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Hidden Feelings

Miya x Satochi / Tatsurou x Yukke
von

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~1~
 

"Nein, nicht so, Satochi. Wenn Yukke die ersten drei Takte von seinem Part gespielt hat, setzt du so ein." Zum wiederholten Mal trommelte Miya auf seinem Bauch den komplizierten Taktwechsel vor, der dem Drummer von MUCC so viele Schwierigkeiten bereitete. Satochi seufzte. Er konnte sich heute einfach nicht richtig konzentrieren, und dass Miya ausgerechnet auf sich selbst anstatt zum Beispiel auf seine Gitarre klopfte, lenkte ihn mehr ab als alles andere.
 

Fasziniert sah er ihrem Leader dabei zu wie dieser Satochi's Part mit Leichtigkeit und ohne einen Fehler trommelte. Erst als er damit fertig war fiel Satochi auf, dass Miya ihm dabei die ganze Zeit direkt in die Augen gesehen hatte, als wolle er so sein Verständnis für diesen Takt auf den Drummer übertragen. Was aber offensichtlich nicht funktioniert hatte, denn Satochi bekam ihn während der gesamten Probe nicht richtig hin. Er war am Verzweifeln.
 

Schließlich erklärte Miya, dass es für heute genug war, und fing an, seine Sachen zusammenzupacken. Tatsurou und Yukke grinsten sich an, schnappten ihren Kram, riefen den beiden anderen Musikern noch ein schnelles "Bis morgen!" zu und waren auch schon zur Tür raus. Der Gitarrist machte sich gar nicht erst die Mühe, etwas Ähnliches zurückzurufen, sie hätten ihn sowieso nicht mehr gehört. Er machte den Reißverschluß an seinem Rucksack zu, warf ihn über die Schulter und wollte sich ebenfalls verabschieden, da merkte er erst, dass Satochi noch immer hinter seinem Drumset saß und vor sich hinstarrte.
 

"Hey, alles ok bei dir?" fragte er und sah ihn etwas besorgt an. Satochi schreckte aus seinen Gedanken auf. "Was? ... Ach so, klar, alles bestens." log er und versuchte zu grinsen. Es gelang ihm nicht. Miya starrte ihn noch einen Moment an, entschloß sich dann aber, nicht weiter nachzubohren. Stattdessen lächelte er ihn an. "Mach dir mal keine Sorgen, ich bin sicher, dass du deinen Part bald im Schlaf spielen kannst." Der Drummer nickte. "Hast Recht, ich krieg das schon hin. Wäre ja gelacht wenn nicht." Aber zum Lachen war ihm gerade ganz und gar nicht zumute. Miya verabschiedete sich daraufhin und ging zum Ausgang des Tonstudios, und Satochi blickte in diese Richtung noch lange nachdem sich die Tür hinter dem Gitarristen geschlossen hatte.
 

Nach außen wirkte er völlig ruhig und gelassen, wie er da still auf seinem Hocker hinter den Drums saß, aber in seinem Inneren herrschte das reinste Chaos.
 

Er konnte so nicht mehr weitermachen.
 

Er wollte so nicht mehr weitermachen.
 

Am Anfang ihrer Karriere hatte Satochi sich noch einreden können, dass seine Schwärmerei für ihren Leader nur eine Phase war, dass das eigentlich nur Bewunderung und Dankbarkeit dafür war, dass Miya sich praktisch um alles kümmerte während Yukke, Tatsurou und er ihren Spaß hatten. Satochi hatte auch versucht, sich mit Frauen von diesen verwirrenden Gedanken und Gefühlen abzulenken, aber irgendwann half das auch nicht mehr. Und so hatte er sich schließlich eingestehen müssen, dass er Miya liebte. Das war nun zwei Jahre her, und seitdem quälte ihn die Tatsache, dass er immer in Miya's Nähe sein wollte, diese dann aber nicht ertrug weil er wußte, dass es nie zu mehr zwischen ihnen kommen würde.
 

Er hatte bis jetzt durchgehalten, weil er den anderen nicht die Karriere ruinieren wollte, aber seine Konzentration wurde immer schlechter und er konnte nicht mehr so tun als wäre alles in Ordnung. Aber wenn er die Band wirklich verließ, wann würde er Miya dann noch zu Gesicht bekommen? Und würde Miya ihm diesen Schritt überhaupt verzeihen? Vielleicht wollte er ihn dann nie mehr wiedersehen! An diese Möglichkeit wollte Satochi gar nicht erst denken, er konnte einfach nicht mehr ohne Miya sein.
 

Und so warf er mal wieder alle Gedanken an einen Ausstieg bei MUCC über den Haufen, griff zu seinen Sticks und begann zu proben. Er mußte diesen verdammten Takt unbedingt hinbekommen, Miya sollte auf gar keinen Fall morgen wieder von ihm enttäuscht sein. Dass es mittlerweile schon nach Mitternacht war, hatte er vor lauter Grübeln gar nicht gemerkt.

~2~
 

Die Melodie eines neuen Songs, der ihm über Nacht in den Sinn gekommen war, vor sich hinsummend holte Miya den Schlüssel zum Tonstudio aus seiner Hosentasche. Als er aber merkte, dass die Tür gar nicht verschlossen war, verstummte er. Hatte Satochi etwa vergessen, abzuschließen? Wäre gut möglich, immerhin hatte er gestern ein bisschen neben sich gestanden, aber so etwas durfte trotzdem nicht passieren.
 

Miya öffnete die Tür, sah Licht und hörte, dass jemand Schlagzeug spielte. Nun war er wirklich mehr als überrascht. Er war doch sonst immer der erste im Studio, wieso war der Drummer heute schon vor ihm da? Dann dämmerte es ihm und er lächelte. Satochi wollte wohl endlich seinen Part auf die Reihe bekommen.
 

Jetzt noch besser gelaunt ging der Gitarrist den kurzen Flur entlang und um die Ecke in den Aufnahmeraum, wo ihre Instrumente standen. Er wollte seinem Bandkollegen gerade ein "Guten Morgen!" zurufen, da erblickte er ihn und blieb wie angewurzelt stehen.
 

Satochi's Oberkörper, Gesicht und Haare waren klatschnass, er war völlig außer Atem, drosch aber trotzdem erbarmungslos auf sein Drumset ein und merkte gar nicht, dass sich noch jemand im Raum befand. Er war offensichtlich total am Ende, und Miya wurde klar, dass Satochi gestern gar nicht erst nach Hause gegangen war. Er hatte scheinbar die ganze Nacht geübt.
 

Plötzlich fiel Miya auf, wie kalt es im Studio war, da sich die Heizung über Nacht automatisch abschaltete und es tiefster Winter war. Er griff sich also ein Handtuch, das über eine Stuhllehne hing, und eilte zu seinem Freund, der ihn immer noch nicht bemerkt hatte.
 

"Mensch Satochi, was machst du denn? Willst du dir den Tod holen?" rief er, und noch ehe sich der Drummer zu ihm umgedreht hatte, rieb er ihm auch schon den Rücken und die Arme trocken.
 

Verdutzt sah Satochi ihn an. Sein Verstand hatte sich bereits vor ein paar Stunden verabschiedet und er hatte am Ende nur noch sinnlos vor sich hingetrommelt. Er war wie im Trance gewesen, aber nun kam er langsam wieder zu sich. Miya war gerade damit fertig, ihm das Gesicht abzutrocknen, und wollte sich nun seinem schweißnassen Oberkörper widmen, da ergriff Satochi das Handtuch und stieß zwischen seinen schnellen Atemzügen hastig "Ich mach das schon!" hervor.
 

Besorgt sah Miya ihm zu, wie er sich ganz langsam trocken rieb und dabei weiter nach Luft rang. Er hatte Satochi noch nie so geschwächt gesehen... und so traurig. Ihm lag offensichtlich etwas Wichtiges auf dem Herzen, und Miya wollte ihm unbedingt helfen. Er legte Satochi einen Arm um die Hüfte und zog ihn hoch, half ihm so beim Aufstehen und ging langsam mit ihm zu der großen Couch in einer Ecke des Raumes. Erschöpft ließ sich der Drummer darauf fallen, Miya setzte sich neben ihn. Nach ein paar Minuten atmete er wieder ruhig und gleichmäßig, starrte aber weiter vor sich auf den Boden anstatt den anderen anzusehen. Schließlich siegte Miya's Sorge über seine Geduld. "Willst du mir erzählen, was los ist? Vielleicht kann ich dir ja irgendwie helfen."
 

Bei diesen Worten lachte Satochi kurz auf, aber es war kein fröhliches Lachen, und als er Miya endlich ansah, erschrak dieser über die Trauer und Verzweiflung in seinen Augen. "Du kannst mir nicht helfen." antwortete der Drummer. "Du bist der letzte, der mir helfen kann..."
 

Verstört und gekränkt sah Miya ihn an. Was meinte Satochi denn damit? Hielt er so wenig von ihm? Doch noch bevor er ihn danach fragen konnte, flüsterte Satochi "Ich weiß nicht mehr was ich machen soll..." und vergrub das Gesicht in seinen Händen. Miya zögerte kurz, dann legte er ihm einen Arm um die Schultern. "Wenn du meinst, dass ich dir nicht helfen kann, dann frag doch Yukke oder Tatsurou. Vielleicht sind die beiden dazu ja besser geeignet als ich..."
 

Satochi ließ die Hände sinken und schüttelte langsam den Kopf. "Das geht nicht. Aber es ist okay. Ich komm schon damit klar." erwiderte er und stand auf. Doch Miya ließ sich nicht so leicht abwimmeln, er packte Satochi am Handgelenk und zog ihn zurück auf die Couch. Dieser blinzelte verwirrt als der Leader sich ganz zu ihm drehte und etwas näher rückte. "So wie du aussiehst, glaube ich ganz und gar nicht, dass du damit klarkommst." meinte er und sah ihn dabei eindringlich an. Satochi senkte seinen Blick, aber Miya legte einen Finger unter sein Kinn und drückte es sanft aber bestimmt hoch, zwang ihn so, ihn wieder anzusehen. Dann grinste er plötzlich. "Und ich geh dir so lange auf die Nerven, bis du dir helfen läßt."
 

Der andere seufzte und sank noch etwas mehr in sich zusammen. Er war so müde und wollte nur noch schlafen, am liebsten für immer. Ihm fehlte die Kraft, jetzt mit dem Sturrkopf vor ihm herumzudiskutieren, er wußte, dass Miya nicht locker lassen würde. Und Satochi war im Moment eigentlich alles egal, Hauptsache er bekam seine Ruhe. Dennoch konnte er ihm die Wahrheit nicht direkt ins Gesicht sagen, also wendete er seinen Kopf, den Miya nun losließ, zur Seite.
 

"Ich... ich glaube, ihr solltet euch einen anderen Drummer suchen..." Miya mußte sich enorm zusammenreißen, um nicht lauthals "WAS??" zu rufen, stattdessen atmete er tief durch und ließ seinen Freund ausreden. "Ich kann nicht länger in der Band bleiben, weil ich... weil ich mit meinen Gefühlen nicht mehr klarkomme." Satochi schloss die Augen. Jetzt kam der schwerste Teil. "Mein Problem ist... ich... ich mag dich. Also... naja... du weißt schon..." stotterte er und spürte, wie sein Gesicht rot wurde. Er wollte nur noch hier weg.
 

Eine Weile herrschte Stille im Raum. Es machte Satochi nervös, dass von Miya keine Reaktion kam, und schließlich drehte er sich langsam zu ihm um. Er brauchte noch einige Sekunden, um genügend Mut zu sammeln, dann blickte er ihm schüchtern in die Augen. Miya sah ihn ausdruckslos an, studierte ihn, und Satochi brauchte all seine Kraft, um seinem Blick standzuhalten. Auf einmal hob der Gitarrist eine Hand und legte sie auf Satochi's Wange, der vor Überraschung die Augen weit aufriß. Wenn es möglich gewesen wäre, hätte er sie Sekunden später noch weiter aufgerissen, denn Miya flüsterte "Tja, was kann man da nur machen...", lehnte sich vor und küsste den geschockten Drummer auf den Mund.
 

Satochi vergaß alles um sich herum, er konnte nur Miya anstarren, der seine Augen geschlossen hatte. Doch der Kuss dauerte nicht lange, denn Satochi löste ihn, indem er seinen Kopf ruckartig zur Seite drehte und mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung zu Boden sah. "Spiel nicht mit mir." sagte er mit erstaunlich fester Stimme und Miya blickte ihn fragend an. "Ich will nicht, dass du nett zu mir bist, nur damit ich in der Band bleibe."
 

Als er das hörte, runzelte Miya die Stirn, legte seine Hand erneut an Satochi's Wange und drehte dessen Gesicht wieder zu ihm zurück. "Wenn du mich wirklich so sehr magst, wie kannst du mich dann für so einen gefühlskalten Mistkerl halten?" Der Drummer, dem bewußt wurde, wie sehr er den anderen gerade gekränkt hatte, wollte wieder verlegen wegsehen, doch Miya sagte schnell "Sieh mich bitte an." und Satochi gehorchte. Nach einer Weile flüsterte er "Tut mir leid..." und Miya lächelte.
 

"Mir tut's auch leid. Ich hätte von selbst und viel früher drauf kommen sollen, dass du etwas für mich empfindest. Vielleicht habe ich es ja auch gemerkt und konnte es einfach nicht glauben… Dabei liebe ich dich doch..." Als er das sagte, strich er Satochi, der ihn völlig perplex anstarrte und den Atem anhielt, zärtlich durch die noch immer nassen Haare. "Hey, du solltest vielleicht mal Luft holen." fügte er nach ein paar Sekunden mit einem kleinen Grinsen hinzu.
 

Satochi blinzelte ihn kurz fragend an, dann erst merkte er, dass ihm allmählich der Sauerstoff ausging, und atmete tief ein und aus. Miya beobachtete ihn amüsiert dabei, dann beugte er sich erneut vor. Doch diesmal fragte er "Darf ich?" und wartete, bis Satochi langsam und zögernd nickte, bevor er ihn wieder küsste. Und Satochi nahm einen Moment später seinen ganzen Mut zusammen und erwiderte den Kuss.
 

Es war nichts Spektakuläres, nur ein einfacher, unschuldiger Kuss auf die Lippen, doch für den Drummer war es mehr, als er je zu hoffen gewagt hatte. Es kam ihm vor, als hätte er einen Schwarm Schmetterlinge im Bauch, und seine Erschöpfung war in diesem Augenblick wie weggeblasen. Zaghaft schlang er seine Arme um Miya und zog ihn enger an sich, was der Leader auch erfreut zuließ.
 

Beide hätten ewig so bleiben können, wenn ein dumpfer Knall sie nicht plötzlich zurück in die Realität gerissen hätte. Gleichzeitig blickten sie in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, und sahen Tatsurou und Yukke, die sie wortlos anstarrten. Yukke grinste bis über beide Ohren, offenbar störte ihn die Situation ganz und gar nicht, Tatsurou dagegen hatte tellergroße Augen und den Mund sperrangelweit offen. Im Gegensatz zu dem Bassisten, der schon lange geahnt hatte, was Satochi fühlte, und sich freute, dass Miya es auch endlich geschnallt hatte, kam es für den Sänger vollkommen unerwartet. Und daher stellte er einen Moment später die einzige (und ganz nebenbei ziemlich unnötige) Frage, die ihm in den Sinn kam. "Was zum Teufel macht ihr denn da?"
 

Miya, der ja wußte, dass Tatsurou meist redete bevor er nachdachte, sah ihn gelassen an. "Satochi und ich sind jetzt zusammen. Habt ihr was dagegen?" Es war keine gereizte, sondern ganz nüchterne Frage. Yukke schüttelte sofort und in einem halsbrecherischen Tempo den Kopf. Als er merkte, dass Tatsurou nicht reagierte, stieß diesem einen Ellbogen in die Rippen, woraufhin er zusammenzuckte, erst Yukke und dann Miya ansah und schließlich ebenfalls den Kopf schüttelte, allerdings um einiges langsamer als der Bassist. Miya grinste zufrieden. "Sehr gut! Sonst hättet ihr euch nach einem neuen Drummer und Gitarristen umsehen müßen."
 

Sofort waren drei geschockte Augenpaare auf ihn gerichtet, selbst Yukke war fassungslos. Aber das interessierte Miya anscheinend kein bisschen. Er rutschte ein Stück von Satochi weg, der wie versteinert gegen das Armpolster der Couch lehnte, und stand auf. "Ich bring Satochi jetzt erst mal nach Hause, der Gute hat sich hier über Nacht etwas verausgabt." Sofort schrie Tatsurou - der bei diesen Worten zu einer völlig falschen Schlußfolgerung kam - "Wie bitte??", sodass Miya die Augen verdrehte und hinzufügte "Ich meine beim Proben!" Yukke kicherte, während Tatsurou's Gesicht sich leicht rot färbte und er ein leises "Ach so..." murmelte.
 

Auch Miya konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, dann sprach er in bester Leadermanier weiter. "Wie gesagt, auf uns müßt ihr heute verzichten. Ob ihr zu zweit probt oder nicht ist euch überlassen, ihr könnt meinetwegen auch ruhig den Tag frei nehmen. Wir treffen uns dann morgen früh wie gewohnt hier." Er wartete erst gar nicht auf ihre Reaktion (bei Tatsurou hätte das wahrscheinlich auch ewig gedauert, der Ärmste war mit der Situation total überfordert) sondern drehte sich zu Satochi um und streckte ihm eine Hand entgegen, um ihm aufzuhelfen.
 

Der Drummer, der spürte wie ihn die Erschöpfung und Müdigkeit wieder überkam, nahm dieses stumme Angebot dankbar an, ergriff Miya's Hand und ließ sich von ihm hochziehen. Yukke, der im Gegensatz zu Tatsurou noch klar denken konnte, kam auf die beiden zu und reichte Satochi dessen Shirt und Jacke. Dieser bedankte sich leise und Yukke zwinkerte ihm aufmunternd zu, wofür er von Miya ein dankbares Lächeln erntete, während Satochi sich langsam anzog.
 

Tatsurou beugte sich nach unten und hob seine Tasche vom Boden auf. Sie war die Ursache für das dumpfe Geräusch gewesen, als er sie beim Anblick seiner küssenden Bandkollegen vor Schreck hatte fallen lassen. Unschlüssig stand er nun mitten im Raum und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Da ihm das allerdings nicht so richtig gelingen wollte, drehte er sich abrupt um und verließ ohne ein weiteres Wort das Studio.

~3~
 

Durch die Dunkelheit drang eine leise Stimme, die mehrmals seinen Namen flüsterte, und irgend jemand rüttelte ihn sanft an der Schulter. Satochi brummte vor sich hin, öffnete die Augen und wollte diesen Penner gerade anschnauzen, dass er ihn gefälligst in Ruhe lassen sollte, da sah er Miya neben sich sitzen und überlegte es sich doch noch anders. Er mußte auf der Fahrt hierher eingeschlafen sein und der Gitarrist hatte ihn nur geweckt, weil er ihn ja schlecht in seine Wohnung tragen konnte. "Ich finde meinen Wagen zwar auch sehr bequem, aber zum Schlafen eignet sich ein Bett bestimmt besser." grinste er und Satochi nickte.
 

Sie gingen die Auffahrt hinauf und der Drummer lehnte sich gegen die Wand, während Miya seine Wohnungstür aufschloss. "Ich bin dafür, dass du erst mal duschst, so verschwitzt lass ich dich auf gar keinen Fall in mein Bett." sprach er weiter als die beiden eingetreten waren und er die Tür hinter ihnen zumachte. Da wurde Satochi erst klar, dass Miya vorhin im Wagen keinen Witz gemacht hatte. Er sah den Hausherrn überrascht an und dieser verdrehte die Augen. "Ja, mein Bett. Du glaubst doch wohl nicht, dass ich dich auf dem Sofa schlafen lasse, oder?" Der andere konnte nur sprachlos mit den Schultern zucken, also ergriff Miya mal wieder die Initiative und schob ihn ins Bad. "Aber schlaf nicht schon unter der Dusche ein." Mit diesen Worten ließ er Satochi darin stehen und schloss die Badezimmertür.
 

Im Kopf des Drummers drehte sich alles. Das hier war wirklich kein Traum. Jahrelang war er todunglücklich darüber gewesen, für Miya nie mehr zu sein als sein Freund und Bandkollege, und heute hatte dieser ihm eine Liebeserklärung gemacht, ihn geküsst und sogar mit zu sich nach Hause genommen, damit Satochi in seinem Bett ausschlafen konnte. Und das alles innerhalb einer Stunde!
 

Aus Angst vor höllischen Kopfschmerzen, die er bestimmt bekommen würde, wenn er weiter darüber nachdachte, verbannte er wenigstens für ein paar Minuten diese verwirrenden Gedanken aus seinem Hirn, zog sich aus und stand kurz darauf in der Duschkabine. Als das heiße Wasser auf seine Haut prasselte, wurde ihm leicht schwindlig und er mußte sich an der gekachelten Wand abstützen, doch dieses Gefühl ging schon bald vorbei und er entspannte sich. Beinahe wäre er, wie Miya scherzhaft vorausgesagt hatte, wirklich im Stehen eingeschlafen, doch er riss sich zusammen, wusch sich, stellte dann den Wasserstrahl ab und trat aus der Dusche. Nachdem er sich abgetrocknet und seine Shorts angezogen hatte (Shirt, Hose und Socken ließ er gleichgültig auf dem Boden liegen) griff er nach der Türklinke, hielt jedoch kurz inne als er spürte, wie sein Herz laut gegen seinen Brustkorb pochte.
 

"Mach dich nicht lächerlich..." flüsterte er sich ganz leise zu und öffnete die Badtür. Sein Blick schweifte durch das Wohnzimmer, aber Miya war nirgends zu sehen. Er schlurfte in die Küche, doch auch da war keine Spur von dem Gitarristen. Blieb also nur noch...
 

Satochi schluckte und trat in den Flur, an dessen Ende das Schlafzimmer lag. Die Tür stand einen Spalt offen. Unentschlossen starrte der Drummer sie an, doch ihm war klar, dass er hier nicht ewig herumstehen konnte, und außerdem wollte er endlich schlafen. Also gab er sich einen Ruck und ging langsam auf das Zimmer zu. Dort angekommen stieß er die Tür vorsichtig etwas weiter auf und bekam große Augen.
 

Miya lag bäuchlings und quer auf dem großen Bett in der Mitte des Zimmers, hatte den Kopf auf seine verschränkten Arme gelegt und sah aus, als würde er schlafen. Dass das nicht der Fall war, verrieten nur seine vor und zurück pendelnden Beine, die er angewinkelt hatte, sodass seine Füße nach oben in Richtung Zimmerdecke zeigten. Satochi fiel (neben der Tatsache dass er in seinem ganzen Leben noch nie etwas Niedlicheres gesehen hatte) auf, dass Miya jetzt bloß noch ein schwarzes Shirt und ebenfalls schwarze Shorts trug. Der Anblick war mehr als einladend, und wenn Satochi die nötige Energie gehabt hätte, wäre er den Gitarristen wohl sofort angesprungen. "Ähm... Miya?" sagte er schließlich leise und der Hausherr schlug langsam die Augen auf. Er setzte sich im Schneidersitz hin und betrachtete den mehr als nur leicht bekleideten Drummer mit einem seltsamen Ausdruck, der bei diesem ein ziemlich eindeutiges Kribbeln in der Magengegend auslöste. Satochi blickte etwas verlegen zur Seite und Miya schmunzelte. "Nicht so schüchtern, ich beiss dich schon nicht."
 

'Da wär ich mir nicht so sicher...' dachte der Drummer, ging dann aber trotzdem zu der Seite des Bettes, die nun nicht mehr belegt war, setzte sich hin und sah den anderen an. "Wieso hast du dich denn umgezogen, du bist doch erst vor kurzem aufgestanden, oder nicht?" fragte Satochi, während er nach der Bettdecke griff und sie zu sich zog. Miya fuhr sich mit einer Hand über sein Gesicht und dann durch die Haare. "Naja, ich hab die halbe Nacht über einem neuen Song gesessen und deshalb höchstens drei Stunden geschlafen. Da werden mir ein paar mehr ganz gut tun. Und außerdem möchte ich jetzt gern bei dir sein." erwiderte er und schenkte Satochi ein Lächeln, bei dem dieser dem Gitarristen am liebsten vor Glück um den Hals gefallen wäre. Und warum auch nicht? Miya hatte ja gesagt dass sie jetzt zusammen waren...
 

Da erinnerte Satochi sich noch an etwas anderes, das der Leader gesagt hatte, und er sah ihn etwas unsicher an. "Sag mal... hast du das vorhin eigentlich ernst gemeint?" fragte er leise und Miya blinzelte verwirrt. "Was meinst du?" Der Drummer senkte den Blick und sah, dass er gerade dabei war, vor Anspannung die Bettdecke zu erwürgen. Er ließ sie los und beschäftigte sich intensiv damit, die Falten glattzustreichen, wobei er gedankenverloren antwortete "Du hast gesagt dass du mich liebst..."
 

Miya betrachtete Satochi und seufzte leicht. Wer hätte gedacht, dass sich hinter dem ausgelassenen Komiker so ein schüchterner und sensibler Mensch verbergen würde... Natürlich war ihm schon immer klar gewesen dass Satochi auch seine ruhige und einfühlsame Seite hatte, aber jetzt, da er einen noch tieferen Einblick in dessen Gefühlswelt bekam, liebte er ihn mehr denn je. Und so nahm er Satochi's Hände in seine eigenen und bat den Drummer, ihm in die Augen zu sehen, was dieser nach kurzem Zögern auch tat. "Auch wenn das vielleicht wie ein dummer Spruch aus einer billigen Seifenoper klingt... ich habe in meinem ganzen Leben noch nie etwas so ernst gemeint. Ich liebe dich, Satochi." sagte er, senkte dann seinerseits den Blick und flüsterte verlegen "Und es tut mir wirklich wahnsinnig leid, dass du auf die Wahrheit so lange warten mu-"
 

Doch weiter kam er nicht, denn Satochi, der nun die Gewissheit hatte und seinen Gefühlen endlich freien Lauf lassen konnte, zog Miya in seine Arme und vergrub sein Gesicht an dessen Hals. Dem überraschten Gitarristen blieb für einen Moment die Luft weg, doch dann schlang er seine Arme ebenfalls um den anderen und drückte ihn fest an sich. So blieben sie eine Weile sitzen, bis Miya plötzlich Nässe an seinem Hals spürte. Erschrocken löste er sich von Satochi und blickte in dessen tränenüberströmtes Gesicht. Doch der Drummer lächelte – nein – er strahlte ihn regelrecht an und schüttelte den Kopf. "Es braucht dir nicht leid zu tun, ich hab ja auch nichts gesagt. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie glücklich ich bin, dass ich mich nicht mehr verstellen muss und dass du tatsächlich das gleiche fühlst wie ich!"
 

Miya lächelte Satochi erleichtert an und wischte ihm sanft mit seinem Daumen die letzte Träne von der Wange. Dann beugte er sich vor und lehnte seine Stirn gegen Satochi's. "Doch, ich glaube, ich kann es mir sogar sehr gut vorstellen." flüsterte er mit geschlossenen Augen. Nach ein paar Sekunden öffnete er sie wieder und lehnte sich etwas zurück. "Aber lass uns später darüber reden. Du brauchst jetzt erst mal deinen Schönheitsschlaf." sagte er und zwinkerte ihm zu. Satochi verkniff sich einen Kommentar und nickte stattdessen, legte sich mit dem Gesicht in Miya's Richtung hin und zog die Decke bis unter sein Kinn. Der Gitarrist tat es ihm gleich und so lagen sie sich nun gegenüber und sahen einander zufrieden lächelnd an. Dann fiel Miya noch etwas ein. "Ach ja, ich hab mir mal erlaubt, dein Handy auszuschalten. Meins ist auch aus, und das Telefon auch. Dich wird also nichts und niemand stören."
 

"Danke." hauchte Satochi müde und schloss die Augen. Einige Minuten lang herrschte Stille im Raum und Miya war sich sicher, dass der Drummer eingeschlafen war, doch da schlug dieser plötzlich die Augen wieder auf und sah ihn an. "Und du... du wärst wirklich wegen mir aus der Band ausgestiegen?" Miya nickte sofort. "Du bist für mich wichtiger als alles andere, auch wichtiger als MUCC. Und wenn Tatsurou oder Yukke gegen unsere Beziehung gewesen wären, hätte ich ohne zu zögern mein Sachen gepackt." versicherte er ihm und Satochi spürte, dass es dem Leader vollkommen ernst damit war. Er lächelte, flüsterte "Das wollte ich hören." und machte die Augen wieder zu... nur um sie Sekunden später erneut zu öffnen. Miya, der sich langsam wunderte, warum der Drummer denn nicht endlich schlafen wollte, schaute ihn fragend an. Da schob Satochi auf einmal die Unterlippe etwas vor und sah jetzt aus wie ein kleiner Junge, der seine Mutter um einen Lutscher anbettelte. "Miya? Bekomme ich einen Gute-Nacht-Kuss?"
 

Und zum ersten Mal seit langer Zeit strahlte der Leader über das ganze Gesicht. Er rutschte ganz nahe an Satochi heran, streichelte ihm zärtlich mit einem Finger über die Wange und flüsterte "Alles was du willst..." bevor er ihn sanft auf den Mund küsste. Als sich ihre Lippen wieder voneinander lösten, kuschelte Satochi sich sofort noch enger an Miya. "Schlaf gut." meinte dieser und hauchte ihm noch einen kleinen Kuss auf die Stirn. "Das werde ich." wisperte der erschöpfte aber überglückliche Drummer, und schon nach wenigen Sekunden hörte Miya ihn ganz tief und gleichmäßig atmen. Satochi war in seinen Armen eingeschlafen.

~4~
 

"Mmmh, Miya..." murmelte Satochi, der gerade aus einem tiefen Schlaf erwachte, in sein Kissen und drückte es noch fester an sich. "Ja bitte?" erwiderte dieses plötzlich und er riss überrascht die Augen auf. Zu seinem Entsetzen stellte sich das vermeintliche Kissen als Miya heraus, der ihn amüsiert dabei beobachtete, wie er tomatenrot wurde. Zuerst war Satochi mehr als verwirrt und konnte sich nicht erklären, warum er neben dem Leader in dessen Bett lag, doch dann fiel ihm mit einem Schlag wieder ein, was in den letzten Stunden alles passiert war, und er atmete erleichtert auf. Der Drummer ließ Miya los und rieb sich die Augen. "Wie lange hab ich denn geschlafen?" Der andere warf einen kurzen Blick auf den Wecker auf dem Nachttisch. Es war jetzt kurz vor 22:00, und Satochi war gegen 11:30 eingeschlafen. "Etwas über zehn Stunden."
 

Satochi streckte sich und gähnte herzhaft, ohne die Hand vor den Mund zu halten, was Miya erneut zum Schmunzeln brachte. Der Drummer fühlte sich offenbar wohl in seiner Nähe. So wohl, dass er sich auch gleich wieder an den Gitarristen kuschelte, der damit zwar nicht gerechnet hatte, sich aber natürlich sehr darüber freute, dass der andere nicht mehr so befangen war. Er fuhr ihm mit einer Hand immer wieder zärtlich durch die Haare, und wenn es möglich gewesen wäre, hätte Satochi angefangen zu schnurren. So lagen sie eine Weile einfach nur da und genossen die Nähe des anderen, bis sich Satochi's Magen mit einem lauten Knurren bemerkbar machte. Miya grinste. "Ich schätze, du willst mir damit sagen, dass ich dir was zu essen machen soll?"
 

"Ich will dich aber nicht loslassen!" quengelte der Drummer und umklammerte ihn noch fester. Bei diesen Worten wurde Miya ganz warm ums Herz und er hätte Satochi auch am liebsten für immer im Arm gehalten, doch schon ließ sich ein zweites und noch lauteres Grummeln vernehmen, sodass die Vernunft schließlich siegte. "Na komm, das dauert doch nicht lange. Du hast schon seit über einem Tag nichts mehr gegessen, und ich will nicht, dass du mir hier verhungerst. Zur Not hängst du dich eben an mein Bein und ich schleif dich in die Küche." Da konnte Satochi nur spöttisch lachen. "Pah, du halbes Hemd würdest mit mir als Anhang keine drei Meter weit kommen. Dazu fehlt dir einfach mal die nötige Muskelmasse."
 

"Na dann erspar mir den Kraftakt und lass mich wenigstens so lange los, bis ich am Kühlschrank bin. Von da bis zum Herd sind es nämlich nur zwei Schritte, das müßte ich eigentlich schaffen." konterte Miya und die beiden starrten sich an. Dann fingen sie gleichzeitig an zu lachen, froh und erleichtert darüber, dass sie wieder ganz ungezwungen miteinander umgehen konnten. Satochi löste dann auch tatsächlich seinen stählernen Griff und ließ Miya frei. Gemeinsam gingen sie in die große Küche und der Drummer ließ sich auf einen Stuhl fallen, während der Hausherr den Inhalt seines Kühlschrankes inspizierte. Dann gab er ihm eine Flasche von Satochi's Lieblings-Energydrink und dieser bedankte sich artig und trank sie in nur drei Zügen aus. "Noch einen?" fragte Miya und Satochi schüttelte lächelnd den Kopf. Daraufhin widmete sich der Gitarrist wieder seinen Pfannen und Töpfen, und schon bald strömte der herrliche Duft von Ramen und Fleischbällchen durch die Wohnung.
 

Satochi lief das Wasser im Mund zusammen. Er war einer der wenigen die wußten, dass Miya - neben allem anderen - auch ein ausgezeichneter Koch war. Der Mann war einfach ein Genie und Allround-Talent, was er anfasste wurde zu Gold. Und ganz nebenbei sah er auch noch verboten gut aus. Kein Wunder, dass der Drummer ihm mit Haut und Haaren verfallen war. Das Objekt seiner Begierde stellte gerade eine große, dampfende Schüssel mit Ramen vor ihm auf den Tisch, drehte noch einmal um und kam gleich darauf mit einer Riesenportion Fleischbällchen zurück. Als er sie abgestellt hatte, handelte Satochi aus einem Impuls heraus, griff nach Miya's Hand, zog ihn auf seinen Schoß und schlang seine Arme um die schmale Taille des Gitarristen. Dieser blickte ihn überrascht an. "Ich bin aber eigentlich nicht zum essen gedacht."
 

Satochi lächlte. "Mir ist nur gerade eingefallen, dass ich ganz vergessen hatte, dir etwas wichtiges zu sagen." Er beugte sich noch näher an ihn heran und schaute ihm tief in die Augen. "Ich liebe dich." Und mit diesen Worten schloss Satochi die kurze Distanz zwischen ihnen und küsste Miya. Dieser erwiderte den Kuss sofort und legte seine Arme um den Hals des Drummers, überglücklich darüber, dass die Initiative dieses Mal von dem anderen ausging. Und Satochi ging sogar noch einen Schritt weiter und fuhr mit der Zunge leicht über Miya's Lippen. Der Gitarrist ließ sich auch nicht lange bitten, öffnete seinen Mund ein wenig und ihre Zungen trafen sich. Sie hatten beide die Augen geschlossen und gaben sich ganz ihren Gefühlen hin, küssten sich erst sanft, dann immer leidenschaftlicher und fordernder. Schließlich drückte Miya den Drummer etwas von sich und rang nach Luft. Auch Satochi war ganz außer Atem und sein Herz hämmerte wie wild. Noch nie hatte er einen Kuss so genossen, und noch nie hatte er einen Menschen so sehr begehrt. Schon beugte er sich wieder vor, um seine Lippen erneut auf Miya's zu pressen, als dieser ihm schnell einen Finger auf den Mund legte und ihn mit glasigen Augen ansah. "Das Essen wird kalt..." flüsterte er, hauchte dem Drummer noch einen kleinen Kuss auf den Mund und rutschte dann von dessen Schoß.
 

Satochi ließ ihn nur widerwillig los und beobachtete Miya dabei, wie er um den Tisch herumging und sich ihm gegenüber hinsetzte. Der Gitarrist griff zu seinen Eßstäbchen und lächelte ihm zu. "Jetzt guck doch nicht so beleidigt, ich hab mir mit dem Essen heute ganz besonders viel Mühe gegeben, also probier es bitte wenigstens." Satochi's Blick wanderte von Miya zu der großen Schüssel vor ihm, und bei dem wundervollen Duft, der ihm in die Nase stieg, meldete sich sein Magen wieder lautstark zu Wort. Da mußte auch er grinsen, schnappte sich seine Eßstäbchen, wünschte dem Gastgeber noch schnell "Guten Appetit!" und hatte einen Augenblick später den Mund schon voll mit leckeren Nudeln. Miya, der sich eine bedeutend kleinere Portion genommen hatte, sah Satochi dabei zu, wie dieser zwischendurch hastig ein Fleischbällchen nach dem anderen verputzte und sich hin und wieder gegen den Brustkorb schlug wenn er versucht hatte, zu viel Essen auf einmal hinunter zu schlucken. Er kannte den anderen lange genug um zu wissen, dass dessen Eltern ihm nicht viel über Tischmanieren beigebracht hatten, und es störte ihn auch nicht weiter. Wichtig war, dass es ihm schmeckte, und das war ja offensichtlich der Fall. Zufrieden begann auch der Leader zu essen.
 

Abgesehen von den lauten Schlürfgeräuschen des Drummers war von den beiden für die nächsten Minuten nichts zu hören. Schließlich schob Miya seine Schüssel von sich und faltete die Hände über dem Bauch. Satochi war trotz seines unglaublichen Tempos noch nicht ganz fertig, was dem anderen die Gelegenheit gab, ihn weiter zu beobachten. Der Gitarrist wurde nachdenklich. Ihm schwirrte schon seit gestern ein Frage im Kopf herum und er wußte nicht so recht, ob dies der geeignete Zeitpunkt dafür war, aber er wollte sich einfach sicher sein. "Sag mal..." fing er an und Satochi hob den Kopf und blickte zu ihm hinüber, ohne dabei mit dem essen aufzuhören. "Hattest du eigentlich schon mal was mit einem anderen Mann?" Der Drummer schluckte den Rest seines Fleischbällchens hinunter und antwortete leichtherzig "Nö, du etwa?" bevor er sich die letzten Ramen in den Mund stopfte. Miya malte nervös kleine Kreise auf die Tischplatte. "Ja..."
 

Mitten im Schlürfen hielt Satochi inne und starrte ihn an. Sein überraschter Gesichtsausdruck und der Anblick, wie ihm die Nudeln aus dem Mund hingen, waren einfach göttlich, und Miya bedauerte, dass er keine Kamera zur Hand hatte. Das Grinsen verkniff er sich mühsam, immerhin wußte er nicht, ob Satochi nur überrumpelt oder vielleicht sogar wütend über diese Neuigkeit war.
 

Der Drummer biss die restlichen Nudeln ab, lehnte sich zurück und schaute Miya verwirrt an, während er hinterkaute. Das kam jetzt völlig unerwartet. Als er endlich fertig war, aber noch immer nichts sagte, ergriff Miya erneut das Wort. "Stört dich das?" fragte er leise und sah ihn unsicher an, was für Miya mehr als untypisch war. Satochi dachte einen Augenblick nach, dann lächelte er plötzlich. "Nein, und ich hätte auch gar kein Recht dazu. Ich hab ja auch mit Frauen rumgemacht, und ob nun Mann oder Frau, das ist doch egal." Miya fiel ein Stein vom Herzen. Aber Satochi war noch nicht fertig. "Darf man fragen mit wem?" hakte er ganz unbefangen nach und der Gitarrist winkte ab. "Ach, das war nur eine ganz kurze Geschichte mit einem Typ in der Highschool. Ich kannte dich da noch gar nicht." Satochi nickte und schob nun auch seine Schüssel von sich. "Und mit wem noch?" Miya blinzelte ihn erstaunt an. "Mit niemandem sonst." Der andere machte große Augen. "Also ich meine jetzt nicht nur mit Männern." Langsam schüttelte der Gitarrist den Kopf. "Ich sagte doch, da war sonst niemand..."
 

Satochi konnte es nicht fassen, und um sicherzugehen, dass er ihn richtig verstanden hatte, fragte er lieber noch mal nach. "Willst du damit sagen, dass du seit der Gründung von MUCC keinen Sex mehr gehabt hast?" Und wie zur Bestätigung errötete der Leader und senkte den Blick. Satochi war sprachlos. Miya nicht. "Hast du mich denn jemals nach einer Party mit einer Frau losziehen sehen? Oder habe ich je einen Termin oder eine Probe verschoben, weil ich ein Date hatte? Was denkst du denn, warum ich fast alle Aufgaben übernommen habe und nur ganz selten mit euch weggegangen bin? Ich kann mit Frauen nun mal nichts anfangen, aber ich wollte nicht, dass das jemand merkt!" Die Stimme des Gitarristen, der ihn noch immer nicht ansah, klang verzweifelt, und Satochi versuchte sich vorzustellen wie es wäre, sein wahres Ich jahrelang hinter der Arbeit zu verstecken und kein Ventil für seine Frustration zu haben. Die Vorstellung gefiel ihm ganz und gar nicht.
 

"Ganz schön erbärmlich, nicht wahr?" flüsterte Miya und riss Satochi damit aus seinen Gedanken. Er erschrak darüber, wie beschämt und traurig der sonst so coole Leader jetzt aussah, und er stand auf, ging auf Miya zu und hockte sich neben ihn. Der Gitarrist konnte ihm immer noch nicht in die Augen schauen, erst als Satochi seine Hand nahm und sanft küsste, traf sich ihr Blick. Der Drummer sah liebevoll zu ihm auf und schüttelte den Kopf. "Nein, das ist überhaupt nicht erbärmlich. Ich kenne niemanden, der so tapfer und selbstlos ist wie du. Und es gibt auch niemanden, den ich so sehr respektiere und liebe wie dich." Miya starrte ihn ungläubig an. "Ist das dein Ernst?"
 

Satochi lächelte nur und nickte. Dann ließ er Miya's Hand plötzlich los, packte ihn am Shirt und zog ihn nach vorn. Ihre Lippen krachten aufeinander und Satochi machte sich sofort daran, mit seiner Zunge den Mund des Gitarristen zu erforschen. Dieser war im ersten Moment völlig überrumpelt, fing sich aber schnell und erwiderte den stürmischen Kuss, rutschte dabei vom Stuhl und saß nun breitbeinig auf Satochi's Schoß. Sie schlangen die Arme umeinander und küssten sich leidenschaftlich, konnten gar nicht genug bekommen, bis ihnen schließlich die Luft ausging und sie schwer atmend voneinander abließen. Beide sahen sich mit lustverschleierten Augen an und Miya leckte sich unbewußt über die Lippen. Da grinste Satochi und beugte sich vor. "Komm mit." raunte er Miya ins Ohr. "Ich glaube, du hast einiges nachzuholen..."

~5~
 

Miya, der schon immer einen relativ leichten Schlaf gehabt hatte, erwachte durch ein ihm nur allzu gut bekanntes Geräusch. Allerdings konnte er sich nicht erklären, warum er dieses Geräusch gerade jetzt hörte, und so schlug er die Augen auf und sah sich im Zimmer um. Sofort fiel sein Blick auf die Person am Fußende des Bettes, die in der einen Hand eine Polaroidkamera hielt und mit der anderen das soeben entstandene Foto durch die Luft schwenkte.
 

"Sag mal spinnst du??" rief Miya wütend und wäre Yukke am liebsten an den Hals gesprungen, wovon ihn eigentlich nur die Tatsache abhielt, dass er unter der Bettdecke nicht wirklich viel anhatte. Also mußte er sich vorerst damit begnügen, den Hobbyfotografen finster anzustarren. Satochi dagegen, der durch den Lärm aufgewacht war und sich ebenfalls aufgerichtet hatte, blickte nur verschlafen und verwirrt hinüber zu dem Bassisten, der die beiden angrinste und beschwichtigend mit einer Hand vor Miya's Gesicht herumwedelte.
 

"Reg dich bitte nicht auf, ich wette, du bist mir sogar dankbar, wenn ich dir das Bild zeige." versuchte er seinen Leader zu beruhigen und hielt ihm das Foto unter die Nase. Miya würdigte es zuerst nur eines kurzen Blickes, doch als er sich abwenden wollte hielt er inne und betrachte es dann doch genauer. Yukke nickte zufrieden als er Miya sanft lächeln sah, der ihm das Bild wortlos aus der Hand nahm. Nun war auch Satochi neugierig geworden und er rutschte näher zu Miya, die schützende Bettdecke fest umklammert. Als er das Foto sah, war er sofort hellwach, seine Augen leuchteten auf und er lehnte seinen Kopf an Miya's Schulter.
 

Yukke beobachtete die beiden und dachte daran, wie er sie hier vor wenigen Minuten eng aneinandergekuschelt vorgefunden hatte. Miya lag etwas weiter unten, hatte seine Arme um die Taille des Drummers geschlungen und seinen Kopf in dessen Halsbeuge gelegt. Satochi hielt Miya's Oberkörper mit beiden Armen fest an sich gedrückt und hatte seine Wange gegen den Kopf des Gitarristen gelehnt. Beide hatten ein leichtes Lächeln auf den Lippen, und Yukke mußte dieses Bild einfach festhalten, auch wenn er wußte, dass sich so etwas eigentlich nicht gehörte und dass zumindest Miya sich erst mal sehr darüber aufregen würde.
 

Die Wut des Leaders hatte sich aber, wie erwartet, beim Anblick des Fotos schnell wieder gelegt, sodass Yukke nicht mehr um sein Leben fürchten mußte. Als die beiden unfreiwillig Fotografierten allerdings keine Anstalten machten, ihre Augen von dem Bild loszureißen, räusperte er sich, um ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn zu lenken. Und tatsächlich sahen die zwei nach wenigen Sekunden zu ihm auf. "Na, was hab ich gesagt?!" grinste er.
 

"Also gut, dir sei verziehen." erwiderte Miya nun ganz gelassen. "Aber erklär mir mal bitte, was du eigentlich in meinem Schlafzimmer zu suchen hast." fügte er hinzu und beide blickten ihn fragend an. Yukke winkte ab. "Ach, ich wollte nur mal schauen, wo ihr bleibt. Wir haben im Studio eine Ewigkeit auf euch gewartet und ans Telefon ist keiner rangegangen." Sofort sahen Miya und Satochi auf den Wecker und erschraken. Es war kurz nach eins. Sie hätten schon vor drei Stunden dort sein sollen. "Upps..." kam es von Satochi. Miya war da etwas gesprächiger. "Na schön, das sehe ich ja alles ein. Aber warum kommst du einfach rein, anstatt zu klingeln? Ich habe dir nur gesagt, wo der Zweitschlüssel zu meiner Wohnung ist, damit du im Notfall-"
 

"Deine Klingel funktioniert nicht." unterbrach ihn Yukke während er die Kamera, mit der er seinen Bandkollegen schon seit Jahren auf die Nerven ging, zurück in seinen Rucksack stopfte. Miya blinzelte ihn an. Seit wann war denn die Klingel kaputt? Okay, er bekam nicht besonders oft Besuch, der die Klingel benutzen mußte, deshalb hatte es wohl niemand gemerkt... Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Yukke weitersprach. "Und da hab ich mir gedacht, ich sehe mal nach, ob bei euch alles in Ordnung ist. Und das ist es ja zum Glück auch." strahlte er sie an. Satochi lächelte. "Du hast also nichts dagegen, dass wir..."
 

"Ach was, im Gegenteil, ich freu mich riesig für euch beide!" versicherte Yukke ihnen schnell. "Und was ist mit Tatsurou?" hakte Miya nach und das Grinsen verschwand vom Gesicht des Bassisten. Betreten schaute er nach unten auf seine Füße. "Naja, er muß sich erst noch daran gewöhnen. Aber ich bin sicher, er wird damit klarkommen. Oder zumindest hoffe ich es..." Yukke's Stimme war immer leiser geworden und er sah plötzlich traurig aus. Die drei schwiegen einen Moment. "Wie auch immer, ich bin dafür, dass die Probe heute auch ausfällt und wir dafür morgen richtig loslegen! Einverstanden?" unterbrach der Bassist die Stille und schien schon wieder fröhlich zu sein. Miya nickte. "Einverstanden. Dann bis morgen um zehn."
 

"Ja, bis morgen." grinste Yukke, winkte den beiden noch kurz zu und ging dann zur Tür. "Hey, warte mal!" rief Satochi ihm hinterher und der Bassist drehte sich um und sah ihn fragend an. Satochi lächelte sanft. "Keine Sorge, Tatsurou wird bestimmt damit klarkommen. Ich bin sicher, es wird alles gut." Yukke schaute ihn erst verwirrt an, dann schien er zu verstehen, was Satochi meinte. Mit einem traurigen Lächeln nickte er ihm zu, schloss dann die Schlafzimmertür hinter sich und verließ die Wohnung.
 

Miya sah Satochi mit hochgezogenen Augenbrauen an. "Was was das denn jetzt?" fragte er den Drummer, der noch immer gedankenverloren zur Tür sah. Schließlich wendete er ihm das Gesicht zu und sah nun selbst ein bisschen traurig aus. "Hast du es denn nicht gemerkt?" Miya dachte kurz darüber nach, dann weiteten sich seine Augen. "Du meinst..." Der andere nickte. "Ich glaube, Yukke liebt Tatsurou, aber der scheint ja nicht besonders viel von Beziehungen zwischen Männern zu halten. Yukke muß jetzt ziemlich verunsichert sein. Er tut mir leid..."
 

Miya ließ diese Neuigkeit kurz sinken, dann gab er Satochi einen Kuss auf die Nasenspitze und sah ihn aufmunternd an. "Mach dir mal keine Gedanken, du hast ja selbst gesagt, dass bestimmt alles gut wird. Bei uns hat es doch schließlich auch geklappt." Er zwinkerte ihm zu und Satochi's Gesicht hellte sich wieder auf. "Ja, das hat es." bestätigte er, tippte sich dann mit einem Finger gegen sein Kinn und überlegte gespielt, "Mmmh, was könnte man denn jetzt bloß mit dem angerissenen Tag machen?" Miya's Augen funkelten und sein Mund verzog sich zu einem vielsagenden Grinsen.
 

"Ich bin sicher, da fällt uns was ein..."

~6~
 

"Hey, aufwachen! Tatsurou!!" Yukke piekte den schlafenden Sänger immer und immer wieder in die Schulter, bis dieser sich endlich regte und die Augen aufschlug. Kein Grund für den anderen, mit dem Gepieke aufzuhören, wofür er sich Sekunden später eine Kopfnuss einfing. "Ja doch, ich bin ja wach, verdammt nochmal!" fluchte Tatsurou und richtete sich auf. Er war, während er auf die übrigen Bandmitglieder gewartet hatte, auf der Couch im Tonstudio eingeschlafen. "Wo hast du denn die anderen beiden gelassen?" fragte er verwirrt, als er Miya und Satochi nirgends sah. Yukke schaute ihn nachdenklich an. "Diese 'beiden' haben immer noch Namen, weißt du..." Tatsurou rollte genervt die Augen. "Von mir aus..."
 

"Ach komm schon, ich versteh echt nicht, was dein Problem ist! Warum kannst du dich denn nicht einfach für sie freuen?" fragte Yukke energisch, woraufhin Tatsurou ihn überrascht ansah. "Und ich kann absolut nicht verstehen, warum dir das überhaupt nichts ausmacht! Stört es dich denn gar nicht, dass das beides Kerle sind?" entgegnete er aufgebracht, stand auf, eilte hinüber zu seiner Tasche und begann darin zu kramen. In solchen Momenten fragte er sich oft, warum er eigentlich Nichtraucher war, eine Zigarette würde ihm jetzt bestimmt gut tun. Stattdessen holte er eine Flasche Wasser hervor und nahm ein paar große Schlucke. Yukke beobachtete ihn und seufzte. "Ich hätte ehrlich nicht gedacht, dass du so intolerant und homophob bist..." Bei diesen Worten riss der Sänger die Augen auf und hätte sich beinahe verschluckt. Er stellte die Flasche auf den Tisch und funkelte den Bassisten wütend an.
 

"Hör mal, ich bin weder das eine noch das andere!"
 

"Du benimmst dich aber so!"
 

"Bin ich aber nicht!!"
 

"Und was ist dann dein Problem??"
 

"Ich bin einfach mal stocksauer!!"
 

"Und auf wen??"
 

"Auf dich!! Auf mich!! Auf alle!! Wenn ich gewußt hätte, dass ihr alle so locker damit klarkommt, hätte ich mich nicht-"
 

Schnell schlug sich Tatsurou eine Hand vor den Mund. Er hatte schon viel zuviel gesagt. Jetzt konnte er nur hoffen, dass der Bassist ein bisschen begriffsstutzig war. Doch er hoffte vergebens. Yukke sah ihn fassungslos an, während er in Gedanken den Satz vervollständigte. "Du meinst, dann hättest du dich nicht verstecken brauchen?" fragte er zögerlich nach, und Tatsurou entging der hoffnungsvolle Ton in seiner Stimme.
 

Der Sänger starrte trotzig auf den Boden und schwieg. 'Das hast du ja mal wieder prima hingekriegt, du Idiot! Hättest es ja gleich auf einer Neon-Reklametafel veröffentlichen lassen können! "Tatsurou steht auf Männer! Kommt her und seht euch den Homo an!" Eine echte Meisterleistung, Glückwunsch...' giftete er sich innerlich selbst an und ballte die Hände zu Fäusten. Yukke wurde klar, dass der andere ihm nicht antworten würde, dafür war er offensichtlich viel zu sehr in Gedanken. Also ging er auf Tatsurou zu, stellte sich direkt vor ihn und schaute ihm eindringlich in die Augen. "Hab ich Recht?" Der Sänger wollte Yukke's Blick ausweichen und drehte den Kopf zur Seite. Und so sah er nicht, wie dem Bassisten langsam Tränen in die großen dunklen Augen stiegen. "Bitte sag mir, dass ich Recht habe!" flehte er und diesmal bemerkte Tatsurou die Verzweiflung in seiner Stimme. Langsam wendete er sich ihm wieder zu, und die Verwirrung stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, als er seinen Freund lautlos weinen sah. "Yukke..." Er konnte sich nicht erklären, warum der andere heute so emotional war, und noch weniger verstand er, was Yukke gerade gemeint hatte. Was wollte er ihm denn damit sagen?
 

Unschlüssig stand er dem Bassisten gegenüber und wußte nicht, was er jetzt tun sollte. Es tat ihm unglaublich weh, ihn so traurig zu sehen, aber Tatsurou war noch nie gut darin gewesen, andere mit lieben und klugen Worten aufzumuntern oder zu trösten. Und deshalb tat er das, was er am besten konnte. "Willst du ein Eis?" Unwillkürlich mußte Yukke bei dieser absurden Frage lachen, wobei ihm immer noch Tränen die Wangen herunterliefen. Tatsurou lächelte ihn an. "Schon besser." Schweigend sah er zu, wie der Bassist sich mit einem Ärmel über sein nasses Gesicht fuhr, dann räusperte er sich und schaute ihn verlegen an. "Und... ja... du hast Recht..."
 

Yukke's Augen kamen hinter dem Ärmel seines Pullovers zum Vorschein und musterten den Sänger, dem dieses Geständnis offensichtlich sehr unangenehm war. Schließlich seufzte der Jüngere. "Ist das nicht die pure Ironie? Wir vier haben uns jahrelang gegeseitig etwas vorgemacht aus Angst, nicht so akzeptiert zu werden wie wir sind. Dabei sind wir alle gleich..." Als er die letzten Worte aus Yukke's Mund vernahm, riss Tatsurou die Augen weit auf und starrte seinen Freund an. Hatte er ihn gerade richtig verstanden? Hastig suchte er nach den richtigen Worten, doch alles was ihm letztendlich einfiel, war ein einfaches "Du auch?", woraufhin Yukke nur nickte und ihn unsicher anlächelte. Tatsurou war sprachlos. Er hatte immer gedacht, er wüßte alles über seinen besten Freund... aber andererseits... Yukke hatte von seiner Orientierung ja auch nichts gewußt...
 

"Wenn sich einer von uns doch schon eher getraut hätte, etwas zu sagen, dann hätten wir uns viel Leid erspart..." dachte Yukke, den Blick nun auf den Boden gerichtet, laut und holte den anderen damit aus seinen eigenen Gedanken. Tatsurou nickte, dann legte er dem Bassisten eine Hand auf die Schulter, sodass dieser zu ihm aufsah. Zu seiner Überraschung grinste der Größere ihn munter an. "Aber jetzt ist es ja endlich raus und wir brauchen nichts mehr voreinander verheimlichen. Das ist die Hauptsache. Also wenn ich verspreche, mich nicht mehr darüber zu ärgern, dann versprichst du's auch. Okay?" Er zwinkerte ihm zu und Yukke blinzelte erstaunt. Doch nach wenigen Sekunden verwandelte sich das Staunen in ein Strahlen, das den Raum gleich viel heller erscheinen ließ. "Okay. Du hast Recht." Und mit einem frechen Grinsen fügte er hinzu "Wer hätte gedacht, dass ich so etwas mal über dich sagen würde.", wofür er gleich noch eine Kopfnuss kassierte.
 

"Blödmann..." murrte Tatsurou und zog einen Schmollmund, dann tippte er dem Bassisten an die Stirn. "Was ist denn jetzt überhaupt mit der Probe? Warten wir noch auf Miya und Satochi?" Yukke rieb immer noch seinen heute schon ziemlich arg strapazierten Schädel als er antwortete. "Nein, wir müssen erst morgen wieder hier sein. Miya hatte nichts dagegen, die Probe heute ausfallen zu lassen." Eine feine schwarze Augenbraue schnellte in die Höhe. "Das ist ja das erste Mal, dass der Herr was wichtigeres zu tun hat!" Yukke verdrehte die Augen. "Wundert dich das wirklich?" Der Sänger überlegte kurz, dann schüttelte er schmunzelnd den Kopf. "Eigentlich nicht..."
 

"Und, hast du einen Vorschlag, was wir jetzt machen könnten?" fragte Yukke, während er seine Jacke anzog. Tatsurou nickte sofort eifrig. "Ich hab einen neuen Film auf DVD, den ich sowieso demnächst mit dir anschauen wollte. Also würde ich sagen wir gehen einfach zu mir, hängen dort ein bisschen rum und sehen uns den Film an. Einverstanden?" Yukke grinste ihn zufrieden an. "Einverstanden! Und wehe du hast kein Eis im Haus!"
 

****
 

Tatsurou seufzte und blickte nach unten auf seine linke Schulter, auf der es sich Yukke's Kopf gemütlich gemacht hatte. Der Bassist war doch tatsächlich nach nur knapp 30 Minuten des Films eingeschlafen! Dabei war es sogar ein ziemlich actiongeladener Streifen! Warum war Yukke denn nur so müde? Sie hatten heute ja nicht einmal geprobt! Der Sänger hätte sich wahrscheinlich noch ewig weiter Gedanken darüber gemacht, doch da regte sich der andere plötzlich. Aber anstatt aufzuwachen, schob er seinen Kopf sogar noch weiter vor und sein Gesicht lag nun ganz nah an Tatsurou's Hals. Dieser konnte Yukke's warmen Atem auf seiner Haut spüren und ein leichter Schauer lief ihm über den Rücken. Es war lange her, dass ihm jemand so nah gewesen war...
 

Nachdenklich betrachtete er den blonden Haarschopf seines Bandkollegen. Er hatte auf einmal das starke Verlangen, ihn zu berühren, und gab diesem schließlich auch nach. Langsam hob er seine rechte Hand und strich damit behutsam über Yukke's Kopf, mit der linken Hand, in der er die Fernbedienung hielt, schaltete er den Ton des Fernsehers aus. So saß er dann einige Minute einfach nur still da und streichelte seinem Freund sanft durch die Haare. Er dachte über ihn nach und darüber, was er im Tonstudio gesagt hatte. Denn was genau Yukke mit 'Bitte sag mir, dass ich Recht habe!' gemeint hatte und warum er geweint hatte, war ihm immer noch nicht so richtig klar. Er hatte zwar eine leise Vermutung, aber... nein... damit lag er sicher falsch...
 

Weil ihm die Stille langsam unangenehm wurde, begann Tatsurou leise ein Lied zu singen. Es war 'Danzetsu', Yukke's Lieblingslied von MUCC.
 

~*~
 

Eines Tages wacht er plötzlich am späten Nachmittag auf

Er kann nicht fassen, dass es nur Sorge und Leid gibt

Der kleine Junge zwingt sich, an etwas anderes zu denken
 

Der Zug fährt langsam vorüber

Er sieht Dinge, die er wirklich mag

Aber die Dinge ändern sich zu schnell und er bekommt Angst vor ihnen
 

Damals waren sie Teil seines Lebens

Damals machten Freizeitparks und Zoos ihn glücklich

Diese Dinge erfüllten den kleinen Jungen
 

Für den kleinen Jungen ist es das Ende

Die Wahrheit ist zu grausam für ihn

Er kann nicht einmal erkennen, was er da sieht

In seiner Erinnerung gibt es nur die Unterbrechung von Zuneigung und Abneigung in dieser Welt
 

Wenn er die Tür öffnet, sieht er nur ein Stück leere Landschaft, aber er hat sich daran gewöhnt

Die Dinge, die er nicht hören kann, die verhasste Stille, es tut so weh

Das vertraute Zimmer ist leer, es ist zu groß, aber er hat sich daran gewöhnt

Warum ist die neue Seite immer noch mit Trauer gefüllt?
 

~*~
 

Er wußte, dass Yukke schon lange wach war, hatte aber dennoch weitergesungen. Der andere hatte sich nicht bewegt, hatte ihm zugehört und ins Leere gestarrt. Doch nun, da Tatsurou verstummt war, drehte der Bassist seinen Kopf so, dass er den Sänger ansehen und trotzdem auf dessen Schulter liegen bleiben konnte. Beide sagten kein Wort, schauten sich nur tief in die Augen, als könnten sie auch auf diese Weise miteinander reden. Und das konnten sie anscheinend wirklich, denn Tatsurou verstand genau, was Yukke ihm mit seinem Blick sagen wollte. Und so sang er leise weiter.
 

~*~
 

Das Tageslicht wird zur Dunkelheit, die Dinge beginnen sich zu verändern

Alles wird in ein Versteck getrieben

Er übergibt sich

Er kann nichts mehr im diesem Graben verbergen

Die Dinge beginnen sich zu verändern
 

Wenn er die Tür öffnet, sieht er nur ein Stück leere Landschaft, aber er hat sich daran gewöhnt

Die Dinge, die er nicht hören kann, die verhasste Stille, es tut so weh

Das vertraute Zimmer ist leer, es ist zu groß, aber er hat sich daran gewöhnt

Warum ist die neue Seite immer noch mit Trauer gefüllt?
 

Er liebte besonders die Blume auf dem Fensterbrett

In seiner Erinnerung waren es nur die Worte, die schmerzten

Das Bett war zu kalt, er konnte es nicht mehr ertragen

Als die Tür offen war, sah er die Landschaft nie wieder
 

Lebewohl... Lebewohl...
 

~*~
 

Zum Schluß hatte Tatsurou nur noch geflüstert. Die ganze Zeit über hatten sie einander angesehen, nicht ein einziges Mal die Augen voneinander abgewendet, selbst jetzt nicht, obwohl das Lied zu Ende war. Yukke schien in den Augen des Sängers nach etwas zu suchen, jedenfalls kam es Tatsurou so vor. Er schluckte schwer als ihm bewußt wurde, wie diese Situation für einen Außenstehenden aussehen mußte.
 

Yukke's sehnsüchtiger Blick wanderte von Tatsurou's Augen hinunter zu dessen Lippen. Er starrte den leicht geöffneten Mund wie hypnotisiert an und lehnte sich ein wenig vor, seine Hand krallte sich in dem Shirt des Sängers fest. "Bitte... nur dieses eine Mal..." flehte er kaum hörbar. Tatsurou stockte der Atem und ihm wurde klar, dass er mit seiner Vermutung doch richtig gelegen hatte. Yukke empfand mehr für ihn als Freundschaft. Die Frage war nur... was empfand Tatsurou für ihn?
 

Der Sänger sah seinen Freund in der Dunkelheit an. Sie hatten für den Film die Vorhänge zugezogen, und die einzige Lichtquelle war der stumme Fernseher, der seltsame Schatten auf ihre Gesichter warf. Lag es vielleicht daran, dass ihm Yukke's Augen plötzlich noch größer und dunkler vorkamen? Dass seine Lippen voller wirkten? Und seine Haut zarter und weicher? Zum ersten Mal betrachtete Tatsurou den Bassisten nicht mehr als normalen Freund, und erst jetzt fiel ihm auf, wie attraktiv er eigentlich war. Und er begann sich zu fragen, ob hinter seiner freundschaftlichen Zuneigung zu Yukke nicht schon immer mehr gesteckt hatte...
 

'Warum eigentlich nicht...' dachte Tatsurou noch, dann lehnte er sich langsam vor. Gleichzeitig schlossen beide die Augen, und einen Moment später berührten sich ihre Münder in einem sanften Kuss.
 

Und etwas in ihm machte Klick.
 

Das war es.
 

Danach hatte er die ganze Zeit gesucht.
 

Danach hatte er sich die ganze Zeit gesehnt.
 

Die Wärme. Die Geborgenheit. Das unbeschreibliche Glücksgefühl, mit einem geliebten Menschen zusammen zu sein. Und er hatte es die ganze Zeit direkt vor der Nase gehabt...
 

Langsam löste Tatsurou den Kuss und lehnte sich etwas zurück, um Yukke besser ansehen zu können. Dieser presste seine Lippen zusammen und hatte die Augen noch immer geschlossen. Als er sie endlich öffnete, kullerten sofort große Tränen über seine Wangen. Er war völlig aufgelöst. "Ich liebe dich, Tatsurou... Ich liebe dich schon so lange..." schluchzte er, lehnte sich gegen den anderen und vergrub sein Gesicht an dessen Schulter. Ohne zu zögern schlang der Ältere seine Arme um Yukke, drückte ihn fest an sich und zog ihn mit sich nach hinten, sodass er mit dem Rücken auf dem Sofa lag und der Bassist auf ihm drauf. Tatsurou strich ihm beruhigend über den zitternden Rücken, während er nachdachte.
 

'Ich kann es nicht fassen! All die Jahre über hat er nichts gesagt und sich gequält. Mußte zusehen wie ich nach Partys mit Frauen abgezogen bin, ohne zu wissen, dass ich nie etwas mit einer von ihnen hatte. Und ich habe mich die ganze Zeit selbst belogen. Mich und die anderen. Aus Angst, ich würde auf Ablehnung stoßen. Ich hätte mehr auf unsere Freundschaft vertrauen sollen. Freundschaft... Yukke... Ich glaube, ich liebe dich auch... Es tut mir so leid...'
 

Er schluckte die Tränen, die in ihm aufstiegen, hinunter und umarmte den wimmernden Bassisten noch fester. Ein kleines Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, und er beugte sich vor, um dem anderen etwas ins Ohr zu flüstern.
 

"Keine Angst, Yukke. Es wird nicht bei diesem einen Mal bleiben. Ich verspreche es."
 

~Ende~
 

Mmmh, ist euch schon mal aufgefallen dass die letzten 4 Kapitel alle damit anfangen, dass jemand aufwacht?! Sogar das Lied! Nicht dass das zur Gewohnheit wird… Vielleicht hätte ich die FF lieber 'Schlaf' nennen sollen, aber es gibt ja schon eine tolle unter diesem Titel *Schleichwerbung mach*

Na wie auch immer, das war's! Meine erste FF ist endlich fertig und ich bin schon ein klein wenig stolz drauf!^^ Die nächsten sind schon in Arbeit, Pairings werden nicht verraten... XP

Der deutsche Text von 'Danzetsu' ist übrigens ziemlich frei übersetzt, hab ich auch nur von einer englischen Übersetzung abgeschrieben... Ich übernehme also keine Garantie!

Danke für die lieben Kommis!!! *happy desu*

Bis bald, das Tattoo (^_^)v



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Kommentare zu dieser Fanfic (43)
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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Angel_of_Thursday
2008-03-11T23:28:40+00:00 12.03.2008 00:28
Boah!!._., Eigentlich müsst ich schon längst schlafen...aber ich konnt einfach nicht mehr aufhören zu lesen, als ich erstmal angefangen habe...^^,
Ich finde deine FF echt klasse!!+nicknick+
Nur was ich ein bisschen schade find ist, dass man nicht mehr erfährt, was Sato und Miya für Gesichter machen..xD ..Nyu.. Trotzdem sehr, sehr schön!!!<333
Von:  Jaeba
2007-09-28T01:20:16+00:00 28.09.2007 03:20
*reingestolpert komm*
... ... ... ... ...
OmG, mir fehlen schon wieder die Worte...
Warum kannst du nur so gut schreiben? *das auch können will*
Wie du die Gefühle beschreibst und... ach, alles halt, das ist einfach nur... WOW!
*sprachlos bin* (Mal wieder -.-)

Liebe Grüße
Kyoga
Von:  Tatsu-addict
2007-09-03T16:32:22+00:00 03.09.2007 18:32
oh mein gott...
ich bin hin und weg... *schnief*
es war ja so schön... *schmacht*
das pairing miya und satochi hat auch was... *grins*
nee aber echt war richtig gut!!!
Von:  Gedankenchaotin
2007-08-15T16:18:21+00:00 15.08.2007 18:18
Horrido ^^
Natürlisch konnnte ich es mir auch mal wieder nicht verkneifen und musste deine anderen FF's auch lesen... ( es werden also noch ein paar Kommmi's folgen *g* )

Ich finde deinen Schreibstil nach wie vor einfach nur genial.. du bringst das gefühlvoll und real rüber und ebenso wie deine andere FF hat mich diese von der ersten Minute an in ihren Bann gzogen ( und die folgenden werden es sicher auch tun ^^)

LG und weiter so..

Watashi
Von:  knoedelchen
2007-07-17T18:37:53+00:00 17.07.2007 20:37
*schnief* ist irgendwie extrem niedlich deine ff T^T *mit freudentränen gelesen hab*
irgendwie wirkte alles... so real... *sich grad selbst nicht versteh und lieber bye sag*
lg knoedelchen (mal wieder zu faul für ein ausführlicheres kommi...>>°)
Von:  Ruki_
2007-06-17T21:55:02+00:00 17.06.2007 23:55
deine ff ist sooooooooo geil!
schade das sie zu ende ist! *drop*
ich hoffe du schreibst noch mehr über mucc, die würd ich dann auch alle lesen! ^_^
Von:  Zukasa
2007-04-14T21:31:11+00:00 14.04.2007 23:31
hach toll *_______*
Von:  FLAU
2007-04-13T18:55:18+00:00 13.04.2007 20:55
Was fürne tolle FF!!!!
*love it*
Love Mucc*
Beim letzten Kapitel hab ich am Ende richtig Gänsehaut bekommen!^^
Von:  Aka_Tonbo
2007-04-12T18:39:24+00:00 12.04.2007 20:39
Hab mir deine FF grade durchgelesen und ich finde sie echt gut. Das letzte Kapi war ja sooooooo süß. Ach ich liebe diese verzweifelte Atmosphäre die aufkam als Yukke, Tatsuro wenigstens einmal küssen wollte. Das ist ganz nach meinem Geschmack. Ich hoffe man hört auch in Zukunft noch etwas von dir ^_^
Ich sah in deinem Steckbrief das du aus Dresden kommst. Ist ja nur wenige Kilometer von meinem Ort. Gut zu wissen das es hier auch noch Freunde des J-Rock gibt :D
Von: abgemeldet
2007-04-11T07:14:46+00:00 11.04.2007 09:14
(hatte ich hier wirklich noch keinen Kommi hinterlassen? o.o dann aber los!)

Also ich hab ja erst mal lustig geschaut, als du in der Kapitelübersicht geschrieben hast "hidden feelings" wäre deine erste FF und mir dann das erste Kapitel durchgelesen hab. Wie ich dir ja schon gesagt hab: sie ist echt total klasse geworden, kaum zu fassen, dass das das (woah!) erste Mal war, dass du sowas gezaubert hast xD.
Ich hoffe wirklich, dass da noch viee~l mehr FF´s von dir auf Animexx wandern werden, sonst wärs echt ne Verschwendung deines Schreibtalents oô
Also ran an die Tastatur und Mucc verkuppeln xDD *miya x sato fähnchen schwenk*

Ähh~ genug geschleimt..oder? eins noch: das schönste überhaupt war übrigens Satos Geständnis an Miya ^^ Mal kein theatralisches "Ich liebe dich", oder "ai shiteru", sondern ein bodenständiges, schüchternes "Ich mag dich" ^^ Das war süß ..*satochi pat*

Tja, als nächstes werd ich mir dann mal deine Gazette-Girugamesh-FF vornehmen..*reita fan desu* xD

Grüße,
Schafi


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