in die Stille, die ihre Worte hinterlassen hatten. „Angelina, Angelina,... Kind, du bist die einzige hier, die mir davon abrät. Warum sollte ich einer so unpünktlichen, kindischen Frau, deren Buchumfang jedem Wahlross den Sieg absprechen würde, mehr glauben, als einem ganzen Konsortium von erfahrenen Männern?“ Er hob den Kopf, die Sonnenbrille verbarg den Blick seiner Augen, doch waren diese ohne Zweifel auf die Blondine neben sich gerichtet. Lachend legten sich die rauen Hände auf den dicken Bauch, der sich unter einem Ziegelsteinroten Rock spannte. „Und die nebenher auch keinerlei Modegeschmack hat!“ Ergänzte der silberhaarige Mann mit einem höhnischen Lächeln. Das nur immer lauter werdende Lachen der jungen Frau brachte ihn zu einem leicht verwunderten Hochziehen einer Augenbraue und abwartend lehnte er sich in den Sessel zurück. Sie schien nicht den Eindruck zu erwecken, sich besonders darüber zu ärgern. Warum sollte sie auch? „Oh Graf Luzifer! Sie sind mir einer. Haben jemals 6 Monate alte Zwillingsföten in ihrem Bauch Platz haben wollen? Ich glaube kaum. Davon einmal abgesehen, dass ab einem gewissen Bauchumfang die Mode seeeehr uninteressant wird. Ständige Rückenschmerzen machen einem das Leben nicht gerade leichter.“ Sie strich noch einmal mit beiden Händen über den Bauch, bevor sie ihren eigenen Stuhl nach vorne zog und sich dann vorsichtig hinein sinken ließ. „Und genau das ist auch der Grund dafür. Ich bin in der 13. Generation auf einer Weinfarm aufgewachsen, da hat man ein gewisses Wissen, das anderen nicht gehört.“ Sie grinste breit, angelte ihre Tasche zu sich her und fischte nach einem Glas Gurken. Sie öffnete es ohne große Anstrengungen und besah sich den Inhalt mit einem begierigen Funkeln in den Augen. „Hm, leider hab ich jetzt keine Marmelade hier…“ Geschickt tauchten Zeige- und Mittelfinger in das saure Wasser des Glases ein und holten eine der kleinen, schrumpeligen Gurken hervor. Die 9 Männer im Raum betrachteten sie mit einer gewissen Missstimmung keiner von ihnen war darüber erfreut, sie heute doch hier zu sehen. Ihr Auftrag war immerhin diese Firma, dieses verdammte Stück Dreck von Wesen, dass sich Graf Luzifer nannte, bis unter den Ruin zu treiben. Wer von ihnen konnte schon sagen, dass sie sehr erfolgreich waren? Keiner! Und das war auch das große, unüberwindbare Problem, dass sich nun da in den zwei Sesseln rekelte. Dieser weißhaarige Nichtsnutz schien dieses fette Wallross ständig zu bevorzugen. Was sollten sie schon dagegen tun? Nun hatten sie ihr extra einen falschen Termin genant und doch war sie mit nur leichter Verspätung hier eingetroffen. Was konnte man denn noch tun? Sie hatten beinahe alles Unauffällige versucht, um sie aus dem Verkehr zu bekommen. Unsummen von Geld hatten sie darin investiert. Keiner konnte sich bisher ihrer Macht entziehen, keiner schaffte es, sein Geschäft lange vor dem Ruin zu retten, wenn sie einen Auftrag hatten. Aber hier geschah gar nichts. Alle ihre Versuche landeten an nur einem einzigen Punkt: Luzifer verachtete sie immer mehr. Teilweise bekamen sie schon den Eindruck, er würde mit ihnen spielen, sie bis auf das Letzte reizen und sein einziges Interesse lag bei dieser kleinen Schlampe! Luzifer lächelte in sich hinein. Sie war einfach genau das, was er von ihr erwartete. Ihr Vater hatte sie gut erzogen, sie in dieses Geschäft von vorne herein eingeweiht. Ihr war alles bekannt, auf den Feldern hatte sie schon gestanden und mit ihren eigenen Händen die Reben gepflückt. Sie war dabei gewesen, als die Ernte eingefahren wurde, wenn der Wein in seiner Form aus den Trauben gepresst und in den Fässern zum ersten Mal zum Ruhen kam. Sie wusste, um was es ging, wenn sie davon sprach. Ihr Wissen war jetzt schon größer, als das so manches anderen erfahrenden Weinbauers. Sie konnte die Weine schon am Geruch erkennen, aus ihrer Farbe konnte sie beinahe die gesamte Herkunft und Geschichte erfahren und ein Schluck reichte, um ihr auch noch das letzte Geheimnis zu entreißen. Leider Teufels waren ihre diese Fähigkeiten zur Zeit etwas abhanden gekommen, welches nur an ihren momentanen Umständen lag. Ihr Bauch wurde von Mal zu Mal größer, sie fuhr schon gar nicht mehr allein Auto. Luzifer wusste genau, wer sie nachher abholen würde. Er konnte den jungen Mann an ihrer Seite einfach nicht einordnen. Er versprühte etwas Lebensfreudiges, das er so nicht von Menschen großartig gewöhnt war. Der junge Franzose traf seine eigenen Entscheidungen. Luzifer lächelte in sich hinein, als der übrig gebliebene Haufen Menschleins am anderen Ende des Tisches versuchte, irgendwie eine standfeste Position zu beziehen. Er ließ sie reden, sich um Kopf und Kragen faseln, bis es ihm reichte. „Meine Herrn, ich habe das Gefühl, wir kommen hier nicht weiter. Sie begreifen einfach nicht, dass ihre Meinung völlig überflüssig geworden ist.“ Stille trat in den Raum. Auf den Gesichtern der männlichen Anwesenheit zeigte sich eine immer heller werdende Farbe, die sich schließlich in ein Weiß ergoss. „Ihnen fehlen einfach zu viele Qualifikationen, um sie weiterhin ernst zu nehmen. Ich hebe diese Versammlung hiermit auf und werde Sie in nächster Zeit über meinen weiteren Fortgang in Kenntnis setzen.“ Es war nur eine einfache Geste mit der er ihnen deutlich zu verstehen gab, dass sie nun gut darin taten, sich so schnell wie möglich zu verziehen. Es dauerte auch nicht lange und schon waren alle 9 Männer aus dem Raum geflüchtet. Luzifer lehnte sich mit einem wahrhaft zufriedenen Grinsen zurück in den Stuhl und schloss die Augen. „Ist diese Ruhe nicht herrlich?“ Fragte er so wie nebenbei gedacht. Die junge Frau hingegen schien weitaus aufgeregter zu sein, als sie preisgab. Er konnte ihren schnellen Herzschlag hören, in seinen Ohren hallte das Geräusch ihres rauschenden Blutes wider und ihr Atem war flacher als noch zuvor. „Angelina?“ Scheins verwundert drehte er seinen Kopf zu ihr und hob mit dem Öffnen eines Auges auch die darüber liegende Augebraue. Angelina saß da, stumm, stumm irgendwie versuchend, diese Situation zu verstehen. Alle 9 Männer waren auf den einfachen Wink hin verschwunden. Was hatte er gesagt? Natürlich hatten sie alle keine Ahnung von dem, was sie da sagten. Aber die Worte Luzifers klangen, als ob er sie eben alle gefeuert hätte. Ihre Augen waren fragend auf ihn gerichtet und eine innere Woge nicht einzuordnender Gefühle überkam sie. „Sie haben sich also entschieden?“ Ihre rechte Hand lag auf den dicken Bauch, die andere war damit beschäftigt über den Stoff zu fahren und Falten herauszustreichen. Doch heute hielt sie seinem Blick nicht lange stand, sie senkte den Kopf und griff nach dem Gurkenglas. Erneut fischte sie nach dem sauren Inhalt und begann eine Gurke nach der anderen zu essen. „Angelina...“ Er beugte sich vor und als er sie berührte, zuckte sie erschrocken zusammen. Ihre großen Augen schienen in einem blau zu leuchten, dass es den Himmel hätte einschüchtern können. Luzifer nickte. Lächelnd griff er nach dem Gurkenglas, musste sich dafür noch weiter nach vorne beugen und nahm es ihr aus der Hand. Das kleine Zucken, der weite Blick, mit dem sie ihn nun betrachtete, sie war durch die Schwangerschaft wirklich empfindlich geworden. Die Nachricht, die sie ganz recht verstanden hatte, gab ihr dann wohl den Rest. Vorsichtig zog er eine Gurke aus dem Glas und begann sie genüsslich zu essen. „Ich mag meine Ländereien und Höfe nicht in den Händen von solchen Idioten sehen. Angelina, Kind, ich weiß, wie viel Arbeit in den nächsten Jahren auf dich zukommen wird, dennoch möchte ich dich bitten, als meine Vertreterin mit allen Vollmachten die Leitung dieses Betriebes zu übernehmen. Natürlich werde ich dich nicht alleine da stehen lassen und mich die nächste Zeit nur noch in der Weltgeschichte herumtreiben. Aber deine sorgenvolle und gütige Hand hat meinem Betrieb schon oft geholfen.“ Sein Lächeln war nicht verschwunden, er schaute sie hinter den getönten Brillengläsern milde an und wartete doch lauernd. Seine Entscheidungen waren meistens nicht ohne Grund und so hatte er von Anfang an beschlossen sie mit dieser Aufgabe zu betreuen. Angelina wusste nicht genau, wie sie reagieren sollte. Vor ihrem inneren Auge sah sie die nächsten Tage, sah sie die Arbeit und vor allem das erstaunte Gesicht ihres Mannes, wenn sie ihm das sagen würde. Er ärgerte sich ja schon darüber, dass sie heute hier war, in ihrem Zustand wollte er sie lieber Zuhause im Bett oder im Wohnzimmer in einem Sessel in drei Decken eingepackt sehen. Sie konnte nicht wirklich auf seine Unterstützung bauen. Er würde eher versuchen, sie von der Arbeit abzuhalten und doch... sie hatte nicht vor, ihren eigenen Weg zu verraten. Sie wusste aber auch, was für Probleme und Aufgaben durch die Schwangerschaft und vor allem danach auf sie zukamen. Wenn sie ihren Mann nicht hinter sich stehen hätte, könnte sie die ganze Sache vergessen. Irgendwann war es auch für sie zuviel. „Ich bin mir sicher, dass er nicht davon begeistert sein wird. Aber genau das muss er.“ Angelina blickte auf und schwieg wieder. Luzifer war ihr Chef und sie wollte diese Arbeit nicht missen, genauso wenig wie ihn. Sie kannte diesen sonderbaren Mann schon seit ihrer Kindheit, er hatte auf sie Acht gegeben und ihre Eltern oft besucht. Er war der beste Freund ihres Vaters und schon immer ein Kunde und Kenner des Weines ihres Gutes gewesen. Falten kräuselten sich auf seiner Stirn. Wie sollte man den diesen verrückten Franzosen dazu bekommen, sie zu unterstützen? Er versuchte ja jetzt schon alles zu sabotieren. „Und wie willst du das machen?“ Das Funkeln in Angelinas Augen hatte deutlich ihr Interesse an diesem Angebot gezeigt. Da musste er nicht nachfragen. Sie würde sicher auch ihren Weg finden, nur wollte er auch, dass sie dabei möglichst wenig Schaden nahm. Er mochte sie, schon als kleines Kind hat sie ihn tief beeindruckt durch ihr Wissen, ihre Schönheit und diese natürliche Lebensfreude, die bis heute nicht gewichen war. „Wenn du ihn davon überzeugt hast, musst du mir unbedingt Bescheid sagen. Ich habe heute leider nicht mehr so viel Zeit dazu, um noch auf in hier zu warten. Ich hoffe, es dauert nicht mehr allzu lange.“ Er lächelte sie an und stand auf. Kurz strich er noch einmal durch ihre Haare und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. „Es tut mir wirklich leid, dass wir heute nur so wenig Zeit miteinander haben, aber ich hatte geglaubt, du würdest erheblich früher hier sein.“ Die junge Frau lächelte und nickte bestätigend. Sie wusste zwar auch noch nicht genau, wie sie es anstellen sollte, aber irgendwie musste das schon passen. Er war immerhin ihr Ehemann und als ein solcher hatte er sie in ihren Entscheidungen zu stützen und zu unterstützen. Sie tat es ja auch nach allen Kräften bei seinen. Vorsichtig erhob sie sich aus dem Sessel und griff nach dem Deckel des Gurkenglases. Als sie selbiges verschlossen und in ihrer großen Tasche verstaut hatte, schob sie auch den Stuhl zurück. Erstaunt fanden ihre Augen den zur Hilfe angebotenen Arm Luzifers, der Sicherheit und Halt versprach. Mit einem breiten Lächeln hakte sie sich bei ihm unter und schaute aus großen leuchtenden Augen zu ihm auf. „Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er nicht schon seit einer Viertelstunde vor der Tür steht und wartet. So wie ich meinen lieben Mann kenne, ist er doch spätestens eine halbe Stunde nach mir aus dem Haus gegangen.“ Auch der Graf konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und führte sie sicher aus dem großen Raum hinaus. „Wir werden es gleich sehen, wenn jemand wie von einer Schlange gebissen aufspringt, dann ist...“ Er kam mit seinem Satz nicht mehr zu ende, da unterbrach ihn auch schon eine zweite, männliche Stimme. „Liebling, da bist du ja. Geht es dir gut?“ Sie musste lachen, als er ihre Hände nahm und sie vorsichtig aus der Gemeinsamkeit mit Luzifer löste. Der schwarzhaarige schloss sie bedächtig in seine Arme und küsste sie zärtlich. Luzifer beobachtete das ganze mit einem Schmunzeln auf den Lippen. In dieser Beziehung war eindeutig der Franzose der nervenschwache Part. Es erweckte ja schon beinahe den Eindruck, als wäre er selbst schwanger und nicht seine Frau. Der schlanke Mann löste sich nur widerwillig von seiner Geliebten und drehte sich zu deren Arbeitgeber um. In den grauen Augen lag eine unbeugsame Anklage gegen den Mann vor sich. „Nun, Graf Luzifer, ich möchte nicht sagen, dass ich mich über alle Maßen Freue, sie so schnell wieder zu sehen. Vor allem, da ein so kurzes Treffen meist nur bedeutet, dass Angelina wieder einmal mehr Aufgaben bekommen hat. Des weiteren möchte ich sie davon in Kenntnis setzen, dass ich ihre Arbeit bei ihnen nur deswegen dulde, weil ich weiß, dass Angelinas Herz daran hängt.“ Mut besaß dieser schlaksige Mann ja, das musste er ihm immer wieder zu Gute halten. Er kannte keinen Ehemann, der so für seine Frau kämpfte, wie diesen kleinen, sperrigen Franzosen. Darum würde er sich jetzt auch die Freude gönnen, auf das so von Überzeugung geprägte Gesicht das pure Entsetzen zu zaubern. „Wie immer haben sie Recht mein Guter. Ich möchte sie aber dennoch davon in Kenntnis setzen, dass ich sie nur an der Seite meiner stellvertretenden Geschäftsführerin dulde, weil ihr Herz daran hängt.“ Es dauerte keinen Herzschlaglang, bis aus dem Ürbermut erst eine erstaunte Wut und dann ein eiskaltes Entsetzen wurde. In seinen Augen konnte der Vampir genau sehen, sie die Worte „stellvertretende Geschäftsführerin“ immer und immer widerklangen, wie ihm plötzlich ein heiseres „Wie bitte?“ entrann. Angelina hielt sich mit beiden Händen den Bauch, sie hatte genau darauf geachtet, wie sich das Spiel auf den Gesichter verändert hatte. Sie schaute ihrem Ehemann tief in die von Unglauben aufgerissenen Augen und strich ihm dann sanft über die Wange. „Das ist nicht wahr, ... oder Liebling?“ Er schüttelte den Kopf, als wollte er es einfach nicht wahr haben. Sie zog ihn an seinen Händen zu sich und schloss ihn in ihre Arme. Leise flüsterte sie dem jungen Franzosen in das Ohr. „Es ist halb so schlimm wie es klingt. Glaub mir, wenn du mir ein bisschen hilfst, ist es kaum mehr Arbeit.“ Als er sich wieder von ihr wegdrückte, um in ihre Augen zu sehen, da spürte sie plötzlich einen harten Stich in ihrem Herzen. Es stand nicht nur in seinem Gesicht, seiner Haltung, nein, besonders in seinen Augen. Sie waren von Schmerz und Aufgabe gezeichnet. Seufzend ließ er die Schultern hängen und zuckte noch einmal mit ihnen, als wäre es ein missglückter Reflex. Er stand erst nur da, versuchte Worte zu finden und sein Blick wanderte von ihrem Gesicht fort irgendwohin in den Raum. Schließlich brachte er ein klägliches Lächeln zu Stande und sprach mit belegter Stimme. „Du tust es ja eh und bevor du dir noch einen Schaden zufügst, helfe ich dir lieber und lasse dir deinen Sturkopf.“ Dieses Mal war es wirklich hart für ihn gewesen. Jeder hier wusste genau, wie viel Arbeit die schwangere Angelina hier bewältigte. Stellvertretende Geschäftsführerin waren nicht weniger, sondern erheblich mehr Aufgaben, sie sie irgendwie schaffen musste. Das junge Ehepaar war kurz danach gegangen und die Sekretärin schaute mit einem tadelnden und auch einem bewundernden Blick zu dem Grafen hinüber. Er hatte einmal mehr seinen Kopf durchgesetzt und das in einer Situation, in der er besser noch ein paar Monate gewartet hätte. Luzifer nickte ihr noch einmal zu und ging ebenfalls zum Ausgang des Büros. Es war in warmen braunen und roten Tönen gehalten. Die zwei Türen, hinüber zum großen Besprechungsraum und zum Ausgang lagen sich gegenüber in der Mitte er langen Seiten. Die Sekretärin war mit einer geschickten Konstruktion von Pflanzen, Regalen und Einzugswänden vor ihnen abgeschirmt. Hinter diesem Versteck kamen die Türen und in den Raum hinein erstreckte sich eine gemütliche Zusammenstellung verschiedenen Sitzgelegenheiten. Nun, so sollte es anscheinend sein. Sie zog ein weiteres Fenster auf ihrem Bildschirm auf und trug hinter den Namen der jungen Frau die Worte „stellvertretende Geschäftsführerin“ ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)