Die Glasaugen der Pozellanpuppe von Ajuchar (by Ariane J. C. von Felde) ================================================================================ Kapitel 1: Eins --------------- „Hallo? Hier Zoey.“ „Hi Zoey, hier is’ Tico! Ich wollte wegen Samstag fragen. Du weißt schon, wir wollten mit Lissa zum Rummel.“ Thuy Kieu, genannt Tico, freute sich schon die ganzen Sommerferien auf diesen Tag. Diesen einen Tag, an dem sie mit ihren Freundinnen auf die alljährlichen Rummel gehen würde, wie sie es schon seit sieben Jahren getan hatten. „Ähm… Du, Tico, sorry, aber am Samstag kann ich echt nicht. Ich hab mich schon mit Jay verabredet. Du weißt doch, dass er nächste Woche für ein Jahr ins Ausland fährt.“ „Ja, aber… Wir machen das doch jedes Jahr“, stotterte Tico. „Ich weiß. Wir können doch auch einen anderen Tag hingehen, oder?“ Es klang, als sei eine Verschiebung das einfachste auf der Welt, doch das war es nicht. „Vorher kann Lissa aber nicht. Sie ist doch bei ihrem Freund.“ „Und später?“ Ja, später. Später war das Fest schon nicht mehr. „Samstag ist der letzte Tag.“ „Ach Tico, das tut mir wirklich Leid, aber da kann ich nichts machen.“ „Ja. Schon okay.“ Das war es nicht. Aber Zoey würde es eh nicht verstehen. „Bye.“ „Vielleicht solltest du dir auch einen Freund…“ Tico hatte schon aufgelegt. Sie wusste, was Zoey hatte sagen wollen, aber Tico wollte keinen Freund. Oder kein Freund wollte sie. Tico nahm ihr Handy und schrieb Lissa eine Nachricht. ‚Hey Lissa. Rummel ist abgesagt. Zoey hat keine Zeit wegen ihrem Freund. Bis dann.’ Kurz und bündig und mit allen Informationen, die Lissa brauchte. Mehr wollte, konnte Tico nicht schreiben. Sie seufzte laut. Seit Lissa und Zoey einen Freund haben, hatte Tico noch weniger Gemeinsamkeiten mit den beiden. Dabei kannte sie sie schon so lange. Schon als Kinder waren sie befreundet gewesen und als 16-jährige hatte sich da nichts geändert. Tico ging die Treppe hinunter zu ihrem Vater. „Thuy, was ist denn nun mit Samstag. Ich will wissen, ob ich euch nun hinfahren muss oder nicht.“ Ihr Vater klang genervt und das war er auch. Er war es immer, wenn es um Tico, oder wie er sie noch nannte, Thuy, ging. „Zoey kann Samstag nicht und das ist der letzte Tag.“ „Und Larissa?“ „Lissa“, sich machte bewusst eine Pause, um Larissas Spitznamen hervorzuheben, „kann vorher nicht, weil sie bei Mitch ist.“ „Wer?“ Tico störte sich nicht daran, dass ihr Vater sich nicht an Mitch, mit dem Tico in dieselbe Grundschule, sogar dieselbe Klasse, ging und der sogar öfters zu Besuch war, erinnern konnte. Ihr Vater hatte sich nie für nur irgendeinen ihrer Freunde interessiert und warum sollte er sich jetzt ausgerechnet an einen Jungen erinnern, der nun in einer anderen Stadt lebt, mit einer von Ticos besten Freundinnen zusammen ist und den er selbst mal als 7-jährigen Bengel gesehen hatte? „Dad? Freu dich doch lieber darüber, dass du jetzt Samstag doch zu dieser Single Party im Marriot gehen kannst. Aber bitte schlepp nicht wieder eine Frau an, die alt genug sein könnte, meine fünf Jahre ältere Schwester zu sein.“ Ihr Vater neigte dazu sich viel zu junge Frauen zu angeln. Er liebte die Frauen. Jede Frau, die jung, außergewöhnlich hübsch, dürr und doof genug war, um mit ihm ins Bett zu steigen. Vielleicht hatte er Ticos Mutter nur deshalb geliebt. Sie war eine Vietnamesin. Jung, frei und hübsch. Dumm war sie nicht, da war sich Tico sicher. Doch sie hatte ihren Dad wirklich geliebt. Er war dumm genug sie zu heiraten, obwohl er genau wusste, dass er ihr nicht treu bleiben würde. Das wusste sie nicht. Jedenfalls nicht, bevor sie ihn mit einer anderen erwischt hatte. Da war Tico gerade mal vier Jahre alt und noch viel zu jung, um überhaupt zu verstehen, was vor sich ging. Ihre Mutter verließ ihren Dad. Und sie. Und so musste Tico bei ihrem unfähigen Vater aufwachsen. Unfähig eine Familie zusammen zu halten und ein kleines Kind zu erziehen. Aber fähig genug es vor dem Jugendamt geheim zu halten. Tico war nie sauer auf ihre Mutter gewesen, weil sie sie allein gelassen hatte. Schließlich war sie, Thuy Kieu, das Erzeugnis der beiden und somit ein Abkomme des Mannes, den ihre Mutter erst so sehr liebte und von dem sie dann so sehr enttäuscht wurde. Nun wurde sie von ihren Freundinnen enttäuscht. Tico ließ ihren wütenden Vater schreien und verließ das Haus. Was sie am wenigsten brauchte war ihr Vater. Er hatte immer schon Recht gehabt, wenn er sagte: „Du bist schon wie deiner Mutter.“ Ja. Sie war wie ihre Mutter. Denn auch sie hasste ihn. Tico ging ihre Lieblingsläden durch. Stöberte durch Klamotten, Videospiele, DVD’s und CD’s. Es war schon dunkel als sie „Double T’s Music Store“ verließ, in dem sie die neuste Single von „Crown & Sugar“, ihrer absoluten Lieblingsband, gekauft hatte. Tico schaute auf das Display ihres Handys, um zu sehen, ob sie noch Zeit hatte, bis sie nach Hause musste, nur um zu hören, dass sie wieder einmal zu spät gekommen war. Ihr war es egal gewesen, ihrem Vater auch, aber er schrei trotzdem. Irgendwen musste er ja anschreien. Da Thuy an diesem Tag aber nun wirklich keine Lust auf das Gebrüll ihres Vaters hatte, wollte sie eine Abkürzung durch eine der Nebenstraßen nehmen. Es war mehr eine Gasse, ein Spalt zwischen zwei Häusern, die nicht nah genug aneinander gebaut waren. Als sie gerade an einer Mülltonne vorbeiging, wie man es von Detektiven aus alten schwarz-weiß-Krimis gewohnt war, hörte sie ein leises Schluchzen. Gleich neben der Tonne hockte ein Mädchen, jünger als Tico. Sie schätzte die Kleine auf elf oder zwölf, auf jeden Fall zu alt, um noch wie ein kleines Kind eine Puppe fest im Arm zu halten, wie dieses Mädchen es tat. Tico war zu nett. „Hey. Was ist denn los?“ Das Mädchen schaute Tico an. Schaute sie aus jadegrünen Augen an. An ihren Ohren hingen goldene Ohrringe und ihre schwarzen Locken schmückte ein violettes Tuch. Sie trug ein rot-goldenes Kleid, wie man es heutzutage nicht mehr sieht und hatte einen gebräunten Teint. Jetzt wo Tico ihr Gesicht sah, sah das Mädchen viel erwachsener aus. „Meine Puppe.“ Das Mädchen hielt Tico ihre Puppe hin. Sie war aus Porzellan und hatte schneeweiße Haut und tiefschwarze Haare. Der Anblick erinnerte Tico ein wenig an sich selbst. Der Puppe fehlte ein Auge. „Wo ist denn das linke Auge?“ Nicht, dass es Tico wirklich interessierte. Augen waren nicht ihr Lieblingsthema. Sie selbst konnte auf einem Auge nicht so gut sehen und sprach sehr ungern darüber. „Es ist weg. Einfach weg.“ Das Mädchen hatte aufgehört zu schluchzen und stand nun Tico gegenüber. „Meine arme Puppe leidet. Es schmerzt.“ Das Mädchen war irgendwie unheimlich. Vielleicht war sie aus einer Anstalt entlaufen, so wirres Zeug, wie sie redete. „Ja. Ähm.“ „Ich brauche ein Pflaster.“ „Ein Pflaster?!“ Tico wusste nicht, wozu das gut sein sollte. Die Kleine war ihr zu suspekt. Sie wollte nur noch schnell von hier weg. Tico kramte in ihrer Tasche und fand sogar, wonach das Mädchen verlangte. „Hier.“ Sie drückte dem Mädchen das Pflaster in die Hand. „Danke.“ Das Mädchen schenkte Tico einen Hauch eines Lächelns, der mit dem ausdruckslosen Blick ihrer Augen aber eher gruselig aussah. Tico hielt hier nichts mehr und so machte sie sich auf dem Weg. Bloß weg von dem gruseligen Etwas. „Vielen Dank, Sonne. Du hast einen Wunsch frei.“ Tico drehte sich sofort um, als sie die Stimme des Mädchens noch einmal hörte, doch dieses war verschwunden. Tico blieb kurz stehen, ging dann aber doch auf dem schnellsten Wege nach Hause. Hatte sie sich das alles nur eingebildet? Das komische Kind, die Puppe mit nur einem Auge, Sonne. Aber das merkwürdigste war… „Du hast einen Wunsch frei.“ Kapitel 2: Zwei --------------- Es war Freitag. Abends. Lissa war zurück von ihrem Aufenthalt bei Mitch und Zoey hatte noch Zeit, bevor sie sich das ganze Wochenende Jay zuwenden würde. Es war Freitag. Die Mädchen trafen sich oft freitags. Meistens, weil sie gleich nach der Schule zusammen etwas unternahmen. Jetzt waren Ferien und sie trafen sich einfach so. Tico hatte ein schlechtes Gefühl. Gleich am Samstag danach war das Volksfest, auf das sie eigentlich immer gingen, aber diesen Jahr nicht gehen würden. Das war zu merkwürdig. Man hätte doch eigentlich auch diesen Freitag gehen können. Schließlich war Lissa doch noch rechtzeitig zurückgekommen. Zwar etwas spät – es war bereits 19 Uhr – aber immer noch nicht zu spät, um auf das Fest zu gehen. Tico hatte ihre Freundinnen darauf angesprochen, aber die Antwort gefiel ihr nicht. „Sagt mal, wieso gehen wir eigentlich nicht jetzt noch auf den Rummel?“ Tico blickte in die Gesichter ihrer Freundinnen. „Ach Tico…“, Lissa seufzte. „Weißt du, eigentlich wollten wir dir das nicht so direkt sagen, aber…“ Aber was? Warum stammelte Zoey so? „…wir haben ehrlich gesagt keine Lust mehr da hin zu gehen.“ Larissa beendete den Satz für Zoey. „Wir sind doch immer hingegangen. Immer.“ Tico war geschockt. Man sah es ihr an, aber sie wollte es dennoch nicht zeigen. „Ja. Es war ja auch immer schön. Aber mal ehrlich. Wir sind zu alt dafür.“ Zoey sagte das so selbstverständlich. Lissa konnte man es ansehen, dass es ihr irgendwie Leid tat, aber Zoey, nein, Zoey nicht. Sie war ja auch die coolste, hübscheste, beliebteste. „Ja. Klar.“ Tico war sauer. Diesmal ließ sie sich alles anmerken. „Dein Ansehen könnte ja dadurch geschadet werden. Und so nebenbei: Zwei Schichten Make-up auf dem Gesicht hätten auch gereicht.“ Damit spielte Tico auf die vielen Abdeckcreme-, Puder- und Schminkeschichten auf Zoeys Gesicht an. Sie wollte sie damit ganz bewusste beleidigen. „Oh. Und vielen Dank, Larissa“, fauchte Tico, als sie ihre Jacke nahm und nach Hause ging. Tico schmiss die Tür zu. Sie war sauer. Mehr als das. Enttäuscht, sauer und traurig. „Wie oft habe ich dir gesagt, dass du die Tür nicht so zuknallen sollst, Thuy!“ Ihr Vater. Der hatte ihr jetzt gerade noch gefehlt. Da stand er in der Schlafzimmertür, nur mit einer Hose bekleidet. Hinter ihm lag im Bett nur wieder irgendeine Frau. „Wieso? Damit ich dich und Schlampi nicht störe?!“ Tico war an diesem Tag alles zu viel. Ihre Freundinnen, ihr Vater, diese Frau. „Nenn sie nicht Schlampe, junges Fräulein“, drohte ihr Vater. „Oh, entschuldige. Sollte ich lieber Nutti sagen?!“ Jetzt legte Tico es darauf an. So hatte sie noch nie mit ihrem Vater gesprochen, auch, wenn sie das schon immer wollte und auch schon längst hätte machen sollen. „Dahin fließt also all das Geld für meine Ausbildung.“ Ihr Vater packte sie am Arm und drückte so fest zu, dass es schon schmerzte. „Jetzt hör mir mal zu. Bevor du auch nur irgendjemanden hier beleidigst, solltest du dich mal lieber selbst anschauen. Wie du hier so herumläufst. Ein Wunder, dass noch niemand aus seinem Auto heraus nach deinem Preis gefragt hat!“ Ticos Vater war wie sie. Oder besser sie wie er. Beide hatten die gleiche Art sich zu streiten. „Wie kannst du es wagen?!“, Tico befreite sich aus seinem Griff, „So redet keiner mit mir!“ Tico war kurz vorm Zusammenbruch. „Ich rede so mit dir. Ich bin dein Vater!“ „Dann benimm dich gefälligst auch wie einer!“ Es war so weit. Aus Ticos Augen liefen die ersten Tränen. Hier wollte sie nicht mehr bleiben. „Ich wünschte, du würdest einfach nur weg sein.“ Mit eiskaltem Blick verließ sie die Wohnung. Aber nicht, ohne wieder mit der Tür zu schmeißen. In diesem Moment hasste sie ihren Vater so sehr, dass sie ihn nie wieder sehen wollte. Ziellos irrte Tico durch die Straßen. Es war schon nach Mitternacht. Aber wo sollte sie hin? Ihren Vater hatte sie voller Hass verlassen, Zoey hatte sie beleidigt und Lissa schlecht behandelt. Es gab niemanden, zu dem sie jetzt könnte. Sie wickelte ihre Jacke enger um ihren Körper. Er wurde langsam kalt. Sie trug nur einen Minirock und darunter eine Strumpfhose. Vielleicht sah das wirklich etwas schlampig aus. Aber so trug man das nun mal. Wenigstens hatte sie einen Pullover und die Jacke. Leicht zitternd setzte sie sich in eine Gosse. Dann würde sie eben hier durch die Kälte sterben. Wer würde schon für sie weinen? Nicht mal ihre Mutter würde das. Die wusste wahrscheinlich nicht mal, dass es Tico noch gab. Sie war schon fast eingeschlafen, da klingelte ihr Handy. „Ja? Hallo?“, gähnte Tico in den kleinen Apparat. Ein Arzt war dran. Einer von der Notaufnahme im nahe gelegenen Krankenhaus. Er wollte, dass Tico dort hinkommt. Tico beendete das Gespräch. Es ging um ihren Vater. Es war schon einmal passiert, dass Tico ihm im Krankenhaus hatte abholen müssen, weil er sturzbesoffen durch die Straßen wankte und schlussendlich umkippte. Es gibt wenige nette Leute, die solche Penner dann in die Notaufnahmen bringen. Tico entschloss sich, auch dieses Mal zum Krankenhaus zu gehen. Nicht ihres Vaters Willen, sondern weil es kalt war und sie – wen auch immer es momentan interessiert, ob sie lebte oder nicht – eigentlich doch nicht sterben wollte. Im Krankenhaus war es wenigstens warm und sie würden ihr sicher auch ein Bett geben. Sie hatte doch nach ihrem Vater gefragt. Sie hatte den Arzt mit „Na, was ist denn diesmal mit diesem Arsch?“ begrüßt. Vielleicht war es nicht richtig und der Arzt hatte auch schon gefragt, ob sie betrunken sei, aber Tico tat es nicht Leid. Ihr Vater war ein Arsch, nicht mehr und nicht weniger. Vielleicht hätte Tico jetzt auch um ihn geweint, wenn sie nicht schon vorher alle ihre Tränen wegen ihm verbraucht hatte. Er war tot. Ein Autounfall. Seine Begleitung hatte den Unfall überlebt. Es war die Frau, die bei ihm im Bett lag. Sie hatte kaum etwas abbekommen. Natürlich war es ein Schock für Tico. Aber sie spürte keinen Schmerz, keine Trauer. Er war einfach weg. Nicht mehr da. Was war schon dabei? Wenn ihre Mutter das erleben könnte. Es gab nicht viel zu klären. Tico lehnte alles bezüglich ihres Vaters ab, schlief im Krankenhaus und kehrte am nächsten Tag zurück in ihre Wohnung. Ihre Wohnung. Nur sie allein lebte hier. Die nächsten Tage war sie damit beschäftigt die Wohnung zu entrümpeln. Alles, was ihrem Vater gehörte, kam raus. Den Anwälten hatte sie gleich gesagt, dass sie das Erbe ausschlage und nicht für die Bestattung ihres Vaters aufkommen würde. Sie konnte auch ohne sein Geld gut leben. Die Wohnung war ihr Eigentum und von ihren verstorbenen Großeltern hatte sie damals genug geerbt. Die hatten ihrem Sohn genauso wenig zugetraut und alles ihrer Enkelin überlassen. Um ihre Großeltern trauerte Tico wirklich. Sie waren immer nett und dabei nie aufdringlich gewesen. Während all der Zeit riefen auch etliche Leute an. Aber Tico ließ immer den Anrufbeantworter rangehen. Sie brauchte keine Bemitleidungen von Familie, Freunden oder sonst welchen Leuten, die sie nicht kannte und die sie auch nicht kannten. Zwei Wochen waren jetzt schon seit dem Tod ihres Vaters vergangen. In zwei Tagen würde die Schule wieder beginnen und Tico dachte über alles nach. Hatte sie denn noch Freunde in der Schule? Nein. Sie hatte sich ja mit beiden gestritten und war auch zu dickköpfig, um nachzugeben. Am selben Tag hatte sie auch Streit mit ihrem Vater. Sie hatte ihn dann besonders gehasst. Ja, sogar fort gewünscht. Fort gewünscht? Tico ließ sich das Szenario noch mal durch den Kopf gehen. Sagte sie nicht „Ich wünschte, du würdest einfach nur weg sein!“? Und war er dann nicht auch weg? Plötzlich überkam es Tico. Hatte sie etwas ihren Vater weg gewünscht? War sie Schuld? Sie hatte ihren Vater nie gern gehabt, aber der Gedanke an seinem Tod – eigentlich mehr generell an einem Tod – Schuld zu sein, machte sie nervös. Sie brauchte frische Luft. Sie musste raus. Raus auf die Straße. „Geht das denn? Jemanden weg wünschen?“ Tico redete mit sich selbst, während sie zum großen Brunnen ging. Dort saß sie oft mit ihren Freundinnen. Oder ehemaligen Freundinnen. Obwohl sie sie noch mochte. „Das ist doch Blödsinn! Man kann sich nichts wünschen und es geht in Erfüllung.“ Wie Tico so am Brunnen saß, kam es ihr plötzlich nur noch dämlich vor, so etwas nur gedacht zu haben. „Sonne!“ Da war sie. Das seltsame Mädchen, mit der seltsamen Puppe, die seltsamerweise heute nicht dabei war. Sie saß neben Tico und schaute auch ihren großen, starren Augen. „Was willst du?“ Tico sprach monoton und langsam. Das Mädchen nervte sie. Immer dieses „Sonne“. „Du siehst betrübt aus, Sonne.“ „Okay, also erstens geht dich das gar nichts an und zweitens bin ich nicht Sonne, klar? Ich habe einen Namen.“ „Ich möchte doch nur wissen, was mit dir los ist.“ Das Mädchen lächelte. Tico hasste dieses Lächeln. Es war so freundlich. „Ich werde es dir aber nicht erzählen.“ Das Mädchen mochte zwar freundlich sein, aber Tico reagierte nur auf eine eklige Art. „Ich werde dir dafür meinen Namen nennen.“ „Als wenn mich dein Name interessiert.“ Tico wendete ihren Kopf weg. „Ich heiße Danna.“ Der Name interessierte Tico nicht im Geringsten, doch irgendwie spürte sie, dass dieses Mädchen, Danna, etwas preisgegeben hatte. Jetzt musste Tico etwas verraten. „Ich habe mir gewünscht, dass mein Vater weg wäre und dann ist er in einem Autounfall gestorben.“ „Also ist der Wunsch in Erfüllung gegangen?“ Danna fragte freundlich nach. Das war fehl am Platz. Wieso lächelte sie so? Tico erzählte gerade davon, dass ihr Vater durch einen ihrer Wünsche starb und dieses Mädchen lächelte! „Wie? Hallo? Mein Vater ist tot, weil ich es mir gewünscht habe. Eigentlich ist das kein so tolles Ereignis. Obwohl ich ihn nicht leiden konnte.“ „Du hast dir was gewünscht, richtig? Es ist wahr geworden. Das ist alles, was ich wissen wollte. Dann kann ich nämlich zufrieden mit mir sein.“ „Moment. Hast du etwa was mit dem Tod meines Vaters zutun?“ Entsetzen machte sich in Tico breit. War diesen Mädchen etwa eine Mörderin? „Ich hatte dir gesagt, dass du einen Wunsch frei hast. Du hast dir etwas gewünscht, es ist wahr geworden. Das ist alles.“ Danna stand auf. „Du kannst Wünsche erfüllen?“ Tico erhob sich ebenfalls. Danna lächelte wieder. „Mach’s gut Sonne. Wir sehen uns wieder.“ Und schon ging sie fort. „Mein Name ist Thuy Kieu!“ Dem Mädchen hinterher zu schauen brachte rein gar nichts. Sie war so schnell verschwunden, dass Tico noch nicht einmal einen Widerspruch einlegen konnte. So stand sie noch lange da. Das war definitiv zu viel. Ein Mädchen, das Wünsche erfüllt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)