Denkst du, der Himmel würde weinen, weil er einen Stern verliert? von Myojo (Sandkörner) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Der Himmel… so endlos, endlos erstreckte er sich… als ob er nirgends enden wollte, weitergehen bis in alle Ewigkeit, immer weiter, weiter, weiter…. Und dann noch weiter. Doch dem war nicht so. Er wusste das, wusste es wie jedes andere Kind, dem irgendwann in der Schule eingetrichtert worden war: Die Erde ist eine Kugel, wenn du immer geradeaus gehst, kommst du dahin zurück, wo du herkamst. Du kannst nicht unendlich weit fortgehen, nicht, wenn du in dieser Welt bleibst. Und doch… So unendlich weit, weit fort, nicht mehr in dieser Welt… vielleicht waren sie bei den Sternen? Wie Sandkörner klebten die fernen Sonnen am Himmel, Lichtpunkte in der Ödnis des Alls, glitzernd und funkelnd. Er erinnerte sich daran, dass seine Mutter mal gesagt hatte: Wenn ein Mensch stirbt, kommt er in den Himmel. Und wie er abends, im Bett, seine Schwester fragte, wo denn im Himmel, ob man die Toten denn noch sehen könne… da hatte sie gesagt: „Ja, denn sie werden zu Sternen. Jedes Mal, wenn eine reine Seele stirbt, wird sie zum Stern und leuchtet dort für die, die um sie trauern. Und sie geht erst, wenn sich niemand mehr an sie erinnert.“ Und nun war sie selbst einer dieser fernen, fernen Lichtpunkte, und nie, nie konnte er sagen, welcher. Und er… Er würde nie einer von ihnen werden. Niemals dort am Himmel leuchten… für wen auch? Alle, die ihm je so wichtig gewesen waren, waren tot. Getötet, gemordet. Rosencreutz war es gewesen, an dem Tag, an dem sie ihn mitgenommen hatten… Und er hatte sich geschworen, niemals, niemals zu vergessen. Und nie sein Herz an jemand anderen zu hängen als an diese Sterne, die wie Sandkörner am Himmel leuchteten, rein, klar, millionenfach, anonym und doch so sehr vertraut. Eine Wüste. Nichts als Sand, bis zum Horizont und darüber hinaus. Seltsam. In letzter Zeit passierte ihm das häufiger, sinnlose Orte, die er garantiert nie betreten hatte und nie betreten würde. Als wolle seine Vorsehung ihm sagen, er solle durchdrehen. Eiswüsten, Sandwüsten. Schneebedeckte zehntausender, tiefe Meeresschluchten. Diese Flashs ergaben keinen Sinn, enthielten keine Logik, und keinen Grund. Sie kamen und gingen, mal häufiger, mal seltener… vielleicht Überlastungserscheinungen? Doch diesmal.. war es anders. Er war nicht allein. Jemand stand auf einer nahen Düne, jemand, der einen langen Mantel trug, dunkelblau mit Troddeln und Quasten und einen weiten Kapuze, die ihm über den Rücken fiel. Im Halbdunkel weiß schimmernde Haare waren ihr entwischt und flatterten im kalten Nachtwind, der feinen, beißenden Staub, feinstgemahlene Sandkörner mit sich trug. Nun… Träume brachten es mit sich, eintönig zu sein, und dieser hier schien gerade einen interessanten Aspekt zu entwickeln… warum ihm also nicht folgen? Langsam ging er über den Sand, lauschte auf das Schurren und Schleifen des Windes, das Knirschen des Sandes unter seinen Schuhen und beobachtete den Fremden. Die Statur zumindest wies auf einen Mann hin, und seine Intuition täuschte ihn in dieser Hinsicht selten. Als er näher kam, sah er, dass der Andere den Kopf in den Nacken gelegt hatte und die Sterne über ihren Köpfen betrachtete, zu ihnen aufsah als wäre er aus Stein gemeißelt, regungslos und scheinbar ohne zu atmen. Und fast nahm Crawford an, es wäre eine Steinplastik, denn dies war ein Traum. Träume waren Spielfelder des Unterbewussten, gewaltige Kinderzimmer in denen sich der Unsinn und die Seele austobten. Doch gerade, als er zu diesem Schluss gelangt war, sprach der Andere. „Wenn wir zu den Sternen gehen könnten… wenn wir dorthin gelangen könnten, wenn wir ihnen nahe kommen könnten… wir, so schmutzig und leer wie wir sind… würden wir sie finden? Was denkst du? Wenn wir einen ganz bestimmten herunternehmen wollten, einen ganz bestimmten wieder zum Leben erwecken wollten… denkst du, der Himmel würde weinen? Weil er einen Stern verliert? Aber er verliert sie doch eh… irgendwann…“ Die Stimme versiegte, und der Amerikaner sah ebenfalls hoch zu den fernen Punkten, die so sehr an den Sand unter ihnen erinnerten… endlos und hell, gleißend im Licht fernen Sonnen, niemals endend. „Würde er weinen? Würde er Tränen vergießen? Wären ihm die Sterne so wichtig? Was glaubst du-„ Die Gestalt wandte urplötzlich den Kopf, starre, blicklose Augen, die Augen eines Toten, eines schon lange nicht mehr Seienden starrten ihn an aus diesem Gesicht, dass ihm so sehr bekannt vorkam. Das er kannte, dass er damals mitgenommen hatte. Das Gesicht des Jungen, mit dem Schwarz begonnen hatte, dem ersten, dem er in sein Team aufgenommen hatte. Das jetzt so leer, so fern schien, ferner noch als die Sterne. Leblos, Regungslos. So wie er schon immer gewesen war, seit er ihn kannte. Nicht brutal, aber ohne Gefühl. Ohne Verständnis. Wie ein Vogel, der nicht mehr fliegen kann, und nun andere Vögel zerhackt, weil sie es noch können. Diese Augen… sie reflektierten all das, was er war. Was sie alle waren. Finsternis. Tod. Ohne Hoffnung, und doch… kein Ende. Einzigartig, und doch nur Körner in einer riesigen Wüste, geschliffen vom Wind von Jahrmillionen. „Was glaubst du, wann stirbt ein Mensch.. wenn sein Leben endet? Wenn sich niemand mehr an ihn erinnert? Oder schon, wenn seine Erinnerungen nicht mehr sind als Sandkörner am Himmel? Wenn er dem Himmel die Sterne neidet?“ Schuldig hatte die Augen, diese Augen ohne Schmerz, aber auch ohne Mitgefühl, ohne Leid, aber auch ohne Glück, wieder den Sternen zugewandt. „Was glaubst du? Würde der Himmel weinen, wenn wir ihm die Sterne raubten?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)