Der Grüne Stein von Ta_Moe (- ein Märchen -) ================================================================================ Kapitel 2: Akt 2 ---------------- Heela galoppierte so schnell es ihr Pferd zuließ. Die Burg schien nicht all zu weit entfernt, sodass sie sie ohne Probleme erreichte. Auf dem Weg war sie zahlreichen Bauern begegnet, die hastig ihrer Arbeit nachgingen. „Brrr!“, die Stute tänzelte nervös auf der Stelle. Erst als ein Knappe herbeieilte, vermochte sie sich ruhig zu verhalten, dass Heela absteigen konnte. „Danke!“, nickte sie dem Jungen zu und lief über die herunter gelassene Zugbrücke. In dem darunter liegenden Wassergraben schwammen elegante Schwäne und reckten ihre Hälse nach der Besucherin. Während sie die Häuser innerhalb der Burgmauern betrachtete, trat ein Fremder an sie heran. „Guten Tag, sucht Ihr Jemanden?“ Erschrocken drehte Heela sich um und blickte einem jungen Mann in tiefe dunkle Augen. „Äh, nun ja…“ „Oh, Ihr seid gewiss die neue Magd?!“ „Ja, woher wisst Ihr das?“, sie staunte nicht schlecht über ihren Gegenüber. Ein anderer Mann spähte zu ihm hinüber und rief: „In welchen Stall soll Euer Pferd?“ Der Fremde winkte ihn fort, „In einen gewöhnlichen natürlich!“ „Ja… natürlich.“, verwirrt führte er den Rappen ab. „Die haben mich tatsächlich schon wieder für einen Lord gehalten!“, der Fremde lachte und legte seinen Arm um Heelas Hüfte. Diese war so überrascht, dass sie ihn ohne Widerworte gewähren ließ. Der Mann übte eine eigenartige, aber positive Faszination auf sie aus, sodass sie ihm brav folgte. „Wie ist Euer Name?“, erkundigte er sich plötzlich und blieb abrupt stehen. „Heela…“ „Ich bin … Jim!“, er streckte ihr grinsend eine Hand entgegen. Sie zwang sich zu einem Lächeln und erwiderte den Händedruck, wobei sie Jim eingehend musterte. Seine schwarzen Locken waren nicht allzu lang und tanzten unbändig im Wind. Er schien sich nicht gerade oft an der Luft aufzuhalten, denn seine Haut war blass, gleich frisch gefallenem Schnee. Sie blinzelte und spürte, wie die sanfte Brise, die ihr gerade noch kühle Erfrischung gebracht hatte, stärker wurde und dunkle Wolken aufzogen. „Es scheint, als wolle ein Gewitter aufziehen!“, auch Jim hatte den Wetterumschlag bemerkt und nahm Heela Abstand haltend am Arm. „Kommt, wir wollen doch nicht nass werden!“ Sie nickte und folgte ihm bereitwillig, kannte sie sich doch nicht in den Gemäuern der Burg aus. Langsam zogen sich auch die anderen Leute von der Straße und räumten ihre Stände, der Markt war vorzeitig beendet. Ein paar Tropfen fielen vom Himmel, als Heela und Jim die Hauptburg seines Herrn betraten. Der junge Mann führte Heela herum, zeigte ihr alles was sie wissen musste und brachte sie anschließend zu einer kleinen Kammer, in der sie vorerst leben sollte. „Vorerst?“, fragte Heela unsicher, „Was meint Ihr damit? Ist irgendetwas damit nicht in Ordnung, oder darf ich zurück nach Haus…“ „Nein, Ihr werdet sehen. Nun…ich muss gehen. Bezieht jetzt Euer Zimmer!“, er machte eine angedeutete Verneigung und marschierte davon. Neugierig, was wohl so Besonderes oder Schlechtes, in dem Zimmer sein sollte, versuchte sie die Tür zu öffnen. Doch sie klemmte, zumindest glaubte sie, dass sie es tat. „He!“, rief plötzlich jemand von Innen, „Wer ist da. Was wollt Ihr?“ „Äh, mein Name ist Heela und ich soll in dieser Kammer schlafen!“, gab sie zurück und wartete. Die andere Frau, deren Stimme kratzig und alt geklungen hatte, stand auf und schlurfte zur Tür. Dann sperrte sie einen kleinen Spalt auf und lugte durch die entstandene Ritze. „Was wollt Ihr?“, wiederholte sie ihre Frage und blinzelte ihr mit einem Auge entgegen. „Ich wohne hier!“, sagte Heela laut und deutlich, „Mein Name ist Heela!“ Die alte Dame drehte ihr halbgeschlossen, grün – gelbes Auge. „Das kann nicht sein“, krächzte sie, „Das ist meine Kammer, ich lebe schon immer hier!“ „Ich glaube Euch ja, aber…“ Doch ehe sie den Satz zu Ende sprechen konnte, schloss die Alte die Tür und ließ Heela im Flur stehen. „Hört doch, mir wurde versichert, dass ich bald eine neue Unterkunft erhalten werde, doch bis dahin, soll ich bei Euch leben!“ Nichts geschah. Heela legte ein Ohr an die Tür und vernahm laute Schnarchgeräusche von Innen. Entweder spielte die Frau mit ihr, oder sie war einfach nur alt und vergesslich. Stöhnend ließ sich Heela auf dem Boden vor der Kammer nieder und legte ihren Kopf auf die Knie. Was sollte das nur werden? Erschrocken fuhr sie hoch, als sie Schritte hörte und ein Mann lachte. Jim kam auf sie zu und beugte sich zu ihr hinab. „Na, ist es denn bequem auf dem Boden zu sitzen?“ „Nein, natürlich nicht, aber habt Ihr schon mal mit einer alten Frau in einem Zimmer schlafen müssen, die erstens schnarcht, zweitens vergesslich ist und was am schlimmsten ist: einen gar nicht hinein lässt?“, Heela starrte ihm stur in die dunklen Augen. „Nein, nur mit meiner Mutter!“, er lachte und setzte sich neben sie vor die Tür. „Stimmt“, feixte er, „der Boden ist wirklich bequem! Hier könnte ich immer schlafen!“ „Ha, ha!“, gab Heela beleidigt zurück, „Aber nun zu Euch, was wolltet Ihr hier?“ „Eigentlich nur mal sehen, wie Ihr mit Eurer Zimmergenossin zu Recht kommt!“ „Wenn Ihr meint!“, Heela seufzte und ließ ihren Kopf wieder zurück auf die Knie sinken. „Darf ich Euch etwas fragen?“ Jim lächelte, „Klar, nur zu.“ „Wer seid Ihr?“ „Was für eine simple Frage!“, er überlegte einen Moment und meinte: „Ich bin Jim. Aber das wisst Ihr doch schon!“ „Nein“, lehnte sie ab, „wie ist Euer voller Name und welchen Beruf habt Ihr hier und was mich am meisten interessiert, woher wusstet Ihr, wer ich bin?“ „Nun ja, das ist ganz einfach, mein Name ist Jim…Siekt und ich bin Stallbursche und wurde geschickt Euch abzuholen. Man hatte Euch schon von weitem angaloppieren sehen.“ „Gut, da hätten wir das auch geklärt!“, Heela lächelte und schloss ihre Augen, hatte ganz vergessen, dass sie eigentlich nicht alleine war. Erst als Jim ihr an die Schulter tippte und sie zurück in die Wirklichkeit holte, gewahrte sie ihr unhöfliches Benehmen. „Oh, entschuldigt. Ich war einfach so müde“; redete sie sich raus und beobachtete ihn, während er sich erhob und ihr eine Hand reichte. „Kommt, ich möchte Euch den Stall zeigen. Mein Reich, wie ich zu sagen beliebe!“ Heela nickte, stand auf und folgte ihm. „Gern!“, sagte sie lächelnd. Dann gingen beide den langen Gang entlang, dessen Ende im Dunkel des Treppenhauses verborgen blieb. Die Finsternis um sie herum, machte Heela nervös, trotz der kleinen Kerze die Jim bei sich trug, vermochte sie sich nicht ruhig verhalten zu können. Er spürte ihre zitternden Hände und umfasste sie schützend. Schweigend stiegen sie Stufe um Stufe hinab, die Schwärze um sie herum nahm zu, nur der minimale Lichtschein, der von Jims Kerze ausging, verhinderte, dass die Finsternis sie völlig umhüllte. Schweigend erreichten sie schließlich das große Haupttor, welches nur einen Spalt breit offen stand. „Wer mag wohl so unvorsichtig gewesen sein, und das Tor offen stehen gelassen haben?“, fragte Heela in die unheimliche Stille. Ihre Stimme hallte von den hohen Wänden der Eingangshalle wieder. Jim zuckte mit den Schultern und zog mit aller Kraft das Tor auf. Es knarrte laut, doch schien niemand ihnen Aufmerksamkeit schenken zu wollen. „Ist es uns eigentlich gestattet, zu nächtlicher Stunde unsere Kammern zu verlassen?“ Heela konnte Jims Gesicht nicht sehen, trotzdem wusste sie, dass er grinste. „Natürlich, wieso denn nicht?“ Er nahm sie bei der Hand und zog sie hinter sich her. „Kommt, ich kenne den Weg weit besser als Ihr und diese Nacht ist wirklich finster. Selbst mir fällt die Sicht schwer.“ Sie spürte die Steine des Hofes unter ihren Füßen, auch wenn sie sie nicht zu sehen vermochte. Ihr langes Kleid war grau bis schwarz und verband sich fast vollends mit der Schwärze der Nacht. Wie schnell es doch Nacht werden kann, dachte sie verwundert und gewahrte erst jetzt, was für einen Hunger sie eigentlich verspürte. „Habt Ihr was zu Essen?“, rief sie Jim leise zu. „Aber immer doch.“, antwortete er und blieb unvermittelt stehen. Ehe sie merkte, wie ihr geschah, stieß sie ihn an. „Oh, entschuldigt, ich habe ganz vergessen, wie dunkel es eigentlich ist!“ Er lächelte sie verstohlen an, auch wenn sie es nicht so Recht zu sehen vermochte, und öffnete die Tür zum Stall. Auch die Pferde schienen zu schlafen, nur wenige von ihnen standen unruhig oder fraßen die Reste ihres Futters. Heela schaute sich neugierig um, auch hier war es dunkel und unheimlich, doch Jim zündete rasch die anderen Fackeln an und deutete auf ein edles schwarzes Ross, dessen weiße Blässe selbst im Halbdunkel unverkennbar blieb: Sie zog sich, immer enger werdend, von der Stirn, bis zum Nüstern, auf welchem es einem Tropfen ähnelte. Dazwischen war ein breiterer schwarzer Steg, der den weißen Fluss nur dort unterbrach. „Ein schönes Tier. Pflegt Ihr es, oder ist es gar Euer Eigen?“ Jim kam zurück und drückte Heela ein Tuch in die Hand. „Nun ja, es ist nicht meines, doch pflege und reite ich es. Es gehört dem Sohne des Burgherrn.“ Er machte einen Schritt rückwärts und ließ sich auf einen Haufen Heu fallen. Wenn mein Vater wüsste, was ich hier mache, würde er mich enterben, bei diesem Gedanken musste er unwillkürlich grinsen und bot Heela an: „Setzt Euch doch zu mir, das Heu ist weich und es ist Platz genug für zwei!“ Zögernd musterte sie den jungen Mann, entschied sich aber doch dagegen. Es ziemte sich nicht seine eigene Kammer zu verachten und sich mit einem Stallburschen zu mitternächtlicher Stunde im Stall zu treffen. „Nein, danke.“, wehrte sie höflich ab, „Es ist sehr spät. Ich werde mich in meine Kammer zurückziehen.“ „Wenn Ihr von der Alten nicht eingelassen werdet, wisst Ihr ja wo Ihr mich finden könnt!“ Heela nickte verabschiedend, nahm sich eine Fackel und trat ins Dunkel der Nacht. Nun waren keine Wolken mehr zu sehen, die Sterne glitzerten wie tausend Diamanten auf schwarzen Samt und erinnerten Heela an ihre morgendlichen, oder auch nächtlichen Stunden am See, wenn sich die Tropfen des Taus auf die Blätter der Bäume und Blumen gelegt hatten und gleichsam den Sternen funkelten. Heela schüttelte den Gedanken ab, doch wieder umzukehren, da sie inzwischen die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte. Endlich erreichte sie das große Tor zur Burg, mit all ihrer zur Verfügung stehender Kraft, schob sie das schwere Holztor auf und trat ein. Hinter sich schloss sie es, mit genauso großer Mühe, wieder. Eilig nahm sie ihre Fackel zurück in die Hand, die sie zuvor zwischen zwei Steine gesteckt hatte, und lief die Treppe hinauf. Das Schnarchen hinter der Tür ihrer Kammer hatte aufgehört und war durch ein monotones Klicken ersetzt worden. Laut klopfte Heela an, es konnte selbst von der alten Lady nicht überhört worden sein. Dann vernahm sie ein langsames Schlurfen, das zur Tür hin immer lauter wurde, bis schließlich die Frau durch denselben Spalt, wie beim letzten Versuch, lugte. „Guten Abend!“, begrüßte Heela sie höflich, auch wenn ihr klar war, dass es schon weit nach Mitternacht war. „Ich möchte gerne zu Bett gehen.“ Die Alte rollte wieder mit den Augen und als Heela dachte, sie würde die Tür gleich wieder verriegeln, wurde sie von Innen aufgeschlossen und geöffnet. „Tretet ein…“ „Ich bin Heela, Magd Heela!“ Die andere nickte stumm und schloss die Tür wieder. „Ich vertraue nicht jedem, aber Ihr scheint mir, nun ja…“, sie räusperte sich, „…vertrauenswürdig.“ „Darf ich Euren Namen erfahren?“, erkundigte sich Heela. „Aber natürlich, mein Kind.“, krächzte sie, es war kein bösartiges, kein abweisendes, eher ein vertrautes Krächzen. „Man nennt mich Deoha.“ „Deoha, ein außergewöhnlicher Name!“, meinte Heela und lächelte. Die Alte lächelte zurück, dabei entblößte sie ihre letzten beiden Vorderzähne, welche schon stark gelben Belag zeigten, dessen Farbe mit einem leichten Braunton untersetzt war. Höflich beachtete Heela diese Kleinigkeiten nicht, sondern konzentrierte sich auf die Halskette, die Deoha trug. „Das sind wahrhaft schöne Steine.“, gestand sie und versuchte nicht zu interessiert zu wirken. „Ich habe sie gefunden, es gibt nicht viele davon.“, erklärte Deoha und rieb den mittelsten, dessen Größe die anderen um ein Vielfaches überragte und einer Kastanie glich. „Wenn man keinen Weg sucht und sich nur von der Magie führen lässt, erreicht man einen Berg. Er ist nicht all zu groß, doch groß genug, ihn nicht zu übersehen. Dann, mit viel Glück, kann man einen solchen Stein finden.“ Die alte Frau hielt den Stein, dessen glatte Oberfläche wie bearbeitet wirkte, in das Licht von Heelas Fackel. „Blickt man durch ihn durch, inmitten des Sonnenlichts, kann man die Zukunft sehen, seine eigene Zukunft.“ Ihre zerfurchte Stirn legte sich noch mehr in Falten, als sie ihre Erzählung fortsetzte, „Doch treibt man Böses mit diesen Steinen, kann ihre Rache unendlich sein!“ Heela starrte den Stein an, dessen grüne Farbe, verschwommen mit dem Gelb der Fackel, ein goldenes Licht in den Raum warf. „Das klingt, wie soll ich sagen, sehr…zauberhaft, aber…“ „…es ist zauberhaft.“, vervollständigte Deoha Heelas angefangenen Satz. „Wenn Ihr meint.“, gab diese sich geschlagen, auch wenn sie nichts für solche Ammenmärchen übrig hatte, war es doch sehr interessant, woran andere Menschen so glauben konnten. Außerdem wollte sie es sich nicht mit ihrer Kammermitbewohnerin verscherzen, es war schon Glück genug, überhaupt eingelassen worden zu sein. Ich weiß das Ihr mir nicht glaubt, dachte Deoha im Stillen, während sie ihre „magischen Steine“ polierte, doch solltet Ihr das, und das werdet Ihr auch, das könnt Ihr mir glauben. Sie lächelte das junge Mädchen geheimnisvoll an und legte sich auf ihr Bett, wandte Heela den Rücken zu. Heelas Fackel, die sie in eine Halterung gestellt hatten, wurde zuvor von ihr gelöscht. Stille durchzog nun die gesamte Burg, selbst die Tiere schliefen fest, handelte es sich nicht gerade um Katzen oder Mäuse. Nur der Wind blies sachte in die Blätter der Bäume und Sträucher. Ein Waldkauz glitt am Fenster des Stalls vorbei und gab kurze gespenstische Laute von sich. Jim, der es sich im Heu bequem gemacht hatte, erhob sich nun, als er festgestellt hatte, dass sich die gesamte Burg zu Ruhe gelegt hatte. Er nahm sich eine Fackel und löschte die anderen, dann eilte er leise, wie ein lebender Schatten durch das Dunkel des Hofes. Nur das Licht der Fackel konnte ihn jetzt noch verraten, doch er erreichte unbemerkt die Burg. * Am nächsten Morgen wurde Heela in aller Frühe geweckt. Deoha stand, über sie gebeugt, vor ihrem Bett und rüttelte sie sanft aus dem Schlaf. „Kommt, Heela. Ihr müsst aufwachen. Euer Herr erwartet Euch schon!“ Doch das junge Mädchen öffnete nur langsam die Augen, um sie kurz darauf wieder zu schließen. Empört baute sich die alte Frau vor ihr auf und stemmte sich die Hände in die Seite, danach brüllte sie Heela so laut an, dass diese beinahe aus dem Bett gefallen wäre: „AUFSTEHEN!!!!!“ „Was?“, Heela rappelte sich erschrocken auf und starrte Deoha an. „Ich wusste nicht, dass Ihr so laut sein könnt!“ „Wie Ihr seht, kann ich das wohl!“, sie grinste, wobei sie wieder ihre verdreckten Vorderzähne entblößte. Heela, von diesem Anblick angewidert, sprang aus ihrem Bett und schlüpfte in ihr Kleid. „Gut, dann werde ich mich nun auf den Weg machen…“, sie überlegte, „…könntet Ihr mir vielleicht sagen, wo sich der Ort befindet, an dem ich erwartet werde?“ Deoha nickte, dann schob sie die Tür auf und winkte Heela heraus. „Folgt mir!“ Die beiden Frauen marschierten den langen Gang entlang, die Treppe nach unten, neben einander her, und bogen um einige Ecken, bis sie schließlich vor den großen Türen der Haupthalle standen. „So, nun müsst Ihr nur noch durch diese Tür und warten, alle Fragen beantworten und durch die Halle gehen, sobald er Euch entlässt. Gutes Gelingen!“, damit drehte sich Deoha auf dem Fuße um und eilte davon. Heela klopfte beherzt an und trat ein, als die Türteile aufgezogen worden waren. Noch verbeugten sich die Diener, die hinter der Tür standen, doch würde sich dies ändern, sobald auch Heela in ihren Dienst aufgenommen werden würde. Wie stark man hier seine Dienstboten inspiziert! „Komm doch näher.“, rief eine tiefe ernste Stimme ihr entgegen. Ein breiter Mann saß auf seinem reich verzierten Stuhl, der passend zu der langen Tafel gefertigt worden sein musste, er war am Tischende platziert. Schmackhafte Speisen und teure Weine waren aufgetragen, edle Figuren und markanter Tischschmuck zierten die Tafel. Ein großer silberner Leuchter erhellte weitreichend seine Umgebung und schimmerte elegant, warf interessante Spiegelungen auf die kahlen Wände. „Wie ist noch dein Name, Magd?“, er hob seine stark beringte Hand und winkte einen Ritter herbei, den Heela erst jetzt, da er sich bewegte, wahrnahm. „Heela, mein Herr!“, sie gab sich größte Mühe einen ordentlichen Knicks zu Stande zu bringen, doch wirkte er amüsant. Der beleibte Mann lächelte belustigt und flüsterte dem Ritter eine Aufgabe ins Ohr. Heela verstand es nicht, gewiss sollte sie es auch nicht, sonst hätte man es bestimmt nicht vor ihr verheimlicht. Angestrengt versuchte sie ihr Interesse zu verbergen und schaute sich in der Halle um. Der Ritter trat einen Schritt zur Seite und stellte sich hinter seinen Herren. Ungeduldig wechselte Heela ihren Blick von einem zum anderen. Der Ritter starrte ausdruckslos geradeaus. Zumindest schien das Heela so, sie konnte sein Gesicht nicht erkennen, da es unter dem Visier verborgen lag. Der Lord beachtete Heela gar nicht mehr, sondern widmete sich wieder ganz seinem reichhaltigen Mahl. Nach einer Weile reichte es Heela, sie fragte den Mann vorsichtig: „Was kann ich für Euch tun, Herr?“ Nachdenklich tauschte er einen unsichtbaren Blick mit dem Ritter, der daraufhin nickte und mit tiefer barscher Stimme zu sprechen begann: „Mein Vater, Leonard Winiz, möchte, dass du als Dienstmagd arbeitest, du wirst bis auf Weiteres in deiner Kammer bleiben und als Dienstmädchen für die Ladys arbeiten.“ Vater…? Dann ist er also… Danach stand Leonard Winiz auf und sagte: „Gehe dort entlang“, er deutete auf eine kleine unscheinbare Tür, die sich nicht weit entfernt zu seiner Linken befand. „die anderen Dienstmädchen werden dich einweisen.“ Damit schloss er das Gespräch und winkte Heela weg. Sie öffnete vorsichtig die kleine Tür und folgte dem schmalen Gang, bis sie sich in einer etwas breiteren und größeren Kammer wieder fand. Ein anderes, jüngeres Mädchen saß an einem Tisch und hatte ihren Kopf auf die Arme gelegt, sie schien zu dösen. Langsam schlich Heela näher und stupste sie an. Erschrocken fuhr diese hoch und sagte hektisch: „Ich habe nachgedacht, wie…“ Heela grinste sie an und lauschte ihrer langen, sich immer wieder wiederholenden Entschuldigung, bis die andere sie erst richtig wahrnahm. „Oh…, du bist gewiss keine der Herren oder Herrinnen?!“ „Nein!“, versicherte Heela lachend, „Ich bin Heela, ´ne neue Dienstmagd.“ „Gut, dann soll ich dich gewiss einweisen!? Ach so, mein Name ist Lola.“ Sie sprang auf und lief in einen angrenzenden Raum. „Komm mit!“ Sie winkte Heela zu sich und rannte weiter. Diese folgte Lola, bis sie an einer Waschküche anlangten. „Also, hier ist die Waschküche, wie du siehst. Die wird allerdings nur im Winter benutzt.“ Lola drehte sich um und lief weiter. „Wir haben nicht viel Zeit!“, erklärte sie ihre Hektik. Heela nickte, „Kein Problem.“ „Im Sommer, also jetzt, waschen wir am See.“ Lola stoppte abrupt, vor einer niedrigen Holztür. Ihre hüftlangen, rot-braunen Haare, die sie geflochten trug, flogen nach vorn. „Hier, schlafe ich. Wo ist deine Kammer?“ Heela rang sich ein Lächeln ab, „Ich wohne zur Zeit bei Deoha!“ Das jüngere Mädchen drehte sich ungläubig um, „Das ist nicht dein Ernst?“ Heela nickte, „Doch.“ Lola schüttelte den Kopf und öffnete die Tür. „Dies ist mein Reich, zurzeit lebe ich allein.“ Ihr ausdrucksloser Blick musterte Heelas Gesamtbild: ihre unbändigen blonden Haare, die zusammen gebunden waren; ihre meerblauen Augen, die betrübt um sich schauten und das blassblaue Kleid mit dem dunklen Mantel, auf dem schon unzählige Flecken Platz genommen hatten, gaben ein trauriges Bild. „Unser Herr, sieht es nicht gern, wenn seine Mägde wie Trauerklöße umherwandeln.“ „Mh?“ „Du solltest dir erst einmal neue, saubere Sachen und schönere anziehen. Wenn du nichts dagegen hast, würde ich dir auch gern eine neue Frisur machen. Du scheinst schönes Haar zu haben?!“ Sie zwirbelte sich eine ihrer roten Strähnen um den Finger und überlegte. Dann, ohne Vorwarnung, schnipste sie und meinte: „Komm mit, ich weiß auch schon, wo wir ein passendes Kleid für dich finden!“ Heela ließ sich ohne Widerrede breitschlagen und folgte abermals dem jungen Mädchen. Lola hielt erst vor einer weiteren Holztür an und schob einen verrosteten Schlüssel ins Schloss. „Komm, hier rein!“, forderte sie Heela leise auf. Danach schloss sie die Tür wieder hinter sich. „Sieh dich ruhig um, ich suche nur schnell das Kleid.“ Heela nickte stumm. Kurze Zeit später winkte Lola Heela herbei und trat zurück in den Gang. Die beiden Mädchen eilten leise in Lolas Kammer, danach verriegelte diese die Tür. „Komm, zieh das an!“ Sie hielt Heela ein weinrotes Kleid entgegen, dazu ein rotes und dunkelblaues Band. Skeptisch musterte Heela die drei Sachen, bis sie es endlich annahm und hineinschlüpfte. „Wieso eigentlich rot?“, fragte sie derweilen. „Weil du blass bist und das blaue Kleid, dich einfach noch blasser gemacht hat.“, Lola ließ sich auf ihrem Bett nieder und schaute Heela zu, die sich mühevoll in das eng geschnittene Kleid zwängte. „Bist - du – dir sicher…dass ich hier rein passe?“, hakte sie ächzend nach. „Ja, du hast eine schmale Figur und es gab nun mal kein anderes Kleid, das dir hätte passen können!“ Lola wartete und schlüpfte aus ihren viel zu großen Schuhen, ließ ihre Beine in der Luft baumeln. Sie konnte nicht viel älter als Zeo sein. „Was?“, fragte sie ernst. „Nichts, ich habe nur nachgedacht!“, wehrte Heela ab und schob ihren Rücken zu Lolas Bett. „Könntest du das bitte schließen?“ Das junge Mädchen verhakte die Verschlüsse des Kleides und zog Heela auf ihr Bett, dann nahm sie ihr das rote Band aus der Hand und begann eine Frisur zu erfinden. Sie flocht zwei Strähnen und verband sie mit einem kleineren roten Bändchen auf Heelas Hinterkopf, nachdem sie ihre Haare ordentlich durchgekämmt hatte. Zum Schluss schrubbte sie noch das Gesicht der anderen und trug fein säuberlich Schminke auf. Das blaue Band diente als Gürtel, um Heelas schmale Figur besser zu betonen und das rote legte sie ihr elegant als Halstuch um. „So, nun könnte man dich mit einer Lady verwechseln!“, Lola betrachtete sie stolz. Heela stand steif auf und spähte in einen kleinen Spiegel, der an der Wand aufgehängt worden war. „Wohl wahr!“, gab sie zu und lächelte. „So und nun bist du an der Reihe!“, Hände reibend öffnete sie Lolas Zopf und begann auch ihr zwei Strähnen zu flechten, die sie anschließend mit einem grünen Bändchen umwickelte und auf dem Kopf zu einem lockeren Kranz verband. Dann nahm sie ein größeres Stück Stoff, das sie noch in Lolas Schrank aufgestöbert hatte und formte daraus eine Schürze. Auch Lola wurde geschminkt, woher sie das Zubehör dafür und erst den Spiegel hatte, wollte Heela gar nicht erfahren. „He, gar nicht schlecht. Ich glaube, jetzt könnten wir uns auf jedem Ball der Edelleute sehen lassen!“ Heela lachte bei Lolas Aussage, doch diese selbst nicht. Sie starrte nur stumm und ernst wie schon die ganze Zeit Löcher in die Luft. „Wir müssen uns nun wirklich an die Arbeit machen!“, stellte sie fest und stand auf. Heela folgte ihr, kannte sich noch immer nicht in der Burg aus. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)