Die letzten zehn Tage von Karopapier ================================================================================ Kapitel 2: Tag 1 - Freitag - überarbeitet ----------------------------------------- Wie gerädert stand ich im Bad vor dem Spiegel. Ich glaubte nicht daran, dass in zehn Tagen die Welt untergehen würde, aber so, wie sich Ta heute Nacht aufgeführt hatte ... Ich betrachtete die Kratzer in meinem Gesicht. Was war bloß in sie gefahren? Seltsam war ja eigentlich weniger, dass sie mal durchdrehte, aber erstens in der gleichen Zeit wie Li verschwand und dann auch noch, zweitens, kurz nachdem ich dieses verfluchte Buch gelesen hatte? Ich schüttelte den Kopf, um meine Gedanken wieder frei zu bekommen. Es war schon seltsam, aber deswegen gleich in die Aberglaubenssparte abzurutschen...? Es gab für fast alles eine natürliche Erklärung, und an manche Sachen, die noch nicht erklärt worden waren, glabte ich trotzdem, aber solche Weltuntergangsbücher gehörten nicht dazu. Immerhin, eins konnte ja nicht schaden: Jeden Tag zu leben, als wäre er mein letzter. Nur wo zum Teufel steckte Li? Als die Klingel schellte, schlich ich so schnell wie möglich auf meinen Platz. Ich wollte keine dummen Kommentare über die dunklen Ringe unter meinen Augen oder den Striemen an meinem Hals und in meinem Gesicht hören. Es war auch so schon schwer genug zu ertragen, dass sie sich alle über mich lustig machten, da brauchte ich nicht auch noch so etwas. Unser Lehrer schrieb etwas an die Tafel, was ich mühsam als Termin für die nächste Klassenarbeit entzifferte. In Englisch. Das müsste ich schaffen. Nur die Vokabeln hatte ich noch nicht gelernt, aber die- "Nel?" Ich fuhr zusammen, als er meinen Namen aufrief. Nervös sah ich ihn an. Gleich käme die erste Frage, ich wüsste die Antwort nicht, alle lachten mich aus ... "Hier ist ein Brief für dich im Klassenbuch", sagte er ganz ruhig, als wüsste er nicht, wie beschissen es mir in dem Moment ging. Wahrscheinlich wusste er es auch nicht. "Komm bitte nach vorne und hol ihn dir ab." Zitternd und bereit, jederzeit bei dummen Kommentaren aus dem Klassensaal zu laufen, ging ich nach vorne. Leises Raunen ging durch die Reihen, aber ich bemühte mich, ganz langsam zu meinem Platz zu gehen und nicht den Weg zurück zu rennen. Beim Öffnen zerriss ich unerklärlicher Weise das Blatt im Inneren, aber als ich es auffaltete konnte ich es trotzdem noch viel zu gut lesen: "Liebe Nel, komm bitte am nächsten Freitag nach der sechsten Stunde zu mir, dann können wir nochmal über deine Chemienote reden." Und um so etwas machte ich mir jedes Mal so einen Kopf. Was eine beschissene Klasse. Mein Blick wanderte über den Inhalt meiner Regale in meinem Zimmer, von den vielen bunten Schachteln über das halbe Dutzend Ordnern mit Blumenaufdruck, die ich aus einer Laune heraus einmal gesammelt hatte, bis hin zu meiner angefangenen Packung Taschentüchern auf meinem Schreibtisch. Sie hatten mich nach Hause geschickt, nachdem ich an meinem Pult zusammengebrochen war. Und jetzt saß ich in meinem kleinen Zimmer, drei mal vier Meter groß, und starrte die überfüllten Regale an. Noch neun Tage. Und das in einer Bude, in der sogar noch die Ponyzeitschriften von vor sieben Jahren lagen. Immer noch nicht ganz sicher auf den Beinen stand ich auf und ging zum Regal neben meinem Schreibtisch, das noch am humansten aussah. Dort zog ich alle Kisten aus den Fächern und schüttete sie auf dem Boden aus, ohne Rücksicht auf den Inhalt zu nehmen. Ich hatte die Kisten seit drei Jahren nicht mehr angerührt, da würde ich die Sachen auch jetzt nicht mehr vermissen. Und wenn es zerbrechlich war gehörte es eh nicht in ein Regal in einem Zimmer voller Katzen. Nun, um genau zu sein drei Katzen, aber das konnte man bei dem Zimmerfüllstatus 'Müllkippe' schon als 'Zimmer voller Katzen' bezeichnen. Sorgsam sortierte ich aus, sah mir alles dreimal an und warf es dann in den meisten Fällen weg. Das Entrümpeln war schon längst fällig gewesen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)