Die andere Welt von Blonde_Hexe ================================================================================ Kapitel 1: Ich bekomme einen Schlag und ein Riese fällt um ---------------------------------------------------------- Hätten Sie mir bis zu jenem bewussten Nachmittag erklärt, dass an einem Freitag dem 13. der beste Gedanke den man haben kann, der feste Entschluss ist, im Bett zu bleiben und wirklich keinen Finger zu rühren, so hätte ich sie im Bewusstsein tiefster Überzeugung schallend ausgelacht. Aber wie gesagt, so wäre es bis zu jenem Spätsommertag gewesen, der einige Unruhe in mein bis dahin doch recht sorgloses Leben bringen sollte. Natürlich war mein Leben nicht völlig sorgenfrei. Die Wochenenden waren verdammt lang, wenn es einem nicht gelungen war, eine liebe und nette Kollegin in die heimischen vier Wände zu schmuggeln oder mit ihr einen Bummel durch die für meinen Geldbeutel geeigneten Lokale zu machen. Auch der Vorrat eines Getränkes das im schottischen Hochland am besten auf Flaschen gefüllt wurde, durfte unter keinen Umständen enden bevor die Ladenöffnungszeiten das Nachfüllen erlaubten. Sie sehen also, einen Anlass sich zu Sorgen gab es in größerer Fülle. An diesem Freitag allerdings hatte ich in jeder Hinsicht für das kommende Wochenende vorgesorgt und eigentlich konnte nichts mehr schief gehen. Wenn nicht so verdammt kurz vor Büroschluss das Telefon auf meinem Schreibtisch geklingelt hätte. Es mag pure Einbildung gewesen sein, aber irgendwie kam mir der dunkle Summton recht aufdringlich und boshaft vor. Ich beschloss es erst einmal klingeln zu lassen. Doch ein Blick auf meine Armbanduhr überzeugte mich davon, dass es besser wäre, doch nach dem Hörer zu greifen. Das dies kein schlechter Gedanke war wurde mir schon nach den ersten Worten aus dem Hörer klar. Niemand geringerer als Dr. Boos, der allgewaltige Chef und alleinige Inhaber unserer Werbeagentur machte sich bemerkbar. Seine tiefe kräftige Stimme war schon klar zu hören, da hatte ich den Hörer noch lange nicht in der Nähe meines Ohres. Ich hatte ohne Verzug in seinem Heiligtum zu erscheinen oder diverse Höllenstrafen erwarteten mich. Das waren zwar nicht genau seine Worte, aber inhaltlich eher unter- als übertrieben. Missmutig knallte ich den Hörer auf die Gabel. Er hatte meine Antwort nicht einmal abgewartet und das Gespräch beendet. Das sah ganz nach einem neuen Auftrag aus und ich wusste aus der Erfahrung die ich in den vier Monaten die ich jetzt hier arbeitete, erworben hatte. Dass damit auch eine Unmenge Überstunden, natürlich völlig Freiwillige, verbunden waren. Das Wochenende geriet in weiteste Ferne und das gerade, als es mir endlich gelungen war, mit der wohl hübschesten Mitarbeiterin der Abteilung Industrie ein kleines Rendezvous zu vereinbaren. Gut es blieben noch die bewussten Flaschen aus dem schottischen Hochland, aber das war nur ein sehr schwacher Trost. Ich erhob mich und beeilte mich so schnell ich konnte aus dem Zimmer und zum Aufzug zu gelangen. Mit langen schnellen Schritten eilte ich den breiten Gang entlang und konnte nicht mehr stoppen, als eine andere Person unverhofft aus einer der vielen Türen trat. Unwillkürlich streckte ich meine Arme aus und umfasste sie mit festem Griff, dann jedoch verloren wir beide den Halt und landeten recht unsanft auf dem mit grauem Teppich überzogenem Boden. Wobei ich mehr Glück hatte. Ich kam als oberster zu liegen, was mir im Nachhinein keineswegs unangenehm war. Denn die Person die so unvermittelt vor mir aufgetaucht war entpuppte sich als eine sehr hübsche, gutgebaute junge Frau. Ihre Überraschung legte sich wesentlich schneller als die meine. Zwei wunderschöne Augen funkelten mich böse an und eine sehr melodische Stimme erkundigte sich ärgerlich, ob ich vorhätte, sie vollends zu erdrücken. Ich beeilte mich wieder auf die Beine zu kommen und ihr galant eine hilfreiche Hand zu reichen. Doch daraus wurde nichts. Von meinem Gewicht befreit war sie mit einer flinken Bewegung schneller als ich wieder oben. Sie musterte mich mit spöttischen Augen von oben bis unten und ich spürte, dass ich ihr gegenüber meine sonstige Sicherheit verlor. Ihre nächsten Worte aber brachten mich noch mehr aus dem Gleichgewicht. „Ich weis ja dass Sie hinter jedem weiblichen Wesen herjagen. Aber glauben sie, so zum Erfolg zu kommen?“ Sprachs, drehte sich um und ging mit wiegenden Schritten den Gang in die andere Richtung entlang. Ich sah ihr etwas verwirrt nach. Ich hatte sie noch nie gesehen. Woher nahm sie also ihre weisen Erkenntnisse über mich. Und dann ihre Augen. Ich hatte noch nie solche Augen gesehen, von dunklem Grün mit einer goldenen Iris. Ich schüttelte energisch den Kopf, verdammt was sollte das, ich hatte jetzt anderes im Kopf, als dieses, wie es mir jetzt erschien, seltsame Mädchen. Ich wollte schon weitergehen, als mein Blick auf einen nur wenige Zentimeter großen, siberglänzenden Gegenstand auf dem Boden fiel. Ich hob ihn auf und steckte ihn ohne nähere Betrachtung in meine Hosentasche. Wahrscheinlich hatte ich ihn ihr bei unserem unvermutetem Zusammenstoß abgerissen Eigentlich ein plausibler Grund sich nach ihr zu erkundigen. * * * * * Meine dunkelsten Vorahnungen schienen sich zu erfüllen, als ich das Büro meines Chefs betrat. Breit und wuchtig saß er hinter seinem Schreibtisch. Sein kantiges Gesicht blickte mir forschend entgegen. Unter seinem Blick aus grauen immer kühl und forschen blickenden Augen wurden selbst angesehene Abteilungsleiter ziemlich klein. Ich war aber kein Abteilungsleiter. Ich war nur ein kleiner Werbeassistent der erst seit wenigen Monaten hier arbeitete. Da ich mir jedoch keiner grösseren Sünde bewusst war, von den kleineren konnte er unmöglich wissen, beschloss ich ihm nicht minder fest in die Augen zu sehen. Erst jetzt bemerkte ich, dass auch Doktor Sternberg, seines Zeichens Leiter der Personal- und Finanzabteilung anwesend war. Diese beiden zusammen bedeutete kaum etwas Gutes. Hatte ich bei dem ersten Gespräch zwischen unserer Agentur und Auftraggebern, bei dem ich gestern dabei sein durfte, mit meinen Vorschlägen etwas verbockt? Dr. Boos hatte mich einige Male recht scharf gemustert. Schön, in einer Woche war der Erste und damit ein perfektes Datum meinen Vertrag zu kündigen. „Wie lange ist er jetzt bei uns?“ hörte ich die knurrige Stimme des Alten wie er allgemein nur genannt wurde. Sternberg, der lässig an der breiten Aktenwand lehnte, tat, als müsse er überlegen und musterte mich ebenfalls recht abschätzend. „Am ersten werden es vier Monate.“ „Verdammt kurz, was, Sternberg.“ „Er hat sich nicht schlecht gemausert, besser als ich gedacht habe.“ Der Alte kniff die Augen zusammen, dass seine buschigen Brauen fast zusammen stießen. Seine Stimme grollt wie ein fernes Gewitter und verhieß nichts Gutes. „Ja ganz besonders bei unserer Damenwelt. Eigentlich müsste er doch beinahe durch sein.“ Sternberg lachte schallend. Er war der einzige der sich das in so ungezwungener Art in Gegenwart des Chefs erlauben durfte. „Wir haben über fünfhundert Mitarbeiter. Zwei Drittel davon sind weiblich. Da reichen vier Monate nicht. Er musste ja auch noch arbeiten.“ Der Alte grinste breit und etwas niederträchtig. „Nehmen sie bei ihrer Rechenaufgabe nur die Jungen und H,übschen und teilen die durch vier Monate Sternberg. Dann sieht die Sache ganz anders aus.“ Nach diesen Worten wurde der Alte unvermittelt ernst. Er erhob sich und winkte Sternberg und mir zu, ihm hinüber in die wuchtige Polstergarnitur zu folgen, die einen guten Teil des großen Raumes beherrschte. Was ich im Verlauf der nächsten halben Stunde erfuhr, brachte mich in recht aufgeräumte Stimmung. Meine Einwände und Anregungen, die ich im Verlaufe des Gespräches mit den zukünftigen Auftraggebern gemacht hatte und die meist nicht ganz dem erarbeitetem Konzept entsprachen das wir vorgelegt hatten, hatten etwas doch recht unerwartetes bewirkt. Der Seniorchef der Ewaldwerke bestand in einem persönlichen Gespräch mit Dr. Boos darauf, dass der doch recht umfangreiche Auftrag nur an unsere Agentur ginge, wenn ich ohne wenn und aber die Federführung erhalten würde. Das war eigentlich recht ungewöhnlich, aber Rainer Ewald war in Statur und Gebaren unseren Chef nicht unähnlich. Auch er wich keinen Zentimeter von einem als richtig erkanntem Entschluss ab. So kam es, dass ich als frisch gebackener Gruppenleiter drei Stunden später das Büro wieder verlies. Auch zu diesem Zeitpunkt hätte mir der Gedanke an einen Freitag mit der Zahl 13 keinerlei Angst eingejagt. Doch das sollte sich sehr schnell ändern. Es war doch schon recht spät geworden und ich mußte mich beeilen, wollte ich frisch gebügelt und gestärkt zu meinem ersten Zusammentreffen mit der hübschen Sigrid erscheinen. Der Verkehr auf den Strassen hatte schon stark abgenommen und so erreichte ich mein Jungesellenzuhause in recht annehmbarer Zeit. Da ich mich nur umziehen und etwas erfrischen wollte, lies ich das Auto seitlich in der Einfahrt zur Tiefgarage stehen. Es mochte etwas eng für ungeübte Vorbeifahrer werden aber meine zeitliche Knappheit war doch wohl Entschuldigung genug. Eilig stieg ich die Treppen zur dritten Etage hinauf. Der Fahrstuhl war natürlich wie immer besetzt wenn man in Zeitnot war. Den Schlüssel für meine kleine Wohnung fischte ich zwischenzeitlich aus meiner Jackentasche. Ich wunderte mich noch flüchtig darüber, dass ich vergessen hatte, die Eingangstüre abzusperren und trat in den kleinen Vorraum hinein. Ein großer dunkler Schatten, der plötzlich vor mir stand und ein heftiger Schlag mitten in mein Gesicht, drangen noch in mein Bewusstsein, dann herrschte tiefe Stille. * * * * * * Das erste, was mir ins Bewußtsein drang, war ein fürchterlicher Kopfschmerz und ein unangenehmer Geschmack in meinem Mund. Rundum herrschte fast völlige Dunkelheit. Nur durch die Glastüre zum Wohnzimmer drang ein spärlicher Schimmer, der aber nicht ausreichte, um auch nur annähernd etwas zu erkennen. Aber immerhin, ich wußte wo ich war. Mühsam rappelte ich mich hoch und der Schmerz in meinem Schädel nahm dabei erheblich zu. Als ich mir mit der Hand über die schmerzenden Lippen fuhr, wurde mir klar, woher der unschöne Geschmack in meinem Mund kam. Es war mein eigenes Blut. Etwas taumelig, aber schon wieder recht stabil auf den Beinen, tastete ich nach dem Lichtschalter. Das grelle Licht des Deckenstrahlers drang schmerzhaft in meine Augen und ich stieß einen recht kräftigen Fluch aus. Ich ging die wenigen Schritte in das etwa zwei mal drei Meter große Badezimmer und besah mein Gesicht im Spiegel. Es sah nicht so schlimm aus wie ich mich nach dem Schlag fühlte. Zwar mußte ich heftig aus Mund und Nase geblutet haben, aber nachdem ich meinen Kopf unter das kalte Weser gesteckt hatte, ging es mir bedeutend besser. Aber etwas anderes wurde mir erst jetzt so richtig Bewusst. Ich war bis auf Unterhose und Socken völlig ausgezogen. Ich ging zurück in den Eingangsbereich und richtig, da lagen Hemd, Hose und Schuhe. Die Jacke dagegen war ordentlich über einen Bügel an die Garderobe gehängt. Allerdings wie ich jetzt feststellen mußte, gewendet. Futterteile und Taschen bildeten jetzt das Äußere. Ziemlich verständnislos betrachtete ich das gute Stück. Irgendwie ergab das Ganze doch keinen Sinn. Sollte die hübsche Sigrid einen Aufpasser haben, der es nicht gerne sah wenn ein anderer mit ihr aus ging? Aber wie war er dann in meine Wohnung gekommen und warum hatte er meine Jacke völlig umgedreht? So beschloss ich erst einmal, Kontakt mit einem guten schottischen Freund aufzunehmen. Als ich mein Wohnzimmer betrat, traf mich der zweite Schlag. Diesmal allerdings nicht mit einer Faust, sondern eher vor Überraschung. Nicht ein Teil der Einrichtung war mehr an seinem Platz. Jede Türe, jeder Schub war geöffnet und der Inhalt lag verstreut im ganzen Zimmer herum. Zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit gab ich einige Worte von mir, die jedem altgedienten Seemann hätten vor Neid erblassen lassen. Aber nach einigem Suchen fand ich meinen schottischen Freund unversehrt am Boden und auch eines meiner Gläser hatte den Sturz auf den Boden heil überstanden. Das edle Getränk brannte wie Feuer und verstärkte meine recht unfreundlichen Gefühle für den heimlichen, oder sollte ich besser sagen unheimlichen Besucher um einiges. Aber es half auch meine Gedanken zu ordnen und in klare Bahnen zu lenken. Eine Tatsache stand fest. Unmittelbar von meiner Person hatte der unangenehme Zeitgenosse nichts gewollt. Mit dem nun in weite ferne gerücktem Treffen mit Sigrid hatte das Ganze nichts zu tun. Der Besucher hatte etwas gesucht und, wie es den Anschein hatte, sogar in meiner Kleidung vermutet. Ich lies mich in den etwas altmodischen Sessel sinken und starrte gedankenverloren zum Fenster hinaus. Ich war weder Geheimagent noch bearbeitete ich irgendwelche Details, die von wirtschaftlichem Interesse oder Wert waren. Produkte, mit denen ich zu tun hatte, gab es in fast allen Märkten zu kaufen. Reichtümer und Kunstschätze besaß ich auch nicht. Das Bargeld das ich im Hause gehabt hatte, war vollzählig vorhanden und da die Börse geöffnet worden war, hatte der Täter das Geld auch gesehen. Es hatte ihn in keinster Weise interessiert. Was um alles in der Welt hatte ihn dann dazu veranlasst, mich derart zu beglücken. Das Wochenende war gelaufen. Bis alles wieder an seinem angestammten Platz war, war es Montag Morgen. Was ich Sigrid sagen würde musste ich mir noch einfallen lassen. Ich war eben dabei, mein Glas zum dritten Male zu füllen, als ein seltsamer Gedanke in mir Gestallt annahm. Ich stellte das Glas eiligst auf die Erde und ging hinaus in den Eingangsbereich. Ich hob meine achtlos in eine Ecke geworfene Hose auf und begann nun meinerseits sie zu durchsuchen Alles was ich an üblichen Gegenständen darin verstaut hatte, lag irgendwo auf dem Boden. Aber das was ich suchte war nicht mehr vorhanden. Das kleine Schmuckstück oder was auch immer war verschwunden. Während ich noch überlegte ob der unbekannte Besucher wohl danach gesucht haben könnte, bemerkte ich ein Loch in meiner Hosentasche. Der Anhänger war hindurch gefallen aber das kleine Kettchen hatte sich im ausgefransten Futter verfangen. Vorsichtig zog ich das kleine Anhängsel heraus. Nun neugierig geworden betrachtete ich es von allen Seiten. Es bestand aus feinen sehr kunstvoll gearbeiteten Ornamenten, die wirr ineinander verschlungen waren. Es wog überraschend schwer in meiner Hand und war auch auf der Rückseite sorgfältig ausgeführt. Das heißt, was Vorder- oder Rückseite war, konnte ich nicht festlegen. Ich ging zurück ins Wohnzimmer und nahm meinen Platz im Sessel wieder ein. Gedankenverloren nippte ich an meinem Glase. War es das, was der Unbekannte gesucht hatte? Hatte er es nur durch einen seltsamen Zufall nicht gefunden? Es musste der jungen Frau gehört haben, mit der ich so unverhofft zusammen gestoßen war. Ich sah sie direkt wieder vor mir. Sie war verteufelt hübsch gewesen. Warum hatte ich sie in diesem Kafferngral nur bisher noch nicht gesehen. Und erst ihre Augen! Hier stockte ich in meinen Gedanken. Ich hatte noch nie dunkelgrüne Augen mit einer goldenen Iris gesehen. Gab es das überhaupt? Oder erweckte sie nur mit Kontaktlinsen diesen Eindruck. War das möglich? Ich schüttelte überlegend den Kopf. Nein an Kontaktlinsen glaubte ich nicht. Diese Augen waren zu schön, zu seltsam gewesen. Als ich soweit in meinen Überlegungen gekommen war, erhob ich mich und ging zur Eingangstüre. Sorgfältig sperrte ich sie ab und klemmte den einzigen Küchenstuhl unter den Griff. Ich kam mir dabei zwar wie in einem zweitklassigen Krimi vor, aber wer einmal in meine Wohnung gekommen war, konnte es jederzeit wieder versuchen. Sollte er wirklich den Anhänger gesucht haben, dann war dieser Gedanke gar nicht so abwegig. Aus der wüsten Unordnung im Schlafzimmer suchte ich mir zusammen was ich zum Anziehen brauchte. Während ich mich ankleidete, überdachte ich noch einmal die gesamte Situation. Der Gedanke, dass der Anhänger die Ursache für meine dicke Unterlippe und das wüste Durcheinander war, erschien mir nicht mehr so abwegig wie am Anfang. Dass er auch die Ursache für meinen immer noch schmerzenden Schädel war, brachte auch die unfreundlichen Gefühle zurück. die ich für den Verursacher empfand. Das Telefon lag zwar ebenfalls auf der Erde, aber es hatte den Sturz unversehrt überstanden. Es zeigte mit seinem Summton an, dass es gewillt war, mich mit allen Menschen dieses schönen Planeten zu verbinden. Zumindest mit all Jenen, die ebenfalls einen Fernsprecher ihr eigen nannten. Die Nummer die ich nun wählte hatte ich im Kopf . „Bernhardt“ meldete sich eine etwas raue Stimme. „Grüß Dich alte Hütte“ brummte ich mit schmerzendem Kiefer. Das Sprechen bereitete mir doch einiges Ungemach. „Bist Du es Erich?“ wollte die Stimme am anderen Ende der Leitung wissen. „Klar wer sonst.“ knurrte ich etwas ungehalten. „Natürlich, Du bist ja der einzige Mensch, der mich anrufen könnte. Aber Du sprichst so merkwürdig. Ich hätte Dich beinahe nicht erkannt. Hast Du zu viel schottischen intus?“ Ich musste unwillkürlich grinsen. Er war genau der Richtige, um mir das zu sagen. „Nein, drei armselige Gläschen und die nicht bis zum Rand gefüllt.“ „Also so gut wie gar nichts,“ lachte die Stimme am anderen Ende. „Hör zu Klaus, ich muss Dich dringend sprechen. Am Besten gleich.“ „Klar, komme vorbei. Ich bin Zuhause.“ Noch ein kurzer Gruß und ich legte auf. Wenn es jemanden gab, der mit dem Anhänger etwas anzufangen wusste, dann war es Klaus. Wir kannten uns seit unserer Studienzeit und waren feste Freunde geblieben, obwohl wir in Wesen und Statur nicht hätten unterschiedlicher sein können. * * * * * * Klaus Bernhardt wohnte in einem alten Haus am Stadtrand, das gut und gerne seine zweihundert Jahre auf dem Buckel hatte. Er hatte es billig erworben und liebevoll restauriert. Ich selbst hatte ihm manche Stunde dabei geholfen. Jetzt ein paar Jahre später, war er damit zwar noch nicht fertig, aber das Ergebnis konnte sich schon sehen lassen. In seinem Inneren jedenfalls war es urgemütlich und dazu trug auch der nicht sonderlich auf Ordnung haltende Charakter seines Besitzers bei. Da er finanziell gut gepolstert war, konnte er es sich leisten, mehrmals im Jahr für einige Wochen auf reisen zu gehen und all die Dinge, die ihm gefielen oder in sein Interessengebiet fielen, trug er hier zusammen. Zumindest soweit es ihm möglich war, sie käuflich zu erwerben. Seine Leidenschaft waren die Hinterlassenschaften längst vergangener Völker und die Sterne am Himmel. Unter dem Dach seines Hauses hatte er sich ein kleines, aber feines Observatorium eingerichtet und manche klare Nacht hatten wir damit verbracht, den Himmel zu beobachten. In der langen Strasse gab es nur wenige Häuser. Dafür einen sehr alten Baumbestand und weitläufige Gärten. Die meisten Fenster der Anwesen waren unbeleuchtet. Hier gingen die Bewohner wohl noch mit den Hühner schlafen. Vor Berhardts Haus konnte ich ungestört parken. Hier gab es anders als in der Stadt genügend Platz. Ich verschloss meinen Wagen sorgfältig, denn ich wollte bei meiner Rückkehr keine unliebsamen Überraschungen erleben. Das bisherige Geschehen mahnte mich zur Vorsicht. Ich fand es sehr leichtsinnig, dass Klaus die schwere aus geschnitztem Holz bestehende Eingangstüre nicht verschlossen hielt. Als ich mich bei diesem Gedanken erwischte, musste unwillkürlich grinsen, obwohl das Verziehen meiner Mundwinkel unverschämt schmerzte. Die Nachwehen des Schlages machten sich wohl erst jetzt bemerkbar. Ich musste aufpassen, dass ich keinen Sicherheitskomplex entwickelte. Der Lichtschein, der aus einer der halb offenen Türe fiel, zeigte an, wo Klaus sich aufhielt. Es handelte sich um den grössten Raum im ganzen Haus, der zur Gartenseite hin lag und von ihm als Arbeitszimmer verwendet wurde. Keiner, der diese Zimmer zum ersten Male betrat, war in der Lage, die unzähligen Gegenstände bewusst zu erfassen, die diesen Raum füllten. Fast genau in der Mitte hatte ein alter, massiver Schneidertisch seinen Platz gefunden. Auf dessen großer Arbeitsplatte türmte sich alles, womit Klaus zur Zeit beschäftigt war. Zumindest erklärte er das heillose Chaos damit. Seine lange dürre Gestallt stand über den Tisch gebeugt und der fast kahle Hinterkopf leuchtete im hellen Licht einer unbeschirmten Lampe, die hoch über ihm an der Decke hing. Ohne sich in seiner Tätigkeit stören zu lassen winkte mir Klaus zu. Ich trat langsam neben ihn an den Tisch. Er betrachtete mit einer großen Tischlupe ein etwa Handteller großes Holzstück. Daneben lag ein ganzer Stapel von Fotos und seltsamen Diagrammen. Immer wieder verglich er für mich unsichtbare Merkmale des Holzes mit den vorhandenen Unterlagen und schüttelte jedesmal unwillig seinen Kopf. Nach einigen Minuten richtete er sich so umständlich auf, dass der Eindruck nicht wegzuschieben war, er müsste schon hart an die neunzig Jahre heran gehen. Dabei zählte er genau wie ich nicht mehr als siebenundzwanzig Jahre. Er reichte mir grinsend die Hand und ich mußte wieder einmal feststellen, dass er ohne Mühe mit den Mundwinkeln seine Ohren erreichen konnte. Mit äußerstem Interesse betrachtete er dann mein Gesicht und so etwas wie Schadenfreude zeigte sich in seinen Augen „Tja mein Sohn“ grinste er genüsslich. „Nicht jeder reagiert mit vornehmer Zurückhaltung, wenn du seine Freundin anlachst. Du solltest etwas rohes Fleisch auflegen. Das soll bei Schlägereien ein altes Hausmittel sein.“ „Depp“ war alles was ich dazu sagte und das breite Grinsen in seinem Gesicht verstärkte sich um einiges. Er ging in den hinteren Teil des Raumes und entnahm einer Vitrine eine Flasche und zwei Gläser. „Du siehst aus, als könntest du Einen vertragen“ meinte er gutmütig. Aber ich winkte ab, was ihn sichtlich in Verwirrung brachte. „Erstens glaube ich, mein Quantum für heute schon erfüllt zu haben und zum Anderen brauche ich einen klaren Kopf. Ein zweites Mal möchte ich nicht in einen solchen Schlag laufen.“ Klaus deutete auf einen Stuhl in der Nähe und angelte sich mit seinen langen Armen selbst einen der vielen recht unterschiedlichen Sitzgelegenheiten, die den großen Tisch umstanden. Rücklings nahm er darauf Platz, streckte seine Beine in den viel zu weiten Hosen, gelassen von sich und sah mich nun doch neugierig geworden an. „Erzähle.“ * * * * * * „So nun bist du genauestens unterrichtet und verdächtigst mich hoffentlich nicht mehr der Vielweiberei oder ähnlicher Untugenden“ Klaus konnte ein niederträchtiges Grinsen nicht verhindern. Aber er wurde sofort wieder ernst. Offenbar nahm er meine Erzählung doch nicht so unernst wie es zuerst aussah. „Und wo ist nun das Prachtstück?“ erkundigte er sich. Ich nahm es aus meiner Jackentasche und reichte es ihm hin. Stumm und mit unbewegtem Gesichtsausdruck betrachtete er es aufmerksam von allen Seiten. Er sagte kein Wort, aber nach einigen Minuten erhob er sich und betrachtete das gute Stück unter seiner großen Lupe. Als er jetzt zu einem seiner Bücherregale hinüber ging, war nichts mehr von der scheinbaren Schwerfälligkeit zu bemerken, die ansonsten zu seinem Kennzeichen gehörte. Sehr zielbewusst wählte er eines der Bücher aus und kam zu mir an den Tisch zurück. Aufgeschlagen legte er es vor mir auf den Tisch und tippte mit seinem Finger auf eine der darin abgebildeten Darstellungen. „Es ist nicht genau dieselbe Art der Darstellung, aber es ist nicht unähnlich meine ich.“ „Und was bedeutet dieses Zeichen?“ Wollte ich wissen. „So genau lässt sich das nicht sagen. Schriftliche Zeugnisse der nordischen Völker gibt es so gut wie nicht. Die Mönche haben bei der Christianisierung ganze Arbeit geleistet und wirklich alles vernichtet was eventuell vorhanden war. Heute ist der Nachweis einer Schriftsprache für diesen ganzen Kulturkreis fast unmöglich“ „So etwas ist doch nicht möglich. Es gäbe doch bestimmt noch Reste alter Aufzeichnungen.“ Klaus schüttelte stumm den Kopf. Wir wissen, dass die Azteken Bibliotheken mit vielen Tausenden Schriften besaßen, als die religiösen Fanatiker dort eintrafen. Es sind nicht einmal eine Handvoll davon erhalten geblieben und das ist nur ein paar Jahrhunderte her.“ „Und was bedeutet nun dieses Zeichen deiner Meinung nach.“ „Es handelt sich fast immer um Grabinschriften, die mit festgelegten Zeichen versehen waren. Sie geben in etwa Auskunft darüber, wie der Tote in das Jenseits wechseln durfte.“ „Dann hat dieses Anhängsel etwas mit dem Tot zu tun?“ „Nein, sicherlich nicht.“ „Was dann.“ „Auf diesem Grabstein steht ein ähnliches Zeichen, vermutlich für den Eingang in eine andere Welt. Gewissermaßen in das Jenseits. Aber das von dir mitgebrachte unterscheitet sich doch recht erheblich davon. Es ist diesem nur recht ähnlich im Aufbau und Struktur. Zudem glaube ich nicht, dass es ein altes Stück ist. Dieses Teil ist mit modernster Technik gestaltet und geformt worden.“ Klaus erhob sich und ging zurück zu seiner Lupe. Er bedeutete mir ihm zu folgen. Unter dem stark gewölbten mehr als dreißig Zentimeter durchmessendem Glas war jede noch so kleine Einzelheit des Stückes zu erkennen. Es war eine bis in das kleinste Detail kunstvoll ausgeprägte Arbeit. Winzige, nur Millimeter große Figuren und andere Darstellungen waren zu erkennen. Der Rand des kreisrunden Stückes war fugenlos zusammengeschweißt und mit wunderbaren Ornamenten verziert. Ansonsten jedoch waren Vorder- und Rückseite etwa einen Millimeter von einander getrennt. Allerdings waren beide Seiten an vielen Stellen der Ornamente durchbrochen, wenn auch genau Seitengleich. Die Rückseiten der betreffenden Teile waren mit einem Geflecht aus winzigen, funkelnden Teilchen, Katzenaugen nicht unähnlich überzogen. Klaus hatte recht, diese Stück entstammte keiner älteren Epoche und es war mit Sicherheit in keiner Juwelierwerkstatt hergestellt worden. Zumindest nicht als reines Schmuckstück. „Hast Du eine ungefähre Ahnung, was das sein könnte?“ wollte ich wissen. Klaus antwortete nicht. Seltsam verschlossen betrachtete er das eigentümliche Werkstück. Von seinem sonst eher jungenhaftem Äußeren war jetzt nichts mehr zu spüren. Kantig, fast hart wirkte sein Gesicht nun und ich wusste, dass hinter seiner hohen Stirn nun die Gedanken jagten. In diesem Zustand war er kaum mehr von außen erreichbar. Ich lies ihn gewähren und entschloss mich nun doch, den angebotenen Schluck nachträglich anzunehmen. Klaus hatte sich in einen Gedanken oder eine Idee verbissen und er würde nicht nachlassen, bis er zu einer für ihn befriedigenden Lösung gekommen war. Ich hatte es während unserer gemeinsamen Studienzeit erlebt, dass er Stundenlang in höchster Konzentration und Anspannung arbeiten konnte. Die Welt um ihn her war dann vergessen. Das Schicksal meinte es jedoch gnädig mit mir. Es verging kaum eine halbe Stunde und er schien zu einem brauchbaren Ergebnis vorgestoßen zu sein. Er nahm das Amulett, oder was es auch immer sein mochte und ging hinüber zu einer kleinen Werkbank. Sorgfältig spannte er es in eine bewegliche Halterung ein. Als er mit seinem Werk zufrieden war, bedeutete er mir das Licht im Raum auszuschalten. Er wartete, bis ich mich in dem nun kaum beleuchteten Raum bis zu ihm durchgearbeitet hatte und begann dann mit einer kleinen Lampe wie Ärzte sie öfter verwendeten, nahe an den Gegenstand heranzugehen. Er benötigte nur drei Versuche. An der wahrscheinlich dafür vorgesehenen Stelle, mit einem Lichtstrahl erhellt, brachen durch winzige Öffnungen an der runden Abschlusskante, die wir selbst unter der Lupe nicht erkannt hatten, fein gebündelte Lichtstrahlen. Befriedigt nickte Klaus und leuchtete mir dann mit seiner kleinen Lampe den Weg zurück zum Lichtschalter. Wenig später saßen wir wieder am Tisch und Klaus legte mein Fundstück vor uns auf die blanke Platte. Ich sah ihn erwartungsvoll an, denn ehrlich gesagt konnte ich mir keinen rechten Reim aus der gezeigten Vorstellung machen. „Kannst du dir wirklich nicht denken um welche Art von Funktion es sich bei dem von dir gefundenem Stück handeln könnte?“ Ich schüttelte den Kopf und wartete auf seine Erklärung, die jedoch lies auf sich warten. Versonnen musterte Klaus immer noch das leicht im Licht funkelnde Stück Metall „Laß mich ruhig in Dummheit sterben.“ knurrte ich ungehalten. Klaus nickte nachdenklich mit vorgeschützten Lippen und lächelte mich dann friedfertig an. „Was du hier vor dir siehst ist ein Schlüssel. Ich weis nur noch nicht wofür oder besser gesagt, wozu er gemacht wurde. Aber ein Schlüssel ist es, dafür lasse ich mich hängen wenn es denn sein muß.“ Ich lies mir seine Vorstellung durch den Kopf gehen und er wartete geduldig das Ergebnis meiner Denkfabrik ab. „Du meinst, es funktioniert ähnlich wie der Zahlenkranz in einem Tresor.? Gibt man die richtigen Zahlen ein, entriegelt man mit einem Schieber das Schloss.“ Klaus nickte zufrieden. „Nur, dass hier statt Riegel Lichtstrahlen den Mechanismus auslösen. Du hast es erfasst mein Sohn.“ „Darf ich fragen, wie Du auf eine solche Lösung gekommen bist? Und vor allem so schnell.“ „Sieh dir doch noch einmal die Abbildung an. Ich sagte dir doch, es sei das Symbol für den Übergang in eine andere Welt. Sozusagen ein Schlüsselzeichen. Irgendwie lies mich dieser Gedanke nicht mehr los und die unseren Reflektoren so ähnlichen Gebilde gaben in meinen Überlegungen den Ausschlag. Ist doch ganz einfach oder?“ Eine geraume Weile sprachen wir nicht miteinander, sondern hingen unseren Gedanken nach „Und du sagtest, sie hatte grüne Augen mit einer goldenen Iris?“ Schreckte mich seine nächste Frage auf. „Ein herrliches grün, dunkel wie italienischer Marmor.“ „Und sie hat dich abblitzen lassen, vergiss das nicht .“ „Was habt ihr nur alle immer.“ Verteidigte ich mich erbost. Da lacht man ab und zu mal ein Mädchen freundlich an, ist höflich und zuvorkommend zu ihr und schon wird man in Casanovas Nähe gerückt. Da ist doch gar nichts dahinter.“ „Und weil du so lieb und zuvorkommend bist, geht sie dann mit dir aus oder zu dir nach Hause was?“ „Ach lass doch den Quatsch“ winkte ich ab. „Glaubst du, sie ist nicht von hier.“ „Wie nicht von hier. “sah er mich verständnislos an. „Nun ich meine, denkst du, sie kommt von einem anderen Stern?“ „Blödsinn, was gäbe es auf unserer guten alten Erde, das für eine wirklich hoch entwickelte Rasse von Interesse sein könnte? Wir werden nie die Sterne in diesem Umfang erreichen mein Lieber und ein Volk oder besser gesagt. eine Rasse, die das ferne Ziel erreicht hat, wird sich aus vielerlei Gründen hüten, hier bei uns aufzutauchen.“ „Du glaubst, wir wären kulturell oder als Brüder im All nicht für sie interessant?“ „Wenn du einen Ameisenhaufen gesehen hast, betrachtest du dann auch alle anderen? Das wäre das Eine und zum Anderen würde kein hochentwickeltes Volk so verantwortungslos handeln wie unsere Vorfahren es bei der Erforschung unserer eigenen Welt getan haben. Für eine wirkliche Hochkultur wären wir Tiere, die sprechen können und sonst nichts.“ „Du glaubst also nicht das sie von Außerhalb kommt.“ Er schüttelte energisch den Kopf. „Nein, sie ist ganz sicher von diesem Planeten. Es stellt sich nur die Frage woher.“ Ich deutete auf den kleinen Anhänger, denn das war er mit seinem feinen Kettchen trotz allem. „Tippst du in nördliche Richtung.“ Klaus antwortete nicht. Er starrte mit weit aufgerissenen Augen auf irgend etwas, das sich hinter mir befinden musste. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Klaus hatte gewiß seine Stärken und war mir in vielen Dingen unbestritten überlegen. Aber auch ich hatte meine kleinen angeborenen Eigenarten. Ich schnellte nach vorne, griff nach dem Anhänger und war mit einem Satz auf dem Tisch. Ich drehte mich nicht um, sondern sprang auf dessen anderen Seite herunter und war mit wenigen langen Schritten durch die offene Türe draußen im Garten. Ich lief nicht weiter, sondern presste mich fest gegen die Hauswand, machte mich so klein und unauffällig wie möglich. Drinnen hörte ich ein dumpfes Poltern und einen lauten Schrei der unverkennbar aus dem Mund von Klaus stammten. Wenig später stand ein Hüne von gut zwei Meter Größe im Lichtkegel der Türe. Mächtige Schultern und ein breiter Brustkasten verrieten die geballte Kraft, die in diesem Körper wohnte. Jetzt brauchte ich nicht mehr zu überlegen weshalb ein Schlag ausgereicht hatte mich für längere Zeit ins Land der Träume zu senden. Ich wunderte mich nur im Nachhinein, dass mir nicht der gesamte Kiefer zerschmettert war, Der Riese wendete suchend den Kopf und blickte genau in meine Richtung. Ich wusste, dass direkt neben dieser Türe allerlei Gartengeräte abgestellt waren. Der Riese reagierte unglaublich schnell, aber ich war noch eine Kleinigkeit schneller. Denn ich war auf dieses Treffen vorbereitet. Meine Hand ergriff den Stil irgend eines Gartengerätes und ich schlug mit aller Kraft zu. Ich traf ihn mitten auf die Stirn und der feste Stil zerbrach unter der Wucht des Schlages. Aber der Riese taumelte nur und seine mächtigen Arme griffen nach mir. Sollte es ihm gelingen, mich in den Griff seiner Hände zu bekommen, war ich verloren. Ich war nicht mehr gegen ihn als ein kleiner Junge gegen mich. Die einzige Waffe, die ich jetzt noch hatte, war der zersplitterte Rest der Holzstange. Aber irgendetwas hinderte mich, die scharfe Bruchkante gegen meinen Gegner einzusetzen. Das wäre mir beinahe zum Verhängnis geworden. Noch im Sprung drehte ich dem Riesen das stumpfe Ende des Bruchstückes zu und rammte es ihm mit der ganzen Wucht meiner fünfundachtzig Kilo in den Unterleib. Zwar erwischte er mich noch mit beiden Händen gab mich aber sogleich wieder frei und brach mit einem ächzenden Laut in die Knie. Beide Arme fest gegen seinen Bauch gepresst. Er tat mir beinahe Leid, als ich mit dem Stock weit ausholte und erneut zuschlug. Ohne einen weiteren Laut von sich zu geben, kippte er nach vorne um und blieb reglos liegen. Obwohl es ein erhebliches Risiko war, jetzt näher an ihn heran zugehen, tat ich es dennoch. Ich beugte mich zu ihm herab und griff nach seinem Arm. Schwach, aber deutlich spürte ich das Pochen seines Pulses. Ich kramte mein Feuerzeug aus der Tasche und leuchtete ihm ins Gesicht. Er wirkte keineswegs unsympathisch und hatte kupferfarbenes, kurz geschnittenes Haar. Vorsichtig hob ich sein Augenlied an und schreckte unwillkürlich zurück. Er hatte dunkelgrüne Augen und eine goldene Iris. Er würde wohl noch einige Zeit bewusstlos liegen bleiben. Ich hatte also Zeit, mich um das Wohlbefinden von Klaus zu kümmern. Der Riese hatte den gewiss nicht leichten Schneidertisch mit allem, was darauf gelegen hatte, einfach zur Seite gewischt und Klaus wie ein lästiges Insekt in die andere Richtung gestoßen. Dieser war eben dabei, sich mühsam aus den Resten eines kleinen Regales und der darin gelagerten Raritäten zu erheben. Ich ging rasch zu ihm hinüber und half ihm beim Aufstehen. Er machte noch einen recht benommenen Eindruck. Ich konnte ihm nachfühlen, wenn hier einer wusste was es hieß, mit diesem Koloss zusammenzustoßen, dann war es wohl meine Wenigkeit. Mein Schädel schmerzte jetzt noch von dem Schlag, den vermutlich er mir versetzt hatte. Klaus schüttelte sich wie ein Pudel, der versehentlich ins Wasser gefallen war und blickte reichlich verduzt auf das Chaos, das unser ungebetener Gast in nur wenigen Sekunden angerichtet hatte. Mit einer Rolle festen Gartendrahtes versehen, begab ich mich zurück in den Garten um dem Riesen Fesseln anzulegen. Einem Strick misstraute ich bei der ungewöhnlichen Körperkraft die ihm innewohnte. Aber ich hatte diesen Gegner wohl weit mehr unterschätzt als angebracht war. Die Stelle, an der er zu Boden gegangen war, war leer. Allerdings musste er doch ziemlich angeschlagen gewesen sein, denn so wie ich ihn einschätze, hätte er keinen Moment gezögert uns erneut aufzusuchen. Ein zweites Mal hätte er sich dann wohl nicht von mir überraschen lassen. Nur in einem war ich mir absolut sicher, vor weiteren unangenehmen Überraschungen mussten wir von nun an auf der Hut sein. Etwas Gutes brachte der kleine Zwischenfall jedenfalls mit sich. Klaus und ich beschäftigten uns nun noch einmal mit meinem Fundstück und zwar wesentlich intensiver als vorher. Wobei Klaus in seinem ureigenstem Element zu Hause war. Verbissen nutzte er alle Mittel, die im seine sehr einfallsreich eingerichtete Werkstatt bot. Über eines waren wir uns sehr rasch im Klaren. Dieses kleine rätselhafte Stück war mit großer Sicherheit keine Einzelanfertigung oder gar eine Besonderheit an seinem Ursprungsort. Es dürfte sich um ein ziemlich alltägliches Gebrauchsstück handeln, nicht anders als unsere Schlüssel auch. Es war schon eine Stunde nach Mitternacht, als es mir gelang, einen winzigen eingebauten Energieträger ausfindig zu machen, der den Schlüssel mit dem notwendigen Strom versorgte. Jetzt war es nur noch ein sehr kurzer Weg den vielfältigen Funktionen des Schlüssels auf die Spur zu kommen. Als erstes stellten wir dabei fest, dass im Inneren des Gerätes ein helles Licht erzeugt wurde, das je nach Bedarf nach außen gelenkt wurde und einen Steuermechanismus in Gang brachte. Umgekehrt konnte jedoch auch ein gezielt gerichtetes Licht den Schlüssel zum Abgeben eines Steuerbefehles veranlassen. Der Lichtstrahl, der aus jeweils einer oder mehrer der dafür vorgesehenen Öffnungen drang, konnte eine recht beachtliche Datenmenge enthalten. Klaus kam auf die Idee, dass dieses Gerät unter den gegebenen Umständen auch unserem Personalausweis gleichkommen könnte oder einer Scheckkarte. Die Vielzahl der ganz offensichtlich darin gespeicherten Funktionen musste recht beträchtlich sein und sollte es gelingen sie zu enträtseln, einen sehr großen Bereich der Lebensumstände der Eigentümer preisgeben. Es war sehr gut möglich, dass auch etwas über ihre Art und Herkunft in Erfahrung zu bringen war. Doch leider fehlten uns die Möglichkeiten, die ausgehenden Informationen zu entschlüsseln. Das würde noch längere Zeit in Anspruch nehmen. Klaus würde sicherlich nicht nachgeben ehe er auch dieses Rätsel gelöst hatte. Die ersten Strahlen des neuen Tages zeichneten sich schon am Himmel ab, als wir beide doch reichlich erschöpft unsere Versuche einstellten und noch eine Mütze voll Schlaf zu erhaschen versuchten. Der Einfachheit halber lud mich Klaus ein, bei ihm zu bleiben. * * * * * Es gibt wichtige Grundbedürfnisse ohne deren Erfüllung ein schönes Leben gar nicht denkbar ist, Faulenzen und Essen. So beschlossen wir diesen Sonntag jenen prächtigen Errungenschaften der menschlichen Kultur zu weihen. Da Essen mit der Zubereitung der Malzeit verbunden ist und somit dem ersten Bedürfnis der Faulheit entgegensteht, beschlossen wir unser Mittagessen in einer nahegelegenen Gaststätte einzunehmen. Es gibt noch eine dritte Sache, die zu einem erfüllten Dasein gehört. Ich möchte nicht versäumen dies zu erwähnen. Das ist die Schadenfreude. Eine Erfindung von Mutter Natur, die echte Zufriedenheit schenken kann, auch wenn man sich ein klein wenig mies dabei vorkommt. Warum ich das erwähne? Nun ganz einfach, nachdem wir einige der Gerichte auf der Speisenkarte genüsslich in uns hinein geschaufelt hatten und auch der heimischen Spirituosenindustrie etwas zukommen ließen, machten wir uns in aller Ruhe auf den Heimweg. Das Gefühl etwas Bewegung könne nicht Schaden, drängte sich uns irgendwie auf. Auch wenn dies ebenfalls dem Gebot der Faulheit entgegenstand. Bereits als Klaus die Eingangstüre öffnete, zeigte sich, dass er während unserer Abwesenheit Besuch bekommen hatte. Schrank und Ablage waren gründlich durchwühlt worden und nicht anders sah es in den anderen Räumen des doch recht großen Hauses aus. Nicht anderes als in meiner Wohnung, herrschte ein wüstes Durcheinander. Wahllos war der Inhalt von Schränken und Schubladen auf dem Boden verstreut. Es fehlte nichts und es war auch nichts mutwillig kaputt gemacht worden. Aber gründlicher konnte eine Durchsuchung nicht erfolgen. An zwei Stellen war selbst die Holzverkleidung der Wand aufgebrochen. Eine einzelne Person hätte dafür sicherlich länger gebraucht als wir uns außer Haus befunden hatten. Das zeigte, dass man uns ganz offensichtlich die längste Zeit beobachtet hatte und natürlich auch, dass es sich um eine Gruppe von Menschen handeln musste. Hier drängte sich mir angesichts der Entdeckungen, die wir mit dem Schlüssel gemacht hatten, wieder die Frage auf, hatten wir es tatsächlich mit Menschen in unserem Sinne zu tun? Kein Kulturkreis, der mir bekannt war, verwendete solche technischen Mittel. Unsere Zivilisation war hier ganz andere Wege gegangen. Klaus, der diesem Gedanken zuerst recht zögerlich entgegengetreten war, stimmte mir jetzt weitgehend zu. Hätte ich dem Vorschlag von Klaus zugestimmt. den Schlüssel seinem kleinen Tresor anzuvertrauen, so hätte sich das Problem jetzt schon erledigt. Der Tresor war das einzige, was von den unbekannten Eindringlingen mit brutaler Gewalt geöffnet worden war, wenn gleich wir auch hier vor einem Rätsel bei dem eingesetzten Mittel standen. Das doch recht stabile Metallgehäuse war buchstäblich in der Mitte auseinander gerissen, ohne Brand und Hitzespuren zu hinterlassen. Klaus nannte es eine kalte Sprengung, aber was er darin vermutete, blieb unklar. Da es wohl Freundespflicht war, Klaus nicht inmitten der heillosen Unordnung allein zu lassen, verbrachten wir den Rest des Sonntages damit, zumindest eine gewisse Grundordnung wieder herzustellen. Dabei beschäftige uns eine ganz andere Frage. Keiner von uns beiden glaubte ernsthaft daran, dass dies der letzte Versuch unserer unbekannten Widersacher war, sich ihr verloren gegangenes Eigentum zurückzuholen. Das aber bedeutete, dass jederzeit mit einem Überfall oder einer ähnlichen Aktion auf uns zu rechnen war. Jetzt am lichten Tag sicherlich nicht, aber bei einbrechender Dunkelheit gab es für uns keine allzu große Sicherheit mehr. Die unangenehme Frage lautete also wohin mit dem Schlüssel und wohin mit uns. Klaus war anderer Meinung. Er glaubte nicht an die Möglichkeit eines weiteren Überfalls oder Einbruches. Er nahm an, dass man sich nach drei vergeblichen Versuchen jetzt ganz gezielt mit uns, insbesondere mit mir in Verbindung setzen würde. Der Gedanke daran war mir nicht besonders geheuer. * * * * * So vorsichtig wie an diesem späten Sonntagabend hatte ich noch nie meine Wohnungstüre geöffnet. Zwar kam ich mir reichlich albern vor, aber ich benahm mich nicht anders als die recht zweifelhaften Hollywoodhelden. Mit einem kräftigem Tritt stieß ich die Türe gänzlich auf. Krachend schlug sie zurück bis an die Wand. Aber anders als in den erwähnten Filmen, stand kein unliebsamer Besucher dahinter. Den Schlag musste man im gesamten Haus gehört haben. Ich lauschte, aber alles blieb ruhig, auch in meiner Wohnung. Etwas sicherer schloss ich die Türe hinter mir und warf einen suchenden Blick in Schlafzimmer und Küche, ehe ich das Wohnzimmer betrat. Ich blieb wie angewurzelt stehen. Klaus hatte mit seiner Vermutung richtig gelegen, die Fremden würden mit mir oder ihm in Verbindung treten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)