London Calling von Blackmage ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Der Vorhang schließt sich, dichter, roter Samt, der das Tor zu einer Traumwelt verschließt und uns zurück lässt. Der letzte Klang der Musik, schon lang verhallen wie ein letzter Gruß an uns, die wir nun erwachen aus dem Traum und in das, was wir Realität nennen, zurückkehren. Die Leidenschaft, welche die Oper in mir hervorrief ist noch nicht ganz verflogen. Ein letztes Mal schließe ich genießerisch die Augen, während sich die Menschen um mich herum erheben und dem Ausgang zuströmen. Schon seit Wochen hatte ich mich auf diesen Moment gefreut, Richard Wagners "Walküre" im Royal Opera House zu sehen. Die Karte kostete zwar ein kleines Vermögen, doch wofür, wenn nicht für meine geliebten Opern, soll ich das Geld ausgeben, welches mir die Tätigkeit als Auftragsmörderin bringt? Es war ein wahrhaft grandioser Abend. Nach einem hervorragenden "Mahl" habe ich mich voll und ganz im Werke Richard Wagners verloren. Langsam öffne ich meine Augen wieder. Der Saal lehrt sich immer mehr auch ich erhebe mich und mische mich unter die Leute. Ich verabscheue es zwar, unter große Menschenmengen zu gehen, doch ist dies nur ein kleines Übel im Vergleich mit dem Genuss, den mir die Oper ein jedes Mal beschert. So kann ich für kurze Zeit meine Vergangenheit und den Weg, der vor mir lieg, vergessen. Nur hier gelingt mir dieses Kunststück. Tief atme ich die verrottete Luft Londons ein. Sie ist noch etwas feucht, genau wie der Gehweg, die Straße und alle Gebäude. Es regnet oft seit dem Angriff des Millennium, fast als versuche Mutter Natur das vernarbte Gesicht der Stadt wieder rein zu waschen. Ich lächle bei dem Gedanken und entschließe mich, noch einen Spaziergang zu machen. Von jedem Baum und jedem Gebüsch tropfen die letzten Überbleibsel des Schauers und durch jede Regenrinne hört man das Wasser rauschen, die ganze Stadt weint. Ich denke an meinen Auftrag vor zwei Tagen und an den Nachtwächter, der mich fast erwischt hätte. Arme, schwache Menschenseele, wahrscheinlich quält sie sich immer noch mit Schuld und Gedanken an mich. Es bereitet mir auf eine seltsame Art Freude, daran zu denken. Noch breiter lächelnd, setze ich meinen Weg fort. *** Der Bass dröhnt mir um die Ohren und bringt den Martini in meinem Glas zum zittern. Ich sitze in einem Tranceschuppen und ertränke nach einem langen hin und her von zwei Tagen meine Schuldgefühle in einem Meer aus Alkohol. Der Keeper setzt schon wieder einen neuen Drink an. Ich trinke auf seine Kosten, meinte er, da er, wie er selbst behauptete, meine verheulte Visage aufmuntern wolle. Soll er ruhig. Mein Boss hat mir zwei Wochen bezahlten Urlaub erteilt, um das Geschehene zu verdauen und in diesem Laden funktioniert das sogar ganz gut. Schluck um Schluck hört sich die Musik besser an und umfängt mich, das Stakkato der Trancemusik hämmert meinen Verstand aus mir heraus und Schickt ihn auf reisen, alles bereit für die Evakuierung meiner Seele. Gott, ist mir schwindelig, mein Kopf fühlt sich zwei Nummern zu leicht an und ich breche in Gelächter aus, als der Cocktailsklave mein leeres Glas gegen ein volles tauscht. "Lass es dir schmecken, Schönheit", höre ich ihn sagen. Blitzartig wechselt das Licht um mich herum immer und immer wieder seine Farbe und im Takt der Musik zucken menschliche Körper über die Tanzfläche. Doch mir ist nicht nach Tanzen zumute, nur nach lauter Musik und Alkohol. Ich frage mich, ob ich jemals erfahren werde, was genau sich vor zwei Tagen abgespielt hat. Ich habe die Zeitungen durchforstet, nirgendwo ein Bericht über den Mord im Krankenhaus und dann noch das seltsame Verhalten der Bullen. Alles in meinem Kopf beginnt sich zu drehen und das nicht nur wegen es Alkohols. Ich schütte den Drink runter und schon steht ein neuer vor mir. Denk nicht darüber nach was passiert ist, scheint eine innere Stimmte mir zuzuflüstern, amüsier dich und betrink dich. Das mit dem Betrinken klappt ganz gut, aber das nicht darüber nachdenken und amüsieren will mir nicht gelingen. Warum muss eigentlich immer was Unvorhergesehenes in meinem Leben passieren, denke ich wütend, erst dieser ganze Wahnsinn in den USA und dann auch noch das hier. Ein weiterer Drink gleitet meine Kehle runter, der wievielte es wohl ist? Ich weis es nicht mehr. Ich habe irgendwann den Überblick verloren und solange ich auf Rechnung des Barkeepers trinken kann, werde ich auch nicht damit aufhören. Das Schwindelgefühl in meinem Kopf nimmt plötzlich massiv zu, ich glaube, ich gehe etwas nach draußen an die frische Luft, vielleicht geht es mir dann besser. Mit alkoholisierten, wackeligen Beinen erhebe ich mich und wanke auf den Ausgang zu. Immer wieder muss ich plötzlich loslachen, über die umherhüpfenden Pseudo-Raver und alternden Trancenutten. Ich habe das Gefühl, mein Gesicht macht was es will. Meine Wangen schmerzen, weil sie seit Stunden nur noch zu einem Lächeln verzerrt sind. Kurz vor dem Hinterausgang an der Bar bleibe ich stehen, weil meine Beine mir bei jedem neuen Schritt klar machen, dass sie den Dienst bald aufgeben werden. Mir ist das egal, ich lache nur und schließe die Augen. Um mich herum dreht sich der ganze Laden und ich stehe still und regungslos in der Mitte. Endlich weiß ich, wie sich die Sonne fühlen muss, denke ich. Meine Waden spannen sich und ich balanciere auf den Zehenspitzen. Nur noch die Arme abspreizen und ich bin bereit los zu fliegen. Langsam falle ich nach hinten. "Halt, mach mal langsam meine Schöne", höre ich eine bekannte Stimme. Der Barmann steht hinter mir und hat mich aufgefangen. Er brüllt seiner Vertretung etwas zu, diese zwinkert nur, keine Ahnung was er gerufen hat. "Ich begleite dich nach draußen, Schatz." "Ich bin... aahahh... ich bin nicht", Worte verlassen meinen Mund, unterbrochen von Lachern. Mein Kopf ist ganz heiß von dem vielen Lachen. Der Barkeeper stellt sich mir vor doch ich verstehe seinen Namen nicht ganz. Ich selbst lüge ihn an und sage mein Name sei Violett. "Komm mit Violett, nur noch ein paar Schritte, dann sind wir draußen", säuselt er. *** Es sollte immer so sein, es hätte immer so sein sollen, Verwüstung, Chaos und Verzweiflung, wohin das Auge blickt, egal wo man in dieser Stadt ist. Nicht zum ersten Mal seid meiner Rückkehr in das Reich der Lebenden, aus dem Samiel mich reisen wollte, verfluche ich den Major. Dieser selbstgefällige, ignorante Fettwanst. Wenn er sich mehr Mühe gegeben hätte, wäre dieses Paradies der Gewalt wahr geworden. Doch muss ich dabei auch meiner und meiner Kameraden fluchen. Wir sind immer wie ein Rudel Wölfe ihrem Alphatier hinterher gelaufen. Im Grunde waren wir das ja auch, wir waren die Werwölfe, die gefürchtete Einheit des gesamten letzten Bataillons. Nun liegt sein fetter Leib irgendwo in den Trümmern oder wurde von Samiel gefressen, irgendetwas in dieser Art, genauso wie alle meine Kameraden. Was für Narren wir doch waren. Plötzlich lässt eine eigenartige Witterung mich innehalten, eine Witterung, die ich vor zwei Tagen schon einmal wahrgenommen hatte. Von der Oper aus haben mich meine Schritte quer durch Covent Garden Richtung Soho geführt. Aus der dunklen Gasse, welche ich nun entlang gehe, weht mir diese eigenartige Ahnung entgegen. Von Neugier getrieben folge ich ihr. Von Schatten zu Schatten huschend. Mein Jagdtrieb ist erwacht. Dann finde ich mein Ziel. In einem schäbigen Hinterhof auf der anderen Straßenseite machen sich zwei Männer an einer jungen Frau zu schaffen, die offenbar bewusstlos ist. Doch das ist nicht das Interessante daran. Die Aura dieser Frau birgt ein interessantes Geheimnis. Es ist nicht dieselbe, langweilige Ausstrahlung, die den meisten Menschen anhaftet, da ist mehr. "Lasst... wartet doch mal halt wassssh macht ihr da?!" Die junge Frau lallt kaum verständliche Worte als einer der Kerle ihre Brüste begrabscht. Sie ist wohl doch noch nicht ganz weggetreten. "Hauen wir dieser Schnapsdrossel einfach eins über die Rübe, dann kann jeder einmal ran ohne das sie irgendwelche Anstalten macht", schlägt der andere Mann vor. Verabscheuungswürdige Gestalten, die es zu nichts gebracht haben und sich nun an einer total betrunkenen Frau verlustieren. "Ich hab sie nicht teuer abgefüllt, damit wir ihr nun eins überbraten, du Volltrottel, das hätten wir auch einfacher haben können." "Abgefüllt?", klingt die Stimme der Frau dazwischen. Sie hockt mittlerweile auf dem Boden und wankt beängstigend. "Die soll’s schon noch mitkriegen und morgen aber vergessen haben, ich will das sie wenigstens ein bisschen Schreit, während wir sie vögeln." Beide Männer zerren sie auf die Beine und beginnen damit, ihr die Kleider vom Leib zu reißen. Bei dieser Frau handelt es sich ohne Zweifel um meinen unfreiwilligen Zeugen. Bei ihm habe ich genau die gleiche Aura gespürt. Dass es sich dabei um ein hübsches, junges Mädchen handelt, wusste ich nicht, denn sonst wäre ich nicht so schnell aus dem Fenster gesprungen. Für einen kurzen Moment denke ich nach, ich glaube, es wird einmal wieder Zeit für eine andere Art der Jagd. Gemächlich schlendere ich über die Straße, die Augen dabei immer auf das Mädchen, welches mittlerweile keine Anstalten mehr macht, sich zu wehren, und diese beiden niederen Subjekte gerichtet. Lautlos schleiche ich mich an in ihre Nähe. "Guten Abend Gentlemen." Schlagartig drehen sich beide um, als würde der Leibhaftige hinter ihnen stehen. Ein Blick auf das Mädchen zeigt mir, dass sie mittlerweile wirklich das Bewusstsein verloren hat, besser für sie, denn an das was gleich geschieht wird sie sich nicht erinnern wollen. "VERDAMMT, VERPISS DICH, BEVOR WIR DIR DIE FRESSE POLIEREN!", brüllt mich einer der beiden an. "Bedaure, aber dieser unfreundlichen Bitte werde ich nicht Folge leisten, Gentlemen." Mit meinen Vampirreflexen springe ich auf den größeren der beiden zu und schlage ihm ins Gesicht. Knochen knirschen, als meine Hand durch seinen Schädel hindurch fährt und auf der anderen Seite wieder austritt. Dann greife ich mir den Zweiten, der noch gar nicht richtig begriffen hat, was passiert ist und schlage meine Zähne in seinen Hals. Nachdem dieses kulinarische Zwischenspiel beendet und sein Kadaver enthauptet ist, widme ich meine Aufmerksamkeit dem Mädchen. Armes Ding, wie sie so mit entblößtem Oberkörper im Dreck liegt. Ich knie mich zu ihr und drehe ihr Gesicht in meine Richtung. "Na so was, jetzt tut es mir sogar fast leid, dass ich so schnell verschwunden bin, bei so einem süßen Ding wie dir." Behutsam ziehe ich ihr ihre Bluse wieder an und knöpfe sie zu. Mein Blick gleitet über ihren Körper. "Du bist wirklich eine Sünde wert, Schätzchen", flüstere ich und wie auf Kommando legt sie den Kopf etwas zur Seite. Ich beuge mich zu ihr und lasse meine Zunge über ihren freigelegten Hals fahren. Der Gedanke an das süße Blut dieser jungen Frau bemächtigt sich mir und kurz bin ich versucht, einfach zuzubeißen. Halt dich zurück, Rip, die ist nicht zum essen da, außerdem hast du gerade etwas getrunken. Himmelgrundgütiger... Schnell stehe ich auf und lege die bewusstlose Schönheit über meine Schulter. "Wohin mit dir, Prinzessin?" Kurz überlege ich mir, sie einfach mit zu mir zu nehmen, vertue den Gedanken aber, das wäre sicher kein schönes Erwachen und außerdem kein guter Start für die Jagt. Ich werde sie in ein Hotel bringen. *** Das verhasste Sonnelicht strömt durch die Fenster in das Zimmer. Zwar habe ich die Vorhänge zugezogen, doch dringt immer noch genug davon durch den dünnen Stoff. Die Kleine liegt immer noch im Bett, in einem Zustand zwischen Schlaf und Bewusstlosigkeit. Meine Güte, es war wirklich nicht einfach dem Mann an der Rezeption zu erklären, warum ich mitten in der Nacht, mit einer bewusstlosen Frau über den Schultern, ein Hotelzimmer brauche. Erst nach einem kleinen "Trinkgeld" meinerseits hat er aufgehört, Fragen zu stellen und nur vieldeutig gegrinst. Menschen....wie ich sie hasse. Sie wird hoffentlich bald aufwachen, ich habe nicht wirklich Lust, den ganzen Tag in diesem Zimmer zu verbringen. Ein wölfisches Grinsen legt sich auf mein Gesicht, beim Gedanken daran, was ich mit ihr vorhabe. Bei Millennium war es geradezu ein Spaß, meine Untergebenen, Vorgesetzten und Kameraden zu verführen und über kurz oder lang konnte mir keiner widerstehen. Es bereitet mir jedes Mal ein diebisches Vergnügen, wenn ich daran denke, wie es mir gelang Captain Hans Günsche ins Bett zu Kriegen. Dieser schweigsame Werwolf mit seinen stechenden Augen. Im Bett allerdings, war er keineswegs schweigsam. Ein leiser Seufzer lässt mich aufhorchen, anscheinend wird mein süßes Dornröschen bald aufwachen. Ich setze mich auf einen Stuhl an ihrem Bett. Langsam öffnet sie die Augenlider "Wo...bin ich?", fragt sie leise, offenbar ist sie von der Droge oder was auch immer ihr diese beiden Ratten gegeben haben, noch immer benommen. “In Sicherheit", antworte ich ihr. *** "In Sicherheit..." Irgendjemand spricht zu mir, doch seine Worte höre ich nur gedämpft, als würde jemand die Lautstärke aus ihnen herausfiltern. Was ist bloß passiert? Ich blinzle einige male um besser sehen zu können und stelle fest, dass ich in einem unbekannten Bett liege, der Zimmereinrichtung nach in einem Hotelbett. Hab ich mich abschleppen lassen? Erinnerungsfetzen an den Tranceschuppen fallen mir ein, jede Menge gebechert hab ich, danach ist alles schwarz, Filmriss. Ich massiere mir langsam die Schläfen, weil mein Kopf fast zu platzen droht. "Oh man, hab ich Kopfschmerzen...", flüstere ich. Meine Kehle ist wie ausgetrocknet. "Kein wunder, nur der liebe Gott kann sagen, was die beiden Kerle dir gegeben haben.", antwortet die Stimme. Die beiden Kerle? Ich drehe meinen Kopf nach rechts und sehe eine Frau, die auf einem Stuhl neben meinem Bett sitzt. Sie trägt einen sauber geputzten, schwarzen Designeranzug. Ihre Haut dagegen, ist fast weiß. "Wer bist du?", frage ich. "Ich bin dein Schutzengel.", antwortet sie. "Hatte mir die immer weniger düster vorgestellt." Ein leichtes Grinsen huscht über den Mund der unbekannten Frau und sie erhebt sich. Erst jetzt bemerke ich ihre rabenschwarzen Haare, die fast bis zum Boden reichen. Lange, schwarze Haare, schlank, groß gewachsen... kurz denke ich an den Mörder im London Hospital, verwerfe den Gedanken aber wieder, das kann gar nicht sein. "Was ist passiert?", frage ich. Diese beiden degenerierten Subjekte haben anscheinend irgendein Mittel in deinen Drink gemischt um dich gefügig zu machen. Ich war gerade auf dem Weg nach Hause, als ich sah, wie du dich in einem schmutzigem Hinterhof gegen die beiden zu wehren versucht hast. Da konnte ich natürlich nicht tatenlos zusehen." Ich versuche meinen immer noch verschwommenen Blick auf ihr Gesicht zu fokussieren. Anscheinend ist sie nur wenig älter als ich, doch fällt es mir schwer, ihr genaues Alter zu schätzen. Die Sommersprossen geben ihrer Erscheinung etwas junges, mädchenhaftes, doch ist etwas in ihren Augen, das mich erschaudern lässt, sie scheinen so kühl und berechnend. "Und was ist mit den beiden Männern?", frage ich meine unbekannte Retterin. Aus irgendeinem Grund scheint diese Frage sie zu amüsieren. "Nun ja, sagen wir einfach die beiden werden keiner Frau mehr etwas zu Leide tun." Eine vieldeutige antwort, was will sie mir damit sagen? Eine neue Welle von Kopfschmerzen hält mich davon ab, näher auf ihre Antwort einzugehen. Die Unbekannte geht an die Bar, wo sie ein glas Wasser einschenkt welches sie auf den Nachttisch neben meinem Bett stellt. "Ruhe dich erstmal aus, man wird dir etwas zu Essen bringen, sobald du dich etwas erholt hast, ich komme heute Abend wieder um dich nach Hause zubringen.“ Mit gemessenen, eleganten Schritten geht sie Richtung Tür. "Warte!", rufe ich ihr nach. Die Klinke schon in der Hand dreht sie sich noch einmal zu mir um. "Sag mir noch deinen Namen." "Rip van Winkle." Ohne ein weiteres Wort verlässt sie das Zimmer und ich lasse mich erschöpft in die Kissen zurück fallen. Was war das nur wieder für wein Nacht? "Verdammt, ich war so davon besessen mein schlechtes Gewissen tot zu saufen, dass mich fast zwei Typen vergewaltigt hätten..." Noch immer überrumpelt von dieser Information greife ich zum Wasserglas und trinke es aus. Ich werde aus meinem dunkel gekleidetem Schutzengel nicht schlau. Ich frage mich, wie sie sich nur gegen die zwei Lustmolche behaupten konnte und wie sich mich hierher gebracht hat. Vielleicht war sie bewaffnet, denke ich mir und sofort kommt mir der Mörder wieder in den Sinn. Es würde so schön zusammenpassen, ich könnte bei der Polizei anrufen und Rip van Winkle melden. Doch dann ist da noch die Sache, dass sie mir wahrscheinlich das Leben gerettet hat und das ergibt dann einfach keinen Sinn. Scheiß einfach auf diesen dummen Mörder, fast hätte er dich über ein paar Ecken auch noch ins Grab gebracht. Ich drehe mich um und schließe die Augen um diesen schrecklichen Kater irgendwie auszuschlafen. DONG, Dong, dong... die entfernten Schläge des Big Ben dringen zu mir und ich öffne die Augen wieder. Mittlerweile ist es sehr dunkel im Zimmer, hab' anscheinend wirklich eine Weile geschlafen. Vor mir steht ein Servierwagen mit Essen und Getränken, zuvor will ich allerdings einen Blick aus dem Fenster werfen und erschrecke mich, nachdem ich mich umgedreht habe, fast zu Tode, als ich meine Retterin wieder auf dem Stuhl sitzen sehe. "Ach du Scheiße, sie sind es!", rufe ich erschrocken und fange an zu Glucksen. "Tut mir Leid, das war nur so... egal, danke das sie wieder gekommen sind. Ich heiße übrigens Rinoa." Ein leichtes Nicken ist ihre Reaktion darauf. "Iss lieber etwas, bevor wir gehen, du bist sicher hungrig." Damit hat sie nur zu Recht, jetzt, wo mein Kater weg ist, merke ich, dass ich schon seit mehreren Stunden nichts zu mir genommen habe. Während ich mich über das Essen hermache sitzt Rip still auf ihrem Stuhl und hält den Blick auf mich geheftet. "Wie lange lebst du schon in dieser Stadt?" fragt sie mich. Froh, dass das unangenehme Schweigen, das für einen Moment zwischen uns herrschte, gebrochen ist, antworte ich ihr. "Erst seit ein paar Monaten, ich bin aus Deutschland hierher gekommen." "Du bist aber keine Deutsche oder?" Ich schüttle den Kopf. "Nein, ursprünglich komme ich aus den USA." "Dann hast du den Terroristenangriff nicht miterlebt oder?" Ich schüttle erneut den Kopf. Während ich weiter esse reden wir über verschiedene Belanglosigkeiten, doch bin ich, was meine Antworten angeht, ziemlich einsilbig. Aus irgendeinem Grund jagt ihre Anwesenheit mir eine Gänsehaut über den Rücken und macht es mir schwer, ein Gespräch richtig in Gang kommen zu lassen. Ich klettere aus dem Bett und greife mir meine Kleider, die auf einem Sessel in der Zimmerecke liegen. Plötzlich steigt mir die Schamesröte ins Gesicht, als ich realisiere, dass ich nur meine Unterwäsche am Leib trage und das Rip mich entkleidet hat, bevor sie mich ins Bett legte. Zum Glück stehe ich mit dem Rücken zu ihr und sie sieht es nicht. Ein seltsames Gefühl, dass sie aber trotzdem bescheid weiß, habe ich dennoch. Nachdem ich mich angezogen habe verlassen wir das Zimmer und gehen schweigend in die Lobby, wo Rip den Schlüssel abgibt und das Zimmer bar bezahlt. "Ich habe mich noch gar nicht richtig bedankt", beginne ich, als wir draußen sind. "Tausend Dank also, Rip, wahrscheinlich wäre ich ohne dein Hilfe in dem Hinterhof einfach nach dem Übergriff der Kerle erfroren." "Ich tat es gerne, du brauchst mir nicht im Übermaß zu danken", antwortet sie. "Na ja, aber ich will mich wenigstens erkenntlich zeigen." Sie sieht zu mir mit einem Blick, den ich nicht deuten kann. "Äh..." "Ich denke, das wirst du schon noch", sagt sie schließlich mit einem wissenden Grinsen auf dem Gesicht. "Eh’, ja, ich würde dich gern einladen", sage ich. "Einladen?" "Ja, zu nem Kaffee, morgen Nachmittag oder so." "Um ehrlich zu sein, bevorzuge ich die Abendstunden für solche Begebenheiten." "Dann Abendessen?" Wieder sieht sie mich so komisch an. Ich bin wieder 17 Jahre alt und komme mir vor wie in Ballamb, bei dieser Art undurchsichtigen Blicken. Eine der Lehrerinnen hatte den auch ständig drauf, Himmel, ich hasse es wenn ich mir kein richtiges Bild meines Gegenüber machen kann. "Ich nehme die Einladung an", sagt sie schließlich. *** Die ganze Jagd beginnt sich wunderbar zu entwickeln, zwar ist meine kleine Prinzessin noch etwas unsicher in meiner Gegenwart, doch wird sich das mit gegebener Zeit auch ändern. Anfangs war ich ein wenig besorgt, dass sie mich als ihren nächtlichen Besucher wieder erkennen könnte, doch habe ich außer einem ängstlichen Blick, den sie mir zuwarf als sie aufwachte, nichts dergleichen gemerkt. Und da sie zur Zeit des Krieges noch nicht in Lobdon war, weiß sie nur, was in den Zeitungen stand. Vortrefflich, das ganze verspricht Spaßig zu werden. Nachdem sie mir ihren Wohnort genannt hat frage ich, ob es ihr etwas ausmacht zu Fuß nach Holborn zugehen. Rinoa verneint, es sei schließlich nicht weit. "Eine schreckliche Sache dieser Angriff." Sie versucht anscheinend die ganze Gezwungenheit zu überwinden und ein Gespräch mit mir anzufangen. "Ja, aber was geschehen ist, ist geschehen und kann nicht rückgängig gemacht werden." In Gedanken füge ich ein "leider" hinzu. Sie nickt nur und schweigend setzen wir unseren Weg fort. Als wir schließlich an ihrer Wohnungstür ankommen, atme ich erleichtert auf, ich habe diese Nacht noch nicht getrunken und es war eine Beherrschungsprobe für mich, ihr so nahe zu sein. Wir verabreden uns für den nächsten Tag in der High Holborn Street um 20 Uhr, Rinoa sagt sie kenne ein nettes Restaurant in Covent Garden. Sie reicht mir die Hand, wir verabschieden uns und ich bleibe noch stehen, bis sie die Tür hinter sich geschlossen hat. Nun ist es höchste Zeit für Blut. Schnell tragen mich meine Beine über die Straßen und ich suche einen geeigneten Ort, um meinen Durst zu stillen. Wenig später finde ich ein Kino, dessen Spätvorstellung wohl gerade geendet hat. Hastig beurteilen meine Augen die Kinobesucher und haben kurz darauf das leichteste Ziel erspäht. Eine junge Blondine macht sich alleine auf den Weg und ist in meine Richtung unterwegs. Ein Blick auf die Autos in meiner Nähe offenbart einen pink lackierten Porsche. Reiche Barbiegöre, geht es mir durch den Kopf, dein Blut wird wunderbar schmecken. Und um deine Dreckskarre werde ich mich auch kümmern. Ich lehne mich an ihren Wagen und erwarte sie. Verdutzt schaut sie mich an, grinst aber. "N'abend, kann ich was für dich tun?", fragt sie. "Du bist dir gar nicht bewusst, WIEVIEL du für mich tun kannst, Schöne." "Schöne? Bist du ne Lesbe?" "Und wenn’s so wäre?" "Hör mal, was willst du?", will sie langsam genervt wissen. "Ich interessiere mich für dich und für dein Auto", antworte ich. "Du willst mein Auto klauen!?" "Noch viel mehr." Ich stehe auf. "Doch klauen würde ich es nicht nennen, hab keine Angst." Ich stehe nun direkt vor ihr, sie zittert. "Wenn der Bestohlene nicht vermisst den Raubt, so ist er nicht bestohlen", flüstere ich ihr ins Ohr. "Was...?" "Soll heißen, dass dir dein Auto scheißegal sein kann!" Mit diesen Worten lege ich meine Hand auf ihren Mund und zerre sie in eine dunkle Seitengasse. Schnell finden meine Reißzähne ihren Hals und ich stille meinen Durst so lange, bis ihr Herz fast zu schlagen aufhört. Danach breche ich ihr das Genick und werfe sie beiseite, jedoch nicht ohne den Schlüssel von ihrem Wagen an mich zu nehmen. Ich warte noch eine kurze Weile in der Gasse bis der Platz vor dem Kino leer ist, ehe ich mich meinem neuen Auto nähere. Es könnte schließlich sein, dass sie jemand in dem Wagen gesehen hat und sich nun wundert, dass jemand völlig anderes einsteigt. Als ich keinen weiteren Menschen mehr wittere besehe ich mir den Porsche aus der Nähe. Was für eine scheußliche Farbe, aber das lässt sich schließlich ändern. Das Innere ist, für eine neureiche Göre typisch, mit einer riesigen Anlage ausgestattet. Die Musik im Cd Player besteht aus HipHop und Pop. Es ist mir absolut unverständlich, wie man sich so etwas antun kann, dieses Gejaule kommt mehr einer Folter gleich, als einer Musik. Kurz darauf bin ich mit meiner neusten Errungenschaft auf dem Weg nach Hause. Ich bin zwar schon seit mehreren Jahrzehnten kein Auto mehr gefahren, doch verlernt man so etwas anscheinend nie. Die Frage der Kleinen geht mir durch den Kopf. „Bist du eine Lesbe?“ Sagen wir einfach, ich mache keinen Unterschied bei den Geschlechtern, egal bei welcher Form der Jagd. Ein paar Straßen von meiner Wohnung entfernt lasse ich den Wagen stehen. Bevor ich mich morgen mit Rinoa treffe, lasse ich den Porsche in irgendeiner Werkstadt umlackieren und gegen einen kleinen Zuschuss von meiner Seite wird man sicher auch bereit sein, das Nummernschild zu wechseln. Menschen sind ja so einfach zu manipulieren. Als Auftragsmörderin habe ich stets davon abgesehen, meine Auftragsorte mit einem Fahrzeug aufzusuchen, aus Angst man könnte den Wagen irgendwo wieder erkennen, aber für ein Rendezvous mit einer Prinzessin scheint ein Sportwagen mir genau das Richtige. Wehmütig denke ich daran, wie schnell die Zeit vergeht und sich mit ihr alles verändert. In meiner Jugend waren Automobile ein Luxus und nie hätte man sie sich mit einer Ausstattung wie der heutigen vorstellen können. Ob das allerdings gut oder schlecht ist, vermag ich im Augenblick nicht zu sagen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)