Travel to the USA von Yusuke-san (Ronnie's Zeit im amerikanischen Gefängnis) ================================================================================ Die Ankunft ----------- Heute war endlich der große Tag. Ich würde von Australien nach Amerika verlegt werden. Da saß ich nun in meiner steinernen Zelle und freute mich wie ein kleines Kind. Nur sehr wenige haben die Chance ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu kommen. Ich versprach mir nur das beste davon. Aber wen wundert’s: Was hat man noch zu verlieren, wenn man in einer sechs Quadratmeter großen steinernen Zelle sitzt und es zum Frühstück jeden Tag Haferschleim, zum Mittag trockenes Fleisch mit trockenen Kartoffeln und zum Abendessen zwei Scheiben trockenes Schwarzbrot mit Käse bekommt? Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben. Doch dann die freudige Nachricht nach Amerika verlegt zu werden. Es war noch früh am Morgen. Es war selten, dass ich vor dem Weckdienst wach war, aber heute war schließlich der große Tag. Wie jeden Morgen kam eine Wache und ratterte mit ihrem Schlagstock einmal an den Gittertüren der Zellen entlang. Es war eine brutal laute Weise uns zu wecken. Das Rattern hat man noch eine halbe Stunde später im Ohr. Heute jedoch blieb er bei mir stehen und öffnete die Tür. Er legte mir Handschellen an und führte mich aus dem Gebäude. Ich sah einen Hubschrauber, in dessen Richtung ich gebracht wurde. Wow, ein Privathubschrauber für mich, dachte ich, als ich einstieg. Leider musste ich feststellen, dass der Flug nicht der tollste war. Mir wurde leicht übel, was neben den Luftlöchern nicht zuletzt mein Hunger verursachte, da ich schließlich vor meinem Abflug kein Frühstück mehr bekommen hatte. Nachdem wir gelandet waren, wurde ich in einem Gefangenentransporter untergebracht und zum Gefängnis gefahren. Schon bald waren wir da und ich stieg aus. rumms...bumm...knall...blubb...blubb...blubb < Das waren meine Hoffnungen, die nun endgültig im Pazifik versunken waren. Da stand ich nun. Vor dem größten und härtesten Knast von Amerika. Ich sah an diesem großen Gebäude hoch. Dann schaute ich mir den Hof an. Es sollte das größte Gefängnis der USA sein und der Hof schien mir für nicht mehr als zweihundert Menschen ausgelegt. Somit gab ich auch die Hoffnung auf mehr als eine Stunde Hofgang täglich auf. Die Fenster lagen nicht sehr weit auseinander. Daher befürchtete ich schon fast, dass die Zellen genauso winzig sein würden wie in Australien. Außerdem schien mir dieses Gebäude kein bisschen wohnlicher als das australische Staatsgefängnis. Ich wusste, dass man hier nicht nur als irgendein Gefangener behandelt werden würde. Man würde genau beobachtet werden. Man würde aufpassen müssen, wie man sich verhält. Schließlich war mir klar, dass die Amerikaner im Gegensatz zu den Australiern kein Problem mit der Todesstrafe hatten. Ich fühlte mich schrecklich, als ich das Gebäude betrat. Die kleine Halle machte das ganze nur noch schlimmer. Ich war mir schon im Klaren, dass ich mich in einem Gefängnis befand, aber ich hatte mir soviel von dieser Verlegung versprochen. Da stand ich nun mit meinem kleinen Koffer und wartete. Einige Zeit später wurde ich untersucht und bekam neue Kleidung. Danach wurde ich zu meiner Zelle geführt. Als ich sah, dass die Zellentüren nicht weiter als einen Meter auseinander lagen, wurde mein Verdacht auf die Größe der Zellen nur noch bestärkt. Doch der Moment, in dem sich meine Zellentür öffnete, war wirklich unübertrefflich. Ich blickte ins Nichts. Und zwar im wahrsten Sinne. Die Zelle war so gut wie leer. Auf der rechten Seite stand ein kleiner Holzschreibtisch. Davor stand ein Holzstuhl, der bald auseinander zu fallen drohte. Auf der linken Seite befand sich mein Bett, wenn man es überhaupt als Bett bezeichnen konnte. Ich würde es eher notdürftiger Schlafplatz nennen. Es war nicht einmal richtig bezogen. Es war einfach nur eine scheinbar steinharte Matratze in deren Mitte eine zusammengefaltete Wolldecke lag. Ich drehte mich einmal um mich selbst, während ich mich weiter in die Zelle hineinbewegte. Da schloss der Beamte auch schon die Tür hinter mir. Die ersten Eindrücke -------------------- Ich musste feststellen, dass der Tisch, der Stuhl und das Bett bis auf mich und meinen Koffer wirklich das einzige waren, was sich in dieser steinernen Zelle befand. Ich setzte mich völlig überfahren aufs Bett und atmete tief durch. Dann schloss ich die Augen und stellte mir meine alte Zelle vor. Als ich die Augen wieder öffnete, musste ich feststellen, dass diese Zelle vielleicht nur um einen Quadratmeter größer war. Was brachte mir ein Quadratmeter, wenn die Einrichtung fast noch spärlicher war und ich nur meinen kleinen Koffer dabei hatte. Ach ja, mein Koffer. Ich beschloss ihn erst mal auszupacken. Er war nicht einmal voll. Ich nahm zunächst ein Foto von meiner Familie heraus und stellte es auf den Schreibtisch. Dann hatte ich noch ein paar Hausschuhe, das ich neben das Bett stellte, einen Block mit Stift, die ich ebenfalls auf den Tisch legte und zuletzt einen kleinen Teddy, den ich von meiner Mutter bekommen hatte, als ich acht geworden war. Kurz darauf war sie gestorben. Daher mochte ich ihn sehr. Ich legte ihn aufs Bett. Na ja, jetzt hatte ich meine paar Sachen ausgepackt. Ich sah mich erneut in der Zelle um. Jetzt sah es auch nicht viel gemütlicher aus, aber immerhin sah ich jetzt ein paar Sachen, die mir vertraut waren. Ich ging zwei Schritte vorwärts und stand auch schon am Fenster. Ich sah durch die Gitterstäbe hindurch. Schlecht war die Aussicht nicht. Ich konnte den ganzen Hof sehen. Von hier oben sah er noch kleiner aus, aber das ist ja logisch. Ich sah nach rechts. Das Gebäude war noch sehr lang. Es befanden sich noch mindestens dreißig weitere Zellen zu meiner Rechten. Als ich nach links sah, bemerkte ich, dass das Gebäude nach drei weiteren Zellen zuende war. Als ich nach links unten sah, fiel mir ein kleiner Springbrunnen auf dem Hof auf, der von Bänken umgeben war. Er schien so friedlich in dieser ungemütlichen Umgebung, eingerahmt von hohen Stahlzäunen, auf denen aufgerollter Stacheldraht in der Sonne glänzte. Das Gebäude hatte mindestens fünf Stockwerke, von denen ich mich im zweiten befand. In Australien hatte ich eine Zelle im Erdgeschoss. Dort war die Aussicht nicht so schön, nicht zuletzt da sich mein Fenster drei Meter vor einer Wand befand. Aber dazwischen gab es einen Rasenstreifen, auf dem ich manchmal Eichhörnchen oder Hasen vorbeilaufen sehen konnte. Das könnte von hier oben recht schwierig sein. Ich beschloss mich zunächst einmal hinzulegen, zu schlafen und die Enttäuschungen zu verdauen. Also legte ich mich aufs Bett und schloss die Augen. Doch kaum fünf Minuten vergingen, als ich laute Stimmen und Geräusche auf dem Flur hörte. Da plötzlich öffnete sich eine kleine Klappe in meiner Tür und ein Paket mit Essen wurde hindurchgeschoben. Es blieb auf einem Vorsprung an der Tür liegen, während sich die Klappe wieder schloss. Ich stand auf, um es zu holen. Als ich das Paket in die Hand nahm und die Folie abzog, kam mir heißer Dampf entgegen, der mir zeigte, dass das Essen noch verdammt heiß war. Erst jetzt bemerkte ich, dass auch das Paket recht heiß war und hätte es beinahe fallen gelassen. Jedoch konnte ich es rechtzeitig auf dem Bett absetzen. Ich roch an dem Essen, stocherte einige Male mit der Gabel darin herum und versuchte zu identifizieren, was das sein könnte. Es sah aus wie eine einzige Pampe. Ich konnte einige Reiskörner entdecken. Schließlich fand ich noch kleine Fitzel von Fleisch. Außerdem schien dem ganzen noch alles mögliche an Gemüse untergemischt worden zu sein. Das Essen war ganz bunt von den ganzen verschiedenen Gemüsesorten. Schließlich nahm ich den Löffel und tauchte ihn mitten rein in die Pampe. Dann steckte ich den Löffel in den Mund. Ich versuchte zu schmecken, was darin alles enthalten war. Das Fleisch war nicht zu identifizieren. Es konnte alles sein. Schließlich stellte ich den Geschmack von Curry fest. Als ich jedoch den nächsten Bissen nahm, schmeckte es nach Paprika. Beim dritten war es dann eine Mischung aus beidem. Ich wollte nicht wissen, was als nächstes kam. Die von nebenan und ihre Schüssel --------------------------------- Da jedoch dachte ich an das trockene Fleisch und die trockenen Kartoffeln in Australien und bemerkte erst jetzt, dass ich ewig keine Soße mehr gegessen hatte. Na ja, also irgendwo in dieser Pampe wird schon Soße vorhanden sein, dachte ich und aß schließlich doch auf. Die leere Schale stellte ich zurück auf den Vorsprung an der Tür. Ich beschloss erneut, zu schlafen, ging zum Bett, legte mich hin und schloss die Augen. Jedoch dauerte es diesmal nicht einmal drei Minuten, bis ich erneut unterbrochen wurde. In der Zelle links neben mir schien eine Diskussion zwischen der Insassin und einem Wärter zu herrschen. Ich stand auf und lauschte an der Wand. Ich hörte die Insassin rufen: „Es ist jeden Tag dieselbe Pampe! Wenn ich in 25 Jahren dann endlich hier draußen bin, bin ich 50! Können Sie sich das eigentlich vorstellen?! Da ich ja dann sowieso bald krepieren werde, ist es auch egal, ob ich es dann tue oder lieber jetzt schon verhungere, weil ich keinen Bock mehr auf diesen Fraß habe!“ Da plötzlich flog etwas gegen die Wand und zwar genau gegenüber von der Stelle, an der ich mein Ohr an die Wand hielt. Erschrocken taumelte ich zurück. „SCHEIß KNASTFRAß!!!“, hörte ich die Frau noch brüllen. Ich schüttelte den Kopf, rieb mir mein Ohr und legte mich erneut auf mein Bett. Immerhin bezeichnet sie diesen Fraß auch als Pampe. Die ist mir sympathisch, dachte ich lächelnd und schloss einmal wieder die Augen. Ich wartete kurz und lauschte der Stille. Kein Wort mehr zu hören. Ob sie ihr Essen wohl gegessen hatte, bevor sie die Schüssel an die Wand geknallt hatte? Ich bezweifelte es, aber das musste ja heißen, dass die Pampe nun an der Wand klebte. Ich lächelte erneut. Wunderbar, wenigstens Ruhe, dachte ich und fiel in einen Halbschlaf von ganzen zehn Minuten. Da plötzlich hörte ich einen Wagen mit quietschenden Rollen den Flur entlang und an meiner Zelle vorbeirollen. Er schien vor der Zelle mit der Frau und ihrer Schüssel stehen zu bleiben. Ich hatte schon einen Verdacht, stand erneut auf und wollte wieder an der Wand lauschen, beschloss dann allerdings zur Sicherheit ein wenig Abstand zwischen der Wand und meinem Ohr zu lassen. Berechtigterweise: Ich hörte wie erneut etwas gegen die Wand flog, allerdings schien es nur etwas weiches aber nasses zu sein. Mein Verdacht war bestätigt. Wahrscheinlich war, wie ich geahnt hatte, die Schüssel vorhin tatsächlich noch voll gewesen und die Frau sollte nun die kläglichen Reste des Essens mit einem nassen Schwamm von der Wand entfernen, wovon sie nicht unbedingt begeistert zu sein schien. Ich musste auch nicht lange warten, bis der nächste Gegenstand auf die Wand traf. Er schien aus Plastik zu sein. Ich spekulierte auf einen Eimer mit Wasser, da ich das Plätschern von nebenan als Überflutung der Zelle mit dem Wasser, das im Eimer war, deutete. Freude stieg in mir auf, als ich darüber nachdachte, dass das nun die nächsten fünf Jahre, die ich noch hier sein würde, so weiter gehen könnte. Zumindest konnte ich für diesen Abend erst mal schlafen. Am nächsten Morgen wurde ich das erste mal seit zehn Jahren nicht durch einen Schlagstock, der an den Gitterstäben entlang ratterte, geweckt...Stattdessen übernahm dies ein weiterer Gegenstand der gegen die Wand geschleudert wurde. Ich sah schon einen Nutzen darin, mich daran zu gewöhnen. Als ich zur Tür schaute, sah ich, dass das Frühstück bereits auf der Ablage stand. Somit vermutete ich ebenfalls, dass es das Frühstück war, das heute von der Frau nebenan an die Wand befördert wurde. Langsam wurde ich nachdenklich. Was aß diese Frau bloß, wenn sie ihr Essen jedes Mal an die Wand klatschte. Aber eigentlich war mir das so ziemlich egal. Sollte sie doch verrecken, immerhin könnte ich dann eher schlafen. Zum Frühstück gab es Brot mit Wurst. Immerhin kein Haferschleim. Das sind Pluspunkte...die allerdings durch die Frau mit ihrer Schüssel schnell wieder untergehen. Jessalyn -------- Am späteren Nachmittag hatte ich ein wenig gezeichnet. Ich hatte die Frau von nebenan skizziert, wie sie gerade ihre Schüssel an die Wand warf. Das war das einzige Motiv, das mir auf die Schnelle eingefallen war. Da kamen wieder einige Leute den Gang entlang. Ich hörte Schlüsselgeklapper und Gemurmel. Da kamen sie auch zu mir. Einer der Beamten schaute mich fragwürdig an: „Na kommen Sie schon“, sagte er und machte mir mit einer Kopfbewegung klar, dass ich zur Tür kommen sollte. Also ging ich hin, während er mich immer noch ansah: „Ach so“, sagte er plötzlich, „Sie sind ja neu. Es ist Hofgang angesagt. Zwei Stunden.“ Ich nickte verständlich und kam zur Tür. Er öffnete, legte mir aber Handschellen an. Dann führte er mich runter in den Hof und nahm mir die Handschellen wieder ab. „Bis nachher“, sagte und schien mich tatsächlich freundlich anzulächeln. Ich lächelte zurück und nickte. Da plötzlich lachte er auf, schüttelte den Kopf und murmelte etwas Unverständliches. Ich wusste nicht was das sollte, drehte mich um und stand einer Frau gegenüber. „Frischfleisch“, sagte diese mir ins Gesicht. „Sehe ich aus wie ein Hackbraten?“, fragte ich, während ich ihr fragend in die Augen starrte. „Mädel, du hast noch viel zu lernen. Hier bin ich der Boss, kapiert?“, sagte sie ernst und energisch. „Ja, Sir...oder Madame, verzeiht“, meinte ich, nahm die Hand zur Stirn und musste kurz darauf losprusten. Nur schien Madame nicht sehr begeistert. Sie packte mich fest am Arm und flüsterte mir zu: „Pass bloß auf.“ Dann drehte sie um und ging. Ich sah ihr kopfschüttelnd hinterher. Da kam eine andere Frau auf mich zu. Sie betrachtete mich von oben bis unten, dann schien sie zufrieden und sprach mich an: „Ich heiße Jessalyn und du?“ „Wer will das wissen?“, meinte ich skeptisch, wie ich von nun an beschloss, allen gegenüber zu sein. „Ich wusste nicht, dass Sie blind sind, Fräulein...Verzeihen Sie mir“, antwortete sie die Augenbrauen hochziehend. Sie wollte sich gerade umdrehen und gehen, als ich ihr meine Antwort gab: „Ronnie. Ich heiße Ronnie.“ Da drehte sie sich auch schon wieder um: „Hy, Ronnie. Du solltest dich vor >Madame< in Acht nehmen. Nicht die freundlichste Zeitgenossin. Wen sie nicht mag, der bekommt es zu spüren...körperlich. Glaub mir, ich bin schon länger hier.“ „Na, wenn du das sagst...“, meinte ich immer noch skeptisch. „Ich kann dir helfen“, fing sie an. „Danke, aber sehe ich so hilflos aus? Es geht schon. Ich bin schon mit so einigen anderen Schlägern klargekommen“, meinte ich leicht genervt von der "ich kann dich beschützen"-Nummer und wandte mich ab. Einige Zeit später beschloss ich, einmal zu dem Brunnen zu gehen, den ich vom Fenster aus gesehen hatte. Er war auf der linken Seite des Hofes, wie ich mich erinnerte. Also machte ich auf den Weg. Da kam er auch schon in Sicht. Begeisterung stieg in mir hoch, als ich sah, dass eine gewisse Jessalyn es sich schon auf einer der Bänke gemütlich gemacht hatte. Ich entschloss mich schließlich trotzdem, mich zu ihr zu setzen. „Ich sitze gerne hier. Kaum jemand kommt sonst her. Scheint mir, wir haben in diesem Fall denselben Geschmack“, begrüßte sie mich. „Kann sein“, meinte ich darauf und setzte mich ihr gegenüber. „Warum bist du hier?“, wollte sie wissen. „Also hier bin ich eigentlich durch einen Glücksfall“, antwortete ich, was sie allerdings nicht wirklich verstand und mich daher recht seltsam ansah. „Also, ich für meinen Teil würde lieber hier raus. Vielleicht komm ich das auch bald. Ich sitze nur in Untersuchungshaft. Ich wurde beschuldigt, meinen Mann umgebracht zu haben“, erzählte sie. „Also ich bin nicht freiwillig hier; nur hier in diesem Gefängnis bin ich durch einen Glücksfall, meinte ich. Ich war vorher in Australien“, erklärte ich. „Ich glaub es nicht! Da hab ich meine Kindheit verbracht. Ist das nicht unglaublich? Aber warum bist du freiwillig hierher gekommen?“, stellte sie fest. „Na ja, das hab ich mich eigentlich auch schon gefragt. Ich hatte mir soviel davon versprochen, hierher zu kommen. Ich hatte mir alles besser vorgestellt. Eigentlich war meine Lage in Australien wirklich nicht mehr zu verschlimmern, glaub mir. Erster Tag überstanden ---------------------- Es ist ja nicht so, dass es hier genauso schlimm wäre. Es ist okay, aber ich hatte mir eben mehr Hoffnungen gemacht“, meinte ich. „Na dann...verstehen muss ich deine Wahl aber nicht oder?“, fragte sie, den Kopf schief legend. „Nein, ich tue es ja selbst nicht mehr. Aber warum bist du nach Amerika gekommen, wenn ich fragen darf?“, wollte ich wissen. „Klar darfst du. Ich bin wegen meinem Mann hergekommen, der ja jetzt nicht mehr lebt. Ich würde gerne zurück“, sagte sie traurig in den Brunnen blickend. „Du hast doch gesagt, dass du wahrscheinlich bald wieder draußen bist. Dann kannst du doch zurück“, versuchte ich sie aufzumuntern. „Das meinte ich nicht ernst... Wahrscheinlich komme ich hier nicht mehr lebend raus“, murmelte sie leise und ihr stiegen Tränen in die Augen. „Was?!“, fragte ich entsetzt, „Aber du bist doch unschuldig, oder?“ „Lass uns ein anderes Mal darüber reden, okay? Ich kenn dich nicht mal richtig“, traurig stand sie auf und ging zum Hauptgebäude, wo sie auf ihre Zelle zurückgebracht wurde. Ich blieb noch etwa eine halbe Stunde am Brunnen sitzen und schaute ins Wasser. Dabei dachte ich noch einmal über das Gespräch mit Jessalyn nach. Warum war sie sich so sicher, dass sie schuldig gesprochen werden würde? Da hörte ich plötzlich, wie einige Beamte in ihre Pfeifen bliesen. Ich beschloss zum Eingang zu gehen, da ich das Ende des Hofganges vermutete. Ich hatte richtig vermutet. Ich wurde wieder auf meine Zelle gebracht. Ich setzte mich aufs Bett und war mit meinen Gedanken mal wieder bei der Frau von nebenan. Ob sie heute noch etwas essen würde? Da hörte ich einige Beamte den Gang entlang gehen. Sie unterhielten sich und schienen das Abendessen zu verteilen. Kurz darauf öffnete sich tatsächlich die Essensklappe und mir wurde eine Schüssel hindurchgeschoben. Ich ging zur Tür, lauschte jedoch einige Zeit in den Flur, anstatt gleich zu essen. Als sie zu der Frau nebenan kamen, hörte ich den einen Beamten zum anderen sagen: „Wenn diese Frau heute wieder nicht isst, werden wir sie irgendwie dazu bringen müssen.“ „Das weiß ich auch“, sagte darauf der andere, „Wenn sie heute nicht essen sollte, bringen wir sie in den Bunker, binden sie fest und stopfen ihr das Essen irgendwie rein.“ Sie sprachen mit Absicht nicht allzu leise, damit die Frau hören konnte, was sie erwarten würde, wenn sie wirklich nicht essen sollte. Sie schoben ihr das Essen rein. Ich erwartete schon den Aufprall des Essens an der Wand, überlegte dann jedoch kurz. Ob sie wirklich so blöd war und sich in den Bunker verschleppen lässt, um dort gefesselt den ganzen Tag rumzuliegen? Sie würde sowieso nichts dagegen tun können, ernährt zu werden, also sollte sie es doch lieber selbst tun. Sie war so blöd. >Klatsch< Das Geräusch von der Kollision Schüssel auf Wand. Etwa eine halbe Stunde später, ich war gerade mit dem Essen fertig, kamen erneut zwei Beamte den Gang entlang und hielten vor der Zelle der Frau an. Ich hörte wie die Tür aufgeschlossen wurde und ein Beamter die Zelle betrat, um der Frau Handschellen anzulegen. Es schien eine kleine körperliche Auseinandersetzung zu geben, in der die Frau allerdings unterlag. Fünf Minuten später konnte ich hören, wie sie an meiner Zelle vorbei geführt wurde. Immerhin würde ich jetzt besser schlafen können, dachte ich und legte mich auch kurz darauf hin. Es war still. Verdammt still. Das war ich nicht gewohnt. Selbst im Gefängnis in Australien gab es immer irgendwelche Geräusche, auch wenn nur mal eine Eule war, die ich aufgrund der dort fehlenden Fensterscheiben recht deutlich hören konnte. Beim Frühstück am nächsten Tag schien irgendetwas zu fehlen. Ich musste nicht lange überlegen, um darauf zu kommen, dass es das Scheppern der Schüssel war. Nach dem Mittagessen dachte ich an Jessalyn. Heute beim Hofgang würde ich sie wieder treffen. Ich überlegte, ob ich sie noch einmal auf das Thema von gestern ansprechen sollte. Ich entschied mich schließlich, es nicht zu tun. Somit überlegte ich, worüber ich mit ihr reden könnte und kam auf das Thema Australien. Ich hielt es für keine schlechte Idee mit ihr über Australien zu reden, weil wir beide eindeutig Gesprächsstoff hierzu haben würden. Erpressung ---------- Schon bald wurde ich aus meinen Gedanken gerissen von dem Beamten, der mich auch am vorigen Tag nach draußen gebracht hatte. Kaum hatte ich den Hof betreten, kam auch schon Jessalyn auf mich zu. „Hy, Ronnie. Wie geht’s?“, fragte sie. „Ganz gut, ich hab heute besser geschlafen“, meinte ich und musste leicht grinsen. „Ach ja? Und warum?“, wollte sie wissen. Also erzählte ich ihr die Geschichte mit der Frau und ihren Schüsseln. Als ich fertig war, musste auch sie schmunzeln: „Dann genieß mal die Zeit. Wer weiß, wann die wiederkommt.“ „Wahrscheinlich hast du recht“, gab ich zu. „Sag mal wie lange hast du eigentlich in Australien gelebt?“, versuchte ich das Thema zu wechseln. „Bis ich einundzwanzig geworden bin. Ich hatte ja schon erzählt, dass ich dann zu meinem Mann nach Amerika gezogen bin“, erzählte Jessalyn. „Ja, stimmt. Aber mich würde mal interessieren, wie du ihn kennen gelernt hast“, versuchte ich weiter sie zum erzählen zu bringen. Doch leider schien dies keine gute Idee gewesen zu sein. „Warum verdammte scheiße interessiert dich mein Privatleben so sehr?! Können wir nicht über was anderes reden?!“, fuhr sie mich an. „Entschuldigung“, meinte ich völlig überrumpelt, „Aber du bist diejenige, die versucht hat sich mit mir anzufreunden. Und wenn du mir nichts erzählen möchtest, sehe ich nicht unbedingt eine Chance, mich gut mit dir zu verstehen.“ „Dann lass ich dich eben in Frieden ruhen und begebe mich nicht mehr in deine Nähe“, sagte sie völlig entnervt, drehte sich um und ging. Was hatte ich jetzt schon wieder falsch gemacht, überlegte ich. Ich hatte sie doch nur nach ihrem Mann gefragt. Einige Zeit später beschloss ich mich wieder an den Brunnen zu setzen, da ich gerade gesehen hatte, dass Jessalyn schon wieder drin war. Ich setzte mich auf eine der Bänke. Es verging nicht viel Zeit da kam >Madame< auf mich zu. Da ich nicht sehr begeistert über ihre Anwesenheit war, beschloss ich mich von hier zu verdrücken. Doch da sie nicht sehr begeistert davon war, dass ich beschloss mich zu verdrücken, packte sie mich mal wieder am Arm und zog mich zu sich ran. „Gib mir zweihundert oder hast ein großes Problem“, sagte sie mir leise ins Ohr. „Selbst wenn ich zweihundert hätte, würde ich sie dir bestimmt nicht in den Arsch schieben“, meinte ich und versuchte dabei möglichst überzeugend zu klingen. Sie schien sich mit ihren dunkelbraunen Augen und einem tötenden Blick in meine zu brennen. „Kohle; morgen, genau hier“, zischte sie mir ins Ohr. „Und wenn nicht?“, fragte ich mittlerweile schon genauso herausfordernd. Es sah recht lächerlich aus, wie sie versuchte noch fieser zu gucken. „Dann...“, sagte sie und ließ eine kurze Pause, „...hast du, wie ich schon sagte, ein großes Problem.“ „Ach ja, hab ich vergessen...sorry“, antwortete ich ihr, lächelte kurz und riss mich los. Nun ging ich mit langen Schritten zum Eingang und ließ mich auf meine Zelle zurückbringen. Kaum war ich wieder drin, setzte ich mich aufs Bett und ließ mich rücklings auf die harte Matratze fallen. Ich schloss kurz die Augen und dachte darüber nach, ob ich mir wohl Sorgen machen sollte. Ich kam zu dem Schluss, dass ich mich morgen einfach in der Nähe der Wachen aufhalten musste, dann würde sie ihre Drohungen nicht wahr machen können. Sie hatte mir ja nicht einmal richtig gedroht, überlegte ich. Wahrscheinlich hatte sie selbst nicht mal eine Ahnung, was sie tun würde, wenn ich ihr kein Geld gäbe. Wahrscheinlich hatte sie bis jetzt immer bekommen, was sie gefordert hatte. Zunächst machte ich mir keine weiteren Gedanken darüber und begann zu zeichnen. Bald gab es auch schon Abendessen, danach ging ich zu Bett und schlief auch recht schnell ein. Am nächsten Morgen war es schon fast wieder vergessen und ich machte mir nur noch Gedanken um den Hofgang aufgrund von Jessalyn. Ob sie wohl noch sauer auf mich war? Sie war bis jetzt die einzige, die ich kennen gelernt hatte und mit der ich mich zu Anfang auch noch recht gut verstanden hatte. Es war mir wichtig, dass ich sie nicht verlieren würde. Ich konnte mit ihr über Australien sprechen und wir hatten uns schließlich auch schon ganz gut unterhalten. Ich dachte schon längst nicht mehr an >Madame<. Es war ein großer Fehler, zu ignorieren, dass es sie gab, denn sie würde mich noch in große Schwierigkeiten bringen, was ich zu der Zeit noch gar nicht einschätzen konnte. Es begann damit, dass ich auf den Hof gebracht wurde und sie mich schon sprichwörtlich mit offenen Armen empfing. Ginger ------ Doch sie wandte sich statt an mich zunächst an die zwei Beamten, die neben mir an der Tür standen: „Es ist wichtig. Sie sollten dringend mal nach dort hinten gehen. Ich habe eine Schlägerei beobachtet.“ Sie deutete auf die rechte Seite des Hofes, wo die Sicht zum restlichen Hof durch das Gebäude verdeckt wurde. Zu meinem Pech machten sich die zwei Beamten tatsächlich so schnell wie möglich auf den Weg und ließen mich mit dieser Tante allein. Kaum hatten die Beamten uns den Rücken zu gedreht, packte sie mich plötzlich von hinten, legte mir ihren Arm um den Hals und fragte: „Und? Was is mit Kohle?“ Ich wollte gerade mit dem Kopf schütteln, als mir einfiel, dass sie mich dann bestimmt nicht loslassen würde. Also nickte ich und tat so als würde ich in die Tasche greifen wollen, was mir allerdings unmöglich war, da ihre Arme im Weg waren. Ich hoffte, sie würde mich darauf nicht mehr so sehr festhalten und ich könnte mich losreißen. Leider schien sie nicht darauf reinzufallen und griff stattdessen mit ihrer freien Hand selbst in meine Tasche. Niemand wird sich je vorstellen können, wie verdammt sauer sie darauf reagierte. Während ich immer noch verzweifelt versuchte mich zu befreien, zog sie ihren Arm immer fester an meinen Hals, sodass ich schon leicht in Atemnot geriet. Da machte sie mit ihrer freien Hand eine Faust und schlug mir mit voller Wucht in den Magen. Die Gelegenheit, dass ich nach Luft schnappen musste, nutzte sie nur aus um ihren anderen Arm noch fester um meinen Hals zu legen. Jetzt hatte ich ein echtes Atemproblem und wäre beinahe in Ohnmacht gefallen, als >Madame< plötzlich nach vorne kippte und mich unter sich begrub. Mein Vorteil war, dass ich wieder Luft bekam, da sie ihren Arm von mir abgelassen hatte. Erst jetzt sah ich den Grund für ihren Sturz. Da stand Jessalyn, die ihr scheinbar einen Schlag in den Rücken verpasst hatte und mir jetzt die Hand zum Aufstehen reichte. Ich nahm sie, stand auf und blickte sie erschöpft, nach Atem ringend und gleichzeitig sehr dankbar an. Auch >Madame< hatte sich mittlerweile wieder aufgerappelt und schaute mich funkelnd an. Als sie begriff, dass sie nun eindeutig unterlegen war, wollte sie sich so schnell wie möglich umdrehen und verdrücken, doch Jessalyn war schneller. Sie packte sie von hinten an beiden Armen und flüsterte ihr ins Ohr: „Lass in Zukunft bloß die Finger von meiner Freundin.“ Dann zog Jessalyn ihr die Beine weg und ließ gleichzeitig ihre Arme los, sodass sie mit voller Wucht und dem Gesicht zuerst auf dem harten Steinboden aufschlug. Während ich noch völlig erschrocken auf die Frau am Boden starrte, kam Jessalyn zu mir und meinte nur: „Na komm, bevor die Beamten unangenehme Fragen stellen.“ Ich nickte nur, während ich immer noch zu Boden schaute. „Lass uns zum Brunnen gehen“, sagte sie, fasste mich am Arm und nahm mich mit zu den Bänken. Kaum hatten wir uns gesetzt, fing Jessalyn auch schon an zu reden: „Sie heißt übrigens Ginger.“ Ich schaute auf. „Hm?“, fragte ich. „>Madame<...Sie heißt Ginger“, sagte sie erneut. „Ach so“, meinte ich und nickte. „Was ist denn los?“, wollte Jessalyn wissen. „Es ist nur...was ist, wenn Ginger uns verrät?“, fragte ich. „Und wenn schon...sie kann es nicht beweisen. Außerdem...“, sie machte eine kurze Pause, „...du hast doch gar nichts gemacht und ich hab sowieso nichts mehr zu verlieren...“ Sie lächelte mich betrübt an. „Weißt du...“, meinte sie nach einiger Zeit, „...wo ich dich vorhin meine Freundin genannt habe, sollte ich dir vielleicht doch mehr über mich erzählen. Immerhin hast du mich schon einige Male gefragt.“ Überrascht über den plötzlichen Wandel, meinte ich zunächst: „Das musst du nicht. Ich kann es verstehen, wenn du über einige Sachen nicht reden möchtest.“ „Nein...ich finde, du solltest einiges über mich wissen, wenn du dich wirklich mit mir abgeben möchtest“, warf sie ein. „Wenn du meinst...aber nur, wenn es dir nichts ausmacht“, war das Letzte, was ich sagte, bevor sie anfing ihre Geschichte zu erzählen. „Ich fang am besten in Australien an...“, begann sie, „...Als ich zwanzig war, hatte ich genug davon zuhause zu leben. Ich wurde immer noch wie Muttis kleine liebe Tochter behandelt. Aber sie hat gesagt, ich darf erst ausziehen, wenn ich einen anständigen Mann geheiratet habe. Also begann ich im Chat nach netten Männern zu suchen. Da traf ich dann Ralph. Ich hatte mich sofort in seinen Charakter verliebt. Auch er schwärmte immer wieder von mir und so beschloss er kurzerhand mich zu besuchen. Jessalyn's Geschichte --------------------- Also kam er nach Australien und wir verliebten uns sofort ineinander. Auch meine Eltern waren sehr begeistert von ihm. Er blieb einen Monat und wir beschlossen kurz darauf zu heiraten. Als er mich zum zehnten Mal bat, wieder mit ihm nach Amerika zu kommen, entschied ich mich schließlich dafür, mit ihm zu gehen, nicht zuletzt, weil er mir von seinen Geschäften erzählte, mit denen er sehr viel Geld machte. Ich freute mich sehr auf Amerika. Wir wollten uns ein Haus kaufen und eine Familie gründen. Jedoch erwartete mich in Amerika genau das Gegenteil. Unter seinen Geschäften verstand er große Deals mit Drogen. Recht hatte er jedoch in dem Punkt, dass er Geld hatte. Zunächst versuchte ich mich damit abzufinden, bis er mir beichtete, er habe ein paar Probleme mit seinen festen Kunden und er habe einen Großteil seines Geldes verloren. Daher konnten wir uns dann doch kein Haus kaufen und das war erst der Anfang. Es endete schließlich damit, dass er von der Polizei gesucht wurde und mich somit immer tiefer in seine Geschäfte mit reinzog...“ Sie machte eine Pause. Ich schaute sie erwartungsvoll an und wollte unbedingt wissen, wie es weiterging. Doch da fiel bei mir der Groschen. „Du hast ihn doch nicht etwa deswegen...“, fing ich total überrumpelt an. Sie nickte leise und ich konnte Tränen in ihren Augen sehen. „Ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte. Es schien mir ein Ausweg. Außerdem konnte er mir seit jenem Tag, an dem er es mir gebeichtet hatte, sowieso gestohlen bleiben. Er hatte keines seiner Versprechen gehalten, von denen ich mir soviel versprochen hatte. Und als ich erfuhr, dass sogar ich schon von der Polizei gesucht wurde, nur weil ich mit ihm verheiratet war, entschloss ich mich dem ein Ende zu setzen. Ich hatte mir auch erhofft von der Gesuchtenliste gestrichen zu werden, wenn die Deals nun gestoppt wurden durch Ralphs Tod. Für kurze Zeit hatte ich das dann auch geschafft. Ich beschloss, nach Australien zurück zu fliegen. Leider kam ich nur bis zum Flughafen, wo ich dann festgenommen wurde, weil ich unter Verdacht stand, meinen Mann umgebracht zu haben...“ „...was leider auch stimmte“, vollendete ich den Satz. „Ja...und das Schlimme daran ist, dass ein gewisser Johnny den Mord gefilmt hat“, meinte sie und musste über die schreckliche Ironie ihres eigenen Pechs lächeln. Ich starrte sie völlig entgeistert an und versuchte einen ordentlichen Satz herauszubekommen: „Das heißt...du meinst...also...jemand hat dich gefilmt, während du deinen Mann ermordet hast?!“ „Bingo...“, flüsterte sie. „Oh Mann...“, war alles was ich jetzt noch herausbrachte. Einige Zeit lang herrschte Schweigen, dann fing ich erneut an: „Aber warum ist es dann noch nicht rausgekommen, dass du schuldig bist.“ „Das ist im Moment noch mein Vorteil. Er scheint verschwunden zu sein. Ein Kumpel von ihm ist zur Polizei gegangen. Er habe von Johnny erfahren, dass ich schuldig bin. Er war derjenige, der mich hierher gebracht hat. Aber da er es nicht beweisen konnte, hat er der Polizei von dem Videoband erzählt. Das heißt, solange Johnny verschwunden ist, kann mich keiner verurteilen. Aber da das Band nun mal existiert, ist es eben nur eine Frage der Zeit, bis es bei der Polizei landet“, erklärte sie. „Uff...das ist eine Geschichte“, meinte ich, „Ich hoffe ganz ehrlich für dich, dass das Band und dieser Johnny verschwunden bleiben. Die können dich hier nicht ewig festhalten.“ „Da hast du schon recht, aber die können mich bis zu drei Jahre hier behalten“, warf sie ein. „Aber das ist doch immer noch besser als verurteilt zu werden. Außerdem bin ich ja auch noch da“, versuchte ich sie aufzumuntern. „Ja, und dafür bin ich auch verdammt dankbar“, meinte sie, umarmte mich und fing an zu weinen. Ich war glücklich jetzt die Wahrheit über sie zu wissen. Tröstend legte ich meinen Arm um sie. „Aber um noch mal auf Ginger zurück zu kommen...“, sagte sie plötzlich und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, „...Wenn wir einfach jeden Tag zusammen auf dem Hof sind, wird sie dich bestimmt in Ruhe lassen.“ „Da hast du wahrscheinlich recht. Ich will gar nicht wissen, wie sie jetzt aussieht, so wie sie vorhin auf die Fresse geflogen ist“, meinte ich und musste lachen. Nachdem Jessalyn sich kurz vorgestellt hatte, wie sie wohl aussehen würde, musste auch sie lachen und vorerst war die ganze Geschichte mit Johnny vergessen. Wir genossen die Stunde, die wir noch Hofgang hatten, indem wir uns ausgelassen über Australien unterhielten. Ich war froh, dass ich hier eine so gute Freundin gefunden hatte. Leider eine zu gute Freundin, wie sich bald herausstellen sollte. Eine schreckliche Wendung ------------------------- Es waren etwa zwei Monate vergangen seit jenem Gespräch mit Jessalyn. Es war früh am Morgen. Ein schöner Morgen. Heute wurde ich mal nicht von den Beamten geweckt, sondern durch die hellen Sonnenstrahlen, die mich durch das Fenster blendeten. Für einen kurzen Moment dachte ich, ich wäre zuhause...dann öffnete ich die Augen. Natürlich, ich blickte an die graue Steindecke. Ich machte mir nichts mehr draus. Mittlerweile hatte ich mich an hier gewöhnt. So wie man sich anfangs an eine neue Wohnung gewöhnen muss. Ich war glücklich hier einen Menschen wie Jessalyn zu haben. Ohne sie wäre ich längst untergegangen. Ich saß auf meinem Bett, als mir das Frühstück gebracht wurde. Es war ein angenehmer Morgen; ich dachte es immer wieder. Da konnte doch etwas nicht stimmen. Am Nachmittag zeichnete ich die schöne Aussicht aus meinem Fenster. Ich sah einige Vögel aus dem Süden zurückkommen. Die Bäume fingen an zu blühen. Es wurde langsam Sommer. Ich freute mich auf den Hofgang. Freute mich, nach draußen zu gehen und dieses Wetter mit Jessalyn zu genießen. Als ich am Nachmittag den Hof betrat, sah ich mich um. Sie war noch nicht da. Normalerweise war sie immer vor mir da, weil ihre Zelle näher am Ausgang lag. Ich blieb in der Nähe der Tür, um dort auf sie zu warten und nicht unbedingt auf Ginger zu stoßen. Etwa fünf Minuten später kam Jessalyn schließlich. Ich erschrak, als ich sie sah; Sie sah schrecklich aus. Ihr Gesichtsausdruck hatte tiefe Spuren von Depressionen. Doch kaum hatte sie mich gesehen, nachdem sie ihren Kopf gehoben hatte, zwang sie sich zu einem gequälten Lächeln. „Ist das nicht ein schönes Wetter heute?“, fragte sie wie in Trance. „Hey Jess, was ist los?“. fragte ich besorgt, während ich sie an den Oberarmen packte und ihr tief in die Augen schaute. „Was soll sein?“, fragte sie immer noch gequält lächelnd. Zu erkennen wie schlecht es ihr wirklich ging, war etwa so schwierig, wie eine Maus von einem Elefanten zu unterscheiden. „Lass uns das Wetter genießen, Ronnie. Mir geht’s gut“, meinte sie erneut. Langsam machte ich mir wirklich Sorgen. „Ich sag dir was; ich lass dich nicht eher in Ruhe, bis du mir gesagt hast, was los ist“, erklärte ich ihr. „Ronnie...“, fing sie leise, traurig und mit Nachdruck an, „...lass uns dieses Wetter genießen, okay? Ich bin froh, dass es heute noch so schönes Wetter ist. Heute...noch einmal...“ Ihr stiegen Tränen in die Augen und schlagartig begriff ich. „Ach du Scheiße“, meinte ich völlig überrannt. Einige Sekunden herrschte Stille, bis ich in einem Flüsterton hinzufügte: „Johnny?“ Eigentlich wollte ich keine Antwort haben. Wirklich nicht. Aber da sah ich schon, wie Jessalyn ihren Kopf zu einem Nicken bewegte. „Nein! Nein! Ich glaubs nicht! Nur er? Oder hat er auch das Band dabei?“, kaum hatte ich zuende gesprochen, bereute ich es schon. Auch auf diese Frage wollte ich keine Antwort haben, denn ich wusste, was es für Jessalyn bedeuten würde. Sie hatte sich bereits auf eine der Bänke neben mir gesetzt und ihr Gesicht zwischen den Händen vergraben. Ihre langen schwarzen Haare hingen an den Seiten herunter, sodass ich ihr Gesicht nicht mehr sehen konnte. Ich hörte ein leises aber tiefes Ausatmen. Ich setzte mich neben sie und legte meine Hand auf ihren Rücken: „Jess...hat er das Band dabei?“ Sie antwortete nicht. „JESS!“, schrie ich sie nun an und zog ihren Arm vom Gesicht. „BIST DU GLÜCKLICHER, WENN ICH ES DIR JETZT NOCH BESTÄTIGE, ALS OB DU ES NICHT AHNEN WÜRDEST?!“, schrie sie völlig fertig zurück, während ihr die Tränen die Wangen runterliefen. „Verdammt! Die werden mich für diesen Mord verurteilen!“, sagte sie diesmal etwas ruhiger. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Eine Zeit lang herrschte Schweigen. Dann ergriff schließlich doch ich wieder das Wort: „Bist du dir sicher, dass er das Band dabei hat?“, fragte ich erneut, diesmal vorsichtiger. Sie schien die Frage vernommen zu haben, ließ sich aber Zeit mit der Antwort: „...Ich...ich hab ihn getroffen...gestern Abend. Ich wurde in den Besucherraum gebracht, hatte aber nicht mit ihm gerechnet. Da saß er dann. Gegenüber von dem Platz der für mich vorgesehen war. Hinter der Scheibe...aber mir gegenüber. Ich wollte ihn nicht sprechen, aber die Beamten wollten mich nicht zurück auf die Zelle bringen, bis ich nicht mit ihm geredet hatte. Also setzte ich mich und hoffte, dass er beginnen würde. Er tat es: „Hallo Jessy...Lang nicht gesehen.“ Abschied für immer? ------------------- Er hoffte auf eine Antwort meinerseits, aber die bekam er nicht. „Tja, jetzt bin ich hier. Und daher wurde auch gleich eine Verhandlung für morgen angesetzt“, erklärte er. Ich wartete, aber es kam nicht mehr von seiner Seite. Ich beschloss schließlich doch, mit ihm zu reden. „Was ist mit dem Band?“, fragte ich leise. Da fing er an zu lachen: „Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich hier nach so langer Zeit auftauche und dann keine festen Beweise habe, oder? Ich hätte schon vor drei Jahren kommen können, aber ich habe es dummerweise versäumt einige Kopien von dem Band zu machen, daher ist es leider kurze Zeit nicht auffindbar gewesen. Es machte einige Mühe das Band wieder aufzutreiben, aber das war es mir wert. Tut mir schrecklich Leid, dass du solange warten musstest...na klar hab ich es dabei“, sagte er schließlich mit einem deutlichen Unterton von schwarzem Sarkasmus. Damit war dann genug. Ich stieß den Stuhl um, auf dem ich gesessen hatte und rannte zu einem der Beamten. „Ich möchte sofort zurück auf meine Zelle“, sagte ich. Schließlich gab er nach und brachte mich auf meine Zelle. Und heute ist meine Verhandlung. Ich bin so gut wie tot...“ Sie hörte auf zu reden. „Jess...gib dich doch nicht auf, bevor es nicht so weit ist“, versuchte ich es weiter. „RONNIE!!! Ich bin dir dankbar, dass du mich aufmuntern willst, aber ich weiß, dass es zuende ist. Es gibt keinen Ausweg. Das einzige, was mich noch retten könnte, wäre, wenn Johnny nur geblufft hätte und das Band doch nicht dabei hat. Aber Johnny blufft nicht...“ Sie wurde unterbrochen, als ein Beamter zu uns kam und seine Hand auf ihre Schulter legte: „Verzeihung, würden Sie bitte mit rein kommen. Sie sollten sich für die Verhandlung vorbereiten.“ Sie nickte stumm, während ich sie traurig anschaute. „Sei ehrlich, Jess, sehen wir uns noch einmal wieder?“, fragte ich betroffen. „Ich weiß es nicht...“, sagte sie, drehte sich um und wurde auf ihre Zelle gebracht. Nun wo sie nicht mehr hier war, wollte ich auch nicht mehr draußen bleiben. Ich ließ mich ebenfalls auf meine Zelle bringen und legte mich aufs Bett. Da lag ich nun. Ich schloss die Augen und vergaß alles um mich rum. Ich war eingeschlafen. Tief und scheinbar ohne Traum. Doch plötzlich spürte ich einen eiskalten Luftzug. Es lief meinen Rücken herunter. Erschrocken wachte ich auf und saß im Bett. Es war dunkel. War es schon nachts? Wahrscheinlich. Obwohl ich gerade geschlafen hatte, war ich verdammt müde. Daher legte ich mich gleich wieder hin. Ich wollte lieber schlafen, als wieder über Jessalyn nachzudenken. Als ich wieder halbwegs gemütlich im Bett lag, schloss ich die Augen und bekam einen kurzen Schock. Wieder dieser kalte Windzug. Ich fröstelte. Es war nicht kalt in der Zelle. Im Gegenteil, es war sehr warm. Was war das? Ich drehte mich auf die Seite und schloss erneut die Augen. Da plötzlich bekam ich einen tiefen Schock. Mit einem Satz saß ich aufrecht im Bett. Große Schweißperlen hatten sich auf meiner Stirn gebildet. Dieses Bild. Oh mein Gott! Wo war ich? Natürlich...in meiner Zelle...hier...Was war das? Ich hatte ein Bild gesehen in meinem Kopf, das mir das Grauen eintrieb. Ich wusste nicht mehr, was zu sehen gewesen war. Es hatte mich geschockt. Ich atmete einige Male tief durch. Schließlich beschloss ich, meine Augen ein weiteres Mal zu schließen und mich ganz stark auf dieses Bild zu konzentrieren. Ich schloss die Augen. Minuten vergingen. Langsam...ganz langsam erschien dieses Bild...dieses Bild...ich...ich sah mich...und... Johnny?! „Aaaaaaaaaaaaahhhhhhhh!!!“ Ein gellender Schrei, der meine Lungen zu zerreißen schien, erhellte die tödliche Stille dieser Nacht. Ein Schrei. Ich spürte einen scheinbaren Schlag ins Genick, der mir unerklärlich schien, da ich schließlich allein war. Es war eine Einbildung. Alles war dunkel. Ich war auf dem Boden zusammengesackt. Alles war wieder da. Alles, was ich vergessen hatte, verdrängt hatte... Ich spürte, wie mir warme Tränen meine kalten Wangen nur so runterliefen. Johnny...und ich...eine Leiche... „NEIN! JESSY! Ich lief zur Tür und hämmerte mit aller Wucht dagegen: „Jessalyn! ICH MUSS ZU IHR! Sie ist unschuldig...sie ist unschuldig! Hört mich jemand?! JESSY!!!“ Ich hatte keinen Atem und keine Kraft mehr. Ich sackte nun endgültig zu Boden und blieb liegen… Ronnie's Vergangenheit, Jessalyn's Schicksal -------------------------------------------- Ich saß neben der Tür auf dem Boden mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Einige Wochen waren vergangen. Es war Hofgangszeit. Ich fühlte mich nicht gut. Mein Theater damals war völlig umsonst gewesen. Es war zu spät. Sie wurde drei Stunden vorher verurteilt. Unschuldig! Sie war unschuldig! Ich konnte nichts mehr machen: Hier saß ich nun. Ich wusste alles und war machtlos. Er hatte Ralph umgebracht. Johnny hatte ihn ermordet, aber Jessy hielt sich selbst für schuldig. So ein mieser Trick. Gift, ganz einfach, und er lag reglos, scheinbar schlafend, auf dem Sofa. Es ist richtig, dass sie es war, die auf ihn einstach, doch er war schon tot. Johnny hatte ihn ermordet. Das hatte er mir erzählt, als er abends nach Hause kam...er...mein Mann Johnny! Was für eine Schande. Er hatte einen Freund in Begleitung. Eine Diskussion begann. Wegen dem Mord. Es wurde gefährlich, brutal, blutig... Ich hatte ihn erstochen...Johnnys Freund. Und dann wurde alles schwarz. Ich hatte keine weiteren Erinnerungen. Er hatte mich bewusstlos geschlagen. Ich hatte alles vergessen. Ich wurde für den Mord an Johnnys Freund verurteilt. Darum war ich hier. Man konnte mich einfach überführen. Die Beweise waren eindeutig, aber ich hatte mich nicht erinnern können. Er war es gewesen. Ich kannte Jessalyn also von früher. Sie war nur ein Werkzeug von Johnny, um Ralph zu ermorden. Jetzt war Johnny Ralph los und der neue große Drogendealer an seiner Stelle. Ja, das war er jetzt... Ich war so fertig, dass ich nicht mal mehr in der Lage war zu weinen. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass sie wirklich verurteilt wurde. Ich brauchte Zeit. Die hatte ich jetzt genug. Es würde keinen Sinn haben, jetzt noch für sie auszusagen. Erstens, weil keiner ein Verfahren mit solch wackeligen Aussagen einer Freundin der Verurteilten wieder aufnehmen würde. Zweitens, weil ich keine Beweise hatte. Und drittens, weil heute um Mitternacht sowieso alles vorbei sein würde. Ich atmete einmal tief durch und stand auf. Da plötzlich stand ich Madame Ginger gegenüber. Sie schaute mich an. Ich hatte sie lange nicht gesehen. Sie schaute nicht böse, was mich stutzig machte. „Vielleicht sollten wir Waffenstillstand schließen“, fing sie an und ließ mich, so verwundert ich auch war, misstrauisch werden. „Was willst du?“, fragte ich langsam. „Das hab ich doch gesagt. Wir sollten die Vergangenheit vergessen“, meinte sie ruhig. „Was willst du?“, fragte ich erneut, diesmal schärfer. „Du bist hilflos. Dein lieber Bodyguard Jessalyn wird heute Nacht das Zeitliche segnen. Was für eine Schande, wo sie doch unschuldig ist“, erzählte sie triumphierend. Ich stockte: „Woher...“ Was wusste sie? Und woher verdammt! „Das wundert dich, was? Ich denke, ich sollte dir da was erzählen. Ich habe mir mit Jessalyn eine Zelle geteilt. Sie hat mich dafür bezahlt, damit ich dich in Ruhe lasse. Und nicht nur dafür hab ich Kohle bekommen. Ganz zufällig besaß ich so eine kleine Kassette, die man in Kameras steckt. Auf der war zu sehen, wie ein gewisser Ralph ermordet wurde. Warum hätte ich Johnny die Kassette sofort geben sollen, wenn ich stattdessen von Jessalyn regelmäßig Geld wie du es nennst in den Arsch geschoben bekommen könnte. Manchmal nutzt man eben sogar seinen eigenen Bruder aus“, meinte sie locker und leicht gelangweilt. „DEIN BRUDER?! Johnny ist dein Bruder?! Oh mein Gott! Dann bist du ja meine Schwägerin!“, meinte ich völlig außer mir. „Aber was mach ich mir Gedanken deswegen?!“, stellte ich mir selbst die Frage, „Du wusstest davon! Von allem! Aber warum verdammt hast du die Kassette jetzt plötzlich an Johnny weitergegeben? Du wusstest genau, dass es Jessalyns Todesurteil sein würde! Du hättest doch viel mehr davon gehabt, wenn Jessalyn dir weiterhin Geld zugesteckt hätte! Nicht, dass ich dafür gewesen wäre, aber das wäre immer noch besser für sie gewesen als zu sterben!“, jetzt gingen mir langsam die Beschuldigungen und Argumente aus. Ich war fassungslos. Konnte es einfach nicht glauben. „Ganz einfach“, meinte Ginger so lässig wie möglich, „Sie konnte nicht mehr bezahlen. Die Rechnung wurde ihr wohl zu hoch, als auch noch die Kosten zu deinem Schutz dazu kamen. Das hat sie eben nicht länger als zwei Monate durchgehalten.“ Ich konnte es einfach nicht glauben. „Warum erzählst du mir das?“, fragte ich schließlich, als ich mich wieder so ziemlich gefasst hatte. „Ich wollte nur, dass das geklärt ist. Aber eines kann ich dir zumindest versprechen. Ich hätte mir niemals die Hände an dir schmutzig gemacht. Dafür hatte ich meine Leute.“ Alles vergeht... ---------------- „Hattest?“, fragte ich stutzig. „Ja, leider konnte ich sie nicht mehr bezahlen, wo mir schließlich keiner mehr Geld in den Arsch schiebt. Allerdings hätte ich kein Problem damit, Kohle von sonst wo aufzutreiben, falls du meinst, Stress machen zu müssen. Aber glaub mir, es wäre für uns beide besser, wenn es nicht so weit kommen würde. Du hast also nichts von mir zu befürchten. Klar?“, meinte sie, den Kopf leicht schief legend. Ich schaute sie funkelnd an. War schrecklich wütend. Hätte sie am liebsten erwürgt, meine Schwägerin Madame Ginger. Leider befanden sich einige Beamte in unserer Nähe. Das wollte ich nicht riskieren. Wutentbrannt wandte ich mich von Ginger ab und rannte in Richtung Eingang, von dem wir uns mit der Zeit immer mehr entfernt hatten. Ich hatte Tränen in den Augen. War sauer, wütend, traurig. Jessalyn...Heute nacht wird sie unschuldig sterben und ich würde es nicht mehr verhindern können. Ich spürte, wie der Wind über mein Gesicht strich, meine Tränen wegwehte. Als ich an der Tür angekommen war, ließ ich mich zurück auf meine Zelle bringen. Dort schmiss ich mich aufs Bett und blieb einige Zeit liegen, während ich an die Decke starrte. Nicht viel Zeit verging, bis sich meine Augen erneut mit Tränen füllten. Die Zeit verging. Langsam. Sehr langsam. Es wurde Abend. Jetzt war mir alles klar, alles passte logisch zusammen und trotzdem konnte ich nichts tun. Sie hatte soviel für mich getan. Sie hatte Ginger dafür bezahlt, dass sie mich in Ruhe ließ und ich wusste nicht einmal was davon. Ich fühlte mich so schrecklich, so schuldig. Ich war Schuld daran, dass sie heute sterben würde. Ich! Schließlich war ich es, wegen der Jessalyn nicht genug Geld hatte, um Ginger zu bezahlen, damit diese, die Kassette nicht rausrückt. Ich konnte und wollte nicht mehr darüber nachdenken. Vorbei war es sowieso. Ich schaute auf meine Uhr, die ich vor einem Monat für gute Führung bekommen hatte. Es war schon 23:40 Uhr. Mir wurde schlecht. Noch zwanzig Minuten. Ich drehte mich von der Uhr weg und schloss einige Zeit die Augen. Schlief kurz ein, wachte dann jedoch schlagartig wieder auf. Ich wusste nicht warum, aber ich konnte einfach nicht schlafen. Erneut schaute ich auf die Uhr und bekam einen kurzen Schock, wie ein Stich ins Herz. Es war eine Minute nach Mitternacht. Ich war still, bewegte mich nicht. Wusste nicht, was ich erwartete. Vielleicht einen Schrei. Nein, kein Schrei. Es blieb still. Ob sie noch lebte? Ich konnte selbst nicht glauben, dass ich mir diese Frage stellte. Ich versuchte immer wieder an etwas anderes zu denken, aber alles erinnerte mich an Jessalyn. Ob ich nun an Australien dachte oder Johnny oder sogar meine Schwägerin Ginger. Es war eine lange Nacht. Ich schlief nicht. Eine lange Nacht. Doch schließlich ging endlich die Sonne auf. Sie warf warmes Licht in meine Zelle und wurde von dem aufgerollten Stacheldraht draußen auf den Zäunen reflektiert. Ein neuer Tag hatte begonnen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)