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The quest for the mandrake

von

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Prolog

The quest for the mandrake
 

Hallo? Test, Test. Könnt ihr mich lesen?
 

Also, das hier ist mein Erstlingswerk und ich muss zugeben, dass es sehr merkwürdig anfängt, nämlich wie ein Märchen XD. Aber lasst euch davon bitte nicht abschrecken. Wenn, dann ist es nämlich ein Shounen-Ai Märchen ^-^. Entstanden ist das Ganze wohl nach zu viel Herr der Ringe und Harry Potter Lektüre. Der geneigte Leser wird die Anspielungen erkennen.
 

Und nun viel Spaß mit "The quest for the mandrake."
 

Prolog

Es war einmal
 

Vor langer, langer Zeit gab es in einer Welt, der unseren nicht ganz unähnlich, ein kleines Königreich mit dem Namen Eredrion. Dieses Königreich wurde von einem starken und (bei seinen zugegebenermaßen kleinen) Volk sehr beliebten König zusammen mit seiner Königin regiert. Das Königspaar war vom Schicksal mit drei Söhnen gesegnet worden.
 

Feorin war der Älteste, ein starker und mutiger Krieger, genau wie sein Vater und dessen ganzer Stolz. Ihm würde einst nach dem Tod des Vaters das Königreich zufallen.

Ihm im Kampf beinahe ebenbürtig war sein Bruder Fegowan, jedoch hatte dieser mehr Köpfchen und war weitaus listenreicher, was ihn zu einem guten Strategen machte.
 

Der jüngste und schwächste, bei weitem aber auch der hübscheste der drei Brüder war Rean. Er war der einzige, der sowohl äußerlich als auch dem Wesen nach eher der Mutter glich. Rean war ein friedliebender Mensch und Kriegstaten aller Art waren ihm ein Gräuel. Obwohl er in der Waffenkunst ausgebildet und durch seine Wendigkeit und Schnelligkeit bisweilen seinen schwerfälligeren Brüdern gegenüber im Vorteil war, bevorzugte er, wenn er überhaupt Waffen benutzen musste, Pfeil und Bogen. Am schärfsten war jedoch sein Verstand.

Ständig war er in irgendein Buch vertieft um sich so viel Wissen wie nur irgend möglich anzueignen, was ihn schon bald zu einem der klügsten Köpfe des Landes werden ließ.
 

Für Gesellschaften hatte der junge Prinz nichts übrig. Wenn er an einer Vergnüglichkeit, wie zum Beispiel einem Ball, teilnahm, dann nur, um seine Pflicht zu erfüllen. In der Masse der Eitelkeiten um ihn herum fühlte er sich immer unsichtbar.

Die Männer brüsteten sich mit ihren Heldentaten und ließen dabei ordentlich die Muskeln spielen, die Rean nicht hatte.

Er war so zierlich, ja schon fast zerbrechlich, dass er von all den großen Kriegern gar nicht wahrgenommen wurde.

Wenn er gesehen wurde, dann nur von den Frauen, und auch das nur, weil sie ihn mit seiner blassen Haut, dem glatten braunen Haar und den großen, dunkelblauen Kulleraugen mit dem langen Wimpern so hübsch und niedlich fanden wie ein Mädchen. Rean ging das ziemlich auf die Nerven. Immerhin war er schon 17 Jahre alt und fast volljährig.
 

Die einzige Gesellschaft, in der Rean sich wohl fühlte, war die von Tharas, dem Prinzen und Thronfolger des Nachbarreiches. Auch Tharas war ein Außenseiter, genau wie Rean, nur aus anderen Gründen.

Er war ein hervorragender Kämpfer, groß, stark und tapfer und somit das genaue Gegenteil seines kleinen Freundes. Meistens schmunzelten die Leute, wenn die zwei ungleichen Prinzen auftauchten. Tharas war ein gut aussehender Mann, nicht übertrieben muskulös, jedoch fast das Doppelte von Rean und einen ganzen Kopf größer. Sein Gesicht war edel und schön, sein Haar ellbogenlang und rabenschwarz und seine Haltung die eines stolzen Kriegers. Er sagte wenig – meistens war es Rean, der schwatzend neben ihm herlief und ihm mit irgendwelchen philosophischen oder wissenschaftlichen Theorien die Ohren voll quatschte.

Der Grund, aus welchem die Leute Tharas nicht wirklich über den Weg trauten war weniger in ihm selbst begründet als in seiner Herkunft.
 

Sein Vater, Llandon, war einer der übelsten schwarzen Magier gewesen, den die Welt bis dahin gesehen hatte. Erst die Liebe der Prinzessin Liawen hatte ihn zu zähmen vermocht.
 

Um seine Vertrauenswürdigkeit unter Beweis zu stellen hatte Llandon seinerzeit sein eigens Heer vernichtet und viele, viele Kreaturen der Finsternis ausgelöscht und noch immer gärte der Zorn der Schattenwesen tief in der Dunkelheit der Unterwelt.
 

Die Menschen hatten ihm zwar nicht wirklich vertraut, der Hochzeit jedoch nichts mehr entgegenzusetzen. Als der Thronfolger geboren war, war die Welt in Arc völlig in Ordnung, doch hinter vorgehaltener Hand wurde immer noch gemunkelt, der König hantiere weiterhin mit schwarzer Magie und gebe dieses Wissen an den Prinzen weiter. Das stimmte zwar, doch war Llandon nicht so dumm, sich erwischen zu lassen.
 

So haftete Tharas seit seinem dreizehnten Geburtstag der Makel des schwarzen Magiers an und das hatte ihn einsam gemacht, bis er Rean kennen gelernt hatte.
 

Tharas war auch derjenige, der Rean auf etwaige anstehende Turniere vorbereitete. Ihm war zwar klar, dass aus seinem kleinen Freund nie ein Krieger werden würde, dennoch war es im Wesentlichen seinem Einsatz und vor allem seiner schier unermesslichen Geduld zu verdanken, dass Rean nicht zum Letzten wurde, sondern meist nur zum Vorletzten. Für Rean war das allerdings schon schlimm genug. Die einzigen Disziplinen in denen er wirklich gut war, waren Reiten und Bogenschießen, doch in einer Familie, die unzählige berühmte Heerführer und legendäre Schwertkämpfer hervorgebracht hatte, zählte das nicht viel.
 

Er war April und der Frühling zog ins Land. Reans zweiter Bruder Fegowan hatte sich eine Braut gesucht und beabsichtigte, sie beim nächsten Vollmond zu heiraten. Der König hatte dies gleich zum Anlass genommen, wieder einmal ein Turnier auszurichten. So zog Rean drei Wochen vor dem großen Ereignis bei Tharas ein, um mit ihm zu üben, damit er nicht wieder sang- und klanglos unterging.
 

Also, hier bitte noch nicht aufhören zu lesen. Jetzt ist das allgemeine, aber wichtige Blabla doch erst vorbei!

Kapitel 1 - Der Anfang

Kapitel 1

Der Anfang
 

Die beiden hatten eine Lieblingsstelle unten am Flussufer außerhalb der Mauern der Herrscherburg von Arc, wo sie ungestört trainieren konnten. Es war um die Mittagszeit und sie hatten schon seit Stunden ohne Pause geübt, als es Rean zu viel wurde und er Tharas sein Schwert vor die Füße warf. Mit einem tiefen Seufzen ließ er sich auf das junge Gras nieder. "Ich geb’ auf. Kann nicht mehr.", keuchte er.

"Also wirklich. In der Schlacht fragt dich auch keiner, ob du noch kannst oder nicht. Dann bist du schlicht und ergreifend tot. Komm schon. Aufgestanden und weiter gemacht.", forderte Tharas ihn auf.

"Aber ich bin müde. Mir tut alles weh. Warum zum Kuckuck hat überhaupt jemand diese dämlichen Turniere erfunden?", meckerte Rean.

"Turniere gelten in Friedenszeiten als Übung für die Krieger. Das solltest du eigentlich wissen.", erklärte Tharas vorwurfsvoll.

"Ja, ja, ich weiß. Ich versteh nur nicht, warum ich da nur immer mitmachen muss. Das ist mir einfach alles zu Wider."

"Hilft aber nichts. Als Prinz, egal an welcher Stelle der Thronfolge du stehst, musst du ran, ob du willst oder nicht… Also gut. Machen wir kurz Pause. Aber dann geht's weiter." Er setzte sich neben Rean ins Gras.

"Wenn's sein muss… Aber bitte nicht mehr so fest zuhauen, ja? Ich hab schon überall blaue Flecken. Du weißt doch, dass ich so empfindlich bin."

Tharas seufzte. "Erstens" sagte er, "kämpfe ich sowieso nur mit halber Kraft und zweitens könnten wir uns das Ganze sparen, wenn du öfter mal trainieren würdest, Schlaumeier."
 

Tharas förderte einen Korb zutage, den ihm die Köchin, Rosa, noch kurz vor ihrem Aufbruch mitgegeben hatte, als er morgens zum Frühstück gekommen war. "Damit der kleine Rean nicht verhungert.", hatte sie gesagt.
 

Tharas aß meistens in der Küche. Das hatte er schon als kleiner Junge gemacht, denn dort unten roch es immer so gut und es war weitaus spannender als im Speisesaal. Die Köche und Küchenhilfen hatten immer wundervolle Geschichten gekannt und der kleine Prinz hatte ihnen fasziniert zugehört. Außerdem bekam man öfter mal kleine Naschereien zugesteckt. In dieser Beziehung war Tharas ein ganz normaler Junge gewesen. Vor allem Rosa hatte er ins Herz geschlossen und sie ihn. Die zierliche, kleine, gutmütige Frau mit dem grauen Haar war für ihn wie eine eigene Großmutter. Als dann Rean regelmäßig zu ihm gekommen war, hatte er ihn einfach mitgenommen und der "kleine Engel", wie Rosa ihn bezeichnet hatte, war sofort aufgenommen worden.
 

In dem Korb befanden sich ein Laib Brot, ein Stück Käse, zwei Becher, eine Flasche Wein, die Tharas heimlich auf den Grund des Flusses verschwinden ließ, damit Rean nicht betrunken wurde, und ein paar Äpfel.

Nach dem Essen seufzte Rean leise und sagte: "So, und jetzt schlafen wir ein bisschen" und ehe sich Tharas versah, hatte der Junge den Kopf in seinen Schoß gelegt. "Hey, was…", setzte er noch an, doch Rean war längst im Reich der Träume angelangt.

Tharas schmunzelte. Rean sah so süß aus, wenn er schlief. "Na schön… Aber nur kurz.", murmelte er noch, verschränkte die Hände hinterm Kopf, ließ sich zurücksinken und schlief ein.
 

Als er erwachte, war Reans Gewicht verschwunden. Erschrocken fuhr er hoch. Die Sonne hatte sich ein erhebliches Stück weiter Richtung Westen bewegt und begann bereits, hinter den Wäldern zu versinken, wobei sie die Welt in ein geheimnisvolles rotes Licht tauchte. Rean hockte am Fluss und beobachtete die Fische dicht unter der Wasseroberfläche. Leise trat Tharas hinter ihn.

"Warum hast du mich nicht geweckt?", fragte er vorwurfsvoll.

"Na ja, du siehst so hübsch aus, wenn du schläfst…", meinte Rean leise. "Und außerdem" fügte er hinzu "glaube ich, hattest du einen schönen Traum."

Tharas wurde rot. Sollte das etwa bedeuten, dass er…? In letzter Zeit war das häufiger der Fall, vor allem, wenn er von einer bestimmten Person träumte. Und das in ganz bestimmten Zusammenhängen, deren Konsequenzen sich beim Aufwachen deutlich zeigten. "Wie meinst du das, einen schönen Traum gehabt?", fragte er vorsichtig.

Rean erhob sich, drehte sich zu ihm um und lächelte. "Na du hast im Schlaf gelächelt" erklärte er unschuldig.

Tharas knickte ein. "Also zum Weitermachen ist es jetzt schon zu spät.", sagte er im Hinblick auf die sinkende Sonne. "Gehen wir zurück zum Schloss." Er sammelte die Holzschwerter – die er benutzte, um Rean nicht noch mehr Schmerzen zuzufügen als unbedingt notwendig – und den Korb ein.

"Hurra, keine Haue mehr für heute.", meinte Rean mit einer gewissen Ironie in der Stimme.

"Als ob ich wirklich so fest zuschlagen würde. Im Gegenteil. Du hast mich nur noch nicht richtig sauer erlebt. Außerdem kennen die beim Turnier bestimmt auch keine Gnade.", maulte Tharas.

"Ich weiß.", sagte Rean und hakte sich bei seinem Freund unter. "Deshalb bin ich dir ja so dankbar, dass du mich schonend drauf vorbereitest."

"Das will ich aber auch schwer hoffen.", ergänzte Tharas und gemeinsam gingen sie hinauf zum Schloss.
 

Die beiden teilten sich ein Zimmer, obwohl es genug Räume im Schloss gab, in denen Rean hätte unterkommen können, doch sie zogen es vor, so viel Zeit wie möglich miteinander zu verbringen. Begründet durch die Tatsache, dass ihre Schlösser mehrere Tagesritte auseinander lagen sahen sie sich ohnehin sehr selten. Das einzige, was sie voneinander hörten, waren Briefe in unregelmäßigen Abständen.
 

Tharas Herz wurde schwer, wenn er daran dachte, dass sein kleiner Freund ihn schon bald wieder verlassen würde. Nach dem nicht ganz freiwilligen Mittagsschläfchen war er putzmunter und lag nun wach in seinem Bett. Rean hatte keine Schwierigkeiten, immer und überall zu schlafen und war schon lange wieder eingeduselt. Tharas lauschte den tiefen Atemzügen und beobachtete das Gesicht, das von dem noch leichten Glimmen im Kamin angeleuchtet wurde. Er stand auf und ging zu dem Jungen hinüber um die Decke, die heruntergerutscht war, wieder hoch zu ziehen. Dabei berührte er kurz Reans Haar. Er hatte beinahe vergessen, wie weich es war. Im Prinzip war einfach alles an Rean weich und das machte ihn verrückt. Nicht weil er es schlecht gefunden hätte, ganz im Gegenteil…

Seine Gedanken schweiften ab, zurück zu dem Tag, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren.
 

Es war an Prinz Fegowans achtzehntem Geburtstag. Damals war er selbst zum ersten Mal in offizieller Position als Thronfolger unterwegs gewesen. Er war gerade sechzehn geworden und langsam sah man ihm die schwarze Magie, die seit seinem dreizehnten Lebensjahr in ihm zu fließen begonnen hatte, an. Die Menschen hatten ihn immer ein wenig suspekt gefunden, wiesen seine Ohren doch von Geburt an leichte Spitzen auf, die nun immer ausgeprägter wurden. Sein Haar war zum Glück so lang gewesen, dass er sie dahinter verstecken konnte. Außerdem bildete er sich ein, dass seine Haut blasser und seine Augen noch grüner geworden waren. Sein Vater, der ihn seit drei Jahren heimlich in der schwarzen Kunst unterrichtet hatte, hatte gemeint, das sei ganz normal und er brauche sich keine Sorgen zu machen. Doch Tharas machte sich Sorgen. Er wurde nun offen auf der Straße angestarrt. Einige Leute wichen sogar ein paar Schritte zurück, wenn er vorbeikam. Auch wenn er die Küche besuchte, schienen plötzlich alle bis auf Rosa furchtbar beschäftigt zu sein. Er begann, sich immer mehr in sich selbst zurück zu ziehen. Als seine Mutter ihm gesagt hatte, dass er sie zu einem Ball begleiten sollte, hatte er sich strikt geweigert, doch sie hatte ihn einfach auf seine Pflicht hingewiesen. Da hatte er einfach nichts entgegenzusetzen.
 

Am Morgen des Balls waren sie in Eredrion angekommen. Tharas war überrascht gewesen, wie klein und provinziell das Königreich war. Skeptisch ließ er seinen Blick über den Innenhof und schließlich über die Mauern des Schlosses streifen. Dabei fiel ihm ein Gesicht am Fenster eines der oberen Stockwerke auf. Es war das Gesicht eines Kindes mit braunem Haar und großen Kulleraugen. Die Farbe konnte Tharas auf die Entfernung nicht erkennen, doch das Entscheidende war, dass ihn dieses Kind erst verdutzt ansah und dann… lächelte! Es lächelte ihm einfach so zu! Dieser unvoreingenommen freundliche Blick war so faszinierend, dass er einfach nicht wegsehen konnte. Dann wurde das Kind in das Zimmer zurückgezogen und die Verbindung war zerrissen.

"Was hast du?", fragte seine Mutter besorgt.

"Nichts.", antwortete er und blickte noch einmal nach oben, doch das Kind blieb verschwunden.

Er sah es erst wieder, als er der Königsfamilie vorgestellt wurde. König Feorn von Eredrion stellte ihm seine Frau und seine beiden älteren Söhne vor und schließlich den Jüngsten, Rean, der, halb hinter seiner Mutter versteckt, schüchtern hinter ihrem Rücken hervorlugte. Rean war anscheinend ein Nachzügler, denn er konnte kaum älter als elf oder zwölf Jahre sein. Tharas war felsenfest davon überzeugt gewesen, dass es sich bei Rean um ein Mädchen handelte, doch er wurde eindeutig als Prinz vorgestellt. Jetzt konnte Tharas auch die Augenfarbe des Jungen erkennen: Dunkelblau wie die Nacht. Eine ziemlich seltene Farbe.

"Begrüße den Gast, Liebling.", forderte die Königin den Jungen auf und trat ein wenig zur Seite. Nun kam Rean ganz zum Vorschein. Er war unheimlich zierlich und wirkte in dem violetten Wams das er trug ein wenig verloren. Sein Genick war so eingezogen, dass sein Gesicht fast in den hohen Stehkragen verschwand. Er verbeugte sich leicht und murmelte etwas, das wie ein "n' Abend" klang. Auch Tharas verbeugte sich leicht und lächelte Rean zu, welcher blitzartig errötete. Dann zog Tharas sich mit seiner Mutter zurück.

Nach kürzester Zeit war ihm langweilig geworden, zumal er mit niemandem ins Gespräch kam. Er hätte es auch gar nicht gewollt, immerhin war er es ja mittlerweile gewohnt, dass die Leute vor ihm zurückwichen oder ihn einfach wie Luft behandelten. So hatte er den Ballsaal verlassen und sich an die frische Luft begeben. Hinter dem Saal führte ein kleiner Gang hinaus in einen winzigen aber hübschen Garten, in welchem ein großer Kirschbaum stand. Dieser stand gerade in voller Blüte und Tharas hatte Lust, bis ganz nach oben zu klettern. Das würde zwar wieder Ärger geben, weil er sein Festgewand ruinieren würde, es war ihm jedoch herzlich egal. So hangelte er sich an den Ästen bis ganz nach oben.

Plötzlich merkte er, dass er nicht mehr allein war und kletterte wieder ein Stück zurück. Tatsächlich. Unten am Baumstamm lehnte eine Gestalt. Tharas war nicht wirklich begierig darauf, zu erfahren, wer da stand und wollte wieder hinauf klettern, als er ein unterdrücktes Schluchzen hörte. Er konnte viel aushalten, doch wenn jemand weinte, dann wurde er selbst immer ganz traurig. Geschmeidig wie eine Katze ließ er sich von einem der untersten Äste gleiten und landete elegant in der Hocke. Ein kurzer Windstoß wehte durch den Baum und ein weißer Schauer aus Blütenblättern regnete nieder. Als er hochblickte und sich langsam aufrichtete, erkannte er, wer da vor ihm stand und ziemlich erschrocken dreinblickte.

"Wo kommt Ihr denn her?", fragte Rean verwirrt.

"Aus dem Baum.", erklärte Tharas. "Ihr seid Prinz Rean, nicht wahr?"

"Ja. Und Ihr Prinz Tharas. Ihr könnt mich Rean nennen, wenn Ihr wollt."

"Wenn Ihr mich Tharas nennt, in Ordnung." Er lehnte sich neben Rean an den Stamm. Eine Weile standen sie schweigend da. "Warum so traurig, Rean? Gefällt Euch das Fest nicht?", fragte er schließlich. In die Augen des Jungen traten wieder Tränen und Tharas hätte sich dafür ohrfeigen können. Er hatte ihn trösten und nicht zum Weinen bringen wollen.

"Sie ärgern mich schon wieder.", sagte Rean und seine Stimme war ganz leise.

"Wer ärgert Euch?", fragte Tharas nach.

"Meine Brüder und die anderen Jungen. Sie sagen, dass ich aussehe wie ein Mädchen und auch wie eins kämpfe. Dabei lern ich doch erst seit einem Jahr, wie man kämpft." Er schniefte durchdringend und Tharas zog ein Taschentuch aus seinem Ärmel, welches er Rean reichte. Dieser schnäuzte herzhaft hinein. Er sagte leise "Danke" und reichte Tharas das Taschentuch zurück, doch dieser winkte ab. "Behaltet es.", sagte er so freundlich wie möglich.

"Danke.", antwortete Rean. "Warum seid Ihr hier draußen? Euch scheint's ja auch nicht gerade zu gefallen?"

"Nun ja, mir geht's ähnlich wie Euch. Die Leute mögen mich nicht besonders und sie können mich mal gern haben. Ich brauche niemanden." Das klang selbstbewusster, als er sich fühlte.

"Habt Ihr gar keine Freunde? Ich meine, Ihr seid doch, na ja, ich weiß nicht wie ich sagen soll… hübsch." Bei dieser Äußerung hob Tharas leicht eine Augenbraue. "Und Ihr seid der Thronfolger. Ihr müsst doch massig Freunde haben?", fragte Rean mitleidig.

"Nein, hab ich nicht.", antwortete Tharas wahrheitsgemäß. "Keinen einzigen.", flüsterte er, mehr zu sich selbst.

"Wollen wir zwei Freunde sein?", fragte Rean plötzlich und blickte ihn ernst an. Tharas war verblüfft.

"Wir beide? Ihr und ich?", fragte er nach, ungläubig, dass ihm jemand ganz vorbehaltlos seine Freundschaft anbot.

"Klar. Ich seh hier niemanden sonst, oder?" Tharas suchte nach irgendeinem Anhaltspunkt des Zweifels in Reans Blick, doch er fand keinen.

"Warum eigentlich nicht?", sagte er und hielt Rean die Hand hin. "Freunde?"

"Freunde.", bestätigte Rean und ergriff Tharas Hand. In seine Augen trat ein Glanz, wie Tharas ihn noch nie gesehen hatte. Er war sicher: Der Junge, der da vor ihm stand und ihn anstrahlte, war ein Freund fürs Leben. So glücklich wie in diesem Augenblick hatte er sich noch nie zuvor gefühlt.
 

Das Ganze war jetzt fünf Jahre her. Tharas musste bei dieser Erinnerung lächeln, doch einschlafen konnte er immer noch nicht. Seufzend erhob er sich und verließ leise das Zimmer. Im Gang, der aus großen, grob gehauenen grauen Felsquadern bestand, lehnte er sich gegen den Rahmen eines der großen Fenster und starrte hinaus in die Nacht. Unter ihm lag das kleine Städtchen, umgeben von den hohen Schlossmauern in tiefen Schlummer. Nur in ein paar Häusern brannte noch Licht und aus den Schornsteinen stieg Rauch auf, denn obwohl die Tage bereits spürbar wärmer wurden, waren die Nächte zu dieser Jahreszeit noch empfindlich kühl.

"So tief in Gedanken?", fragte plötzlich eine tiefe, melodische Stimme hinter ihm.

"Guten Abend, Vater. Du warst nicht beim Essen.", sagte Tharas und wandte sich dem Mann zu, der fast wie aus dem Nichts hinter ihm erschienen war. Was er sah, überraschte und erschreckte ihn immer wieder. Sein Gegenüber sah ihm so ähnlich, dass man sie für Zwillinge hätte halten können, nur dass Llandon bereits einige Fältchen um die Augen und ein paar weiße Strähnen in seinem Haar und dem kurz geschnittenen Bart hatte. Oft fragte sich Tharas, wie sein Vater trotz seines fortgeschrittenen Alters, das Tharas nicht einmal genau kannte, so jung aussehen konnte. Klar, Magie war auf jeden Fall im Spiel. Irgendwann würde er ihn fragen.

Der Magier lächelte. "Ich war verhindert. Du weißt schon. Mein Wahrheitsserum ist alle. Ich musst neues brauen." Er legte seinem Sohn eine Hand auf die Schulter. "Ich weiß, an wen du gedacht hast.", sagte er leichthin. Sein Blick schien Tharas zu durchbohren und er fühlte sich ertappt.

"Hast du wieder in meinen Gedanken gewühlt?", fragte er gereizt.

"Ich? Nein. Wie kommst du nur darauf, also wirklich…", gab Llandon zurück und hob abwehrend die Hände. "Es ist nur allzu offensichtlich.", fügte er hinzu.

"Ach ja?" Tharas hasste es, durchschaut zu werden, besonders von seinem Vater.

"Ja." Llandon lehnte sich ihm gegenüber an die Wand, verschränkte die Arme und sah ihn an, ohne auch nur kurz mit der Wimper zu zucken. Tharas wusste, dass Llandon sogar mit offenen Augen schlafen konnte und dass er in der Lage war, ihn stundenlang so anzustarren, wenn er wollte.

"Was willst du?", fragte er.

"Ich? Ich will gar nichts. Die Frage ist wohl eher, was du willst…"

Tharas seufzte. Das war so typisch für seinen Vater.

"Sag, was du zu sagen hast, aber komm zum Punkt.", forderte er ihn auf.

"So bärbeißig heute? Du meine Güte. Aber sei's drum. Warum gehst du nicht einfach mit ihm? Ich sehe doch, dass du jetzt schon ganz krank vor Sorge bist."

"Haha, der Witz war gut. Und was ist mit meinen Pflichten? Diese schrecklichen Hofschranzen, du weißt schon, der Hofmarschall und der ganze Haufen um ihn rum, die machen ja jetzt schon einen Aufstand, nur weil Rean da ist und ich mich mit ihm beschäftige. Die lassen mich doch nie im Leben länger weg."

Llandon grinste breit. "Über denen steht immer noch der König und der bin ich. Und wenn ich sage, dass du Ferien brauchst, dann haben diese Idioten zu gehorchen, auch wenn's ihnen nicht passt. Also, was ist…?"

Tharas schüttelte den Kopf, doch dann grinste er ebenso breit wie sein Gegenüber. "Du bist schrecklich, weißt du das?"

"Ja, ich weiß. Der Name Llandon, der Schreckliche kommt ja auch nicht von Ungefähr, oder?"
 

Danke an alle, die bis hierher durchgehalten haben. Ich hoffe, es hat einigermaßen gefallen und ihr hinterlasst mir ein paar klitzekleine Kommis. Bitte, bitte. *Hundedackelbettelblick aufsetz*

Wenn es nur einen einzigen Menschen irgendwo da draußen gibt, der wissen möchte, wie es mit unseren beiden Helden weitergeht, dann mache ich selbstverständlich weiter…
 

Also, man liest sich.
 

Macht's gut. Ich

Kapitel 2 - Aus der Tiefe

Möge man mir vergeben, wenn’s bis jetzt langweilig war. Aber ich versichere: Jetzt geht’s erst richtig los. Viel Spaß damit.
 

Kapitel 2

Aus der Tiefe
 

So machten sich die beiden Prinzen einige Tage vor dem Turnier auf den Weg nach Eredrion. Rean war außergewöhnlich schweigsam, was – so vermutete Tharas – größtenteils an seiner Angst vor dem Turnier lag. Selbstbewusstsein war nie Reans Stärke gewesen, vor allem weil er mit zwei besonders fiesen Exemplaren von großen Brüdern aufgewachsen war. Nicht, dass seine Brüder ihren kleinen Nachzügler nicht mochten. Eher war es ihnen unangenehm, dass sie ständig auf ihn hatten aufpassen müssen und sie ihn ständig wegen seiner "Schwäche" aufzogen. Rean wusste jetzt schon, dass er wieder mal verlieren würde. Dann würde er sich wieder monatelang anhören müssen, was er doch für ein Versager war. Je näher sie der Hauptstadt und damit dem Austragungsort kamen, desto stiller wurde er. Doch nicht nur er, wie Tharas feststellte.
 

"Wie ausgestorben.", murmelte er, als sie zum wiederholten Male durch ein scheinbar komplett verlassenes Dorf ritten.

"Was hast du gesagt?", fragte Rean, kurzzeitig aus seiner Niedergeschlagenheit aufmerkend.

"Ich sagte, dass die Dörfer auf unserem Weg bisher wie ausgestorben waren. Findest du das nicht auch beunruhigend?"

"Ach so. Nein, eigentlich nicht.", erklärte Rean. "Das ist so, weil morgen in der Stadt Markt ist. Du weißt ja selbst, dass das Land relativ klein und nicht gerade dicht besiedelt ist. Es gibt viele kleine Bauerndörfer wie das hier. Wenn dann mal was ist, wie z. B. Markt in der Stadt, dann ist das halbe Königreich unterwegs. Und der Rest geht zum Turnier, also kein Grund, sich Sorgen zu machen. Die sehen wir alle in der Stadt." Dann verfiel er wieder in Schweigen. Tharas gab sich mit der Erklärung fürs Erste zufrieden und überließ Rean seinen Gedanken, doch in ihm wuchs eine gewisse Unruhe…
 

Am Nachmittag des nächsten Tages tauchte vor ihnen das Schloss auf.

"Und, glücklich, wieder zu Hause zu sein?", fragte Tharas.

"Nicht so richtig. Aber wenigstens hab ich diesmal dich dabei. Dann ist die Niederlage nicht allzu schwer zu ertragen.", antwortete Rean und lächelte seinen Freund an.

Bei diesem Lächeln machte Tharas Herz einen kleinen Hüpfer, wie jedes Mal, wenn Rean ihn freundlich anblickte. Kurzzeitig war er glücklich, doch je näher sie dem Schloss kamen, desto dunkler wurden seine Gedanken. Ein unheimliches Vibrieren lag in der Luft. Rean schien nichts zu bemerken, Tharas jedoch konnte die Bedrohung fast riechen. Und dann war da noch…

Abrupt hielt er sein Pferd an und verharrte reglos. Rean bemerkte die Abwesenheit seines Freundes und kam zu ihm zurück geritten.

"Was ist?", fragte er verwirrt.

"Hör mal…", forderte Tharas ihn auf. Rean legte den Kopf schräg und lauschte angestrengt. "Ich hör nichts.", sagte er schließlich.

"Ich auch nicht.", gab Tharas zurück. "Wenn heute Markttag ist, müssten wir den Lärm längst bis hierher hören. Irgendwas stimmt nicht…"

"Du hast Recht. Aber was? Was meinst du, ob was passiert ist?" Reans Miene war besorgt.

"Keine Ahnung. Ich schätze, wir werden's erfahren. Komm." Er ritt im Galopp voraus, Rean folgte, und kurze Zeit später hatten sie das Tor erreicht

"Wo sind die Wachen?", fragte Rean und schickte sich an, zu rufen, doch Tharas hielt ihn mit einer Handbewegung zurück.

"Warte. Ich glaube, wir sollten ab jetzt nicht mehr laut miteinander sprechen. Die Pferde lassen wir hier. Je weniger Aufmerksamkeit wir erregen, desto besser." Damit stieg er ab und Rean folgte seinem Beispiel.

"Was hast du vor, Tharas? Du weißt doch was, oder?", fragte er misstrauisch als er sein Pferd neben Tharas' am nächstgelegenen Baum festband.

"Sagen wir's so: Ich habe da so eine Ahnung, aber jetzt, pssst." Er legte einen Finger an die Lippen und bedeutete Rean, ihm zu folgen, indem er kurz mit dem Kopf Richtung Tor nickte.
 

Die Straßen schienen wie leer gefegt. Keine Menschenseele war zu sehen. Nicht einmal eine Katze oder ein herumstreunender Hund begegnete ihnen. Auch Vögel waren nicht zu hören. Das einzige was sie hörten war das Geräusch ihrer Schritte.

"Unheimlich.", flüsterte Rean. Tharas stimmte ihm mit einem Nicken zu.

/Gefällt mir nicht… Gefällt mir gar nicht./, dachte er, während er seinen Blick über die Häuserfronten und in die kleinen Gassen links und rechts von ihnen wandern ließ. Etwas Böses war in dieses Schloss eingedrungen. Ein Wesen der Finsternis, soviel konnte er mit Sicherheit sagen, doch welches, das wusste er nicht so genau.

Plötzlich berührte ihn Rean behutsam an der Schulter. "Schau mal da drüben.", flüsterte er ihm ins Ohr.

Tharas Blick folgte Reans Fingerzeig und jetzt sah auch er, was der Junge meinte. Im Schatten der Häuser hatte er sie fast nicht gesehen, doch nun bemerkte auch er die flinken Bewegungen entlang der Häuser. Unmengen von Spinnen liefen umher, kreuz und quer und übereinander, aus den Fenstern und Mauerritzen und aus allen sonstigen Öffnungen, die sie finden konnten, jedoch alle vom Zentrum der Stadt weg.

"Merkwürdig. Ein für Spinnen untypisches Verhalten. Ich glaube, die sind ein Hinweis.", meinte Rean und Tharas nickte.

Langsam aber sicher näherten sie sich dem Marktplatz, an dem alle Straßen des Ortes zusammenliefen. Noch bevor sie ihn erreicht hatten, bemerkten sie eine Silhouette zwischen den Häuserschluchten. Als sie näher kamen bemerkten sie, dass sich dieser Jemand, wer auch immer es sein mochte, anscheinend keinen Millimeter bewegte.

Rean fragte sich, ob das wohl an ihrem plötzlichen Auftauchen lag.

Tharas war bereits dabei, sich dem Mann, dessen Blick, entgegen Reans Erwartung, von ihnen weg in Richtung Marktplatz ging, vorsichtig zu nähern.

"Was ist mit ihm?", fragte Rean leise.

Tharas Augen waren schmale Schlitze, als er um den Mann herumging. "Er ist versteinert… Aber wie ist das möglich…?", murmelte er.

Rean war an ihm und dem Fremden vorbei gegangen und betrat nun den Marktplatz. Tharas hörte von ihm ein entsetztes Aufstöhnen und er eilte an seine Seite. Das Bild, das sich ihm bot, war grausam.
 

Menschen waren mitten in ihren Bewegungen erstarrt. Einige blickten überrascht, einige erschreckt. Wieder andere waren wie auf der Flucht. Es waren Alte und Junge, Frauen und Kinder und jetzt sah Rean auch die Wachen. Sie standen da mit erhobenen Waffen, doch auch sie waren wie aus Stein.

Plötzlich stieß er einen gequälten Laut aus, den man als eine Mischung aus Stöhnen und Wimmern bezeichnen konnte. Er hatte unter den Soldaten seinen Vater und seine Brüder erkannt. Als er auf sie zulief, übersah er das tiefe Loch im Boden, in das er beinahe hineingefallen wäre. Tharas konnte ihn gerade noch festhalten.

Wie ein riesiger Schacht war es einfach aus dem Pflaster heraus gebrochen worden, mitten in der Stadt, und reichte tief in die Erde hinein.

"Da ist es raus gekommen…", mutmaßte Tharas.

"Was ist da raus gekommen? Was ist in der Lage, das alles zu tun?", fragte Rean und ging langsam und vorsichtig um das Loch herum um nicht eventuell einzubrechen. Bei seinem Vater blieb er stehen und berührte sanft dessen Hand. Sie fühlte sich an wie Stein.

"Sind sie tot?", fragte er leise und hatte Angst vor der Antwort.

Tharas ging an ihm vorbei und betrachtete den König. Er beschattete mit der flachen Hand dessen Augen und ließ dann wieder Licht hineinfluten. Die Pupillen reagierten.

"Nein, tot sind sie nicht. Nur verzaubert. Ich glaube, hier im ganzen Schloss gibt es niemanden mehr außer uns beiden, der nicht verzaubert ist."

"Das kannst du nicht wissen. Was ist denn mit meiner Mutter? Die ist normalerweise im Schloss. Vielleicht lebt ja dort noch jemand?", schlug Rean vor.

"Deine Mutter hat das Schloss verlassen. Sie steht da drüben.", sagte Tharas und deutete auf eine Gruppe von Frauen auf der dem Schloss zugewandten Seite des Platzes. Dort erkannte Rean tatsächlich seine Mutter, umringt von ihren Hofdamen.

"Bist du dir ganz sicher?", fragte er zögernd.

"Seit wir das Tor passiert haben, habe ich all meine Sinne darauf konzentriert, Lebenszeichen zu finden, doch da ist nichts.", erklärte Tharas und schaute seinen kleinen Freund mitleidig an.

"Können wir gar nichts tun?", fragte Rean verzweifelt, doch Tharas war plötzlich wie erstarrt. Lediglich seine Ohren zuckten ein wenig.

"Tharas, was…?", fragte er, doch dieser sagte nur: "Lauf!"

"Was?"

"Lauf! Es kommt! Wir müssen sofort raus hier!" Er packte Rean und zog ihn mit sich. "Schau nicht zurück, was auch immer du hörst.", sagte er und Rean gehorchte. Er war viel zu überrascht, als dass er etwas erwidern konnte.

Plötzlich erklang hinter ihnen ein Geräusch wie brechender Stein, ein Zischen erfüllte die Luft, der Boden erzitterte und dann ein erklang ein lautes Platschen, wie etwas sehr schweres das auf den Boden fällt.

Tharas war schlagartig bewusst, dass sie es so nicht schaffen würden. Er wusste, es gab einen Zauber, der sie aus dem Schloss heraus bringen konnte, doch hatte er ihn bisher nur bei kurzen Strecken und nur allein angewandt. Egal, er musste es riskieren, wenn er und Rean nicht als Salzsäulen enden wollten. Schnell begann er, die Beschwörung zu murmeln.

Rean spürte ein kurzes Ziehen und plötzlich standen sie außerhalb des Schlosses.

Noch bevor er etwas sagen konnte, hatte Tharas sich dem Schloss zugewandt und beschwörend die Arme gehoben. Seine Augen waren geschlossen und sein Gesicht hoch konzentriert. Einen Zauber hatte er geschafft, jetzt kam die nächste Herausforderung. Er atmete tief ein und aus und begann mit einer neuen Zauberformel.

Aus dem Boden schien sich ein undurchdringlicher Nebel zu erheben, der sich hoch und höher auftürmte und schließlich alles bis zum höchsten Turm hinauf einhüllte. Dann war der Nebel verschwunden und Tharas knickte ein. Er atmete schwer.
 

Rean lief zu ihm und legte ihm stützend einen Arm um die Schultern.

"Was war das eben?", fragte er verwirrt.

"Kommt … darauf an, … was du meinst.", keuchte Tharas.

"Das, was du gerade gemacht hast, das mit dem Nebel."

Tharas holte erst einmal tief Luft und als er wieder einigermaßen normal atmen konnte antwortete er: "Ich habe einen Bannkreis um das Schloss gezogen. Da kommt jetzt nichts mehr rein oder raus. Keine unvorsichtigen Menschen, die in Gefahr geraten könnten rein und kein Monster, das Leute in Stein verwandelt raus um in anderen Ländern Ärger zu machen."

"Und wenn da drin doch noch jemand ist, der…", begann Rean, doch Tharas unterbrach ihn.

"Da ist niemand mehr, glaub mir."

"Und was machen wir jetzt?", fragte Rean unglücklich. Mit seiner Selbstbeherrschung war es dahin. Langsam setzte der Schock ein und seine Augen füllten sich mit Tränen. Tharas nahm ihn tröstend in die Arme und sagte leise: "Ich muss mich erst mal ein wenig ausruhen. Dann gehen wir zurück nach Arc. Wenn es Hoffnung auf Rettung gibt, dann weiß das nur mein Vater." Er blickte in Reans tränennasse riesige Augen und wischte ihm sanft eine Träne, die ihm über die Wange lief, weg. "Keine Sorge.", sagte er. "Er weiß Rat." Während er Rean beruhigend übers Haar fuhr, murmelte er: "Ganz bestimmt." Dann nickte er ein. Für einen Zauberer in Ausbildung, wie er einer war, waren zwei hochgradige Zauber kurz nacheinander ziemlich viel gewesen.
 


 

Und, spannend? Ich hoffe es.

Bei Gefallen bitte ich um Hinterlassen eines Kommentars und ggf. Weiterempfehlung an weitere mögliche Interessenten ^___^

Kapitel 3 - Die Weisheit des schwarzen Magiers

Auf dass es gefallen möge. ^-^
 

Kapitel 3

Die Weisheit des schwarzen Magiers
 

Als sie einige Tage später bei Einbruch der Nacht in Arc ankamen, wurden sie von Llandon bereits in der großen Halle erwartet. Tharas hatte seinem Vater telepathisch Nachricht von ihrer Ankunft gegeben und ihm kurz die Ereignisse geschildert.

Die Halle war bereits in tiefe Dunkelheit gehüllt und wurde nur vom Schein einer einzelnen Fackel beleuchtet, die Llandon in der Hand hielt. Durch die tiefen Schatten, in denen sein Gesicht lag, wirkte er auf Rean zum ersten Mal unheimlich. "Alles in Ordnung mit euch beiden?", fragte er ernst und die beiden jungen Männer nickten. "Gut, dann kommt mit.", forderte er sie auf und sie gehorchten.

Er umrundete die Halle zur Hälfte und tastete dann vorsichtig an der Wand entlang. Rean fragte sich, was er da wohl machte. Plötzlich öffnete sich vor Llandon ein Spalt in der Wand. Er war nur so breit, dass sich ein schlanker Mensch seitlich hindurchzwängen konnte. Llandon bedeutete ihnen mit einem kurzen Winken, ihm zu folgen und verschwand in dem Spalt in der Wand und mit ihm das Licht. Rean schaute skeptisch, doch Tharas legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter und dirigierte ihn zu der Lücke. Er schluckte einmal und wagte vorsichtig einen Schritt durch die Mauer, dann noch einen und schließlich war er auf der anderen Seite. Tharas folgte ihm wenige Augenblicke später. Kaum hatte Tharas den Spalt in der Wand durchquert, als er sich hinter ihm schloss. Rean beschlich das Gefühl, gefangen zu sein. Llandon hatte derweil schon zwei weitere Fackeln an seiner entzündet und reichte sie an seinen Sohn und dessen Freund weiter. Rean blickte sich im kleinen Lichtkreis der Fackeln um und schloss aus seiner Beobachtung, dass sie sich vor einer schmalen Wendeltreppe befanden. "Schau nicht nach unten.", riet ihm Tharas, doch wie das so ist, wenn man dazu aufgefordert wird, etwas auf gar keinen Fall zu tun, ist die Versuchung noch viel größer, genau das zu tun und Rean beugte sich ein Stück nach vorn, um nach unten zu schauen. Schlagartig sah er ein, dass er es besser hätte bleiben lassen. Die Treppe war anscheinend wie ein sich nach unten windender Vorsprung direkt aus dem Felsen gehauen worden und führte tief ins Erdreich hinein. Zu ihrer Linken befand sich eine steile, raue Felswand, zur Rechten jedoch ein gähnender Abgrund.

"Ich hab doch gesagt, dass du nicht nach unten schauen sollst. Am besten hältst du dich mit einer Hand an der Wand, wenn du gehst. Das gibt eine gewisse Sicherheit. Aber pass auf, wo du hintrittst. Die Stufen sind unterschiedlich hoch.", erklärte Tharas mit einem sanften Lächeln. Rean schluckte hart. Dann folgte er Llandon, der bereits einige Stufen hinab gestiegen war.
 

Die Treppe schien kein Ende nehmen zu wollen. Rean hatte bei Stufe 328 den Faden verloren und schließlich zu zählen aufgehört.

"Es sind genau 612.", antwortete Llandon auf Reans unausgesprochene Frage.

"Ich hab dir schon mal gesagt, dass du nicht dauernd in den Gedanken anderer Leute schnüffeln sollst.", brummte Tharas.

"Entschuldige mal. Ich hab ihn nur ständig irgendwelche Zahlen murmeln hören. Das ist gewiss nicht in Gedanken schnüffeln, wie du mir sicher zustimmen wirst, mein lieber Filius.", verteidigte sich der Magier.

"Ist ja gut. Aber versuch's erst gar nicht, klar, alter Mann?", sagte Tharas missgelaunt

Rean kannte die Wortgefechte, die aus solchen Unterhaltungen der beiden resultieren konnten und fühlte sich in ihrer Mitte plötzlich gar nicht mehr sicher. Sie waren beide starke schwarze Magier und das letzte, was er jetzt brauchen konnte, war ein Duell. Vater und Sohn waren sich einfach zu ähnlich, was sie öfter aneinander geraten ließ. Er musste einschreiten.

"Sag du mir nicht, was ich tun soll. Und außerdem nenn mich nicht alter Mann, das ist nämlich ziemlich dreist für so einen kleinen Frischling wie dich. Ich bin immer noch dein Vater und Lehrmeister und wenn ich es will, kann ich dich sofort in einen Frosch verwandeln auf dass du eine Prinzessin finden mögest, die dich wieder erlöst.", erhitzte sich Llandon.

"Du weißt genau, dass ich…", fing Tharas an, doch ein energisches "Entschuldigung" von Rean ließ ihn abrupt abbrechen.

"Was ist?", fragte er etwas härter, als er es beabsichtigt hatte.

Rean hatte seine linke Hand von der Wand gelöst und in die Hüfte gestemmt. Er zuckte zwar leicht zusammen ob Tharas zornigem Blick, doch er fuhr fort: "Ich glaube, das hier ist weder der richtige Ort noch der richtige Zeitpunkt um zu streiten."

"Er hat Recht.", sagte Llandon. "Gehen wir weiter." Damit wandte er sich wieder den Stufen vor seinen Füßen zu und setzte den Weg fort.

Rean warf einen skeptischen Blick auf Tharas, der, aus welchen Gründen auch immer, rot angelaufen war, aber wenigstens nicht mehr den Anschein machte, als ob er sofort in die Luft gehen wollte, und folgte dem König in die Tiefe.

Tharas war erschrocken und ein wenig peinlich berührt, hätte er doch beinahe verlauten lassen, dass ihn keine Prinzessin der Welt hätte erlösen können, weil sein Herz schon längst an jemand anderen vergeben war.
 

Endlich erreichten sie den Fuß der Treppe. Nun standen sie in einer kleinen Kammer, an deren Seite ein Gang abzweigte. Diesem folgten sie. Während sie gingen, glaubte Rean nach einer Weile, das Geräusch von Wasser zu hören und die Luft in dem Gang wurde wesentlich feuchter. "Sind wir unter dem Fluss?", fragte er.

"Ja, das sind wir.", erläuterte Llandon. "Das hier ist eigentlich ein Fluchtweg, falls das Schloss einmal belagert werden sollte. Der Hauptweg führt zur Andwynbrücke, aber da wollen wir nicht hin."

"Wohin denn?", fragte Rean neugierig.

"Wirst du sehen, wenn wir da sind.", meinte Llandon und grinste verschmitzt.
 

Der Gang verzweigte sich des Öfteren. Mal gingen sie nach links, dann wieder nach rechts. Für Rean war das alles ein riesiges Labyrinth. Ohne Llandon, der sich hier so sicher bewegte, als kenne er diese Gänge wie seine Westentasche, würde er wohl nie wieder herausfinden. Sein Gefühl für Zeit schien ihm komplett abhanden gekommen zu sein. Er hatte keine Ahnung, wie lange sie schon in der Dunkelheit wanderten, als sie urplötzlich durch einen Durchgang im Fels in eine riesige unterirdische Höhle traten. Llandon hielt seine Fackel in ein Sims, das rechts von ihm verlief und mit einer öligen Flüssigkeit gefüllt war und plötzlich breitete sich an einer Seite der Höhle Licht aus.

Rean entwich ein Laut des Erstaunens. Das Ausmaß der Höhle war wirklich immens. Von der mehr als zehn Meter hohen Decke hingen Tropfsteine. Auf der gegenüberliegenden Seite des Feuers waren Vertiefungen im Fels und in diesen Vertiefungen Unmengen von Büchern und Flaschen mit seltsamem und unheimlich faszinierendem Inhalt. Außerdem entdeckte er einen massiven Holztisch, an dem ein bequemer Stuhl stand und einen großen Kessel über einer Feuerstelle.

"Willkommen in meinem geheimen Labor.", sagte Llandon mit stolzer Stimme. "Du hast die Ehre, als erster Mensch diesen Ort zu betreten, neben meinem Sohn und mir natürlich."

"Es ist überwältigend.", gab Rean zu.

"Freut mich, dass es dir gefällt" grinste der Magier, wurde aber schlagartig wieder ernst. "Also.", sagte er. "Die Leute in deinem Königreich wurden allesamt versteinert."

"Nun, ich weiß nicht, ob von den Dorfbewohnern nicht vielleicht doch jemand zu Hause geblieben ist…", gab Rean zu.

"Selbst wenn, dann hat derjenige jetzt 'ne ziemlich einsame Zeit vor sich.", meinte Tharas sarkastisch.

"Versteinerungen.", murmelte Llandon und ging hinüber zu den Büchern. Dort ging er an den Reihen entlang und suchte ein bestimmtes Buch. "Ah, da ist es ja!", rief er, als er es gefunden hatte, zog es aus dem Regal und ging zu dem Tisch, an welchem er sich niederließ und in dem Buch zu blättern begann.

"Am besten, wir lassen ihn einfach arbeiten.", sagte Tharas leise zu Rean. "Komm, ich zeig dir ein bisschen was von unserem geheimen unterirdischen Versteck." Er hakte den Jungen unter und führte ihn zu der dem Eingang gegenüberliegenden Seite der Höhle. Erst jetzt sah Rean, dass dort eine zweite, kleinere Kammer abzweigte. In dieser war es stockdunkel, doch plötzlich brannte mitten auf Tharas Hand ein Feuerball, der die Kammer ausleuchtete.

"Warum nehmt ihr Fackeln mit, wenn ihr Feuer in der Hand tragen könnt?", fragte Rean irritiert.

"Falls uns jemand gesehen hätte, wie wir im Tunnel verschwinden, was übel gewesen wäre, wäre es nicht so wirklich gut gekommen, wenn wir auch noch Magie benutzt hätten. Deshalb nehmen wir Fackeln. Außerdem hättest du dann kein Licht gehabt, oder?"

Rean nickte zustimmend. Dann sah er sich gründlich um und war begeistert. Ein kleiner Wasserfall entsprang dem Felsen und sammelte sich in einem kleinen Teich. Die Wände der Höhle glitzerten und reflektierten das Licht des Feuers.

"Schön hier.", sagte er hingerissen.

"Romantisch, findest du nicht?", fragte Tharas und trat von hinten ganz nahe an Rean heran. Rean war sich dieser ungewohnten Nähe bewusst und sein Herz begann, etwas schneller zu schlagen. Er wusste nicht, was er hätte sagen sollen, also hauchte er nur: "Ja."

"Ich hab's!", kam der Ruf aus der Nachbarhöhle.

"Er hat's…", sagte Tharas und klang dabei leicht genervt. Also gingen sie zurück in die große Kammer um sich Llandon wieder anzuschließen. Dieser strahlte übers ganze Gesicht. "Es ist ein Basilisk!", erklärte er freudestrahlend.

"Ein was?", fragte Rean.

"Ein schlangenähnliches Wesen der Dunkelheit.", erklärte Tharas.

"Richtig. Du hast ja sogar aufgepasst.", sagte Llandon erfreut. "Der Basilisk ist also ein Schlangendämon. Sein Blick versteinert und Spinnen haben Angst vor ihm, weil er ihr natürlicher Feind ist.", wandte er sich wieder an Rean.

"Und was können wir gegen ihn unternehmen?", fragte Rean.

"Weiß ich noch nicht genau. Dazu brauche ich ein anderes Buch. Wenn ihr wollt, könnt ihr mir suchen helfen. Es ist ein großes, braunes, Leder gebundenes. "Gegengifte" steht drauf, allerdings in der schwarzen Schrift der Magier. Rean, du kannst es also nicht lesen, aber wenn du eines findest, das auf die Beschreibung passt, dann frag Tharas oder mich, einverstanden?"

"Einverstanden.", stimmte der junge Prinz zu und gemeinsam machten sie sich auf die Suche. Rean hatte noch nie in seinem Leben so viele Bücher gesehen, doch was er auf den ersten Blick sah, hätte er sie sowieso nicht lesen können, denn sie waren allesamt in Zaubererschrift verfasst. Auf einem der obersten Regale entdeckte er schließlich eines, das auf die Beschreibung passen könnte. "Tharas, ich glaube, das könnte es sein!", rief er seinem Freund zu. Dieser kam sofort herbei.

"Allerdings, das ist es.", bestätigte er und fischte es herunter, wobei er wieder sehr nah an Rean heranrücken musste um daran zu kommen.

"Vater!", rief er und hielt das Buch hoch.

"Perfekt.", kommentierte Llandon und kam auf sie zu. Er nahm Tharas das Buch aus den Händen und begab sich wieder zu seinem Schreibtisch. Er beugte sich tief über die Seiten, die schon ziemlich vergilbt waren, und studierte den dort geschriebenen Text. Sein Zeigefinger fuhr dabei die Zeilen ab bis er schließlich an einem Punkt innehielt. Dann blätterte er einige Seiten weiter und begann erneut zu lesen. "Da ist es…", murmelte er. Er klappte das Buch zu und ging zu seinem Vorrat an Kräutern und Tinkturen. Dort suchte er die Reihen gründlich ab. "Mist! Ich hab keine mehr!", fluchte er schließlich und stampfte mit dem Fuß auf.

"Was hast du nicht mehr?", fragte Tharas.

"Es gibt nur ein Mittel gegen den Basiliskenblick. Das wirkt sogar hoch konzentriert. Der Saft der Mandragora oder auch Alraune."

"Mandragora…", sinnierte sein Sohn. "Nun, wenn du keine mehr hast, dann müssen wir eben welche besorgen.", sagte er bestimmt.

"Diese Pflanze wächst aber nur in Argaye…", sagte Llandon düster. Die beiden tauschten finstere Blicke aus, was Rean jedoch entging.

"Argaye. Das liegt ganz im Westen des Kontinents, fast direkt an der Küste des Meeres. Dorthin brauchen wir mindestens drei Monate. Außerdem müssen wir die Berge überqueren, wenn wir den schnellsten Weg nehmen wollen und da liegt oft noch bis ins Frühjahr hinein Schnee. Das wird nicht einfach.", überlegte er laut.

"Aber das ist nicht das Hauptproblem.", entgegnete Tharas. "Die Wälder von Argaye sind Elfengebiet."

"Elfen!", rief Rean begeistert. "So richtige echte Elfen mit Spitzohren und allem drum und dran?"

"Ja. Richtige echte Elfen.", bemerkte Tharas. "Mit Pfeilen und Bogen und Schwertern und einer Mordswut im Bauch. Und übrigens: Wenn du Spitzohren willst, die hab ich auch."

"Stimmt.", gab Rean zu. "Und ich finde, sie sehen an dir ziemlich niedlich aus." Er schob sanft Tharas Haar hinters Ohr. "Aber das mit der Mordswut kapier ich nicht.", meinte er.

"Das liegt an mir.", erläuterte Llandon. "Im letzten Elfenkrieg hab ich ziemlich viele von ihnen getötet, was letztendlich den Großteil von ihnen übers Meer getrieben hat. In Argaye lebt nur noch ein kleiner Haufen. Doch die werden es euch nicht leicht machen, die Mandragora zu bekommen. Ganz sicher nicht."

"Wir schaffen das schon, nicht wahr, Tharas?", fragte Rean hoffnungsvoll und schaute seinem Freund tief in die Augen. Dabei bemerkte er den Zweifel in Tharas Blick. "Du kommst doch mit mir, oder?"

"Sicher.", antwortete Tharas. "Ich würde dich doch niemals alleine bis ans andere Ende des Kontinents reisen lassen."

"Also dann ist es beschlossen.", bestimmte Llandon. "Ihr brecht so bald ihr könnt auf. Lasst euch mit genug Vorräten versorgen und nehmt warme Kleidung mit. Ach ja, und natürlich genügend Waffen. Ihr werdet euch eurer Haut erwehren müssen." Dann wandte er sich wieder seinem Tinkturenvorrat zu. Er zog einen kleinen Flakon aus dem Regal und reichte ihn Tharas. "Thianöl. Du wirst es verdammt nötig haben.", sagte er.

"Thianöl. Aber das ist ziemlich rar. Willst du uns wirklich deinen ganzen Vorrat mitgeben?"

"Es ist das stärkste Heilmittel das ich kenne. Setze es klug ein und benutz es nicht für irgendwelchen Blödsinn, klar?"

"Verstanden. Danke, Vater.", sagte Tharas und umarmte in einem Anflug von Emotionen seinen Vater.

"Schon gut.", murmelte dieser. "Ach übrigens, " fügte er hinzu, "die Teleportation und der Bannkreis waren nicht von schlechten Eltern. Mein Kompliment. Du wirst noch mal ein besserer Magier als ich."

"Ernsthaft?", fragte Tharas glücklich.

Llandon nickte und sagte dann: "Vollkommen. So. Und jetzt… Ab nach oben. Wir haben noch einiges vorzubereiten."

Rean war gerührt während sie im Gänsemarsch durch das Labyrinth zurückgingen. In der einen Minute sprangen sie sich an die Gurgel und in der nächsten fielen sie sich um den Hals. Diese beiden hatten sich wirklich von Herzen gern. Was hätte er nicht alles dafür gegeben, könnten sie seine Familie sein.

Doch an der Treppe angekommen fiel ihm ein, dass er die 612 Stufen wieder hochklettern musste und er stöhnte.

"Was ist?", fragte Tharas belustigt.

"Da müssen wir ja jetzt wieder rauf…"

"Und du glaubst wirklich, dass wir diese ganzen Stufen hochsteigen?"

"Ja, oder nicht?", fragte Rean irritiert.

"Nein. Natürlich nicht. Das ist viel zu anstrengend.", erklärte Tharas.

"Und was machen wir dann?"

"Komm her und halt dich gut an mir fest, dann zeig ich's dir." Er grinste frech.

Rean blickte ihn misstrauisch an, doch er legte seine Arme um Tharas und hielt sich an ihm fest, wie geheißen.

"Bereit?", fragte dieser und legte seine Arme um Reans Taille.

"Ich weiß zwar nicht wofür, aber ja."

"Dann los.", antwortete Tharas und Rean merkte, dass sie sich vom Boden lösten.

"Waaaah, was machst du denn?", fragte er panisch.

"Na ich schwebe nach oben. Wenn's dir lieber ist, kannst du auch gern Treppen steigen, dann setz ich dich ab. Allerdings glaube ich nicht, dass du vor morgen Abend ankommen wirst."

"Danke, dann doch lieber schweben.", räumte der Junge ein, klammerte sich aber etwas fester an Tharas.

/Konzentrieren, immer schön konzentrieren./, schärfte sich dieser ein, denn Reans Nähe und Wärme machten ihn fast verrückt. Schließlich landeten sie unversehrt am Anfang der Treppe, wo Llandon bereits auf sie wartete.

Kapitel 4 - Aufbruch ins Abenteuer

Kapitel 4

Aufbruch ins Abenteuer
 

Zwei Tage später brachen sie auf. Sie hatten sich nur mit dem Nötigsten an Reisegepäck beladen. Warme Kleidung zum Wechseln, Vorräte, die sie beabsichtigten anzubrechen, sobald sie bewohntes Gebiet verließen und natürlich auch genügend Geld um, falls es sich so ergab, auch mal in einem Gasthaus übernachten zu können. Tharas zog diese Möglichkeit allerdings nicht wirklich in Betracht, weil er fürchtete, dass sie auf diese Art und Weise zu viel Zeit vergeuden würden.
 

Natürlich hatte es Ärger gegeben. Nicht nur der Hofmarschall und die werten Herren Berater waren dagegen gewesen, dass sich der Prinz einer solchen Gefahr aussetzte, noch dazu so fern von heimischen Gefilden. Außerdem hatte er ja noch seine etlichen Pflichten zu erfüllen, bla, bla, bla…, nein, auch die Königin war strikt dagegen gewesen, ihren Sohn ziehen zu lassen. Deshalb hatte Llandon sie einfach am Tag der Abreise in Tiefschlaf versetzt, damit sie die Prinzen nicht aufhalten konnte. Dafür hatte ihm seine Frau ihre Gunst entzogen, so lange, bis "der Junge" (mittlerweile 21) wieder wohlbehalten zu Hause war.
 

"Alte Zimtziege. Seit drei Wochen geht das nun schon so.", meckerte Llandon, als er sich eines Abends telepatisch mit seinem Sohn unterhielt. Tharas und Rean hatten, als es zu dunkel zum Weiterreiten geworden war, ihr Lager in einem Waldstück nahe der großen Straße, die sämtliche Königreiche miteinander verband, aufgeschlagen. Rean war bereits, dicht in eine Decke gemummelt, am Lagerfeuer eingeschlafen. "Was glaubt die wohl, warum sie mit über 40 noch so gut aussieht?", schimpfte er weiter.

Tharas grinste, was sein Vater Gott sei Dank nicht sah. "Sie liebt dich. Über kurz oder lang kommt sie schon wieder. Glaub mir. Immerhin ist sie auch nur ein Mensch.", versuchte er, seinen unsichtbaren Gesprächspartner zu beschwichtigen. Er hockte auf einem umgekippten Baum und starrte ins Feuer. Um ihn her war nichts zu hören, als das Rascheln des Windes in den Ästen der Bäume.

"Ja, ja. Wie geht's euch beiden? Kommt ihr gut voran?", fragte Llandon etwas beherrschter.

"Bestens. Wir liegen besser in der Zeit, als ich dachte. Rean hält sich tapfer, aber ich glaube, dass wir die nächste Nacht wohl doch mal in einem Gasthaus verbringen werden. Er sagt nichts, aber ich merke, dass ihm vom am Boden schlafen alles weh tut und lange Ritte ist er auch nicht gewohnt. Er hat eine Nacht in einem richtigen Bett verdient."

"Hat er noch etwas gesagt wegen seinen Leuten?", fragte Llandon besorgt.

"Nein. Er verbirgt es gut. Allerdings bin ich mir sicher, dass es ziemlich an ihm nagt. Sag mal, wo wir gerade davon sprechen…“

"Was ist denn?"

"Ich hab da eine Frage…", druckste Tharas.

"Und die wäre?"

"Wenn mir irgendwas passiert, dann bricht doch mein Bannkreis zusammen, oder?"

"Stimmt! Da hast du vollkommen Recht!", stimmte Llandon verblüfft zu. "Daran hätten wir auch früher denken können. Ich werde wirklich langsam alt. Aber weißt du was?"

"Nein, was?"

"Ich reite einfach nach Eredrion und lege einen eigenen Bannkreis um das Schloss. Dann kann auf keinen Fall etwas passieren. Was hältst du davon?"

"Hört sich an, als würdest du fest mit meinem Tod rechnen…", meinte Tharas süffisant.

"Blödsinn! Du bist wie Unkraut und das vergeht ja bekanntermaßen nicht. Es ist nur eine Vorsichtsmaßnahme."

"Gut. Mehr wollte ich eigentlich gar nicht wissen. Das mit dem zweiten Bannkreis ist eine gute Idee…", sagte Tharas nachdenklich.

"… Aber?", hakte sein Vater nach.

"Na ja, ich dachte, du hättest vielleicht eine Idee, wie man das Vieh schon mal beseitigen könnte während wir weg sind."

"Schon klar. Ihr habt den ganzen Spaß und der Alte darf die Drecksarbeit machen. Nein, danke. Aber mal im Ernst. Ich habe keine Ahnung, wie man mit einem Basilisken fertig wird. Es ist besser, wir erledigen ihn gemeinsam wenn du wieder da bist."

"Dazu müsste ich erst mal wiederkommen", grübelte Tharas.

"Tharas, so was darfst du nicht einmal denken! Klar, euere Reise ist gefährlich, aber wenn das Risiko zu hoch gewesen wäre, hätte ich euch niemals gehen lassen. Hast du verstanden?", rief Llandon. Sein Sohn war in einer ziemlich deprimierten Stimmung. Hoffentlich wurde das wieder besser. Diese finsteren Gedanken hatten ihn richtiggehend erschreckt.

"Ich glaube, ich leg mich jetzt schlafen. Gute Nacht, Vater."

"Gute Nacht.", antwortete Llandon nach einem Moment des Zögerns und trennte die Gedankenverbindung, doch seine Gedanken verweilten noch lange bei Tharas. Was war nur mit dem Jungen los?
 

Tharas war nicht weniger besorgt. Seit sie aufgebrochen waren hatte Rean nicht nur nichts von seiner körperlichen Verfassung oder seiner Familie gesagt. Er hatte schlichtweg gar nichts gesagt bis auf das Allernotwendigste. Tharas hatte seine Zweifel ob es richtig gewesen war, Rean überhaupt mitzunehmen, doch dieser hatte darauf bestanden, bei der Rettung seiner Familie dabei zu sein. Er litt große Qualen, das konnte Tharas in seinen Augen sehen, doch er war nicht in der Lage, ihm irgendwie zu helfen.

Plötzlich bewegte sich Rean im Schlaf und begann dabei, irgendwas vor sich hin zu murmeln, das sein Freund nicht verstand. /Wieder ein Alptraum./, dachte Tharas, ging zu Rean hinüber und berührte ihn vorsichtig an den Schultern, um ihn zu beruhigen. Sofort verfiel der Junge wieder in tiefen Schlaf. Dann legte er sich selbst hin, wickelte seine Decke um sich und versuchte zu schlafen. Es gelang ihm allerdings nicht gerade mit Erfolg, denn er hörte immer mit einem Ohr, ob mit Rean alles in Ordnung war.
 

Bei Anbruch der nächsten Nacht stiegen sie tatsächlich in dem Gasthaus eines kleinen Dorfes an der Straße ab. Tharas hatte Fünf gerade sein lassen und auch für Rean einen Krug Bier bestellt in der Hoffnung, dass er davon besser schlafen würde, was auch für ihn selbst eine ungeheuere Erleichterung gewesen wäre. Nach dem Essen kam der Wirt zu ihnen und fragte, ob sie noch etwas benötigten. Die beiden verneinten, doch der Wirt ging nicht zurück in seine Küche. Er stand da, blickte verlegen drein und knibbelte an seiner Schürze herum.

"Gibt es noch etwas, guter Mann?", fragte Tharas höflich.

"Nun ja, die Herren.", erklärte der Wirt stammelnd. "Euere Belange gehen mich natürlich nichts an, aber dürfte ich erfahren, wohin Euer Weg Euch führt?"

"Nun, es ist kein Geheimnis.", antwortete Tharas. "Wir sind auf direktem Weg unterwegs in Richtung Meer. Wieso fragt Ihr?"

"Also, ich möchte den Herren raten, wenn sie in nicht allzu großer Eile sind, nicht die Straße direkt hoch zum Gebirge zu nehmen. Reiten sie lieber um die Randwälder herum."

"In der Tat sind wir in großer Eile," erläuterte Tharas, "doch ich höre mir gerne den Grund an, warum Ihr uns zu einem nicht gerade unerheblichen Umweg ratet."

"Die Sache ist die… In den Wäldern geht seit geraumer Zeit eine gefährliche Räuberbande um. Sie überfallen alles und jeden und diejenigen, die zurückkommen sind meist übel zugerichtet und am Ende ihrer Kräfte. Ihr seht nicht gerade aus, vergebt mir, als wäret Ihr arme Leute. Es wäre nur zu Euerer eigenen Sicherheit."

"Ich danke Euch für die Warnung. Wir werden darüber nachdenken. Aber jetzt denke ich, werden wir uns zurückziehen." Damit erhob er sich und Rean folgte. Der Wirt wünschte ihnen eine gute Nacht und sie begaben sich zu ihrem Zimmer.

Dort ließ sich Tharas auf eines der zwei Betten in dem Raum nieder, Rean auf das an der gegenüberliegenden Wand. "Was meinst du dazu?", fragte er den Jüngeren.

"Ich glaube, wir sollten keine Zeit verlieren. Immerhin bist du ein Zauberer. Wer sich mit dir anlegt muss ganz schön dämlich sein."

"Denke ich auch. Aber so leichtfertig sollten wir die Gefahr nicht abtun. Wir müssen extrem wachsam sein."

"Glaubst du wirklich, dass sie eine Bedrohung für uns sind?"

"Ich weiß nicht. Aber wir werden sehen, was passiert."
 

In dieser Nacht schliefen sie beide mehr oder weniger gut. Am nächsten Morgen verabschiedeten sie sich nach dem Frühstück von dem Wirt und machten sich wieder auf den Weg entlang der Weststraße hinauf zum Gebirge.

Tharas Vorsicht wuchs, als die Straße ins Dickicht der Randwälder eintauchte. Im düsteren Zwielicht des Waldes erkannte er nur halb so viel wie ihm lieb gewesen wäre.
 

Seit drei Tagen ritten sie durch den Wald und nichts war geschehen. Die einzigen Zwischenfälle waren Reans immer wiederkehrende Alpträume und die damit verbundene Tatsache, dass Tharas immer müder und damit auch unachtsamer wurde. Gerade jetzt, da das erste Mal Gefahr drohen konnte und er sich förmlich zwang, Nacht für Nacht wach zu bleiben, merkte er langsam, dass er doch halbmenschlich war. Schließlich entging es auch Rean nicht mehr, dass sein Freund völlig am Ende mit seinen Kräften war.

"Hör mal, du hast bestimmt seit Tagen nicht mehr geschlafen. Ich übernehme die nächste Wache."

"Ach was. Du brauchst deinen Schlaf.", erwiderte Tharas und gähnte herzhaft.

"Siehst du! Du bist völlig übermüdet. Also abgemacht. Die nächste Nacht schläfst du und ich passe auf. Du kannst ganz beruhigt sein." Er lächelte zuversichtlich. Das war das erste Mal seit Wochen, wie Tharas auffiel.

"Also gut.", lenkte er schließlich ein. Immerhin konnte er wahrscheinlich wirklich keine Nacht länger wach bleiben. Tatsächlich war er, kaum dass er sich neben dem Feuer, das Rean entfacht hatte, niedergelassen hatte, fest eingeschlafen. Deshalb entging ihm auch, dass sie Besuch hatten.
 

Rean saß am Feuer und beobachtete den schlafenden Tharas. Wie ihm das Haar ins Gesicht fiel, die blasse Haut, wie sie im Licht des Feuers schimmerte und die entspannten Gesichtszüge. Das alles gefiel ihm. In ihm stieg die Frage auf, warum sich sein großer Freund noch keine Braut erwählt hatte, doch im nächsten Moment bemerkte er, dass ihm dieser Gedanke unheimlich wehtat. Was würde er tun, wenn Tharas tatsächlich heiraten würde? Dann hätte er gar keine Zeit mehr für ihn. Würde er dann wieder allein sein? /Du bist ein echter Egoist, Rean./, schalt er sich selbst. /Es ist nur normal, dass er sich irgendwann eine Braut sucht. Immerhin ist er der Thronfolger und muss für die Nachkommenschaft sorgen./ /Aber es tut so weh./, sagte eine kleine aber feine Stimme in ihm. Er dürfte sein Herz nicht zu sehr an ihn hängen. Er musste selbständig werden um irgendwann in der Lage zu sein, seinen Weg alleine weiterzugehen. Dazu war diese Reise geradezu geschaffen. Ja, er würde es schaffen.

Er war so sehr in seine Gedanken vertieft, dass er den Mann hinter sich erst in dem Moment bemerkte, als er gepackt und ihm eine Hand auf den Mund gepresst wurde.

"Sieh doch mal einer an, was haben wir denn da Hübsches?", raunte eine kratzige Stimme in sein Ohr. "Ich glaube, dich nehm ich auch mit, Herzchen."
 

Tharas erwachte durch den Schrei. Rean hatte den Banditen, der ihm den Mund zugehalten hatte, kräftig in die Hand gebissen und der Kerl hatte aufgeschrieen. Die Pferde wieherten als immer mehr der Banditen aus dem Wald herauskamen. Tharas konnte gerade noch Reans Namen rufen, als ihn ein Knüppel auf den Hinterkopf traf. Stöhnend versank er erneut in Dunkelheit.
 

Als er wieder zu sich kam, war es bereits Morgen. Sein Kopf brummte und als er seinen Hinterkopf betastete, fühlte er geronnenes Blut in seinem Haar. Wäre er nicht durch einen permanenten Zauber geschützt gewesen, er hätte diesen Schlag wohl nicht überlebt. Rean war verschwunden, ebenso wie die Pferde und die Vorräte. Tharas sah sich gründlich um. Die Spuren, die die Räuber hinterlassen hatten, führten nach Westen, hinauf zu den ersten Ausläufern des Gebirges. Wie lange war er bewusstlos gewesen? Wie viel Vorsprung hatten die Kerle? War Rean noch am Leben? All diese Fragen stürmten auf ihn ein, als er seinen Zauber sprach und sich an die Verfolgung machte.

Kapitel 5 - In letzter Sekunde

Kapitel 5

In letzter Sekunde
 

Langsam kam Rean wieder zu sich. Ein heftiger Schlag gegen die Schläfe hatte ihn außer Gefecht gesetzt. Seine Lippe war aufgeplatzt und er schmeckte Blut. Seine Erinnerung kam nur zögerlich zurück. Da waren Männer gewesen, die plötzlich aus dem Wald aufgetaucht waren. Er hatte versucht, sich zu wehren und Tharas zu wecken, was ihm gelungen war, doch dann war sein Freund niedergeschlagen worden.
 

Einer der Männer hatte ihn gefesselt und geknebelt und dann wie einen nassen Sack auf eines der Pferde gehievt und war mit ihm davon galoppiert. An das Gesicht konnte er sich nicht erinnern, denn es war zu dunkel gewesen. Allerdings hatte er noch ganz genau den ranzigen Geruch in der Nase, so, als hätte derjenige, der hinter ihm im Sattel saß, wochenlang nicht mehr gebadet. Er hatte versucht, gegen die Fesseln aufzubegehren, doch es hatte nichts genutzt und schließlich hatte der Fremde ihn mit einem Schlag betäubt.
 

Wo war er hier? Er lag auf dem Bauch, also versuchte er vorsichtig, sich zu drehen um einen Blick auf seine Umgebung zu werfen. Die Tatsache, dass seine Füße immer noch gefesselt und seine Hände auf dem Rücken zusammen gebunden waren, machte dieses Unterfangen ziemlich schwierig, doch schließlich gelang es ihm, sich herumzuwälzen. Die Seile schnitten ihm ins Fleisch und rieben ihm die Haut auf. Durch den Ritt und nicht zuletzt durch den Schlag hatte er schon diverse blaue Flecken, welche ihm nicht gerade gut taten und ihm wurden die Augen feucht vor Schmerz. Dennoch blickte er sich aufmerksam um. Wie es aussah, befand er sich in einer Höhle. Der Eingang war mit einem alten, dreckigen, dunkelroten Stofffetzen verhängt und das bräunliche Gestein um ihn wurde von einer einzigen Fackel schwach beleuchtet. Wie aus weiter Ferne hörte er ein Rauschen. Der Boden unter ihm war kalt und er begann, zu zittern. Wie hatte er nur in diesen Schlamassel geraten können? Was hatten die Banditen noch vor mit ihm und was war mit Tharas?
 

Auf einmal wurde der Vorhang zurück geschlagen und ein Mann trat ein. Er war groß und kräftig. Seine Kleider waren schmutzig und teilweise gerissen. Ein furchtbares Gestrüpp aus ungepflegtem schwarzem Haar umgab sein Gesicht und ließ nur fiese kleine Augen erkennen. Auch seine Hände waren behaart. Sie erschienen Rean wie die Pranken eines Bären. Der Blick des Banditen richtete sich auf ihn.

"Na, Prinzessin? Wir haben uns also doch entschieden, wieder aufzuwachen?", sagte er und seine Stimme klang so rau und kratzig als hätte er Schwertklingen verschluckt. "Hast wohl gedacht, dass dich die Verkleidung als Junge schützt, was? Tja, falsch gedacht, Zuckerstückchen." Langsam und bedrohlich kam er näher und beugte sich schließlich zu dem Jungen hinab. "Die Jungs schlafen, das heißt jetzt gibt es nur noch dich und mich. Und ich glaube, wir werden eine Menge Spaß zusammen haben, nicht wahr?" Er grinste hinterhältig. Sein Mund war voller Zahnruinen. Rean wurde angesichts seines Mundgeruchs fast wieder bewusstlos. "Ach ja, und falls du auf Rettung hoffst, deinen Freund haben wir getötet. Na dann wollen wir doch mal sehen, was sich so unter diesem ganzen Stoff verbirgt.", sagte der Bandit lüstern. Er schob Reans Wams nach oben und riss förmlich sein Hemd auf. Dann stutzte er kurz. "Hey, du bist ja doch ein Junge!", stellte er überrascht fest. "Na macht nichts. Abgesehen davon, dass du keine Brüste hast, macht das keinen Unterschied." Mit seinen groben Händen fuhr er über Reans Körper, kniff ihn und biss ihn. Durch den Knebel war es dem Jungen nicht einmal möglich, zu schreien. Schließlich zog der Räuber ein Messer hervor und durchtrennte die Fußfesseln. Rean sah darin seine letzte Chance und trat wie wild um sich, doch es half nichts. Eher hatte er genau das Gegenteil erreicht. "Nanu, du bist ja noch in der Lage, dich zu wehren. Jetzt wird's erst richtig interessant, ich mag nämlich Herausforderungen.", sagte sein Peiniger und schaffte es, Reans Stiefel auszuziehen und ihn aus seinen Hosen zu pellen. Dann drückte er dessen Beine auseinander. In Reans Kopf war nur noch ein Gedanke: Tharas.
 

Tharas hatte ihre Spur bis in die ersten Ausläufer des Gebirges hinein verfolgt. Dort hatte er sie wegen dem felsiger werdenden Gebiet kurzzeitig aus den Augen verloren. Dann hatte er in etwas weiterer Ferne niedergetrampeltes Gras entdeckt und schließlich die Spur wieder gefunden. Doch bald hatte er sie wieder verloren. Er wollte es sich nicht eingestehen, doch es sah so aus, als müsste er aufgeben.

Aber plötzlich… Hatte er sich das nur eingebildet? Nein. Da war Reans Stimme in seinem Kopf. Er rief nach ihm. War ihre Verbindung zueinander schon so stark geworden, dass der Junge ohne jegliche telepatischen Kräfte in seine Gedanken eindringen konnte? Wenn er ihn mit seinen Gedanken erreichen konnte, musste er in der Nähe sein. Er suchte sich einen besseren Aussichtspunkt und blickte schließlich in ein kleines Tal, in dem ein Wasserfall in die Tiefe stürzte und sich in einem großen See fing. /Ein perfektes Versteck/, dachte Tharas und steuerte auf den Wasserfall zu.
 

Die anderen Banditen hatten sich, nachdem sie die Beute geteilt hatten, zum Schlafen hingelegt. Der Hauptmann hatte unbedingt darauf bestanden, das junge Ding, das sie mitgenommen hatten, für sich zu behalten. Doch das Mädchen hatte keine Anstalten gemacht, aufzuwachen, also wurde erst einmal die restliche Beute verteilt. Die Ausbeute war zwar nicht sonderlich groß gewesen, dennoch waren sie nicht unzufrieden mit dem Raubzug. Einer der Räuber hatte seinen Stammplatz direkt hinter dem Vorhang aus Wasser, der ihr Versteck vor den Blicken von Außen verbarg. Er hatte sich gerade mit überkreuzten Beinen an den Felsen gelehnt und sich den Hut ins Gesicht gezogen, als etwas durch den Wasserfall brach und ihm den Hut von Kopf riss. "Was war das denn?", fragte er erschreckt. "Wahrscheinlich irgendein Viech. Hau dich aufs Ohr und halt die Klappe, Mann.", maulte einer seiner Kameraden. Der Bandit sah sich noch einmal gründlich um, entdeckte aber nichts außer dem Schatten eines Vogels, der in die weiter hinten gelegenen Höhlen flatterte. Er zuckte die Schultern und begab sich wieder in seine Schlafposition.
 

Rean hatte mit seiner Jungfräulichkeit - von der er hoffte, dass sie ihm nicht so genommen werden würde, wie er befürchtete - ebenso wie mit seinem Leben abgeschlossen. Ihm war klar, dass er diese Höhle nicht mehr lebend verlassen würde. Er kniff fest die Augen zusammen, um nicht doch noch loszuheulen, denn diese Blöße würde er sich nicht geben, und wappnete sich gegen den Schmerz, der unweigerlich folgen musste. Er spürte bereits den Druck gegen seine Lenden. Dann passierte plötzlich alles auf einmal. Da war ein flatterndes Geräusch, dann das Ziehen einer Klinge. Darauf folgte ein Ratschen, begleitet von einem Gurgeln. Rean spürte eine klebrige Wärme auf seinem Körper und dann war das Gewicht des Räuberhauptmanns verschwunden. Er wagte es nicht, die Augen zu öffnen. Dann hörte er eine vertraute Stimme sagen: "Du hast Glück, dass es eilig war, sonst hätte ich dich genüsslich in kleine Streifen geschnitten, Drecksack."

Konnte es wahr sein? War er wirklich gekommen? Langsam öffnete Rean die Augen und blickte zur Seite. Die Gestalt, die da über dem Räuber stand und ihn in die Seite trat war ihm so vertraut wie sein eigenes Spiegelbild. Tharas.

Als hätte er den Blick seines Freundes gespürt, drehte sich der Zauberer um und ließ sich neben ihm nieder. Schnell befreite er ihn von seinen Fesseln und dem Knebel. "Alles in Ordnung?", fragte er. Rean konnte nicht mehr an sich halten und ließ seinen Tränen freien Lauf. Er warf sich in die Arme seines großen Freundes und benetzte ihn mit einer Mischung aus Blut und Tränen. Tharas zog ihn fest an sich und wiegte ihn wie ein kleines Kind. "Sscht. Ist ja gut, Rean.", flüsterte er. "Ich bin da. Jetzt kann dir keiner mehr wehtun. Ich werde dich beschützen." So saßen sie eine Weile, bis keine Tränen mehr in dem Jungen waren und nur noch ein trockenes Schluchzen kam. "Geht's wieder?", fragte Tharas besorgt.

"Kalt.", murmelte Rean zwischen ein paar Schluchzern. Tharas hatte Mühe, ihn zu verstehen, doch dann sah er von selbst, dass der Junge ja halbnackt auf dem kalten Höhlenboden saß. Schnell fischte er Reans Hosen her und gab sie ihm. "Besser, du ziehst dich wieder an. Wir müssen immer noch hier raus.", sagte er. Rean nickte und schlüpfte wieder in seine Beinkleider und Stiefel. "Wie hast du mich eigentlich gefunden?", fragte er. "Später.", erklärte Tharas. "Da draußen sind immer noch sechs von der Sorte. An denen müssen wir erst mal vorbei. Dann erklär ich dir alles, ja?"

"Ist gut" sagte Rean leise. Seine Knie waren weich und er fühlte sich völlig zerschlagen, dennoch wollte er jetzt keine Schwäche zeigen und nickte tapfer, als Tharas ihn fragte, ob er laufen könne.
 

"Zuerst, " sagte Tharas, als sie die Höhle hinter sich ließen und in den felsigen Gang davor eintraten, "müssen wir unsere Waffen wieder finden. Ohne die könnte es schwierig werden." Also suchten sie in allen abzweigenden Kammern und fanden schließlich, was sie suchten, zusammen mit ihren Vorräten und ihren restlichen Habseligkeiten, wobei die Nahrungsmittel bereits weniger geworden waren.

"Verfluchte Bastarde. Fressen einfach unsere Vorräte auf. Na ja. Dann muss ich halt doch mal zwischendurch jagen.", stellte Tharas fest. Er lud sich ihre Taschen auf den Rücken und sie machten sich auf den Weg Richtung Haupthöhle. Kurz vor dem Durchgang hielt Tharas an und wandte sich zu Rean um. "Du bleibst hier.", bestimmte er und legte die Taschen ab.

Rean drückte sich an ihm vorbei und warf einen Blick auf die schlafenden Banditen. "Warum? Die schlafen doch. Wir könnten uns einfach davon schleichen.", schlug er vor.

"Klar. Wenn die raus finden, dass du weg bist zusammen mit ihrer komplette Beute, nicht zu vergessen, dass wir ihren Hauptmann getötet haben, dann werden sie uns bestimmt verfolgen. Außerdem kommen noch mehr Reisende durch diese Wälder. Jetzt haben wir die Gelegenheit, ein für alle Mal ein Ende zu machen. Ich finde, die sollten wir nutzen."

"Verstehe. Gut. Ich pass' so lange auf unsere Sachen auf."

"Guter Junge. Dann werd' ich sie mal aufwecken.", sagte Tharas und wandte sich wieder der Höhle zu, doch Rean hielt ihn zurück.

"Du willst sie echt aufwecken? Bist du verrückt? Dann steht einer gegen sechs. Das ist Wahnsinn."

"Mach dir mal keine Sorgen. Die haben meinen Freund entführt und mein Pferd geklaut. Jetzt bin ich wirklich sauer. Außerdem ist es unfair, seine Gegner im Schlaf zu besiegen, meinst du nicht?"

"Viel Glück.", meinte Rean skeptisch.

"Wirklich, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Mit denen werde ich spielend fertig. Vertrau mir." Dann trat er in die Haupthöhle und ließ einen Kriegsschrei los, von dem Rean die Haare zu Berge standen.
 

Augenblicklich waren die Banditen auf den Beinen. Rean hörte das Ziehen von Waffen, dann das Aufeinandertreffen von Klingen. Eigentlich hatte er keine Lust, zuzusehen, wie sein Freund zu Hackfleisch verarbeitet wurde, doch die Faszination und die Neugier, Tharas einmal in Aktion zu erleben waren einfach stärker. Als er vorsichtig um die Ecke lugte, lagen bereits drei Feinde niedergestreckt auf dem Boden. Tharas hatte sich ein zweites Schwert verschafft und hielt zwei weitere Räuber in Schach. Sein Gesicht leuchtete förmlich vor Kampfeifer. Einer wollte von hinten angreifen, doch der Prinz versetzte ihm einen gekonnten Tritt in weichere Regionen, woraufhin der Bandit in die Knie sank. Mit einem Ausfallschritt brachte er einen seiner Gegner zu Fall, tauchte über ihm wieder auf und stieß ihm eines der Schwerter zwischen die Schulterblätter. In einer fließenden Bewegung fuhr er herum und erledigte den zweiten mit einem Streich. Der Mann, den er mit einem Tritt vorerst außer Gefecht gesetzt hatte, hatte sich wieder erholt und wollte ihn wieder von hinten überwältigen, doch Tharas trat einfach einen Schritt zur Seite, stellte ihm ein Bein und der Räuber stolperte an ihm vorbei durch den Wasservorhang und stürzte hinab. Tharas begann, vor sich hin zu murmeln, während er dem Schrei seines Gegners lauschte: "Eins, zwei, drei, vier, fünf." *Plumps*. "Der steht nicht mehr auf. Waren das schon alle?" Dann zuckte er die Schultern, wischte sein Schwert an den Kleidern eines seiner Feinde ab und steckte es zurück in die Scheide. "War ja leicht.", meinte er.

"Das war toll.", sagte Rean atemlos, als er aus seinem Versteck zu seinem Freund trat.

"Einst hatte ich mir geschworen, nie einen Menschen zu töten…", sagte Tharas und drehte einen der Banditen auf den Rücken, um ihm ins Gesicht zu sehen. "… Beim ersten machst du dir noch Vorwürfe, doch dann tötest du wieder und irgendwann stellst du fest, dass es dir nichts mehr ausmacht. Ehe du dich versiehst, bist du zum eiskalten Mörder geworden."

Der Rausch des Blutes hatte ihn verlassen und er wirkte auf Rean zum ersten Mal verletzlich. "Du hast es getan, um mich und andere, die du nicht einmal kennst, zu retten" sagte er.

Tharas lächelte traurig. "Und du meinst, das rechtfertigt es, ja?"

"Du hattest keine andere Wahl. Ich weiß, du würdest nie einen Unschuldigen töten oder einfach nur aus Lust am Töten selbst, und das ist es, was dich von einem eiskalten Mörder unterscheidet."

Tharas sah Rean mit seinen unergründlichen grünen Augen fest an. "Versprich mir, " sagte er, "dass du deine Hände niemals mit Blut beschmutzen wirst."

"Das kann ich dir nicht versprechen. Unser Weg ist noch weit und wir wissen beide nicht, was auf uns zukommt. Eines Tages werde ich vielleicht doch töten müssen."

"Wir müssen gehen.", meinte Tharas nachdem er noch einen Augenblick lang nachdenklich geschwiegen hatte. Dann erhob er sich und sie verließen die Höhle durch einen Gang, der seitlich des Wasserfalls hinabführte. Unten angekommen sah Rean, dass der Bandit, der aus der Höhle gefallen war von einem Felsen aufgespießt worden war. Schnell wandte er seinen Blick ab. In einer Senke unweit des Wasserfalls fanden sie ihre Pferde. Sie stiegen auf und verließen das Tal.

Kapitel 6 - Eine kurze Zeit der Ruhe

Kapitel 6

Eine kurze Zeit der Ruhe
 

Nach einer Weile erreichten sie einen kleinen Fluss und Rean überkam das dringende Bedürfnis, sich das getrocknete Blut abzuwaschen. Auch Tharas war nicht gerade sauber und so banden sie die Pferde an einen Baum, dessen Krone von einem Meer schneeweißer Blüten verziert war und wateten in das eiskalte Wasser. Ihre schmutzigen Oberkleider ließen sie einfach am Ufer liegen. Das Wasser stach wie tausend Nadeln auf der Haut, doch für Rean war es eine Erleichterung, den Schmutz in roten Linien im Wasser davon treiben zu sehen. Doch irgendwie fühlte er sich immer noch schmutzig.

"Es geht nicht ab…", murmelte er.

Tharas horchte auf. "Was meinst du?", fragte er.

"Das Blut, der Schmutz. Es geht einfach nicht ab."

Selbstvorwürfe überkamen den Prinzen von Arc. Er näherte sich seinem Freund und legte von hinten seine Arme um ihn. "Es tut mir Leid, Rean. Ich hätte da sein müssen. Warum bin ich nur eingeschlafen? Es tut mir so Leid."

"Es ist nicht deine Schuld.", sagte Rean und lehnte seinen Kopf an Tharas Schulter. "Ich hätte besser aufpassen müssen. Ich glaube, ich bin der mieseste Wachposten aller Zeiten." Er schloss die Augen und genoss das Gefühl des Geborgenseins, das von seinem Freund ausging.

Plötzlich waren sich ihre Lippen sehr nahe. Tharas wusste, es war nur ein ganz kurzes Stück, nur ein ganz kurzes… Langsam senkte er seinen Kopf.

Da zuckte Rean zusammen und stöhnte leise auf. Tharas hatte ihn ein wenig zu fest an sich gedrückt und ihm seine Wunden und Prellungen wieder schmerzhaft ins Gedächtnis gerufen.

"Oh, tut mir Leid…", stammelte er. "Ich hatte ganz vergessen, dass du verletzt bist."

"Schon gut.", sagte Rean mit zusammengebissenen Zähnen. "Ich werd's überleben."

"Bist du dir sauber genug?", fragte Tharas.

"Ja, ich denke schon."

"Gut, dann komm raus aus dem Wasser. Es wird Zeit, dass ich den Schaden begutachte."

"Was soll das denn heißen?", fragte Rean entsetzt.

"Ich will sehen, was du für Verletzungen hast. Nachdem ich genug Heilkräuter und dergleichen dabei habe, dürfte es kein Problem sein, sie zu versorgen. Allerdings muss ich erst wissen, wie schlimm es ist."

Rean schluckte hart. "Wenn's sein muss.", räumte er schließlich ein.

"Muss es.", antwortete Tharas knapp und sie verließen das Wasser.
 

In der Sonne trockneten sie rasch. Tharas schlüpfte in frische Kleider und besah sich dann Reans Verletzungen. Die schlimmsten waren die Striemen der Fesseln und die Platzwunde im Gesicht. Die Prellungen waren nicht sehr schlimm, würden aber größtenteils von selbst heilen müssen. Den Rest desinfizierte er und rieb die betreffenden Stellen mit Salbe ein. Seine Berührungen verursachten ein merkwürdiges Kribbeln auf Reans Haut.

"Gut", meinte er. "Und jetzt da unten" und deutete auf Reans Unterleib.

"Was? Nie im Leben, oh nein!", protestierte der Junge, doch ehe er sich versah, hatte Tharas ihn auf eine Decke komplimentiert und beugte sich über ihn.

"Du brauchst keine Angst zu haben.", beruhigte er ihn. "Aber ich muss wissen, was er mit dir angestellt hat."

"Nichts.", sagte Rean und wandte verschämt seinen Blick ab.

"Davon will ich mir lieber selbst ein Bild machen.", bestimmte sein Freund.

"Also gut. Aber wehe, du bist nicht sanft."

"Bin ich doch immer.", lächelte Tharas und Rean öffnete widerstrebend die Beine. An den Innenseiten seiner Oberschenkel waren die schlimmsten Hämatome. Anscheinend war er wirklich im allerletzten Moment gekommen. Tharas holte einen Salbetiegel heraus und rieb vorsichtig die Stellen ein.

Rean wurde plötzlich ganz schwindlig und er stöhnte leise. Dann realisierte er, was er gerade getan hatte und schlug sich die Hände vor den Mund.

"Entschuldige bitte, wenn es wehtut. Es ist gleich vorbei.", beruhigte ihn sein großer Freund, welcher das Stöhnen völlig falsch aufgefasst hatte.

Nein, weh tat es nicht. Es war irgendwie angenehm. Tharas Hände waren sanft und warm und Rean war an diesen Stellen so unheimlich empfindlich. Und dann passierte es. Ruckartig rollte er sich auf den Bauch, um das Ergebnis seiner Empfindlichkeit zu verbergen.

"Was ist denn plötzlich in dich gefahren?", fragte Tharas irritiert.

"Geh weg, lass mich in Ruhe.", giftete Rean. "Das ist alles deine Schuld."

"Ich verstehe nicht, was du…" Doch dann fiel ihm das rote Gesicht unter den hellbraunen Ponyfransen auf. Schlagartig begriff er, was mit dem Kleinen los war. "Äähm, tja… Also, keine Angst, das ist in deinem Alter ganz normal, weißt du. Und wenn es dann auch noch so empfindliche Stellen sind, an denen du berührt wirst… Aber du brauchst dich deswegen doch nicht zu schämen."

"Tu ich aber!"

Tharas räusperte sich. "Gut. Ich dreh mich um, und du gehst dich im Wasser abkühlen, einverstanden?"

"Und du schaust wirklich nicht hin?", fragte Rean misstrauisch.

"Ehrenwort. Obwohl ich dir bestimmt nichts wegkucken würde." Damit drehte er sich um und Rean marschierte eiligst zum Fluss zurück, um sein Problem verschwinden zu lassen.
 

Nachdem er sich abgekühlt hatte, kam Rean zurück und holte sich frische Kleider aus seiner Tasche. Allerdings hatte er nur noch ziemlich warme Kleidung einstecken und die Sonne wurde von Tag zu Tag stärker. Missmutig betrachtete er seine dreckigen Klamotten. "Die werden wir wohl nicht mehr sauber kriegen.", meinte er.

Tharas verschränkte die Arme vor der Brust und grübelte. "Es gibt da vielleicht einen Zauber, mit dem es funktionieren könnte…", sagte er schließlich.

"Echt? Das wäre der perfekte Haushaltszauber. Was ist das? Ein magisches Stück Seife oder so?", fragte Rean scherzhaft.

"Nein, nichts so banales. Ich weiß nur nicht, ob es bei totem Material funktioniert.", sinnierte Tharas.

"Totes Material? Jetzt versteh ich gar nichts mehr.", sagte Rean verwirrt.

"Na ja, es ist eigentlich ein Spruch der verbotenen schwarzen Magie weil er, richtig angewendet, sehr grausam ist. Man kann damit seinem Gegner das Blut entziehen und gegebenenfalls in sich selbst aufnehmen. Äußerst effektiv, sieht aber nicht sehr schön aus. Ich hab's bisher nur mit Ratten versucht. Allerdings ist Rattenblut ziemlich eklig und ich hab's nie aufgenommen. Vielleicht ist das Blut zu trocken oder die Fasern des Hemds geben es nicht her, aber einen Versuch wäre es wert."

Rean kicherte. "Wenn das funktioniert, dann will ich der König der Elfen sein. Aber versuch's ruhig."

Tharas konzentrierte sich auf die blutgetränkten Klamotten und sprach in Gedanken die Formel. Zuerst sah es aus, als würde sich nichts tun, doch dann plötzlich…

"Es klappt!", rief Rean. "Tharas, das Blut ist weg!"

Tharas war total fassungslos. "Ich glaub, mich knutscht ein Drache! Es hat echt geklappt? So was Dämliches. Wenn das der Alte mitkriegt, werd' ich gelyncht."

"Meine Mutter wäre bestimmt froh, diesen Zauber zu haben. Du bist ein Genie, Tharas" strahlte Rean. "Den Rest kriegen wir mit Wasser raus."

"Alles klar, Euere Majestät, König Oberon, Herr der Elfen. Dann viel Spaß dabei." Er ließ sich völlig geschockt auf seine Decke plumpsen und starrte fassungslos sein Werk an.

"Du, Tharas?", fragte Rean neugierig.

"Ja?"

"Wo ist das Blut hin?"

"Oh, warte. Ich zeig's dir." Er stand auf und ging zu dem Baum, an den sie die Pferde gebunden hatten. Er blickte hinauf zu den weißen Blüten und umrundete ihn langsam. Schließlich hatte er gefunden, wonach er gesucht hatte und fischte einen der unteren Äste herunter. Von dem riss er einen kleinen Zweig ab und zeigte ihn Rean. Dieser erkannte sofort, dass eine einzige Blüte rosa geworden war.

"Wie ist das möglich?", fragte er staunend.

"Ich hab das Blut an das nächste Lebewesen weitergegeben, das mir in den Sinn gekommen ist. Im Hinblick auf deinen Schimmel und meinen Rappen habe ich mir gedacht, es sieht ziemlich doof aus, wenn die Pferde plötzlich rosa Flecken haben, deshalb hab ich den Baum genommen."

"Ach so. Aber müsste es dann nicht mehr rosa Blüten geben?"

"Nein. Die Menge war sehr gering. Es war nur genug für eine einzige Blüte am ganzen Baum."

"Sie ist schön. Kannst du sie irgendwie haltbar machen? Ich würde den Zweig gerne als Andenken mitnehmen."

"Kein Problem." Er sprach einen kurzen Zauber. "Dieser Zweig wird jetzt niemals mehr welken. Ich glaube, das müsste derselbe Zauber sein, den mein Vater auf meine Mutter anwendet" meinte er nachdenklich.

"Wirklich? Dann macht er ihn echt gut. Deine Mutter sieht für ihr Alter nämlich noch verdammt gut aus."

Tharas grinste. "Ich würde zu gerne wissen, wer von den beiden sich mehr freut, das zu hören." Sie mussten beide bei der Vorstellung lachen.
 

In Anbetracht der Tatsache, dass Rean nicht wirklich in der Lage war, längere Strecken zu reiten und ihm auch so jeder Schritt wehtat, entschieden sie sich, erst einmal an dem Fluss zu bleiben, auch wenn sie das in ihrem Zeitplan um einiges zurückwarf.
 

Als die Nacht anbrach, entfachten sie ein kleines Feuer und verzehrten in dessen Schein eine kleine Mahlzeit. Sie plauderten dabei über ganz belanglose Dinge und Rean erweckte äußerlich den Anschein, als wäre nie etwas geschehen, doch Tharas war klar, dass er innerlich aufgewühlt war und dass ihn die vergangenen Ereignisse nicht so schnell loslassen würden.
 

Schließlich legten sie sich zum Schlafen hin. Tharas war noch nicht müde, wollte Rean aber nicht um seine Ruhe bringen. So beobachtete er ihn einfach ein wenig. Der Junge hatte sich so fest in eine Decke gewickelt, dass nur noch ein kleiner Schopf brauner Haare herausschaute und kehrte ihm den Rücken zu. Plötzlich fiel ihm auf, dass die Decke heftig zitterte.

"Rean?", fragte er leise.

"Was ist?", kam es aus dem Deckenhaufen zurück.

"Ist dir kalt? Du zitterst wie Espenlaub."

"Nein, alles in Ordnung."

/Schon klar, und morgen ist Neujahr/, dachte Tharas, also sagte er: "Sag mal, vertraust du mir eigentlich?"

Rean drehte sich zu ihm um und sah ihn mit seinen dunkelblauen Augen verwundert an. "Natürlich vertraue ich dir. Wieso fragst du?"

Zur Antwort hob Tharas seine eigene Decke ein Stück an. "Wenn du willst, " sagte er, "dann kannst du bei mir schlafen."

"Und das würde dich nicht stören?", fragte Rean unsicher.

"Sonst würde ich es dir nicht anbieten, oder?"

Der Junge sah ihn noch einen Moment lang unsicher an, kam aber dann langsam zu ihm herüber. Dann kroch er zu ihm unter die Decke und kuschelte sich an ihn. "Du darfst ruhig den Arm um mich legen, wenn du nicht weißt, wohin damit.", sagte er. Als er Tharas Zögern bemerkte, nahm er behutsam dessen Arm und legte ihn um sich. Die Wärme, die von seinem Freund ausging und das Klopfen seines Herzens, das Rean schwach wahrnahm, gaben ihm das Gefühl, vollkommen geborgen zu sein. Augenblicklich war er eingeschlafen. Tharas wünschte, das auch von sich behaupten zu können. Unbewusst zog er seinen kleinen Freund fester an sich. Sein Haar duftete so gut. Irgendwie süß und frisch. Nach Rean eben. Nach schier endlosem Grübeln überkam auch ihn die Müdigkeit und er schlief ein.
 

Als er am nächsten Morgen erwachte, lag Rean immer noch eng an ihn geschmiegt und friedlich schlafend an seiner Seite. Die Morgensonne brachte sein Gesicht sanft zum Leuchten. Für Tharas war das einer der schönsten Momente seit langem. Eine Weile lag er reglos da und genoss die Vertrautheit zwischen ihnen. Plötzlich regte sich der Junge sacht und öffnete langsam die Augen. Zuerst blickte er etwas verwirrt drein, doch dann lächelte er. "Guten Morgen.", sagte er leise.

"Guten Morgen, Schlafmütze.", antwortete Tharas. "Gut geschlafen?"

"Ja. So gut wie schon lange nicht mehr.", antwortete Rean und setzte sich mit einem Ruck auf. "Wird ein schöner Tag heute.", stellte er fest.

"Du hattest gar keine Alpträume heute Nacht.", bemerkte Tharas.

"Stimmt. Ich könnte mich zumindest nicht daran erinnern. Muss an deiner Gegenwart gelegen haben.", überlegte der Junge und legte den Kopf schief.

"Verrätst du mir jetzt, wovon du immer geträumt hast?"

Rean wurde rot. "Ich sag's dir. Aber du darfst es nicht irgendwie falsch verstehen…"

"So schlimm?", fragte Tharas und seine Neugier stieg. Endlich würde er den Grund für seine ganzen Sorgen der letzten Zeit erfahren.

"Ja. Also, ich habe geträumt, dass wir beide und dein Vater bei mir zu Hause sind, um den Basilisken zu bekämpfen. Wir stehen alle drei um das Loch im Marktplatz herum und warten, dass das Vieh rauskommt. Dann sagt dein Vater: "Achtung, es ist soweit." Dann kommt der Basilisk raus und, na ja, ich weiß ja nicht einmal, wie so ein Basilisk aussieht, aber…" Er zögerte.

"Aber?"

"Na ja, er sieht einfach grässlich aus. So richtig zum Fürchten. Der erste, den er angreift, bist du. Ich will dir helfen, aber ich komme zu spät." Er schniefte. "Weißt du, ich träume jede Nacht davon, dass der Basilisk dich tötet." Er schaute Tharas schüchtern an. Dieser überlegte einen Augenblick, doch dann lächelte er und wuschelte Rean durchs Haar. "Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. So einfach lass' ich mich nicht töten, schon gar nicht von so einer blöden Schlange. Aber es wundert mich schon etwas, dass du so besorgt um mich bist. Anscheinend vertraust du mir doch nicht so ganz, was?"

"Aber du bist mir doch der liebste Mensch auf der Welt und dich zu verlieren wäre das Schlimmste, das mir passieren könnte.", gestand Rean und wurde sofort wieder rot. Tharas stutzte. Dann berührte er sanft Reans Wange. "Du musst dir wirklich keine Sorgen machen. Mir wird nichts passieren. Ich würde dich doch niemals allein lassen." In Gedanken fügte er hinzu: /Dazu liebe ich dich zu sehr./ Ihre Blicke trafen sich und Tharas bemerkte, wie sich sein Gesicht schon wieder Reans näherte. Doch noch bevor er ihm zu nahe kommen konnte, hatte Rean sich aufgerappelt und verkündete: "So, nachdem das geklärt ist, mach ich jetzt Frühstück." (Haha, habt wohl gedacht, jetzt passiert's, was? Pustekuchen! *ätsch* d. Aut.)

Nachdem sie gefrühstückt und sich gewaschen hatten, untersuchte Tharas erneut Reans Verletzungen, stellte aber fest, dass sie noch nicht wirklich besser waren.
 

Am Abend hörte er zum ersten Mal wieder etwas von seinem Vater.

"Na, alles in Ordnung mit euch beiden?", meldete sich die vertraute Stimme in seinem Kopf.

"Geht so.", meinte Tharas und erzählte Llandon von den Ereignissen der letzten Tage.

"Aha" meinte dieser, nachdem sein Sohn geendet hatte. "Also bist du gerade rechtzeitig gekommen. Und wie geht es ihm jetzt?"

"Prima. Er erfreut sich bester Gesundheit, natürlich den Umständen entsprechend."

"Gut. Was zum Teufel war eigentlich in letzter Zeit los mit dir?", fragte er seinen Sohn.

"Eigentlich nichts weiter Schlimmes. Ich hab mir nur Sorgen gemacht, weil Rean so schlecht geschlafen hat."

"Und was noch?"

"Wie, was noch?"

"Na das war doch noch lange nicht alles. Nur Sorgen sind kein Grund, darüber nachzudenken, ob man je wieder nach Hause kommt oder nicht."

"Dir kann man nichts vormachen, oder?"

"Schwierig. Also?"

"Du weißt doch, was ich für ihn empfinde, oder?"

"Sicher, es ist kaum zu übersehen. Du bist bis über beide Ohren in ihn verliebt."

"Ja. Und diese Tatsache hat mich, während ich oft wach gelegen habe zu der Überzeugung gebracht, dass ich ohne zu zögern mein Leben für ihn geben würde."

"Ich glaube, das ist ganz normal wenn man verliebt ist. Ich würde das gleiche für deine Mutter tun."

"Apropos. Wie steht's eigentlich mit dir und Mutter?", wechselte Tharas das Thema.

"Oh, gut. Ich darf wieder im Ehebett schlafen. Allerdings hat sie seit neuestem immer Kopfschmerzen, wenn ich etwas näher komme, dabei war sie früher nie krank. Versteh einer die Frauen. Da hast du's gut. Du bist in einen Mann… Hoppla. Entschuldige. Das war sehr unsensibel."

"Schon gut. Es ist immerhin ein Anfang, dass du wieder bei ihr schlafen darfst, nicht wahr? Ich meld' mich bei Gelegenheit wieder bei dir. Gute Nacht, Vater."

"Gute Nacht, Junge. Drück mir die Daumen."
 

Und dann wurde Rean krank. Tharas hatte es schon befürchtet, und er hatte Recht behalten. Der Junge hatte sich dank des kalten Höhlenbodens erkältet. Zwar waren seine Prellungen wieder einigermaßen verheilt und sie hätten weiterreisen können, doch die Erkältung machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Der Prinz von Arc pflegte seinen kleinen Patienten liebevoll und machte sich keine weiteren Sorgen, denn ein Schnupfen ging schnell vorbei. Doch dann kam das Fieber.
 

Rean träumte. In seinem Traum war er wieder dreizehn Jahre alt. Er hatte Geburtstag und war schon ganz aufgeregt, denn sein bester Freund wollte kommen und mit ihm feiern. Vergnügt hüpfte er über den Hof und hinüber zu den Ställen. Dort hörte er die Stimmen seiner Brüder, die miteinander diskutierten.

"Schon wieder einer, der es auf Rean abgesehen hatte. Ich hab diese Perversen, vor denen wir ihn ständig beschützen müssen langsam satt. Außerdem sollte er sich mittlerweile selbst schützen können.", sagte Feorin.

"Aber Feorin, er ist noch ein Kind. Außerdem: Schau ihn dir an. Er ist klein und schmächtig. Sogar ein ganz leichtes Schwert ist ihm zu schwer. Er kann sich nicht selbst verteidigen.", antwortete Fegowan.

"Du hast ja Recht. Aber irgendwann wird er es schaffen müssen. Wir können nicht ewig für ihn da sein. Ach, wenn er doch nur ein Mädchen geworden wäre, dann wäre es mir eine Ehre, seine Tugend zu verteidigen. So ist es einfach nur eine Schande."

"Du wirst es nicht glauben, aber wenn ich ihn ansehe, dann denke ich oft, dass er eines ist, nur in Jungenkleidern. Das macht es mir leichter, mir vorzustellen, dass wir unsere "Schwester" verteidigen."

Rean stand ganz still. Für seine Brüder war er also eine Schande. Ein Mädchen in Jungenkleidern. Das war einfach ungerecht. Er konnte doch nichts dafür, dass er so war, wie er war. Tränen stiegen in seine Augen, doch er schluckte sie hinunter. So schnell wie er konnte lief er in den kleinen Garten hinter dem Festsaal, dort, wo er und Tharas Freundschaft geschlossen hatten. Wenn er doch nur schon hier wäre. Für Tharas war er keine Schande. Er mochte ihn so, wie er war. Atemlos kam er in dem Garten an und lehnte sich an den Stamm des Kirschbaums, der jetzt rote Früchte trug. So, ein Mädchen war er also. In einem Anflug von Zorn zog er das kleine Messer, das er immer bei sich trug aus der Schneide und begann, sich die langen Haare abzuschneiden. Erst als er die letzte lange Strähne zu Boden fallen sah, erkannte er, was er da gemacht hatte. Aber jetzt würde er wenigstens nicht mehr wie ein Mädchen aussehen. Nun konnte er die Tränen nicht mehr zurückhalten und er begann, zu weinen.

"Komisch.", sagte eine Stimme hinter ihm. "Immer, wenn ich dich an diesem Baum sehe, weinst du."

Rean fuhr herum. "Tharas!", rief er. Dieser breitete seine Arme aus und der junge Prinz flog förmlich hinein. Er schluchzte hemmungslos.

"Wieder deine Brüder?", mutmaßte der junge Mann. Rean nickte.

"Sie sagen, " flüsterte er, "dass ich eine Schande bin und dass sie mich nicht mehr beschützen wollen."

"Hör mal, Rean…", sagte Tharas und legte die Hand unter Reans Kinn, damit der Junge ihm in die Augen sehen musste, "wir sehen uns zwar nur selten, aber wenn ich bei dir bin, dann wäre es mir eine Ehre, wenn ich dich beschützen dürfte."

"Ehrlich?", fragte Rean.

"Ganz ehrlich. Ich schwöre dir, dass ich dich, komme, was da wolle, beschützen werde. Wir sind doch Freunde, oder?"

Rean nickte. Dann fiel er Tharas um den Hals und drückte ihn fest an sich. "Ich liebe dich.", sagte er leise.

"Ich dich auch.", antwortete Tharas und erwiderte die Umarmung. "Was hast du eigentlich mit deinen Haaren gemacht?", fragte er plötzlich.
 

Der Traum entglitt Rean und er wachte auf. Über ihm stand der Mond inmitten unzähliger Sterne.

"Oh, entschuldige. Hab ich dich geweckt?", fragte Tharas leise. In der Hand hielt er ein sauberes, mit kaltem Wasser getränktes Tuch, um Reans Stirn zu kühlen. Rean schüttelte den Kopf. "Nein" sagte er. "Ich wäre auch so aufgewacht."

"Gut.", meinte Tharas und fühlte Reans Temperatur. "Sieht so aus, als würde das Fieber langsam fallen.", stellte er fest.

"Tharas?"

"Was denn?"

"Ich hab von dem Tag geträumt, als du mir geschworen hast, dass du mich beschützen willst."

"Tatsächlich? Daran kann ich mich gar nicht erinnern.", überlegte Tharas und legte die Stirn in Falten.

"Ich hab dir damals gesagt, dass ich dich liebe…"

"Ach ja, richtig. Von was man nicht alles träumt, was?"

"Ich hab das damals ernst gemeint."

In Tharas keimte Hoffnung auf. Wenn er ihn damals geliebt hatte, dann könnte er das doch heute immer noch tun. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, welches Rean nicht entging.

"Warum lächelst du?", fragte er mit skeptischem Blick.

"Ach, wegen gar nichts. Schlaf noch ein wenig. Wenn deine Heilung weiter so gut voranschreitet, können wir in ein paar Tagen aufbrechen."

Und so war es dann auch.

Kapitel 7 - Über die Berge

Achtung, es kommt ein neuer Chara dazu. Meine "Quotenfrau", wenn ihr so wollt. Ich wünsch viel Spaß beim Lesen, auch denen, die das hier lesen aber keine Kommis da lassen (Minuskollegen :P).
 

Kapitel 7

Über die Berge
 

Langsam aber sicher wurden die Wege steiler und das Gebiet felsiger. Die Luft um sie herum wurde kühler und dünner, je mehr sie sich dem Pass näherten. Nach zwei Tagen Kletterei begann es leicht zu schneien.

Als der Schnee dichter zu fallen begann sagte Rean zweifelnd: "Es wird immer schwieriger voranzukommen. Halten die Pferde das aus?"

"Die schon. Sie sind stark. Aber was ist mit dir?", gab Tharas zurück. "Alles in Ordnung?"

"Ja. Nur meine Nase fühlt sich an, als würde sie gleich abfallen."

"Da vorne ist eine Nische. Da machen wir eine kurze Pause."

Bei der Nische angekommen stiegen sie ab und kauerten sich in deren Windschutz zusammen.

"Sag mal…", meinte Rean in dem Versuch, ein Gespräch in Gang zu bringen, "Du hast mir immer noch nicht erzählt, wie du mich eigentlich damals, als mich die Räuber entführt haben, gefunden hast."

"Nun, " erklärte Tharas, "es war nicht ganz einfach, das muss ich zugeben. Am Anfang konnte ich dank meiner scharfen Augen dem niedergetrampelten Gras und anderen Spuren folgen, aber dann dachte ich schon, ich hätte deine Spur verloren auf dem harten Steinboden. Ich hab also meine Flügel ausgebreitet, bin etwas höher geflogen und hab den Wasserfall entdeckt…"

"Moment.", wurde er unterbrochen. "Flügel?"

"Ja. Weißt du, wir Magier können uns beliebig in Tiere verwandeln."

"Echt? In alle möglichen Tiere?", fragte Rean begeistert und seine Augen leuchteten.

"Beinahe alle möglichen Tiere, aber jeder Magier hat seine Lieblingsgestalt und die übt er natürlich besonders."

"Und in was verwandelst du dich?"

"In einen Adler. War nicht ganz leicht, vor allem das mit dem fliegen lernen. Vater ist da etwas bodenständiger geblieben. Er verwandelt sich am liebsten in einen schwarzen Wolf."

"Toll. In was kannst du dich noch verwandeln?"

Tharas grinste. "In einen Hamster."

Rean musste lachen. "Im Ernst? Einen Hamster? Hätte es nicht etwas Stilvolleres sein können?" (Ja, ja, der gemeine deutsche Wildhamster *g*)

"Ja, im Ernst. Ein süßer, kleiner brauner Hamster. Allerdings war das meine erste Verwandlung. Du hättest sehen sollen, wie mein Vater gelacht hat. Er hat sich drei Wochen lang nicht mehr eingekriegt. Da hab ich mir gedacht: Dir zeig ich's. Und nach einigem Üben hab ich zumindest schon mal eine Katze geschafft. Damit war der Hamster Gott sei Dank vergessen."

"Das möchte ich auch gerne können.", meinte Rean schwärmerisch.

"Was, dich in einen Hamster verwandeln oder was?", fragte Tharas irritiert.

"Nein. Einfach so als Adler durch die Luft segeln, die Welt und damit alle Sorgen unter sich lassen…"

"Aha, aber du machst fast einen Aufstand, wenn du mit mir einen Tunnel raufschwebst.", sagte Tharas und rollte mit den Augen.

"Das ist was anderes.", erwiderte Rean trotzig.

"Warum? Fliegen ist doch fliegen egal wie, oder?"

"Aber ich möchte es aus eigener Kraft können und nicht, weil du mich festhältst."

"Es könnte passieren, dass du fällst…"

"Davor hab ich keine Angst weil ich glaube, du würdest mich auffangen, oder?"

Ein Lächeln huschte über Tharas Gesicht. "Sicher. Das würde ich."
 

Nach einer Weile brachen sie wieder auf. An diesem Tag kamen sie nicht mehr weit und suchten kurz nach Einbruch der Nacht Zuflucht unter einem Felsvorsprung. Es hatte aufgehört zu schneien und der Wind hatte deutlich nachgelassen.

"Ein Feuer wäre nicht übel.", äußerte Rean.

"Der Wind ist so gut wie verschwunden und würde das Feuer nicht löschen. Allerdings haben wir kein Brennholz.", bemerkte Tharas.

"Du kannst doch deine Hand anzünden.", schlug Rean vor.

"Autsch. Na danke. Außerdem würde das sowieso nichts bringen. Das Feuer in der Hand bringt nur etwas Licht aber keine Wärme. Ich werd' mich wohl verwandeln und etwas Holz sammeln müssen."

"Schaffst du das überhaupt, genug Holz für ein Feuer zu sammeln? Und vor allem musst du es ja auch transportieren.", meinte Rean skeptisch.

"Ich bin ein ziemlich großer Adler und hab enorme Klauen. Mach dir da mal keine Sorgen. Bleib du hier bei den Pferden und wart auf mich. Du kannst dich solange in meine Decke wickeln. Ich dürfte nicht lange brauchen."

Dann schloss er die Augen, konzentrierte sich und sprach seinen Zauber. Kurz darauf schoss ein großer Adler in die Lüfte. Rean hatte seine Größe tatsächlich unterschätzt. Der Adler zog noch ein paar Kreise und flog dann davon.
 

Rean tat wie ihm geheißen und schlang gleich zwei Decken um sich. Eine Weile saß er ganz still da und dachte nach. Was war Tharas eigentlich für ihn? Ein großer Bruder? Nein, mehr als das. Viel mehr. Aber was genau? Er wusste es nicht.
 

Plötzlich war da hinter ihm ein Geräusch. Erstaunt fuhr er herum. Es konnte unmöglich sein, dass Tharas schon zurück war. Dazu war die Zeit zu kurz gewesen. Gespannt saß er da und lauschte. Vor seinem Gesicht bildeten sich feine weiße Wolken. Da war es wieder. Ein Stampfen, diesmal in regelmäßigen Intervallen.

Die Pferde hörten es anscheinend auch und scheuten. Noch bevor Rean irgendetwas unternehmen konnte, hatte die Panik die Tiere befallen und sie rasten davon. "Bleibt gefälligst hier, ihr blöden Viecher!", rief Rean ihnen hinterher, doch sie waren schon zu weit weg und hätten ohnehin nicht auf ihn gehört. Nun war der Junge allein in der Dunkelheit, die nur vom gerade aufgehenden, halbrunden Mond beleuchtet wurde. Was sollte er tun? Langsam stieg die Panik auch in ihm auf. Tharas Beispiel folgend hatte er sich ein Messer in den Schaft seines Stiefels geschoben, doch würde ihm das in dieser Situation helfen können?

Das Geräusch kam immer näher. Rean hatte fast vollständig aufgehört zu atmen. /Tharas, wo bleibst du?/, dachte er bei sich. Dann sah er, was das Geräusch verursachte. Vor ihm erschien eine riesige Gestalt, die sich als schwarze Silhouette gegen den Nachthimmel abhob.

Eine Wolke schob sich vor den Mond und raubte kurzzeitig das Licht. Als er wieder zum Vorschein kam, schrie Rean vor Entsetzen auf. Vor ihm stand das scheußlichste Wesen, das er je gesehen hatte. Es war riesig, mindestens zwei fünfzig groß, gehüllt in etwas, das an Fell erinnerte, wohl aber auch größtenteils Haar war und in der Hand hielt es eine riesige Keule. Auf den Schultern saß ein unermesslich hässlicher Kopf mit riesiger, kartoffelartiger Nase und dicken Wülsten über den Augen. Dicke Lippen verzerrten sich zu einem grausigen Lächeln, als das Wesen sprach. "Futter.", sagte es laut und ließ dann ein dümmliches Lachen vernehmen.

Reans Beine waren wie festgefroren gewesen, doch jetzt kam Leben in sie. Wie der Blitz rannte er in die dem Wesen entgegen gesetzte Richtung um zu entkommen, doch er hörte hinter sich nur einige weitere stampfende Schritte und der Bergtroll, denn genau das war das Wesen, hatte ihn wieder eingeholt. Er packte ihn und hob ihn hoch. "Na, na. Wir wollen doch nicht weglaufen, kleiner Mensch.", sagte er und blickte den Jungen fast vorwurfsvoll an. Dann musterte er ihn mit seinen fiesen kleinen Augen. "Wirst einen guten Braten abgeben.", meinte er nachdenklich. "Bist jung und zart und saftig." Er leckte sich genießerisch über die Lippen. "Lecker, lecker." Dann machte er kehrt und schleppte Rean, den er über seine Schulter warf, zu seiner Höhle. Dieser trommelte noch eine Weile auf dem Rücken des Trolls herum und zappelte mit den Füßen, gab es aber schließlich auf als er bemerkte, dass seine Schläge an dem steinharten Rücken unbemerkt abprallten und er sich nur die eigenen Hände ruinierte.

/Na toll/, dachte er während er über der Schulter des Trolls hing und vor sich hin resignierte. /Entweder wollen sie mich fressen oder vergewaltigen. Ich weiß nicht, was von beidem schlimmer ist./
 

Tharas kam etwa eine Stunde später wieder zurück. Er erkannte sofort den Ernst der Lage. Keine Pferde, kein Rean, nur immense Spuren im nicht sehr hohen Schnee. Schnell ließ er das Holz einfach fallen und folgte ihnen. /Großartig. Jetzt muss ich ihn schon wieder retten. Na ja, was tut man nicht alles/, seufzte er und glitt wie ein Schatten durch die Nacht.
 

Es war kurz vor Mitternacht als der Troll den Eingang seiner Höhle erreichte. Zuerst kamen sie durch einen langen, mit spitzen Felsen gespickten Gang der schließlich in einer riesigen Höhle endete. Dort angekommen warf der Troll Rean in einen eisernen Käfig der von der Decke hing und wandte sich seiner Feuerstelle zu. Rean nutzte die Gelegenheit, sich umzusehen. Neben der Feuerstelle standen ein Tisch und ein Stuhl. In der Ecke rechts von sich erspähte etwas, das entfernt an ein Bett erinnerte. Auf der gegenüberliegenden Seite war ein Haufen Gerümpel, unter anderem ein Kessel, den der Troll nun holte.

"Muss nur kurz Wasser holen. Nicht weglaufen.", sagte er und grinste schief.

"Ganz bestimmt nicht.", sagte Rean süffisant.

"Na, nimmst du auch an der Feier teil?", fragte plötzlich eine sanfte, leise Stimme über ihm. Als er hoch blickte, sah er dort einen kleinen Käfig in dem ein kleines Wesen saß. Beim genaueren Hinsehen erkannte er es als eine Fee mit rotem, grob gewellten Haar und rosa schimmernden, glitzernden Flügeln. Sie war gehüllt in ein feines gelbes Kleid.

"Tja, " sagte Rean, "ich glaube, das Ding hat mich zum Essen eingeladen. Als Hauptgericht."

"Wie schön für dich. Wenigstens hast du's bald hinter dir. Ich sitz hier schon seit etwa einer Woche fest, aber ohne Sonnenlicht ist das schwer zu sagen.", erklärte die Fee und zuckte die Achseln.

"Super. Danke für dein Beileid, dass ich als Mahlzeit herhalten darf. Ich heiße übrigens Rean.", stellte sich der junge Prinz vor. "Und wie heißt du?"

"Soley, Blumenfee. Freut mich, dich kennen zu lernen, Rean."

"Ganz meinerseits. Warum hat er dich gefangen? Du siehst nicht so aus, als würdest du seinen Magen ausreichend füllen?", fragte Rean um sich abzulenken.

"Das ist 'ne längere Geschichte. Willst du sie hören?"

"Klar. Ich hab' Zeit. Wer weiß, wie lange noch."

"Also. Ich war unterwegs um mein Volk zu suchen. Als wir uns am Fuß der Berge aufhielten bin ich in einem Baum eingeschlafen und bis ich aufwachte, war das Schloss weg."

"Wie kann denn ein Schloss einfach weg sein?", fragte Rean überrascht.

"Es ist das Feenschloss, Mann. Das ist nie lange an einer Stelle. Es wechselt ständig seine Lage. Außerdem schwebt es über den Wolken um es vor den Menschen zu verbergen. Deswegen heißt es auch "das Schloss in den Wolken". Die Menschen haben es gebaut, es aber nach einem Krieg vor tausenden von Jahren verlassen. Die Feen haben es wieder schön gemacht und in die Luft erhoben. Aber wo war ich?

Ach ja, das Schloss war weg. Also hab ich beschlossen, zu meinen Verwandten, den Elfen, zu gehen, um sie um Rat zu fragen. Die wohnen allerdings auf der anderen Seite des Gebirges. Eines Nachts, ich will mir gerade einen Unterschlupf zum Schlafen suchen, da packt mich doch dieser blöde Troll an den Flügeln, reißt sie mir dabei halb 'raus und nimmt mich mit. "Hübsches Glitzerding.", sagt er noch und bleckt seine ekligen Zähne. Seitdem bin ich hier."

"Nicht sehr schön. Aber ich wette, Tharas kommt um mich zu retten und dann helfen wir dir, dein Volk zu suchen.", versprach Rean.

"Danke, das ist lieb von dir. Aber wer, bitte, ist Tharas?", fragte Soley.

"Er ist mein… bester Freund.", erklärte der Junge und errötete leicht.

"Ach so.", meinte Soley. "Na dann sollte er sich aber beeilen. Dickerchen kommt zurück."

In der Tat kam der Troll gerade wieder in die Höhle zurück. Der Kessel war nun gefüllt mit Wasser. Er wuchtete ihn über die Feuerstelle und ließ die Flammen auflodern.

"Warte nur, bis es kocht. Dann kannst du ein schönes heißes Bad nehmen, mein kleiner Leckerbissen.", sagte er und schaute Rean gierig an.

/Tharas, bitte komm ganz schnell/, betete der Junge.

Doch Tharas kam nicht. Als das Wasser zu kochen begann, kam der Troll und wollte Rean aus seinem Käfig holen…
 

Diesmal war Rean nicht so schwer zu finden gewesen. Die Trollhöhle war nicht zu übersehen. Der Gegner allerdings war schon etwas komplizierter. Tharas rief sein nicht sehr tiefes Wissen über Trolle ab und hoffte, dass es genügen würde. Dann glitt er lautlos in den Gang. Als er die Höhle erreichte, stand der Troll gerade vor einem Käfig und es war unschwer zu erkennen, wer in dem Käfig war. Schnell nahm Tharas wieder seine menschliche Gestalt an.

"Hey, Speckschwarte! Hier ist noch ein Leckerbissen für dich!", rief er.

"Tharas! Bist du komplett wahnsinnig geworden?", rief Rean entsetzt. Wollte sein Freund Selbstmord begehen?

"Futter!", donnerte der Troll und kam bedrohlich auf Tharas zu. Kurz bevor er ihn erreicht hatte, war dieser verschwunden.

"Wo bist du?", röhrte der Troll.

"Hier!", kam Tharas Stimme von weiter hinten im Gang.

"Na warte, dich krieg ich!"

Kaum war der Troll wieder nur noch einen Schritt von Tharas entfernt, als dieser erneut verschwand und ein Stück weiter hinten wieder auftauchte.

"Na los, streng dich an, Fettwanst!", höhnte er.

"Ich komm' schon und dann kannst du was erleben!", rief der Troll.

So ging das Spiel weiter. Einmal tauchte Tharas vor, dann wieder hinter dem Troll auf und jedes Mal, kurz bevor er ihn erreichen konnte, war der Magier verschwunden. Schließlich teleportierte er sich kurz vor den Ausgang. Er war völlig außer Atem. Mehrere Stunden hatte er so zugebracht. Jetzt war er am Ende mit seinen Kräften. Hoffentlich würde sein Plan aufgehen, denn länger würde er nicht mehr durchhalten. Durch den Höhleneingang fiel ein sanfter Lichtstrahl. Der Tag brach an.

Schnaufend und abgekämpft kam der Troll hinter ihm her.

"Ah, da bist du ja. Wirst du jetzt endlich mal stehen bleiben?", fragte er.

"Na komm doch her!", spottete Tharas. Noch ein letztes, ein einziges Mal wollte er teleportieren, doch kurz bevor der Troll ihn erreichte, ging es nicht mehr. Seine magische Kraft war völlig aufgezehrt.
 

Nun brach wieder der Kämpfer in ihm durch. Er hoffte, dass der Troll so handeln würde, wie er es erwartete. Schnell wie der Blitz hechtete er mit einem Sprung durch den Höhleneingang. Ein warmer Sonnenstrahl traf sein Gesicht. /Bitte komm mir nach/, betete er. Und sein Gebet wurde erhört. Kaum, dass der Troll seine Höhle verlassen hatte, dämmerte ihm sein Fehler. Er wollte umkehren, doch es war zu spät. Die Sonne traf ihn mit ihrer Helligkeit und der Troll erstarrte zu Stein.
 

Tharas rappelte sich hoch und zwängte sich an dem versteinerten Troll vorbei zurück in die Höhle um Rean zu befreien.

"Da bist du ja endlich! Ich dachte schon, du wolltest dich umbringen!", rief ihm sein kleiner Freund entgegen.

"Wie du siehst lebe ich noch, ganz im Gegensatz zu deinem Gastgeber. Oh Mann, ich wusste ja, dass Trolle dumm sind, aber der war ja ein ganz besonders dämliches Exemplar.", antwortete Tharas und lächelte Rean zu.

"Ich wusste, auf dich ist verlass. Holst du mich jetzt bitte hier runter?"

"Sicher. Muss nur kurz einen Moment ausruhen.", seufzte Tharas und holte tief Luft. Dann richtete er seine Konzentration auf die Käfigtür und öffnete sie mit Gedankenkraft.

"Spring.", forderte er Rean auf. "Ich fang dich auf."

Rean zögerte kurz, doch dann tat er, wie ihm geheißen. Er landete sicher in Tharas Armen.

"Danke für die Rettung.", sagte er.

"Gern geschehen.", gab Tharas zurück.

"Hey, ihr zwei Turteltäubchen, könntet ihr mich bitte auch rauslassen?", ließ sich Soleys Stimme von hoch oben vernehmen.

"Ach ja!", fiel es Rean plötzlich ein. "Kannst du bitte auch die Fee befreien?"

"Mit Feen hat man nichts als Ärger.", meckerte Tharas.

"Bitteee.", bettelte Rean und sah ihn mit großen Augen an.

"Na gut.", räumte Tharas ein und holte den Feenkäfig mit Gedankenkraft herunter. Als die Fee Tharas Gesicht erblickte, erbleichte sie und zog sich in die hinterste Ecke ihres Gefängnisses zurück. Als Tharas die Tür öffnete, fauchte sie: "Schwarzer Magier! Verschwinde, Llandon!"

Tharas hätte vor Schreck beinahe den Käfig fallen lassen.

"Das ist nicht Llandon.", versuchte Rean zu erklären. "Das ist mein Freund Tharas. Er ist Llandons Sohn."

"Noch schlimmer.", sagte Soley.

"Du musst wirklich keine Angst vor ihm haben.", beschwichtigte der Junge. "Tharas nutzt seine Kräfte für das Gute."

"Ich trau' ihm trotzdem nicht.", zischte Soley.

"Jetzt hör mal gut zu, du Nachtfalter.", schaltete sich jetzt auch Tharas ein. "Ich hab dich aus reiner Herzensgüte da runtergeholt." Sie räusperte sich. "Na gut, weil Rean mich darum gebeten hat, aber ich hab's getan. Ich hätte dich da oben auch verrotten lassen können. Also sei mal ein bisschen dankbar."

"Na gut, danke, dass du mich da runtergeholt hast." Damit krabbelte sie aus dem Käfig. "Aber mehr auch nicht. Du bist immer noch ein schwarzer Magier und ich werde mein bestes tun, um Rean vor dir zu beschützen."

"WAS?", rief Tharas und ließ nun endgültig den Käfig fallen. "DU willst IHN vor MIR beschützen? Das ich nicht lache! Der letzte, vor dem Rean Schutz benötigt, bin ich!"

"Deswegen solltest du trotzdem gut auf deinen Hintern aufpassen, weil ich dir ziemlich 'rein treten kann!"

"Hallo, Entschuldigung ihr zwei, aber wir sollten langsam gehen. Immerhin müssen wir auch noch die Pferde wieder einfangen.", bemerkte Rean.

"Hast Recht.", stimmte Tharas zu. "Also dann, auf Wiedersehen, Glühwürmchen."

"Ääh, Tharas.", sagte Rean schüchtern.

"Was?"

"Glühwürmchen wird uns begleiten."

"Oh nein, niemals. Nur über meine Leiche."

"Aber ich hab ihr versprochen, ihr zu helfen, ihr Volk zu suchen."

"Als ob wir nicht schon genug eigene Probleme hätten." Tharas rollte mit den Augen.

"Komm schon, jetzt stell dich nicht so an, großer Magier.", neckte Soley. "Oder hast du etwa Angst vor einer kleinen Blumenfee?"

"Nicht im Geringsten! Also gut. Dann kommt sie eben mit uns."
 

Also wurde Soley zur Dritten im Bunde. Nachdem sie die Pferde nach einigem Suchen gefunden und wieder eingefangen hatten, zogen sie weiter. Einige Tage später hatten sie das Gebirge hinter sich. Vor ihnen lagen die großen, undurchdringlichen Wälder von Argaye.

Kapitel 8 - In den Wald

Kapitel 8

In den Wald
 

Achtung: Ich habe es geschafft! Diesmal gibt es keine Rückzieher. Nein, keine Störung romantischer Situationen. Da sag ich nur: Einfach lesen und genießen.^-^
 

Tharas war nervös. Je näher sie den Wäldern der Elfen kamen, desto bewusster wurde er sich seiner eigenen Schwäche. Zwar waren seine magischen Kräfte groß, doch bei weitem nicht so hoch entwickelt wie die der Elfen.
 

Von dem Augenblick an, als sie nebeneinander in das Dickicht des Waldes geritten waren, fühlte er sich bedrückt und er glaubte, überall die Blicke feindlicher Augen zu spüren. Obwohl er noch so oft zwischen die Äste und Zweige der Bäume spähte, konnte er dort nichts erkennen als tanzende Schatten. Er wusste, dass die Elfen nicht sonderlich gut auf Angehörige der schwarzen Zunft zu sprechen waren und schon gar nicht auf seinen Vater, dessen Ebenbild er nun einmal war. Was würden sie mit ihm tun? Würden sie ihn überhaupt anhören? Was würde mit Rean geschehen, wenn sie getrennt wurden? Die Anspannung wurde immer größer je weiter sie ins Herz des Waldes vordrangen.
 

Soley saß auf Reans Schulter und musterte ihn unverhohlen.

"Was glotzt du so, Glühwürmchen?", fragte er mürrisch.

"Ich dachte gerade darüber nach, was meine liebe Verwandtschaft alles mit dir anstellt, wenn sie ebenso auf dich reagieren wie ich. Weißt du, irgendwie habe ich das Gefühl, dir geht’s da ganz ähnlich, Tharas." Ihr Gesicht war zwar auf den ersten Blick besorgt, doch Tharas entging das kleine spöttische Funkeln in ihren Augen nicht.

"Halt die Klappe. Es geht dich einen feuchten Dreck an, wie's mir geht. Außerdem trau' ich dir zu, dass du am allerwenigsten traurig wärst, wenn sie mir das Fell über die Ohren ziehen würden."

"Gib's zu: Du hast die Hosen gestrichen voll.", stichelte die Fee weiter.

"Rean, würdest du dem Flügelding auf deiner Schulter bitte von mir ausrichten, dass ich von nun an kein Wort mehr mit ihr reden werde und dass sie sich besser mit ihren völlig haltlosen und unerhört unhöflichen Vermutungen zurückhalten soll."

Rean verdrehte die Augen. "Oh, Tharas, nun komm schon. Das ist doch so was von kindisch. Du bist ein erwachsener Mann, also lass dich nicht von so einer frechen Fee aufziehen. Im Übrigen finde ich, dass sie gar nicht so Unrecht hat."

"Sag mal, auf wessen Seite stehst du überhaupt?", fragte Tharas gereizt.

"Auf niemandes Seite. Aber ganz ehrlich, du siehst schlecht aus seit wir den ersten Schritt in den Wald gemacht haben. So hast du auch ausgesehen, als ich dich damals gefragt habe, ob du mich begleitest. Was ist los?" Er blickte seinen Freund besorgt an.

Tharas schaffte es einfach nicht, dem Blick dieser faszinierenden blauen Augen auszuweichen. Schließlich antwortete er: "Also gut, ja, du hast Recht. Ich mache mir Sorgen. Wir haben die ersten Baumreihen vor Stunden passiert und noch immer ist kein Zeichen von den Bewohnern des Waldes zu sehen. Ich hatte mit wenigstens einem Wächter gerechnet, einer Falle oder einem Hinterhalt. Aber so gar nichts… das sieht den Elfen nicht ähnlich."

"Vielleicht wissen sie, dass wir ihnen nichts Böses wollen und erwarten uns?", vermutete Rean.

"Kann ich mir nicht vorstellen.", antwortete Tharas.

"Dann haben sie uns vielleicht noch gar nicht bemerkt?", überlegte der junge Prinz weiter.

"Auch das ist unwahrscheinlich. Fürst Aures bemerkt alles und jeden und wenn nur ein Blatt vom Baum fällt. Glaub mir, die wissen, dass wir da sind."

"Aber warum zeigen sie sich dann nicht?", fragte Rean verdutzt.

"Das gilt es herauszufinden.", erklärte sein großer Freund.
 

Ein leises Pfeifen wie von einem kleinen Vogel erklang hinter ihnen und Tharas fuhr erschrocken herum. Doch es war zu spät und in weniger als einem Atemzug war um sie herum die Hölle los. Wie aus dem Boden gewachsen oder aus den Bäumen gefallen waren sie plötzlich von dutzenden von Elfen umringt. Doch nicht nur das. Wie aus dem Nichts erschien zwischen ihnen eine undurchdringliche, hohe, grün belaubte Hecke. Sie waren getrennt.
 

Tharas riss sein Pferd herum, doch wie er sich auch drehte und wendete, er war gefangen. Die Elfen hatten ihre Bogen gespannt und zielten auf ihn. Kurz überlegte er, ob er einfach über sie hinwegsetzen sollte, doch er konnte den Gedanken nicht zu ende denken, denn plötzlich fiel aus einem Baum ein Netz aus verzauberten Seilen über ihn und lähmte ihn. Einer der Elfen löste sich aus dem Kreis seiner Kameraden und trat gelassenen Schrittes auf ihn zu.

"Es war sehr unvorsichtig von dir, einfach so hierher zu kommen, schwarzer Teufel. Aber jetzt hast du ein für alle mal ausgespielt.", sagte er mit ruhiger und eiskalter Stimme in der Sprache der Elfen, welcher Tharas, Dank seines Vaters, mächtig war. An seine Begleiter gewandt sagte er: "Holt ihn da runter. Der Fürst will Gericht über ihn halten."

Tharas wurde vom Pferd gehievt und mit einem Schlag betäubt. Das alles geschah innerhalb weniger Augenblicke.
 

Rean erwachte von einer kühlen Berührung auf seinem Gesicht. Er blinzelte vorsichtig und dachte, er wäre bei Tharas. Ein kleines Lächeln stahl sich über sein Gesicht. Doch plötzlich wurde ihm klar, dass sie von den Elfen überfallen und getrennt worden waren. Blitzartig fuhr er hoch, sodass der Elf, der neben ihm auf den Knien hockte, erschreckt zusammenfuhr.

"Habe ich dich geweckt, Menschenkind?", fragte er vorsichtig. "Es tut mir Leid. Ich wollte dich nicht erschrecken.", entschuldigte er sich.

Rean schaute die Gestalt neben sich fasziniert an. Sie war groß und zierlich und jede ihrer Bewegungen war so leicht und fließend wie Wasser. Langes hellblondes Haar fiel wie Seide über den Rücken bis zu den Hüften hinab und himmelblaue Augen schauten ihn besorgt an. Doch dann riss er sich zusammen und fragte endlich, was ihm auf der Seele brannte: "Wo sind Soley und Tharas?"

Der Elf blickte ihn verständnislos an. "Wenn du die Fee meinst, sie schläft, wie du gerade noch. Doch wen meinst du mit Tharas?"

"Den Mann, der bei mir war. Den großen, hübschen mit den langen schwarzen Haaren."

Verstehen erschien in den Augen seines Gegenübers. Dann ein sanftes Lächeln. Er versuchte, Rean mit sanfter Gewalt in die Kissen, auf denen der Junge bisher gelegen hatte, zurückzuschieben. Ein wenig tadelnd sagte er: "Es hat dich schlimmer erwischt, als ich dachte. Du stehst völlig in seinem Bann. Es ist eine Schande, dass er sich jetzt schon an jungen Männern vergreift, die noch fast Kinder sind."

"Wie meint Ihr das?", fragte Rean und wurde merklich lauter. Er wehrte sich gegen die Fürsorge des Elfen und stemmte sich wieder hoch.

"Oh je.", stöhnte der Elf. "Jetzt halt doch still, Menschenkind, dann erkläre ich es dir."

Rean gab seinen Widerstand zögernd auf.

"Na also, es geht doch.", meinte der Blonde mit einem Lächeln. "Also. Der schwarze Magier Llandon hat dich verzaubert. Er hat dich dazu gezwungen, ihm zu gehorchen. Wenn nicht sogar noch mehr, was nach den blauen Flecken an bestimmten Stellen nicht auszuschließen ist. Aber das ist jetzt vorbei. Wir haben dich gerettet. Du bist jetzt in Sicherheit."

"Seid Ihr verrückt?", fuhr Rean auf. Jetzt konnte ihn nicht einmal der Elf unten halten. "Das ist nicht Llandon! Das ist mein bester Freund Tharas, Llandons Sohn! Er ist unschuldig!"

Der Elf starrte ihn fassungslos an. "Sein Sohn?", murmelte er ungläubig. "Das kann nicht wahr sein. Wenn das stimmt, haben wir vielleicht ein Problem."

"Wieso?", fragte Rean. "Wo ist er?"

"Unten auf dem Dorfplatz. Dort wird er in wenigen Minuten hingerichtet."

"Nein, das dürft ihr nicht!", rief Rean und noch bevor sich sein Bewacher versah, war er aus der Tür gestürzt, durch die helles Sonnenlicht hereinflutete, welches ihn zuerst blendete, und fand sich auf einer Art Balkon wieder.
 

Von dort aus hatte er einen guten Blick über eine ganze Ansammlung von Häusern, insgesamt etwas über zwanzig, die dem, in dem er sich selbst gerade noch befunden hatte, nicht unähnlich waren. Sie alle waren auf Ästen und zwischen Astgabelungen von Bäumen, die um eine Lichtung herum standen, gebaut und mit weißer Farbe angemalt worden. Sie waren unterschiedlich groß, doch alle hatten sie Balkone mit kunstvoll geschnitzten Geländern und waren untereinander mit Brücken verbunden.
 

Doch Rean hatte keinen Sinn für ihre Schönheit. Sein Blick fiel nach unten auf den Dorfplatz. Dort kauerte Tharas mit auf den Rücken gefesselten Armen auf den Knien und blickte trotzig zu einem erhobenen Podest hinauf, auf dem eine Anzahl edler, ganz in weiß gekleideter Gestalten stand. Sein Gesicht wies eine Schramme und eine unschöne Beule am Haaransatz auf und seine Lippe blutete. Sein Zopf hatte sich aufgelöst und sein Haar floss wie eine schwarze Welle um sein Gesicht und über seinen Rücken hinab. Über ihm ragte bedrohlich eine große Gestalt mit einem Schwert auf. Rean begriff, dass er nicht mehr viel Zeit hatte. Der Henker hob auf ein Zeichen der imposantesten der Gestalten auf dem Podest hin das Schwert.

"Halt!", schrie Rean so laut er konnte.

Der Henker hielt sofort inne und alle Blicke richteten sich nun auf ihn.
 

Der Anführer der Elfen, den Tharas vorhin Aures genannt hatte, blickte ihn durchdringend an. Dann schweifte sein Blick von Rean ab und hin zu dem Elfen, in dessen Obhut der Junge gerade erwacht war.

"Was soll das?", fragte er in der Sprache der Menschen, wahrscheinlich, damit Rean ihn verstand. Er hatte eine angenehme, tiefe Stimme, die Rean ein wenig erschaudern ließ und die gut zu seinem Äußeren passte. Er hatte langes, weißes Haar, eine hohe Stirn, ein edles Gesicht mit gerader Nase, hohen Wangenknochen und dunkle, fast schwarze Augen und Augenbrauen.

"Verzeiht, Herr, ich konnte ihn nicht zurückhalten. Aber er sagt, dass das dort, " und er deutete auf Tharas, "gar nicht Llandon ist."

Die Augen des Fürsten richteten sich wieder auf Rean. "Stimmt das, Menschenkind? Wenn dem so ist, dann komm zu mir herüber und erkläre es mir." Er machte eine einladende Geste und Rean setzte sich automatisch in Bewegung, allerdings fand er keinen Weg hinab auf die Lichtung. Sein Bewacher zeigte ihm mit einem leichten Schmunzeln eine Leiter, auf der er hinuntersteigen konnte. So schnell er es vermochte, jedoch ohne zu rennen, ging er über die Lichtung zu dem Podest hinüber. Tharas Blick war beunruhigt, doch auch hoffnungsvoll. Rean beachtete ihn jedoch nicht. Vor dem Podest machte er eine höfische Verbeugung vor dem Herrn der Elfen und beugte dann das Knie. Anscheinend war der Fürst von dieser Geste beeindruckt, denn er sagte: "Erhebe dich, Menschenkind." Als Rean das getan hatte, schaute ihm der Fürst fest in die Augen und fuhr fort: "Nun, erzähle mir, was du zu sagen hast."

"Großer Herr der Elfen. Ich bin Rean von Eredrion, dritter Sohn des Königs Feorn und dieser Mann dort, " er wandte sich kurz zu Tharas um, "ist Tharas, Sohn König Llandons und Königin Liawens von Arc und Thronerbe des Königreichs. Er ist nicht der, für den Ihr ihn haltet und ihn hinzurichten wäre ein großer Fehler."

Aures sah ihn mit einer nicht zu deutenden Miene an. "Nun, das hat er uns auch erzählt, doch woher sollten wir wissen, ob es nicht eine weitere List von ihm ist? Doch auch, wenn er nicht Llandon ist, so ist er doch immer noch sein Sohn. Woher wissen wir, dass er nicht wie sein Vater das Bestreben hat, die Elfen zu vernichten? Vielleicht stehst auch du nur unter seinem Bann?"

"Ich stehe unter niemandes Bann, Herr. Doch kann ich Euch auch nicht beweisen, was ich sage. Alles was Ihr habt, ist das Wort eines Prinzen königlichen Geblüts. Ich hoffe, das genügt Euch."

"Nun, da du dich als Prinz und somit als Edelmann bezeichnest, dürfte es dir nicht schwer fallen, für diesen Mann zu bürgen, nicht wahr?", sagte Aures in ruhigem Ton, doch Tharas Blick war nun eindeutig alarmiert. "Rean.", sagte er mit heiserer Stimme.

"Jetzt nicht, Tharas.", sagte Rean ohne sich umzudrehen. In Gedanken fügte er hinzu: /Ich versuche hier gerade, dein Leben zu retten./ Mit fester Stimme sagte er zu Aures: "Herr der Elfen, ich bin bereit, Euch jeden Eid zu schwören, den Ihr von mir verlangt."

"Gut. Dann bürgst du also dafür, dass dieser Mann, den du Tharas nennst, kein Feind der Elfen ist?"

"Ja, dafür bürge ich.", bestätigte der Junge. Was war es, das er in diesem Moment in Aures Augen sah? Mitleid? Schließlich gab der Fürst dem Henker den Befehl, Tharas Fesseln zu lösen.
 

Rean atmete erleichtert auf. Seine Hände hatte er unbewusst zu Fäusten geballt. Er schloss kurz die Augen und drehte sich dann zu seinem Freund um. Dieser stand schwankend auf und rieb sich die Handgelenke, die jedoch nicht einmal wund gescheuert waren, wie Rean überrascht feststellte. Langsam ging er auf ihn zu und schob ihm eine dicke Strähne schwarzen Haars aus dem Gesicht.

"Alles in Ordnung?", fragte er besorgt.

"Du musst verrückt sein…", murmelte Tharas. Seine Stimme war schwach. Anscheinend hatten ihm die Elfen schlimmer zugesetzt, als Rean bisher angenommen hatte. In einem Anflug von Erleichterung und dem Wunsch, seinen Freund zu trösten, nahm Rean ihn in die Arme. Sofort hob unter den Elfen erstauntes Getuschel an, weshalb sich der Junge wieder von ihm löste. Dann lächelte er ihn strahlend an. "Weißt du, ich glaube, damit sind wir quitt."

Aures räusperte sich vernehmlich, woraufhin ihm wieder die ungeteilte Aufmerksamkeit aller zukam.

"Vorläufig, " wandte er sich an die beiden Prinzen, "werdet ihr von uns als Gäste angesehen. Doch nun möchte ich erfahren, was ihr in diesen Wäldern, von denen ihr eigentlich hättet wissen müssen, dass sie für einen von euch tödlich sein könnten, zu suchen habt. Folgt mir."
 

Er verließ das Podest und ging voraus zu einem Haus direkt dem gegenüber, in dem Rean erwacht war. Es war größer als die anderen und im Gegensatz zu ihnen zweigeschossig. Im großen Hauptraum, von dem noch zwei kleinere abzweigten und der außer einem weichen, weißen Teppich, einigen Kissen und einem niedrigen Tisch keine Möbel enthielt, hieß er sie, sich an dem Tisch niederzulassen und verschwand dann kurz in einem der angrenzenden Räume. Sie hörten ihn mit jemandem reden, dann kam er zurück und nahm ihnen gegenüber platz. Noch bevor einer von ihnen ein Wort sagen konnte, erschien aus dem Zimmer, in dem Aures gerade gewesen war, eine Gestalt.
 

Beiden, Rean sowie auch Tharas, stockte der Atem. Sie war wunderschön. Ihr grob gewelltes Haar war wie dunkler Honig und umrahmte ihr feines Gesicht. Auch sie hatte hohe Wangenknochen. Ihre sinnlichen Lippen umspielte ein leichtes Lächeln und ihre klugen Augen hatten eine Farbe wie ausgeblichenes Türkis, ja sie wurden zur Pupille hin fast weiß. Ihre Bewegungen waren so geschmeidig und von natürlicher Eleganz, dass Rean ein wenig neidisch wurde. Das schlichte weiße Gewand ließ eine schlanke Figur erahnen, zeigte und betonte jedoch nichts.
 

"Guten Abend und willkommen in unserem Haus.", sagte sie. Wieder lief Rean ein Schauer über den Rücken und als er Tharas ansah, erkannte er, dass es ihm ähnlich ergangen war. Die Stimme war freundlich und wohlklingend aber etwas tief für eine so zierliche Frau.

"Das ist Melean.", stellte Aures vor. "Das Licht meines Lebens."

Melean blickte ihn überrascht und ein wenig belustigt an. "So hast du mich seit Jahrhunderten nicht mehr genannt. Bist du krank oder hast du etwas angestellt? Was auch immer. Du hast ein unheimlich gutes Gespür für den falschen Zeitpunkt. Zurück zu euch…" Die hellen Augen richteten sich wieder auf Rean und Tharas. Mit flinken Schritten durchquerte Melean das Zimmer und ließ sich neben Aures nieder.

"Also. Wie mein Gatte ja bereits sagte ist mein Name Melean. Ich würde sagen, wir belassen es einfach dabei, ohne höfliche Anreden und das Ganze. Nennt mich einfach nur bei meinem Vornamen."

"Aber das können wir doch nicht einfach.", wandte Rean ein.

"Warum denn nicht? Ich bin nur die Person, die zufällig irgendwann einmal das Interesse des zukünftigen Fürsten erweckt und ihn geheiratet hat. Ihr seid wenigstens königlichen Geblüts im Gegensatz zu mir. Mein gesellschaftlicher Rang ist weit unter dem eueren. Also keine Widerrede."

"Gut, wie Ihr wollt.", räumte Rean ein. "Ich bin Rean von Eredrion. Es ist mir eine Ehre, Euch kennen zu lernen."

"Die Ehre ist ganz auf meiner Seite.", erwiderte Melean.

Tharas sah Melean mit zweifelndem Blick an, doch dann sagte er: "Mein Name ist Tharas. Ich bin Thronfolger des Königreiches Arc. Es ist mir eine Ehre, die Zierde des Elfenvolkes von Argaye kennen zu lernen."

Melean lachte glockenhell auf. "Fürwahr, Ihr habt eine Zunge aus Gold, Tharas von Arc. Ich freue mich über Euer Kompliment. Doch so schön auch Euere Worte sind, Euer Zustand ist, vergebt mir, bemitleidenswert. Ich würde vorschlagen, dass Ihr euch, bevor Ihr uns von Euerer Reise und dem Grund Eueres hier seins berichtet, erst einmal wascht. Dort in dem linken Zimmer steht eine Schüssel mit Wasser und es sind auch frische Tücher dort. Lasst Euch Zeit. Wir haben keine Eile."

"Ich würde vorschlagen, Ihr befolgt diesen Rat.", sagte nun auch Aures und Tharas raffte sich auf, um sich vom Schmutz der letzten Tage - waren es wirklich Tage gewesen? - zu befreien.
 

In dem kleinen Zimmer war es ziemlich dunkel und seine Augen mussten sich erst daran gewöhnen. Mit gespreizten Fingern schob er sich das Haar aus dem Gesicht und trat an die Waschschüssel. Rean, dieser dumme Junge. Er hatte keine Ahnung, was er da getan hatte. Und doch wäre er ohne ihn jetzt nicht mehr am Leben. Er würde sich noch bei ihm bedanken. Später.

Das Wasser war kühl, tat aber unheimlich gut. Die Elfenseile hatten ihn zwar nicht wund gescheuert, jedoch trotzdem geschmerzt, wie sie das mit jedem Geschöpf der Finsternis taten und wenn es nur ein halbes war.

Als sich die Wasseroberfläche nach dem Waschgang wieder beruhigt hatte, blickte er einen Moment fassungslos auf sein Spiegelbild. Er war wieder heil! Die Schramme, die geplatzte Lippe und die Beule waren verschwunden. Das einzige, was noch nicht wieder in Ordnung war, war seine Frisur. Er kämmte sein Haar grob mit den Fingern durch und erwog nicht zum ersten Mal, ob er es nicht vielleicht doch einmal abschneiden sollte. Dabei stieß er auf sein Haarband, das sich irgendwo in seiner Mähne verfangen hatte. Er zog es heraus und band seinen Zopf neu. Mit einem erneuten kritischen Blick in die Wasserschüssel befand er sich für tauglich und schloss sich wieder den Wartenden im Hauptzimmer an.
 

Mittlerweile hatte sich auch Soley dazu gesellt. Sie wirkte noch ein wenig verschlafen. Anscheinend war sie eben erst geweckt worden. Tharas hörte gerade, wie Melean zu Rean sagte: "Sie haben mir erzählt, dass Ihr ein hübscher Junge seid. Ich finde, sie haben nicht Recht." In Tharas wallten Mordgelüste auf. Rean blickte enttäuscht. "Wirklich nicht?", fragte er kleinlaut. "Nein. Ich finde…" Melean berührte sanft Reans Wange, "… dass Ihr eine echte Schönheit seid, junger Prinz." Nun errötete der Junge bis in die Haarspitzen. Ein anderes Gefühl machte sich in dem Prinzen von Arc breit: Eifersucht. "Verzeihung.", sagte er leichthin, als er Melean kurz aber nichtsdestoweniger beabsichtigt unsanft anstieß und sich wieder an Reans Seite niederließ. Dann wartete er, dass entweder Aures oder Melean einem von ihnen das Wort erteilen würde.
 

"Also, Tharas, " sagte Melean freundlich, "Nachdem Ihr anscheinend darauf brennt, uns alles zu erzählen, fangt doch einfach an."

Tharas begann, zu erzählen. Er erzählte von den versteinerten Menschen, dem Basilisken, den Banditen und dem Troll. Manchmal wurde seine Erzählung von Rean oder Soley ergänzt, doch Aures und Melean unterbrachen ihn kein einziges Mal und hörten sich alles sorgfältig an. Nachdem er geendet hatte, schwiegen sie noch eine Weile nachdenklich. Dann sagte Aures kopfschüttelnd: "So eine Geschichte kann man sich nicht ausdenken. Wie es scheint, haben wir Euch tatsächlich Unrecht getan. Doch Ihr müsst auch unsere Situation verstehen. Wir haben es nicht zum ersten Mal mit schwarzer Magie zu tun und ihre Folgen sind uns allgegenwärtig. Ich hoffe, Ihr nehmt unsere aufrichtige Entschuldigung an.

Doch zu Euerem Problem mit der Mandragora: Ich fürchte, ich muss Euch enttäuschen." Er seufzte schwer. Tharas und Rean blickten sich verständnislos an.

"Wie meint Ihr das?", hakte Tharas nach.

"Nun, " erklärte Aures weiter, "es ist so, dass wir diese doch so wundersame Pflanze nicht mehr haben. Unglücklicherweise habt ihr den weiten Weg umsonst gemacht."

"Das kann nicht wahr sein.", sagte Rean unglücklich und blickte hoffnungsvoll zu Melean, erhielt zur Antwort jedoch nur ein trauriges Kopfschütteln.

"Leider doch.", bestätigte Aures. "Doch ich hoffe, dass ihr als geringen Ausgleich wenigstens unsere Gastfreundschaft annehmt. Wir werden euch eine Hütte zur Verfügung stellen, in der ihr so lange bleiben könnt, wie ihr wollt. Außerdem werden wir euch frische Kleidung und Verpflegung zukommen lassen."
 

Rean hatte das Gefühl, innerlich leer zu sein. Seine Augen wurden feucht und er musste sich beherrschen, nicht loszuweinen. Alles war umsonst gewesen. Wozu hatte er das alles auf sich genommen? Wie sollte er denn nun seine Familie retten? Tharas bemerkte seinen Zustand und drückte unter dem Tisch sanft seine Hand.

"Wir danken Euch, Fürst Aures.", sagte er höflich. "Gerne nehmen wir Euere Freundlichkeit an. Wobei Rean sie schon etwas länger genießen kann als ich."

"Es tut uns wirklich Leid was geschehen ist, Tharas, dessen seid versichert.", erklärte Aures bedauernd. "Doch nun… " Er klatschte kurz in die Hände und ein Diener erschien. Rean und Tharas fragten sich, ob er schon die ganze Zeit da gewesen war oder nicht.

"… Er wird euch in eure Hütte bringen. Ruht aus, so gut ihr könnt. Ich hoffe, ihr gewährt mir die Bitte, morgen mit mir zu speisen." Die beiden nickten. Damit waren sie entlassen. Melean wünschte ihnen noch eine gute Nacht und dann folgten sie dem Elf über die Brücken zu der Hütte, in der Rean bisher untergebracht gewesen war. Dort waren zwei große Bettstätten und eine kleine Schlafgelegenheit für Soley aufgebaut worden. Auf jeder Bettstatt lagen sauber zusammengefaltete Kleidungsstücke, welche sie sogleich anzogen. Sie passten perfekt.

"Was ist denn eigentlich passiert während ich geschlafen habe?", fragte Rean plötzlich.

"Was passiert ist? Sie haben mich für drei Tage eingesperrt und verhört. Dann haben sie beschlossen, dass ich eine Gefahr für die Allgemeinheit bin und wollten mich hinrichten. Das war's.", erklärte Tharas nüchtern und wandte sich von Rean ab, doch dieser merkte, dass das nicht alles war.

"Was noch? Was haben sie mit dir gemacht, Tharas?", fragte er besorgt, doch Tharas weigerte sich, ihn anzusehen. Vorsichtig berührte Rean ihn an der Schulter, doch sein Freund zuckte wie unter einem Hieb zusammen. Der Junge zog erschrocken seine Hand zurück. "Sie haben dich gefoltert, oder?", fragte er bestürzt.

"Nicht direkt…", erklärte Tharas stockend. "Es reicht schon, dass sie mich berührt haben. Weißt du, ich bin ein Wesen der Finsternis, sie sind Wesen des Lichts. Wenn sie mich berühren und sei es nur ganz leicht, schießt ein Schmerz durch meinen Körper wie tausend Nadeln. Das gleiche gilt für die Seile, mit denen ich gefesselt war. Sie fügen jemandem wie mir automatisch Schmerzen zu. Du hast keine Ahnung, wie sich das anfühlt."

"Oh, Tharas, es tut mir Leid. Hätte ich auch nur geahnt, dass…" Er kam ihm wieder näher, doch in dem Moment erschienen zwei Elfen in der Tür, die ihnen zu Essen und zu Trinken brachten. Eine stellte in der Mitte des Raumes ein kleines Tischchen ab und darauf eine Schüssel mit verschiedenen Früchten. Die andere trug eine Schüssel mit Fisch, einen Krug, der mit Wasser gefüllt war und zwei Becher. Als sie ihre Arbeit verrichtet hatten, verabschiedeten sie sich mit einem Nicken wieder. Kurz darauf erschien ein Elf und brachte Kerzen, um das einbrechende Dunkel zu vertreiben. Tharas, Rean und Soley ließen sich an dem Tisch nieder und nahmen ihre Mahlzeit ein. Rean warf Tharas immer wieder verstohlene Blicke zu. Es war ihm bisher nicht aufgefallen, doch nun sah er, dass das Gesicht seines Freundes tatsächlich etwas mitgenommen wirkte. Warum hatten ihn die Elfen nur so lange schlafen lassen? Tharas hätte tot sein können. Gott sei Dank war er rechtzeitig erwacht. Ihre Blicke trafen sich und Rean glaubte, einen stillen Vorwurf in Tharas Augen zu erkennen. Er konnte es nicht ertragen und sah schnell weg.
 

Nach dem Essen stand er auf und ging nach draußen, um sich den warmen Sommerwind um die Nase wehen zu lassen. Der Mond ging am Horizont auf und die Sterne leuchteten so hell, wie er es noch nie gesehen hatte. Außerdem schienen sie hier im Reich der Elfen viel größer zu sein. Verträumt lehnte er sich mit dem Rücken gegen das Geländer der Brücke und blickte nach oben.

Tharas trat lautlos zu ihm. Da entdeckte Rean etwas am Firmament. "Schau mal, da war eine Sternschnuppe.", sagte er leise und lächelte.

"Wünsch dir was.", antwortete Tharas.

Rean schloss die Augen und überlegte einen Moment. "Willst du wissen, was ich mir gewünscht habe?", fragte er, nachdem er die Augen wieder geöffnet hatte und blickte Tharas mit einem unschuldigen Lächeln an.

Dieser musste unwillkürlich auch schmunzeln. "Nein. Weißt du, wenn du über deinen Wunsch sprichst, geht er nicht in Erfüllung."

"Oh. Na, wenn das so ist. Dann eben nicht." Er zuckte die Achseln. Eine Weile standen sie schweigend da und betrachteten den Himmel.

"Sie ist schön, nicht wahr?", stellte Rean plötzlich fest.

"Wen meinst du?", fragte Tharas.

"Melean. Sie strahlt von innen heraus. Ich glaube, ich habe noch nie eine schönere Frau gesehen."

Der Prinz von Arc lächelte. "Stimmt. Sie ist wirklich wunderschön. Was ich ihr vorhin gesagt habe, war nicht gelogen. Sogar für eine Elfe ist ihre Schönheit außergewöhnlich."

Rean schluckte. "Dann ist sie also die Art Frau, die dir gefällt?"

Tharas horchte auf. Dann zuckte er die Achseln. "Weißt du, ich lasse mich nicht gerne auf irgendeinen Typ festlegen. Natürlich, ich werde nicht wegsehen, wenn mir eine schöne Frau über den Weg läuft, aber in Meleans Fall ist das noch einmal etwas ganz anderes. Immerhin ist sie Aures Frau und somit unerreichbar."

"Und Aures ist unser Freund." Rean seufzte.

"Ich weiß nicht, ob ich ihn als Freund bezeichnen würde. Wir sind seine Gäste, ja. Aber zwischen Gast und Freund ist ein großer Unterschied. Zumal ihm dein Leben gehört."

"Was? Wie meinst du das, mein Leben gehört ihm?", fragte der Junge verwirrt.

"Du hast keine Ahnung, was du heute getan hast, indem du für mich gebürgt hast, nicht wahr?" Tharas blickte ihm ernst in die Augen.

Rean schüttelte den Kopf.

"Als du dafür gebürgt hast, dass ich ein Freund der Elfen bin, bist du mit den Elfen einen bindenden Vertrag eingegangen. Was auch immer ich tue, ich darf niemals etwas tun, das gegen die Elfen ist und sei es nur, dass ich offen anderer Meinung bin. Wenn das der Fall sein sollte, dann werden sie dich gnadenlos jagen und töten. Ja, dich und nicht mich, denn du hast mit deiner Bürgschaft meine Schuld auf dich genommen. Bist du immer noch so überzeugt, dass es richtig war, für mich zu bürgen?"

Rean überlegte einen Moment. Schließlich sagte er: "Ja, das bin ich."

"Du hast damit dein Leben aufs Spiel gesetzt.", wandte Tharas ein.

"Aber es war die einzige Möglichkeit, dir das Leben zu retten. Weißt du, ich hätte dich nicht einfach sterben lassen können und hätte dann weiter gelebt, als wäre nie etwas geschehen. Du bist der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der mir wirklich etwas bedeutet. Ohne dich hätte ich nicht mehr weiterleben wollen. Nein, ich bereue es nicht. Und ich würde es jederzeit wieder tun. Selbst wenn mich dann Horden von Elfen verfolgen."

"Oh, Rean…", murmelte Tharas und blickte ihn zärtlich an.

"Schau mal." sagte Rean plötzlich und zeigte nach oben. "Da war noch eine Sternschnuppe. Aber weißt du was? Ich schenke dir den Wunsch. Na los, wünsch dir was."

Plötzlich waren sie sich nah. Sehr nah. Tharas zog ihn am Arm vorsichtig näher an sich heran. Die andere Hand legte er unter Reans Kinn und hob sein Gesicht langsam an.
 

Rean hatte das Gefühl, in diesen tiefen grünen Augen zu ertrinken. Sein Herz begann, schneller zu schlagen. Tharas Gesicht kam näher…
 

Die Sterne spiegelten sich in Reans großen blauen Augen wider und brachten sie auf wundersame Art zum Leuchten. Tharas konnte sich beim besten Willen nicht mehr beherrschen. Langsam senkte er sein Gesicht und legte seine Lippen sanft auf Reans. Sie waren so warm und weich und unheimlich süß. Wohlige Wärme und ein aufregendes Kribbeln schossen durch seinen Körper.
 

Rean war so verwirrt, dass er nicht einmal die Augen schließen konnte. Tharas war so zärtlich und die Gefühle, die er in ihm auslöste waren so schön. Als er die Lider senkte, löste sich Tharas von ihm und murmelte leise: "Danke." Dann wandte er sich ab, ging in die Hütte und ließ einen völlig verwirrten Rean zurück.
 

Rean berührte vorsichtig seine Lippen mit den Fingerspitzen, wie um den zarten Kuss festzuhalten. Waren das Tharas wirkliche Gefühle oder nur der Zauber des Augenblicks gewesen? Er wusste es nicht. Seine Knie waren weich und er musste sich kurz am Geländer festhalten weil ihn vor Glück schwindelte. Sein Herzschlag beruhigte sich allmählich wieder, das Kribbeln, das seinen Körper durchflutet hatte, hielt jedoch an.
 

In der Hütte musste Tharas breit grinsen. Er hatte das Gefühl, vor Glück zerspringen zu müssen. Soley blickte ihn verwirrt an. "Was grinst du so?"

"Ach, nur so. Ich bin einfach glücklich."

"Moment mal. Ihr habt die Mandragora nicht gekriegt, das eigentliche Ziel euerer Reise, du wärst heute beinahe gestorben, Rean hat für dich sein Leben förmlich weggeschmissen und du bist einfach nur glücklich?!?"

"Das verstehst du nicht, Glühwürmchen.", sagte Tharas, legte sich hin, wünschte ihr noch eine gute Nacht und zog sich die Decke über den Kopf.

"Allerdings…", murmelte Soley und schüttelte resigniert den Kopf.
 

Auf der anderen Seite des Dorfes löste sich Melean lächelnd aus dem Schatten und murmelte: "So ist das also…"

"So ist was?", fragte Aures.

"Ach nichts.", antwortete Melean und grinste. "Ich glaube, da könnte jemand bald ein wenig Hilfe meinerseits brauchen."

"Gut, aber nicht mehr heute. Komm ins Bett.", bat Aures.

"Mit dem größten Vergnügen, Geliebter.", stimmte Melean zu und kroch zu ihm unter die Decke.

Kapitel 9 - Das Rudel

Kapitel 9

Das Rudel
 

Der nächste Morgen brach strahlend schön an. Die Sonne lachte vom wolkenlosen Himmel und kitzelte Reans Nasenspitze. Schwerfällig hob er die Lider und blickte sich verwirrt um. Kurzzeitig glaubte er, wieder zu Hause in seinem Bett zu liegen, doch dann fiel ihm ein, dass er im Dorf der Elfen von Argaye war… und was gestern Abend passiert war. Schlagartig wurde ihm warm und sein Herz begann, etwas schneller zu schlagen. Außerdem hatte er das Gefühl, sein Gesicht müsste vor Hitze verglühen, als ihm die Röte in die Wangen schoss. Was sollte er jetzt tun? Tharas plötzlicher Gefühlsausbruch hatte ihn vollkommen überrumpelt. Was war er für ihn? Und umgekehrt? Rean hielt es für unwahrscheinlich, dass da mehr sein konnte als Freundschaft. Sicher war das gestern nur die Erleichterung gewesen. Oder ein Zauber, der alles, was mit Elfen zu tun hatte, umgab. Hatte seine Mutter nicht einmal gesagt, dass in der Gegenwart von Elfen die Gefühle der Menschen verrückt spielten?

Aber das stimmte nicht ganz. Wenn er genauer darüber nachdachte, dann hatte er schon öfter so ein angenehmes Kribbeln verspürt, wenn er mit Tharas zusammen war. Damals am Fluss hatte er ja sogar… HALT! Rean erschrak über seine eigenen Gedanken. Nein, es war schlicht und ergreifend unmöglich. Da war ganz bestimmt nicht mehr.
 

Langsam drehte er den Kopf, um Tharas anzusehen. Der hatte die Augen immer noch fest geschlossen und machte nicht den Anschein, als ob er innerhalb der nächsten Minuten aufwachen wollte. /Kein Wunder, dass er so tief schläft/, dachte Rean. /Was ihm in den letzten Tagen passiert ist, muss furchtbar gewesen sein./ Unweigerlich wanderte sein Blick zu Tharas Lippen. Er hatte ihn geküsst. Einfach so auf den Mund geküsst. Wie sollte er sich ihm gegenüber denn jetzt verhalten?
 

Diese Frage beschäftigte ihn auch noch den ganzen Vormittag lang. Nachdem Tharas erwacht war, hatte er sich ihm gegenüber ganz normal verhalten, wie sonst auch und Rean ließ es dabei bewenden. Dennoch konnte er ihm nicht mehr so richtig in die Augen schauen.
 

Gegen Mittag erschien ein Elf, der sie abholte und zu Aures Hütte begleitete. Dort war bereits alles vorbereitet.

"Wie habt ihr beide geschlafen?", wollte Melean gut gelaunt wissen. Für Tharas Geschmack schon etwas zu gut gelaunt. "Gut.", antwortete er knapp.

Das unverwüstliche - und auf unheimliche Weise wissende - Lächeln auf Meleans Gesicht machte ihn fast krank. "Nanu, du bist wohl mit dem falschen Fuß zuerst aufgestanden, was? Aber ich glaube, nach einer anständigen Mahlzeit wirst du dich gleich besser fühlen."

"Hm.", war alles, was Tharas dazu sagte, unterstrichen von einem Nicken. Seit wann waren sie eigentlich perdu?

"Na dann, setzt euch.", forderte Aures sie auf und sie ließen sich wieder an dem kleinen Tisch nieder. Immerhin war es Tharas möglich, die Speisen der Elfen zu essen, ohne gleich daran zu ersticken. Er hatte die letzten Tage über nur sehr wenig gegessen und sein Magen rebellierte ein wenig, als er die ungewohnt großzügige Mahlzeit verarbeiten musste.
 

"Nun, " erklärte Aures, nachdem der Tisch von einigen Dienern abgeräumt worden war, "nachdem wir gegessen haben, glaube ich, wird es Zeit, euch eine Erklärung zu geben bezüglich der Mandragora." Er ließ eine kurze Pause um sich zu sammeln. Dann fuhr er fort. "Es ist so, dass wir seit ziemlich genau sechzig Jahren ein kleines Problem mit einigen Mitbewohnern des Waldes haben. Genauer gesagt handelt es sich dabei um ein Rudel Wölfe. Sie kommen jeden Monat in der Nacht des Vollmonds und wer es nicht schafft, sich in Sicherheit zu bringen, ist des Todes."

"Wölfe?", fragte Tharas skeptisch. "Ihr seid alle Krieger. Ist es euch denn nicht möglich, das Rudel auszurotten?"

Aures seufzte schwer. "Bei diesem nicht. Wir haben schon so viele von ihnen getötet, doch sie tauchen immer wieder auf. Ich glaube, und diese Ansicht teilen viele, dass sie niemals aufhören werden, uns zu jagen, solange ihr Leitwolf lebt."

"Verzeiht.", unterbrach ihn Rean. "Ihr sagt, dass das ganze schon seit sechzig Jahren so geht. Aber Wölfe werden für gewöhnlich nicht so alt. Sie müssten doch längst einen neuen Anführer haben, wenn nicht mehrere."

"Das ist wahr. Wenn es normale Wölfe wären. Dieser Anführer jedoch ist kein normaler Wolf. Vielleicht war er das einmal, doch dann kam er mit der schwarzen Magie in Kontakt. Ich denke, dass es sich noch um genau denselben Wolf handelt wie vor sechzig Jahren."

"Und was hat das mit der Mandragora zu tun?", wollte Rean wissen.
 

"Euch ist sicher aufgefallen, dass wir unsere Häuser in den Bäumen haben. Das war nicht immer so. Tief im dichtesten Herzen des Waldes liegt unsere alte Stadt. Doch nachdem unsere Verwandten nach dem letzten Elfenkrieg aufbrachen, um über das Meer zu segeln, wurde sie uns, dem letzten kleinen Völkchen, das sich entschied, hier zu bleiben, zu groß. Zuerst bauten wir unsere Häuser auf der Erde, wie es für unser Volk typisch ist. Doch dann kamen die Wölfe. Sie drangen in die Häuser ein und töteten alle, die sich darin befanden, vor allem aber die Elflinge. So nennen wir die jungen Elfen, die noch keine hundert Jahre alt und somit noch nicht jährig sind. Aber damit gaben sie sich nicht zufrieden. Sie zerstörten ebenso unsere Felder und töteten die Tiere, die wir hielten. Unser Viehbestand war nie besonders groß, und unsere Felder waren gerade so groß, wie wir es der Natur zumuten wollten, doch der Schaden war beträchtlich. Vor allem, da sie auch die Felder mit den Mandragorapflanzen zerstört haben. Und hier haben wir auch das Problem."

"Verstehe. Dann haben sie also alle bis auf die letzte vernichtet?", fragte Rean. Aures nickte nur.
 

"Und dann habt ihr euere Häuser einfach verlegt.", hakte Tharas nach. Rean wunderte sich, dass sein Freund es nicht einfach dabei belassen konnte. Er war der letzte, von dem er erwartet hatte, sich für Elfenprobleme zu interessieren.

"Richtig. Wir beschlossen, auf die Bäume auszuweichen. Seither ist es etwas ruhiger geworden, doch die Wölfe geben nicht auf. Sie kommen jeden Monat. Übermorgen ist es wieder so weit. Dann fallen sie über unser Dorf her und alles, was sie erreichen können, zerstören sie gnadenlos."

"Aber seid ihr hier oben nicht sicher vor ihnen?", erkundigte sich Tharas.

"Seit kurzem nicht mehr.", gestand Aures. "Sie haben es irgendwie geschafft, nach oben zu kommen. Wir wissen nicht, was wir noch tun sollen."

"Warum folgt ihr nicht eueren Verwandten übers Meer?", fragte Rean.

"Würdest du deine Heimat, die Welt, in der du dein ganzes Leben verbracht hast, einfach so hinter dir lassen? So viele Erinnerungen sind in diesem Wald. Außerdem sind wir die letzten Elfen auf diesem Kontinent und unsere Verbindungen mit den Menschen noch nicht ganz abgebrochen. Doch es ist wahr, wir haben schon darüber nachgedacht, nach Westen zu gehen. Bisher konnten wir uns jedoch noch nicht dazu durchringen.

Über kurz oder lang werden wir aber nicht darum herumkommen."

"Uns fehlen die Elflinge. Seit vielen Jahren ist hier kein Kind mehr geboren worden. Dabei würde ich so gerne einmal wieder Kinderlachen hören.", erläuterte Melean.

"Ich schließe daraus, dass ihr auch keine Kinder habt, nicht wahr?", fragte Tharas.

"Das hat andere Gründe.", meinte Aures leichthin. Auf Tharas misstrauischen Blick hin erklärte er: "Sagen wir es so: Meleans Körper ist nicht dafür geeignet, Kinder zu gebären."

"Das tut mir Leid.", sagte Rean unbehaglich. Warum musste Tharas, dieser unsensible Kerl, auch so eine Frage stellen?

Melean jedoch blickte ihn kurz verwirrt an und bemerkte: "Wieso denn? Das muss es doch gar nicht. Ich sollte froh sein, dass es nicht so ist."

"Aber ich dachte, eine Frau wie du wäre bestimmt eine gute Mutter und muss traurig sein, keine Kinder bekommen zu können.", erläuterte Rean und schaute unschuldig.

Plötzlich brach Melean in schallendes Gelächter aus. Die beiden Prinzen blickten sich verständnislos an.

"Ihr dachtet, ich wäre eine…?", fragte Melean und fuhr nach einem kurzen Blick auf ihre verwirrten Gesichter hin fort: "Ihr habt wirklich gedacht, ich wäre eine Frau?"

Die beiden nickten nur.

"Nun, ich kann euch versichern, " klärte sie Aures mit einem spöttischen Glitzern in den Augen auf, "dass man das, was sich zwischen Meleans Beinen befindet, ganz eindeutig nicht bei einer Frau entdeckt."

"Ich gebe zu, ich habe eine etwas feminine Ausstrahlung, aber dass sie so stark ist, hätte ich nicht gedacht.", stellte Melean nachdenklich fest.
 

"Fürst Aures…" sagte Tharas plötzlich wieder vollkommen ernst und lehnte sich leicht über den Tisch.

"Tharas?"

"Ich würde gerne unter vier Augen mit Euch sprechen, wenn das möglich wäre. Es geht um Euer Wolfproblem.", raunte er dem Fürsten zu.

"Selbstverständlich.", stimmte dieser zu. "Melean, " wandte er sich an seinen Geliebten, "warum zeigst du Rean nicht mal ein wenig von unserem Dorf?"

"Eine hervorragende Idee. Komm, Rean. Wir gehen ein wenig an die frische Luft." Damit hakte er den Jungen unter und dirigierte ihn aus der Hütte.
 

Rean war äußerst beunruhigt. Warum wollte Tharas ihn nicht dabei haben? Sie hatten nie Geheimnisse voreinander gehabt, also warum fing er jetzt plötzlich damit an? Was wollte er Aures wegen der Wölfe sagen? Eines war klar: Tharas wusste mehr, als er jemals zugeben würde. Sein Verhalten war vorhin schon merkwürdig gewesen. Was hatte er nur vor?
 

"Machst du dir Sorgen um ihn?", fragte Melean freundlich.

Rean nickte. "Er war noch nie so verschlossen. Irgendwas hat er vor und er will mich offenbar nicht dabei haben."

"Ich vermute aus Sorge um dich. Immerhin bist du doch sein Geliebter."

"Was?" Der Junge blieb perplex stehen.

"Etwa nicht? Was war das dann gestern auf der Brücke?", fragte Melean und hielt in seinen Schritten inne.

"Du hast es gesehen?", fragte Rean fassungslos und wurde rot.

"Ich konnte nicht umhin. Euere Hütte liegt genau gegenüber der unseren. Eigentlich wollte ich nur noch einmal kurz Luft schnappen, doch dann habe ich euch beide da stehen sehen. Tut mir Leid, ich wollte nicht spionieren."

"Schon gut." Rean seufzte. "Was soll ich denn jetzt machen? Anscheinend bin ich nicht nur ein Freund für ihn."

Sein Begleiter lächelte. "Weißt du, das erinnert mich an einen Elfenjüngling, dem es ganz ähnlich ging wie dir. Er war ziemlich überrascht, als ihm sein bester Freund plötzlich den Hof machte. Weißt du, bei uns ist es zwar so, dass wir Elfen vorrangig die Seele lieben und erst dann kommt der Körper, aber trotzdem. Nachdem wir uns nur ein einziges Mal im Leben fest binden, müssen wir besonders gründlich prüfen, mit wem. Wenn dann plötzlich dein bester Freund um deine Hand anhält, bist du erst einmal ziemlich sprachlos."

"Du bist dieser Jüngling?"

"Stimmt. Komm, wir setzen uns ein wenig.", schlug er vor und schwang sich mit schlafwandlerischer Sicherheit auf das Geländer der Brücke. Wieder durchzuckte Rean ein Gefühl von Neid. Zögerlich tat er es dem blonden Elf gleich.

"Du bist mit Aures verheiratet, also kann es für dich gar nicht so schlimm gewesen sein, oder?", fragte er, nachdem er eine einigermaßen bequeme Sitzhaltung angenommen hatte.

Ein sanftes Lächeln umspielte Meleans Lippen. "Am Anfang, " erklärte er, "war es nicht ganz so einfach. Soll ich dir die Geschichte erzählen?" Rean nickte, also fuhr er fort: "Als ich ein Elfling war, da stand Aures schon als Nachfolger des vorherigen Fürsten fest. Damals lebten wir noch in der Stadt. Die Fürsten herrschten über die vier Bezirke der Stadt und über ihnen stand Oberon, der König aller Elfen. Weißt du, bei uns hängt die Nachfolge nicht vom Geburtsrecht ab. Das Volk bestimmt die Fürsten. Aures hatte schon als General in etlichen Schlachten seinen Mut und Führungsqualitäten bewiesen, also war es nahe liegend, ihn zum nächsten Fürsten des Südbezirks zu machen.

Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen, als er nach einem glorreichen Sieg an Oberons Seite in die Stadt einritt. Ich war in Elfenjahren kaum älter als du jetzt, sprich noch fast ein Kind, doch sein Anblick auf dem großen weißen Pferd war einfach beeindruckend. Wie habe ich ihn bewundert. Allein seinetwegen bin ich zur Armee gegangen. Mein Vater war streng dagegen. Er war Musiker und hielt nichts vom Kämpfen, doch ich hörte nicht auf ihn.

Während meiner gesamten Ausbildung bekam ich ihn immer nur aus weiter Ferne zu Gesicht, doch eines Tages, es war schon ziemlich gegen Ende der Ausbildung, da kämpfte ich gegen einen meiner Kameraden. Ich hatte damals schon einen gewissen Ruf unter den Kadetten und tatsächlich war ich der beste Kämpfer meines Jahrgangs. Mit meinem Gegner hatte ich keine Schwierigkeiten. Nach kurzer Zeit war er besiegt. Plötzlich hörte ich schwachen Applaus. Ich drehte mich um und da stand er. In voller Lebensgröße. Er war es, der mir Beifall spendete. "Willst du dich mit einem Gegner messen, der dir die Stirn bieten kann, Junge?", hat er mich gefragt und ich habe zugestimmt. Ehe ich mich versah hatte er sein Schwert gezogen und kam auf mich zu. Unser erstes Rendezvous endete damit, dass ich nach einem langen, harten Kampf unter ihm im Dreck lag, sein Schwert an meiner Kehle." Sein Lächeln wurde noch etwas breiter. "Anscheinend hatte ich ihn schwer beeindruckt, denn er lächelte mich an, reichte mir seine Hand und zog mich hoch. Dann sagte er, dass es ihm eine Ehre wäre, mich in der nächsten Schlacht an seiner Seite zu wissen.

Tatsächlich stand ich im nächsten Krieg Schulter an Schulter mit ihm. So was verbindet ungemein und wir freundeten uns an. Er war fast wie ein väterlicher Freund für mich, liegen doch immerhin grob zweihundert Jahre zwischen uns. Ich hätte nie gedacht, dass er mehr für mich empfinden könnte.

Dann erklärte der Fürst des Südens seinen Rücktritt und Aures wurde zu seinem Nachfolger ernannt. Als solcher hatte er unheimlich viel zu tun, doch wenn er Zeit hatte, dann verbrachte er sie mit mir. So ging das etliche Jahrzehnte lang. Eines Abends machten wir einen Ausritt. Als wir los ritten, war das Wetter noch schön, doch schon bald begann es zu regnen. Wir kehrten um. Vor meiner Tür saß Aures mit ab. Das hatte er nie zuvor getan, sondern war immer sofort weiter geritten. Ich glaube, es lag an meinem durchgeweichten weißen Hemd, dass er die Beherrschung verloren hat, denn er sagte: "Du bist unheimlich schön, wenn du nass bist.", und plötzlich umfasste er mein Gesicht mit den Händen damit ich mich nicht wegdrehen konnte und küsste mich. Einfach so. Ich war damals also genau so überrumpelt wie du. Er hat sich eine schallende Ohrfeige eingefangen."

"Du hast ihn geschlagen?", unterbrach ihn Rean ungläubig. Meleans Geschichte faszinierte ihn.

"Hab ich. Ich schrie ihn an, ob er völlig verrückt wäre und was das ganze sollte. Er ist beleidigt abgezogen. Wochenlang ließ er sich nicht mehr sehen und ich begann schon am nächsten Tag, ihn zu vermissen. Irgendetwas in mir hatte sich verändert. Ich sah alles mit anderen Augen. Unsere Treffen, die ganze Zeit, die wir zusammen verbracht hatten. Ich suchte den Zeitpunkt, an dem ich insgeheim angefangen hatte, mehr für ihn zu empfinden. Mir fiel aber keiner ein. Ständig überlegte ich, ob ich nicht doch zu ihm gehen sollte, doch mein Stolz war stärker. Außerdem wusste ich nicht, was die Leute sagen würden. Immerhin waren wir ja beide Männer. Ich sprach in dieser Zeit lang und oft mit meinem Vater. Er sagte mir, dass ich auf mein Herz hören sollte. Wenn ich mir ein Leben mit Aures ernsthaft vorstellen könnte, dann sei das wohl der Weg, den ich gehen musste. Wenn nicht, dann würde sich Aures jemand anderen suchen müssen. Bei diesem Gedanken wurde mir speiübel. Wenn ich mir vorstellte, Aures in den Armen einer oder eines anderen zu sehen wurde ich unsagbar traurig. Dennoch verstrichen die Tage und ich war einfach nicht in der Lage, den ersten Schritt zu tun.

Eines Tages tauchte Aures unerwartet bei meinem Vater auf. Woher er wusste, dass ich dort war, weiß ich bis heute nicht. Jedenfalls bat er mich inständig, ihm seine Unverschämtheit zu verzeihen und er fragte mich, ob ich ihm, einem unsagbaren Idioten, noch eine Chance geben würde. Ich bejahte. Von da an hatte ich keine Ruhe mehr. Ständig schickte er Boten zu mir mit Liebesbriefen und was weiß ich noch alles. Irgendwie fand ich das süß. Auch körperlich kamen wir uns langsam näher. In der Stadt begann man zu tuscheln und zu schwatzen.

Daraufhin stand in einem seiner nächsten Brief in etwa folgendes: Wollen wir nicht langsam mal was gegen den Tratsch unternehmen? Willst du mich heiraten?

Da war ich sicher, dass er es ernst meinte mit mir. So schnell ich konnte lief ich zu seinem Haus. Einer seiner Diener sagte mir, dass er gerade in einer ganz wichtigen Besprechung sei. Das war mir jedoch egal. Ich stürmte einfach in den Saal und sobald ich ihn erblickt hatte, rief ich: "Ja, ich will!" Erst dann fiel mir auf, wer da eigentlich mit ihm am Tisch saß. Ich hatte eine Versammlung der Fürsten und des Königs gesprengt. Das war mir so peinlich wie sonst nichts mehr in meinem ganzen Leben. Aures sah mich an, als hätte ich ihm erzählt, der Mond wäre soeben vom Himmel gefallen. Dann sprang er auf, nahm mich in die Arme und flüsterte mir ein "Ich liebe dich" zu. Ich hatte erwartet, dass er mich vielleicht sogar schlagen würde, aber damit hatte ich nicht gerechnet.

Der König selbst war der erste, der die Fassung wieder fand und uns gratulierte. Er war es auch, der unserer Hochzeit seinen Segen gab. Allerdings raunte er Aures dabei zu, er solle sich vorsehen mit so einem Wildfang wie mir.

Wir sind jetzt seit dreihundertsechsundvierzig Jahren, neun Monaten und elf Tagen verheiratet."

Rean war verblüfft. Das waren Dimensionen, die er sich gar nicht vorstellen konnte. "Du weißt das so genau?", fragte er skeptisch.

"Aber ja.", erwiderte Melean. "Weil ich jeden einzelnen Tag mit ihm genieße. Ich weiß nicht, ob das überhaupt möglich ist, aber ich glaube, ich liebe ihn immer mehr anstatt weniger."

"Was meinst du, soll ich mit Tharas machen?"

"Weißt du, mein Vater hatte damals Recht mit dem, was er gesagt hat. Hör auf dein Herz."

In dem Moment traten Aures und Tharas aus der Tür.
 

"Melean, kommst du bitte mit ins Haus, ich habe etwas mit dir zu besprechen.", bat Aures.

"Sicher. Rean, es macht dir doch nichts aus, wenn ich dich zurücklasse, oder?"

Rean schüttelte den Kopf. Melean nickte ihm noch einmal freundlich zu, schwang sich von Geländer und folgte Aures.

"Und, habt ihr zwei euch gut unterhalten?", fragte Tharas betont desinteressiert und lehnte sich neben seinem Freund an den Holzbalken auf dem dieser saß.

"Er hat mir aus seinem Leben erzählt.", antwortete Rean.

"Toll. Ich kann mir nichts Spannenderes vorstellen. Die Lebensbeichte eines Elfen."

"Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass du was gegen ihn hast. Oder täusche ich mich da?"

"Nein, ich hab nichts gegen ihn. Wie kommst du darauf? Es ist nur irgendetwas mit seiner Art, das mir Sorgen macht.", erklärte Tharas und blies sich eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus dem Zopf gelöst hatte, doch sie hing ihm sofort wieder in die Augen. Schließlich schob er sie einfach hinters Ohr.

"Sorgen? Warum denn? Er war doch bisher immer freundlich zu uns.", stellte Rean fest und schaute ihn verwirrt an.

"Eben. Genau das ist es ja. Vor allem zu dir ist er viel zu nett."

Rean konnte nicht glauben, was er da gehört hatte. Hatte er sich das nur eingebildet oder…? "Sag mal, kann es sein, dass du eifersüchtig auf ihn bist?", fragte er ungläubig nach.

"Eifersüchtig? Ich? Auf so ein blondes, weibisches Spitzohr? Ich bitte dich, wo denkst du hin.", antwortete Tharas ganz gelassen. Lässig verschränkte er die Arme vor der Brust und schaute über die Schulter nach unten als würde ihn dort etwas ganz brennend interessieren. Insgeheim war er doch erschrocken, dass Rean ihn so offensichtlich durchschaut hatte. Zugegeben: Besonders schwer hatte er es ihm ja auch nicht gemacht. In Zukunft würde er seine Zunge hüten.

"Also doch. Aber ich verstehe nicht, warum. Man kann euch beide gar nicht miteinander vergleichen und ich sehe keinen Grund, warum du ihn als Rivalen ansehen solltest."

/Ist das nicht offensichtlich?/, dachte der Magier und schaute seinen kleinen Freund verblüfft an.

"Was ist?", fragte Rean und fühlte sich unter dem Blick aus Tharas stechenden grünen Augen zunehmend unwohl.

Hatte der Junge wirklich keine Ahnung, was in ihm vorging? Warum Melean potenziell gefährlich war wenn er Rean schöne Augen machte? Oder wollte er es einfach nur nicht wahrhaben? "Komm, wir gehen ein Stück.", schlug er vor und stieß sich mit einer eleganten Bewegung ab.

"Gut.", bestätigte Rean. Doch er zögerte. Plötzlich schien alles unter ihm zu wanken und er fühlte sich nicht gut. Seine Hände zitterten. Eine unerwartete Kälte strahlte von seinem Rücken aus durch seinen ganzen Körper. "Tharas?", fragte er schüchtern.

Der Prinz von Arc wandte sich zu ihm um und sah ihn fragend an.

"Kannst du mich bitte kurz festhalten? Ich trau' mich nicht hier runter."

"Es ist nicht allzu hoch. Sonst hast du doch auch kein Problem mit der Höhe.", bemerkte dieser.

"Bitte. Ich habe das Gefühl, dass ich, wenn ich mich nur ein wenig bewege, fallen würde."

Tharas zuckte die Achseln und kam dann auf den Jungen zu. Er umfasste seine Taille und hob ihn vorsichtig von Geländer.

Rean legte seine Arme um Tharas und lehnte sich gegen seine Brust. Ihm war schwarz vor Augen und ihn schwindelte. Dieses Gefühl kannte er. Er hatte es schon gehabt kurz vor ihrer Ankunft in Eredrion und nachdem sie aufgebrochen waren um die Mandragora zu suchen. Meist ging es einher mit bösen Vorahnungen und Alpträumen. Eine Weile blieben sie in der Umarmung. Dann fragte Tharas: "Wieder alles in Ordnung?"

"Ja, es geht wieder. Danke.", murmelte Rean. Tatsächlich waren die Kälte und das Schwindelgefühl verschwunden und er fühlte die Wärme der Sommersonne auf seinem Gesicht.

"Na dann komm.", sagte der Magier freundlich und sie stiegen die nahe gelegene Leiter hinab um auf festen Boden zu kommen.
 

"Was hältst du von den beiden?", fragte Aures.

"Tharas ist mehr menschlich als dämonisch. Das dachte ich mir gleich, als er gestern zu uns kam. Warum ich nicht gleich etwas unternommen habe als er verurteilt wurde? Wahrscheinlich, weil ich Llandon noch nicht vergeben und ihn unbewusst auf Tharas übertragen habe." Melean fuhr sich vorsichtig mit den Fingerspitzen über seine Brust. Dort war, verborgen von seinen mehreren Kleidungsschichten eine große Narbe, die sich über die ganze Brust zog. Llandon hatte sie ihm im letzten Krieg beigebracht und ihn beinahe getötet. "Doch ich habe ihm Unrecht getan. Deshalb habe ich ihm auch das Heilwasser gegeben um damit wenigstens die kleinen Wunden zu heilen.

Rean hingegen… Er hat die 'Gabe', wenn auch nur sehr, sehr schwach. Er ist ein unschuldiger Junge, der noch nicht viel Ahnung vom Leben hat. Zweifellos ist er intelligent, dennoch hat er Schwierigkeiten, seinen Gefühlen zu vertrauen. Das zeigt sich mir dadurch, wie er auf die Geschichte von uns beiden reagiert hat."

"Du hast ihm also unsere Geschichte erzählt? Hoffentlich nicht zu detailliert?", fragte Aures scherzhaft.

"Was denkst du denn? Dazu ist er noch viel zu klein.", konterte Melean entsetzt und fuhr zu seinem Gatten herum. Dieser grinste ihn frech an.

"Was hast du vor, Aures?", fragte Melean ernst. "Beziehungsweise was hat Tharas vor? Ich hoffe, keine Dummheit."

"Du sorgst dich um den Sohn deines schlimmsten Feindes? Es scheint, als hättest du auch noch nach Jahrhunderten die Fähigkeit, mich zu überraschen, dabei dachte ich, ich kenne dich.", bemerkte der Fürst.

"Das ist es nicht. Ich sorge mich eher um Rean. Wenn Tharas mit seinem Leben spielt, wird das großes Leid für den Jungen verursachen. Sie beide wissen, dass sie mehr als nur Freundschaft füreinander hegen, doch sie sind nicht in der Lage, das zuzugeben. Wenn Tharas etwas passiert, dann wäre das auch für Rean ein Grund, nicht mehr weitermachen zu wollen. Also, was hat er vor?"

"Er will das Wolfsrudel auslöschen. Und zwar allein."

"Ist er völlig verrückt? Wie will er das anstellen?", fragte Melean entsetzt.

"Ich weiß nicht. Er hat mir nur erklärt, dass der einzige, der das tun kann, sein Vater ist, denn es war Llandon, der in seiner Jugend einen Wolfswelpen fand, großzog und ihn sozusagen mit dem Gift des Hasses auf die Elfen fütterte. Dieser Wolf ist es, der das Rudel zusammen hält und nur wenn er stirbt, können wir den anderen Wölfen Herr werden.

Tharas hat vor, morgen Nacht zum Bau der Wölfe zu gehen und sich als sein Vater auszugeben, um an den Leitwolf heran zu kommen."

"Was für eine Wahnsinnsidee! Oh, dieser dumme Junge. Wenn der Wolf nur halb so schlau ist wie ich glaube, wird er den Schwindel sofort erkennen. Und selbst wenn nicht, und er es schafft, den Anführer zu töten, besteht das restliche Rudel immer noch aus mindestens 20 Wölfen. Das schafft er unmöglich."

"Das weiß er selbst. Doch es ist ihm absolut ernst. Er will Rean unbedingt aus der Bürgschaftspflicht befreien. Ob durch seinen Tod oder seinen Erfolg spielt keine Rolle, sagte er."

"Und du hast ihn gewähren lassen?" Jetzt war Melean wirklich entsetzt.

"Er hat darauf bestanden.", bestätigte Aures.

"Das ist absolut hirnrissig. Aures, wenn er das nicht überlebt, was ist dann mit Rean? Wir müssten ihn ständig überwachen damit er sich nichts antut."

"Das war Tharas Forderung. Er wollte, dass wir dem Jungen im Falle seines Ablebens einen unserer besten und wachsamsten Leute zur Seite stellen damit er sicher und wohlbehalten nach Hause kommt."

"Nach Hause? Er hat kein zu Hause mehr. Seine Familie ist versteinert. Wo soll er denn hin? Wie hat sich Tharas das nur vorgestellt?"

"Er will, dass wir ihn nach Arc bringen. Und ich finde, er hat Recht. Dort ist er gut aufgehoben."

"Nach Arc? Direkt in Llandons Obhut? Kann er nicht bei uns bleiben? Es würde ihm gut gehen.", schlug Melean vor.

Aures schüttelte den Kopf. "Er muss zurück zu den Menschen. Ich weiß, dass du ihn gern hast, aber wir sind nicht seine Familie. Er muss zu seinesgleichen. Überhaupt ist Tharas noch nicht einmal unterwegs und wir überlegen schon, was nach seinem Tod ist."

Melean seufzte. "Er will sich anscheinend wirklich umbringen. Hoffentlich denkt er noch einmal darüber nach.", sagte er ernst.

"Selbst wenn, es ist zu spät. Unser Vertrag steht.", sagte Aures nüchtern.

"Nicht nur ich überrasche dich, Liebster, auch du mich." Melean sprach ganz langsam und deutlich. Das Wort Liebster betonte er auf eine Art, die es fast wie eine Drohung wirken ließen. "Ich hätte so etwas nie von dir erwartet. Und ich bin enttäuscht. Du schickst ihn in den sicheren Tod. Aber wenn er stirbt, dann mach das allein mit deinem Gewissen aus, denn dann werde ich persönlich Rean begleiten." Seine Augen waren nur noch schmale Schlitze. Wütend schob er sich an seinem Mann vorbei und würdigte ihn keines Blickes mehr. (Oh, oh, dicke Luft *uiuiui*)
 

Tharas und Rean waren ein Stück weit vom Dorf fort gegangen. Sie hatten den bisherigen Weg über geschwiegen, doch als die Stille zwischen ihnen langsam begann, erdrückend zu werden, fragte Rean: "Was hattest du denn so wichtiges mit Aures zu besprechen?"

"Weißt du, wenn ich es dir hätte sagen wollen, dann hätte ich dich in der Hütte bleiben lassen.", erwiderte Tharas.

Rean hielt mitten im Schritt inne und ballte seine Hände zu Fäusten. "Das ist ungerecht von dir. Du hattest nie Geheimnisse vor mir und ich vor dir auch nicht. Seit wir unterwegs sind, erkenne ich dich kaum wieder. Was ist nur mit dir los, Tharas, hm?", fragte er und seine Stimme zitterte ein wenig vor unterdrücktem Zorn. Doch als Tharas sich zu ihm umdrehte, taten ihm seine Worte sofort wieder Leid. Sein Freund blickte ihn nicht wütend an, wie er es erwartet hatte, sondern unendlich traurig.

"Es tut mir Leid, Rean. Aber es ist nur zu deinem Besten, wenn du es nicht weißt. Glaub mir. Und ja, vielleicht habe ich mich verändert…" Er kam auf Rean zu und sah ihm fest in die Augen ohne auch nur zu blinzeln. "… Und das liegt daran, dass ich selbst noch nie in solch einer Situation war. Ich fühle mich für dich verantwortlich und nicht nur das. Du bedeutest mir mehr als mein eigenes Leben, das habe ich jetzt begriffen." Mittlerweile stand er so nahe vor ihm, dass Rean den Kopf heben musste, um ihm in die Augen sehen zu können. Sanft berührte Tharas seine Wange.

"Rean, ich…" /Ich liebe dich, na los, du Idiot, nun sag es schon endlich./, schalt er sich selbst, doch die Worte wollten einfach nicht über seine Lippen kommen. Ein innerer Widerstand hielt ihn davon ab. Vielleicht war es nicht der richtige Zeitpunkt dazu. Aber wenn er seinen Plan umsetzen würde, dann würde es vielleicht gar keinen Zeitpunkt mehr geben. Sehr wahrscheinlich sogar.

"Was?", hauchte Rean und sein Blick schien verzweifelt nach der Antwort zu verlangen.

"Ich…", setzte Tharas erneut an, doch plötzlich…

"Da seid ihr zwei ja. Ich hab euch schon überall gesucht!", rief Soley und kam zu ihnen herüber geflattert.

Ruckartig lösten sie sich voneinander. Tharas ließ entmutigt die Schultern hängen und verdrehte genervt die Augen. Diese Fee hatte aber auch ein Talent, in den ungünstigsten Momenten aufzutauchen. (Und diese Autorin hat ein Talent, auch die romantischsten Momente ruckartig zu zerstören ;0) Sorry)

"Soley!", rief Rean. "Wo warst du den ganzen Tag? Ich hab dich schon vermisst." Sein Gesicht war leicht gerötet, doch Soley schien gar nicht zu merken, dass sie gestört hatte, denn sie fing ungeniert an, zu plappern.

"Also, ich war mit ein paar von den Elfen unterwegs, die das Essen zubereiten. Dann hab ich mich mal so umgehört, ob jemand was von den Feen weiß. Doch niemand konnte mir etwas über den Aufenthaltsort meines Volkes sagen. Das heißt also, dass ich euch beiden wohl oder übel noch eine Weile erhalten bleibe." Sie strahlte Rean vor Freude an.

"Super.", kommentierte Tharas trocken. "Was für ein erhebendes Gefühl, deine überaus geschätzte Gesellschaft weiterhin genießen zu dürfen."

"Wieso bist du denn plötzlich so verstimmt, Zauberlehrling? Nach deiner Meinung hat sowieso niemand gefragt." Die Fee streckte ihm die Zunge raus und ließ sich auf ihrem Stammplatz auf Reans Schulter nieder.

"Ich glaube, wir sollten zurück ins Dorf gehen.", meinte Rean. Tharas akzeptierte mit einem kurzen Nicken. So machten sie sich auf den Rückweg.

Kapitel 10 - Die Wolfsschlucht

Bei strahlendem Sonnenschein und lauschigen Temperaturen gleich mal ein neues Chap. Viel Spaß beim Lesen.
 

Kapitel 10

Die Wolfsschlucht
 

Für den Rest des Tages fragte sich Rean, was ihm Tharas hatte sagen wollen, wäre Soley nicht dazwischen gekommen. Sicher musste es wichtig gewesen sein. Jetzt war ihm auch klar, dass es nicht Tharas Blick gewesen war, der die Übelkeit in ihm ausgelöst hatte, sondern ein Gefühl, als würde er ihn nie wieder sehen. Und dessen war er sich sehr sicher. Er konnte sich nicht erklären, woher diese Überzeugung kam, doch sie war da. Eben deshalb war er selbst ein bisschen wütend auf Soley, dass sie sie einfach unterbrochen hatte.

Die Abenddämmerung setzte langsam ein und tauchte das Dorf in goldenes Licht. Plötzlich hörte Rean leise Musik. Es waren die Töne einer Flöte. Nachdem er selbst als Kind etwas auf diesem Instrument gespielt hatte, suchte er mit den Augen nach dem Verursacher dieser Musik. Die Melodie war traurig und Rean fühlte sich an seine eigenen Gefühle erinnert. Er konnte nicht erkennen, wo die Musik herkam, also folgte er seinem Gehör.
 

Umso erstaunter war er, als er vor Aures und Meleans Haus ankam und feststellte, dass der Klang von einer kleinen Plattform oberhalb davon kam, die er von seiner Hütte aus nicht gesehen hatte. Dort oben saß Melean und hatte beim Spielen die Augen geschlossen. Als er sein Lied beendet hatte, öffnete er sie langsam wieder und schaute zu Rean hinunter. Dann lächelte er und sagte: "Komm doch rauf, wenn du willst. Die Leiter ist da drüben am Baumstamm."

Rean ging ein Stück um das Haus herum und entdeckte tatsächlich Sprossen aus dickem Holz, die direkt am Stamm befestigt waren. Sie waren breit genug, dass man gut Halt fand und er kletterte daran hinauf. Oben angekommen stellte er fest, dass der Blick einfach überwältigend war. Er überblickte den Wald in drei Richtungen bis hin zum Horizont. Im Osten zeichneten sich deutlich die Berge ab, die er erst vor kurzem überwunden hatte.
 

"Es ist schön hier oben, nicht wahr?", fragte Melean und Rean fuhr erschrocken herum. Auch der Elf klang traurig und ernst. Fast wie Tharas. "Weißt du, " fuhr er fort und schob sich eine blonde Welle aus der Stirn, "ich komme hierher, wenn ich nachdenken muss."

"Du spielst sehr schön.", sagte Rean und hoffte, den Elf etwas aufzumuntern und tatsächlich stahl sich ein schwaches Lächeln auf Meleans Gesicht.

"Danke. Ich sagte ja schon, dass mein Vater Musiker war: Er hat mich gut unterrichtet. Diese Flöte hat er selbst nach meinen eigenen Vorstellungen geschnitzt. Ich hänge sehr an ihr. Sie erinnert mich an ihn. Wenn ich auf ihr spiele, dann habe ich das Gefühl, seine Stimme zu hören."

Rean ließ sich neben Melean auf die Holzplanken sinken und betrachtete die Flöte. Melean reichte sie ihm und er nahm sie entgegen. Sie war aus hellem Holz und mit feinen Schnitzereien verziert. Es war die schönste Flöte, die er je gesehen hatte und das sagte er auch.

"Ich habe sie seit vierhundert Jahren und länger.", erklärte Melean. "Vielleicht wird es langsam Zeit, dass sie einen neuen Besitzer findet."

"Wie meinst du das?", fragte Rean.

"Wenn du willst, schenke ich sie dir."

"Nein. Das könnte ich nie annehmen. Du hängst doch so daran. Und außerdem bin ich kein sehr guter Spieler.", erwiderte der Junge erschrocken.

"Nun, wenn du sie nicht geschenkt haben willst, " überlegte der Elf und legte die Stirn in Falten, "dann kannst du dich ihrer ja als würdig erweisen. Spiel mir was vor.", forderte er Rean auf.

"Aber ich sagte doch, ich…", wollte Rean protestierten, doch Melean sagte nur: "Papperlapapp" also fügte sich der Junge in sein Schicksal.

"Was soll ich spielen?", fragte er.

"Das, was dir gerade in den Sinn kommt.", antwortete der Elfenkrieger.

"Also gut.", murmelte Rean und setzte die Flöte an die Lippen. Das erste Lied, das ihm in den Sinn kam, hatte er einmal von einem aus dem fahrenden Volk gelernt. Auch das war eine Ballade und sie war gerade so schön passend. Er begann, zu spielen.

Melean hörte ihm konzentriert und mit geschlossenen Augen zu. Als er geendet hatte, sagte er: "Ich hatte Recht. Sie hat sich einen neuen Besitzer gesucht. Du darfst, nein, du musst sie sogar behalten."

"Und das macht dir wirklich nichts aus?", wollte Rean besorgt wissen.

"Nein, überhaupt nicht. Irgendeine innere Stimme sagt mir, dass du sie dringender brauchst als ich."

Rean erhob sich und sagte: "Ich glaube, ich gehe dann mal wieder. Bis morgen."

"Bis morgen.", antwortete Melean.

An der Luke im Boden angekommen hielt Rean inne. Er drehte sich um und schaute sein Gegenüber schüchtern an. "Du, Melean…", sagte er leise.

"Ja, Rean? Was gibt es noch?", fragte dieser und lächelte aufmunternd.

"Du hast da vorhin so eine Andeutung gemacht…"

"So? Welche denn?" Die türkisfarbenen Augen blickten misstrauisch.

"Du sagtest, ihr beide, du und Aures, ihr wärt euch körperlich näher gekommen. Wie war das gemeint?" Der Junge spielte nervös mit einem Zipfel seines Hemds.

"Es war genau so gemeint, wie ich es gesagt habe.", gab Melean zur Antwort.

"Kannst du's mir nicht trotzdem genauer erklären?", bat Rean und fügte dann ein kleines "Bitte" hinzu.

Melean schwieg einen Augenblick. Dann stieß er den Atem zwischen den Zähnen aus und sagte: "Du willst also von mir wissen, wie das mit der körperlichen Liebe ist?" Rean nickte. "Also gut.", fuhr er fort. "Bist du anatomisch bewandert?", hakte er nach. Wieder ein Nicken. "Hast du eine ungefähre Ahnung, wie "es" geht?"

"Ja, aber ich weiß nur, wie das mit Frauen ist. Nicht praktisch, nur theoretisch. Die haben ein Loch dafür. Männer haben das nicht."

Der Elfenkrieger seufzte übertrieben, rollte dramatisch mit den Augen und sagte: "Warum musstest du ausgerechnet mich danach fragen, hm?"

"Weil du der einzige bist, bei dem ich mich das traue. Es ist mir sowieso schon peinlich genug…" Sein Blick wanderte zur Seite. Er schaffte es einfach nicht, Meleans stechenden Augen standzuhalten.

Dieser seufzte noch einmal, dann zuckte er die Achseln und fuhr fort: "Du glaubst also, Männer hätten kein, wie nanntest du es? Loch? Das stimmt nicht. Sie haben eins."

"Wo denn?", unterbrach ihn Rean. "Und wenn, dann doch nicht dafür, oder? Ich meine, bisher dachte ich, sie streicheln sich nur."

Melean lachte auf, zog den Jungen in seine Arme, drückte ihn fest an sich und rief: "Himmel, bist du niedlich! Ich glaube, ich adoptiere dich doch, egal, was Aures sagt. Nein, also so was von naiv!" Seine Hände wanderten zu Reans Hintern. "Und was ist mit dem hier hinten?", fragte er grinsend.

"Echt? Also, du meinst wirklich…?", fragte Rean und löste sich ruckartig von Melean. Sein Gesicht war kreidebleich. Er hatte sich also doch nicht geirrt.

"Genau das.", bestätigte dieser. Das Gesicht des Jungen verzog sich, als hätte er in eine reife Zitrone gebissen.

"Hört sich unangenehm an…", sagte er.

"Nur die ersten paar Mal. Allerdings ist es eher… ungewöhnlich.", erklärte Melean. "Mit der Zeit fühlt es sich richtig gut an. Das kannst du mir glauben, ich weiß, wovon ich spreche. Allerdings kann es sein, dass, wenn dein Geliebter sich gut anstellt, du gleich beim ersten Mal…" Er brach ab.

"Beim ersten Mal was?"

"Die Blumen zum Blühen bringst."

Rean errötete schlagartig. "Meinst du?", fragte er vorsichtig.

"Ich denke, deine Chancen stehen nicht schlecht. Ich persönlich ordne Tharas nicht in die Kategorie "Grobian" ein. Ja, es ist durchaus möglich…", antwortete Melean vollkommen ernst. Er konnte Rean nicht sagen, dass es für ihn wahrscheinlich kein erstes Mal mit Tharas geben würde. Hoffentlich hasste er ihn später nicht dafür, dass er ihn angelogen hatte.

"Ich glaube, das will ich gar nicht wissen!", rief Rean und schlug verschämt die Hände vors Gesicht. Seine Wangen brannten vor Scham.

"Wieso fragst du dann?", fragte Melean belustigt.

"Ich geh jetzt ins Bett. Gute Nacht, Melean.", murmelte der Junge und kletterte die Stufen hinunter. Unten angekommen lief er so schnell er konnte zu seiner Hütte.

"Gute Nacht, kleiner Stern…", sagte der Elf leise und lächelte.
 

Rean erwachte mit klopfendem Herzen. Unruhig suchten seine Augen in der Dunkelheit des Zimmers nach Tharas. Dieser lag friedlich schlafend ganz in seiner Nähe. Er war also nicht heimlich verschwunden, wie Rean insgeheim befürchtet hatte.

Doch Rean wusste nun, was sein Freund vorhatte. Er hatte es ganz deutlich in seinem Traum gesehen. Er wollte sich den Wölfen stellen. Allein. Das konnte der Junge unmöglich zulassen. Seine blauen Augen funkelten entschlossen. /Egal was Tharas sagt: Ich werde ihn davon abhalten. Oder wenigstens begleiten./, dachte er als er sich wieder hinlegte und die Decke über den Kopf zog.
 

Am nächsten Morgen erwachte er vom Zwitschern der Vögel. Als er sich unter der Decke hervorwühlte, erblickte er Tharas, der an den Türrahmen gelehnt dastand und verträumt nach unten zum Dorfplatz blickte. Als er Reans Aufwachgeräusche vernahm, drehte er sich zu ihm um und lächelte: "Guten Morgen.", sagte er und sein Lächeln wurde zu einem belustigten Grinsen.

"Morgen.", quengelte Rean. "Warum grinst du so dämlich?"

"Schau dich doch mal an. Du siehst aus, als hätte ein Vogel sein Nest auf deinem Kopf gebaut.", feixte Tharas.

"Siehst selber nicht besser aus.", konterte der Kleine beleidigt.

"Ist das so…", stellte der Krieger ironisch fest und schob sich lässig mit spitzen Fingern seine ebenfalls noch nicht frisierten Haare aus dem Gesicht.

Diese unbewusste Geste löste etwas in Rean aus. Tharas trug nur ein weites weißes Hemd und eng anliegende Hosen. Seine Füße waren bloß. Obwohl er tatsächlich ein wenig strubbelig aussah, fand Rean ihn wunderschön, gerade jetzt, da ihn das erste Licht des Tages anstrahlte und ihm eine leuchtende Aura verlieh.
 

"Was ist?", fragte Tharas als Rean ihn anscheinend etwas zu lang mit seinem Blick fixierte.

"Nichts.", wiegelte dieser ab. "Hast du zufällig einen Kamm parat?"

Sein Gegenüber blickte ihn verdutzt an. "Einen Kamm? Wozu brauchst du den denn?", fragte er verdutzt.

"Na wenn ich schon ein Vogelnest auf dem Kopf habe, dann muss ich das doch beheben, oder?", erwiderte Rean.

"Da, ganz oben in meiner Tasche.", sagte Tharas und lächelte. Rean fischte den Kamm heraus und ordnete grob sein Haar. Dann schaute er seinen Freund verschwörerisch an. "So. Und jetzt du.", sagte er fröhlich.

"Was soll das denn nun schon wieder heißen, jetzt ich?"

"Na ich will dir die Haare kämmen. Los, komm runter!", forderte sein kleiner Freund ihn auf, machte eine entsprechende Geste und grinste breit.

"Ist ja mal ganz was Neues.", bemerkte Tharas, aber er kam gehorsam auf Rean zu und ließ sich dann mit dem Rücken zu ihm im Schneidersitz nieder.

Rean begann unverzüglich mit der Tharas-Haarordnungs-Aktion, wobei er sich hinknien musste, um überhaupt richtig heran zu kommen. Behutsam kämmte er erst die kleinen Knoten aus den Spitzen und zog dann den Kamm vom Haaransatz aus durch Tharas schwarze Mähne.

"Auf deine Haare könnte so manche Frau neidisch sein.", stellte er fest.

"Findest du? Ich hab schon öfter überlegt, ob ich sie abschneiden soll.", erklärte Tharas in beiläufigem Plauderton. Er genoss das Gefühl, das die zarten, wenn auch nur indirekten Berührungen Reans in ihm weckten.

"Bloß nicht!", protestierte Rean. "Ich finde sie schön so. Und sie stehen dir."

"Na gut, lass ich sie eben lang.", räumte Tharas ein und zuckte die Achseln. "Aber nur wegen dir."

Rean wurde rot und eine Weile sagten sie gar nichts mehr. Schließlich fand Rean, dass der Zeitpunkt günstig war und sagte: "Ich weiß, was du vorhast."

"Ach ja, wirklich? Was hab ich denn vor?" Tharas Ton war beiläufig doch in seinem Inneren war er nervös. Konnte der Junge etwas mitbekommen haben?"

"Du willst die Wölfe bekämpfen."

"Woher willst du das wissen?"

"Ich weiß es einfach."

"Weshalb sollte ich so etwas Dummes machen, hm? Also, woher hast du diesen Unsinn?", hakte der Prinz von Arc nach, doch insgeheim sagte er: /Gedankliche Notiz an mich selbst: Melean umbringen./ Von wem sollte Rean es sonst wissen?
 

"Halt mich nicht für dumm, Tharas! Beziehungsweise für blind!", fuhr Rean auf und hörte mit den zarten Streicheleinheiten auf Tharas Haar auf. "Woher ich es weiß tut nichts zur Sache. Ich will nur nicht, dass du einfach so dein Leben wegschmeißt nachdem ich dir gerade noch den Hals gerettet hab!"

"Und dafür bin ich dir wirklich dankbar.", erwiderte Tharas beherrscht und drehte sich zu Rean um, der mittlerweile aufgesprungen war. "Setz dich wieder.", forderte er nachdrücklich. Der kleine Prinz gehorchte widerwillig.

"Hör zu, " erklärte er sachlich, "es ist so, dass niemand diese Wölfe bezwingen kann außer dem, der sie so stark gemacht hat. Und das wäre dann mein Vater. Lass mich erklären…", bat er Rean, der wieder auffahren wollte. Dieser schloss sofort wieder den Mund. Dagegen reden war heute wohl nicht. "… Ich weiß, dass es riskant ist, dennoch. Mein Vater würde niemals etwas unternehmen. Nicht einmal wenn er mit den Elfen besser auskommen würde. Also ist es an mir, dem ganzen ein Ende zu bereiten. Ich habe vor, mich als mein Vater auszugeben. Schau mich nicht an wie ein Eichhörnchen wenn's blitzt. Genau das habe ich vor. Als solcher werden sie mich in das Innerste ihres Baus lassen. Dort wartet der Leitwolf. Wenn ich nah genug an ihn herangekommen bin, bring ich ihn um und das Rudel ist kopflos. Sie werden sich zerstreuen. Den Rest können die Elfen übernehmen."

"Und du glaubst allen Ernstes, dass du das überlebst?", fragte Rean und schaute ihn zweifelnd an.

Tharas zuckte die Achseln. "Sehr wahrscheinlich ist es nicht. Aber wenn ich sterbe, dann nehme ich so viele von dem Wolfspack mit wie ich nur kriegen kann."

"Das ist Wahnsinn. Wieso interessierst du, ausgerechnet du, dich für die Probleme der Elfen? Die Mandragora haben wir nicht, sie hätten dich beinahe umgebracht, ich schulde ihnen mein Leben und du willst ihnen helfen?"

"Du würdest es auch tun, oder nicht?"

"Ja, ich schon. Aber es passt nicht zu dir, das ist der springende Punkt."

"Wieder falsch. Es passt nicht zu meinem Vater. Und es verletzt mich, dass du von ihm auf mich schließt. Ich hab kein Problem mit den Elfen. Ich hatte nie eines, nur sie mit mir. Und dieses Missverständnis werde ich aus der Welt schaffen."

"Und dich dabei umbringen?", meinte Rean skeptisch. "Also wenn du schon gehen musst, dann nimm mich wenigstens mit. Zu zweit haben wir bessere Chancen."

"Nie im Leben. Ich sagte doch schon, der einzige, den die Wölfe unbehelligt passieren lassen ist Llandon, ihr Herr. Und der einzige, der ihm wie aus dem Gesicht geschnitten ist, bin ich. Sie würden mir nie abkaufen, dass du zum Beispiel mein Sklave wärst, oder etwas in der Richtung. Du bist zu menschlich. Sie leben hier abgeschottet von der Außenwelt. Zu der Zeit, als sie meinen Vater zuletzt gesehen haben, hasste er die Menschen nicht weniger als die Elfen und hätte sich niemals freiwillig mit ihnen umgeben. Siehst du jetzt, warum ich dich nicht mitnehmen kann?"

"Du wirst mich mitnehmen.", beharrte Rean.

"Nein, werde ich nicht.", konterte Tharas.

"Doch, das wirst du."

"Nein, das werde ich nicht."

"Doch!"

"Nein!"

"Sehrwohl!"

"Aber mitnichten!"

"Doch!"

"Nein!"

"Doch!"

"Also gut, dann nehm' ich dich eben mit."

"Echt?"

"Nein."

"Du bist so fies." Rean verschränkte die Arme vor der Brust und zog schmollend eine Schnute. Das fand Tharas so süß, dass er lauthals anfing zu lachen.

"Also gut, ich werde dich mitnehmen.", versprach er hoch und heilig. "Aber wir gehen erst morgen früh, klar? Wir haben noch einen ganzen Tag Zeit. Du solltest besser noch mal etwas mit dem Schwert üben. Du wirst es nötig haben."

"Ist gut. Ich frag' Melean, ob er mit mir übt!", rief Rean begeistert, sprang auf und war verschwunden.

/Super. Unser letzter gemeinsamer Tag und er rennt zu diesem honigblonden Schönling… So hatte ich mir das nicht vorgestellt…/, dachte Tharas traurig und wieder nagte die Eifersucht an ihm.
 

Melean war tatsächlich bereit, Rean ein paar Übungsstunden zu geben. Allerdings wunderte er sich sehr, dass Tharas den Jungen plötzlich mitnehmen wollte.

Er war ein guter Lehrer und Rean lernte noch den einen oder anderen Trick, den nicht einmal Tharas kannte. Dieser beobachtete die beiden aus einiger Entfernung und musste neidlos anerkennen, dass der Elfenkrieger diesen Titel wirklich verdient hatte. Sein Kampfstil war hervorragend. Jede einzelne Bewegung war harmonisch und kraftvoll. Es schien ihm, als wäre der Elf eins mit seinem Schwert.
 

Am Abend, die Sonne war bereits untergegangen, nahm Melean den Prinzen kurz zur Seite und fragte: "Du nimmst ihn doch nicht wirklich mit, oder?"

"Aber nein, wo denkst du hin?", fragte Tharas entgeistert. "Ich werde ihn jetzt in Schlaf versetzen und dann aufbrechen. Er wird nicht vor dem ersten Sonnenstrahl aufwachen. Bis dahin ist mein Schicksal besiegelt, egal, wie es aussieht."

"Tharas…", sagte Melean ernst und blickte ihm fest in die Augen. Erst jetzt fiel Tharas auf, wie groß Melean eigentlich war. Sogar noch ein Stückchen größer als er selbst. "Ich weiß, du willst Rean aus der Bürgschaft befreien, doch ich fürchte, dass das der falsche Weg ist. Starke Elfenkrieger sind an dieser Aufgabe gescheitert. Niemand hält dich für einen Feigling wenn du es nicht tust."

"Ich weiß, aber meine Abmachung mit Aures steht. Und ich stehe zu meinem Wort." Damit wandte er sich ab und folgte Rean, der bereits zu ihrer Hütte hinaufgeklettert war.
 

"Ich kann heute bestimmt nicht schlafen…", sagte Rean leise, als Tharas die Hütte betrat.

"Warum nicht? Zu aufgeregt?"

Der kleine Prinz nickte.

"Aber du musst schlafen. Wir haben morgen einen harten Kampf vor uns. Den wollen wir doch ausgeschlafen bestreiten, oder?"

"Das sagst du so leicht. Aber es wird bestimmt nicht einfach. Oh, Tharas, ich finde heute sicher keinen Schlaf.", stöhnte Rean.

"Es ist ganz einfach.", sagte Tharas leise und eindringlich und ließ sich neben Rean nieder. Sanft legte er einen Arm um den Jungen und bettete ihn gemächlich auf sein Kissen, wobei er die andere Hand auf Reans Brust legte. Sein eigener Körper folgte ein Stück weit nach, sodass sich sein Gesicht direkt über Reans befand.

Reans Herz klopfte wie wild. Erneut zogen ihn Tharas tiefgrüne Augen in ihren Bann und an den Stellen, an denen er ihn berührte, prickelte seine Haut.

"Du wirst jetzt schlafen.", sagte Tharas mit ernster Stimme. "Du bist ganz müde. Deine Lider sind schon ganz schwer…" Bei diesen Worten schloss er sanft Reans Augen.

"Ich bin nicht müde.", protestierte Rean anstandshalber, wenn auch nicht ganz überzeugend.

"Doch, das bist du."

"Nein, bin ich nicht.", gähnte er. Dann war er eingeschlafen. Tharas lächelte. Es hatte keinen Zauber gebraucht um den völlig abgekämpften Jungen zum Schlafen zu bringen. Nur ein wenig Hypnose und es war geschehen. Vorsichtig zog er seinen Arm unter Rean hervor und wandte sich ab zum Gehen. Doch dann hielt er mitten in der Bewegung inne. Er drehte sich um und blickte Rean noch einmal liebevoll an. Langsam senkte er den Kopf und hauchte einen zarten Kuss auf seine weichen Lippen. "Leb wohl…", flüsterte er, "… Ich liebe dich." Dann verließ er endgültig die Hütte.
 

Unten erwartete ihn Aures zusammen mit einigen anderen Elfen, Melean jedoch war nicht unter ihnen. "Seid Ihr Euch sicher?", fragte der Fürst.

Tharas nickte nur. Er war nicht fähig, irgendetwas zu sagen, denn seine Kehle war wie zugeschnürt.

"Hier sind Euere Waffen.", sagte Aures und ein Diener überreichte Tharas sein Schwert, seinen Bogen und den Köcher mit den Pfeilen. "Es ist in der Tat viel, was Ihr für unser Volk tut, oder zumindest den Rest, der noch hier ist. Solltet Ihr sterben werden wir Euch in Ehren gedenken."

/Ist gut. Richtet schon mal eine Totenfeier für mich aus. Und dann kannst du diese Worte wiederholen. Hoffentlich erstickst du daran./, dachte Tharas zynisch. Aus seinem Mund jedoch kam: "Es ist mir eine Ehre, edler Fürst."

"Die Höhle der Wölfe liegt etwa zwei Meilen nördlich von hier. Folgt dem Pfad bis zu der Quelle, dann biegt nach rechts ab. Ihr könnt sie nicht verfehlen.", erklärte der Fürst der Elfen.

"Und Ihr werdet gut für Rean sorgen, wenn ich nicht zurück komme?"

"Ich schwöre Euch, dass es ihm an nichts fehlen wird. Unser bester Krieger wird ihn nach Hause begleiten und für seine Sicherheit garantieren, wie vereinbart."

Tharas nickte und wandte sich zum Gehen.

"Viel Glück, Tharas.", sagte Aures noch und es hörte sich weder eitel noch sonst wie arrogant an. Tharas spürte, dass es ehrlich gemeint war und war dem Fürsten fast schon ein wenig dankbar. Aber nur ein wenig.

Er warf einen letzten Blick zurück zur Hütte und machte sich auf den Weg.
 

Er war noch nicht weit gekommen, als ihn eine Stimme anrief.

"Wo willst du denn noch so spät hin, Zauberlehrling?", fragte Soley und schwebte heran.

"Was machst du hier, Glühwürmchen. Solltest du nicht besser schlafen?"

"Du meinst so wie Rean?", fragte sie und ihr Blick war ihm unangenehm.

"Hast du was davon mitbekommen?", fragte Tharas alarmiert.

"Was? Dass du ihn hypnotisiert und als er dann eingeschlafen war geküsst hast? Oder meinst du dieses kleine aber feine Liebesgeständnis?", grübelte die Fee.

"Also weißt du ja, wie schwer es mir fällt, zu gehen. Dann lass mich bitte in Ruhe.", nörgelte der Prinz und setzte seinen Weg fort.

"Jetzt warte doch mal!", rief Soley ihm hinterher. "Was du da vorhast ist…"

"Weiß denn jeder in diesem verdammten Dorf, dass der schwarze Magier so dumm ist und sich allein einem kompletten Rudel Wölfe entgegenstellt? Ich weiß, dass es absoluter Wahnsinn ist!", beschwerte sich Tharas und verdrehte die Augen.

"Das wollte ich aber nicht sagen…", meinte Soley schüchtern. "Ich wollte sagen, dass ich das unheimlich mutig von dir finde."

Jetzt war Tharas wirklich überrascht. Er hielt im Schritt inne und schaute die Fee misstrauisch an. "Meinst du das ernst?", fragte er.

"Absolut. Weißt du, ich hab ja bisher nicht viel von dir gehalten, aber du bist gar nicht so übel. Im Gegenteil. So langsam finde ich dich richtig sympathisch. Ach ja, und die Sache mit dir und Rean ist ja so romantisch. Es ist so tragisch, dass du dein eigenes Leben opfern willst um ihn zu beschützen…"

"Na vielen Dank. Der tragische und romantische Held würde jetzt gerne seinen letzten Gang antreten. Also wenn es dir nichts ausmacht…"

"Oh, ich komm gern ein Stück mit. Der letzte Weg ist doch der schwerste und ich glaube, da will keiner allein sein. Natürlich nur, wenn du nichts dagegen hast."

"Das würdest du tun?", fragte Tharas und war richtig berührt.

"Sicher. Ich würde ja sogar mitkämpfen, aber du musst doch wohl zugeben, dass ich dafür ein wenig zu klein bin.", sagte sie und lächelte ihm aufmunternd zu. Dann flatterte sie an seine Seite und begleitete ihn tatsächlich bis kurz vor die kleine Schlucht in der die Wolfshöhle lag. Die ganze Zeit über schwiegen sie, doch Tharas war der Fee unheimlich dankbar und das bloße Gefühl ihrer Anwesenheit tröstete ihn.
 

Rean schlief tief und fest, doch plötzlich rüttelte ihn jemand an der Schulter. Zuerst noch zaghaft, dann heftiger. Schließlich raunte ihm eine tiefe Stimme ins Ohr: "Wach endlich auf."

Richtig wach wurde er erst durch die Ohrfeige. "Aua, das hat weh getan…", beschwerte er sich.

"Tut mir Leid. Ich hatte keine andere Wahl.", sagte die Stimme neben ihm.

"Tharas! Wo ist Tharas?", fiel es ihm plötzlich ein.

"Er ist gegangen. Schon vor weit über einer Stunde. Aber ich konnte nicht früher zu dir kommen. Ich wollte sicher gehen, dass alle schlafen. Und dann bist du einfach nicht aufgewacht."

Erst jetzt wandte sich Rean der Gestalt zu, die auf seiner Bettkante saß. Sie trug ein Hemd aus festem Stoff und darüber einen Lederharnisch. Um die Schultern hatte sie einen dunkelblauen Mantel geworfen, von dem ein Stück wie ein Schutz vor dem Gesicht befestigt war. An ihrer Seite hing ein langes Schwert. Auf Reans fragenden Blick hin nahm sie das Tuch vom Gesicht.

"Melean? Was tust du denn hier?", rief der Junge entgeistert. Melean legte erschreckt einen Finger auf seine Lippen. "Schrei doch nicht so. Du weckst noch das ganze Dorf auf. Los, zieh dich an. Ich habe deine Waffen dabei. Beeil dich."

"Warum? Was hast du vor?", fragte Rean, der immer noch nicht ganz begriff was eigentlich vor sich ging.

"Wir gehen und retten deinen Geliebten. Wenn er so dumm ist und Selbstmord begehen will, ist das seine Sache. Aber wir müssen ja nicht gerade herumstehen und nichts tun, oder?", erklärte Melean ernst.

Rean war mit einem Satz aus dem Bett und zog sich an. Melean hatte auch für ihn einen Harnisch dabei, für alle Fälle. Dann hängte er sein Schwert um und befestigte Köcher und Bogen.

"Fertig?", fragte Melean.

"Fertig.", bestätigte Rean.

"Gut, dann los. Folg mir.", befahl der Krieger und ging voraus in die Nacht.
 

Kaum dass sie außerhalb des Dorfes waren fragte Melean: "Wie schnell kannst du laufen?"

"Ziemlich schnell. Aber wenn es eilig ist, warum nehmen wir nicht die Pferde?"

"Weil das Gelände unwegsam ist und wir zu Fuß schneller sind. Außerdem würden die Tiere bei der bloßen Nähe der Wölfe panisch werden. Komm." Melean lief los und Rean folgte ihm mühelos. Bald verfielen sie in schnellen Lauf.

"Warum eigentlich diese Heimlichtuerei?", fragte Rean irritiert.

"Weil Aures angeordnet hat, dass wir Tharas nicht zur Hilfe kommen sollen. Ich habe mich also hiermit offiziell seinem Befehl widersetzt."

"Das wird Ärger geben…", stellte Rean fest.

"Oh ja, das wird es. Aber wenn wir alle drei lebend aus der Sache rauskommen war es das wert.", erklärte Melean. "Außerdem muss ich mich nur einmal vor Aures ausziehen und das Ganze ist vergessen.", fügte er süffisant hinzu.

"So einfach?", fragte Rean und war fast ein wenig belustigt.

"Du wirst es nicht glauben, aber da ist der Fürst der Elfen wie fast alle Männer. Die denken nur mit dem unteren Gehirn."

"Wie bitte?", wollte Rean irritiert wissen.

"Musst du nicht verstehen. Dazu bist du noch zu klein.", erwiderte der Elf. "Und jetzt konzentrier dich lieber aufs Laufen."

Während sie wie zwei Schatten durch den Wald huschten, zeigte sich im Osten bereits der erste Streifen scharlachroten Lichts am Horizont.

/Hoffentlich kommen wir nicht zu spät./ dachte Rean.

Kapitel 11 - Rhakyr der Graue

Servus!
 

Anlässlich meines Burzeltags hier ein neues Chap für euch als kleines Geschenk. Diesmal gibt es etwas mehr Ektschn (und ein itzibitzikleines bisschen amore).
 

Kapitel 11

Rhakyr der Graue
 

Je näher er der Wolfsschlucht kam, desto sicherer fühlte sich Tharas. Es war ihm, als kämen seine unterdrückten magischen Kräfte langsam zurück. Soley hatte sich gerade von ihm verabschiedet und flog zurück zu den Elfen. Nun war er auf sich allein gestellt. Von weitem erblickte er bereits den kurzen Abhang, der in die Schlucht der Wölfe hinabführte.

Dennoch, bevor er sich todesmutig ins Getümmel stürzte, befand er es für sinnvoller, sich erst einmal einen groben Überblick über die Lage zu verschaffen. Er suchte sich einen Aussichtspunkt hinter einem großen Felsen am Rand des Abhangs und spähte daran vorbei zu der Höhle hinunter.
 

Auf den ersten Blick machte er etwa ein Dutzend Tiere aus. Im Licht des fast vollen Mondes waren sie gut zu erkennen. Je länger er seinen Beobachtungsposten aufrechterhielt, desto schlimmer schien die Situation zu werden, denn es gesellten sich immer mehr Wölfe zu den bereits anwesenden. Nach genauem zählen kam er auf 23 Tiere.
 

"Oh, Vater, " dachte er betrübt, "was soll ich nur tun?"

"Am besten gar nichts."

Tharas meinte, sich verhört zu haben und zuckte zusammen als er die vertraute Stimme in seinem Kopf vernahm. "Vater? Bist du es wirklich?", fragte er ungläubig.

"Nein, ich tu nur so. Natürlich bin ich es“, kam prompt die Antwort.

"Wieso können wir plötzlich wieder miteinander kommunizieren? Ich hab's so oft versucht und bin gescheitert."

"Das liegt an einem kleinen Loch im magischen Netz das die Elfen über den Wald gelegt haben. Nur deshalb können die Wölfe in dieser Schlucht überhaupt noch leben. Du müsstest hier auch wieder im Vollbesitz deiner magischen Kräfte sein."

"Wenn ich das jetzt ausprobiere, könnte es sein, dass ich ein Problem habe…"

"Das hast du sowieso schon. Wie kommst du eigentlich auf den schiefen Hund, dich mit Rhakyr und seinem Rudel anzulegen?"

"Ich muss mich als Elfenfreund erweisen. Wenn nicht, dann muss Rean mit seinem Leben herhalten."

"Er ist eine Bürgschaft mit den Elfen eingegangen? Hast du versucht, ihn davon abzuhalten?", rief Llandon entsetzt.

"Das war mir aus gewissen Gründen gerade nicht möglich. Der Henker war kurz davor, mich einen Kopf kürzer zu machen. Er hatte das Schwert schon erhoben."

"Dann war also Gefahr in Verzug? Übel. Aber das ist noch lange kein Grund, dass du dich als Freund der weißen Spitzohren erweisen musst. Oh Elend! Schande! Schande über dich, Schande über diese verdammten Elfen, Schande, Schande, Schande!"

"Jetzt beruhig dich doch mal wieder. Du hast es mit Fassung getragen als ich dir gesagt habe, dass ich einen Jungen liebe, also wird das ja wohl halb so schlimm sein, oder?"

"Meine Güte. Was hab ich mit dir nur in die Welt gesetzt? Da ist bei der Produktion wohl ordentlich was schief gelaufen“, seufzte der König resigniert.

"Jetzt beschwer dich nicht. Sag mir lieber, wie ich mit denen da unten fertig werde“, meckerte Tharas nun leicht beleidigt.

"Ich sagte doch schon: Gar nicht. Rhakyr ist bei Weitem nicht so dumm wie du vielleicht glaubst. Wie willst du überhaupt da rein kommen, hm? Willst du anklopfen und sagen: Hallo, ihr lieben Wölfe, darf ich mit euch spielen?"

"Ich sag einfach, ich wäre du."

"Oh, tolle Idee. Und das soll funktionieren? Tharas, ich bitte dich, sei vernünftig."

"Ich bin doch vernünftig. Das ist die einzige Möglichkeit. Gerade weil ich dein Sohn und ein Wesen der Finsternis bin kann ich nie genau wissen, ob nicht irgendwann die dunkle Seite in mir durchbricht. Dann wäre ich tatsächlich ein Feind der Elfen und der, den ich liebe wäre sein Leben los. Ich muss das jetzt und für alle Zeiten aus der Welt schaffen."

"Wenn deine dunkle Seite zum Vorschein käme, wärst du nicht mehr in der Lage, irgendjemanden zu lieben, auch Rean nicht und es wäre dir egal, was mit ihm passiert."

"Ein Grund mehr, es jetzt zu tun."

"Denk doch mal an mich. Wenn ich deiner Mutter sagen muss, dass du tot bist, dann ist der Ofen für alle Zeiten aus. Dann geht das Herrscherhaus ohne Thronfolger unter. Schon mal darüber nachgedacht?"

"Ja, und weißt du was? Es ist mir egal. Mach's gut, Vater." Er trennte die Verbindung.
 

Llandon versuchte noch einmal, mit ihm in Kontakt zu treten, doch Tharas hatte seine Gedanken abgeschirmt. /Oh, du dummer Junge./, dachte er. /Dein Herz ist viel zu weich. Bei dir besteht nicht einmal ansatzweise die Gefahr, dass deine dunkle Seite zum Vorschein kommt. Ich hoffe, du hast mehr Glück als Verstand. Und dass Rhakyr dich unbehelligt ziehen lässt. Ansonsten kann dich nur noch ein Wunder retten./
 

Hinter dem Felsen atmete Tharas tief durch. /Los geht's./, dachte er und stieg in die Schlucht hinab. Am Grunde der Felsspalte hatten sich die Wölfe an dem Punkt versammelt, an dem er den Boden ihres Reviers betreten würde. Er straffte die Schultern, richtete sich hoch auf und setzte einen hochmütigen Blick auf als er die letzte der natürlichen Stufen erreichte. Die Wölfe starrten ihn misstrauisch und teilweise mit offener Feindseligkeit an.

"Lasst ihn ein“, hörte er plötzlich eine raue, kratzige, männliche Stimme in seinem Kopf. Das Rudel schien sie auch zu hören, denn sie bildeten einen Durchgang bis zum Eingang der Höhle. Tharas spürte die ihm folgenden Blicke mit jedem Schritt deutlicher. Langsam bekam er selbst Zweifel, ob sein Plan so gut gewesen war. Vor dem Höhleneingang zögerte er kurz.

"Tritt ein“, forderte ihn die Stimme auf. Er wusste, jetzt gab es kein Zurück mehr. Er musste den Kopf ein wenig einziehen, um nicht gegen die Decke zu stoßen als er in den Schlund aus Dunkelheit eintrat.

Er folgte dem Gang nur für ein paar Meter. Direkt an dessen Ende öffnete sich eine Höhle, die mitnichten mit der seines Vaters unter der Burg von Arc zu vergleichen war. Sie war dunkel, stickig und ziemlich klein, doch immerhin konnte er wieder aufrecht stehen. Das graue Gestein war scharfkantig und trostlos. Es wunderte ihn ein wenig, dass das ganze Rudel darin Platz finden sollte. Sein Blick fiel auf einen Felsen an der hinteren Wand der Höhle. Dort saß ein riesiger grauer Wolf und blickte ihn durchdringend an. Seine gelben Augen schienen im Dunkel zu leuchten.
 

"Llandon, mein alter Freund“, krächzte er. "Es ist lange her."

"Rhakyr“, sagte Tharas und es gelang ihm, das Zittern in seiner Kehle zu unterdrücken und eine perfekte Kopie der Stimme seines Vaters abzugeben.

"Wie mir scheint sind die Jahre mit dir wesentlich schonender umgegangen als mit mir“, sagte der graue Wolf und bleckte seine scharfen Zähne.

"Nur auf den ersten Blick, alter Freund. Auch ich fühle das Alter. Ich habe es lediglich der Magie zu verdanken, dass ich noch immer wie ein junger Mann aussehe“, erklärte Tharas und kam näher.

"Als wir uns kennen lernten, sahst du schon etwas älter aus. Woran liegt es, dass du kaum älter als zwanzig Sommer erscheinst?", fragte Rhakyr.

Tharas fühlte sich ertappt. Wusste der Leitwolf etwas und wollte ihm eine Falle stellen? Was sollte er darauf antworten? "Nun, " erklärte er schließlich, "Es ist so… Mein Name verbreitet in der Welt immer noch Angst und Schrecken, doch glauben die Menschen törichterweise, dass ich bereits ein alter Mann bin. Ich spiele etwas mit meinem Alter um sie zu verwirren."

"So ist das also. Und ich dachte, es wäre ein Weibchen…"

Tharas beschloss, auf das Spiel einzugehen. Je länger sie sich unterhielten, desto mehr Vertrauen fasste der Wolf zu ihm. Das hoffte er jedenfalls. Hoffentlich verstrickte er sich nicht in Widersprüche. "Eines? Mein Freund, der positive Nebeneffekt ewiger Jungend ist doch, dass man unter den schönsten Frauen von allen wählen kann. Und das seit vielen Jahrzehnten." Er lächelte überheblich.

"So, der Herr hat also einen ganzen Harem? Das wundert mich nicht im Geringsten. Zumal anscheinend auch ein Elfenweibchen dabei zu sein scheint…" Rhakyrs Stimme hatte einen lauernden Unterton, der Tharas keineswegs entging.

"Darf ich erfahren, woher du diese Erkenntnis nimmst?", erkundigte sich der Magier weil er nicht wusste, wie er anders reagieren sollte. Langsam fühlte er sich unwohl in seiner Haut.

"Es ist ganz einfach… Du riechst nach Elfen“, sagte Rhakyr und diesmal war die Bedrohung ganz deutlich zu hören.

War er aufgeflogen? So schnell? Wie war das möglich? Er selbst war völlig von seiner Rolle überzeugt gewesen. Nicht einmal seine Mutter hätte seine Stimme von der seines Vaters unterscheiden können. Und die Ähnlichkeit zwischen ihnen war schon immer verblüffend gewesen.

"Ich bin kurzfristig in ihre Gefangenschaft geraten“, erklärte er. "Aber du glaubst doch nicht, dass sie Llandon den Schrecklichen gefangen halten können, oder?"

"Fürwahr, Llandon den Schrecklichen nicht…", sagte der Wolf bedächtig. "Aber dich schon… Llandons Sohn."
 

Anscheinend war Tharas die Überraschung deutlich ins Gesicht geschrieben, denn es schien ihm, als würde Rhakyr lächeln. "Dachte ich es mir doch“, fuhr der Wolf fort. "Ich wusste von Anfang an, dass du nicht mein Herr und Meister bist. Du wurdest bereits bemerkt als du hinter dem Felsen warst. Zuerst dachte ich, du wärst wirklich unser Meister, als mir meine Kinder von dir berichteten. Doch warum kamst du dann nicht einfach herunter? Willst du wissen, woran ich dich letztendlich erkannt habe?"

Tharas nickte. "Weißt du, in welcher Gestalt dein Vater regelmäßig zu uns kam?", fragte der Leitwolf und da ging Tharas ein Licht auf.

"Als einer der Eueren. Als schwarzer Wolf“, sagte er.

Rhakyr nickte. "So ist es. Doch wie mir scheint, hat er dir von uns erzählt, denn woher solltest du sonst seinen Namen für mich kennen? Immerhin ist dein Vater der einzige, der mich so nennt. Erzähl mir, weshalb bist du hierher gekommen? Bestimmt nicht aus einem freundschaftlichen Grund, denn dann hättest du dich nicht zu verstellen brauchen. Haben dich die Elfen geschickt? Bist du derjenige, der mich beseitigen soll?"

Tharas wusste nicht, was er sagen sollte. Er war von Anfang an erkannt worden. Er war mit offenen Augen in die Falle getappt. Seine Intuition sagte ihm, es wäre besser, bei der Wahrheit zu bleiben. Schließlich sagte er einfach: "Ja, das bin ich."

"Ich kann dich wohl nicht davon abhalten“, sagte Rhakyr traurig. "Doch du weißt, dass du dann nie wieder lebend aus dieser Höhle herauskommen wirst, nicht wahr? Sieh dich um."

Als Tharas sich umdrehte, hatte sich das gesamte Wolfsrudel hinter ihm in der Höhle und im Durchgang versammelt. Sie alle standen in Angriffsposition. /Jetzt hast du ein echtes Problem. Warum hast du nichts gemerkt?/, dachte Tharas.
 

"Es tut mir Leid um dich, Llandons Sohn. Vor allem tut es mir Leid für deinen Vater. Er ist wirklich ein sehr guter Freund und es tut mir in der Seele weh, ihm sein Junges zu nehmen. Doch du hast noch eine Chance. Wir lassen dich gehen, unter der Voraussetzung, dass du keinen der unseren verletzen wirst. Und du musst den Elfen entsagen, das heißt beim morgigen Angriff bist du auf unserer Seite. Was sagst du dazu?"
 

Tharas ließ den Kopf hängen. Seine Gedanken überschlugen sich. Er war gefangen zwischen den Wölfen, sein Ziel noch zu weit entfernt. Ein unangenehmes Gefühl, das er angesichts einer solchen Situation für immer aus seinem Leben verdrängt zu haben glaubte, stieg in ihm auf: Angst.

Reans Gesicht erschien vor ihm. Das dunkle Blau seiner Augen, sein fröhliches Lächeln. Nein. Er würde niemals zulassen, dass ihm etwas geschah. Er musste seine Aufgabe erfüllen. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Unmerklich spannte er seine Muskeln an um schnell angreifen zu können, denn die nächsten Schritte würden alles entscheiden. Langsam hob er wieder den Kopf, blickte Rhakyr direkt in die Augen und sagte leise und eindringlich: "Niemals."

Im nächsten Moment zog er sein Schwert und teleportierte sich nah genug an den Leitwolf heran, um es in hohem Bogen zu schwingen und ihm den Kopf von den Schultern zu trennen. Blut spritzte als Rhakyrs Körper noch kurz zuckte und dann zusammenbrach.
 

Sofort griffen die Wölfe an und sie waren keineswegs so kopflos wie Tharas gehofft hatte. Fünf von ihnen stürzten sich gleichzeitig auf ihn und er hatte Mühe, sie abzuwehren. Schnell zauberte er sich von ihnen weg, zu dem Punkt, der dem Ausgang am nächsten war. Doch auch dort standen sie. Er musste erneut teleportieren, doch noch bevor er verschwunden war hatte einer der Wölfe sein Bein geschnappt und sich hinein verbissen. In der Enge der Höhle war es Tharas unmöglich zu kämpfen, deshalb ignorierte er den Schmerz und konzentrierte sich mit aller Kraft auf die Schlucht. Im nächsten Moment stand er draußen an der frischen Luft, und das erste Licht des Tages kündigte sich an. Der Wolf hing immer noch an seinem Bein und Tharas rammte ihm sein Schwert in den Rücken, woraufhin er von ihm abließ und verendete.
 

Doch die anderen folgten ihm. Sie waren überall und bissen wie wild um sich. Er schaffte es, sich einige von ihnen vom Leib zu halten und niederzustrecken, doch es waren einfach zu viele. Einer der Wölfe rammte seinen Arm, woraufhin sein Schwert davonflog und zwischen grauen, sich flink bewegenden Körpern verschwand. Gut, dann eben mit dem Dolch weiter. Schnell zog er die kurze Waffe aus dem Schaft seines rechten Stiefels und verteidigte sich damit weiter. Einer der Wölfe stürzte wütend knurrend auf ihn zu und schnappte nach ihm, doch Tharas konnte ihm den Dolch von unten in die Schnauze rammen. Kurz sah er sein Schwert aufblitzen. Schnell warf er sich zwischen das Rudel und erlangte seine Waffe zurück. Er nahm den unfairen Kampf wieder auf und nach kurzer Zeit lagen um ihn herum bereits einige tote Wölfe, doch blutete er selbst aus unzähligen Wunden, die sie ihm mit ihren scharfen Zähnen und Krallen ins Fleisch gerissen hatten. Eine der schlimmsten hatte ihm eines der Tiere zugefügt, als es seine Krallen in seinem Rücken versenkt hatte. Tharas purer Überlebenswille hatte ihn bis jetzt aufrechterhalten, doch langsam verließen ihn seine Kräfte. Seine Beine gaben unter ihm nach und er sank in die Knie. Die Wölfe bemerkten seine Schwäche sofort und einer sprang vor, um sich in Tharas Kehle zu verbeißen und dem Kampf ein Ende zu bereiten. Tharas schloss die Augen und es schien, als würde sein Leben noch einmal vor ihm vorbei ziehen. Doch der Schmerz blieb aus…
 

Der Wolf wurde in der Luft zur Seite geworfen als er von etwas getroffen wurde. Sofort richtete sich die Aufmerksamkeit des restlichen Rudels auf den Störenfried. Auch Tharas öffnete verwundert wieder die Augen und starrte in dieselbe Richtung. Vor dem Hintergrund des langsam heller werdenden Himmels zeichnete sich eine schlanke, zierliche Gestalt mit einem Bogen ab. Der nächste Pfeil lag schon auf der Sehne und wurde prompt abgeschossen. Der Wolf, der am nächsten bei Tharas stand, sank tödlich getroffen zu Boden. Noch ehe sich Tharas versah, sprang neben der ersten Gestalt eine zweite in die Luft, zog dort die Beine an und landete kurz darauf mit einer eleganten Bewegung neben ihm. Ein Schwert fuhr aus der Scheide und der fremde Krieger pflügte wie ein Sturmwind durch die Wölfe und mähte einen nach dem anderen nieder. In kurzer Zeit waren von dem ganzen Rudel nur noch einige wenige übrig.
 

Tharas Gesichtsfeld wurde kleiner und er wusste, dass er gleich das Bewusstsein verlieren würde. Doch der Kampfstil kam ihm irgendwie bekannt vor. Der Krieger trug anscheinend einen dunkelblauen Mantel mit einem Tuch vor dem Gesicht. Das war die einfache Jagdkleidung der Elfen… Wieder wurde einer der Wölfe, der sich auf Tharas stürzen wollte, von einem Pfeil getroffen. Doch das bekam der Prinz nicht mehr mit.
 

Erst als der letzte der Wölfe tot am Boden lag hörte Meleans Raserei auf. Er gab Rean ein Zeichen, dass alles in Ordnung war und er herunter kommen könne. Schnell ging er in die Hocke und beugte sich über Tharas, der mittlerweile das Bewusstsein verloren hatte.

"Was ist mit ihm?", fragte Rean verzweifelt. "Sind wir zu spät gekommen?"

Melean ertastete Tharas Puls und stellte erleichtert fest, dass er noch lebte. Das teilte er Rean umgehend mit und fügte hinzu: "Aber er ist schwer verletzt. Er muss sofort ins Dorf. Wenn wir ihn nicht schnell dorthin schaffen, verblutet er."

"Und wie sollen wir das machen? Wir haben kein Pferd und zu Fuß sind wir nicht schnell genug."

"Ich werde ihn tragen“, erklärte der Elfenkrieger.

"Das schaffst du nicht. Er ist fast so groß wie du und bestimmt nicht gerade leicht. Außerdem bist du bestimmt müde vom Kampf“, machte ihn Rean aufmerksam.

"Müde? Rean, ich bin gerade erst warm geworden. Das Problem ist eher, dass wir beide keinen Hautkontakt haben dürfen, denn das würde ihm ziemliche Schmerzen bereiten. Ich hoffe, der Stoff ist dick genug." Er nahm Tharas huckepack und strebte dem Ausgang der Schlucht zu. Rean war überrascht wie stark der Elf war. Er wirkte zwar zierlich, ja sogar zerbrechlich, doch das täuschte anscheinend ganz gewaltig. Er blieb wie angewurzelt stehen und starrte Melean nach. Als dieser oben angekommen war, rief er Rean zu: "Los, komm schon. Worauf wartest du noch? Auf bessere Zeiten?"

Rean setzte sich unverzüglich in Bewegung und sie liefen nebeneinander Richtung Dorf, doch ihm fiel bald auf, dass Melean langsam aus der Puste kam.
 

"Puh, auf die Dauer wird er ganz schön schwer“, stellte der Elf schnaufend fest.

"Setz ihn ab, dann tragen wir ihn zusammen“, schlug Rean vor.

"Gute Idee. Du bist ja nur fast zwei Köpfe kleiner als ich und höchstens halb so stark. Mach dich nicht lächerlich."

Tharas gab ein leises Stöhnen von sich. "Ein gutes Zeichen“, wertete Melean. "Wenigstens lebt er noch."

"Aber er sieht gar nicht gut aus…", widersprach Rean besorgt. "Und er blutet immer noch so stark. Ich frag dich ungern, aber kannst du vielleicht noch ein wenig schneller laufen?"

"Mir wird wohl nichts anderes übrig bleiben. Was für eine Schinderei. Ihr beide seid mir was schuldig wenn wir zurück sind." Er blies sich eine vorwitzige Locke aus der Stirn und schaffte es tatsächlich, noch einen Zahn zuzulegen.
 

Kurz nachdem sie die Quelle passiert hatten musste Melean dann doch innehalten. "Ich glaube, du musst mir doch ein wenig helfen“, gab er zu. Er ließ Tharas von seinem Rücken und legte sich dessen linken Arm um die Schulter, Rean nahm den rechten. So kamen sie zwar wesentlich langsamer voran, doch nahm Melean immer noch die Hauptlast auf sich und sie konnten ein gewisses Tempo halten.
 

Reans Blick wanderte immer wieder besorgt zu Tharas. Sein Kopf hing auf der Seite und sein Haar hing ihm ins Gesicht. Hätten sich nicht die Strähnen im Luftzug seines Atems bewegt, Rean hätte ihn für tot gehalten. Sie waren völlig außer Atem als endlich das Dorf in Sicht kam.

Einige der Elfen hatten sie bereits aus der Ferne erblickt und kamen ihnen aufgeregt entgegen. Auch Aures war der Tumult nicht entgangen und als Melean und Rean mit dem verletzten Tharas zwischen sich den Dorfplatz betraten kam er ihnen mit ärgerlichem Blick entgegen.

"Melean, was soll das?", herrschte er den Krieger an.

"Ich habe das getan, was ich für richtig hielt und jetzt geh mir aus dem Weg, Aures“, erwiderte Melean und schob sich an seinem Mann vorbei.

Als sich das Problem ergab, wie man Tharas am besten in einer der nächstgelegenen, unbenutzten Hütten bringen sollte, sprangen gleich ein paar Elfen herbei und gingen den beiden zur Hand. Nachdem sie den Verwundeten auf einem Bett abgelegt hatten, befahl Melean: "So, und jetzt raus mit euch. Alle. Du bleibst hier, Rean."

Melean schaute den Jungen ernst an. "Weißt du, wie man Wunden versorgt?", fragte er.

"Ja. Aber zuerst müssen wir erst einmal untersuchen, wo er überall verletzt ist."

"Gut, dann tu das bitte."

"Hilfst du mir nicht dabei?", fragte Rean verwirrt.

"Ich kann nicht. Wenn ich das tue, bereite ich ihm nur unnötig Schmerzen. Aber ich bleibe hier und versuche, dich so gut wie möglich zu unterstützen. Also los."

Vorsichtig schälte der Junge seinen Freund aus seinen völlig zerfetzten Kleidern. Dann untersuchte er Tharas erst einmal gründlich von vorne. Melean hatte von einem Diener Heilwasser und Verbände bringen lassen, mit welchem Rean die Wunden auswusch und sie anschließend verband. Schwierig wurde es, als er ihn umdrehen musste. Melean wickelte sich seinen Mantel um Arme und Hände und half ihm dabei.

"Oje, das sieht übel aus“, meinte er. Zuerst müssen wir die Wunde auswaschen, das ist klar. Doch ich fürchte, das reicht bei Weitem nicht. Diese ist ziemlich tief. Wenn er an einer Wunde stirbt, dann an der. Auch eine am Bein ist ziemlich schlimm. Hoffentlich entzündet sich nichts. Verflixt, ich wünschte, wir hätten Thianöl. Was Besseres gibt es gar nicht."

Thianöl? Der Name sagte Rean irgendwas. Er begann, in seiner Erinnerung zu forschen, wann er dieses Wort schon einmal gehört hatte. Dann fiel es ihm plötzlich wieder ein. "Aber wir haben doch welches!", rief er aufgeregt.

"Wie bitte?", erkundigte sich Melean verdutzt.

"Ja! Ich erinnere mich ganz genau. Llandon hat Tharas vor unserem Aufbruch eine ganze Flasche voll mitgegeben. Die muss irgendwo in seiner Tasche sein! Ich geh sie suchen!", rief er und wollte schon aufspringen, doch Melean hielt ihn am Arm zurück.

"Halt“, sagte er. "Du wirst hier gebraucht. Ich werde gehen. Du wäschst seine Wunden aus." Damit erhob er sich und ging.

Rean ließ sich wieder an Tharas Seite nieder, tauchte ein frisches Tuch in die Schüssel mit Heilwasser und begann, die tiefen Kratzer am Rücken zu säubern. "Stirb nicht, Tharas, bitte“, flehte er leise. Tharas stöhnte auf, als das Tuch seine Wunden berührte. Rean konnte seinen Schmerz förmlich spüren und er beugte sich hinunter zu Tharas Ohr und flüsterte: "Es ist gleich vorbei, ja? Nur noch ganz kurz. Bitte verzeih' mir, aber es muss sein."

Kurz darauf kam Melean zurück. Er wirkte missmutig. "Ich bin unterwegs Aures begegnet“, erklärte er leichthin. "Ich glaube, nur ausziehen reicht wohl nicht mehr."

"Warum ist er so sauer weil wir Tharas gerettet haben? Hat er was gegen ihn?", fragte Rean und klang aufrichtig enttäuscht. Bisher hatte er den Fürsten der Elfen eigentlich ganz gut leiden können.

Melean schüttelte den Kopf. "Das ist es nicht“, erläuterte er. "Er war in Sorge um uns als er heute Morgen feststellte, dass wir weg waren. Ich denke es war eher so, dass er Angst hatte, uns könnte etwas passieren. Dennoch war und bin ich nicht einverstanden, dass er Tharas einfach so allein hat losziehen lassen.

Und ich glaube, er hat eingesehen, dass er damit einen Fehler gemacht hat. Das zuzugeben fällt ihm äußerst schwer. Er ist sehr stolz, musst du wissen. Das alles zusammen hat ihn unheimlich aufgeregt. Aber das renkt sich schon wieder ein."

"Hast du es gefunden?", fragte Rean.

"Hab ich“, antwortete Melean und zog den Flakon mit der klaren Flüssigkeit im Innern aus einer Tasche zwischen den Falten seines Mantels und reichte sie Rean mit den Worten: "Du brauchst nicht viel davon. Du musst nur den Zipfel des Tuchs damit tränken, das reicht für die komplette Wunde."

"Danke“, sagte der Prinz und öffnete die Flasche. Das Öl war geruchsneutral und ziemlich dünnflüssig. Rean hielt wie geheißen ein Stück des Tuchs an den Flaschenhals und stürzte das Gefäß. Danach machte er sich daran, das Öl auf Tharas Rücken zu verteilen, woraufhin dieser wieder aufstöhnte.

"Was glaubst du, wie er gestöhnt hätte, wäre ich derjenige, der das macht?", fragte Melean.

Rean verstand, was er meinte. Die Schmerzen waren ohnehin schon schlimm genug und ein Elf hätte sie nur verstärkt. Fast schon zärtlich wickelte er einen Verband um Tharas Oberkörper, wobei ihm Melean wieder helfen musste, den Prinzen von Arc festzuhalten.

"Jetzt hilft nur noch hoffen, dass er den Willen hat zu überleben“, meinte der Elfenkrieger als sie Tharas wieder Bauch nach unten ins Bett gelegt hatten. "Sieh dir in ein paar Stunden noch einmal seine Wunden an. Ich werde jetzt zu meinem Gatten gehen und das eine oder andere klären." Er stand auf und verließ den Raum. Dann kehrte er noch einmal kurz zurück und sagte: "Du warst sehr tapfer heute, Rean. Ich denke, deine Familie wäre sehr stolz auf dich. Versuch auch, ein wenig zu schlafen, ja?" Dann ließ er Rean und Tharas allein zurück.
 

Rean wachte Tag und Nacht an Tharas Lager. Manchmal kam ein Elf und brachte ihm zu Essen und zu Trinken und auch Melean und Soley ließen sich ab und zu sehen, um sich nach Tharas Zustand zu erkundigen. Mit diesem ging es von Tag zu Tag bergauf. Das Heilwasser und das Thianöl wirkten Wunder, zumindest was die körperlichen Wunden betraf.

Was Rean weitaus mehr Sorgen bereitete war die Tatsache, dass Tharas anscheinend in seiner eigenen Welt gefangen war und einfach nicht aufwachen wollte. Was, wenn er nie mehr aufwachte?
 

Einige Tage nach ihrer Rückkehr saß er wieder da und versorgte die große Wunde auf Tharas Rücken, mittlerweile die einzige, die noch nicht wirklich verheilt war. Doch auch diese Heilung schritt voran, denn die Kratzer waren kaum noch mehr als hellrote Striemen auf der weißen Haut. Gerade hatte er den Verband abgenommen als Melean eintrat. Rean war so vertieft in seine Aufgabe gewesen, dass er erschrocken zusammenfuhr und aufsprang als der Krieger ihm eine Hand auf die Schulter legte. Dabei rutschte Tharas Decke vom Bett.

"Oh, " sagte Melean und sein Blick wurde eindeutig zweideutig, "interessante Rückansicht, muss ich schon sagen."

"Interessiert mich nicht“, behauptete Rean und zog die Decke wieder über seinen Freund. Normalerweise zog er Tharas ein Hemd über, doch wenn er den Verband wechselte zog er es ihm wieder aus.

"Wie geht es ihm?", erkundigte sich der blonde Elf.

"Die Wunden heilen gut, doch er ist immer noch nicht wach. Glaubst du, er kommt jemals wieder zu sich?"

"Ich denke schon“, antwortete Melean zuversichtlich. "Aures hat mir erzählt, dass er nicht einen Augenblick gezögert hat, die Vernichtung des Wolfsrudels in Angriff zu nehmen obwohl ihm bewusst war, dass er keine Hilfe zu erwarten hatte, wenn er dich aus der Bürgschaft befreien wollte. Das war eine Aufgabe, die er nur alleine erfüllen konnte. Er kommt zurück. Und wenn es nur wegen dir ist."

"Nur um mich von meiner Pflicht zu entbinden von der nicht einmal sicher war, dass ich sie jemals hätte erfüllen müssen. Verrückter Kerl."

"Du musst ihm ziemlich viel bedeuten. So ein Wagnis nimmt man nicht leichtfertig auf sich."

Rean überlegte. Was hatte sein Freund ihm sagen wollen bevor er gegangen war? Vielleicht… Nein, das war unmöglich. So tief konnte es noch nicht sein. Niemals.

Melean lächelte. "Ich gehe jetzt wieder, nachdem es keine Veränderungen gibt. Außerdem muss ich noch ein paar organisatorische Dinge klären. Gib mir Bescheid, wenn sich irgendetwas ändert, ja?"

"Mach ich“, antwortete Rean und lächelte Melean zu. Dieser nickte und verließ ihn wieder.
 

Was hatte er gesagt? Interessante Rückansicht? Elfen hatten doch wirklich nur das eine im Kopf. Wie der Volksmund sagte. Melean war dafür geradezu ein Musterbeispiel. Er griff nach dem Tuch in der Wasserschüssel, die auf einem Schemel neben dem Bett stand und begann, die Wunde abzutupfen. "Den Rest übernimmt das Heilwasser“, hatte Melean zwei Tage zuvor gesagt und tatsächlich hatten sie das Öl nicht mehr gebraucht.

Erst jetzt, nach Meleans eindeutiger Äußerung, fiel Rean auf, dass er Tharas mit anderen Augen sah. Er hatte ihn schon öfter nur halb bekleidet oder sogar nackt gesehen und sich nie etwas dabei gedacht. Doch plötzlich war da etwas anders.

Er hielt in seiner Bewegung inne und betrachtete seinen schlafenden Freund. Er hatte Tharas Haar im Nacken geteilt und die beiden Strähnen leicht eingedreht um leichter an die Verletzung heran zu kommen. Er legte das Tuch zurück in die Schüssel und berührte sanft mit den Fingerspitzen die weiche, warme Haut. Sogar Tharas Rücken war durchtrainiert. Eine Tatsache, die der Junge noch nie bewusst wahrgenommen hatte. Seine Neugier war geweckt. Sollte er es wagen? Seine Hand wanderte nach unten zur Decke. /Nein! Das kannst du doch nicht allen ernstes machen!/, schalt er sich selbst. /Er kann sich nicht einmal dagegen wehren. Du würdest ihn ausnutzen!/ Doch er wollte wissen, was der Elfenkrieger gemeint hatte. Vorsichtig schob er die Decke Stück für Stück nach unten… und musste zugeben, dass Melean Recht hatte. Aber im nächsten Moment wurde er sich bewusst, was er da eigentlich tat, wurde rot und zog die Decke wieder nach oben. Sein Herz klopfte so stark als wolle es zerspringen. /Was ist nur los mit dir?/, fragte er sich. Wie in Trance begann er, über Tharas Rücken zu streicheln. Es war schön, den kräftigen Körper unter den Händen zu spüren und ein merkwürdiges Gefühl bemächtigte sich seiner.
 

Bildete er sich das nur ein oder spannten sich die Muskeln tatsächlich unter seinen Berührungen an? Und was war das auf einmal für ein Geräusch, das er da aus Richtung Kopfkissen hörte? Es hörte sich an wie ein Schnurren. Verwirrt hielt er in der Bewegung inne.

"Wehe, du hörst jetzt auf“, beschwerte sich eine durch das Kissen gedämpfte Stimme.

"Tharas?!?"

"Tut unheimlich gut, so eine kleine Streichelsalve. Bitte weitermachen“, sagte die Stimme aus dem Kopfkissen.

Rean schluckte. "Seit wann bist du denn wach?", fragte er.

"Bin gerade erst aufgewacht“, antwortete Tharas und erhob sich leicht, um besser verstanden zu werden. "Aber wenn du so weiter machst, schlafe ich auch gern wieder ein. Also, was ist?", fragte er und grinste frech über die Schulter nach hinten.

Rean knickte ein. "Also gut, leg dich wieder hin“, sagte er und fuhr fort.
 

Tharas genoss das Gefühl von Reans zarten Berührungen auf seiner Haut. Plötzlich durchlief ihn ein Schauer. Er spürte Reans warmen Atem in seinem Nacken und kurz darauf seine Lippen. Die schlanken Finger fuhren seine Wirbelsäule entlang. "Ich bin so froh, dass du wieder bei mir bist“, flüsterte der Junge in sein Ohr. "Rean?", hauchte er.

Reans Lippen folgten seinen Fingern und zogen eine Spur aus kleinen Küssen über Tharas Haut. /Oh Gott, Rean hör auf, sonst verliere ich die Beherrschung./, dachte er. Doch Rean dachte anscheinend gar nicht daran, aufzuhören und ein unterdrücktes Stöhnen drang aus Tharas Kehle. Sein Körper bebte. Das war zu viel. Sein Blut suchte sich selbstständig seinen Weg in tiefere Regionen. "Stopp!", rief er keuchend.
 

Anscheinend wurde auch dem Jungen in dem Moment klar, was er im Begriff war zu tun, denn er brach sofort ab und errötete bis in die Haarspitzen. "Tut mir Leid“, sagte er schüchtern. "Ich… "

"Schon gut. Holst du mir bitte was zu trinken?", fragte Tharas. Rean nickte, erhob sich blitzartig und schon war er verschwunden.

Tharas versuchte, sich wieder abzukühlen, doch es gelang ihm nicht. Rean hatte ein Feuer in ihm entfacht, das er nun nicht mehr löschen konnte, nie wieder.
 

Rean lehnte sich draußen ans Geländer der Brücke. Was hatte er nur getan? Und warum hatte er es getan? Die plötzliche Heftigkeit seiner eigenen Gefühle überraschte ihn. Er atmete tief ein und aus. Die Situation war völlig außer Kontrolle geraten. Was mochte Tharas jetzt von ihm denken?

Kapitel 12 - Weiter nach Westen

Hallöchen, hier spricht der moi. Ich freu mich, dass ich anscheinend doch ein paar Menschen für meine kleine, bescheidene Geschichte begeistern konnte. Schön, schön. Denen möchte ich jetzt mal ganz besonders danke sagen. Ich beeil mich auch ganz doll, euch weiterhin mit Lesefutter zu versorgen.
 

Wünsche euch jetzt viel Spaß mit dem neuen Chap.
 

Kapitel 12

Weiter nach Westen
 

Alle im Dorf nahmen die Nachricht von Tharas Erwachen freudig auf. Noch am selben Abend erschien Aures und die beiden unterhielten sich eine Weile. Im Laufe des Gespräches glaubte Tharas, sich verhört zu haben, als sich der Fürst offiziell bei ihm entschuldigte und ihm dankte, dass er sein Volk von einer solchen Plage befreit hatte.
 

Drei Tage später war Tharas vollständig genesen und die beiden Prinzen fanden sich bei Aures und Melean ein, die sie zu sich bestellt hatten. Das Thema "Intensive Krankenpflege" schnitten sie nicht mehr auch nur im Entferntesten an.
 

"Nehmt Platz“, forderte der Fürst sie auf und sie setzten sich wieder an den niedrigen Tisch.

"Ihr beide habt uns einen großen Gefallen getan und wir alle sind euch dafür unendlich dankbar. Euch werden heute Abend in einer offiziellen Zeremonie elfische Namen gegeben. Das weist euch für alle Zeiten als unsere Freunde aus“, erklärte er.

"Und wie lauten diese Namen?", wollte Rean neugierig wissen.

"Das erfährst du heute Abend. Wie alle anderen auch“, antwortete Melean und lächelte ihn an. "Bisher kennen sie nur zwei Leute in ganz Argaye und mit denen sitzt du an einem Tisch."

"Wie fies“, schmolle der Kleine, was Melean zu einem leisen Lachen verleitete.

"Zuvor möchte ich euch noch etwas anderes mitteilen“, sagte Aures ernst. "Es geht um die Mandragora." Er machte eine Pause bis die beiden ihm wieder ihre volle Aufmerksamkeit geschenkt hatten. "Es ist so: Es besteht die Möglichkeit, dass ihr euere Suche fortsetzen könnt, natürlich nur, wenn ihr wollt."
 

"Wie meint Ihr das? Ihr sagtet doch, die Wölfe hätten alle Pflanzen zerstört“, hakte Tharas nach.

"In diesem Teil der Welt schon“, erklärte der Elfenfürst. "Unsere Verwandten haben jedoch, als sie vor Jahren übers Meer zogen, einige Setzlinge der Mandragora mitgenommen. Ich weiß nicht, ob sie im Westen angegangen sind oder nicht. Darüber wurde nie etwas bekannt. Außerdem hat noch kein Sterblicher zuvor jemals die westlichen Lande betreten. Es ist zwar nicht ausdrücklich verboten, aber man weiß nie, wie die Edlen des Volkes reagieren werden. Dennoch besteht Hoffnung für euch. Wie steht es? Wollt ihr euere Reise fortsetzen?"

"Wie hoch sind unsere Chancen auf Erfolg?", erkundigte sich nun Rean.

"Das kann ich euch nicht sagen. Schlimmstenfalls habt ihr dort den gleichen Erfolg wie hier, doch ich denke, ihr solltet es zumindest versuchen."

"Finde ich auch“, meinte Rean. "Hast du das gehört, Tharas? Vielleicht kann ich meine Familie doch noch retten." Er wandte sich strahlend zu seinem Freund um. "Was hast du?", hakte er angesichts Tharas zweifelnder Miene nach.
 

Tharas war wie erstarrt. Rean konnte es nicht wissen, doch er hatte von seinem Vater nicht nur seine Zauberkräfte sondern auch einen Fluch geerbt. Diesen hatten die Elfen bei ihrer Flucht übers Meer über Llandon verhängt. Er besagte, dass sämtliche schwarze Magie auf dem Wasser unwirksam war. Aus diesem Grund fürchtete Tharas das Wasser mehr als alles andere.

Außerdem hatte er Bedenken, dass er, das Ebenbild seines Vaters, Elfenname hin oder her, nicht gerade auf freundliche Resonanz stoßen würde. Zumal im Westen, dem Hauptsitz der Elfen. Er wusste nicht, wie die Atmosphäre der westlichen Gefilde auf ein Geschöpf der Finsternis einwirkte. Für Rean war alles ganz leicht, aber für ihn…
 

Reans Berührung auf seiner Hand ließ ihn aufschrecken. Er schaute kurz orientierungslos, doch dann traf sein Blick Reans und er lächelte. "Alles in Ordnung. Ich muss das alles nur eben verarbeiten. Das ist alles“, sagte er.

"Ich schließe daraus, dass ihr weiterziehen wollt“, bemerkte Aures. Die beiden nickten. "Vortrefflich. Ich habe bereits vor ein paar Tagen einen Boten zur Anlegestelle unserer Schiffe, die noch ab und zu zwischen den Welten pendeln, geschickt. Er holt jemanden, der euch sicher übers Meer bringen wird. Ich erwarte ihn in etwa drei Tagen zurück."

"Großartig“, freute sich Rean.

"Ich würde vorschlagen, ihr beide bereitet euch jetzt für die Zeremonie heute Abend vor“, sagte Melean und entließ sie.
 

"Wahnsinn“, sagte Rean als sie draußen standen und sich den frischen Sommerwind um die Nase wehen ließen. "Ins Land der Elfen. Ich hätte mir nie träumen lassen, auch nur in die Nähe zu kommen."

"Wer will ins Land der Elfen?", erklang Soleys Stimme und kurz darauf flatterte die Fee vor seinem Gesicht herum.

"Wir, Tharas und ich“, erklärte Rean.

"Ui. Ich bin erstaunt. Und was wollt ihr da?"

"Weiter nach der Mandragora suchen“, sagte der kleine Prinz.

"Aha. Na wenn das so ist, dann komm ich natürlich mit“, beschloss Soley.

"Wie? Ich dachte, du willst weiter nach deinem Volk suchen“, schaltete sich Tharas ein.

"Stimmt eigentlich auch. Aber irgendwie seid ihr zwei mir ans Herz gewachsen und ich möchte doch wissen, wie's mit euch weiter geht“, erwiderte sie und grinste Tharas frech an.

"Du, Tharas, wie meint sie das?", fragte Rean und schaute ihn fragend an.

"Keine Ahnung, was im Kopf dieser Fee vorgeht. Aber anscheinend dürfen wir ihre hoch geschätzte Anwesenheit noch länger genießen“, sagte dieser und zuckte die Achseln. "Komm, wir müssen uns auf eine Zeremonie vorbereiten."
 

Am Nachmittag erschienen zwei Elfen und brachten ihnen festliche Gewänder. Für Tharas in dunkelgrün und für Rean in nachtblau. Für Tharas war auch ein Haarbogen dabei, wie die Elfen ihn bei Festen anzulegen pflegten. Eine hübsche Elfe flocht ihn ein und Rean spürte dabei einen kleinen aber feinen Stich. Als Tharas fertig war erschien er Rean wie ein echter Elf. /Llandon würde im Dreieck springen wenn er das sähe./, dachte er und schmunzelte in sich hinein.

"Und, wie findest du's?", fragte der Magier und drehte sich ein wenig hin und her, wobei er skeptisch an sich hinab sah.

"Du siehst aus wie ein Elf“, sprach Rean seinen Gedanken von vorhin aus.

"Sehr erstrebenswert…", grummelte sein Gegenüber und rollte die Augen.

Daraufhin musste Rean lachen und sagte: "Ehrlich, du siehst sehr schön aus. Man könnte sich glatt in dich verlieben."

"Wer weiß, vielleicht breche ich ja heute noch das eine oder andere Elfenherz“, sagte Tharas scherzhaft, doch für Rean war es gar nicht so witzig und das erstaunte den Jungen doch etwas. "Du bist übrigens auch nicht gerade hässlich“, fügte der Zauberer hinzu und ließ den Blick über seinen kleinen Freund schweifen.

Nicht hässlich war noch hoffnungslos untertrieben. Tharas fand ihn einfach unbeschreiblich schön. Reans Haar war im Laufe der Zeit wieder etwas länger geworden. Es reichte ihm jetzt schon bis knapp über die Ohren und ließ sein Gesicht weicher wirken. Heute Abend jedoch war es nach hinten gekämmt und nur ein paar Strähnen fielen ihm ins Gesicht. Von dem kleinen Jungen, der sich hinter dem Rücken seiner Mutter versteckt hatte, war nicht mehr viel übrig.

Ein Hauch von Röte überzog Reans Wangen und er fragte leise: "Findest du wirklich?" Tharas hatte nicht wenig Lust, zu ihm zu gehen und ihn einfach zu küssen, doch er ließ es und sagte stattdessen schlicht: "Ja. Ganz ehrlich."
 

"Nicht schlecht, ihr zwei“, sagte eine Stimme von der Tür. Soley kam hereingeflattert, betrachtete sie prüfend und nickte dann noch einmal zustimmend. Sie selbst trug ein feines weißes Kleid mit trompetenförmigen hellblauen Ärmeln und ihr Haar war zu einem kunstvollen Zopf geflochten. Ihre bernsteinfarbenen Augen leuchteten. "Das wird ganz toll!", freute sie sich. "Eine Namenszeremonie ist immer etwas Besonderes“, erklärte sie.

"Du weißt nicht zufällig, welche Namen wir bekommen, oder?", fragte Rean hoffnungsvoll. Er hasste Überraschungen. Zumal er, was seinen Namen betraf, ein mieses Gefühl hatte.

"Nein, keine Ahnung“, erwiderte die Fee und setzte sich auf Reans Kopfkissen. "Die werden euch zum selben Zeitpunkt bekannt gegeben wie allen anderen auch."

"Wie lange müssen wir noch warten?", erkundigte sich Tharas.

"Bis Sonnenuntergang. Dann wird das Feuer entzündet und ihr werdet geholt. Solange müsst ihr euch in Geduld üben“, antwortete Soley.

"Sag mal, du siehst heute aus wie eine kleine Prinzessin. Wenn du willst, kannst du richtig hübsch sein, Soley“, stellte der Prinz von Arc fest.

"Oh, danke, Tharas“, sagte Soley lässig, doch auch sie errötete leicht.

Rean wunderte sich immer mehr. Seit wann waren die beiden so freundlich zueinander? Keine Neckereien? Keine "Kosenamen"? Anscheinend hatte er irgendwas verpasst.
 

Kurz nach Sonnenuntergang kam eine Elfe zu ihnen und bedeutete ihnen, ihr zu folgen. Unten auf dem Dorfplatz war eine riesige Feuerstelle errichtet worden. Die Elfen standen mit Fackeln um sie herum und als die beiden Prinzen den Boden betraten, warfen sie ihre Lichtquellen auf das aufgeschichtete Holz. Die Flammen loderten auf und vertrieben das einbrechende Dunkel.

"Liebe Freunde, " fing Aures an, "großes Übel ist von uns genommen worden. Welch glücklicher Umstand es doch war, der diese beiden Helden in unsere Wälder führte. Ihr Mut und ihr Kampfgeist haben einen unserer schlimmsten Feinde vernichtet." Zu Rean und Tharas gewandt sagte er: "Wir stehen tief in euerer Schuld. Deshalb lassen wir euch die Ehre zuteil werden, Namen unseres Volkes zu tragen, die euch auf immerdar zu Freunden der Elfen machen. Ihr sollt wissen, dass diese Namen nach eueren Taten oder Eigenschaften ausgewählt wurden.

Tharas, " er blickte ihn dabei ernst an, "dir verleihen wir den Namen Narmonehtar, der Wolfstöter." Tharas blickte stolz. Der Name gefiel ihm.
 

"Du, Rean, " wandte er sich an den Prinzen von Eredrion, welcher Angst vor dem hatte, was jetzt gleich kommen würde, "erhältst von uns den Namen Tinwen. Er bedeutet 'Kleiner Stern'."

Rean war enttäuscht. Er hatte gehofft, auch so einen heldenhaften Namen zu bekommen wie Tharas. Anscheinend sah man ihm das ein wenig an, denn Melean trat vor und erklärte mit einem Lächeln: "Er wurde dir wegen deiner Ausstrahlung gegeben. Auch wenn die Welt um dich herum noch so dunkel ist, das Licht in dir strahlt wie das der Sterne und bringt Hoffnung, selbst da, wo sie verloren scheint."

"Narmonehtar und Tinwen. Wir alle danken euch“, sagte Aures und beugte vor ihnen das Knie. Alle anderen taten es ihm gleich. Soley liefen vor Rührung ein paar Tränen übers Gesicht, Tharas war äußerst erstaunt und Rean fühlte sich zum ersten Mal wie ein Held. Dennoch war es ihm unangenehm, dass all diese Elfen, jeder von ihnen ein starker Krieger, vor ihm die Knie beugten. Deshalb war er froh, als sie sich endlich wieder aufrichteten. "Und nun, " meinte Aures, "lasst uns feiern zu Ehren unserer Freunde."
 

Die Feier dauerte bis in die frühen Morgenstunden. Rean war froh, als er endlich ins Bett fiel und fast sofort einschlief. Tinwen hatten sie ihn genannt. Melean hatte ihm, während er ihm freundschaftlich auf die Schulter klopfte, erklärt, dass es weitaus schlimmere Namen gebe, wie zum Beispiel sein Vetter dritten Grades, der den unrühmlichen Namen Bleifisch trug, weil er nicht schwimmen konnte. Tharas hingegen fand den Namen Kleiner Stern schön und passend und das sagte er ihm auch. Daraufhin hatte sich Rean wieder etwas besser gefühlt.
 

In dieser Nacht hatte Rean einen merkwürdigen, berauschenden Traum, den er nicht zum letzten Mal haben sollte. Er träumte von Tharas, von leidenschaftlichen Küssen und zärtlichen Berührungen. Wenn er morgens erwachte, konnte er immer noch die Aufregung spüren, die diese Träume in ihm auslösten.
 

Zwei Tage nach dem Fest saßen die beiden mit Melean zusammen in ihrer Hütte, als ein Elf eintrat und sagte: "Verzeiht die Störung, doch der Bote ist zurück. Und er hat einen Gesandten dabei, der die Verhandlungen für die Mannschaft der "Einhorn" übernimmt."

Melean fuhr entsetzt herum. "Sagtest du "Einhorn"?", fragte er.

"Ja, Herr. Die "Einhorn" ist das nächste Schiff nach Westen. Sie liegt gerade vor Anker."

"Wer ist der Gesandte?", hakte Melean nach und ihm schwante Übles.

Rean und Tharas wussten nicht, wohin das führen sollte, doch das Verhalten ihres Freundes beunruhigte sie.

"Es ist der Steuermann, Herr. Yaros", erklärte der Elf.

"Das hab' ich befürchtet“, stöhnte Melean und schlug die Hände vors Gesicht.

Jetzt verstanden die beiden Prinzen gar nichts mehr. "Was ist denn?", fragte Rean. "Kennst du ihn etwa?"

"Wie man's nimmt…", wollte Melean gerade erklären, als hinter ihm ein lautes "Melean!" ertönte und ihm nächsten Moment stürmte ein wahrer Hüne in die Hütte, schnappte sich den Elfen, der zappelte und sich wehrte und drückte ihn so fest, dass man den Eindruck bekommen konnte, er wolle ihn zerquetschen.

"Lass mich sofort runter, du Riesenross!", schimpfte Melean und versuchte verzweifelt, sich zu befreien.

"Warum denn?", grinste der Hüne. "Das ist wirklich gemein von dir, mein Hübscher. Zumal wir uns so lange nicht gesehen haben. Hast du mich denn gar nicht vermisst?"

"Nein, hab ich nicht! Kein noch so kleines bisschen. Und jetzt lass mich gefälligst runter, Yaros, du Trottel!"

Endlich ließ der Hüne Melean los und setzte ihn unerwartet vorsichtig ab. Dann schniefte er übertrieben und maulte: "Du magst mich nicht mehr."

"Oh, jetzt fang doch bitte nicht so an. Was sollen denn die beiden von dir denken?", fragte Melean.

Die Augen des großen Elfen richteten sich nun auf Rean und Tharas und musterten sie gründlich. Jetzt hatten auch sie Gelegenheit, ihn in Augenschein zu nehmen. Er war ein Elf, ganz eindeutig, doch er sah ziemlich "unelfisch" aus.

Er hatte breite Schultern, war sehr muskulös und seine Haut war, im Gegensatz zu der der anderen Elfen sonnengebräunt.
 

Sein Haar hatte wohl einst eine ähnliche Farbe gehabt wie Meleans, war jedoch im Laufe der Zeit sehr ausgeblichen und hatte nun eine Farbe wie Stroh. Es war im Nacken zu einem langen Zopf zusammen gebunden. Sein Gesicht war markant, fast ein wenig eckig und er hatte strahlend türkisfarbene Augen. Diese Augen waren es, die Rean zu der Frage brachten: "Seid ihr beide miteinander verwandt?"
 

Melean und Yaros schauten sich kurz an, dann zuckte der zierliche Elf die Schultern und sagte: "Ja. Anscheinend sind wir uns doch ähnlicher, als mir lieb ist. Also: Rean, Tharas, darf ich euch Yaros vorstellen? Mein Vetter." Yaros lächelte sie freundlich an. Und auch dieses Lächeln glich irgendwie Meleans. Auf eine sehr abstrakte Weise.

"Yaros: Das sind Tinwen und Narmonehtar. Ich nenne sie jedoch bei ihren menschlichen Namen. Rean von Eredrion und Tharas von Arc“, stellte Melean vor.

"Sehr erfreut“, sagte Yaros und reichte Rean die Hand. Sein Händedruck war fest, die Haut rau und schwielig. Bei Tharas zögerte er. "Dein Gesicht kenne ich, " sagte er, "aber anders. Ich glaube, es ist besser für dich, wenn ich dich nicht anfasse. Du bist der Sohn des schwarzen Magiers, nicht wahr?"
 

Tharas war verdutzt. "Du siehst das auf den ersten Blick? Alle anderen haben mich bisher für meinen Vater gehalten."

"Ach? Das überrascht mich aber. Es stimmt, ihr seid euch ähnlich, dennoch siehst du etwas anders aus. Deine Gesichtszüge sind weicher, menschlicher. Und du hast gute Augen. Ich sehe keinerlei Bosheit darin. Dass das dem jungen Herrn neben mir nicht aufgefallen ist…", sagte er und musterte Melean.

"Ist mir aufgefallen“, beschwerte sich dieser und schien ein Stück kleiner zu werden.

"Dann verstehe ich nicht, warum du es zugelassen hast, dass er beinahe getötet wird. Habe ich dir nicht beigebracht, genau hinzusehen? Außerdem habe ich dir immer wieder gesagt, dass es deine Aufgabe ist, die Unschuldigen zu beschützen“, tadelte Yaros.

"Woher weißt du denn das schon wieder?", wollte Melean entsetzt wissen.

"Der Bote konnte seinen Mund nicht halten. Er hat mir alles erzählt. Alles, bis auf die Tatsache, dass die beiden mittlerweile Elfennamen haben."

"Oh, ich hasse es, wenn du immer alles weißt. Und außerdem: Was fällt dir ein, so mit mir zu reden? Ich bin kein Kind mehr, Yaros. Es wäre mir Recht, wenn du mich endlich wie einen Erwachsenen behandeln würdest."

"Sobald du dich so benimmst, werde ich das tun“, erwiderte der Hüne. "Ich glaube, es ist besser, wenn wir die Verhandlungen in euer Domizil verlegen, nicht wahr, Hübscher? Immerhin ist dein Mann ja der Anführer von diesem Haufen hier." Damit wandte er sich um und ging voraus. Melean brodelte innerlich vor Zorn und Scham und Rean bemerkte es.
 

"Melean, würdest du mir eine Frage beantworten? In was für einem Verhältnis steht ihr zueinander?", fragte er.

"Oje, wo fang ich da bloß an?", stöhnte der Elf. "Yaros ist wie ein älterer Bruder für mich. Er hat sich um mich gekümmert seit ich ein Säugling war. Unsere Mütter waren Schwestern, weißt du. Seine Eltern sind in einem Krieg ums Leben gekommen und er wohnte bei uns. Er war für sehr lange Zeit mein bester Freund und mein Vorbild. Bis er zur See fuhr. Danach sahen wir uns nur noch sehr, sehr selten. Und wenn wir uns sehen, das habt ihr ja gerade selbst mitbekommen, dann behandelt er mich immer noch wie ein Kind. Dafür könnte ich ihn erwürgen."

"Ich glaube, das tut er, weil er dich liebt“, meinte Rean.

"Ich weiß. Dennoch fühle ich mich so bloßgestellt wenn er anwesend ist. In seiner Gegenwart fühle ich mich klein und unbedeutend. Und er hält mir schonungslos den Spiegel vor wenn ich Fehler gemacht habe."

"Er scheint aber auch ein netter Kerl zu sein. Ich persönlich finde ihn sehr sympathisch“, sagte Tharas breit grinsend.

"Das kann ich mir vorstellen“, konterte Melean. "Also los, gehen wir."
 

In Aures und Meleans Haus wurden sie bereits erwartet. Aures und Yaros saßen bereits am Tisch. Melean setzte sich wie üblich rechts neben seinen Mann und Rean und Tharas ihnen gegenüber.

Kurz darauf kam Soley dazu. "Entschuldigt, dass ich zu spät komme“, sagte sie. Dann fiel ihr Blick auf Yaros und sie musterte ihn äußerst kritisch.

"Was ist? Hab ich was im Gesicht?", fragte dieser misstrauisch.

"Nein. Ich hab mich nur gefragt, ob du ein zu breit geratener Elf oder doch eher ein Mensch bist“, antwortete sie nachdenklich.

"Also zum Mitschreiben, Fräulein Flatterflügel, ich bin ein Elf. So sicher, wie du eine Fee bist. Wenn auch eine, der der Kopf ganz fürchterlich in Flammen steht“, gab Yaros leicht angestochen zurück.

"Soll das 'ne Beleidigung sein?", fragte Soley lauernd.

"Nicht im Geringsten. Und jetzt würde ich vorschlagen, du setzt dich zu uns oder du schwirrst wieder ab, denn wir haben Wichtiges zu besprechen und wenig Zeit“, sagte Yaros kühl.

/Oje. Die beiden mögen sich überhaupt nicht./, dachte Rean. /Anscheinend liebt Soley es, anderen auf die Füße zu treten./

"Er hat Recht“, meinte nun auch Aures. Soley setzte sich brav auf Reans Schulter und sagte nichts mehr. Doch Yaros hatte sie verärgert.
 

"Also, " erklärte Yaros. "Ihr beide möchtet in den Westen? Nun, ich habe bereits mit dem Kapitän gesprochen. Von ihm aus gibt es keine Probleme. Die "Einhorn" läuft in vier Tagen aus. Ihr habt bis morgen Zeit, um eure Sachen zu packen. Allerdings ist die Überfahrt nicht ganz kostenlos. Entweder, ihr packt auf dem Schiff mit an oder ihr zahlt einen kleinen Ausgleich. Das überlasse ich euch.

Außerdem können wir keine Gewähr dafür übernehmen, ob ihr im Westen aufgenommen werdet oder nicht. Auch für uns kam diese Anfrage unerwartet und wir hatten keine Gelegenheit, nachzufragen. Es ist also möglich, dass wir euch unverrichteter Dinge wieder mitnehmen müssen."

"Das macht nichts“, sagte Rean. "Wir müssen es einfach versuchen. Es ist die einzige Möglichkeit, mein Volk zu retten."

"Gut. Das wäre also geklärt. Tharas, ich hätte da noch eine spezielle Frage an dich."

"Und die wäre?", erkundigte sich Angesprochener.

"Ich weiß nicht, ob es dir bekannt ist, aber als unsere Leute übers Meer flohen, belegten sie deinen Vater mit einem Fluch. Er besagt, dass sämtliche schwarze Magie auf dem Wasser unwirksam ist. Sie taten es, um zu verhindern, dass er ihnen folgte. Wer weiß, vielleicht hätte er die westlichen Lande sowieso nie erreicht, aber dennoch: sicher ist sicher. Worauf ich hinaus will: Es wäre möglich, dass sich der Fluch auf dich weitervererbt hat Ist dir irgendetwas in der Richtung bekannt?", fragte Yaros.
 

"Ja. Ich kenne den Fluch und ich kann dir sagen, dass ich ihn tatsächlich geerbt habe“, bestätigte Tharas.

"Verstehe. Ich hoffe, das bringt keine Schwierigkeiten mit sich“, meinte der Steuermann nachdenklich.

"Ich denke nicht. Ich bin dann nur ein ganz normaler Mensch. Kein Grund zur Sorge“, beschwichtigte der Prinz.

"Das meine ich nicht. Ich meine die Mannschaft. Viele von ihnen haben wegen deinem Vater Angehörige oder Freunde verloren. Sie werden dir nicht sehr wohl gesonnen sein. Ich werde tun, was ich kann um dich zu schützen, doch es ist besser, wir verschweigen diesen Umstand. Deiner eigenen Sicherheit willen."

"Ich dachte, ein elfischer Name ist der beste Schutzschild, den man haben kann?", wollte Tharas wissen.

"Das ist richtig. Doch niemand kann in die Seele blicken und ich hoffe, dass keinem der Männer die Idee kommt, dir trotzdem etwas anzutun."

"Gut. Von uns erfährt es niemand“, sagte Tharas entschlossen. "Warum sollte ich auch meine eigene Schwäche offenbaren?"

"Schön. Dann brechen wir morgen früh auf“, sagte Yaros bestimmt.

"Ich würde vorschlagen, ihr beginnt zu packen“, riet Aures.

"Eine Frage noch“, schaltete sich Rean ein.

"Die wäre?", fragte Melean.

"Was machen wir mit unseren Pferden?"

"Am besten lasst ihr sie einfach hier“, schlug Melean vor. "Wir werden uns um sie kümmern. Und wenn ihr zurück seid, holt ihr sie einfach ab. Einverstanden?"

Rean war einverstanden und nickte. Er und Tharas hatten ohnehin nicht viel Gepäck, doch nun war es an den Elfen, sich weiter zu unterhalten. Also verließen sie das Haus und schlenderten zu ihrer eigenen Unterkunft zurück.

"Das mit dem Fluch hast du mir nie erzählt“, sagte Rean an Tharas gewandt.

"Es hat sich auch nie ergeben, darüber zu sprechen“, antwortete dieser.

"Hast du Angst?", wollte der Junge wissen.

"Nein. Ich glaube nicht, dass ich meine Zauberkräfte brauchen werde. Und wenn wir uns an das halten, was Yaros gesagt hat, wird auch nichts passieren. Da bin ich mir sicher."

Rean war nicht ganz so zuversichtlich. Er hatte das Gefühl, dass diese Reise mit dem Schiff noch einige Tücken zu bieten haben würde.
 

Am nächsten Morgen brachen sie auf. Das ganze Dorf hatte sich versammelt um sich von ihnen zu verabschieden.

"Lebt wohl, Freunde“, sagte Aures. Er drückte freundschaftlich Reans Hand und legte Tharas eine Hand auf die Schulter. "Möge es euch wohl ergehen."

Dann kam Melean zu ihnen. Auch er berührte Tharas an den Schultern, doch im Gegensatz zu Aures zog er ihn zu sich und flüsterte ihm halb im Scherz ins linke Ohr: "Wenn Rean auch nur ein Haar gekrümmt wird, bist du fällig." Ins rechte aber sagte er ernst: "Pass gut auf dich auf. Es wird gefährlich werden. Ich hoffe, dass dir nichts passiert."

Dann ging er zu Rean. Der Junge hatte feuchte Augen. "Ich werde dich vermissen“, sagte er zu Melean.

"Ich dich auch, kleiner Stern. Dein Ziel rückt immer näher. Ich bin davon überzeugt, dass du finden wirst, was du suchst. Leb wohl." Nachdem er das gesagt hatte, tat er etwas, das bei Tharas und Aures denselben Gedanken entstehen ließ: "Ich bring ihn um." Er beugte sich hinunter und gab Rean einen zarten Kuss auf die Lippen.

"Also wirklich, Melean, schäm dich“, sagte Yaros vorwurfsvoll als er Reans verwirrtes, leicht gerötetes und Aures nur mit Mühe beherrschtes Gesicht sah. Doch der Elf hatte sich zurück gezogen und schmunzelte nur vor sich hin.

"Kommt, gehen wir“, sagte der Steuermann und sie folgten ihm in westlicher Richtung weg vom Dorf.

Als Rean sich noch einmal kurz umdrehte, sah er, wie Melean ihm verschwörerisch zuzwinkerte.
 

Sie folgten dem Weg durch die Wälder für zwei Tage. Dann endlich wurden die Bäume spärlicher und vor ihnen erstreckte sich ein weiter Kiesstrand, begrenzt von hohen Klippen und kleinen Buchten auf der einen und dem weiten Meer auf der anderen Seite. Rean hörte den Ruf der Möwen, das Rauschen der Wellen und er roch die salzige Seeluft.

Die "Einhorn" lag ein Stück weit vom Strand entfernt vor Anker. Etwas wie einen Steg gab es nicht. Das Schiff wurde mit Booten be- und entladen. Als sie eintrafen, war die Mannschaft bereits eifrig dabei, die letzten Vorräte an Bord zu nehmen und das Schiff klar zu machen.

Nachdem Yaros sie an den Strand hinunter geführt hatte, sagte er: "Es dauert wohl noch eine Weile bis das Schiff klar zum Auslaufen ist. Ich würde vorschlagen, ihr macht noch einen kleinen Spaziergang am Strand. Kommt in etwa einer Stunde zurück. Bis dahin dürften wir soweit sein, euch an Bord nehmen zu können."

Sie stimmten zu und machten sich auf den Weg. Soley wollte sich ihnen anschließen, doch Yaros hielt sie sacht an den Flügeln fest. "Du bleibst hier, Fräulein Flatterflügel. Ich hab was mit dir zu besprechen."
 

Die Sonne schien warm vom Himmel und hatte das Meer aufgewärmt. Rean zog seine Stiefel aus und lief mit blanken Füßen an der Wasserlinie entlang, wobei die Wellen seine Waden umflossen. Der Wind spielte mit seinem Haar und sein Gesicht leuchtete in der Sonne. Er freute sich schon auf die Fahrt.

Er und Tharas hatten sich bereit erklärt, auf dem Schiff zu helfen, da sie nichts hatten, was sie den Elfen hätten geben können.

"Rean?", sagte Tharas plötzlich.

"Ja?"

"Ist dir eigentlich klar, was heute für ein Tag ist?", wollte der Magier wissen.

Rean überlegte angestrengt. "Nein, keine Ahnung“, gab er zu.

"Es ist der zwölfte Juli“, sagte Tharas einfach.

"Was? Bist du dir sicher?", rief Rean.

"Absolut sicher“, bestätigte sein Freund.

"Dann hab ich ja heute Geburtstag“, stellte der Junge fest.

"Stimmt. Und es ist sogar ein besonderer. Dein achtzehnter."

"Du hast Recht. Daran hab ich gar nicht gedacht“, gab Rean beschämt zu.

"Alles Gute zum Geburtstag, Rean“, sagte Tharas liebevoll. "Leider hab ich kein Geschenk für dich."

"Macht nichts“, sagte Rean und lächelte. "Hauptsache, du hast daran gedacht." Dann umarmte er seinen Freund innig und wünschte sich insgeheim, es würde nicht dabei bleiben, doch Tharas zog ihn nur an sich und hielt ihn eine Weile fest. Schließlich lösten sie sich wieder voneinander und setzten ihren Weg fort.
 

Plötzlich bemerkte Rean etwas Weißes vor sich im Kies. Er bückte sich danach und hob es auf.

"Was hast du da?", wollte Tharas wissen.

"Es sieht aus wie eine Perle“, sagte Rean. "Aber sie hat eine komische Form."

"Lass mal sehen“, forderte sein Freund ihn auf und Rean zeigte sie ihm. Sie hatte die Form eines Tropfens.

"Sie ist schön“, meinte Tharas. "Ein Geburtstagsgeschenk des Meeres für dich."

"Ich glaube, wir sollten langsam zurück“, bemerkte Rean und sie machten sich auf den Rückweg. Allerdings liefen sie diesmal näher nebeneinander und für kurze Zeit nahm Tharas Reans Hand in die seine.
 

Als sie ankamen, war Yaros gerade dabei, eine Kiste in ein Boot zu hieven. Er winkte ihnen zu, als er sie bemerkte.

"Schau mal, was ich am Strand gefunden habe“, sagte Rean und präsentierte ihm stolz seinen Fund.

"Oh, eine Lagunenträne“, sagte Yaros beeindruckt.

"Eine was?", fragte Rean und blickte Tharas fragend an, doch dieser zuckte nur die Achseln.

"Siehst du die weiße Felssäule dort oben?", fragte Yaros und deutete nach oben auf eine der Klippen. Jetzt fiel auch Rean und Tharas auf, dass über dem grauen Gestein der Klippen eine weiße Säule in den Himmel stach. Sie schien natürlichen Ursprungs zu sein und doch passte sie irgendwie nicht in die Umgebung. "Das ist Laguna“, fuhr Yaros fort. "Es ist eine alte Legende der Elfen. Laguna war ein Mädchen, deren Liebster zur See fuhr. Jeden Tag stand sie dort oben und hielt nach seinem Schiff Ausschau. Doch eines Tages spürte sie, dass er nicht wieder zu ihr zurückkommen würde und tatsächlich traf am nächsten Tag eine Nachricht ein, dass sein Schiff gesunken war. Als man Laguna davon berichten wollte, fand man sie zu Stein erstarrt dort oben auf der Klippe. Ihre Tränen waren zu Perlen geworden und ins Meer gefallen. Es heißt, dass derjenige, der eine solche Perle findet, kein Liebesglück finden wird."

"Dann will ich sie nicht“, sagte Rean und holte aus, um die Perle davon zu schleudern, doch Yaros hielt ihn am Handgelenk fest. "Warte“, sagte er. "Das ist die Legende, doch wenn du mich fragst, ist das alles Aberglaube. Ich glaube viel eher, dass dir das Ding Glück bringt. Besser, du hebst es gut auf." Er lächelte und ließ Rean wieder los. Dann wandte er sich wieder seiner Kiste zu. "Das war übrigens die letzte. Wir können euch jetzt mit an Bord nehmen“, sagte er. Er sprang leichtfüßig in eines der Boote und die beiden Prinzen folgten ihm.
 

Sobald sie auf dem Wasser waren fühlte sich Tharas unwohl. Er wusste, jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie würden ihre Heimat verlassen und in neue, unbekannte Gefilde aufbrechen, doch das war nicht der Hauptgrund. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass das eine ganz furchtbare Fahrt werden würde.

Kapitel 13 - Übers Meer

Kapitel 13

Übers Meer
 

Rean fügte sich sofort mühelos in die Gruppe von Elfen ein. Er war zwar klein und zierlich und nicht wirklich für harte Arbeit gemacht, dennoch schwang er den Besen, half in der Kombüse und tat auch sonst alles, was von ihm verlangt wurde. Doch die Elfen hatten ohnehin nicht vor, ihn allzu hart arbeiten zu lassen, obwohl er das Pensum von zweien erledigen musste.
 

Denn Tharas litt unerwarteter Weise unter der Seekrankheit. Sobald sich das Schiff auch nur ein wenig quer legte, begannen seine Innereien zu rumoren und er konnte nichts mehr bei sich behalten.
 

"Du musst was essen“, bettelte Rean. "Wenn du nichts isst, wirst du noch krank."

"Danke, kein Bedarf. Krank bin ich schon und es würde ja sowieso nicht drin bleiben“, antwortete Tharas mit kratziger Stimme und schaute gequält zu ihm auf. Wenn seine Haut sonst schon blass war, so wirkte er jetzt fast durchsichtig und unter seinen Augen waren dunkle Ringe.

"Aber wenigstens trinken musst du. Du trocknest sonst aus. Bitte, Tharas. Versuch es doch wenigstens."

"Muss ja wohl…", murmelte er und nahm den Becher, den Rean ihm reichte. "Zum Wohl“, sagte er, setzte den Becher an die trockenen Lippen und trank. Es war nur einfaches Wasser, doch für seine Kehle war schon das eine Tortur.

"Weißt du was? Ich frag den Koch, ob er eine Suppe kochen kann. Die kannst du trinken“, schlug Rean mit besorgter Miene vor.

"Ist gut“, nuschelte Tharas. Als das Schiff kurz auf einer Welle schwankte, drehte er sich ruckartig zu Seite, schnappte sich den Eimer, den Rean ihm schon vor zwei Tagen gebracht hatte und übergab sich. "Danke“, stöhnte er, als Rean ihm ein Tuch reichte. "Siehst du, es bleibt nichts drin. Ich glaube, diese Reise überlebe ich nicht."

"So ein Blödsinn. Natürlich überlebst du. Jetzt sei mal kein solcher Jammerlappen, Tharas von Arc“, sagte Soley, die mit Rean gekommen war.
 

Sie hielt sich meistens in Reans oder Yaros Nähe auf. Bevor sie mit an Bord gekommen war hatte ihr Yaros eingeschärft, sich besser im Hintergrund zu halten, denn es herrsche der Aberglaube, dass eine Frau an Bord Unglück bringe. Deshalb solle sie lieber in der Nähe ihrer Freunde bleiben und so wenig wie möglich mit der Mannschaft in Kontakt kommen. Sie wusste, dass er Recht hatte und hielt sich daran, obwohl sie dem Steuermann der "Einhorn" nicht wirklich über den Weg traute. Er war ihr schlicht und ergreifend zu menschenähnlich.
 

"So liebreizend wie eh und je. Geh doch und nerv Yaros, aber bitte nicht mich, ja?", sagte Tharas missgelaunt und umklammerte den Eimer etwas fester als ein erneutes Schaukeln das Schiff durchlief. Doch diesmal kam nichts.

"Entschuldige. Ich mach mir doch nur Sorgen um dich“, antwortete die Fee und ihre Stimme klang wirklich besorgt.

"Versuchs noch mal mit dem Trinken, bitte“, bat Rean. Tharas wusste, dass er Recht hatte und machte erneut ein paar kleine Schlucke.

"Die Mannschaft macht sich bereits lustig über dich“, informierte ihn Soley. "Das hab ich von Yaros. Sie sagen, dass es eine Schande ist, dass der Sohn des schwarzen Magiers sich so von ein paar Wellen unterkriegen lässt."

Es klopfte an der Tür und kurz darauf trat Yaros ein. "Wie geht's dem Patienten?", fragte er gut gelaunt.

"Übel, danke der Nachfrage“, antwortete Tharas.

"Na, solange du solche Antworten geben kannst, kann es gar nicht so schlimm sein“, meinte der Elf und bückte sich zu ihm. Er legte ihm eine Hand auf die Stirn und fühlte seine Temperatur. "Wenigstens hast du kein Fieber“, stellte er fest. "Aber du musst dringend trinken, glaub mir. Im Übrigen glaube ich, dass es dir gut täte, etwas an die frische Luft zu gehen."

"An die frische Luft? Damit ich die Wellen kommen sehe von denen mir schlecht wird, oder was?"

"Es hilft wirklich. Ob du's glaubst oder nicht. Aber ich kann dich ja schlecht raus tragen. Dazu musst du dich schon selber durchringen."

"Ich denk drüber nach. Aber jetzt schlaf ich lieber noch ein bisschen“, erwiderte Tharas, gab Rean den Becher zurück, stellte den Eimer ab und legte sich hin.

"Ich schau nachher noch mal rein“, sagte Yaros. "Kommst du mit, Flatterflügel?", fragte er Soley. Diese zuckte die Achseln und folgte ihm schließlich.

Rean strich sanft eine Strähne aus Tharas Gesicht. "Kann ich dich alleine lassen?", fragte er.

"Sicher. Ich glaube nicht, dass es besonders interessant ist, mir die ganze Zeit beim Übergeben zuzusehen. Geh ruhig“, antwortete der Magier und schloss die Augen.

"Ich lass dir den Becher hier“, sagte Rean und erhob sich von Tharas Seite.
 

Die beiden schliefen auf ausgestopften Säcken, doch sie hatten immerhin eine Kabine für sich und mussten nicht in die Mannschaftsquartiere. Yaros hatte das angesichts Reans etwas mädchenhafter Erscheinung für besser gehalten.
 

Tharas hörte das Quietschen der Türangeln als diese geöffnet wurde und dann wie sie ins Schloss fiel. Wieder war er allein. Das Schwanken in seinem Kopf hörte allerdings auch nicht auf nachdem er die Augen geschlossen hatte. Zum wiederholten Male versuchte er, mit seinem Vater Kontakt aufzunehmen, doch es war ihm unmöglich. Anscheinend hatte sich seine Fähigkeit, mit ihm per Gedankenkraft zu kommunizieren, zusammen mit seinen Zauberkräften verabschiedet. Seit drei verdammten Tagen ging das nun schon so. Wie lange würden sie wohl noch brauchen bis sie endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatten? Vielleicht hatte Yaros ja Recht und er sollte tatsächlich einmal nach oben gehen. Später.
 

Rean unterdessen hatte überhaupt keine Schwierigkeiten, sich an die Schwankungen zu gewöhnen. Er schlenderte fröhlich über das Deck und schaute sich um. Yaros und Soley waren am Steuerrad, also steuerte er auf sie zu.

"Was glaubst du, wie lange wir noch unterwegs sind?", fragte er.

"Wenn alles gut geht, sechs Tage. Aber schau mal da drüben“, antwortete der Elf und deutete nach Norden. Rean verstand sofort, was er meinte. Am Horizont begannen sich schwarze Wolken aufzutürmen.

"Es sieht nach einem Sturm aus“, murmelte Yaros.

"Wie schlimm wird er?", fragte Rean.

"Kann ich nicht sagen. Vielleicht wird es auch nur ein kleines Unwetter. Aber diese Wolken gefallen mir gar nicht. Ich denke, es wäre besser, wir würden die Segel einholen und den Sturm abwarten. Hoffen wir, dass er nicht allzu schlimm wird…"
 

Doch der Sturm wurde schlimm. Er dauerte die ganze Nacht über an. Die Wellen türmten sich meterhoch und warfen das Schiff hin und her wie eine Nussschale. Der Wind trieb sie unbarmherzig von ihrem Kurs ab und Yaros hatte erhebliche Schwierigkeiten, die "Einhorn" unter Kontrolle zu halten.
 

Nachdem sich der Sturm gelegt hatte, zogen sie Bilanz. Es war ein Wunder, dass der Mast nicht abgebrochen war. Die Schäden am Schiff waren nicht weiter schlimm und konnten schnell ausgebessert werden. Drei Mann der Besatzung waren über Bord gegangen und ihre Kameraden gedachten ihrer kurz. Zusammenfassend hatte der Kapitän erklärt, hätten sie es wohl einer göttlichen Fügung zu verdanken, dass das Schiff nicht gesunken war. (Eher einer Autorin, die ihre Charas noch ein wenig länger leben lassen möchte.)
 

Die Planken waren glitschig geworden und Rean schlingerte ein wenig, als er auf Yaros zuging, der dabei war, ihre derzeitige Position zu bestimmen.

"Sind wir noch einigermaßen auf Kurs?", fragte er.

"Auf Kurs? Das soll wohl ein Witz sein. Wir sind meilenweit vom Kurs entfernt. Der Sturm hat uns nach Süden abgetrieben. Ich schätze, wir brauchen mindestens einen Tag mehr, wenn nicht sogar länger“, antwortete der Elf. Doch Rean spürte die Beunruhigung, die von ihm ausging deutlich.

"Da ist doch noch mehr. Nur der Umweg kann es nicht sein“, erkundigte er sich.

"Stimmt“, sagte Yaros ernst. "Wir sind zu weit südlich. In diesen Gewässern gibt es Wesen, mit denen es nicht einmal die Magie der Elfen aufnehmen kann. Sie appellieren an die tiefsten, innersten Sehnsüchte und bringen damit den Tod. Weißt du, wovon ich rede?"

Rean schüttelte den Kopf.

"Sirenen“, antwortete Yaros. "Ich hoffe nur, dass wir keiner von ihnen begegnen, denn wenn uns der Sturm auch nicht umgebracht hat: die können es."

Sie korrigierten den Kurs und segelten nach Nordwesten. Yaros Hoffnung sollte sich jedoch nicht bestätigen.
 

Tharas war während des ganzen Sturms im Bauch des Schiffes geblieben zusammen mit Rean und Soley. Er hatte das Gefühl gehabt, das sei sein das Ende der Welt. Auch seine Freunde hatten Angst gehabt, das hatte er ihnen deutlich angesehen, doch keinem der beiden war es so überwältigend schlecht dabei gegangen. Aber wenigstens hatte er sich nicht mehr übergeben, was daran lag, dass in seinem Magen absolut nichts mehr war, das er hätte erbrechen können. Selbst nachdem sich der Sturm gelegt hatte drehte sich sein Kopf noch immer. Rean hatte beschlossen, nach oben zu gehen und sich nach den Schäden und ähnlichem zu erkundigen und war nun schon eine ganze Weile weg. Soley hingegen blieb bei Tharas um ihm wenigstens Beistand zu leisten.
 

"Das wird schon wieder“, sagte sie. "Weißt du, vielleicht solltest du doch einmal versuchen, nach draußen zu gehen. Sieh mal, es ist ein schöner Tag, die Sonne scheint wieder und möchte dir sicher hallo sagen."

"Die Sonne… Pf. Die kann mir gestohlen bleiben. Erst mal muss mein Kopf aufhören, sich im Kreis zu drehen“, konterte Tharas und spülte seinen Mund mit Wasser aus, das er mit seinen eigenen Kräutern versetzt hatte, um den fiesen Geschmack der letzten Tage loszuwerden. Dann stand er vorsichtig auf und ging wankend in der engen Kabine auf und ab.

"Also vom ewigen hin- und herlaufen wird's auch nicht besser“, bemerkte die Fee und schüttelte den Kopf.

"Aber mein Kopf wird frei davon. Also gut. Gehen wir kurz raus“, meinte Tharas und wankte nun nicht mehr ganz so unkontrolliert zur Tür.
 

Als er sie öffnete traf ihn fast der Schlag. Ein furchtbarer, schriller Ton lag in der Luft. Auch Soley verzog angewidert das Gesicht.

"Was ist das?", fragte sie gegen den Lärm anrufend.

"Weiß ich nicht. Komm, wir finden es raus!", rief Tharas zurück und stieg nach oben an Deck.
 

Dort angekommen traute er seinen Augen nicht. Die Mannschaft hing kollektiv am Bug des Schiffes und versuchte, etwas zu erreichen. Ihre Arme griffen ins Nichts. Einzig Yaros stand an seinem Steuerrad. Sein Blick war leer. Verzweifelt suchten Tharas Augen nach Rean. Da war er! Er stand auf dem unteren Deck und hatte ihnen den Rücken zugewandt.

In Tharas Gedanken begann es zu arbeiten. Er hatte von so etwas gehört. Vor langer Zeit im Unterricht seines Vaters.
 

"Merk dir eins, mein Sohn, " hatte er gesagt, "nichts ist so gefährlich auf See wie die Sirenen. Mit ihrem "Gesang", so nennen sie ihr Gekreische, locken sie die Seefahrer an und bringen sie dazu, ihre Schiffe auf Riffe und gegen Klippen zu lenken. Nur wahre Liebe, die Erfüllung der Sehnsüchte, die sie wecken und heftige Störgeräusche helfen gegen ihren Zauber. Besser, du fährst nie zur See. Merk dir das!"
 

"Sirenen…", murmelte Tharas und sah sofort die Gruppe spitzer Felsen, auf welche das Schiff zusteuerte.

"Was hast du gesagt?", fragte Soley.

"Es sind Sirenen. Böse Wasserdämonen, die auf den Meeren ihr Unwesen treiben. Wir müssen verhindern, dass sie Yaros dazu bringen, das Schiff zwischen die Felsen da zu lenken."

"Und wie? Und wieso sind wir nicht betroffen?"

"Warum? Ich habe meine wahre Liebe gefunden und die ist ein Mann. Sirenen sind alle weiblich. Du bist auch eine Frau und wirst somit von ihnen nicht angesprochen. Deshalb musst du mir helfen."

"Wie?"

"Du kannst dich doch groß machen, oder? Jede Fee kann das."

"Natürlich. Aber was…"

"Tu es. Jetzt, Soley“, fuhr Tharas sie an.

"Ist ja gut." Soley streckte sich. Dann drehte sie eine Pirouette und wurde während der Drehung immer größer. Schließlich reichte sie Tharas etwa bis zu Brust. "Und jetzt?", fragte sie.

"Geh zu Yaros und küss ihn."

"Was? Bist du von allen guten Geistern verlassen? Den?" Soley war entsetzt.

"Soll ich es vielleicht machen?", fragte Tharas ärgerlich.

"Nein, nein. Ist ja gut, ich geh ja schon. Und was machst du?"

"Ich übernehme die restliche Arbeit. Beeil dich!" So schnell er konnte lief er hinunter zum Unterdeck.
 

Soley lief zu Yaros hinüber und zwängte sich zwischen ihn und das Steuerrad. Sie zappelte nervös herum. "Oh, verdammt, warum ausgerechnet ich und dann noch ihn?", schimpfte sie. Doch dann fasste sie sich ein Herz, stellte sich auf die Zehenspitzen, zog Yaros Kopf zu sich herunter und küsste ihn.
 

Zuerst passierte gar nichts, doch dann spürte sie einen leichten Gegendruck. Irgendwie waren seine Lippen weicher als sie gedacht hätte. Seine Hände lösten sich vom Steuerrad und legten sich um ihre Taille. Seine Zunge leckte vorsichtig über ihre Unterlippe.
 

/Das ist genug./, beschloss sie und löste sich von ihm, wenn auch widerstrebend. Erwartungsvoll blickte sie in Yaros Gesicht. Als sich die türkisfarbenen Augen öffneten war sie sich zuerst nicht sicher, ob es funktioniert hatte, denn sie hatten einen leicht verklärten Ausdruck. Doch dann lächelte er und sagte: "Du bist ja eine richtige Schönheit, Flatterflügel." Er beugte sich zu ihr hinunter um sie erneut zu küssen, doch sie legte ihm zwei Finger auf den Mund und drehte sich um. "Jetzt nicht“, sagte sie ernst. "Wir haben ein Problem. Schau mal nach vorne."

Yaros musterte sie zuerst mit merkwürdigem Blick, doch dann sah er in die gleiche Richtung wie sie. Soley trat ein paar Schritte zurück, drehte sie sich um und schaute sich nach ihren Freunden um. Als sie sie erblickte, sagte sie leise: "Oh, Tharas…"

Yaros lehnte lässig auf seinem Steuer und fragte: "Sag mal, läuft da was zwischen den beiden?"

Erschreckt fuhr Soley herum und rief "Yaros, Vorsicht!"

Der Elf stieß einen derben Fluch aus und riss das Steuer herum.
 

Tharas war direkt zu Rean gelaufen. Wenn es jemanden gab, der die gesamte Mannschaft retten konnte, dann ihn. Außerdem…

Er hob Reans Gesicht mit beiden Händen an. Seine Augen waren genauso leer wie Yaros. Tharas zögerte nicht lange und küsste ihn sanft. Fast sofort spürte er den vorsichtigen Gegendruck. Im nächsten Moment war die Welt um ihn herum vergessen. Es gab nur noch sie beide. Er beschloss, noch einen Schritt weiter zu gehen. Sanft leckte er über Reans Unterlippe.
 

Die Lippen des Jungen öffneten sich und Tharas glaubte, ein leises Stöhnen zu hören. Der Kuss wurde leidenschaftlicher, fordernder. Zärtlich umspielten sich ihre Zungen und fochten schließlich einen heißen, jedoch sieglosen Kampf miteinander aus. Reans Hände suchten ihren Weg zu Tharas Rücken, wo sie sich verzweifelt an seinem Hemd festhielten. Atemlos ließen sie kurz voneinander und Tharas blickte in Reans Augen, die sich langsam öffneten. In ihnen brannte ein Feuer, das er noch nie zuvor gesehen hatte. Erneut versanken sie in einem leidenschaftlichen Kuss.
 

Yaros riss das Steuer so hart herum, dass Tharas das Gleichgewicht verlor und stürzte. Rean landete unsanft auf ihm und ihm wurde die Luft aus den Lungen gepresst. Umständlich richtete sich der Junge auf und sah ihn mit großen Augen an.

"Was ist denn passiert?", fragte er verständnislos.

"Die Flöte“, sagte Tharas.

"Was?"

"Die Flöte, die du von Melean bekommen hast. Wo ist die?", fragte Tharas.

"Hier, in meiner Tasche“, antwortete der Junge und zog das Instrument heraus. "Was ist damit?"

"Spiel. Unser aller Leben hängt davon ab“, befahl der Zauberer.

"Was denn?", fragte Rean, der immer noch nicht verstand, was um ihn herum passierte.

"Irgendwas. Was dir gerade einfällt, nur möglichst laut."

"Ist gut“, antwortete der junge Prinz und setzte die Flöte an die Lippen. Er spielte das erstbeste Lied, das ihm einfiel.
 

Es schien Wirkung zu zeigen. Das Kreischen der Sirenen wurde lauter und ärgerlicher, doch Rean spielte weiter. Yaros lenkte das Schiff immer weiter von den Sirenenfelsen weg und schließlich kam auch die restliche Mannschaft wieder zu sich. Sie alle blickten sich verwirrt an.
 

Soley kam zu Rean und Tharas gelaufen. Ihr Blick schwankte zwischen Stolz und Besorgnis.

"Was ist denn nun passiert?", fragte Rean verwirrt.

"Woran kannst du dich erinnern?", stellte Tharas eine Gegenfrage.
 

Rean wusste es nicht genau. Er erinnerte sich, dass er mit Yaros dagestanden hatte und dann zum Unterdeck gegangen war. Dann musste er kurzzeitig eingeschlafen sein, denn er hatte wieder einen dieser Träume gehabt. Diesmal hatte sich der Traum anders angefühlt, irgendwie realer und deshalb noch schöner. Aber das konnte er Tharas doch nicht sagen. Schließlich antwortete er: "Daran, dass ich bei Yaros am Steuerrad gestanden habe."
 

Tharas Miene verfinsterte sich. "Sirenen haben das Schiff angegriffen“, erklärte er in sachlichem Tonfall. Mit deiner Flöte haben wir ihren Gesang übertönt und konnten fliehen."

"Ach so. Und sonst nichts?", hakte Rean nach.

"Nein, sonst nichts“, antwortete Tharas. "Ich glaube, mir wird wieder übel. Ich gehe zurück in die Kabine." Er ging zwischen Rean und Soley hindurch geradewegs zurück zu ihrem Quartier.
 

Dort warf er sich auf seinen Schlafsack und starrte die Wand an. Er konnte sich also nicht erinnern. Für Tharas war es der bis dahin schönste Moment seines Lebens gewesen und er hätte schwören können, dass Rean ihn mit ihm geteilt hatte. Doch anscheinend hatte er sich geirrt. Sein Herz tat weh. /Du hast dir etwas vorgemacht, du Narr. Wieso sonst hätten ihn die Sirenen in ihren Bann ziehen können? Sieh es ein: Er liebt dich nicht./, dachte er. Eine innere Kälte breitete sich in ihm aus und seine Augen wurden feucht. Er hatte keine Ahnung, dass es einfach nur Reans eigene Unsicherheit gegenüber ihm gewesen war, die ihn in Trance hatte fallen lassen.
 

Als Rean kurze Zeit später die Kabine betrat um nach ihm zu sehen stellte er sich schlafend, doch richtigen Schlaf fand er nicht. Später hörte er den Jungen hereinkommen, schloss wieder die Augen, lauschte ihm, wie er zu Bett ging und schließlich den langen, gleichmäßigen Atemzügen, die ihm verrieten, dass Rean eingeschlafen war.
 

Mitternacht war vorbei und die Sterne schienen hell am Firmament. Tharas hielt es in der Enge nicht mehr aus und verließ leise die Kabine. Er ging an Deck und ließ sich den Nachtwind um die Nase wehen. Ihn fröstelte ein wenig, doch er nahm es nicht bewusst wahr. Langsam ging er an der Reling entlang zum Heck. Dort ließ er sich mit einem tiefen Seufzen sinken, zog die Beine an und ließ den Kopf hängen. Der Großteil der Mannschaft war bereits schlafen gegangen also fühlte er sich unbelauscht als er traurig in die Dunkelheit der Nacht murmelte:
 

"War es nicht erst gestern als ich Dich küsste?

War es nicht erst gestern als wir uns so nahe waren wie nie zuvor?

Wie ein schöner Traum, doch so vergänglich.
 

Ich liebe dich, schon so lange, doch du wirst es nie erfahren.

Es wird nie wieder geschehen."
 

"Das war wunderschön“, sagte eine sanfte Stimme vor ihm. Tharas blickte auf und erkannte Soley, die, immer noch in Menschengröße, sanft lächelnd vor ihm stand.

"Wie lange stehst du schon da?", fragte er teilnahmslos.

"Lange genug um zu hören, dass an dir ein Poet verloren gegangen ist. Glaubst du nicht, du solltest diese Worte demjenigen anvertrauen für den sie gedacht sind und nicht der Dunkelheit?"

Tharas seufzte, erhob sich, drehte sich von ihr weg, lehnte sich an die Reling und schaute in die Gischt, die das Schiff hinter sich herzog. Ihm war innerlich kalt und sein Herz war gebrochen. Die Tiefe zog ihn magisch an.

"Du siehst aus, als wolltest du rein springen“, sagte Soley und trat ein wenig näher an ihn heran.

"Das würde ich auch am liebsten. Es ist ein grässliches Gefühl, zu lieben aber nicht geliebt zu werden“, sagte er unglücklich.

"Bist du dir da so sicher?", fragte die Fee.

"Er sagte, er könne sich an nichts erinnern. Aber das stimmt nicht. Wir haben kurz voneinander gelassen und da hab ich in seine Augen gesehen. Er war wach und bei vollem Bewusstsein. Weißt du, was er mir damit gesagt hat? Er hat mir gesagt, dass es für ihn nie passiert ist. Er hat es mir erspart, es ihm sagen zu müssen, denn er weiß es selbst, doch er wird es vergessen und nie mehr daran denken."

"Oh, Tharas“, flüsterte Soley und legte von hinten ihre weißen, schlanken Arme um ihn. "Es tut mir so Leid." Sie spürte, wie sein Körper zitterte und hörte sein Schluchzen.
 

Rean war aufgestanden als er bemerkt hatte, dass Tharas und Soley verschwunden waren. Er ging an Deck und hielt nach ihnen Ausschau. Da sah er sie eng umschlungen im Mondlicht am Bug stehen. Ein Stachel bohrte sich tief in sein Herz. Seine Träume würden sich nie erfüllen. Tharas liebte also Soley.
 

Ja ja, ich weiß, ich bin schon wieder mega-fies. Bitte tausendfach um Pardon^^ Ist halt einfach gut für die Dramatik. (I love cliffhangers.)

Kapitel 14 - Die westlichen Lande

Kapitel 14

Die westlichen Lande
 

Selbst dem ansonsten etwas begriffsstutzigen Yaros fiel auf, dass die Stimmung zwischen Rean und Tharas deutlich abgekühlt war. Er konnte es sich nur so erklären, dass die Annäherung beim Sirenenangriff schuld war und er konnte es dem Kleinen nicht verdenken. Wenn er sich vorstellte, dass… Nein. Der Gedanke war zu grässlich. Immerhin war der Zauberer nicht auf den Gedanken gekommen, ihn so zu überfallen.
 

Tharas verkroch sich des Öfteren unter Deck mit der Begründung, es ginge ihm schlecht. Insgeheim leckte er jedoch seine Wunden. Jedes Mal wenn Rean ihn ansah bohrten sich kleine Stiche in sein Herz und ein gewisses Verlangen, einfach loszuheulen stieg in ihm auf.
 

Rean hingegen war angefressen von der Eifersucht auf Soley. Er arbeitete mehr und härter und eines Abends kam er mit wund gescheuerten Händen in die Kabine zurück, doch er versteckte sie vor Tharas, so gut es eben ging.

"Wie geht's dir?", fragte er.

"Besser. Aber trotzdem. Ich bin heilfroh, wenn diese scheußliche Fahrt vorbei ist“, gestand Tharas.

"Wo ist Soley?", fragte Rean in sachlichem Tonfall.

"Weiß nicht. Vermutlich bei Yaros“, erklärte der Magier und schob sich in einer fließenden Bewegung sein Haar aus dem Gesicht.

"Bei Yaros? Die beiden hängen ja in letzter Zeit häufiger zusammen, besser gesagt hängt Yaros Soley an den Hacken. Stört dich das gar nicht?", wollte der Junge wissen.

"Stören? Wieso sollte es mich stören? Ich freue mich, wenn sie sich gut verstehen. Wer weiß, vielleicht wird ja mehr daraus. Dann geht sie wenigstens nicht mehr mir auf die Nerven“, erklärte Tharas achselzuckend.

"Ist das so? Ich dachte, ihr beide habt was miteinander…", sagte Rean so dahin und schaute nachdenklich auf seine Fingernägel.

"Wer? Soley und ich? Ich glaube, du hast zuviel Fantasie, Rean“, sagte Tharas und lachte auf.

"Etwa nicht? Und was ist das dann zwischen euch?", fuhr Rean auf. Er hatte einfach keine Lust, sich anlügen zu lassen, schon gar nicht von ihm. "Ich meine, du machst ihr Komplimente, ihr seid kein bisschen mehr fies zueinander und außerdem: warum verlasst ihr heimlich still und leise mitten in der Nacht die Kabine, um euch dann im Mondschein innig zu umarmen, hm?"

Tharas blickte ihn verständnislos an. "Wie, umarmen? Ich habe keine Ahnung, wovon du redest, Rean."

"Lüg mich nicht an! Ich hab's genau gesehen. Es war die Nacht nach den Sirenen! Für wie blind hältst du mich? Oder wie blöd?"

Tharas sprang auf und kam bedrohlich auf ihn zu. Rean wich ein Stück zurück, doch in der Enge der Kabine hatte er nicht viel Platz und schon stand er mit dem Rücken zur Wand. Dennoch schaffte er es, Tharas Blick stand zu halten. "Da hast du was vollkommen falsch verstanden“, erklärte Tharas. "Gut, ich gebe zu, die Situation sah vielleicht etwas anders aus, als sie in Wirklichkeit war, aber überhaupt: Was geht's dich eigentlich an? Oder…" Er kam noch ein Stück näher und hielt Rean an den Handgelenken fest: "Kann es sein, dass du eifersüchtig bist?"

Sein Blick schien Rean zu durchbohren und außerdem taten dem Kleinen die Hände weh. Er zuckte zusammen, als Tharas aus versehen eine der Schwielen etwas fest drückte und stöhnte leicht.
 

Erst jetzt bemerkte Tharas die Wunden in Reans Handinnenflächen. "Bist du völlig verrückt geworden?", rief er, doch sein Ton war eher besorgt als zornig. "Das muss sofort versorgt werden“, sagte er und zog Rean auf dessen Schlafsack. "Stillhalten“, befahl er und griff nach seinem Rucksack. Rean hatte schon so eine Ahnung, worauf das hinauslaufen würde. "Ich kann auch die Elfen fragen, ob sie es versorgen. Du musst dir keine Mühe machen“, erklärte er.

"Ach was, Unsinn. Das wird gleich erledigt“, widersprach Tharas und holte einen seiner Tiegel hervor. "Es könnte etwas brennen“, fügte er hinzu. Er öffnete ihn und nahm etwas von der Salbe. Diese verteilte er sanft auf Reans Wunden.
 

Den Jungen durchlief ein Schauer, als Tharas warme, weiche Hände ihn sanft berührten. Um sich abzulenken fragte er kleinlaut: "Also ist wirklich nichts zwischen euch beiden? Du bist nicht in Soley verliebt?"

"Wie denn? Sie ist eine Fee, also ein Wesen des Lichts. Du weißt doch, was passiert, wenn mich ein solches berührt. Es wäre nicht gerade sehr angenehm. Und außerdem ist sie gar nicht mein Typ. Viel zu frech. Aber wenn du wissen willst, warum ich nicht mehr fies zu ihr bin…" Er blickte den Jungen fragend an.

Rean nickte nur, also fuhr er fort: "Ich bin ihr dankbar, verstehst du? Als ich mich auf den Weg zur Wolfsschlucht machte, hat sie mich den ganzen Weg über begleitet. Sie ist mir eine gute Freundin geworden. Sie hört mir zu und muntert mich wieder auf, wenn es mir schlecht geht. Das ist alles, glaub mir."

"Wirklich?", fragte Rean mit Unschuldsblick.

"So wahr ich Tharas heiße“, bestätigte sein Freund und sagte dann: "Es tut mir Leid, dass ich dir vorhin wehgetan habe. Aber, mal abgesehen davon, würdest du mir trotzdem meine Frage beantworten?"

"Welche Frage denn?"

"Warst du eifersüchtig?"

"Nein“, sagte Rean wie aus der Pistole geschossen. "Nein, überhaupt nicht."

"Dann hab ich mir das wohl nur eingebildet“, murmelte Tharas und stellte die Streicheleinheiten ein. Er zog sich wieder in seine Ecke der Kabine zurück und sagte für den Rest der Überfahrt fast kein Wort mehr.
 

Soley war in der Tat bei Yaros. Eigentlich konnte sie sich nicht wirklich erklären, warum. Warum hatte sein Kuss sie so verwirrt, dass sie ständig daran denken musste? Im Grunde war ihr der blonde Elf ja nicht einmal unsympathisch, doch irgendwie irritierte er sie immer noch. Sie schwebte gedankenverloren an der Reling des Schiffes entlang und blickte aufs Meer. Die Sonne war dabei, blutrot am Horizont zu versinken. Yaros lief mit dem unschuldigsten Blick den er zustande brachte hinter ihr her. "Bitte, Soley. Nur noch ein Mal…", bettelte er.

"Yaros, du machst dich langsam lächerlich“, erklärte sie und verdrehte die Augen.

"Ich schwöre dir, das war der schönste Kuss meines Lebens. Ich weiß, wovon ich rede, ich hab nämlich schon mehrere Frauen geküsst. Und ja, ich gebe es zu, auch mal einen Mann. Ist schon lange her. Aber von niemandem hat mich ein Kuss so berührt wie von dir."

"Mit jedem Satz machst du es dir nur schwerer“, meinte sie emotionslos.

"Warum? Das war ein hochgradiges Kompliment. Bitte. Biiiiiiittttteeeeee."

"Glaubst du denn," sagte sie langsam und eindringlich und drehte sich dabei langsam zu ihm um, "dass eine Frau es als Kompliment ansieht, wenn du damit angibst, dass du schon so viele andere vor ihr hattest?" Sie schaute ihn zweifelnd an.

"So viele waren's gar nicht. Wenn man bedenkt, dass ich immerhin schon gut und gerne neunhundertfünfzig Lenzen zähle, was im Vergleich an Lebensjahren eines Menschen gesehen zum Beispiel…"

"Wie viele?", fragte Soley ernst.

"Fünf… zehn. Und der Kerl", meinte Yaros und schaute hoffnungsvoll. "Zu viele?"

"Elfen binden sich nur ein einziges Mal. Du hast ein bisschen öfter geprüft, wer zu dir passt, was? Bist anscheinend nicht gerade ein Kind von Traurigkeit…", sagte sie misstrauisch.

"Dir wäre ich treu“, versicherte Yaros und machte das Schwurzeichen.

"Und das soll ich dir glauben?"

"Lass es uns versuchen. Du kannst ja weiterhin so tun, als wäre das alles völlig von dir abgeprallt, aber ich glaube dir das nicht. Gib mir bitte eine Chance."

Soley seufzte. "Also gut“, sagte sie schließlich. "Ich versuch es mit dir. Aber wenn du mich enttäuscht, dann hetzte ich dir Tharas auf den Hals, klar?"

"Das will ich sehen“, grinste der Elf, zog die Fee, die mittlerweile Menschengröße angenommen hatte, in seine Arme und küsste sie leidenschaftlich.
 

Die "Einhorn" lief drei Tage später in den Hafen ein und wurde sofort freundlich begrüßt. Die beiden Prinzen wurden aufgefordert, erst einmal unten zu bleiben, um nicht gleich alle zu erschrecken, insbesondere einer. Yaros erklärte sich bereit, zum König zu gehen und alles weitere mit ihm zu regeln, doch das ließ der Kapitän nicht zu. Das war eine Aufgabe, die er höchstpersönlich übernehmen wollte, denn immerhin hatten die beiden sein Schiff gerettet. Es dauerte weitere zwei Tage bis sie endlich die Erlaubnis bekamen, an Land zu gehen.
 

"Dann wünsche ich euch viel Erfolg“, meinte Yaros als sie die "Einhorn" verließen.

"Danke“, murmelte Rean. Er war nervös. Was würde jetzt weiter mit ihnen geschehen?

Soley schwebte an Yaros Seite und blieb dort.

"Kommst du nicht mit?", fragte Tharas überrascht.

"Nein. Das ist euere Aufgabe. Und außerdem glaube ich, wäre ich nur im Weg“, erklärte sie und lächelte verschwörerisch.

Tharas zuckte nur die Achseln. "Wie du meinst." An Rean gewandt sagte er: "Na dann wollen wir mal."

Rean nickte und sie betraten als erste Sterbliche in der Geschichte das Reich der Elfen jenseits des Meeres.
 

Am Hafen erwartete sie bereits ein kleiner Trupp Elfen, dem sie sich anschlossen. Während sie durch die Straßen der Elfenstadt gingen, folgten ihnen sämtliche Blicke. Insbesondere Tharas lenkte eine gewisse Aufmerksamkeit auf sich, die ihm trotz der äußerlich zur Schau getragenen Ruhe und Gelassenheit schon bald auf die Nerven ging.

"Alle starren uns an…", stellte Rean fest und fühlte sich unbehaglich.

"Wundert dich das? Immerhin läufst du mit dem Doppelgänger des Elfenschlächters durch die Gegend“, meinte Tharas und lächelte freudlos. Das war ein Grund, doch hätte er den anderen Grund gekannt, er hätte sämtlichen Elfen die Augen ausgekratzt. Denn die meisten von ihnen waren einfach nur von der reinen, unschuldigen Schönheit des Menschenjungen mit den nachtblauen Augen überrascht.
 

Rean sah sich genau in der Stadt um. Sie war in einen Hang hinein gebaut und strahlte in hellem weiß. Auch schien es ihm, als wären viele der spitzen Türme der Stadt aus Glas, das in der Sonne in allen Regenbogenfarben schillerte. Die Straße, auf der sie gingen, war gewunden und mit weißen Pflastersteinen so sorgfältig verlegt, dass auch kein noch so kleiner Grashalm eine Chance hatte, zwischen ihnen hindurch zu wachsen. Außerdem war das Ausmaß der Stadt immens. Sie war mindestens doppelt, wenn nicht sogar dreimal so groß wie ganz Eredrion.
 

Die Elfen führten sie zu einem kleinen Haus, in dem sie aufgefordert wurden, sich umzuziehen, da ihre Garderobe dem königlichen Palast nicht angemessen war. Tharas war nicht zum ersten Mal in seinem Leben seinem Vater unendlich dankbar, dass er ihn die elfische Sprache gelehrt hatte, denn so konnte er die Anweisungen ihrer Gastgeber Wort für Wort verstehen und ihnen auch antworten. Also zogen sie ihre Gewänder, die sie in Argaye bekommen hatten aus ihren Taschen und legten sie an. Rean dankte Melean im Stillen dafür, dass er ihnen geraten hatte, sie mitzunehmen. Einer der Elfen blickte kritisch an ihnen auf und ab, machte dann eine winkende Handbewegung und mit einem Mal fuhr ein Windstoß durch das Haus. In Nullkommanichts waren ihre Gewänder faltenfrei (Werbung: Dr. Elfmann's Bügelfrei! Ich glaub, das wäre echt übelst praktisch im Haushalt *g* Bitte nicht schlagen *duck*).
 

Als sie anschließend das Haus wieder verließen, stand davor eine geräumige weiße Kutsche mit vier weißen Pferden davor.

"Der König erwartet euch. Steigt ein und sie bringt euch zum Palast“, erklärte der Elf und die beiden stiegen ein.

"Glaubst du, wir finden endlich, was wir suchen?", fragte Rean.

"Ich hoffe es. Wenn nicht, haben wir ein echtes Problem“, antwortete Tharas.

'Haltet noch ein wenig aus, zu Hause. Ich tue mein Bestes, um euch zu retten.', dachte der Junge. Eine Weile später hielt die Kutsche vor dem königlichen Palast.
 

Rean war fasziniert. Der Palast war das Schönste, was er bisher gesehen hatte. Auf den ersten Blick wirkte er wie ein riesiger, schimmernder Kristall. Große, gewundene, mit Bögen verbundene weiße Säulen begrenzten den breiten Weg, der zum Haupttor führte. Prächtige Bäume und Blüten waren überall zu sehen. 'Hier könnte ich es noch eine Weile aushalten.', dachte er begeistert.
 

Langsam schritten sie nebeneinander den Weg entlang. In der warmen Sommerluft lagen der Gesang von Vögeln und das sanfte Rauschen des Windes in den Ästen der Bäume. Am weit geöffneten Haupttor wurden sie bereits von einer hübschen Elfe mit hüftlangem, pechschwarzem, lockigem Haar erwartet, die sie aufforderte, ihr zu folgen.
 

Die äußere Schönheit des Gebäudes setzte sich im Inneren fort. Die Elfe führte sie einen langen, breiten Flur entlang. Von ihm zweigten verschiedene kleinere Gänge ab. Sie durchquerten einen kleinen Innenhof und kamen schließlich in die große Halle. Dieser Name wurde ihr durchaus gerecht. Sie hatte einen runden Grundriss und war mit hellem Marmor gefliest. Auch in ihr befanden sich an den Wänden entlang Säulen wie im Außenbereich. Zwischen den Säulen standen lebensgroße, weiße, mit gold verzierte Statuen von Helden der Elfen. Irgendwie schien es Rean, als würden sie ihn mit ihren strengen Gesichtern aus leeren Augen anstarren und er rückte etwas näher an Tharas heran.
 

Die Elfe blieb zurück, bedeutete ihnen jedoch, weiter zu gehen. Vor ihnen, genau in der Mitte der Halle, erhob sich Oberons Thron. Er sah aus wie ein weißer Baum mit Blättern aus Smaragden. Zwei wuchtige Äste bildeten die Armlehnen. Die Sitzfläche war mit dunkelgrünem Samt bespannt und sah äußerst bequem aus. Daneben war, etwas kleiner, doch nicht weniger beeindruckend, der Thron der Königin, Titania. Drei Stufen führten hinauf zu den Thronen. Das Königspaar war noch nicht anwesend, doch auf den Stufen und um die Throne herum stand bereits der Hochadel der Elfen und musterte sie. Einige kritisch, andere mit unverhohlener Neugier. Vor allem Rean zog alle Blicke auf sich und er fühlte sich unwohl, war er, ein kleiner Prinz aus einem provinziellen Königreich, hier doch sehr fehl am Platz, zumindest seiner Meinung nach.
 

Wie auf ein Zeichen hin senkten alle Elfen gleichzeitig ihr Haupt. Der König und die Königin waren erschienen. Wenn Rean Aures und Melean schon beeindruckend erschienen waren, dann war er jetzt vollkommen geblendet von dem Zauber des Königspaares. Oberon war eine imposante Gestalt, groß und schlank. Sein Haar war glatt, golden und so lang, dass es ihm bis über die Hüften reichte. Sein Gesicht war streng, doch nicht unfreundlich und genauso zeitlos und schön wie alle anderen Elfengesichter. Seine Augen hatten die Farbe von Glockenblumen und aus ihnen strahlte Güte und Weisheit. Rean mochte ihn sofort.

Die Königin war eine hoch gewachsene, zierliche Frau mit kunstvoll geflochtenem, rotblondem Haar. Ihr Gesicht erschien den beiden Prinzen wie das eines Mädchens, doch ihre klugen blauen Augen ließen ihr wahres Alter, wenn auch nur ansatzweise, erahnen. Ehrfurchtsvoll beugten Rean und Tharas das Knie vor dem König und der Königin.
 

Dem Königspaar folgte noch ein Mann. Diesen wiederum mochte Rean gar nicht. Er erschien dem Jungen fast ein wenig hager. Sein Gesicht war streng, intelligent, jedoch nicht halb so gütig wie das Oberons. Sein ellbogenlanges Haar war ebenholzschwarz, ebenso wie seine Augen, die Rean durchdringend musterten. Unter seinem Blick fühlte sich der Junge unwohl.
 

Der König und die Königin nahmen Platz. Der schwarzhaarige Mann stellte sich zur Rechten des Königs. "Erhebt euch“, forderte Oberon sie auf und sie gehorchten. Die Königin beugte sich zu ihrem Mann herüber und flüsterte ihm etwas zu, woraufhin er schmunzelte und nickte.

"Der Kapitän der "Einhorn" sprach sehr löblich von euch. Er sagt, ihr beide hättet sein Schiff und seine Mannschaft gerettet. Ist das wahr?", fragte Oberon.

Die beiden nickten, doch Tharas fügte hinzu: "Er hat gewiss übertrieben. Es war keine große Sache."

"Oh, absolut nicht. Es ist eine große Leistung, dem Zauber der Sirenen standzuhalten und gleichzeitig eine Möglichkeit zu finden, ihnen zu entkommen.

Wir waren sehr neugierig auf euch. Zu gerne würden wir die Namen der Helden vor uns erfahren…" Er lächelte freundlich.

Tharas blickte Rean auffordernd an. Dieser nahm all seinen Mut zusammen und sagte: "Ich bin Tinwen."

"Ein passender Name. Und der, den die Menschen Euch gaben?", fragte der König.

"Rean von Eredrion, dritter Sohn des Feorn."

Der Blick des Königs wanderte zu Tharas.

"Mein Name ist Narmonehtar. Doch den meinen bin ich bekannt als Tharas von Arc, Llandons Sohn und Thronfolger des Reiches."

Der König und die Königin blickten sich kurz überrascht an. Dann sagte Oberon: "So, der Widerspenstige ließ sich also zähmen? Noch dazu von einer Menschenprinzessin wie es scheint. Sehr interessant. Nun, ich denke, ihr wisst, wen ihr vor euch habt?"

"So ist es, Majestät“, bestätigte Tharas.

"Dies," sagte der König und deutete auf den Mann zu seiner Rechten, "ist Atan, mein Berater und Oberster Weiser der Elfen." Der Mann namens Atan nickte ihnen zu, sein Blick blieb jedoch so emotionslos wie der der Statuen. "Natürlich ist er nicht weiser als ich," fügte der König hinzu und zwinkerte verschwörerisch, "er hält sich nur dafür."

"Sehr nobel, das zu erwähnen, Majestät“, sagte Atan und seine Stimme war hart und arrogant und von einer solchen Kälte, dass Rean ein Schauer über den Rücken lief.

"Was führt euch beide hierher?", wollte der König gut gelaunt wissen.

"Darf ich gleich zum Punkt kommen?", fragte Rean.

"Gewiss. Nur zu, junger Tinwen, nur zu“, antwortete Oberon.

Rean atmete tief durch. "Wir sind hierher gekommen, um euch um die Mandragora zu bitten."

Ein Raunen lief durch den Saal. Selbst Oberon und Titania blickten kurz überrascht und der Blick des Königs verdüsterte sich. Doch gleich hellte er sich wieder auf.

"Es ist nicht wenig, worum ihr uns bittet“, stellte er fest.

"Dennoch ist es der einzige Grund, weshalb mein Freund und ich überhaupt zu dieser Reise aufgebrochen sind. Mein Volk wurde durch einen Basilisken versteinert. Das einzige Mittel um sie zu retten ist die Mandragora. Nachdem wir in unserer Heimat keine mehr bekommen konnten, nahmen wir den Weg nach Westen auf uns, um hier unser Glück zu versuchen“, erklärte der Junge mit fester Stimme.

"Auch bei uns," erklang nun die monotone Stimme Atans, "ist euere Suche sehr wahrscheinlich nicht von Erfolg gekrönt. Zuerst müsst ihr uns beweisen, dass ihr dieser Pflanze würdig seid."

"Nun Atan, mein Guter," meinte der König, "ich finde, sie haben ihren Mut bereits gezeigt, indem sie hierher kamen."

Der Berater beugte sich hinab und raunte dem König etwas zu. Dieser hörte sich geduldig an, was Atan ihm zu sagen hatte und nickte schließlich. "So sei es“, sagte er schließlich.
 

Rean und Tharas blickten sich beunruhigt und verständnislos an. Was war nur los? Wollten sie ihnen nicht helfen? Denn anscheinend gab es hier wirklich noch Mandragorapflanzen. Warum also zierten sie sich so?
 

"Ich, der König, habe beschlossen," proklamierte Oberon, "dass mein Berater Atan euch beiden Aufgaben geben wird, die ihr lösen müsst, um an die Mandragora zu kommen. Löst ihr sie, wird diese magische Heilpflanze euer Lohn sein. Wenn nicht, müsst ihr unverrichteter Dinge wieder abreisen. Solange ihr hier seid, seid ihr, Tinwen und Narmonehtar, unsere Gäste. Ihr könnt euch frei im Schloss und in der Stadt bewegen, wie es euch beliebt, doch bedenkt, dass euch zur Lösung der Rätsel nur begrenzt Zeit zur Verfügung steht. Seid ihr einverstanden?" Seine violetten Augen blickten sie durchdringend an.
 

Die beiden Prinzen tauschten Blicke aus. "Was machen wir?", fragte Rean.

"Die Rätsel annehmen würde ich sagen“, antwortete Tharas. "Was haben wir schon zu verlieren?"

"Ich glaube nicht, dass Atan uns Rätsel geben wird, die wir lösen können. Im Gegenteil. Er wirkt so, ich weiß auch nicht, verschlagen. Ich habe Angst vor ihm."

"Musst du nicht. Ich sagte doch schon mal: Ich beschütze dich. Und ich helfe dir so gut ich kann. Außerdem bist du der klügste Kopf von ganz Eredrion und Umgebung. Also?" Der Prinz lächelte aufmunternd.

"Gut“, murmelte Rean. Zum König sagte er: "Wir akzeptieren."

Kapitel 15 - Die Rätsel des Atan

Tjaja, meine Lieben, ich war mal wieder voll kreativ. Da kann glaub ich echt keiner meckern, dass nix voran geht. Auch diesmal ergeht der Hinweis: Achtung, fiese Autorin. Reißt mir bitte nicht die Rübe ab, die brauch ich nämlich noch. Ansonsten wünsch ich viel Spaß mit dem neuen Kapi.
 

Kapitel 15

Die Rätsel des Atan
 

"Ich habe nichts anderes erwartet“, sagte Oberon und sein Mund schien sich zu einem Lächeln verziehen zu wollen, doch er beherrschte es. "Gut Atan, stell dein Rätsel“, forderte er seinen Berater auf. "Aber mach es nicht allzu schwer“, fügte er hinzu.

"Gewiss, Majestät“, sagte Atan und wandte sich den beiden Prinzen zu. "So höret" begann er. "Nicht nur für euch sondern auch für uns ist die Mandragora unheimlich kostbar. So kostbar, dass sie ein einmaliger Schatz geworden ist auf dieser Welt. Denn nur noch eine einzige Pflanze gibt es, die der Natur in diesem Teil der Welt abgerungen werden konnte.

Von euch nun fordern wir etwas, dass ebenso einmalig und selten ist wie die Mandragora. Etwas, das der Natur ein einziges Mal abgerungen werden konnte und das es an einem einzigen Baum oder Strauch nur ein einziges Mal gibt. Das bringt mir." Sein Mund kräuselte sich zu der Andeutung eines grausamen Lächelns.

"Nehmt Ihr das Rätsel an?", fragte der König.

Rean und Tharas sahen sich an und nickten gleichzeitig. "Wir nehmen es an“, erklärte der Junge.

"Ihr habt zwölf Stunden. Es ist jetzt die zehnte Stunde. Bedenkt euere Antwort wohl. Viel Glück." Damit erhob er sich, nahm die Hand der Königin und sie zogen sich zurück. Die Versammlung war aufgehoben.
 

Die Elfe, die sie hierher geführt hatte, kam zu ihnen und brachte sie in einen anderen, höher gelegenen Teil des Schlosses.

"Ich wusste es“, stöhnte Rean, als sie stumpfsinnig und in Gedanken versunken hinter der Elfe hergingen. "Das ist unlösbar. Wo sollen wir den bitte so etwas her bekommen?"

"In der Tat verzwickt“, gab Tharas zu. "Aber nicht unlösbar. Kein Rätsel darf unlösbar sein, denn sonst ist es ungültig. Er scheint sicher zu sein, dass es etwas so einmaliges wie die Mandragora gibt. Wie war das? Der Natur abgerungen, an einem Baum oder Strauch nur ein Mal. Oje. Und dafür nur zwölf Stunden? Die sind verrückt“, antwortete Tharas nachdenklich.

"Sag ich doch“, maulte Rean.

"Die Zeit ist das Problem. Wir können nicht einfach mal so durch die ganze Welt tingeln und etwas suchen, das es nur einmal gibt. Kurz und gut: Es ist verdammt eng. Dabei sind wir doch schon so gut wie am Ziel. Hey, ich weiß was!", rief er plötzlich fröhlich.

"Was denn?", fragte Rean und in seinen Augen glomm Hoffnung.

"Wir suchen die Mandragora, denn die haben sie sicher irgendwo versteckt. Dann klauen wir sie und geben sie ihnen in zwölf Stunden zurück. Problem gelöst." Er grinste und klatschte fröhlich in die Hände.

"Oh Tharas, du Blödmann!", rief Rean. "Erstens können wir sie nicht einfach beklauen. Das wäre absolut unfair und überhaupt nicht nett. Und außerdem will er etwas anderes haben im Gegenzug für die Mandragora, nicht die Pflanze selbst. So eine dämliche Idee. Du lässt langsam nach."

"Entschuldige bitte“, sagte Tharas ernst. "Ich wollte dich nur aufheitern."

"Ist dir nicht gelungen“, meckerte der Junge.

"Wir sind da“, sagte die Stimme der Elfe. Ihre Führerin öffnete ein Zimmer zu ihrer Rechten und blieb dann neben der geöffneten Tür stehen. "Das sind euere Gemächer“, erklärte sie. "Falls ihr etwas benötigt, ruft nach mir. Mein Name ist Miriel." Sie lächelte und verneigte sich leicht.
 

Die beiden betraten das Zimmer und sahen sich gründlich um. Es war ein großer, hell eingerichteter Wohnraum mit bequemen Sesseln vor einem offenen Kamin, vielen massiven Kerzenständern und einer großen Fensterfront mit schweren Vorhängen daran, die zu einem Garten hinaus zeigte. Links und rechts zweigten Türen zu den Schlafräumen ab.

"Warum geben die uns eigentlich immer gemeinsame Räumlichkeiten?", fragte Rean ironisch.

"Vermutlich, weil wir ohnehin unzertrennlich wären“, schlug Tharas vor und ließ sich in einen der Sessel fallen. "Diese ganzen Elfen überall machen mich noch wahnsinnig“, stöhnte er und schloss die Augen. "Keine normalen Leute, wo man auch hinschaut."

"Und was ist mit mir?", fragte Rean beleidigt und verschränkte die Arme vor der Brust.

"Du?", fragte Tharas übertrieben überrascht und blinzelte ihn aus einem halb geöffneten Auge an, "Du wirst als allgegenwärtig vorausgesetzt."

"Was machst du bloß, wenn ich wieder in Eredrion bin und du in Arc?", wollte Rean wissen und ließ sich im Sessel gegenüber von Tharas nieder.

"Ganz ehrlich?", fragte der Prinz von Arc. Seine grünen Augen öffneten sich wieder und blickten sein Gegenüber ernst an. "Ich würde dich unendlich vermissen und es wäre niemandem außer dir möglich, die Leere in meinem Herzen zu füllen“, gab er zu.

"Echt?", fragte Rean verdutzt.

"Ach was. War nur so dahin gesagt. Ich würde natürlich ganz normal weiter leben bis wir uns das nächste Mal sehen. So einfach ist das." Er stand auf und zauste Reans Haar. Dann reckte er sich und ging zum Fenster. "Wir brauchen immer noch eine Lösung für das Rätsel“, stellte er nüchtern fest.

Rean hatte den Eindruck, dass das gar nicht nur einfach so dahin gesagt war, doch er konnte es auch nicht beweisen, deshalb sagte er gar nichts mehr. Aber Tharas Worte spiegelten auf unheimliche Weise genau seine eigenen Vorstellungen wieder.
 

Bis zum Abend war ihnen immer noch keine Lösung eingefallen. Langsam überlegten sie, ob es wirklich eine gab.

"Vielleicht fällt uns an der frischen Luft was ein“, schlug Tharas vor.

"Weißt du, wo der Weg in den Garten ist?", fragte Rean und schaute sich unschlüssig um. "Ich sehe ihn nicht und so viel Zeit zum Suchen haben wir auch nicht mehr."

"Ganz einfach“, sagte Tharas und schwang sich aufs Fensterbrett. "Wir nehmen den direkten Weg." Damit ließ er sich in den Garten hinab fallen.

"Halt! Tharas!", rief Rean, doch es war zu spät. Der Junge lief zum Fenster. Unglaublich. Er war tatsächlich aus dem zweiten Stock nach unten gesprungen. Plötzlich tauchte Tharas Kopf vor ihm auf.

"Na, hab ich dich erschreckt?", fragte er und grinste wie ein Lausejunge.

"Verdammt, Tharas, was soll das?", wollte Rean entrüstet wissen.

"Schau doch mal…", antwortete Tharas und schwebte noch ein Stück höher, wobei er eine Drehung in der Luft vollführte.

"Seit wann kannst du wieder zaubern?", staunte Rean.

"Ich weiß es, seit wir gelandet sind. Meine Kräfte sind wieder da. Ich glaube, die Elfen halten mich nicht wirklich für eine Gefahr. Bin ich ja auch nicht, immerhin lerne ich ja noch. Zumal die meisten der Elfenadligen mehr Zauberkraft im kleinen Finger haben als ich in meinem ganzen Körper. Also, kommst du mit?", fragte er und streckte einladend die Arme aus.

Rean kletterte auf das Fenstersims und legte seine Arme um Tharas. "Aber nur kurz“, sagte er.

Unten angekommen setzte sein Freund ihn sanft ab. "So", meinte Tharas. "Jetzt gehen wir ein wenig spazieren."
 

In dem Garten wuchsen die verschiedensten Pflanzen. Die meisten von ihnen hatten sie noch nie zuvor gesehen. Ein angenehmer, süßer Duft umgab sie. Die Dämmerung brach langsam herein und ein leichter Wind wehte. An einem der Sträucher wuchsen unzählige große rote Blüten. Eine fiel im Wind ab und schwebte wie eine Feder zu Boden. Tharas hob sie auf und steckte sie Rean hinters Ohr. "Sieht süß aus“, sagte er lächelnd. Reans Wangen nahmen wieder eine leichte rosa Färbung an. "Sieht nicht so aus, " flüsterte er, "als würden wir hier die Lösung finden."

"Mag sein. Aber wenigstens haben wir's versucht. Komm“, antwortete Tharas und tastete nach Reans Hand, doch dieser zog sie bei der ersten sanften Berührung von Tharas Fingern zurück. Seit wann war er eigentlich so schüchtern? Es war doch nicht das erste Mal, dass sie sich berührten, aber seit kurzem brannte selbst die kleinste Berührung von Tharas wie Feuer auf seiner Haut. Tharas war, insgeheim beleidigt, bereits ein paar Schritte weiter gegangen.

"Sieh mal", sagte er zu Rean. "Die Früchte hier an diesem Strauch. Sie sind alle schon rot bis auf die eine da."

"Stimmt“, pflichtete der Kleine bei. "Aber auch die wird noch reif. Irgendwann. Sie ist einfach noch nicht soweit."

"Was meinst du. Wenn ich sie so verzaubere, dass sie immer so bleibt, ist dann das Rätsel gelöst?", meinte Tharas nachdenklich.

"Nein, eher nicht. Er wollte etwas, das es an einem einzigen Baum oder Strauch nur ein einziges Mal gibt. Das hier ist sicher nicht der einzige Strauch dieser Art, der noch grüne Früchte hat. Und es werden neue nachkommen. Aber da fällt mir etwas anderes ein…", grübelte Rean.

"Und das wäre?", wollte Tharas neugierig wissen.

"Wir müssen ins Zimmer zurück. Ich weiß eine Lösung!", rief Rean und strahlte.

"Also gut“, meinte sein großer Freund. "Dann ab nach oben." Sie liefen zu ihrem Zimmerfenster zurück. Dort legte Tharas die Arme um Rean und sie schwebten wieder hinauf.
 

Rean stürzte sich sofort auf seine Habseligkeiten, die ein Diener vorhin gebracht hatte. Er begann, krampfhaft in seiner Tasche zu wühlen und warf dabei die Hälfte ihres Inhalts heraus. "Wo ist es nur?", murmelte er. "Es muss doch hier irgendwo sein."

Anscheinend hatte er nach einigem Suchen gefunden, wonach er gesucht hatte. Er zog ein kleines, braunes Büchlein hervor. "Da ist es“, strahlte er.

"Da ist was?", fragte Tharas und sah ihn an, als würde er an dem Verstand des Jungen zweifeln.

"Die Lösung des Rätsels“, erklärte Rean und öffnete das Büchlein. Heraus fiel…

"Die rosa Blüte!", rief Tharas und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. "Eine einzige rosa Blüte an einem weißen Baum. Gefärbt mit dem Blut, das der Natur abgerungen wurde und das sie sich wieder geholt hat! Das ich nicht gleich darauf gekommen bin!" Er lachte.

"Wie war das? Der klügste Kopf von Eredrion und Umgebung? Das dürfte ein ziemlich guter Beweis sein“, sagte Rean und fiel Tharas um den Hals. "Wir haben's!", rief er glücklich und drückte seinen Freund so fest, dass dieser fast keine Luft mehr bekam.

"Sag mal, Rean…", sagte Tharas plötzlich mit sanfter Stimme, die dem Jungen einen Schauer durch den Körper laufen ließ, "… Was ist das eigentlich für ein Buch?" Noch ehe Rean sich versah, hatte ihm Tharas das Büchlein abgenommen und wollte darin blättern als der Junge rief: "Finger weg, das ist mein…!"

Tharas erkannte sofort die fließende Handschrift seines Freundes. "Ist das ein…?", fragte er verdutzt.

"Tagebuch, ja. Und jetzt gib es her“, forderte Rean und schnappte sich das Buch von Tharas zurück.

"Du führst Tagebuch? Das hab ich dich noch nie tun sehen. Wann machst du das?", wollte Tharas wissen und grinste frech.

"Wenn ich Zeit habe. Meistens wenn du schläfst. Außerdem sind es eher meine Gedanken die ich aufschreibe und weniger die Ereignisse des Tages. Auf dem Schiff hab ich fast täglich geschrieben. Das hast du nur nicht mitbekommen. Wehe du versuchst, es zu lesen." Er drückte das kleine Buch fest an sich.

"Wie käme ich denn dazu? Es sind deine Geheimnisse und die gehen mich nichts an. Du kannst mir vertrauen“, sagte Tharas ernst und Rean glaubte ihm. Schnell steckte er sein Tagebuch wieder in seine Tasche. "Unsere Zeit läuft ab“, sagte er. "Besser, wir lassen uns langsam wieder zum Thronsaal führen. Ich habe nämlich keine Ahnung mehr, wo wir hin müssen."

Also riefen sie Miriel und die Elfe zeigte ihnen den Weg.
 

In der großen Halle herrschte bereits aufgeregte Erwartung. Jeder wollte wissen, ob es den beiden Menschen gelungen war, das eigentlich unlösbare Rätsel des Meisters Atan zu lösen. Eigentlich war es kein Rätsel sondern eher eine Aufgabe. Dennoch wollten alle wissen, was die beiden anzubieten hatten.
 

Kurz nach Rean und Tharas traf das Königspaar mit Atan auf.

"Habt ihr gefunden, wonach Atan verlangte?", fragte der König und blickte neugierig.

"Das haben wir, Majestät“, antwortete Rean.

"Dann zeigt es uns“, forderte Oberon ihn auf und bedeutete ihm, zum Thron zu kommen. Rean folgte seiner Anweisung und trat sicheren Schrittes auf den Elfenkönig zu. Vor dem Herrscher zog er den Zweig hervor und reichte ihn ihm.
 

"Das ist unglaublich“, murmelte der König. "Wie ist das möglich? Eine einzige rosa Blüte an einem Zweig voller weißer Blüten. Die Aufgabe ist erfüllt, oder was meinst du, Atan?"

Atans Nasenflügel blähten sich auf. Anscheinend war er nicht gerade erfreut, dass seine Aufgabe erfüllt worden war, zumal es nicht die Antwort war, mit der er gerechnet hatte. Dennoch musste er wohl oder übel zugeben, dass die Lösung richtig war. Waren das seine Finger, die vor Anspannung knackten? "Wie Ihr meint, Majestät“, sagte er schließlich. Sein Blick war eisig und schien Rean aufspießen zu wollen.

"Seht her“, forderte der König seinen Hofstaat auf. "Die beiden haben das Rätsel gelöst, denn in der Tat ist dies ein Unikat und steht der Mandragora in seiner Einzigartigkeit in nichts nach." Er hielt den Zweig hoch und die Elfenadeligen begannen, anerkennend untereinander zu flüstern. "Gut gemacht“, raunte er Rean zu.

"Nun denn“, ließ sich jetzt wieder Atan vernehmen, "die erste Aufgabe ist erfüllt und damit wollen wir es für heute bewenden lassen. Morgen jedoch werde ich euch zur achten Stunde das zweite Rätsel kundtun."

"Schlaft gut, ihr beiden“, sagte der König und lächelte den Prinzen zu. Er erhob sich und verließ mit einem kleinen spöttischen Lächeln in Richtung Atan gemeinsam mit diesem und Königin Titania den Thronsaal.
 

Miriel geleitete sie zurück zu ihren Gemächern und verließ sie dort.

"Oh, Tharas, das hat wunderbar geklappt!", freute sich Rean und grinste von einem Ohr bis zum anderen.

"Dennoch haben wir uns mit Atan einen Feind gemacht“, gab Tharas mit düsterer Stimme zu bedenken.

"Im Grunde ist er unbedeutend“, meinte Rean und warf sich in einen Sessel. "Er hasst uns vielleicht, aber der König mag uns und das ist entscheidend."

"Er wird es uns nicht leicht machen. Er ist derjenige, der die Aufgaben stellt und die nächste wird bestimmt nicht leichter. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass er die Mandragora partout nicht hergeben will."

"Du hast es doch gehört: Es gibt nur noch eine einzige. Klar, dass er sie nicht hergeben will. Aber wenn er unbedingt spielen will, dann soll er sein Spiel haben“, sagte Rean und rieb seine Handflächen aneinander. Anscheinend hatte er Spaß an der Sache gefunden.

"Freu dich nicht zu früh, Rean. Ich trau ihm nicht. Er wird uns noch gewaltig Ärger machen, da bin ich mir ziemlich sicher und das hat nichts damit zu tun, dass ich ihn nicht ausstehen kann" warnte der Magier.

"Du hast ja Recht“, gab Rean zu. "Aber wir werden ja sehen, was er noch so für uns bereit hält. Morgen. Ich geh jetzt ins Bett. Gute Nacht, Tharas." Er stand auf und ging in sein Zimmer.
 

Der König fand Atan in seiner Schreibstube sitzend, vertieft über wichtig aussehende Dokumente, die er beim Licht einer Kerze eingehend studierte.

"Atan“, sprach er ihn mit strenger Stimme an und der Berater hob den Kopf um den König anzublicken.

"Mein König, was führt Euch zu so später Stunde noch hierher?", fragte er.

"Das Rätsel. Du hattest nie vor, den beiden eine Lösung zu präsentieren, nicht wahr? Du wolltest sie scheitern sehen“, sagte der König und seine Stimme war nicht weniger kalt als Atans.

"Wie kommt Ihr darauf? Das Rätsel wäre dann ungültig und ich wäre bloßgestellt gewesen. Eine ungeheuere Dummheit, wenn Ihr mich fragt“, lächelte der Berater.

"Was war deine Antwort? Nicht die, die sie gegeben haben, nicht wahr?"

"Ihr habt den Zweig gelten lassen“, erklärte Atan und schaute grimmig. "Ich hätte diese Antwort nicht akzeptiert, denn es ist nicht die, die ich erwartet hatte, doch ich bin nicht der König. Dennoch, es gibt tatsächlich oftmals mehr als nur eine Lösung…"

"Was war es, das du erwartet hast?", wollte Oberon ungeduldig wissen.

"Wie alles im Leben, Majestät, ist die Lösung, wenn man sie erst einmal kennt, kinderleicht. Die beiden, sowie auch alle anderen, Euch eingeschlossen, gaben zu viel auf die Worte um des Rätsels Kern herum. Alles was ich wollte, war etwas Einmaliges auf der ganzen Welt, das mir jeder innerhalb weniger Sekunden hätte bringen können." Er grinste verschlagen. "Die Lösung, mein König, liegt förmlich auf der Hand. Und das im wahrsten Sinne des Wortes."

"Auf der Hand?" Oberon betrachtete zweifelnd seine Hände.

"Ihr versteht nicht“, stellte Atan leicht belustigt fest. "Leiht mir kurz Euere Hand, Majestät“, forderte er den König auf. Dieser reichte sie ihm ohne zu zögern. Atan nahm seinen Federkiel, tauchte ihn in die schwarze Tinte, die neben ihm in einem kleinen Fässchen schwamm und bemalte die innere Daumenkuppe des Herrschers schwarz. Dann drückte er den Finger auf eines der Blätter Papier, die vor ihm lagen.

"Was tust du da?", fragte Oberon fast entsetzt.

"Da habt Ihr die Lösung“, grinste Atan. "Euer Fingerabdruck, Majestät. Er ist ebenso einzigartig auf der ganzen Welt wie auch die Abdrücke aller anderen Finger Euerer Hände. Verstanden?"

"Und was sollte das mit dem Strauch und dem der Natur abringen?", hakte der König nach.

"Nun, wenn man es nach der elfischen Philosophie betrachtet, steht der Baum oder der Strauch für nichts anderes, als das irdische Leben selbst und jedes Leben wurde doch der Natur abgerungen, nicht wahr? Nun, jeder Fingerabdruck ist wie ein Blatt am Baum des Lebens und somit wächst er nur einmal an selbigem. Sozusagen ein Rätsel mit doppeltem Boden“, erklärte Atan.

"Du hast mich auflaufen lassen“, bemerkte Oberon und wischte sich die Tinte an einem Taschentuch vom Finger.

"Euch und alle anderen. Aber das zeigt mir nur meine geistige Überlegenheit. Verzeiht, wenn ich anmaßend bin, doch es ist nun einmal so. Und das morgige Rätsel wird mindestens genau so hintergründig."

"Gute Nacht, Atan“, sagte der König und verließ seinen Berater.

"Gute Nacht, Oberon. Mögest du schwelgen in Träumen. Und mögen sie grässlich sein“, murmelte Atan und begab sich hinterlistig grinsend selbst zu Bett.
 

Rean und Tharas erwachten beide sehr früh. Gleichzeitig betraten sie den gemeinsamen Aufenthaltsraum und waren nicht schlecht überrascht, als sie feststellten, dass Miriel ihnen bereits das Frühstück bereitgestellt hatte.

"Was meinst du", fragte Rean und biss in sein Stück Brot, "was er uns heute fragen wird?"

"Ich habe nicht die geringste Ahnung. Aber leicht wird es sicher nicht. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass er, hätte der König die Antwort nicht akzeptiert, den Zweig nicht angenommen hätte. Ein Mann von Atans Format stellt keine so leichten Rätsel. Dahinter steckte mehr“, antwortete Tharas.

"Mag sein. Ich hab heute Nacht noch viel nachgedacht und es kann sein, dass ich eine Alternativantwort gefunden habe. Weißt du, als Kind hat mir mein Bruder mal erzählt, dass jeder Mensch einen einmaligen Fingerabdruck hat. Die Linien sind nicht mal bei Zwillingen gleich und sehen aus wie Verästelungen an Blättern. Letztendlich glaube ich, dass du Recht hast. Würde mich doch sehr interessieren, welche Antwort er selbst gegeben hätte. Vielleicht hätte er auch gar keine gehabt um uns auflaufen zu lassen. Du weißt schon, eine unmögliche Mission oder so was in der Richtung“, mutmaßte Rean.

"Zuzutrauen wär's ihm“, grübelte Tharas und kaute nachdenklich an einem Apfel herum.

"Du siehst übrigens grauenhaft aus heute Morgen“, stellte Rean plötzlich fest.

"Danke für die Blumen… Hab kein Auge zugetan. Bin erst in den frühen Morgenstunden eingeschlafen“, brummte Tharas.

"Warum? Es war eine warme Nacht. Die Betten waren äußerst bequem und die Elfen haben die ganze Nacht über gesungen. Wie ein Schlaflied."

"Du hast nicht verstanden, was sie gesungen haben. Ich schon."

"Sag's mir, dann weiß ich es."

"Sie haben vom Land am Ende des Regenbogens gesungen“, erklärte der Prinz von Arc.

"Hört sich doch schön an. Was hat es damit auf sich?", wollte Rean wissen.

"Die Elfen glauben, dass, wenn sie sterben, ihre Seele zum Ende des Regenbogens wandert und dort verweilt bis zum Ende aller Dinge. Sie haben auch vom Krieg gesungen und dass mein alter Herr tausende von ihnen in dieses den Sterblichen unerreichbare Land gebracht hat“, fuhr Tharas düster fort.

"Und du hast ein schlechtes Gewissen deswegen?", fragte der Junge mitfühlend.

"Nicht unbedingt“, gab Tharas zurück. "Es ist nur eher so, dass ich langsam begreife, dass ich meinen Vater kaum kenne. Ich weiß, dass er Schlimmes getan hat, doch es aus dem Mund derer zu hören, die betroffen waren, ist etwas ganz anderes. Ich kenne ihn nur als einen netten, manchmal etwas kauzigen und sehr strengen Mann, als geduldigen und hilfsbereiten Lehrer. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Mann, der ausgelassen mit mir gespielt hat, als ich ein Kind war, zu solchen Gräueltaten fähig ist. Verstehst du das?" Rean nickte. Tharas seufzte. Dann sagte er: "Wir müssen langsam los. Die warten bestimmt schon auf uns."
 

In der Tat war wieder der gesamte Hofstaat versammelt, um Zeugen von Atans neuem Rätsel zu werden.

Als er als Begleiter des Königspaares auftauchte, verstummten sofort die leisen Gespräche und sämtliche Aufmerksamkeit richtete sich auf ihn.

"Guten Morgen, ihr beiden. Ich hoffe, ihr habt gut geschlafen“, sagte Oberon gut gelaunt, nachdem er sich auf seinem Thron niedergelassen hatte.

"Sehr gut, vielen Dank, Majestät“, antwortete Rean höflich.

"Das freut mich. Ich gehe davon aus, dass ihr ausgeruht und frisch seid, um das neue Rätsel zu hören. Atan, fang an“, wandte er sich an seinen Berater.

"Für uns, die wir unsere alte Heimat in Osten zurückließen", begann Atan mit monotoner Stimme, "ist die Mandragora eine greifbare Erinnerung an unser früheres Leben und die, mit denen wir es geteilt haben. Manche ließen wir zurück, manche verloren wir.

Euere Aufgabe ist es, uns eine ebenso greifbare Erinnerung aufzuzeigen, verbunden mit den Legenden unseres Volkes." Er verstummte.

"Nehmt ihr das Rätsel an?", fragte der König erneut.

"Wir nehmen es an“, antwortete Rean ohne zu zögern.

"Ihr habt zwölf Stunden Zeit“, sagte Oberon. Die beiden Prinzen verbeugten sich und verließen den Saal.
 

"Tharas, ich glaube, ich habe da schon so eine Idee“, raunte Rean seinem Freund zu.

"Tatsächlich? Lass hören“, forderte der ihn auf.

"Komm mit rauf, dann zeig ich's dir…", sagte Rean geheimnisvoll.

Oben im Zimmer suchte Rean seine Reisekleidung hervor und griff zielsicher in eine der Innentaschen seiner Weste. Was er herausholte, war ein kleiner, leuchtend weißer Gegenstand.

"Die Lagunenträne? Wie kommst du darauf?", wollte Tharas wissen.

"Na ja, es ist eine Erinnerung an den Osten, weil das Mädchen dort an den Klippen steht, man kann sie greifen und sie kommt von einer Legende des Elfenvolkes. Problem gelöst, oder?" Rean grinste.

"Stimmt. Und was hat dich auf diesen Gedanken gebracht?", fragte sein Freund.

"Das Wort Legende. Und die Tatsache, dass ich zufällig am Hals einer Elfenadeligen einen Stein in Tränenform habe hängen sehen. Es hat mich getroffen wie der Blitz“, erklärte der Junge.

"Dann haben wir ja jetzt den ganzen Tag Zeit. Was machen wir so lange? Gehen wir in die Stadt?", schlug der Magier vor.

"Gute Idee“, stimmte Rean zu. "Schauen wir uns ein wenig um. Aber vorher würde ich sagen, ziehen wir was anderes an. Die Sachen hier sind für den königlichen Hof geeignet, aber nicht für das Großstadtleben."
 

Kurze Zeit später machten sie sich zu Fuß auf den Weg, um die Stadt zu erkunden. Sie bummelten ein wenig durch die kleinen Gassen und über die große Straße und wunderten sich an jeder Ecke wieder, wie schön die Stadt war. Auch die Elfen waren sehr freundlich zu ihnen. Zu Rean und zu Tharas. Zu letzterem wohl eher, weil er übersetzen konnte und nicht, weil sie freiwillig mit ihm gesprochen hätten. Doch mit der Zeit stellten sie alle fest, dass der hübsche junge Mann mit den grünen Augen nicht ganz so böse war, wie sie vermutet hatten.
 

Zur Mittagszeit meldete sich Reans Magen knurrend zu Wort.

"Hört sich an, als müssten wir was zu essen suchen“, schmunzelte Tharas. Er sah sich suchend nach etwas um, das ihm den Weg weisen könnte, als er hinter sich eine bekannte Stimme vernahm, die ihn rief. Als er sich umdrehte, erkannte er sofort, wer sich da durch die Menge wühlte.

"Yaros!", rief er überrascht. "Müsstest du nicht bei der "Einhorn" sein?" Dann fiel ihm auf, wer auf der Schulter des Elfen saß und ihn fröhlich angrinste. "Na, auch dabei, Glühwürmchen?", fragte er neckend.

"Ich habe Landaufenthalt“, erklärte der Elf. "Und Soley war so freundlich, mir Gesellschaft zu leisten. Aber wo ist dein Schatten?", fragte er.

Tharas fiel auf, dass Rean, der gerade noch neben ihm gestanden hatte, verschwunden war. "Wo ist er denn jetzt schon wieder hin?", fragte er resigniert. Da entdeckte er ihn zwischen einer Gruppe von Kindern, die anscheinend versuchten, ihn zum Spielen aufzufordern. Nur auf den ersten Blick wirkten sie allerdings wie Kinder. Auf den zweiten sah man deutlich, dass die naive Unschuld eines Kindes aus ihren Augen verschwunden war. Wahrscheinlich waren sie allesamt älter als Rean und Tharas zusammen.

"Hey, was macht ihr da?", rief er ihnen freundlich zu.

"Wir überprüfen, ob er echt ist“, antwortete ein kleiner Junge.

"Wie, ob er echt ist?", fragte Tharas verblüfft.

"Na, ob er ein echter Mensch ist. Weißt du, wir glauben das nämlich nicht. Er ist nämlich so hübsch wie ein Elf, aber er hat gar keine spitzigen Ohren. Also muss er ein Mensch sein, aber wir haben alle noch nie einen Menschen gesehen."

Tharas schmunzelte. "Ich kann euch versichern, dass er ein Mensch ist. Wie ich übrigens auch."

"Du? Glaub ich nicht!", rief nun ein Mädchen.

"Tharas? Über was unterhaltet ihr euch da, und was wollen sie von mir?", fragte Rean.

"Sie wollen wissen, ob wir Menschen sind. Sie haben noch nie welche gesehen“, erklärte der Magier. Auf Reans verstehendes Nicken hin wandte er sich wieder an das Mädchen: "Du glaubst nicht, dass ich ein Mensch bin? Warum denn nicht?"

"Na ja", sagte die Kleine und wurde rot, genau wie Rean. "Du bist schön und hast spitze Ohren. Und du kannst zaubern."

"Woher weißt du, dass ich zaubern kann?", wollte Tharas perplex wissen.

"Weil das die Leute sagen“, mischte sich jetzt wieder der Junge ein. "Stimmt das? Kannst du wirklich zaubern?"

"Ja, kann ich“, bestätigte Tharas. "Soll ich euch einen Trick zeigen?"

Sofort ließen die Kinder von Rean ab und liefen johlend um ihn herum und er ließ sich in die Hocke nieder, um mit ihnen auf Augenhöhe zu sein. "Zeig uns was!", riefen sie fröhlich.

"Also gut. Hat einer oder eine von euch ein Taschentuch einstecken?", fragte er. Ein Mädchen reichte ihm mit schüchternem Blick ein weißes Tuch. "Danke“, sagte er und lächelte sie an. Die Kleine wurde rot und er fand sie unheimlich niedlich. Er erinnerte sich gut an den Trick. Einer der ersten, die sein Vater ihm beigebracht hatte. Er faltete das Tuch, sodass es in etwa wie eine Blume aussah. Dann verschloss er es in seinen Händen, sprach den Zauber und wandte sich dann dem Mädchen, das ihm das Tuch gegeben hatte, zu. Er schaute ihr tief in die Augen und sagte: "Für eine hübsche junge Dame." Dann öffnete er die Hände und in ihnen schwebte eine leuchtende, weiße Rose. Diese reichte er der Kleinen. Die Kinder waren begeistert und freuten sich. Und nicht nur sie, auch ein paar Erwachsene hatten ihn beobachtet und schmunzelten vor sich hin.

"Mit dem Trick treten wir auf dem nächsten Jahrmarkt auf“, sagte Rean und grinste.

"Nichts da“, gab Tharas zurück. "Diese Blume ist nur für, ähm, wie heißt du?", fragte er das Mädchen, stellte fest, dass er immer noch Menschensprache sprach und fragte sie in elfisch.

"Tinwen“, antwortete sie leise.

Tharas konnte nicht mehr an sich halten und prustete los.

"Was ist denn an dem Namen so schlimm?", wollte Tinwen wissen und wirkte fast ein wenig beleidigt.

"Nichts“, erklärte Tharas. "Nur, dass mein Freund hier genau so heißt."

"Geht ja gar nicht. Tinwen ist ein Mädchenname“, protestierte die Kleine.

"Tharas…", ließ sich Reans Stimme über ihm vernehmen. Und sie klang drohend. "Ich hab sie zwar nicht verstanden, aber kann es sein, dass sie gesagt hat, dass Tinwen ein Mädchenname ist? Wusstest du das?"

"Ja, nun, tja. Jaaaa, ich gebe zu, ich wusste es“, räumte der Magier ein.

"Und du mieser Verräter hast mir nichts davon gesagt?" Reans Kopf erschien falsch herum vor seinem Gesicht, denn der Junge hatte sich mit in die Hüften gestemmten Händen über ihn hinweg nach vorne gebeugt.

"Tut mir Leid, Rean. Ehrlich. Du warst sowieso schon so unglücklich damit, da wollte ich es nicht nur noch schlimmer machen“, sagte Tharas entschuldigend.

"Du hast gesagt, der Name gefällt dir…"

"Tut er ja auch."

"Und dass er zu mir passt…"

"Stimmt auch. Deine Augen sind so schön wie eine mondhelle Nacht, mit vielen funkelnden Sternen am Himmel."

Die Kleinen um sie herum hörten staunend zu und bei dem letzten Satz entkam ihnen ein kollektives Seufzen und eines der Mädchen sagte: "Das ist ja so romantisch." Sie hatten zwar kein Wort verstanden, jedoch war ihnen Tharas sanfter, zärtlicher Tonfall nicht entgangen und die Bedeutung war ihnen sofort klar.

"Was hat sie gesagt?", wollte Rean wissen, nun jedoch nicht mehr ganz so sauer.

"Willst du die sinngemäße oder die wörtliche Übersetzung?"

"Die sinngemäße“, antwortete der Junge.

"Sie glaubt, wir sind ein Liebespaar“, gab Tharas zurück und seine Stimme klang so sanft, dass Rean es auch sofort geglaubt hätte.

"Küssen!", forderte einer der Jungen.

Tharas grinste. "Was sagt er zu dem Ganzen?", erkundigte sich Rean und fühlte sich schwindlig, denn das Blut lief ihm in den Kopf. Die anderen Kinder fanden die Idee anscheinend lustig und stimmten in die Rufe des Jungen ein.

"Sie wollen, dass ich dich küsse“, übersetzte Tharas. Er wusste nicht, ob Rean rot wurde, weil ihm vom Überkopfhängen das Blut in den Kopf lief oder wegen dem Gedanken an den Kuss. "Tun wir ihnen den Gefallen?", fragte Tharas und zwinkerte.
 

"Jetzt ist aber Schluss mit Lustig, ihr junges Gemüse! Los, heim zu eueren Mamis!", rief Yaros und scheuchte die Kinder auseinander. "So. Und jetzt gehen wir was essen“, sagte er fröhlich. (Tharas Gedanken: "Grummel, grummel… Den bring ich noch irgendwann um.)
 

Yaros führte sie zu einer Gaststätte, die sie ohne seine Hilfe nie gefunden hätten. Sie lag in einem kleinen Hinterhof, ziemlich abseits der Hauptstraße.

"Das Essen ist hervorragend, kann ich nur empfehlen“, sagte er. "Der Koch ist ein Freund von mir. Wenn ich in der Stadt bin, komme ich immer hierher. Ihr seid eingeladen."

Sie setzten sich um einen großen Tisch und kurze Zeit später hatten sie alles vor sich, was sie sich nur erträumen konnten.

Nachdem sie sich gestärkt hatten, fragte Yaros: "Und, wie war's bisher? Wann kriegt ihr diese Pflanze?"

"Willst du es ihnen erklären oder soll ich?", fragte Rean.

"Mach du. Ich glaube, du kannst das besser als ich“, antwortete Tharas und so erzählte Rean in kurzen Worten, was in den letzten Stunden passiert war.

"Oh, oh“, sagte Yaros. "Sich mit Atan anzulegen ist nicht wirklich klug. Er ist hinterhältig, verschlagen, bösartig und zu allem Überfluss intelligent."

"Warum ist er dann der Berater des Königs? Diese Stellung setzt doch ein unglaubliches Maß an Vertrauen voraus und anscheinend verlässt sich Oberon auf ihn?", fragte Rean.

"Ganz einfach", erklärte Yaros, "um ihn unter Kontrolle zu haben. Besser, der König hat ihn als Freund und Verbündeten, denn als Feind. Logisch, oder?"

"Stimmt. Aber warum ist er so? Hinterhältigkeit ist nicht unbedingt ein elfischer Zug, egal, was mein Vater dazu sagt“, wollte Tharas wissen.

"Nun, es gibt Gerüchte, die besagen, dass eines Tages ein schwarzer Magier den Zauber, der die Elfen vor den Magiern schützt, also den, der ihnen bei Berührung Schmerzen zufügt, überwunden hat. Weiter heißt es, dass er so eine Elfe geschwängert hat. Und aus dieser Verbindung, jetzt haltet euch fest, ist Atan hervorgegangen." Yaros lehnte sich stolz zurück. "Na, was sagt ihr dazu?"

"Das wäre ein absoluter Hammer“, bemerkte Tharas. "Und es würde einiges erklären. Auch wenn ich es vorrangig für Seemannsgarn halte."

"Soweit ich weiß, war Atan nicht immer so. Er war ein Soldat, der auch gegen deinen Vater gekämpft hat. Er war verheiratet, doch seine Frau starb bei einem Angriff auf die Stadt, als er an vorderster Front kämpfte. Nach ihrem Tod ist sein Herz zu Stein geworden. Erwartet von ihm keine Gnade. Er kennt das Wort nicht“, erzählte Yaros ernst weiter.

"Kein Wunder, dass er uns unbedingt scheitern sehen will… Vor allem mich“, sagte Tharas bedrückt.

"Tharas, du bist deines Vaters Sohn, aber nicht er selbst. Du hast doch gesehen, dass die Kinder dich lieben. Das würden sie nicht, wenn du schlecht wärst. Glaub mir, Kinder spüren so was. Du bist in Ordnung“, versuchte der blonde Elf, ihn zu trösten. Tharas lächelte dankbar und kurzzeitig fühlte sich sogar Yaros zu ihm hingezogen, was er sich selbst gegenüber später natürlich jederzeit zu leugnen pflegte.
 

Die vier verbrachten den Tag zusammen und schon war es für Rean und Tharas an der Zeit, zum Schloss zurück zu kehren und das Rätsel zu lösen. Sie wechselten noch schnell ihre Kleider und gingen dann in den Thronsaal um Atan gegenüber zu treten. Diesmal wurden sie bereits von allen erwartet. Sogar Oberon und Titania waren bereits anwesend.

"Habt ihr die Lösung?", fragte der König.

"Die haben wir, Herr“, sagte Rean selbstsicher und holte die Perle hervor.

"Eine Lagunenträne!", rief der Herrscher überrascht. "Anscheinend hat euch das Glück geküsst, Freunde. Ihr habt wirklich auf alles eine Antwort, nicht wahr?"

"Dennoch ist es nicht die, die ich erwartet hatte…", sagte Atan.
 

Rean und Tharas erstarrten. War das das Ende?

"Atan, sie haben deine Aufgabe erfüllt, gib es zu. Es ist eine greifbare Erinnerung, die auf einer Legende unseres Volkes gründet“, sagte Oberon und in seiner Stimme schwang eine leichte Drohung mit.

"Wie Ihr mein, Majestät. Auch dieses Mal beuge ich mich Euerem Urteil“, sagte Atan eisig und Rean hatte das Gefühl, er würde gleich platzen.

"Nun, dann sag uns deine Lösung“, forderte Oberon ihn leicht genervt auf.

"Sie ist einfach“, erklärte Atan. "Ich sagte auch nicht, dass sie mir etwas bringen sollten. Nur aufzeigen. Es ist gar nicht weit. Wir sind umgeben von greifbaren Erinnerungen an Legenden unseres Volkes. Schaut Euch um. Um uns stehen alle großen Helden versammelt und sehen uns zu. Es ist geradezu lächerlich einfach." Er lächelte hämisch.
 

"Auch eine Möglichkeit“, räumte Oberon ein. "Dennoch, wie du bereits selbst gesagt hast, mein Freund, gibt es nicht immer nur eine Lösung. Und die der beiden war richtig. Also bekommen sie jetzt die Mandragora."

Die beiden Prinzen atmeten innerlich auf, doch dann hörten sie Atan sagen: "Ein Rätsel habe ich noch. Es richtet sich allerdings diesmal nur an Tinwen, da er derjenige ist, der die Pflanze benötigt…"

Beiden schwante übles und sie blickten sich verwirrt an.

"Also gut, dann stell dein Rätsel“, stimmte Oberon zu.

Atans Lächeln wurde etwas breiter, doch es erinnerte Tharas eher an ein Raubtier, das die Zähne fletscht. "So höre, Tinwen. Die Mandragora ist für uns ein einzigartiger Schatz. Auch du hütest einen solchen. Einen, den nur du einem Manne ein einziges Mal schenken kannst. Diesen Schatz, der dem, der ihn erhält, große Freude bereiten wird, verlange ich von dir."

Rean stieß entsetzt den Atem aus. Auch die Menge um ihn herum begann, aufgeregt zu raunen. Allen war klar, was Atan da verlangte. Würde der hübsche Prinz es ihm geben?

Der König selbst war wie vom Donner gerührt. Schließlich fing er sich wieder und fragte: "Nehmt Ihr das Rätsel an? Überlegt es Euch gut. Es ist eine schwerwiegende Entscheidung und ich möchte, dass Ihr absolut sicher seid. Also, nehmt Ihr es an?"
 

Rean war wie erstarrt. Auch er wusste, was der Berater von ihm wollte. Nicht mehr und nicht weniger, als seine Unschuld, auch wenn das bei einem Jungen ziemlich dämlich klang. Doch es war die Wahrheit. Sein Blick irrte zwischen Atan und dem König hin und her. Schließlich verweilte er auf Atan. Wenn er sich vorstellte, in den Armen dieses Mannes sein erstes Mal zu erleben… Grässlich. Dennoch, er hatte keine Wahl. Er hatte nicht das Recht, sein eigenes Wohl über das seines Volkes zu stellen, das hatte er als Prinz gelernt. "Ich nehme es an“, sagte er, doch seine Stimme zitterte leicht.

"Und Ihr seid Euch absolut sicher?", fragte der König erneut.

"Das bin ich“, sagte Rean und kämpfte die aufsteigenden Tränen nieder.

"Ihr habt zwölf Stunden Zeit. Morgen zur achten Stunde sehen wir uns wieder“, sagte Oberon. Dann erhoben er und die Königin sich und verließen, mit einem böse lächelnden Atan, den Saal.
 

Also nochmal: Bitte nicht umbringen XD

Kapitel 16 - Das dritte Rätsel

Hallo, ihr Lieben.
 

An dieser Stelle möchte ich mal danke sagen.
 

1. @Dorei-chan: Ich liebe deine Kommis. Die sind ja fast noch unterhaltsamer als mein Geschreibsel. Dafür danke ich dir von ganzem Herzen. (Gott, klingt das geschwollen. Ist aber ehrlich gemeint. ^^)

2. @Hetana: Danke auch dir dafür, dass du mich so fleißig mit Kommis fütterst.
 

Euch beiden widme ich dieses Kapitel. Aus diesem Anlass habe ich mir erlaubt, wieder ein bisschen mehr Romantik einzubauen und zur Abwechslung mal nicht an einer fiesen Stelle aufzuhören. ^^ Ich hoffe, es gefällt euch.
 

An euch und alle anderen, die das hier lesen: Viel Spaß.
 

Kapitel 16

Das dritte Rätsel
 

Der König erwartete ihn im Gewächshaus, vor dem Beet mit der letzten Mandragora auf der ganzen Welt. Als Atan eintraf, schien der Herrscher in Gedanken versunken, doch sobald er die Anwesenheit seines Beraters bemerkt hatte, wandte er sich mit ernster Miene zu ihm um.

"Als du mir dargelegt hast", sagte er ruhig, "dass wir es uns eigentlich nicht leisten können, die Mandragora herzugeben, da gab ich dir zuerst Recht. Ich fand es klug, dass die beiden sich beweisen mussten. Doch was du jetzt tust ist absolut willkürlich."

"Er hat das Rätsel angenommen. Sein Problem“, erwiderte Atan kalt.

"Was soll es bringen, wenn er dir seine Unschuld gibt?", wollte der König zornig wissen.

"Ich will sehen, wie weit er bereit ist, zu gehen für das, was ihm wirklich wichtig ist“, gab der Berater zurück.

"Ist dir eigentlich klar, was du da tust? Du treibst einen Keil zwischen zwei Liebende“, sagte Oberon.

"Liebende?", fragte Atan mit keinerlei Emotionsregung in der Stimme und zog eine Augenbraue leicht nach oben. "Das wäre mir neu…"

"Tu nicht so!", fuhr Oberon auf. "Jeder Elf hat die Fähigkeit, die Aura eines Menschen oder anderen Elfen zu sehen und bei niemandem ist diese Fähigkeit so ausgeprägt wie bei dir! Wenn sogar meine Frau sieht, dass die beiden von einer Aura der Liebe umgeben sind, was siehst dann du?"

"Ich sehe zwei Narren, die glauben, einander zu lieben. Mindestens einer von ihnen ist schon rein genetisch nicht zur Liebe fähig“, antwortete Atan.

"Ist es vielleicht gar nicht wegen dem Jungen? Das ist es, nicht wahr? Du willst nicht ihm wehtun, sondern Narmonehtar. Atan, es war nicht er, der deine Frau getötet hat. Es war sein Vater und wie es scheint, wurde dieser geläutert. Warum lässt du die Vergangenheit nicht einfach ruhen?" Oberons Stimme hatte sich verändert. Sie klang ein wenig mitleidig.

"Das kann ich nicht. Er hat mir alles genommen, was mir jemals wichtig war. Doch auch dir, mein lieber "Freund" kann ich nicht vergeben. Es war deine Aufgabe, meine Geliebte und unser ungeborenes Kind zu beschützen. Du sagtest, sie wäre in Sicherheit. Du hast es mir versprochen!"

"Ich hatte keine Ahnung, dass er sich mit Drachen verbündet hatte. Sie haben das Haus, in dem ich sie und so viele andere untergebracht habe, einfach ausgeräuchert. Aber das brauche ich dir ja nicht zu erklären. Du weißt es selbst." Fast sanft fügte er hinzu: "Wie oft soll ich dir noch sagen, dass es mir Leid tut? Aber nur, weil ich einen Fehler gemacht habe, darfst du es doch nicht diese beiden Unschuldigen spüren lassen. Bitte, Atan, zieh das Rätsel zurück. Damit machst du es allen leichter."

"Das werde ich nicht tun“, sagte Atan störrisch.

Der König seufzte. "Hör zu“, sagte er drohend, "Wenn Tinwen morgen immer noch bereit ist, mit dir zu schlafen, dann werde ich persönlich eingreifen und das Rätsel für gelöst ansehen. Ich lasse nicht zu, dass er sich dir hingibt. Hast du verstanden?" Als Atan nicht reagierte, fragte er noch einmal: "Atan, hast du mich verstanden?"

"Ja, Majestät, das habe ich“, erklärte der Berater.

"Gut. Das war alles. Du darfst dich zurückziehen." Er wandte sich wieder ab und Atan zog sich zurück.
 

In ihren Gemächern angekommen konnte Rean sich nicht mehr zurückhalten. Er begann, bitterlich zu weinen und konnte sich gar nicht mehr beruhigen. Die Nacht brach an und im Zimmer wurde es dunkel. Tharas nahm den weinenden Jungen in die Arme und zog ihn fest an sich. Der schlanke Körper zitterte heftig und immer neue Tränen kamen hervor, bis sie alle verbraucht waren und nur noch ein trockenes Schluchzen zu hören war. "Ich hab Angst“, sagte Rean leise.

"Ich lasse das nicht zu“, murmelte Tharas und fuhr sanft über Reans Haar. "Ich halte dich solange fest, bis die Frist verstrichen ist. Er soll es nicht wagen, Hand an dich zu legen."

"Das bringt nichts, Tharas“, schluchzte Rean. "Wenn es doch unsere einzige Chance ist, unser Ziel zu erreichen. Ich muss es tun." Wieder quollen ein paar Tränen hervor.

"Ich mach es für dich“, sagte Tharas mit fester Stimme.

"Wie jetzt?", fragte Rean und blickte ihn überrascht an. "Willst du einfach zu ihm hingehen und sagen: Nimm mich anstatt seiner?"

"Nicht ganz“, erklärte der Krieger, löste sich von Rean und sprach in Gedanken einen Zauber. Vor Reans Augen schien er zu schrumpfen, schmäler zu werden und sein Haar verkürzte sich. Es wurde heller und sein Gesicht feiner. Seine Kleider wurden ihm zu groß. In wenigen Augenblicken hatte er sich in Reans Ebenbild verwandelt.

"Das ist nicht dein Ernst?", fragte Rean rhetorisch.

"Doch. Du bleibst hier und ich gehe in deiner Gestalt zu ihm“, erklärte Tharas. Seine Stimme war zwar tiefer als Reans, doch er imitierte so geschickt den Tonfall des Jungen, dass man das als Aufregung durchgehen lassen konnte.

"Das ist Unsinn“, sagte Rean bestimmt. "Du weißt doch, dass du keine Berührungen von Elfen verträgst. Selbst wenn du aussiehst wie ich, bleibst du doch immer noch du. Es würde dich vor Schmerz umbringen. Und jetzt verwandle dich zurück. Ich hab nämlich das Gefühl, ich rede mit mir selbst."

Der falsche Rean zuckte die Schultern und wurde wieder zu Tharas. "Dann muss ich dich eben doch festhalten“, sagte er nüchtern.

"Ist gut“, flüsterte Rean und schmiegte sich wieder in seine Arme. "Halt mich die ganze Nacht fest und lass mich nicht los." Tharas begann, gedankenverloren über Reans Rücken zu streicheln.
 

"Du, Tharas…", sagte der Junge plötzlich.

"Was denn?", fragte Angesprochener zurück.

"Weißt du, ich bin ein Junge und wenn, na ja, wenn vorher schon mal jemand mit mir… Du weißt schon, was… Dann würde das doch keiner merken, oder?"

"Was willst du damit sagen?", fragte Tharas und in seiner Stimme klang ein gefährlicher Unterton mit.

"Ich will sagen, dass wir beide vielleicht…"

Tharas löste sich schlagartig von ihm. "Niemals“, sagte er. "Nicht so."

"Warum nicht?", fragte Rean verzweifelt.

Sein großer Freund wandte sich von ihm ab und ging zum Fenster hinüber. Dort stützte er sich mit einer Hand gegen den Rahmen und sah hinaus. "Erstens wäre das Betrug. Und zweitens – und viel wichtiger - ich will nicht, dass du mit meinen Gefühlen spielst, Rean." Seine andere Hand ballte sich zur Faust und seine Stimme zitterte vor Zorn. "Und ich will nicht, dass du mich ausnutzt. Ich will nicht dein erster sein, nur damit er es nicht ist."

"So war es nicht gemeint“, versuchte Rean zu erklären und legte eine Hand auf Tharas Schulter, doch er schüttelte sie ab und fuhr zu dem Jungen herum, sodass Rean erschrocken einen Schritt zurückwich.

"Oh doch“, sagte er und sah Rean tief in die Augen. "Genau so war es gemeint. Du willst nicht mit ihm als erstes schlafen, also suchst du dir jemand anderen. Also nehmen wir gleich den blöden Tharas. Der Idiot hält schon hin! Nicht mit mir, Rean. Wenn du mit mir schlafen willst, dann nur, weil du mich liebst und nicht, weil es dir gerade so in den Kram passt." Er stürmte an ihm vorbei in sein Schlafzimmer und knallte die Tür hinter sich zu.

"Aber das tue ich doch…", wisperte Rean. Er hatte alles falsch gemacht. Verzweiflung machte sich in ihm breit. Er ging zu seiner Tasche und holte Meleans Flöte heraus. Dann ging er hinüber ans Fenster und setzte sich aufs Fensterbrett. Ein Bein zog er an, das andere ließ er lässig baumeln. Er setzte die Flöte an und begann, zu spielen. Er spielte die halbe Nacht und es waren ausschließlich traurige, melancholische Weisen.
 

Tharas hörte ihn. Lauschend lag er auf seinem Bett mit unter dem Kopf verschränkten Armen. Er hatte Rean wehgetan. Doch Tharas war kein übler Kerl, der die Notlage des Kleinen ausgenutzt hätte. Sicher hätte Rean es irgendwann bereut. Immerhin war ihm ja schon ein Kuss so unangenehm, dass er ihn vergessen wollte.
 

Rean grübelte. Der König selbst hatte doch gesagt, es gebe nicht immer nur eine Lösung. Was, wenn es hier genauso war. Doch was könnte er Atan stattdessen anbieten? Verträumt starrte er in die Dunkelheit. Hinten im Garten lag ein kleiner See, umgeben von Trauerweiden, der langsam von Nebelschwaden überzogen wurde. Ihm fiel auf, dass die Elfen heute Nacht nicht sangen. Fast so, als wären auch sie angespannt. Sein Blick fiel auf die Flöte und er erinnerte sich an Melean. Was hatte er gesagt? Diese Flöte war nach seinen eigenen Vorstellungen von seinem Vater geschnitzt worden und es gab sie so nur einmal auf der ganzen Welt. Und sie gehörte Rean, der wirklich kein sehr guter Spieler war. Dennoch entlockte er dem Instrument die schönsten Klänge. Der Junge hütete sie wie…
 

Einen Schatz! Das war doch die Lösung! Er würde ihm die Flöte schenken. Er konnte sie nur einmal an einen Mann verschenken, da er sie nur einmal hatte und wenn er sie verschenkt hätte, dann wäre sie ja nicht mehr die seine. Einmalig war sie auch und wenn sogar ein Laie wie er darauf spielen konnte, dann würde sie garantiert Freude bereiten.
 

Schnell sprang er von Fensterbrett und lief zu Tharas Tür. Dort zögerte er kurz. Sein Freund war immer noch wütend auf ihn. Sollte er ihn stören? Letztendlich fasste er sich ein Herz und klopfte an. Auf sein Klopfen folgte keine Reaktion. Er trat trotzdem ein. Wenn Tharas schlief, würde er ihn einfach wecken. Immerhin hatte er eine Lösung und die musste er ihm unbedingt mitteilen.
 

Tharas war leicht eingedöst. Als Rean eintrat, blickte er ihn erst einmal verwirrt an. "Was machst du denn hier?", fragte er und gähnte.

"Ich wollte nur… Na ja, ich hab eine Lösung. Glaub ich jedenfalls“, erklärte Rean.

"Wirklich?" Tharas war schlagartig hellwach und setzte sich auf.

"Ja“, sagte Rean und setzte sich neben seinen Freund auf die Bettkante. Er erklärte ihm, was er herausgefunden hatte. Tharas war begeistert.

"Du bist ein kleines Genie. Und mindestens genau so fies wie der alte Atan. Aber das ist gut. Dann schlagen wir ihn mit seinen eigenen Waffen“, freute er sich und zauste Reans Haar.

"Findest du?", vergewisserte sich der Junge.

"Absolut. Ich bin stolz auf dich“, erwiderte der Magier.

"Wenn das so ist, " sagte Rean und wandte sich zum Gehen, "dann gehe ich jetzt ins Bett. Gute Nacht."

"Gute Nacht, Rean“, antwortete Tharas. "Ach übrigens", fügte er noch ernst hinzu, als Rean schon in der Tür stand und sich nun wieder zu ihm umdrehte, "unter anderen Umständen wäre ich gerne dein erster gewesen." Rean wurde rot und huschte schnell in sein Zimmer.
 

Der nächste Morgen brach strahlend schön an. Um halb acht klopfte es an Tharas Zimmertür. Brummelnd hievte er sich aus dem Bett und öffnete die Tür. Davor stand Miriel und lächelte ihn freundlich an.

"Guten Morgen, Herr“, sagte sie.

"Guten Morgen“, gähnte Tharas. "Was gibt es denn schon so früh?"

"Verzeiht die Störung, Herr, doch es ist bereits halb acht. Da ich dachte, dass Ihr und der junge Herr Tinwen noch Zeit braucht, um euch noch einmal alleine zu unterhalten, beschloss ich, Euch zu wecken. Außerdem wollt Ihr doch nicht zu spät kommen, oder?"

"Das ist nett von dir. Danke, Miriel“, antwortete Tharas und lächelte zurück. Plötzlich fiel ihm etwas auf: "Sagtest du, es ist schon halb acht?", rief er erschrocken.

"Ja, Herr. Das ist es“, bestätigte die Dienerin.

"Du meine Güte. Gut, dass du mich geweckt hast. Du bist ein Schatz. Würdest du bitte Tinwen wecken?", fragte der Magier und verschwand wieder in seinem Schlafzimmer, um sich frisch zu machen.

"Sicher, Herr“, lächelte Miriel und ging hinüber zu Reans Tür. Dieser schlief allerdings so fest, dass es der Elfe unmöglich war, ihn nur durch ihr Klopfen zu wecken.

"Es rührt sich nichts“, sagte sie unbehaglich zu Tharas, der hinter ihr auftauchte.

"Kein Problem. Dann übernehme ich ab hier. Danke, Miriel“, antwortete er. Die Elfe nickte und verließ sie.
 

Tharas versuchte es noch einmal mit anklopfen. Nachdem er immer noch keine Reaktion bekam, öffnete er die Tür und trat ein. Rean hatte sich zusammengerollt und schlief tief und fest. Seine Decke war herunter gerutscht und er hielt sie an einem kleinen Zipfel fest. Der Magier ging zu dem Bett hinüber und ließ sich dort in die Hocke sinken. Sanft schob er Reans Haar aus dem friedlich lächelnden Gesicht. "Rean", flüsterte er, "wach auf." Ein leises Brummen folgte, doch Rean drehte sich nur auf den Rücken und machte keine Anstalten, aufzuwachen. Tharas näherte sich vorsichtig dem Ohr des Jungen und blies sacht hinein. Dieser rollte den Kopf auf die Seite, um sein Ohr zu schützen, wobei sein Gesicht dem von Tharas fast unerträglich nahe kam. Seinen Gefühlen folgend gab Tharas nach und berührte sanft Reans Lippen mit den seinen.
 

Anscheinend hatte diese Aktion Erfolg, denn als er sich nur Augenblicke später von dem Jungen löste, öffneten sich die großen blauen Augen und schauten ihn verträumt an.

"Aufstehen, Schlafmütze“, sagte Tharas leise und lächelte. "Wir wollen doch einen Berater ärgern." Rean blickte ihn verständnislos an. Anscheinend schlief er immer noch halb. "Wie spät ist es?", murmelte er.

"Kurz nach halb acht“, erklärte sein Freund.

"Was? Schon so spät?", rief Rean und setzte sich hastig auf. "Warum hast du mich nicht früher geweckt?"

"Hab ich doch versucht. Aber du hast geschlafen wie ein Murmeltier“, antwortete Tharas vorwurfsvoll.

"Dann fällt das Frühstück heute wohl aus“, stellte der Kleine fest und reckte sich. Dann schwang er die Beine über den Bettrand und bat Tharas, ihm sein Gewand herüber zu reichen, welches er noch vor dem Schlafengehen abgelegt hatte.
 

Sie mussten sich sputen, um den Thronsaal rechtzeitig zu erreichen. Rean hatte die Flöte sorgfältig in den Falten seines Gewandes verborgen, um sie nachher freudestrahlend zu präsentieren. Als sie den Saal betraten, verstummten alle Gespräche und sämtliche Blicke richteten sich auf Rean.

Kurz nach den beiden Prinzen erscheinen Oberon, Titania und Atan, welcher ein fieses Grinsen zu unterdrücken versuchte. Als das Königspaar Platz genommen hatte, fragte der König: "Steht Ihr zu Euerer Entscheidung, Tinwen?"

"Das tue ich“, antwortete Rean fest. "Doch ich bin nicht sicher", fügte er nachdenklich hinzu, "ob der Herr Atan auch bereit ist, anzunehmen, was ich ihm zu bieten habe."

Nicht nur die Miene des Königs war verwirrt. Atan jedoch antwortete mit einem selbstsicheren Lächeln: "Natürlich bin ich bereit."

"Na dann“, sagte Rean. Mit verführerischem Blick ging er auf Atan zu. Kurz vor dem Berater blieb er stehen. "So nehmt denn entgegen, was Ihr von mir verlangtet“, sagte er.

Atans Gesicht kam näher, doch plötzlich war ihm der Weg zu Reans Lippen von einem länglichen, hölzernen Gegenstand versperrt. Der König war im Begriff, aufzustehen um einzuschreiten, doch jetzt setzte er sich wieder, überrascht von dem, was gerade passierte.
 

"Was soll das, Junge?", fragte Atan.

"Das ist Euere Gabe, verehrter Atan“, lächelte Rean. "Eine Flöte aus den Wäldern von Argaye. Ein Geschenk meines guten Freundes Melean, das ich hüte wie einen Schatz. Es ist eine Sonderanfertigung, von seinem Vater speziell für ihn geschnitzt und deshalb ein Einzelstück. Ich kann sie nur einem Manne schenken, da sie dann nicht mehr in meinem Besitz ist. Und selbst der laienhafteste Spieler kann ihr die schönsten Melodien entlocken, was dem, der sie empfängt, große Freude bereitet." Während er sprach war das Grinsen in Tharas Gesicht immer breiter geworden. Auch der König konnte jetzt nicht mehr an sich halten und lachte lauthals los. Die Adeligen starrten fassungslos den jungen Menschen an und Atans Blick war finster und eiskalt geworden. Seine Lippen waren fest zusammengepresst. Als der Herrscher sich wieder beruhigt hatte, sagte er: "Und da dachte ich, der junge Tinwen bräuchte meinen Schutz. Anscheinend habe ich Euch unterschätzt, junger Freund." An Atan gewandt meinte er grinsend: "Da hat dir jemand ein ganz schönes Schnippchen geschlagen, was?"

"Es scheint so, Majestät“, presste der Berater hervor. Rean drückte ihm die Flöte in die Hand und nahm wieder seinen Platz vor dem Thron neben Tharas ein. Dieser raunte ihm zu: "Gut gemacht."

"Ihr habt alle Rätsel gelöst, deshalb werden wir unser Versprechen halten und euch die Mandragora übergeben. Ihr könnt sie heute Abend hier in Empfang nehmen“, erklärte Oberon und strahlte sie an.

"Hast du das gehört, Tharas? Wir haben's geschafft!", rief Rean, fiel seinem Freund um den Hals und drückte kurz aber kräftig seine Lippen auf Tharas.

Dieser war so verblüfft, dass er gar nicht reagieren konnte, doch er verstand Reans Freude und wunderte sich nicht, dass sein Verhalten etwas überschwänglich war.

"Wir sehen uns heute Abend“, sagte der König und erhob sich. Er und die Königin verließen den Saal, nicht jedoch Atan. Er stand da und starrte die beiden Prinzen, die sich vor Freude in den Armen lagen, mit Verachtung an. "Narren“, knurrte er und fuhr herum, wobei sich sein blutroter Umhang bauschte. Dann stürmte er davon.
 

In der Stadt verbreitete sich die Nachricht von dem hübschen Menschenjungen, der den großen weisen Atan hereingelegt hatte wie ein Lauffeuer. Bis zum Nachmittag war sie schon bei der "Einhorn" angekommen und die Seeleute, ganz besonders jedoch Yaros und Soley, freuten sich wie (ein Schnitzel ;0)) die Kinder, dass Rean und Tharas erfolgreich gewesen waren.
 

Die beiden Prinzen verbrachten den Tag im Garten des Palastes, wo sie die sommerliche Wärme genossen, auf einem Baumstamm im Schatten der Trauerweiden sitzend, die Füße im Wasser des Teiches baumelnd. Sie plauderten über Belanglosigkeiten oder mutmaßten, ob es Llandon mittlerweile gelungen war, wieder bei seiner Frau zu landen. Es war fast wie früher, bevor sie zu dieser verrückten Reise aufgebrochen waren. Gegen Mittag kam Miriel zu ihnen und brachte ihnen einen Korb, in dem sie zu essen und zu trinken fanden. Am Abend holte sie sie ab und brachte sie zurück in den Thronsaal.
 

Der König erwartete sie bereits, allerdings war er diesmal allein. In seinen Händen hielt er ein mit einem Korken verschlossenes Glas. In diesem Glas befand sich eine große, braune Wurzel mit ein paar grünen Blättern und einer großen, weißen, noch geschlossenen Blüte am oberen Ende. "Hier ist sie", sagte er und reichte das Glas an Rean weiter, "die letzte Mandragora. In der Knospe befinden sich noch ein paar Samen. Übergebt sie unseren Verwandten. Möglicherweise gelingt es ihnen, damit neue Pflanzen zu züchten."

"Das werden wir“, versicherte der Junge.

"Ich hoffe, Ihr schafft es, Euer Volk zu retten."

"Danke“, sagte Rean leise.

"Eine Frage, Majestät“, sagte Tharas.

"Die lautet…", erkundigte sich der König.

"Ihr wisst nicht zufällig, wie man einen Basilisken beseitigt?", wollte der Magier wissen.

"Ganz einfach: Abstechen, Kopf abhacken, was man eben so mit Monstern macht", lächelte Oberon.

"Das ist alles?", fragte Tharas ungläubig nach.

"Ja, das ist alles. Sobald man mal gegen seinen Blick resistent ist. Oder man kämpft so gut, dass man seinen Gegner auch blind trifft."

"Tolle Aussichten“, murmelte Tharas.

"Ihr findet einen Weg, da bin ich ganz sicher“, sagte der Herrscher der Elfen zuversichtlich. "Ach ja, ein Rat: Passt auf seine Giftzähne auf. Die sind sehr tückisch. Das Gift wirkt schneller als jede Selbstheilung."

"Danke für den Rat, Majestät. Ich werde daran denken. Lebt wohl“, antwortete der Prinz von Arc und verbeugte sich.

"Viel Erfolg euch beiden. Und einen sicheren Weg nach Hause. Möge der Segen des Elfenvolkes mit euch sein. Lebt wohl“, sagte der König.
 

Rean war ein kleines bisschen traurig, denn er wusste, dass er sie alle nie wieder sehen würde. Den König, Miriel, die Kinder in der Stadt. Tharas und er hatten eine Ausnahmegenehmigung erhalten, doch es würde ihnen nie wieder gestattet sein, die westlichen Lande zu betreten. "Lebt wohl, Majestät“, sagte er schließlich und schluckte hart. Dann verbeugte auch er sich. Gemeinsam mit Tharas zog er sich zurück. Vor dem Tor zur Halle wartete bereits Miriel. Ein letztes Mal ging sie voran zu den Gemächern der beiden, wo sie sich umzogen und ihre Taschen packten. Dann führte die Zofe sie zum Tor des Schlosses, wo wieder die Kutsche auf sie wartete, um sie zum Hafen zu bringen.
 

Atan stand in seiner Schreibstube am Fenster und blickte hinaus. Dort unten stiegen die beiden Menschen gerade in die Kutsche. "Ihr seid zwar beide Narren", murmelte er, "aber versucht ruhig euer Glück. Wenn die Götter es wollen, werdet ihr nicht scheitern…" Er betrachtete die hölzerne Flöte, die auf seinem Schreibtisch lag, schüttelte den Kopf und schmunzelte.
 

Während der Fahrt fragte Rean plötzlich: "Was Melean wohl sagen wird, wenn er erfährt, dass ich seine Flöte weggegeben habe?"

"Ich denke, er wird es verstehen“, antwortete Tharas.

"Meinst du wirklich?", wollte der Junge zweifelnd wissen.

"Aber sicher. Ich glaube kaum, dass er es gutgeheißen hätte, wenn du deine Unschuld verloren hättest. Er war doch immer so um dich besorgt. Da lieber die Flöte. Und wenn nicht, kriegt er es mit mir zu tun."

"Hoffentlich hast du Recht“, flüsterte Rean unglücklich.
 

Rean und Tharas betraten die "Einhorn" mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Einerseits waren sie froh, die Mandragora zu haben und nach Hause zu können, andererseits fiel ihnen beiden der Abschied von den unsterblichen Landen schwer. Von der Mannschaft wurden sie aufs Herzlichste willkommen geheißen. Soley war wieder auf Menschengröße angewachsen und fiel erst Rean und dann Tharas, der bei ihrer Berührung kurz zusammenzuckte, um den Hals.

"Ihr habt's geschafft!", rief sie fröhlich.

"Glückwunsch, ihr zwei“, sagte Yaros anerkennend. "War nicht schlecht, wie ihr den alten Atan aufs Kreuz gelegt habt."

"Danke, Yaros“, antwortete Rean "Wann laufen wir aus?", erkundigte er sich.

"Mit der nächsten Flut. Das heißt in etwa einer Stunde“, gab der Steuermann zurück. Er riet ihnen, sich hinzulegen und etwas auszuruhen. Doch noch bevor sie in ihre Kabine zurückgekehrt waren, rief einer der Elfen: "Da kommt ein Reiter. Sieht aus wie ein königlicher Bote."

"Aber ob der zu uns will?", fragte sich Yaros.

Tatsächlich hielt der Bote auf die "Einhorn" zu. Dort angekommen riss er sein Pferd herum und rief: "Bitte, an Bord kommen zu dürfen. Ich habe eine Nachricht für Herrn Tinwen!" Der Kapitän gab ihm die Erlaubnis und schon stand der Bote an Deck des Schiffes. Rean trat mit misstrauischem Blick auf ihn zu. Nicht nur er fürchtete, dass sie die Mandragora wieder hergeben mussten. Anscheinend sah der Bote es in seinem Gesicht stehen, denn er lächelte und sagte: "Keine Sorge. Ich werde Euch nichts wegnehmen. Eher bin ich gekommen, Euch etwas zu bringen." Er zog ein längliches, kleines, hölzernes Kästchen hervor. Dieses überreichte er Rean mit den Worten: "Der Herr Atan schickt Euch dies."

"Atan? Das kann nichts Gutes bedeuten…", murmelte Yaros.

"Ich danke Euch“, sagte Rean und starrte das Kästchen in seinen Händen an.

"Meine Aufgabe ist erfüllt“, sagte der Bote, verabschiedete sich, verließ das Schiff und ritt davon.
 

"Was mag da drin sein?", fragte Soley und kam nahe an ihn heran. Auch Tharas und Yaros kamen näher und beäugten misstrauisch das Kästchen.

"Machen wir's auf, dann sehen wir schon…", meinte Rean und öffnete vorsichtig den Deckel. In dem Kästchen war…

"Meine Flöte!", rief der Junge überrascht.

"Die Flöte?!? Warum schickt er dir die denn zurück?", fragte Tharas irritiert.

"Weiß nicht“, antwortete der Junge und holte das Instrument heraus. Dabei fiel ihm ein sauber gefaltetes Stück Papier auf, das unter der Flöte in dem Kästchen lag. "Was ist das?", fragte er und holte es heraus. Er faltete es auf und sah, dass es anscheinend etwas wie eine Nachricht war. Jedoch konnte er sie nicht lesen, denn sie war in Elfenschrift. "Lies mal vor“, forderte er Tharas auf.

"Kann ich nicht“, antwortete dieser.

"Warum nicht? Ich dachte, du kannst die elfische Sprache“, maulte Rean.

"Ja. Sprechen, aber nicht lesen“, erklärte sein Freund.

"Ich mach das“, bot sich Soley an. Sie nahm dem Jungen den Zettel ab und überflog ihn. Dann las sie vor:
 

"Tinwen.

Fürwahr habt Ihr mir einen Schatz anvertraut, der Euch sehr wichtig ist. Ich selbst habe keine Verwendung dafür, deshalb gebe ich ihn Euch zurück.

Atan.

PS: Euer größter Schatz war es nicht. Auf Euer eigentlich Wertvollstes solltet Ihr gut aufpassen."
 

“Wie war das denn gemeint?", fragte sie irritiert.

"Keine Ahnung“, sagte Rean.

"Dein eigentlich Wertvollstes. Der meint doch wohl nicht deine…", meinte Tharas.

"Vielleicht“, gab der Junge zurück und zuckte die Achseln. Doch insgeheim wusste er genau, was Atan meinte. Natürlich konnte es dem Berater des Königs nicht entgangen sein, was er für seinen Freund empfand. Hatte er Tharas doch vor allen Anwesenden geküsst, wenn auch nur kurz und im Überschwang der Gefühle. 'Ich werde auf ihn aufpassen, ganz sicher, Atan.', dachte er. Zu Tharas sagte er: "Ich glaube, ich hau mich jetzt aufs Ohr. Ich bin ziemlich abgekämpft." Er gähnte herzhaft.

"Gute Idee“, stimmte dieser zu. "Ich glaube, das werde ich auch tun."

"Na dann, gute Nacht, Freunde“, sagte Yaros. "Schlaft schön. Wenn ihr morgen aufwacht, sind wir bereits auf See."
 

In der Kabine angekommen sagte Rean: "Es ist besser, dass ich gleich gegangen bin. Ich glaube, den Anblick des Landes, wie es im Westen verschwindet, hätte ich nicht ertragen. Komisch. Wir waren nur ein paar Tage hier und doch hängt mein Herz an diesem Land."

"Ich verstehe, was du meinst“, erwiderte Tharas. "Es war wunderschön dort und auch die Elfen waren netter als ich dachte. Aber ganz ehrlich: Ich bin richtig froh, wenn ich wieder heimischen Boden unter den Füßen habe. Besonders den von Arc."
 

Rean fiel wieder ein, was Tharas zu ihm gesagt hatte bezüglich der Tatsache, was sie tun würden, wenn sie wieder zu Hause waren. Schlagartig wurde er noch trauriger. Langsam tat ihm der Gedanke, ihn für lange Zeit nicht mehr zu sehen, richtig weh. Wann waren seine Gefühle für Tharas nur so stark geworden? Er warf sich auf seinen Schlafsack und schlief fast augenblicklich ein.

Kapitel 17 - Der Weg nach Hause

Kapitel 17

Der Weg nach Hause
 

Die Überfahrt zurück nach Osten verlief ruhig und ohne nennenswerte Vorkommnisse. Außer der Tatsache, dass Soley und Yaros wie Pech und Schwefel zusammen klebten. Anscheinend hatten sie sich wirklich ineinander verliebt. Sie zog aus der gemeinsamen Kabine mit den Prinzen aus und schlief bei Yaros. Allerdings in Feengröße, damit nichts passierte. Das wäre ihr dann doch zu weit gegangen.
 

Nach zehn Tagen tauchte die Küste, noch blau und undeutlich in der Ferne, vor ihnen am Horizont auf. Sie wurde schnell deutlicher und Rean glaubte, auf den hohen grauen Klippen die Säule Laguna leuchten zu sehen. In ihm wuchs die Freude, denn das bedeutete, dass sie bald anlegen würden und er Melean wieder sehen würde. Es gab so viel, was er ihm erzählen wollte. Außerdem war es für Tharas besser. Seine Seekrankheit hatte er zwar mehr oder weniger im Griff, dennoch sah er jeden Morgen ziemlich übel aus. Auch weigerte er sich, mehr Nahrung zu sich zu nehmen, als absolut lebensnotwendig. Tatsache: Es wurde langsam Zeit.
 

Am elften Tag nach ihrer Abreise legten sie ziemlich früh morgens an. Die Sonne schob sich im Osten gerade über den Rand der Welt und schickte ihre ersten Strahlen. Yaros machte sich sogleich mit ihnen auf den Weg zum Dorf.
 

Zwei Tage später kamen sie dort an. Natürlich war ihre Ankunft nicht unbemerkt geblieben. Alle Elfen standen bereits auf dem Dorfplatz und erwarteten sie, allen voran Melean und Aures. Eine Armlänge vor den beiden hielten die Reisenden an.
 

"Wir sind wieder da“, sagte Rean unnötigerweise.

"Willkommen zurück“, sagte Aures und lächelte. Melean löste sich von seiner Seite und zog den völlig verdutzten Jungen fest in seine Arme. "Ich hab mir Sorgen um dich gemacht, kleiner Stern. Schön, dass es dir gut geht“, flüsterte er ihm ins Ohr. In Tharas kochte sofort wieder die Eifersucht hoch und er biss sich fast auf die Zunge, um nicht irgendetwas Unkluges zu sagen.

Aures räusperte sich vernehmlich und Melean ließ von Rean ab. "Wir hoffen, ihr wart erfolgreich?", erkundigte sich der Fürst.

"Das waren wir“, erklärte Tharas und zog das Glas mit der Mandragora hervor. Ein allgemeines "Oooh" und "Aaah" war zu hören.

"Tatsächlich“, stellte Melean fest. "Wie ich sehe, ist die Blüte noch geschlossen. Das heißt, es sind noch Samen darin, nicht wahr?"

"Das sagte uns Oberon“, bestätigte Rean.

"Ich glaube, es ist besser, wenn wir das Ganze in Ruhe besprechen“, meinte Aures. Er wandte sich um und ging voraus zur Hütte. Die anderen folgten ihm. Nach ihm traten Melean, Yaros, Tharas, Rean und Soley ein. Der Rest musste draußen bleiben.
 

"So", sagte er schließlich, "dann hat euch der König also Samen mitgegeben. Das bedeutet, dass wir wieder neue Pflanzen züchten können."

"Wir sollen euch vom König bestellen, dass ihr genau das tun sollt“, antwortete Rean. "Im Westen hat nämlich nur diese eine Pflanze überlebt."

"Wundert mich gar nicht“, streute Melean ein und nickte bestätigend. "Die da drüben hatten noch nie Sinn für Botanik."

"Immerhin haben sie es geschafft, eine überleben zu lassen“, lächelte Aures. "Doch zurück zum Ernst des Lebens. Jetzt erzählt uns, was ihr alles erlebt habt“, forderte er seine Gäste auf.
 

Wieder erzählten Rean und Tharas abwechselnd, was alles passiert war. Die Sache mit den Sirenen wurde diesmal insofern verändert, dass Tharas behauptete, er habe Rean laut ins Ohr gepfiffen. Doch Melean fiel auf, dass da etwas an Tharas Geschichte nicht stimmte, als er davon berichtete. Bei dem Teil mit dem dritten Rätsel zog Melean scharf den Atem ein. "So ein dreckiger Bastard! Was fällt dem ein?", rief er entsetzt. "Wenn ich den sehe, dann kann er was erleben!" Doch Rean beruhigte ihn wieder. Nachdem die beiden mit ihrer Erzählung geendet hatten, war es bereits später Nachmittag.
 

"Na da habt ihr aber ganz schön was erlebt“, sagte Aures. "Ihr müsst jetzt ganz schön hungrig sein“, stellte er fest und rief einen Diener herbei. Kurze Zeit später kam das Abendessen. Nachdem sie fertig gegessen hatten, saßen sie noch eine Weile zusammen und unterhielten sich. Dann wurde es Zeit, schlafen zu gehen. Rean und Tharas verabschiedeten sich, doch Melean hielt den Prinzen von Arc noch kurz zurück.
 

"Was ist passiert?", wollte er wissen.

"Wie, was ist passiert? Was willst du denn hören?", fragte dieser zurück.

"Du hast bei dem Teil mit den Sirenen nicht ganz die Wahrheit gesagt. Sonst ist es vielleicht niemandem aufgefallen, aber mir. Wie hast du Rean wirklich aufgeweckt?", fragte er eindringlich und fixierte ihn mit seinen türkisfarbenen Augen.

"Du würdest es merken wenn ich dich anlüge, oder?", erkundigte sich Tharas. Melean nickte nur. "Mit einem Kuss“, antwortete der Prinz nach kurzem Zögern.

"Weiß er es?", hakte der Elf nach.

"Ja. Und er hat mir zu verstehen gegeben, dass es ihm unangenehm war“, gab Tharas deprimiert zurück. Er war immer noch nicht ganz darüber hinweg.

"Du liebst ihn, nicht wahr?", fragte der blonde Elf mitfühlend. Der Magier nickte und schaute verlegen zu Boden. "Mehr als du dir vorstellen kannst“, flüsterte er.

"So geht das nicht“, meinte Melean kopfschüttelnd. "Du musst mit ihm darüber reden und nicht deinen Schmerz in dir vergraben. Das nützt nichts. Sobald ihr Zeit für euch habt, ohne Soley, ohne uns, nur ihr zwei, dann redet miteinander. Glaub mir, wenn ihr das nicht klärt, dann wird dieses Ereignis immer wie eine unsichtbare Wand zwischen euch stehen und ihr bleibt beide im Unklaren. Versprich es mir, ja?"

"Und was ist, wenn ich ihm meine Gefühle offenbare und er dann gar nichts mehr von mir wissen will?"

"Das kann ich mir nicht vorstellen. Er liebt dich auch. Vielleicht ist es anders als bei dir, vielleicht erwidert er deine Gefühle aber auch. Du wirst es nie erfahren, wenn du nicht das Risiko eingehst. Also, versprochen?"

"Ist gut, ich verspreche es“, erwiderte der Prinz.

"Nein, nein, nein, also so was“, seufzte der Elfenkrieger. "Na dann. Lass dich nicht weiter von mir aufhalten. Gute Nacht, Tharas. Schlaf gut."

"Gute Nacht“, antwortete der Prinz. Melean ging zurück ins Haus und Tharas nahm den Weg über die Brücken zu der Hütte, die ihm und Rean erneut als Unterkunft dienen sollte.
 

Am nächsten Morgen beschlossen die beiden Prinzen, wieder aufzubrechen. Obwohl Aures ihnen anbot, so lange zu bleiben, wie es ihnen gefiel, wollten sie keine unnötige Zeit verlieren. Melean brachte sie zu ihren Pferden.

"Sind sie wohlauf?", fragte Rean.

"Natürlich. Ich habe mich besonders gut um sie gekümmert", versicherte der Krieger. Der Rappe und der Schimmel standen auf einer Lichtung und grasten friedlich. Als sie die Witterung ihrer Herren aufnahmen, kamen sie herüber und begrüßten sie fröhlich. "Sie haben euch vermisst", erklärte Melean.

"Wir sie auch", sagte Rean und streichelte über die Nüstern seines Pferds, welches ihn daraufhin anstupste. Tharas Rappe war nervös und tänzelte aufgeregt hin und her. "Er spürt, dass es wieder losgeht…", vermutete Tharas.

"Und ihr wollt wirklich nicht länger bleiben?", wollte der blonde Elf wissen.

"Es geht nicht. Ich will so schnell wie möglich mein Volk befreien. Durch die Reise übers Meer haben wir ohnehin zu viel Zeit verloren", erklärte Rean.

"Ich verstehe", sagte Melean und nickte.
 

Zurück im Dorf packten die beiden ihre Sachen und luden sie, zusammen mit Vorräten, die sie von den Elfen bekamen, auf die Pferde. Sie nahmen noch eine Mahlzeit ein und machten sich zum Aufbruch bereit. Sie verabschiedeten sich von Yaros, der zur "Einhorn" zurückkehren würde, von den Elfen im Dorf und anschließend von Aures.
 

"Lebt wohl, Freunde", sagte dieser: "Möge die Zeit unserer Trennung nicht allzu lange dauern." Er beugte sich zu ihnen vor und raunte ihnen zu: "Das hoffe ich, denn sonst wird Melean unausstehlich sein und das halte ich auf die Dauer nicht aus." Die beiden grinsten.

Melean trat vor und zog Rean in seine Arme. "Mach's gut, mein kleiner Stern. Mein Gefühl sagt mir, dass wir uns schon sehr bald wieder sehen werden. Bis dahin alles Gute." Er löste sich von dem Jungen und schaute ihn lange an. Dann wandte er sich an Tharas. "Du wirst das tun, was ich dir gesagt habe, nicht wahr?", hakte er nach. Der Prinz nickte. "Gut", meinte der Krieger. "Ich wünsche dir viel Glück." Er lächelte verschwörerisch.

"Wo ist eigentlich Soley?", wollte Rean wissen und blickte sich suchend nach der Fee um.

"Keine Ahnung", meinte Tharas. "Wahrscheinlich hockt sie irgendwo und heult sich die Augen aus. Kann es wohl nicht ertragen, Lebewohl zu sagen."

"Ich hätte sie trotzdem gerne noch einmal gesehen", seufzte der Junge. Sie bestiegen ihre Pferde und verließen das Dorf.
 

Sie waren noch nicht sehr weit gekommen, da kam Soley angeflattert und setzte sich auf Reans Schulter.

"Nanu, was soll das denn?", fragte Tharas. "Ich dachte, du bleibst bei Yaros."

"Nö. Ich komm mit euch", erklärte sie fest.

"Woher der plötzliche Sinneswandel?", erkundigte sich Rean. "Ich dachte, du liebst ihn und willst mit ihm zusammen bleiben."

"Will ich auch. Aber erst will ich mein Volk finden und ihnen sagen, dass es mir gut geht und ihnen von meiner Reise erzählen. Deswegen hab ich Yaros um eine kleine Bedenkzeit gebeten."

"Und die wäre bitte wie lange?", fragte Tharas.

"Na, in etwa hundert Jahre", antwortete die Fee leichthin.

"Was? So lange?", rief Rean überrascht.

"Ach was, Unsinn. Nur so lange, bis ich meine Leute gefunden habe. Dann geh ich zurück nach Argaye und warte dort auf ihn. Hoffentlich geht’s mir nicht irgendwann so wie Laguna…", überlegte sie.

"Ach was", meinte Tharas. "Yaros ist wie Unkraut und das vergeht nicht."

"Schön, dass du das so siehst. Danke", flüsterte Soley und errötete leicht.
 

Ihre weitere Reise verlief ohne größere Zwischenfälle. Nach gut einer Woche hatten sie das Gebirge hinter sich. Der Spätsommer zeigte sich von seiner schönsten Seite. Jeden Tag schien die Sonne und es war angenehm warm. Sie überquerten unbeschadet das Gebirge und tauchten in den jenseitigen großen Wald ein.
 

Eines Abends saßen sie zusammen am Lagerfeuer und unterhielten sich. Tharas hatte auf einer Lichtung unweit ihres Weges Himbeeren gefunden, die sie sich jetzt schmecken ließen.
 

"Eines war merkwürdig…", sagte er nachdenklich.

"Was denn?", fragte Soley.

"Na ja. Inmitten all dieser roten Früchte und Dornen wäre es mir fast nicht aufgefallen, aber dann hab ich da ein anderes Rot leuchten sehen. Als ich genauer hingesehen habe, da war es eine rote Rose. Ich frage mich, wie die da hingekommen ist."

"Eine rote Rose? Wirklich?", rief Soley und war plötzlich ganz zappelig.

"Ja. Hab ich doch gerade gesagt. Hörst du mir überhaupt zu?", maulte Tharas.

"Wisst ihr, was das bedeutet?", fragte die Fee aufgeregt. Die beiden schüttelten den Kopf. "Das bedeutet", fuhr sie fort, "dass das Schloss in den Wolken hier ist."

"Du meinst, deine Leute sind hier?", fragte Rean überrascht.

"Ja!", jubelte Soley. "Ganz in der Nähe. Die rote Rose an ungewöhnlichen Orten ist ihr Erkennungszeichen. Nur magische Wesen können sie sehen. Tharas, kannst du mich da hinführen?"

"Selbstverständlich. Ist nicht weit", antwortete der Magier. "Wollen wir gleich los?", erkundigte er sich.

"Klar. So schnell wie möglich", bestätigte die Fee also brachen sie noch einmal auf, zurück zu der Lichtung. Dort zeigte Tharas Soley die Himbeerhecke, in welcher die Rose wuchs.

"Tatsächlich…", murmelte sie und fuhr dann an ihre Begleiter gewandt fort: "Wartet hier auf mich. Ich komme gleich zurück." Sie breitete ihre Flügel aus und schwebte hoch und immer höher. Doch noch während sie so schwebte, wurde sie durchsichtig und war bald gar nicht mehr zu sehen.
 

Rean und Tharas machten es sich auf dem weichen Moosboden bequem und genossen die Stille. Noch ein Tag, dann würde der Mond voll sein. Tharas fragte sich, ob das eine gute Gelegenheit war, mit Rean reden zu können. Immerhin waren sie jetzt ganz für sich alleine. Er betrachtete das Profil des Jungen im hellen Mondschein. Wie sich das Licht in seinen Augen spiegelte, auf seinem Haar glänzte, ließ Tharas einen warmen Schauer über den Rücken laufen.
 

Rean hatte sich verändert. Ein Großteil der kindlichen Züge war aus seinem Gesicht verschwunden und einer gewissen Ernsthaftigkeit gewichen. Jetzt, da er nachdenklich gen Himmel blickte, sah er aus wie das, was er eigentlich war: ein junger Mann, trotz der mittlerweile fast wieder schulterlangen Haare. Auch war seine Statur etwas kräftiger geworden. Er hatte viel gesehen und erlebt. Kein Wunder, dass man es ihm ansah. Tharas bezweifelte, dass man ihn in Eredrion überhaupt noch auf den ersten Blick erkennen würde. Doch ihm war es gleich. Er liebte ihn und das allein zählte. Genau das wollte er ihm sagen. Er holte gerade Luft, um den Jungen anzusprechen, da kam Soley zurück, flankiert von zwei weiteren Feen.
 

"Die Königin möchte mit euch sprechen", sagte sie und lächelte.

"Und wie? Kommt sie hier runter oder was?", wollte Tharas verstimmt wissen.

"Ganz bestimmt nicht", ereiferte sich die Fee. "Sie ist die Königin. Man macht ihr seine Aufwartung. Dafür sind die beiden anderen dabei", erklärte sie. Noch bevor sie mehr sagen konnte, hatten ihre Begleiter Stufen aus Wolken in die Luft gezeichnet.

"Da müsst ihr euch draufstellen", erklärte Soley.

"Sieht nicht sehr sicher aus…", meinte Rean skeptisch.

"Ach was. Keine Sorge, die halten", beruhigte die Fee ihn. Sie machte eine einladende Geste zu den Stufen hin. Misstrauisch setzte Tharas einen Fuß auf eine der flauschigen Stiegen, stellte fest, dass sie hielt und wandte sich zu Rean um. "Es ist sicher", sagte er.

"Gut, dann los", sagte Rean, straffte die Schultern und betrat neben seinem Freund die Wolke. Kaum standen sie beide darauf, schon setzten sie sich in Bewegung. Langsam und gemächlich schwebten sie nach oben.
 

Tharas hatte angenommen, dass der Weg länger dauern würde, doch schon nach kurzer Zeit erhob sich vor ihnen ein unglaublicher Palast. Natürlich sah man ihm die Bauart der Menschen an, doch er strahlte etwas Magisches aus. Die Feen um sie herum hatten alle Menschengröße. Als Tharas Soley darauf ansprach, antwortete sie: "Das ist so, um die großen Distanzen zu überbrücken. Selbst, wenn du noch so schnell fliegst, bist du zu Fuß schneller unterwegs. Außerdem ist das eigentlich ein Menschenschloss und deshalb für uns Feen grundsätzlich zu groß. Verstehst du?" Tharas nickte. "Folgt mir", forderte sie sie auf und schritt voran über den großen Innenhof. Dieser war über und über mit Blumen übersät und in jeder einzelnen Blüte leuchtete ein kleines Licht. Auch aus den Fenstern fiel ein warmes, weiches Leuchten.

"Unglaublich, was man aus einer Ruine so machen kann, nicht wahr?", fragte Soley. Die beiden konnten nur absolut zustimmen.
 

Auf ihrem Weg durch das Schloss begegneten ihnen noch viele andere Feen. Einige blickten verängstigt, andere überrascht. Endlich erreichten sie den Thronsaal. Dort saß, auf einem kleinen, aber wunderschönen, muschelförmigen Thron, die Königin. Sie war ganz weiß. Ihr lockiges Haar, ihre Haut, ihr Kleid. Nur ihre Augen schimmerten golden. Ihr Blick war nicht unfreundlich sondern von einer solchen Wärme, die sie den beiden Prinzen sofort sympathisch machte.
 

"Ihr habt eines meiner Kinder gerettet", sagte sie freundlich. Ihre Stimme war wunderbar angenehm, Rean hätte ihr stundenlang zuhören können.

"Euer Kind?", fragte Tharas nach.

Die Königin lächelte. "Ja. Ich betrachte alle Feen als meine Kinder. Ihr habt sie vor einem Troll gerettet und ihr geholfen, uns wieder zu finden. Wir hatten sie verloren geglaubt. Wisst ihr, sie ist ein sehr abenteuerlustiges Geschöpf. Unsere Befürchtung war, dass sie sich in Gefahr begeben hat. Und tatsächlich habt ihr beiden ihr ein ziemliches Abenteuer beschert."

"Das hat sie Euch alles erzählt? Auf so kurze Zeit?", fragte Rean erstaunt.

"Nein, sie hat es mir nicht direkt erzählt. Ich weiß, was ihr passiert ist. Ich lese es in ihrem Herzen. Deshalb weiß ich auch, dass sie nicht hier bleiben wird. Doch das macht nichts. Ich bin glücklich, dass mein Kind unverletzt und glücklich ist. Doch nun sagt mir: Wie kann ich euch danken?"

"Wir brauchen nichts, Majestät", antwortete Rean. "Unser einziger Wunsch ist es jetzt, so schnell wie möglich nach Arc zu kommen, wo wir alles vorbereiten werden, um mein Volk zu retten."

"Dann glaube ich, habe ich ein passendes Geschenk für euch", meinte die Königin nachdenklich. "Ich habe die Fähigkeit, euch innerhalb eines Herzschlages an jeden nur erdenklichen Ort zu bringen. Sogar bis vor die Tore Arcs. Wäre das angemessen für euch?"

Rean und Tharas antworteten gleichzeitig, doch gaben sie unterschiedliche Antworten. Rean rief: "Ja!" Tharas dagegen: "Nein!"
 

Die Königin blickte sie leicht verwirrt an. Schließlich sagte sie: "Nun, ihr beide müsst entscheiden, ob ihr das Geschenk annehmt oder nicht."

"Was meinst du mit "Nein"?", flüsterte Rean seinem Freund zu. "So eine Chance bekommen wir nie wieder."

"Ich weiß. Und grundsätzlich bin ich ja dafür, aber nicht direkt nach Arc. Ich brauche noch mindestens einen Tag. Da ist etwas, dass ich ganz dringend vorher klären muss", rechtfertigte sich der Magier.

"Ist gut", lenkte der Junge ein.
 

"Majestät, " wandte er sich wieder an die Königin, "könnt Ihr uns etwa einen Tagesritt vor den Toren von Arc absetzen?"

"Sicher. Nichts leichter als das. Aber ich denke, dass es besser ist, ihr bleibt heute Nacht erst einmal hier. So lange habt ihr Zeit, euch von euerer Freundin zu verabschieden und euch auszuruhen. Ihr habt einen langen Tag hinter und eine schwere Zeit vor euch."
 

Sie hatten den Befehl verstanden, also verbeugten sie sich vor der Königin und folgten Soley aus dem Thronsaal.

"Du willst also wirklich nicht hier bleiben?", fragte Rean.

"Nein", antwortete sie. "Ich hatte es nicht vor. Zumindest nicht, seit ich Yaros getroffen habe. Wisst ihr, ich liebe ihn wirklich. Vielleicht gehen wir zusammen in den Westen und lassen uns dort nieder. Im Grunde wollte ich meinen Leuten nur sagen, dass es mir gut geht und dass ich mein Glück gefunden habe. Und die Königin hat es verstanden. Eines ist allerdings schade…"

"Und das wäre?", wollte Tharas wissen.

"Dass ich nie erfahren werde, wie es mit euch beiden weitergeht", sagte sie und lächelte sie an.
 

Doch so einfach ließen die Feen die beiden nicht gehen. Soley hatte sehr viele Freunde, die sie nun, nach sehr langer Zeit endlich wieder sehen konnte. Diese nahmen ihr Wiederauftauchen gleich zum Anlass, aus dem Stehgreif eine kleine Feier zu organisieren.
 

Und Soley wäre nicht Soley, hätte sie ihre beiden Menschenfreunde nicht an der Feier teilnehmen lassen. Schließlich gab es Teile in der Erzählung, die sie nicht genau oder selbst nur vom Hörensagen wusste und die Rean und Tharas viel besser erzählen konnten als sie. So saßen die beiden Prinzen mit Soley und ihren Freunden in einem großen Saal mit vielen bequemen Stühlen, die alle wie Blüten aussahen, zusammen und ließen – nicht zum ersten Mal – ihre Geschichte Revue-Passieren.
 

Eine der Feen reichte Rean einen Becher mit einer goldgelben Flüssigkeit.

"Was ist das?", wollte er neugierig wissen und roch an dem schimmernden Getränk. Er stellte fest, dass es eigentlich nach gar nichts roch, also schon mal nicht schlecht.

"Blütenwein", antwortete die Fee lächelnd und fügte dann hinzu: "Probier doch einfach."

Doch der Junge schaute sich zunächst einmal vorsichtig um. Wenn Tharas mitbekam, dass er Alkohol trank, dann war er bestimmt wütend auf ihn. Gut, sein großer Freund sah nicht her. Also dann. Zögernd setzte er den Becher an die Lippen und nippte an dem Wein. Er war süß. Unheimlich süß. Mutig geworden nahm er einen größeren Schluck. Und noch einen.
 

Tharas war gerade in ein Gespräch mit einem Feenmann vertieft, als er den ersten Hickser hörte. Überrascht drehte er sich um, und was sah er da? Reans Gesicht war noch blasser als sonst, abgesehen vielleicht von dem kleinen Rotschimmer, der sich auf die Wangen des Jungen geschlichen hatte. Seine Augen wirkten glasig und sein Blick war leicht unkontrolliert.
 

"Rean, was ist los mit dir?", fragte Tharas besorgt.

"Weiß nicht. Liegt wohl an dem Zeug hier…", murmelte Rean.

"Lass mal sehen", forderte sein Freund und nahm ihm den Becher aus der Hand. "Oh nein", stellte er schließlich fest. "Sag mir bitte nicht, dass du den ganz alleine ausgetrunken hast."

Reans schuldbewusster Blick sagte ihm alles. "Also dann, Freunde, ich würde sagen, das ist für uns das Zeichen zum Aufbruch. Wir gehen jetzt ins Bett, nachdem Rean sowieso schon nicht mehr geradeaus gucken kann", verabschiedete er sich von den Feen, nahm seinen kleinen Freund behutsam auf die Arme und machte sich auf den Weg zu ihrer Unterkunft. Am Türrahmen blieb er noch einmal stehen und wünschte den Feen eine gute Nacht.
 

Rean war bereits eingenickt, als sie bei ihrem Zimmer ankamen. Als Tharas den Jungen auf sein Bett legte, wachte dieser kurz auf. "Tharas…", murmelte er verschlafen.

"Mann, nächstes Mal solltest du dich beherrschen, kleiner Säufer. Oder mir zumindest was abgeben", schmunzelte der Prinz von Arc zärtlich. Dann zog er die Decke hoch, fuhr Rean noch einmal durchs Haar und wollte gehen, als ihn der kleine Prinz an der Hand festhielt. "Ich li…", nuschelte er, doch noch bevor er seinen Satz beenden konnte, war Rean auch schon eingeschlafen.
 

Am nächsten Morgen fanden sie ihre Pferde gesattelt und beladen im Innenhof des Schlosses, doch sie hatten schon so viel erlebt, dass sie gar nichts mehr wunderte. Soley umarmte sie beide noch einmal herzlich zum Abschied. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie sie nie wieder sehen würde und ein paar stille Tränen stiegen in ihre Augen. Als die Königin erschien, zog sie sich zurück und flüsterte: "Lebt wohl."
 

Auch Rean war traurig, ebenso wegen seiner ziemlich heftigen Kopfschmerzen, doch er hielt seine Tränen erfolgreich zurück, ebenso wie Tharas, dem die Fee mit der Zeit richtig ans Herz gewachsen war. Sie winkten noch ein letztes Mal und schon im nächsten Augenblick waren das Feenschloss und seine Einwohner verschwunden.
 

Kleiner Hinweis von mir: Das nächste Kapitel kann nicht jeder lesen. Alle, die darauf gewartet haben: Eure Geduld wird belohnt. Nächstes Mal, wie gesagt. ^^

Kapitel 18 - Eine Nacht der Liebe

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Kapitel 19 - Der Tag danach

Kapitel 19

Der Morgen danach
 

Tharas spürte die ersten Strahlen der Sonne auf seinem Gesicht und seufzte wohlig. Rean schlief noch tief und fest, eng an ihn gekuschelt. Die Erinnerung an die letzte Nacht ließ ihn schmunzeln. Warum konnten sie eigentlich nicht für immer so liegen bleiben? Noch im Halbschlaf streichelte er leicht über Reans Haut und genoss den morgendlichen Frieden.
 

Plötzlich war ihm, als würde er beobachtet. Ja, er konnte die Blicke förmlich spüren. Jemand war da und starrte sie an. Sofort war er hellwach und schlug die Augen auf.

"Na endlich bist du wach. Ich versuche seit Stunden, zu dir durchzudringen", sagte eine tiefe Stimme hinter ihm, die ihm in diesem Moment unangenehm bekannt vorkam.

"Wie lange bist du schon da?", fragte er missgelaunt, ohne sich jedoch umzudrehen.

"Ich bin eben erst gekommen", antwortete die Stimme. "Wie ich sehe, habt ihr es geschafft…"
 

Vorsichtig wandte Tharas den Kopf, um seinen Vater anzusehen, der mit übereinander geschlagenen Beinen hinter ihm auf einem Baumstumpf hockte und ihn beobachtete. Er sah überhaupt nicht so aus, als ob er erst gekommen wäre. "Stimmt", antwortete der Prinz schließlich, schob Rean behutsam von sich und richtete sich auf. "Wir haben die Pflanze. Sie ist in meinem Rucksack."

"Aber das meinte ich doch gar nicht…", grinste Llandon. "Ich meinte das da neben dir."

Tharas wurde schlagartig rot. "Was machst du überhaupt hier?", fragte er mit unterdrücktem Zorn und blickte verlegen zur Seite.

"Ich habe schon kurz nachdem ihr Argaye verlassen habt gewusst, dass ihr wieder da seid, doch in deinen Gedanken herrschte so ein Chaos, dass ich dachte, ich überlasse es dir, ob du mit mir Kontakt aufnehmen willst oder nicht. Doch langsam drängt die Zeit, deswegen bin ich euch entgegen gekommen. Besser, du weckst deinen Liebling. Noch heute müssen wir das Schloss erreichen", gab der König zurück.

"Warum die plötzliche Eile?", wollte der junge Magier weiter wissen.

"Weil der Trank bis heute Nacht gebraut sein muss. Sonst müssen wir bis nächsten Monat warten", erklärte Llandon.

"Wie, bis nächsten Monat warten?"

"Der Trank muss in der Nacht nach Vollmond gebraut werden. Wenn nicht, kann das für uns ziemlich dumm ausgehen."

"Inwiefern? Würde er seine Wirkung verlieren?"

"Nun, das nicht gerade, aber ich will ihn nicht nur zur Erweckung der Leute von Eredrion benutzen. Wir müssen immer noch einen Basilisken bekämpfen. Das können wir nicht, wenn wir versteinert werden. Weißt du, der Trank wirkt auch immunisierend, deshalb werden wir ihn, bevor wir nach Eredrion weiter reiten, trinken. Diese Wirkung erzielt er allerdings nur in der Nacht nach Vollmond und der war letzte Nacht. Verstehst du?"

Tharas nickte bestätigend.
 

Rean regte sich und hob langsam die Augenlider. Tharas fehlende Wärme und die plötzlich einsetzende Unterhaltung der beiden Magier hatten ihn geweckt. Er blinzelte ein paar Mal und sah sich orientierungslos um. Sein Blick fiel auf Tharas und er lächelte kurz. Doch dann fiel ihm die breit grinsende Gestalt hinter seinem Liebsten auf und sein Lächeln gefror. Ebenso wie Tharas vor ihm wurde er rot bis in die Haarspitzen und hätte sich am liebsten in die Decke verkrochen.
 

"Nachdem ihr beide jetzt wach seid", stellte Llandon fest, "wird es wohl besser sein, ihr wascht euch erst mal, zieht euch an und esst was. Dann sehen wir weiter."

"Umdrehen", befahl Tharas.

"Ich bitte dich, ich hab dich schon öfter nackt gesehen. Stell dich nicht so an. An dir ist auch nichts anders als an mir", entgegnete der Magier.

"Doch nicht wegen mir", zischte ihm sein Sohn zu und nickte mit dem Kopf in Richtung Rean, der so weit unter die Decke gekrochen war, dass nur noch sein Haarschopf herausschaute.

"Wie du meinst", lenkte sein Vater ein, verschränkte die Arme vor der Brust und drehte sich um.
 

Sie hatten ihr Lager in der Nähe einer Quelle aufgeschlagen, an welcher sie sich nun wuschen. Beim Anblick des Wassers auf Reans nackter Haut bekam Tharas gleich wieder Lust, über ihn herzufallen, doch was sein Vater gesagt hatte, war ihm im Gedächtnis geblieben, also beherrschte er sich. Außerdem bestand das Risiko, dass der Störenfried plötzlich mittendrin auftauchte, und das wäre dann noch schlimmer als die morgendliche Weckaktion.
 

"Wieso ist dein Vater plötzlich hier?", fragte Rean. "So was Peinliches ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert", fügte er hinzu.

"Da kann ich dir nur zustimmen. Du hättest sein Grinsen sehen sollen. Ich wusste gar nicht, dass er so anzüglich grinsen kann. Wahrscheinlich ist er sogar noch stolz. 'Hurra, mein Sohn hat sein erstes Mal hinter sich!'", knurrte Tharas.

"Echt? Das war dein erstes Mal? Das wundert mich aber…", bemerkte der Junge.

"Warum?", wollte Tharas wissen.

"Na du wusstest genau, was du zu tun hattest. Ich hab zwar mit Melean darüber gesprochen, aber nicht so intensiv", antwortete Rean.

"Das hast du meinem Vater zu verdanken", sagte der Prinz und grinste schief.

"Jetzt versteh ich gar nichts mehr…", murmelte der Kleine und blickte ihn verwirrt an.
 

"Na ja", erklärte der Magier, "es ist ja nicht so, dass ich dich erst seit gestern liebe. Ich kann mich noch gut erinnern. Damals, als ich mit meiner Mutter von unserem Besuch in Eredrion zurückgekommen bin, du weißt schon, als wir uns kennen lernten, da habe ich schon gespürt, dass da mehr war als nur Freundschaft. Im Laufe der Zeit wurde dieses Gefühl immer stärker und irgendwann hab ich's nicht mehr ausgehalten und hab meinem Vater davon erzählt. Zuerst hat er natürlich schwer geschluckt, doch dann hat er mich aufgeklärt, wie das funktioniert zwischen zwei Männern. Er hat sogar mal eine Ratte in einen Menschen verwandelt und mir die Anatomie erklärt, wo die empfindlichen Punkte sind und so weiter."

"Und woher wusste er das?", wollte Rean wissen.

"Keine Ahnung", gab Tharas zu und zuckte die Achseln. "Jedenfalls bin ich ihm sehr dankbar dafür. Obwohl er nicht gerade nach der allerersten Anwendung hätte aufkreuzen müssen."
 

Nachdem sie sich gewaschen und wieder angezogen waren, ließen sie sich zusammen mit Llandon nieder und aßen einen Bissen. Die Mahlzeit erfolgte schweigend, was größtenteils an Llandons plötzlichem Auftauchen lag.
 

Nach dem Essen erhob sich der schwarze Magier und sagte zu seinem Sohn: "So, und jetzt noch eine kleine Formalität bevor wir nach Arc reiten. Knie dich hin."

"Warum das denn?", fragte Tharas misstrauisch.

"Ich nehme dich in die schwarze Zunft auf. Das heißt, ich entlasse dich aus deiner Lehrzeit und du bist ein vollständig ausgebildeter schwarzer Magier", erklärte Llandon stolz.

"Du meinst, ich bin so weit?", erkundigte sich der Prinz überrascht.

"Das bist du. Deine magischen Kräfte sind in den letzten Monaten enorm gestiegen und es gibt nichts mehr, was ich dir noch beibringen kann. Alles, was du noch auf deinem weiteren Weg brauchst, musst du dir selbst aneignen. Also, knie nieder", forderte er ihn erneut auf.
 

Tharas gehorchte und blickte seinen Vater erwartungsvoll an. Dieser begann, zu sprechen: "Du sprichst mir jetzt nach." Er räusperte sich und fuhr fort: "Ich, Tharas, Sohn des Llandon…"

"Ich, Tharas, Sohn des Llandon", wiederholte Tharas.

"… schwöre hiermit, dass mein Herz schwarz ist wie die Nacht."

"Was?", rief der Prinz.

"Nichts, was. Wiederholen", befahl sein Vater.

"… schwöre hiermit, dass mein Herz schwarz ist wie die Nacht", wiederholte sein Sohn unbehaglich.

"Ich schwöre auch, dass ich im Namen der Zunft, doch auch in meinem eigenen, zerstören werde, was gegen mich und die dunkle Bruderschaft ist. Leid und Verzweiflung sollen mit mir einher gehen."

"Das soll ich schwören?", protestierte Tharas.

"Ja, sollst du, und jetzt mach."

"Ich schwöre auch, dass ich im Namen der Zunft, doch auch in meinem eigenen, zerstören werde, was gegen mich und die dunkle Bruderschaft ist. Leid und Verzweiflung sollen mit mir einher gehen."

"Ich schwöre, dass ich ein Mörder und Verräter bin."

"Ich schwöre, dass ich ein Mörder und Verräter bin."

"Mein Herz kennt keine Gnade."

"Mein Herz kennt keine Gnade."
 

Rean wurde mit jeder Zeile des Schwurs das Herz schwerer. Immer hatte er behauptet, Tharas gehöre zu den Guten, doch was hier vor sich ging, machte ihn eindeutig zu einem Bösen. Wie konnte ihm der Mann, den er so sehr liebte, so etwas antun?
 

"Und ich schwöre", erhob Llandon erneut die Stimme, "dass ich ein Lügner bin."

"Und ich schwöre", wiederholte Tharas und lächelte fast dabei, "dass ich ein Lügner bin. Und was für einer."

"Gut. Dann bist du hiermit in der Zunft der schwarzen Magier akzeptiert", lächelte Llandon, zog seinen Sohn hoch und umarmte ihn kurz.
 

"Was hast du getan?", hauchte Rean und schaute Tharas fast ängstlich an, als dieser sich zu ihm umwandte.

"Ich bin der schwarzen Zunft beigetreten. War doch offensichtlich, oder?", fragte der nun vollständig ausgebildete Magier zurück und grinste. Er ging auf den Jungen zu und wollte ihn in seine Arme ziehen, doch Rean wich ihm aus. "Ich fasse es nicht…", presste er hervor. Seine Augen wurden feucht. "Du hast dich vom Guten abgewandt."
 

"Hat er nicht", ließ sich jetzt Llandon vernehmen. "Um als voller Zauberer anerkannt zu werden, musste er den Schwur leisten. Er hat den Gesetzen der Zunft zugestimmt, indem er sie alle mit seiner Stimme bestätigt hat. Doch mit der letzten Zeile hat er ihnen widersprochen, indem er sich als Lügner bezeichnet, was bedeutet, dass er den ganzen Schwur über nicht die Wahrheit gesagt hat.

Auf die Tugenden durfte er, nach dem Kodex, nicht schwören, doch auf die bösen Eigenschaften schon. Lügen ist keine gute Eigenschaft, deshalb hat er den Kodex der Bruderschaft nicht gebrochen. Verstanden?"
 

"Glaubst du wirklich, ich hätte so etwas geschworen? Natürlich, ich wusste, dass der Schwur so oder so ähnlich lautet, doch ich vertraue meinem Vater. Ich war mir sicher, dass er mir irgendwie ein Hintertürchen offen halten würde", erklärte Tharas. "Darf ich dich jetzt in den Arm nehmen?", fragte er. Rean schaute ihn unsicher an.
 

"Na los, jetzt trau dich", sagte Llandon und lächelte.

"Ich dachte, du hättest mich verraten…", flüsterte Rean und warf sich in Tharas Arme. Er schluchzte leise an der Brust seines Geliebten. Dieser strich ihm zärtlich übers Haar. "Niemals", hauchte er. "Und wenn die ganze Welt gegen mich wäre. Du weißt doch, ich liebe dich."

"Hach, wie romantisch", säuselte der König von Arc und fügte dann ernst hinzu: "Wenn ich das junge Glück daran erinnern dürfte: Wir müssen los. Heute Abend müssen wir in Arc sein, das heißt keine Pausen. Wir reiten durch."

Sie saßen auf und ritten los.
 

Unterwegs fragte Tharas: "Wo bist du eigentlich so schnell hergekommen? Es war fast ein Tagesritt von unserem Lager bis zum Schloss. Und woher wusstest du, dass wir genau dort waren?"

"Zu euch gekommen bin ich mit Teleportation, was mein Pferd ziemlich nervös gemacht hat. Aber ich denke, es kann darüber Stillschweigen bewahren", erklärte Llandon. "Und gefunden habe ich euch, indem ich nach deinen Gedanken gesucht habe. Die waren nämlich kurzzeitig verschwunden. Als sie dann wieder aufgetaucht sind, wart ihr schon so nahe, dass ich es kaum glauben konnte. Das bedeutete für mich, dass wir unseren Plan früher würden durchziehen können, als ich erwartet hatte. Deswegen die Eile, wie ich dir ja schon vorhin erklärt habe."
 

Als die Nacht anbrach, erreichten sie die Andwynbrücke. Dort hielten sie an.

"Warum halten wir?", fragte Rean.

"Wir nehmen den unteren Weg", erklärte Llandon und stieg ab. "Lasst die Pferde hier", sagte er. Die beiden taten, wie ihnen geheißen und banden ihre abgekämpften Tiere neben Llandons in Reichweite des Wassers an.
 

"Warum gehen wir den unteren Weg zum Labor?", erkundigte sich Tharas.

"Ganz einfach aus zwei Gründen: Erstens ist es kürzer und zweitens würde dich deine Mutter nicht mehr weglassen, wenn sie dich erst mal gesehen hat. Und das wäre über den offiziellen Weg unumgänglich. So erfährt niemand, dass du schon wieder da bist. Klar?"

"Klar. Also los", stimmte Tharas zu. Llandon ging zur Brücke und von dort aus tauchte er zwischen die dicht stehenden Bäume um sie herum ein. Ein paar Schritte später erhob sich vor ihnen eine große Felsgruppe. Nach einem kurzen Blick um sich fand er den Grenzstein, der zu der verborgenen Tür führte. Er drückte von oben auf den Stein und schob ihn dann ganz vorsichtig nach rechts oben. In einem der Felsen öffnete sich mit einem schleifenden Geräusch eine niedrige Tür. Um sie herum war niemand zu sehen, also entzündeten die Magier das Feuer in der Hand und betraten, Rean zwischen sich nehmend, den geheimen Tunnel.
 

Wieder führte ihr Weg über endlose Stufen. "Wie viele sind es diesmal?", fragte Rean.

"Oh, nicht ganz so viele", antwortete Llandon. "Nur 348. Dafür ist das Gefälle nachher sehr stark. Wirst du schon noch sehen."
 

Nach etwa einer Stunde erreichten sie das Labor. Dort entzündete Llandon das Flammensims und setzte sofort einen Kessel mit Wasser aufs Feuer. Dort hinein warf er nacheinander einige Kräuter, die er aus seinen Felsregalen holte. Mit einem riesigen Holzkochlöffel rührte er in dem Gebräu herum, das fürchterlich stank.
 

"Hoffentlich schmeckt es besser, als es riecht…", meinte Tharas nachdenklich.

"Na ja, du musst es ja nicht trinken", antwortete Rean und schmiegte sich mit dem Rücken an Tharas Brust.

"Leider doch", erklärte der Magier ernst. "Wenn wir gegen den Basiliskenblick immun sein wollen, müssen wir es auch trinken." Rean verzog angewidert das Gesicht.

"Tharas", ließ sich Llandons Stimme vernehmen, "Würdest du bitte ein Stück von der Mandragora abschneiden und zerkleinern? Die restliche Wurzel tust du dann in ein Glas, das du gut verschließt. Dankeschön."
 

Tharas löste sich widerstrebend von Rean, tat jedoch, wie ihm geheißen. "Wie viel brauchst du?", fragte er. Sein Vater wandte sich ihm zu und überprüfte mit kritischem Blick die Stelle, an der er das Messer angesetzt hatte. "Noch ein wenig mehr", sagte er. "Gut. Perfekt."

Die Klinge zerteilte die Wurzel mühelos. Das kleine, abgetrennte Stück zerhackte Tharas in kleine Stückchen, den Rest gab er zurück in das Glas, in dem er die Wurzel die ganze Zeit über transportiert hatte. Dieses stellte er in einer Lücke auf einem der oberen Regale ab.
 

Llandon schnappte sich die Stückchen und warf sie in seinen Kessel. Sofort wurde der unangenehme Geruch noch schlimmer und der Dampf des Kessels wurde rötlich-braun. "Das muss jetzt etwas köcheln", erklärte er und rümpfte die Nase. "Meine Güte, ich hatte schon ganz vergessen, wie bestialisch das Zeug stinkt. Aber es soll ja nicht gut riechen oder schmecken, sondern helfen. Ich werde das hier beaufsichtigen und ihr könnt ja so lange in der Grotte dort drüben… was auch immer machen."
 

Das ließen sich Rean und Tharas nicht zweimal sagen, zumal sich der kleine Prinz ohnehin etwas ausgeschlossen gefühlt hatte. Tharas nahm eine herumliegende Fackel in die eine und Reans Hand in die andere Hand. Die Fackel entzündete er am Feuer unter dem Kessel und rammte sie dann in der kleinen Grotte in den Boden. Sofort begannen der kleine Wasserfall und die Kristalle im Gestein um sie herum, zu glitzern und zu leuchten.
 

"Ist wirklich schön hier", stellte Rean fest.

"Vielleicht kann ich ja jetzt tun, was ich schon letztes mal mit dir machen wollte, als wir hier waren…", sagte der Magier geheimnisvoll, woraufhin der Junge rot wurde. "Und das wäre?", flüsterte er.

Tharas legte seine Arme um Rean und hauchte ihm sanfte Küsse in den Nacken, was diesen innerlich erschauern ließ und er ein Stöhnen unterdrücken musste. "Süße kleine Rache…", flüsterte Tharas.

"Rache wofür…?", wollte sein Liebster wissen.

"Dafür, dass du mich im Elfendorf beinahe verführt hättest. Du weißt gar nicht, wie kurz ich davor war, die Beherrschung zu verlieren", raunte Tharas tiefe Stimme in Reans Ohr.

"Ich weiß selbst nicht, was mich da geritten hat", gab Rean zu. "Aber das hier ist…aaaah."
 

Tharas hatte Rean spielerisch ins Ohrläppchen gebissen, während seine Hände sanft über Reans Brust und Bauch streichelten.

"Es ist was?", fragte er mit heiserer Stimme.

"Fies", antwortete Rean und lehnte seinen Kopf mit einem Seufzen an Tharas Schulter. Der fuhr mit seiner Daumenkuppe über Reans Unterlippe und drehte ihn schließlich ein wenig, um ihn zu küssen. Eine heiße Züngelei entbrannte. Als Tharas Hände Reans Rücken hinab über dessen Po wanderten konnte sich der Junge nicht mehr beherrschen und stöhnte laut auf.
 

"Ich kann euch übrigens hören", kam es trocken aus der Nachbarhöhle. Tharas knurrte wütend und Rean errötete.

"So wird das nichts", stellte der junge Magier fest und strich sacht mit seinen Lippen über Reans. "Scheint, als müssten wir das verschieben."

"Ja, scheint so…", stimmte dieser zu und lächelte. Hand in Hand gingen sie zurück zu Llandon, der mit skeptischem Blick den Inhalt seines Kessels musterte.
 

"Scheint, als wäre es fertig", meinte er. "Tharas, hol mir mal die Schöpfkelle", bat er seinen Sohn. Als dieser sie ihm reichte, sagte er: "Danke. Also, probieren wir's…" Er schöpfte etwas von der bräunlichen, dünnen Flüssigkeit aus dem Kessel und nahm einen kleinen Schluck. Er spülte es ein wenig im Mund hin und her, wobei er nachdenklich an die Decke schaute. "Ja, ist fertig", stellte er schließlich fest, nachdem er die Kostprobe hinuntergeschluckt hatte. "Drei Krüge bitte", sagte er zu Tharas.
 

Tatsächlich gelang es dem Prinzen nach einigem Suchen, drei Krüge zutage zu fördern. Llandon verteilte drei gleichmäßige Schöpfer der stinkenden Brühe auf die Krüge und reichte dann den beiden jungen Männern jeweils einen. Einen nahm er für sich selbst, hielt ihn hoch und sagte: "Prost, Jungs. Auf die Gesundheit." Dann setzte er den Krug an und leerte ihn mit einem Zug.
 

Rean und Tharas taten es ihm gleich, allerdings nahmen beide erst einmal zögerlich einen kleinen Schluck. Sie hätten es besser nicht getan. Angewidert verzogen sie das Gesicht. Der Trank schmeckte noch schlimmer als er roch.
 

"Wie kannst du das trinken ohne mit der Wimper zu zucken?", fragte Tharas, als er in das grinsende Gesicht seines Vaters blickte.

"Alles eine Frage der Selbstbeherrschung", erwiderte dieser ernst. "Und jetzt trinkt es." Die beiden schauten sich kurz misstrauisch an, doch dann beschlossen sie, es wie Llandon zu machen und alles auf einmal wegzukippen. Nachdem sie das getan hatten, schüttelte es sie fürchterlich, doch es war geschafft.
 

"So. Nachdem wir das hinter uns haben, gehe ich wieder nach oben, hole mein Pferd, reite zurück ins Schloss und haue mich aufs Ohr", beschloss Llandon.

"Wie? Du holst erst noch dein Pferd und willst dann zurück ins Schloss?", fragte sein Sohn.

"Natürlich. Ich bin damit weg geritten, also muss ich auch wieder damit ankommen. Außerdem kommt es zwar vor, dass ich länger weg bin, aber über Nacht, das fiele dann doch auf, zumal deine Mutter von nichts weiß."

"Und was sollen wir beide machen?", hakte der Prinz von Arc nach.

"Ihr verbringt die Nacht bei den Pferden im Freien. Tut mir Leid, dass ich euch ein Bett verwehren muss. Wir treffen uns morgen früh an der Wegkreuzung nach Eredrion. Ihr nehmt einen Umweg am Schloss vorbei", erklärte der König.

"Du willst wohl wirklich nicht, dass ich Mutter zu Gesicht bekomme, was?"

"Ich sagte doch schon, die Frau würde dich zur Not anketten um dich hier zu halten. Und wir müssen weiter. Unser Ziel ist jetzt so nah, da können wir nicht aufgeben. Und ich brauche dich, damit du deinen Bannkreis auflöst. Außerdem werden wir beide wohl den Hauptteil des Kampfes gegen die Bestie bestreiten müssen", gab Llandon zurück.
 

An Rean gewandt sagte er: "Nicht, dass du schwach wärst. Nein, du hast dich sehr zu deinem Vorteil verändert, dein Vater wird mächtig stolz auf dich sein. Aber zurück zu dir, Tharas. Du verstehst, dass ich dich dieser Furie, die meine Frau ist, nicht ausliefern kann." Tharas nickte. "Gut. Dann ab nach oben."

"Was ist mit dem Trank? Sollen wir ihn mitnehmen?", fragte Rean.

"Nein, das mache ich. Liawen wird glauben, ich nehme Wasser mit, doch in den Wasserschläuchen wird der Trank sein. Überlasst das alles mir."
 

Zurück bei den Pferden fragte Tharas ernst: "Wirst du Mutter sagen, wo du hingehst?"

"Ich werde ihr sagen, dass ich mir einen Überblick über die Lage in Eredrion verschaffen will. Das ist alles. Und jetzt ruht euch noch ein wenig aus. Ihr habt einen langen, anstrengenden Tag hinter, aber auch vor euch. Gute Nacht."

Sie wünschten Llandon eine gute Nacht, als dieser sich auf sein Pferd schwang und davon ritt und legten sich schlafen. Nach ein paar letzten süßen Küssen schliefen sie eng aneinandergeschmiegt ein.
 

So, meine Lieben. Das war das nächste Kapitel und das Ende nähert sich in Riesenschritten.
 

Ich hoffe, euch hat gefallen, was ihr gelesen habt.
 

Bis zum nächsten Kapi.
 

Myrys

Kapitel 20 - Der Basilisk

Kapitel 20

Der Basilisk
 

Tharas erwachte kurz nach dem Morgengrauen. Er weckte Rean und nach einer kurzen Katzenwäsche am Fluss und einer kleinen Stärkung brachen sie auf zum vereinbarten Treffpunkt. Sie nahmen, wie Llandon vorgeschlagen hatte, einen Umweg. Unterwegs begegnete ihnen glücklicherweise niemand. Sie kamen ziemlich früh an der Wegkreuzung an und stellten fest, dass Llandon noch nicht eingetroffen war.
 

"Ich schlage vor, wir halten uns etwas vom Weg entfernt auf bis er kommt. Es besteht die Gefahr, dass wir gesehen werden", meinte Tharas und Rean stimmte zu, also verzogen sie sich hinter ein Gebüsch am Rande des Weges, von wo aus sie den Weg vom Schloss her gut beobachten konnten.
 

Die Zeit verging, doch der König kam nicht.

"Wahrscheinlich macht ihm deine Mutter die Hölle heiß weil er gestern so spät nach Hause gekommen ist", vermutete Rean.

"Kann schon sein. Ich werde versuchen, ihn zu erreichen", antwortete Tharas und tat dies umgehend.

"Wo bleibst du?", fragte er in Gedanken.

"Bin auf dem Weg. Deine Mutter hat mir eine Szene gemacht weil ich nach Eredrion reite. Sie schien sich echte Sorgen zu machen. Ich glaube, wenn ich zurückkomme, darf ich wieder mal…" Tharas konnte sein Grinsen förmlich sehen.

"Wie schön für dich. Aber jetzt beeil dich mal ein wenig. Wir sind spät dran", erwiderte er und lächelte in sich hinein.

"Warum die Eile? Den Trank haben wir und ich bin, ehrlich gesagt, nicht begierig darauf, dem Basilisken so schnell zu begegnen. Außerdem: Je länger ich brauche, desto mehr Zeit habt ihr beide für euch. Ab jetzt werde ich euch nämlich nicht mehr von der Pelle rücken, so Leid es mir tut", konterte Llandon. "Bis gleich", fügte er noch hinzu.
 

"Er kommt gleich", sagte Tharas an Rean gerichtet.

"Oh, gut. Und was machen wir so lange?", erkundigte sich der Junge.

"Tja, es gibt da schon etwas, worauf ich unheimlich Lust hätte…", antwortete der Magier und grinste anzüglich, "… allerdings haben wir dazu zu wenig Zeit." Als Rean errötete, sagte er: "Also ich glaube, das musst du dir abgewöhnen, Rean. Wir haben's doch schon getan und wir werden es wohl noch öfter tun, also kein Grund, rot zu werden."

"Noch öfter?", wisperte Rean und sein Gesicht wurde bei der bloßen Erinnerung an jene Nacht, wenn überhaupt möglich, noch roter. Verlegen starrte er auf den Boden.

"Sicher. Aber keine Sorge. Ich mache nichts, was du nicht auch willst. Du weißt doch, dass ich dich liebe."

"Ich weiß. Ich dich auch." Er beugte sich zu Tharas hinüber und schloss die Augen. Dieser leistete der stummen Bitte nur zu gerne Folge und sie küssten sich innig.
 

Kurze Zeit später traf Llandon ein und sie brachen nach Eredrion auf. Je näher sie Reans Heimatland kamen, desto unruhiger wurde der junge Prinz. Es war, erinnerte sich Tharas, wie vor einem halben Jahr, als sie zum Turnier nach Eredrion gekommen waren und die Katastrophe entdeckt hatten. Das sagte er seinem Liebsten auch, doch dieser erwiderte nur: "Es ist nichts. Ich bin nur aufgeregt, weil ich wieder zu Hause bin. Das ist alles." Er lächelte den Magier beruhigend an, doch dieser hatte immer mehr das Gefühl, das ihm der Junge etwas verschwieg.
 

Damit hatte er vollkommen Recht. Reans Alpträume von damals waren zurückgekehrt. Wieder sah er sich, Llandon und Tharas um das Loch in der Straße stehen. Wieder sagte Llandon: "Achtung, es ist soweit." Dann brach der Basilisk hervor und griff Tharas an. Rean konnte nur dastehen und zusehen. Doch von diesen Träumen erzählte er niemandem.
 

Das Land hatte sich verändert. Es sah einfach furchtbar aus. Die Felder waren verwüstet, Tiere, die zurück geblieben waren, in den Ställen verendet. Häuser waren, wegen mangelnder Reparaturen während des Jahres einfach eingefallen. Sogar einige Wege hatte sich die Natur zurückgeholt. Um alle Schäden beseitigen zu können würde die Arbeit von Monaten nötig sein.

"Warum hat sich hier niemand niedergelassen oder geplündert? Ich meine, es lag doch praktisch alles offen herum…", fragte Rean.

"Es heißt, das Land sei verflucht. Kein Mensch hat sich seit ihr aufgebrochen seid hierher getraut", erklärte Llandon. "Ich muss zugeben, auch ich befürchtete Plünderungen oder Grundräuber, deshalb habe ich mitgeholfen, diese Gerüchte noch anzuheizen."

"Ach so…", murmelte der Junge.
 

Sie erreichten das Schloss von Eredrion nach einigen Tagen gegen Mittag.

"Wie geht's jetzt weiter?", wollte Rean wissen als sie abstiegen und die Pferde an einem Baum festbanden.
 

"Nun", erklärte Llandon, "ich habe mir lange Gedanken darüber gemacht. Erst die Leute aufwecken und dann das Vieh bekämpfen oder umgekehrt? Letztendlich habe ich mich dafür entschieden: Beides gleichzeitig. Du wirst dich jetzt fragen: "Wie geht das?" Und damit hast du ganz Recht. Doch ich habe eine Lösung. Schließlich bin ich ein Magier. Also, wir machen Folgendes: Wir stellen hier einen Kessel auf, in dem wir den Trank erhitzen. Gleichzeitig spreche ich einen Zauber darüber aus. Das Zeug steigt nach oben, formt dort Wolken und schließlich regnet es auf die Leute herab. So müssen wir es nicht jedem einzeln eintrichtern. Das braucht allerdings einige Zeit. Bis es soweit ist, gehen wir drei ins Schloss und locken den Basilisken heraus. Wir bekämpfen ihn und erledigen ihn hoffentlich rechtzeitig. Dafür hab ich noch Spezialausrüstung dabei."
 

Er wandte sich seinem Gepäck zu und förderte drei kurze Speere zutage. "Ich weiß, die sind hoffnungslos altmodisch", erklärte er und lächelte etwas verlegen, "doch es sind alte Drachentöterwaffen und sie sind noch gut in Schuss. Ich habe noch etwas die Anatomie eines Basilisken studiert. Sie haben eine Haut, so dick und fest wie ein Drachenpanzer. Sie sind nur knapp unterhalb der Kehle empfindlich. Ich hoffe, dass es uns gelingt, ihn mit den Speeren an genau dieser Stelle zu treffen." Damit reichte er den beiden jungen Männern die Waffen und behielt eine für sich.

"Und du glaubst, das funktioniert?", fragte Tharas skeptisch.

"Hast du eine bessere Idee?", konterte Llandon und funkelte seinen Sohn streitlustig an.

"Nein, nein. Ist schon gut", erwiderte der Prinz und schob sich eine vorwitzige schwarze Strähne hinters Ohr. "Ich wollte nur… Rean da raushalten."
 

"Musst du nicht", sagte Rean mit einem sanften Lächeln. "Ich bin gerüstet für den Kampf. Ich möchte das Biest erledigen, das meinen Leuten das angetan hat. Und wenn sie dann wieder zu sich kommen, dann sehen sie vielleicht endlich ein, dass ich mehr bin, als ein verweichlichtes, weibisches Bübchen." Seine Augen blitzten gefährlich.

Llandon lachte kurz auf. "Die Einstellung gefällt mir, mein Junge", sagte er und klopfte Rean kameradschaftlich auf die Schulter. "Du sollst deine Rache haben. Wenn es sich ergibt, lass ich dir gern den letzten Stoß."
 

"So, und wo nehmen wir jetzt einen Kessel her?", fragte Tharas ironisch.

"Also wirklich, Tharas. Man könnte meinen, du hättest noch nie etwas von Magie gehört. Vielleicht warst du doch noch nicht soweit. Na ja. Akzeptiert ist akzeptiert. Aber noch mal langsam zum Mitschreiben, damit der Herr es auch versteht: Wir zaubern uns einfach einen her. In diesem verdammten Schloss, das so wunderschön hinter mir gelegen ist, gibt es bestimmt hunderte von Kesseln, da werden wir ja wohl einen her bekommen, meinst du nicht?"

"Dazu müssen wir erst die Bannkreise aufheben", antwortete sein Sohn.

"Richtig. Zuerst hebe ich meinen auf und dann du. Na dann, los." Er richtete seinen Blick unverwandt auf das Schloss, hob beschwörend die Hände und schon war es vollständig in dichten Nebel gehüllt, der langsam abklang und schließlich im Erdboden versank.
 

"Gut, meiner ist aufgehoben. Jetzt bist du dran, Junge", wandte er sich an Tharas. Dieser nickte und machte es seinem Vater nach. Auch bei ihm war das Schloss kurz in Nebel gehüllt, bevor dieser zu Boden sank und verschwand.
 

"So", meinte Llandon, "dann besorg uns doch mal einen Kessel, wenn du so nett wärst."

"Du meinst ein einfacher Teleportationszauber?", erkundigte sich Tharas.

"Genau. Stell dir einfach einen Kessel vor und hol ihn her. Das haben wir doch schon tausend Mal geübt."

"Weiß ich. Irgendein bestimmtes Modell?"

"Kupfer-Zinn-Legierung, Wandbreite zweieinhalb Zentimeter, Fassungsvermögen mindestens fünf Liter. Herrgott, das ist doch total egal. Hauptsache ein Kessel", sagte Llandon und rollte mit den Augen.

"Schon gut, schon gut, ich mach ja schon", stöhnte sein Sohn. Er schloss die Augen, um sich zu konzentrieren und sofort erschien vor ihm in der Luft ein großer Kupferkessel. Er fing ihn auf und reichte ihn an seinen Vater weiter.

"Gut. Feuer", sagte dieser knapp angebunden. In wenigen Minuten hatten sie ein Lagerfeuer errichtet, auf welches sie den Kessel stellten. Llandon ging zu seinem Pferd und holte die vier mit dem Mandragoratrank gefüllten Wasserschläuche. Den Inhalt goss er in den Kessel. "Also dann, ihr zwei. Bereit für den Kampf?", fragte er und schaute die beiden Prinzen ernst an. Als sie zustimmend nickten, sagte er: "Dann kommt mit. Lasst uns Schlangen jagen."
 

Die Stadt hatte sich kein bisschen verändert. Anscheinend hatten die Bannkreise alles in dem Zustand gelassen, in dem es gewesen war. Sie erreichten den Marktplatz und das darin befindliche Loch. (Hups, schon wieder ein Loch. Auch das muss noch gestopft werden *g*)
 

"Nehmt Aufstellung", befahl Llandon. "Egal, wen es zuerst attackiert, wir müssen schneller sein. Ich werde es jetzt rufen."

"Und wie?", fragte Rean.

"Ich sende ihm ein paar beleidigende Gedanken. Das lockt ihn bestimmt heraus. Macht euch bereit", erklärte der König.
 

Sie verteilten sich um das Loch in der Straße und hielten die Waffen bereit. Insgeheim hofften sie alle, dass der Trank tatsächlich half und sie resistent gegen den Blick der Bestie waren.
 

Plötzlich überfiel Rean ein unheimliches Gefühl, dass ihm das alles bekannt vorkam. Es war genau die Reihenfolge, in der sie auch in seinem Traum gestanden hatten. Schlagartig schlug sein Herz schneller und er verkrampfte seinen Griff um den Speer.

"Achtung, es ist soweit", sagte Llandon. Reans Herzschlag setzte für einen Augenblick aus. Er wusste, was jetzt passieren würde. Der Basilisk würde kommen und Tharas würde…
 

Der Basilisk brach hervor und erhob sich bedrohlich über sie. Er sah genau so aus wie in Reans Traum. Seine gelben Augen funkelten bösartig, seine dolchartigen Zähne waren gebleckt und ein fürchterliches Zischen umgab sie. Der große, schuppige, braungrüne Körper wandte sich zuckend. Entsetzten packte den Prinzen. Er wusste, was geschehen würde, doch er war nicht fähig, sich zu bewegen. Das Monster hob seinen Kopf und ließ ihn niedersausen, allerdings nicht auf Tharas. Bevor Rean überhaupt reagieren konnte, stürzte sich der Basilisk auf ihn.
 

Er war über diese Wendung so entsetzt, dass er es nicht einmal schaffte, seinen Speer zu heben, geschweige denn, auszuweichen. Im nächsten Moment warf sich Tharas auf ihn und ließ sich mit ihm zur Seite fallen.
 

Sofort war Llandon zur Stelle und hieb mit Schwert und Speer auf das Ungetüm ein.

"Tharas, bist du…?", fragte Rean vorsichtig.

"Mit mir ist alles in Ordnung. Los, weiter", antwortete dieser und erhob sich. Er wankte zwar leicht, schien aber auf den ersten Blick in Ordnung zu sein. Rean atmete erleichtert auf. Sofort schlossen sie sich Llandon an.
 

Der Basilisk wandte nun erneut ihnen seine Aufmerksamkeit zu. Wieder sauste der hässliche Schlangenkopf nieder und diesmal wirklich auf Tharas. Noch bevor der Prinz von Arc ausweichen konnte, hatten sich die zwei massigen Kiefer unter ihm geschlossen und rissen sogar einen Teil des Straßenpflasters heraus. Rean kreischte entsetzt auf.
 

Llandon startete einen ersten Versuch und schleuderte seinen Speer nach dem Basilisken, doch er hatte anscheinend nicht gut genug gezielt, denn die Waffe prallte zu weit unten am stahlharten Panzer der Bestie ab. "Mist", fluchte der König.
 

Doch nur einige Augenblicke später schüttelte der Basilisk überrascht seinen Kopf und eine Schwertspitze erschien im Fleisch unterhalb seines Unterkiefers. Mit einer ruckartigen Bewegung wurde Tharas aus seinem Maul geschleudert und landete vor Llandons und Reans Füßen. Er war über und über bedeckt mit Schlangenspeichel.
 

"Versuch noch einmal, mich zu fressen, Mistvieh", rief er dem Monster zu.

Der Basilisk bäumte sich auf vor Schmerz und versuchte, seinen Peiniger anzugreifen. Im nächsten Moment kam Tharas Schwert aus seinem Rachen gesegelt und schlitterte klappernd über den Boden. Rean sah seine Chance als das Vieh hoch nach oben schoss und warf den Speer in die Richtung, in der er die Schwachstelle vermutete.
 

Im Kessel blubberte und dampfte es. Der beißend stinkende Dampf stieg auf und verformte sich zu gigantischen, schwarzen Wolken, die langsam über das Schloss zogen. Vereinzelte Blitze zuckten auf. Das Gewitter war nah. Und mit ihm die Erlösung.
 

(An alle, die "Epilogue" von Apocalyptica griffbereit haben, bitte dieses Lied jetzt einschalten und mindestens genauso schniefen wie ich. Andere schnieftraurige Musik tut's auch.)
 

"Rean, du hast es geschafft!", rief Llandon. "Du hast ihn genau richtig getroffen!"

Der Basilisk bäumte sich noch einmal kurz auf, versuchte, den Speer zu erreichen, der knapp unterhalb seiner Kehle steckte und brach dann in ihre Richtung zusammen.
 

Llandon und Rean griffen sich den noch immer am Boden liegenden Tharas und schleiften ihn schnell in Sicherheit.

"Hast du gehört, Tharas?", rief Rean aufgekratzt. "Ich habe ihn getroffen!"

"Ich wusste, dass du es schaffst", sagte dieser leise und lächelte schwach. Seine Stimme zitterte leicht. Erste jetzt fiel Rean auf, wie blass sein Geliebter war. Tharas Atem ging stoßweise und sein Blick schien sich mehr und mehr zu verschleiern.

"Was ist denn…?", hauchte der jüngere Prinz und Tränen stiegen ihm in die Augen.

"Als ich dich zur Seite gestoßen habe… hat er mich… mit einem… seiner Zähne… erwischt", keuchte der Magier.

"Nein. Nein, das ist nicht wahr. Das kann nicht sein…", flüsterte Rean. Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen und ein dicker Kloß bildete sich in seinem Hals.

"Doch… ich… schätze schon…", bestätigte Tharas und versuchte ein Lächeln, welches jedoch eher eine schmerzverzerrte Grimasse wurde. Rean fielen wieder Oberons Worte ein und er begann, hemmungslos zu weinen.

"Sprich nicht, Liebster. Es strengt dich zu sehr an", flüsterte er, doch er wusste, es war hoffnungslos. Mit der ersten Träne, die auf Tharas Gesicht fiel, setzte der Regen ein.
 

"Bitte, wein nicht", bat Tharas. "Du hast… den Basilisken getötet… und… dein Volk gerettet. Das… ist doch… schön."

"Aber nicht ohne dich", schluchzte der Junge.

"Rean, weißt du noch? Das… Ende des Regenbogens? Dort… warte ich… auf dich. Versprochen."
 

Langsam kamen die Menschen um sie herum wieder zu sich. Verwirrt blickten sie sich um. Doch dann richteten sich sämtliche Blicke auf den jungen Mann vor ihnen, der weinend einen anderen in seine Arme zog und an sich drückte, als wollte er ihn niemals loslassen. Auch der König und die Prinzen kamen wieder zu sich und starrten das Geschehen vor sich an.
 

"Nein, Tharas, nein. Bitte verlass mich nicht", schluchzte Rean. "Ich liebe dich."

Tharas Blick war nicht mehr ganz klar, doch er suchte mit seiner Hand nach Reans Wange. Sanft streichelte er darüber. Seine Finger waren eiskalt. Es schien, als wollte er etwas sagen, doch es kam kein Ton mehr über seine Lippen. Dann schlossen sich seine Augen und er sank in sich zusammen. Ein gequälter Schrei aus Reans Kehle mischte sich mit dem Donner aus den Wolken über ihm.
 


 

"Seid ihr jetzt fertig?", fragte Llandon. "Dann geh mal eben kurz zur Seite, damit ich ihn retten kann." Damit schob er Rean unsanft zur Seite. Der Junge schniefte und blickte den König von Arc verständnislos an, doch dieser ließ sich nicht stören. Er legte seine Fingerspitzen an Tharas Schläfen und schloss konzentriert die Augen. Mit einem Mal schrie er gequält auf und eine breite Strähne seines Haares wurde schlohweiß. Dann öffnete er die Augen, blickte angesäuert drein und schüttelte sich. "Du meine Güte. Das war haarscharf", schnaufte er.

"Was hast du gemacht?", fragte Rean.

"Weißt du, ich nehme seit Jahren kleine Mengen Basiliskengift zu mir. Sozusagen um mich gegen Gift resistent zu machen. Allerdings war das hier ein ganz schön großer Batzen davon. Wäre fast selber draufgegangen, als ich ihm das vergiftete Blut ausgesaugt hab."

"Du meinst, er… lebt?", erkundigte sich der Junge zögerlich.

"Genau das. Er wird sich zwar noch etwas schwindlig fühlen wenn er aufwacht, aber ansonsten ist er völlig in Ordnung. Allerdings könnte ihm ein Bad nicht schaden" antwortete der Schwarzmagier und schaute tadelnd auf seinen Sohn hinab, der sich sacht regte und schließlich langsam die Augen aufschlug.
 

"Tharas", kreischte Rean vor Freude und fiel seinem Liebsten, der gerade dabei war, sich aufzurichten, um den Hals, sodass sie beide umfielen.

"Wo ist das Licht hin?", fragte dieser nur verwirrt, doch er legte automatisch seine Arme um den Jungen. Die Wolken hatten sich ausgeregnet und die Sonne brach wieder durch.
 

Ein allgemeines Kreischen und Aufschreien stieg auf, als sich die Bewohner Eredrions des riesigen, toten Monsters mitten auf ihrem Marktplatz bewusst wurden.
 

"Ich für meinen Teil würde gerne erfahren, was hier vorgegangen ist", war nun die strenge Stimme von Reans Vater zu hören. "Und was ist das da?" Er deutete auf den Basilisken.
 

Rean und die beiden Magier drehten sich zu König Feorn um und Llandon antwortete: "Das ist ein Basilisk, und wenn er euch nicht innerhalb weniger Stunden das ganze Königreicht mit seinem Gestank verpesten soll, dann macht ihr besser außerhalb der Schlossmauern einen Scheiterhaufen und verbrennt ihn. Den Rest sollt Ihr später erfahen. Doch sind wir drei erschöpft vom Kampf und auch ziemlich unansehnlich. Deshalb bitte ich Euch, uns erst noch etwas Zeit zu lassen, damit wir uns regenerieren können. Außerdem wäre es nicht schlecht, wenn jemand unsere Pferde versorgen könnte. Sie sind draußen vor dem Tor angebunden."
 

"Die Zeit sollt ihr haben", gab Feorn nach einer kurzen Bedenkzeit zurück, denn er platzte fast vor Neugier. "Kommt ins Schloss. Nehmt ein Bad und kommt dann in den Thronsaal. Ich erwarte euch dort. Auch um die Pferde wird sich jemand kümmern."
 

Rean und Tharas lösten sich voneinander und schickten sich an, dem König von Eredrion ins Schloss zu folgen, da kam Königin Rianna angelaufen und fiel ihrem Jungen um den Hals. "Mein kleiner Schatz", schluchzte sie, "du bist so groß geworden, ich hätte dich fast nicht erkannt. Und sieh nur dein Haar an." Sie streichelte liebevoll über seine Wange. "Wie lange hat denn das, was auch immer es war, gedauert?"

"Etwa ein halbes Jahr", antwortete Rean. Rianna schaute entsetzt.

"Frau, lass den Jungen in Ruhe!", rief Feorn barsch über seine Schulter zurück. "Er wird uns nachher alles erzählen", fügte er lächelnd hinzu. Es war das erste Mal, dass er von Rean sprach und dabei lächelte, wie diesem sofort auffiel. Sein Herz machte vor Freude einen kleinen Hüpfer.
 

Hinter den drei Helden, die nebeneinander den kurzen Weg zum Schloss hochgingen, kamen Feorin und Fegowan, Reans Brüder. Feorin stupste Fegowan an und raunte ihm zu: "Sag mal, was hat unser Kleiner vorhin zu seinem Freund gesagt, als der auf dem Boden lag? Ich hab's nicht genau verstanden."

"Ich auch nicht", gab Fegowan zurück und zuckte die Achseln.
 


 

Tja, das Hauptproblem ist beseitigt würde ich mal sagen. Jetzt klingt's noch aus, und dann war's das. Nach meinen absolut präzisen Berechnungen kommt jetzt noch ein längeres Kapitel und ein ganz kurzes so zum Abschluss. Ich hoffe, dass ihr mir gewogen bleibt.
 

Hab euch lieb
 

Myrys

Kapitel 21 - Schatten der Vergangenheit

So, meine Süßen, das hier ist das vorletzte Kapitel. Durchhalten, bald ist es geschafft. Bis dahin wünsch ich euch viel Spaß dabei. ^^
 

Kapitel 21

Schatten der Vergangenheit
 

Nachdem sie sich gewaschen und etwas ausgeruht hatten, begaben sich Rean, Tharas und Llandon in den Thronsaal, wie ihnen geheißen worden war. Dort erzählten sie abwechselnd den gespannten Zuhörern, die aus dem gesamten Volk von Eredrion zu bestehen schien, ihre schier unglaubliche Geschichte. Oft wurden sie von "Oohs" und "Aahs" unterbrochen. Einige Details, so wie zum Beispiel die Liebesgeschichte zwischen Rean und Tharas, verschwiegen sie allerdings. Als sie geendet hatten, versank die Sonne bereits rot im Westen und Fackeln wurden entzündet, um die einbrechende Dunkelheit zu vertreiben.
 

König Feorn schwieg lange. Er hatte viel gehört, und das musste er erst einmal verarbeiten. Sein Blick verweilte lange auf seinem jüngsten Sohn, der so gar nicht mehr wie der kleine Junge aus seiner Erinnerung aussah. Schließlich sagte er: "Rean, Rean, Rean. Du bist tatsächlich der letzte, von dem ich solche Heldentaten erwartet hätte, das gebe ich zu. Dennoch scheint es, als hättest du mehr von deinem Vater, als mir bis jetzt bewusst war. Ich bin unheimlich stolz auf dich. Und ich denke, ich spreche für das ganze Volk, wenn ich dir und deinen Freunden unseren tiefsten Dank ausspreche.

Dennoch, es ist ein zweischneidiges Schwert, dass ihr uns jetzt aufgeweckt habt. Das Vieh verendet, die Ernten verdorrt auf den Feldern. Wirklich, ein ungünstiger Zeitpunkt. Wie sollen wir denn über den Winter, der ja bekanntlich vor der Tür steht, kommen, ohne Vorräte?"
 

"Arc wird helfen", versicherte Llandon. Feorn sah ihn zweifelnd an.

"Dieses Jahr war ein Jahr des Überflusses", erklärte der König von Arc. "Die Erträge waren so hoch, dass wir es uns ohne Probleme leisten können, euch mit Lebensmitteln und auch Brennholz zu versorgen, sodass ihr problemlos über den Winter kommt. Und im Frühjahr, wenn der Schnee geschmolzen ist, werden wir Arbeiter entsenden, die euch helfen werden, alles wieder instand zu setzen. Darauf habt Ihr mein Wort."

"Einverstanden", antwortete Feorn. "Euere Hilfe kommt wirklich zur rechten Zeit. Ich denke, wir hatten eine Hochzeit vorbereitet. Die wird wohl bis zum nächsten Frühjahr warten müssen. Dennoch wäre es eine Schande, das gute Essen verkommen zu lassen, von dem mir der Koch versicherte, es sei noch einwandfrei (Dank Bannkreis ^^). Was haltet ihr von einer Feier zu Ehren der Helden von Eredrion, die ein ganzes Volk gerettet haben?"
 

Damit waren alle nur zu einverstanden, denn wenn man ein halbes Jahr nichts mehr gegessen hat, knurrt der Magen ganz schön. Reans Familie war unheimlich stolz auf ihn, vor allem seine beiden Brüder und sein Vater. Doch auch die Ritter des Reiches – drei an der Zahl – konnten gar nicht genug bekommen von den Abenteuern, die der junge Prinz bestritten hatte. Ständig war er von ihnen umringt und musste wieder und wieder erzählen, wie er die Wölfe bekämpft, die Rätsel des Atan gelöst und schließlich den Basilisken getötet hatte, woran alle anderen gescheitert waren.
 

Während der Feier kam Feorn, leicht alkoholselig, auf Llandon zu und sagte: "Fürwahr, es ist eine Schande. Wir haben Euch und Euerem Sohn gar nichts anzubieten, um Euch zu danken. Also wenn Ihr einen Wunsch habt, so braucht Ihr ihn nur zu nennen. Er soll Euch gewährt werden. Also raus damit, alter Junge. Was hättet Ihr gerne? Sofern es in meiner Macht steht, gebe ich es Euch." Er legte kameradschaftlich seinen Arm um Llandons Schulter. Diesem kam sofort eine Idee.
 

"Gebt mir Rean mit", forderte er ungeniert. Feorn stierte ihn schockiert aus glasigen Augen an.

"Was wollt Ihr?", grölte er, sodass er im Umkreis von zehn Metern locker zu hören war, "mein eigen Fleisch und Blut wollt Ihr haben? Wer weiß, was Ihr mit dem Jungen anstellt!"

"Nun beruhigt Euch doch erst einmal", beschwichtigte der Magier. "Ich will ihn doch nicht für mich. Außerdem, was denkt Ihr denn von mir? Ich habe kein Interesse an kleinen Jungen. Nein, was ich meinte, war Folgendes: Lasst ihn mit mir und Tharas nach Arc kommen."

"Und wieso?", hakte Reans Vater immer noch misstrauisch, jedoch bedeutend leiser nach.
 

Knapp hinter ihm stand Fegowan und belauschte interessiert ihr Gespräch.
 

"Schaut sie Euch doch an", antwortete Llandon und deutete auf die beiden Prinzen, die nah beieinander standen und in eine eigene Welt versunken schienen. "Sie haben viel miteinander durchgemacht. Es wird wohl unmöglich sein, sie zu trennen."

"Ach was. Rean ist ein Mann. Er wird das schon verschmerzen. Und Euer Sohn macht mir auch nicht den Eindruck, als würde er den meinen so schnell vermissen."

"Täuscht Euch nicht", fuhr Llandon unbeirrt fort. "Habt nicht auch Ihr Waffenbrüder, enge Freunde, deren Freundschaft und Loyalität Euch sogar wichtiger ist, als die Liebe Euerer Frau? Ich denke, jeder Soldat hat solche Freunde. Die beiden jetzt zu trennen wäre ein großer Fehler. Sie müssen ihre Abenteuer zusammen verarbeiten. Meint Ihr nicht auch?"
 

Feorn grübelte einige Augenblicke, dann sagte er: "Gut. Da habt Ihr vielleicht Recht. Wisst Ihr…", fügte er hinzu und grinste breit, "… wäre Rean ein Mädchen geworden, ich hätte längst alle möglichen Schritte unternommen, ihn mit Tharas zu verheiraten. Ich werde die Entscheidung einfach Rean überlassen."

Doch kaum hatte Llandon sich abgewandt, hatte Feorn vergessen, was er gerade gesagt hatte.
 

Nach zwei Tagen Aufenthalt beschloss Llandon, dass es Zeit war, nach Hause zu reiten. Er hatte, im Gegensatz zu Feorn, Tharas erzählt, was er mit dem König von Eredrion auf der Feier besprochen hatte. Rean hingegen hatte immer noch keine Ahnung.
 

Die beiden Prinzen standen zusammen in Reans Zimmer, um sich zu verabschieden. Die Stunde des Aufbruchs war da.

"Was hast du jetzt vor?", fragte Tharas, darauf vertrauend, dass Feorn mit seinem Sohn gesprochen hatte.

"Na ja, es ist jetzt zum ersten Mal in meinem Leben so, dass sie so etwas wie einen Helden in mir sehen. Ich bin nicht mehr unsichtbar und das ist ein unheimlich tolles Gefühl", antwortete sein Liebster.

"Du bleibst also hier und genießt noch ein wenig deinen Ruhm", stellte der Magier fest und lächelte dabei verständnisvoll, obwohl er so sehr gehofft hatte, Rean würde mit ihm kommen.

"Ja. Oh, Tharas, kannst du nicht einfach bei mir bleiben? Wenigstens noch ein wenig?", bat Rean.

Dieser meinte: "Auch ich habe meine Mutter lange Zeit nicht mehr gesehen. Außerdem bin ich immer noch der Thronfolger von Arc. Es ist meine Pflicht, zurückzukehren, jetzt, da meine Mission erfüllt ist."

"Ich verstehe", murmelte der kleine Prinz. Auch er war enttäuscht, denn er hatte gehofft, dass Tharas ihn fragen würde, ob er mitkommen wollte. Doch das war nicht geschehen. War ihre Liebe doch nicht so groß, wie er geglaubt hatte?
 

"Also dann", sagte Tharas, "Vater wartet unten im Stall auf mich. Aber Rean, du kannst immer zu mir kommen, wenn du willst." Rean nickte nur zur Antwort. Tharas war enttäuscht. Das war überhaupt nicht die Reaktion mit der er gerechnet hätte. Er sagte nur noch kurz "Leb wohl", und ging.
 

Rean stand am Fenster und blickte hinaus in den Innenhof. Damals hatte er Tharas von diesem Fenster aus zum ersten Mal gesehen und er hatte ihm sofort gefallen. Wahrscheinlich, so dachte er, war diese kleine, kindische Schwärmerei, die er damals gefühlt hatte, der Anfang seiner Liebe gewesen. Warum musste jetzt alles so abrupt enden?
 

Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken und er rief: "Herein!" Er hoffte, dass es Tharas war, der ihm sagte, dass er ihn liebte und ihn bei sich haben wollte, doch seine Hoffnung wurde bitter enttäuscht, denn herein kam seine Mutter.
 

"Ich hoffe, ich störe nicht", sagte sie sanft. Rean liebte ihre Stimme. Als Kind hatte er es geliebt, wenn sie ihm vorgelesen hatte. Er schüttelte den Kopf und starrte weiter aus dem Fenster.

"Ich dachte immer…", begann Rianna und trat neben ihn, "… dass du so anders bist, als wir alle. Doch in Wirklichkeit bist du mir ähnlicher als irgendjemandem sonst. Es ist schon fast unheimlich."
 

Rean reagierte nicht. Er wusste nicht, worauf seine Mutter hinaus wollte, doch er hatte keine Lust, danach zu fragen. Er vermisste Tharas jetzt schon.

"Sie haben eine unglaubliche Anziehungskraft, diese schwarzen Magier. Haben sie dich einmal eingefangen, lassen sie dich nie wieder gehen", sagte die Königin leise. Diese Äußerung machte Rean neugierig und verunsicherte ihn gleichzeitig. Wusste sie etwa…? "Wie meinst du das?", fragte er.

"Ich gehe doch richtig in der Annahme, dass du dich in Tharas verliebt hast?", fragte sie zurück und musterte ihren Sohn. Rean errötete.

"Hab ich mir gedacht", fuhr sie fort. "Der Blick, mit dem du ihn ansiehst ist ganz eindeutig. Du hast Glück, dass dein Vater und deine Brüder dumme, grobe Reibeisen sind, denen so etwas nicht auffällt."

"Wieso bist du dir so sicher, dass es Liebe ist?", erkundigte sich der junge Prinz.

"Es ist das gleiche Gefühl, das ich empfinde", lächelte Rianna.

"Zu Tharas?!?", fragte Rean verwirrt.

"Rede doch keinen Unsinn, Junge", tadelte sie. "Ich meine einen anderen schwarzen Magier…"

"Llandon…", stellte Rean fest.
 

"Wusstest du eigentlich…", erzählte die Königin, "… dass Liawen, Tharas Mutter, und ich, Cousinen sind?" Rean schüttelte den Kopf. "Es ist wahr", fuhr Rianna fort. "Unsere Mütter waren Schwestern. Ich bin in Arc aufgewachsen. Liawen war damals schon Kronprinzessin und ich ihre beste Freundin und Spielgefährtin. Ich war damals etwa so alt, wie du jetzt, etwas jünger, Liawen drei Jahre älter als ich.
 

Die Menschen befanden sich im Krieg mit Llandon, dem schlimmsten schwarzen Magier aller Zeiten. Von der umkämpften Andwynbrücke her hörten wir den Lärm der Schlacht und fragten uns, ob unser Volk überleben würde. Liawen war immer sehr jungenhaft gewesen. Sie hätte am liebsten an vorderster Front mitgekämpft, wohingegen ich schüchtern und ängstlich war.
 

Dann erfuhren wir von einem Boten, dass das Heer des Feindes auf dem Rückzug war, da einer unserer Soldaten den Anführer verletzt hatte. Liawen war sofort Feuer und Flamme für die Idee, dem feindlichen Heer beim Rückzug zuzusehen und ich zu schwach oder zu schüchtern, um Widerspruch einzulegen, also schlichen wir uns durch einen Geheimgang, der von der großen Halle aus nach unten führt, zur Andwynbrücke. Dort kletterten wir nach oben und sahen uns um. Ich wollte mich nicht zu weit vom Ausgang weg entfernen, doch Liawen war zu dominant. Sie wollte unbedingt mindestens eine Leiche sehen, deshalb pirschten wir durchs Unterholz näher ans Schlachtfeld heran. Doch weit kamen wir nicht, denn plötzlich hörten wir knapp vor uns ein Stöhnen, als würde jemand Todesqualen leiden.
 

Vorsichtig lugten wir über die Hecke vor uns und da lag er: Der schönste Mann, den wir jemals gesehen hatten. Sein Gesicht war schmerzverzerrt und er hatte eine schlimme Kopfwunde, die stark blutete. Er sah nicht älter aus als höchstens dreißig, also noch ziemlich jung. Llandon musste, nach unserer Auffassung, mindestens sechzig und somit ein alter Mann sein. Das Haar des Verwundeten war hüftlang und tiefschwarz. Auch seine Rüstung und sein Schwert waren schwarz und ich sagte damals zu meiner Cousine: "Das ist ein Feind. Lass ihn liegen, sonst tötet er uns, bitte, Liawen." Doch sie war schon über die Hecke gestiegen und riss ihren Unterrock in Fetzen, um seine Wunde zu verbinden. "Nun komm schon und hilf mir! Wir können ihn hier nicht liegen lassen!", rief sie mir zu.
 

Wieder einmal beugte ich mich ihrem Willen. Gemeinsam schleiften wir ihn in eine kleine Höhle in der Nähe. Dort versorgten wir seine Wunden. Lange Zeit schlief er. Ich hatte furchtbare Angst, als Liawen sagte, sie wolle frisches Wasser holen und sei gleich wieder da, doch schon war sie fort und ließ mich mit ihm allein. Ich hoffte, er würde nicht aufwachen, bevor sie zurück war, doch kurz bevor sie zurückkam, schlug er die Augen auf. Da war es um mich geschehen. Seine tiefgrünen Augen irrten ziellos umher, dann fiel sein Blick auf mich. Er versuchte zu sprechen und es klang wie "Wasser". Gleich kam Liawen und gab ihm welches.
 

Erst kümmerten wir uns gemeinsam um ihn, dann wechselten wir uns ab, weil wir in ihm keinen schlechten Menschen sahen und ihm vertrauten. Zwei Wochen ging das so. Seinen Namen wussten wir immer noch nicht. Er hatte ihn uns nie gesagt. Dann, als ich wieder einmal mit ihm allein war, raffte ich meinen ganzen Mut zusammen und gestand ihm meine Liebe. Er sah mich überrascht an, dann strich er sanft über meine Wange und sagte, dass ihn das sehr ehren würde, aber er könne meine Gefühle nicht erwidern, weil er schon jemand anderen liebte.
 

Am nächsten Tag, als ich Liawen ablösen wollte, erkannte ich, wen. Es regnet und das Echo des Regens übertönte meine Schritte, als ich in die Höhle kam. Da sah ich, wie er Liawen küsste. Ich lief wieder hinaus in den Regen. Mein Herz war gebrochen, doch ich war machtlos.
 

Kurze Zeit später heirateten die beiden, und das gab vielleicht ein "Hallo". Die Prinzessin von Arc und Llandon, der schwarze Magier. Ja, da erfuhr ich, wer er wirklich war. Ich habe ihnen Glück gewünscht und gleich im darauf folgenden Monat der Verlobung mit deinem Vater zugestimmt, den ich auf der Hochzeit kennen gelernt hatte. Mit der Zeit habe ich ihn zu mögen gelernt, trotz seiner rauen und ungehobelten Art. Doch meine einzige Liebe ist und bleibt Llandon." Sie seufzte schwer.
 

"Mutter…", sagte Rean sanft und legte eine Hand auf ihre Schulter, doch sie sagte: "Ist schon gut. Für mich ist es zu spät, und ich bin darüber hinweg. Ich habe damals einen Fehler gemacht. Ich hätte kämpfen sollen, dann wäre vielleicht alles anders gelaufen. Aber du hast das Glück, dass dein Magier dich ebenso liebt, wie du ihn. Deshalb: Mach nicht meinen Fehler und lass ihn ziehen. Geh mit ihm."

"Meinst du das ernst?", rief Rean überrascht.

"Na nun geh schon. Halt ihn auf, sonst ist er weg. Ich bringe dir ein paar Sachen nach unten. Beeil dich jetzt." Sie drückte kurz seine Hand, dann riss Rean die Tür auf und stürmte die Treppen hinunter und über den Hof.
 

Unterwegs stieß er fast mit einem Stallburschen zusammen. "Ist der Herr Tharas noch da?", schrie er ihn fast an. Der arme Tropf, völlig überrumpelt, stammelte nur: "J… ja, Herr. E…. er ist noch im… Stall."
 

Er ließ den verdutzten Stallburschen hinter sich und lief zum Stall. In der Tür blieb er stehen und rief nach Tharas.

Dieser war gerade dabei gewesen, sein Pferd zu beladen. Ob Reans plötzlichen Auftauchens war er etwas überrascht.

Llandon, der neben seinem Sohn stand, lächelte und sagte: "Ich warte draußen auf dich." Er nahm sein Pferd am Zügel und führte es an Rean vorbei hinaus.
 

"Was ist denn noch, Rean?", fragte Tharas verwirrt.

"Ich hab vergessen, dir was zu geben…"

"Und das wäre?"

Ehe er sich versah, hatte Rean die Distanz zwischen ihnen überwunden, legte seine Arme um ihn und küsste ihn. "Ich liebe dich", hauchte er. "Und ich möchte mit dir nach Arc kommen. Ist mir völlig egal, was alle anderen dazu sagen." Tharas Strahlen entnahm er, dass es diesem nur allzu Recht war.
 

"Wusste ich doch, dass ich mich nicht verhört habe. Gut, dass Vater und Feorin taube Schwachköpfe sind", erklang eine tiefe Stimme aus dem hinteren Teil des Stalls.

"Fegowan", sagte Rean entsetzt und löste sich blitzartig von Tharas.

"Ist schon gut", erwiderte sein Bruder und kam näher, während er beschwichtigend die Hände hob. "Du musst dich nicht schämen. Liebe ist Liebe, egal in welcher Form. Weißt du, insgeheim denke ich schon seit mehreren Jahren, dass ihr beide ein schönes Paar wärt. Und Vater denkt das übrigens auch."
 

Auf den fragenden Blick der beiden hin lächelte er und erklärte: "Hat Vater auf der Feier Llandon gegenüber erwähnt. Er sagte, dass er dich, wenn du ein Mädchen gewesen wärst, längst mit Tharas verheiratet hätte. In Anbetracht seiner geringen Intelligenz würde ich das als Zustimmung werten."

"Wirklich?", fragte Rean.

"Ja. Außerdem hat Llandon angefragt, ob er dich mitnehmen kann, doch Vater wollte dir die Entscheidung überlassen. Ich denke mal, bei seinem vom Alkohol vernebelten Gehirn hat er einfach vergessen, dich zu fragen, deshalb habe ich dich gesucht, um mich rückzuversichern, dass er dich gefragt hat. Aber wie ich sehe, hat sich alles von selbst geregelt."

"Und du hast wirklich kein Problem damit?", erkundigte sich sein kleiner Bruder.

"Nein. Ich würde für meine Verlobte alles tun, sogar die Welt aus den Angeln heben. Du hast deinen Liebsten schon vor allem möglichen gerettet. Das ist mehr, als ich von mir behaupten kann. Außerdem: Besser, du gehst jetzt und als Held und wirst glücklich. Meinen Segen hast du. Der zählt zwar nicht viel, aber trotzdem. Ich wünsche euch beiden alles Gute." Er lächelte freundlich.
 

"Fegowan…",flüsterte Rean, fiel seinem Bruder um den Hals und drückte ihn an sich. "Vergib mir, bitte. Ich hab dich immer für einen gefühllosen Holzklotz gehalten. Das tut mir so Leid."

Fegowan wusste nicht so recht, wie er mit der Umarmung umgehen sollte, doch er drückte seinen kleinen Bruder kurz und sagte: "Schon vergeben. Ich hab dich doch lieb, du kleine Heulsuse. Übrigens hab ich schon mal dein Pferd gesattelt. Es steht da hinten und ist bereit."
 

Draußen wartete Llandon ungeduldig auf seinen Sohn. 'Wo bleibt der bloß so lange? Machen die noch einen kleinen Abstecher ins Heu oder was?', dachte er.
 

Dann sah er Rianna mit einer großen Tasche, die für diese zierliche Frau, der Rean so ähnlich sah, viel zu schwer schien, aus der Tür treten. Schnell lief er über den Hof und nahm sie ihr ab. "Danke", keuchte sie.

"Keine Ursache", gab er zurück. Bildete er sich das ein oder wurde sie rot? Sie war wirklich genau wie ihr Sohn.

"Wohin mit diesem riesigen Ding?", fragte er.

"Das ist Reans Tasche. Wenn er mit euch kommt, muss er doch alles dabei haben", erklärte sie, während sie nebeneinander über den Hof gingen.
 

"Er kommt mit? Deswegen ist er also gekommen. Wenn mich nicht alles täuscht, ist das dein Verdienst, hab ich Recht, Rianna?"

"Stimmt. Ich wollte, dass er glücklich wird", antwortete die Königin und lächelte.

"Ich habe mich nie bei dir entschuldigt…", sagte Llandon nachdenklich.

"Wofür?", Ihre großen blauen Augen blickten ihn verwirrt an.
 

"Dein Herz gebrochen zu haben. Ich hätte von Anfang an reinen Tisch machen sollen. Ich weiß, dass du uns damals in der Höhle gesehen hast. Ja, ich wusste, dass du da warst. Es war meine Schuld. Hätte ich dir doch gleich die Wahrheit gesagt. Vielleicht hättest du dann einen Mann gefunden, der deiner würdig ist. Nicht dieser ungeschlachte, dämliche, hässliche Holzkopf. Ich weiß, du hast ihn nur aus Trotz geheiratet. Ich habe dein Leben versaut und das tut mir unglaublich Leid, Rianna. Vergibst du mir?"
 

"Da gibt es nichts zu vergeben, Llandon. Ich habe einen Mann, der mich liebt, drei wunderbare Kinder, ich bin die Königin eines kleinen aber feinen Reiches. Ich kann mich nicht beschweren", erklärte sie und lächelte. "Es stimmt, am Anfang war es wirklich nur Trotz, du musst bedenken, dass ich erst sechzehn war. Doch im Laufe der Zeit habe ich mein Leben zu lieben gelernt, so, wie es jetzt ist. Glaub mir, ich bin zufrieden."

"Du warst schon immer zu gutmütig für diese Welt. Auch für mich. Liawen ist eine starke Frau, die auch mit meinen großen Fehlern zurechtkommt und mir die Stirn bietet. Doch ich glaube, du wärst an mir zerbrochen. Damals schon warst du so zart. Ich hatte wirklich Angst, jemand könnte dir wehtun. Ich liebe dich, Rianna, aber wie eine kleine Schwester."

Sie seufzte, schaute zum Himmel und schloss ihre Augen. Als sie sie wieder öffnete, schwammen Tränen darin. "Danke, dass du mir das gesagt hast", flüsterte sie. Llandon konnte ihre Tränen nicht ertragen und nahm sie in den Arm.
 

Einige Augenblicke später kamen Rean und Tharas, gefolgt von Fegowan aus dem Stall und wunderten sich. Tharas und Fegowan mehr als Rean, der die Geschichte kannte.
 

"Seid ihr bereit?", fragte Llandon. Die beiden nickten zustimmend. Rean umarmte noch einmal seine Mutter, drückte Fegowan kurz, der unterdrückt schniefte und schwang sich auf sein Pferd. "Lebt wohl", sagte er. Er und Tharas wandten ihre Pferde und ritten voraus. Llandon nickte Rianna noch einmal mit einem versöhnlichen Lächeln zu, dann folgte er den Prinzen, die Eredrion niemals wieder sehen würden.
 

Auch, wenn ich es sonst nicht extra erwähne: Kommis bitte. ^^ Macht eine arme, unschuldige Autorin glücklich. Büddööööö.

Kapitel 22 - Am Ende

Meine Lieben, tqftm ist mit diesem Kapitel abgeschlossen. Kein Rean und kein Tharas mehr. Über ein Jahr lang habe ich an dieser Geschichte gebastelt, von der ersten Grundidee bis zur fertigen Fassung, die nun vorliegt. Für mich ist es ein Abschied von meinen geliebten Prinzen. Ich werde sie vermissen.
 

Mein neues Projekt "Diener der Nacht" steht aber schon in den Startlöchern. Es ist eine Vampirstory und - natürlich - Shounen-ai. ^^
 

In diesem Sinne, viel Spaß mit dem letzten Kapitel von "The quest for the mandrake".
 

Hab euch lieb
 

Myrys
 

Kapitel 22

Am Ende
 

Bei ihrer nächsten Rast fragte Llandon unvermittelt: "Wie soll das jetzt eigentlich weitergehen mit euch beiden?"

"Wieso? Rean kommt mit nach Arc, wo wir zusammen leben werden. Klar, wir werden nicht mehr so viel Zeit füreinander haben, weil ich meine Pflicht als Thronfolger wieder aufnehmen muss, aber…"

"Siehst du! Genau da liegt das Problem", unterbrach der Magier seinen Sohn.

"Warum?", fragte Rean.

"Ja glaubt ihr denn, dass die dort mit euerer Beziehung einverstanden wären? Im Gegenteil. Eines kann ich dir jetzt schon sagen, Tharas: Sobald du wieder den Boden der Herrscherburg betrittst, suchen sie dir eine Braut. Du bist unverletzt von einem Himmelfahrtskommando zurückgekommen, gut und schön. Doch das Volk ruft nach einem Thronfolger. Ein Kind von dir. Den kann dir Rean beim besten Willen nicht bieten. Worauf ich hinaus will: In der Welt der Menschen hat euere Beziehung nicht den Hauch einer Chance. Entweder, ihr würdet euere Liebe verleugnen oder ihr würdet zu Geächteten."

"Und was sollen wir deiner Meinung nach tun?", fragte Tharas.

"Geht dahin, wo ihr keine Probleme damit habt. Dahin, wo der Körper nicht das ist, was zählt, sondern die Seele", schlug der König vor und grinste.

"Die Elfen", murmelte Rean.

"Richtig. Soweit ich weiß, ist da ein gewisser honigblonder junger Mann, der sich sehr freuen wird, euch wieder zu sehen."

"Also werde ich Mutter nie wieder sehen?", fragte der Prinz von Arc bekümmert.

"Schreib ihr ein paar Zeilen. Ich denke, das dürfte reichen. Setz ihr deine Gründe gut auseinander und das war's", sagte Llandon.

"Meinst du?", wollte Tharas wissen.

"Aber sicher."

"Und was ist mit der Thronfolgersache?"

"Da fällt mir schon was ein", antwortete Llandon und bleckte seine weißen Zähne.
 

Als Llandon wieder nach Hause in die Herrscherburg kam, fragte er sofort den nächsten verfügbaren Diener: "Wo ist die Königin?"

"In ihren Gemächern, Herr", antwortete dieser.

"Hervorragend. Danke", gab Llandon zurück und stürmte die Stufen zu den Gemächern seiner Frau hinauf.
 

Dort machte er sich zwar höflichkeitshalber die Mühe, anzuklopfen, wartete aber keine Reaktion ab, sondern trat gleich ein. Liawen saß auf einem Stuhl beim Fenster, umgeben von ihren Hofdamen.

"Raus mit euch allen! Das wird ein ernstes Privatgespräch", rief er und scheuchte die Hofdamen davon.
 

"Warum machst du so einen Aufstand?", fragte Liawen gelassen und schaute von ihrer Stickerei auf. Llandon reagierte nicht darauf. Er kam nur mit ernstem Blick auf sie zu. Knapp vor ihrem Stuhl blieb er stehen. Er wischte die Stickerei von ihrem Schoß, achtete dabei nicht auf ihren Protest, zog sie hoch und küsste sie. Liawen jedoch zappelte und schlug mit ihren Fäusten eher symbolisch auf ihn ein, was ihr wenig brachte, denn er hielt sie einfach an den Handgelenken fest.
 

"Was soll das?", fragte sie, als sie sich schwer atmend aus seinem Kuss befreit hatte.

"Zieh dich aus", raunte er ihr zu.

"Was?", rief sie entsetzt.

"Zieh dich aus. Wir brauchen ein Kind", sagte Llandon ruhig.

"Ein Kind? Was ist mit Tharas? Wenn du mir jetzt sagst, dass er tot ist, dann kannst du vergessen, dass ich mich überhaupt jemals wieder ausziehen werde, wenn du im Umkreis von einer Meile bist!"

Llandon grinste nur. "Er ist nicht tot. Im Gegenteil, er ist lebendiger denn je."

"Wo ist er dann?", fragte Liawen und musterte ihren Mann, der sie immer noch festhielt, misstrauisch.

"Durchgebrannt", erwiderte dieser schlicht.

"Wie, durchgebrannt?"

"Mit seiner Liebe durchgebrannt, um nie mehr wiederzukommen."

"Liebe? Das heißt, er hat unterwegs ein nettes, aber unstandesgemäßes Mädchen kennen gelernt?"

"Nein."

"Nein? Was heißt nein? Llandon, du machst mich langsam wahnsinnig! Jetzt rede endlich, sonst siehst du meine Haut nie wieder, klar?" Ihr Zeigefinger bohrte sich schmerzhaft in seine Brust.
 

"Also gut. Du kennst seine Liebe bereits. Es ist ein hübscher junger Mann mit großen, dunkelblauen Augen und dunkelbraunem Haar. Der Sohn deiner Cousine."

"Rean? Du willst mir allen Ernstes sagen, dass unser einziger Sohn mit einem Jungen durchgebrannt ist?" Sie schnappte fassungslos nach Luft. Der Magier nickte nur. "Aber wie…?", stammelte sie.

"Zu Pferd, wie sonst. Aber du weißt doch, die Liebe geht oft seltsame Wege. Er hat dir übrigens einen Brief geschrieben, aber dazu später. Tatsache ist, dass die beiden sich lieben und ich habe sie gehen lassen. Dorthin, wo die Tatsache, dass sie beide Männer sind, niemanden stört. Ein Ort, an dem sie niemand erreichen kann, nicht einmal ich. Und deswegen: Zieh dich aus, wir brauchen ein Kind."
 

Tatsächlich wurde dem Königreich von Arc neun Monate später ein hübscher Junge geboren, doch bei diesem stand fest, dass er niemals magische Kräfte haben würde. Ein ganz normales Kind eben.
 

Und was wurde aus seinem großen Bruder und Rean?
 

Nach einer langen Reise vorbei an einem erfreuten Wirt, der sich tausendmal für die Beseitigung der Banditen bedankte und über verschneite, trollfreie Berge erreichten die beiden Prinzen die Wälder von Argaye, diesmal war die Begrüßung jedoch eindeutig freundlicher. Melean brach beinahe in Tränen aus und zog sie beide nacheinander fest an sich, wobei er darauf bedacht war, möglichst nicht Tharas Haut zu berühren.
 

Nachdem sie länger als ein Jahr bei den Elfen gelebt hatten, kam Tharas eines Abends auf Rean zu, ging vor ihm auf die Knie und sagte: "Rean, wir kennen uns schon ziemlich lange und wir wissen, dass wir füreinander bestimmt sind. Ich liebe dich mehr als mein eigenes Leben und möchte keinen einzigen Tag mehr ohne dich sein. Willst du mich heiraten?"

"Ja, ich will", antwortete Rean und fiel seinem Liebsten um den Hals. Sofort hörten sie von Gegenüber aus dem großen Haus ein lautes, freudiges Kreischen. "Melean…", stöhnte Tharas.
 

Tatsächlich hatte Melean alles mitbekommen, als er auf dem Balkon gestanden hatte. Warum ließen die beiden aber auch immer das Licht brennen und die Fenster offen?

Er hüpfte vor Freude auf und ab und freute sich wie ein kleines Kind. "Sie tun es, sie tun es, sie tun es!", rief er, warf die Arme über den Kopf und tanzte im Zimmer umher.

"Aber doch nicht zum ersten Mal", meckerte Aures. "Außerdem geht dich das gar nichts an, mein Schatz."

"Das mein ich doch gar nicht. Sie heiraten", freute sich Melean weiter. Er wirbelte durch das Schlafzimmer, schubste bei dieser Gelegenheit Aures aufs Bett, sprang auf seinen Schoß und sagte verführerisch: "Aber zu dem das du meintest. Willst du?"
 

Einen Monat später fand die Hochzeit statt. Melean hatte sich als Reans Brautführer/Trauzeuge angeboten und führte diese Aufgabe sehr gewissenhaft aus. Tharas Trauzeuge war niemand anderes als Yaros, der zusammen mit Soley aus dem Westen gekommen war, denn sie wollten sich dieses Fest auf gar keinen Fall entgehen lassen.
 

"Was hast du?", fragte Yaros Tharas, als dieser zum bestimmt tausendsten Mal an diesem Tag aus dem Fenster sah, als würde er jemanden erwarten.

"Nichts. Gar nichts", antwortete dieser geistesabwesend.

"Nervenflattern", diagnostizierte Yaros nickend. "Aber keine Sorge. Rean wird schon eine schöne Braut werden. Wobei, was heißt Braut. Er hat im Prinzip genau das gleiche weiße Gewand an wie du. Nur, dass er einen Kranz mit weißen Blüten im Haar hat, und du einen mit roten. Weißt du, ich denke, ich bin bei meiner Hochzeit mal genauso nervös,… "

"Yaros?"

"Ja?"

"Halt die Klappe."

"Oh. Ist gut. Bin schon ruhig."
 

Was wirklich in ihm vorging, konnte er Yaros nicht sagen. Er hatte heimlich den Wald von Argaye verlassen, um seinem Vater eine Einladung zukommen zu lassen, doch er hatte nichts von ihm gehört. Vielleicht war es Llandon auch zu gefährlich, zu kommen. Trotzdem hatte er gehofft, er würde es irgendwie schaffen.

Aures erschien in der Hütte und fragte: "Seid ihr bereit?"

"Sind wir", erklärte Tharas.

"Gut, dann kommt bitte mit nach unten."
 

Die Elfen des Dorfes trugen allesamt ihre buntesten Festgewänder. Nur das Brautpaar hatte heute das Recht, weiß zu tragen. Sie waren wunderschön anzusehen. Doch plötzlich spürte Tharas ein kleines Ziehen in seinem Nacken und ein Raunen ging durch die Menge. Aufgeregt fuhr er herum. Am Rand des Dorfes erschien ein schwarzes Pferd. Der Reiter war schwarz gekleidet und sein schwarzes, von einer großen, weißen Strähne durchzogenes Haar wehte hinter ihm her.
 

"Vater…", hauchte er. So schnell er konnte, lief er dem Reiter entgegen. Tatsächlich, Llandon grinste ihn unverkennbar an.

"Du bist gekommen!", freute er sich.

"Natürlich. Ich muss doch zur Hochzeit meines ältesten Sohnes kommen", erklärte Llandon, stieg vom Pferd und führte es am Zügel neben seinem Sohn weiter.

"Dein ältester Sohn?", fragte Tharas nach.
 

"Ja. Du hast einen kleinen Bruder. Er heißt Learath und ist jetzt ein halbes Jahr alt. Deswegen ist deine Mutter auch nicht dabei. Ich habe Reans Mutter gefragt, ob sie mitkommen will, doch sie sagte, es wäre zu auffällig, wenn sie zu seiner Hochzeit ginge, sein Vater bliebe jedoch ausgeschlossen. Der alte Kauz weiß bis heute nichts von euch beiden. Fegowan hat dicht gehalten. Der ist mittlerweile übrigens auch verheiratet."

"Rean wird sich freuen, das zu hören. Wir sind hier doch etwas weit weg von der Welt. Es stört uns aber auch nicht wirklich."

"Das ist gut. Wie ich sehe, habt ihr euch gut eingefügt. Doch ich weiß nicht, ob das auch für mich gilt…", sagte er mit Bezug auf Aures ernstes Gesicht.
 

Der Fürst der Elfen kam gemessenen Schrittes auf sie zu. Direkt vor Llandon blieb er stehen und blickte ihm fest in die Augen. Dann streckte er ihm die Hand entgegen. "Wenn die Menschen dir vergeben können, obwohl du für sie die weitaus größere Plage warst, dann sollten wir Elfen das erst recht können", sagte er. Llandon schlüpfte aus seinem Handschuh und drückte kurz aber kräftig Aures Hand. Nur Tharas spürte leicht den Schmerz, der seinen Vater durchzog, doch er verstand die Geste. Er hatte den Elfen bedeutet, dass sie eine größere Gefahr für ihn waren als umgekehrt, er ihnen jedoch vertraute.

So wurde der Frieden zwischen Llandon und dem Volk der Elfen besiegelt.
 

Rean freute sich unheimlich, Llandon zu sehen. Die Trauung, die von Aures vollzogen wurde, war wunderschön und beim Kuss brach Melean in Tränen aus. Gefeiert wurde bis zum nächsten Morgen. Llandon verabschiedete sich am darauf folgenden Tag.
 

Die beiden Prinzen im Exil besuchten ihn noch einmal auf halbem Weg zwischen Argaye und Arc und Tharas lernte seinen Bruder Learath kennen. Sie kehrten daraufhin nach Argaye zurück und wurden nie wieder unter den Menschen gesehen.
 

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
 

ENDE



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Kommentare zu dieser Fanfic (31)
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Von: abgemeldet
2015-01-03T10:27:17+00:00 03.01.2015 11:27
Obwohl deine FF schon 7 Jahre alt ist, finde ich sie trotzdem echt genial. Ich hab sie ersz jetzt gelesen und bin total begeistert von ihr. Ich bin echt glücklich das Tharas doch nicht gestorben ist und das sie am Ende auch noch zusammen bleiben konnten.
LG StrangeHero
Von:  natchan29
2013-06-11T22:31:02+00:00 12.06.2013 00:31
Eine wirklich sehr schöne Geschichte!!!! Konnte sie kaum von der Hand legen bis ich sie durch hatte. Sehr schön geschrieben. Sehr liebevoll. Die Charaktere sind mir sehr ans Herz gewachsen. Ich konnte mich gut in ihre Abenteuer und deren Emotionen hinein versetzen. Richtig romantisch!!!^_^

In dem Sinne, weiter so!!

Lg
Natchan
Von:  MaiRaike
2009-09-28T00:36:05+00:00 28.09.2009 02:36
Ein wirklich schönes Märchen.
Was mich etwas gestört hat, war der Basilisk.
Aber der hat mich bereits bei Harry Potter gestört.
Ich weiß nicht, woher Mrs. Rowling ihre Informationen über Basilisken her hat, oder ob sie einfach den versteinernden Blick übernommen hat und den Rest selber erfunden hat.

Ich kenne die Legende des Basilisken anders, folgendes habe ich aus Wikipedia:
Der Basilisk schlüpft aus dem Ei eines alten Hahnes oder aus einem dotterlosen Hühnerei, das von einer Kröte, einer Schlange oder im Mist ausgebrütet wird. Sein stinkender Atem ist unerträglich und sein Blick soll versteinern können. Das Ungeheuer haust in Brunnenschächten und Kellern. Es kann nur vernichtet werden, indem ihm ein Metallspiegel vorgehalten wird, worin sich der versteinernde Blick gegen den Basilisken selbst kehrt.

Der Basilisk sieht nach der Sage aus wie ein sehr großer Hahn mit Drachenflügeln und einem Drachenschwanz.
Hier ein schönes Bild aus Basel:
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/4/4d/Basilisk_Wettsteinbr%C3%BCcke.JPG

Die Geschichte selbst, fand ich aber wundervoll. Sehr spannend geschrieben, mit interessanten, facettenreichen Nebencharakteren und liebenswerten Hauptdarstellern.

Weiter so!
Von:  RayDark
2008-04-23T18:41:21+00:00 23.04.2008 20:41
Was? Nur 27 Kommentare? Das ist eindeutig zu wenig! *nick*
Die Geschichte ist wunderschön!

"Nachdem er das gesagt hatte, tat er etwas, das bei Tharas und Aures denselben Gedanken entstehen ließ: "Ich bring ihn um." Er beugte sich hinunter und gab Rean einen zarten Kuss auf die Lippen."

Diesen Satz fand ich einfach genial... und auch viele andere noch!
Ich liebe deine Geschichten, sie sind so schön erfrischend!^^

Von:  kaya17
2008-02-17T19:10:57+00:00 17.02.2008 20:10
schöne Fanfic^^ mir gefällt die geschichte sehr gut. Ist auch wirklich viel drin passiert. Super^^
Von:  Kio4578
2007-08-16T22:11:15+00:00 17.08.2007 00:11
Okay das ist zwar schon eine Weile Her aber ich dachte n Kommi könnte ich dennoch da lassen. Hab mir vorgenommen deine Fanfics mal alle zusmamen durch zulesen. ^^ Auf jedenfall finde ich die 3 Kapitel bisher wirklich sehr gut gelungen, die Charakterbeschreibung ist auch super gemacht und passt ganz gut zu den Figuren. An irgendwas erinnert mich die Geschichte, aber es ist nicht Harry Potter. ;-) Naja vllt fällt es mirim verlauf der noch 20? verbleibenden Kap´s auf. LG ^^
Von:  rea_seraph
2007-07-31T15:28:27+00:00 31.07.2007 17:28
^///^ Wunderschön,
t raumhaft,
h uldigungswürdig,
a bsolut großartig,
r eißt mich schlicht vom Hocker,
a ußerdem überragend,
s uper und fantastisch,

r omantisch, e ngelsgleich, a nbetungswürdig, n iveauvoll

kein Attribut sagt alles über dein Meisterwerk, also
denk die die Besten und fühle meine Begeisterung!!!
*Begeistungswelle zu dir rüberschick*

Deine Story hat mich ab. so. lut geflasht!!!
Ich bin immer noch ganz durch den Wind.
Wie du oben siehst, habens mir besonders Tharas und Rean die Hauptakteure angetan, obwohl ich sagen muss, dass ich auch vor allem Melean mehr als ins Herz geschlossen habe. Diese Schönheit... und dann noch n Lauscher an der Wand (wohl eher von Baumhausbalkon aus... aber du weißt was ich meine... *lol*) Er ist so süß, wie er sich um Rean kümmert und wenn wir schon beim kümmern sind: Die kleine Soley ist auch ein wahres Schmuckstück. Freches kleines Ding...
Und Llandon hats auch voll drauf: Zieh dich aus! Wir brauchen einen Erben! *gggg*
Unbezahlbar!

Zusammenfassend, bevor ich mich ganz in Lobhudelei verstricke:
Tolle Story, die Parallelen zu HDR und HP sind super!
Wunderbare, gut durchdachte Charas und einfach zum knuddeln!!!
Alles in allem ein wunderbares Gesamtwerk, das durch deine lustigen Kommentare noch versüßt wird. ^^

herzlichst, deine Snakey
Von: abgemeldet
2007-06-28T21:00:48+00:00 28.06.2007 23:00
Also, die Story gefällt mir wirklich gut. Der Plot ist interessant und sehr vielseitig (auch wenn man manche Dinge vorausahnen konnte, wenn man HP oder Fantasy im Allgemeinen kennt...)
Und dein Schreibstil ist wirklich schön. Es hat Spaß gemacht,die Story zu lesen und die Charas sind echt gut geworden. Die Prinzen sind zuckersüß und der "böse" Schwarzmagier ist ja soooo genial. Klasse Sprüche und ein super Humor.

Nur drei Kritikpunkte habe ich:

1. in Storys nie Abkürzungen oder "/" verwenden, lieber Dinge ausschreiben

2. bitte bitte bitte, kürze diese nervigen Zwischenkommentare von dir raus -.- die haben im Textfluss nix zu suchen, die haben leider oft die Stimmung kaputt gemacht

3. Du hast am Ende eines Kapitels oder am Anfang so oft schon Andeutungen gemacht und den Verlauf des folgenden Kapitels verraten, dass es oft schade war und die Spannung genommen hat. Das würde ich auch lassen.

Aber das sind alles Formsachen, die mit der Story an sich ja nichts zu tun haben. Die Story war echt klasse!

Gruß,
Ju-chan
Von:  -hEtAnA-
2007-06-21T19:06:12+00:00 21.06.2007 21:06
T-T Wie Schön. Dieser FF wird immer
einer meiner Favoriten sein.
Das Ende ist der Hammer. *freu*
Ein besseres hätte es nicht geben können.
Du bist war haftig eine große Schreiberin.
Ich ziehe mein imaginären Hut vor dir.

dein fanatischer Fan
Hetana
Von:  KillaKyo
2007-06-21T13:43:00+00:00 21.06.2007 15:43
Zieh dich aus wir brauchen ein Kind


awwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwwww
*totrofl*
du hast mich umgebracht
*ga nich mehr einkrieg*
omg ist das geil

aww und soooooooo süß und sweetig

*niederflausch*
hach... kitsch kitsch kitsch
*luv yaaaaaaaaaaaaaaaaaa'
<3
das is tollig *______*

ein sehr schönes passendes Ende ^^
hehe

und ich warte schon ganz gespannt auf den Vampir krams...
awwwwwwwww
wenn das genauso wird dann bin ich wirklich bald tot ^^


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