Angel School von MacTavish ================================================================================ Kapitel 5: Kapitel 5 -------------------- Langsam wich der Frühling dem Frühsommer. Das Wetter war nicht mehr ganz so verregnet und ich ging oft im Garten spazieren. Wenn ich draußen war, merkte ich, wie ich das Meer vermisste. Noch im letzten Sommer war ich stundenlang am Strand entlanggelaufen, hatte meine Füße ins kühle Salzwasser getaucht und Muscheln gesammelt. Doch dafür erfreute ich mich an anderen Dingen wie den vielen bunten Blumen, die im Garten wuchsen. Meistens begleitete Micail mich hinaus. Entweder unterhielten wir uns stundenlang oder saßen nebeneinander auf einer Bank und betrachteten schweigend das kleine Stück Natur. Wie ich merkte, taten wir das sehr zum Verdruss meiner Tante. Eines Mittags beim gemeinsamen Essen fragte ich sie nach dem Grund dafür. Scheinbar hatte sie gute Laune, denn sie antwortete mir ohne weitere Umschweife: „Ich habe gegen keinen von euch beiden etwas, aber ich werde nicht dulden, dass ihr eine Beziehung anfangt. Genau wie deine Mutter. Sie ist auch mit unserem damaligen Dienstboten durchgebrannt. Ja, genau: Das war dein Vater. Ich habe meine Schwester sehr geliebt, musst du wissen. Und sie hatte es wirklich nicht leicht. Meistens war sie schlecht gelaunt oder litt an Depressionen. Nicht einmal ich konnte ihr helfen. Doch kaum war dieser einfältige Diener im Raum, da strahlte und lachte sie, als wäre nichts gewesen.“ Ich war erstaunt. Davon hatte ich nicht das Geringste gewusst, geschweige denn erahnt. „Ich habe eine freundschaftliche Beziehung zu Micail“, beteuerte ich, doch Annie lachte. „Das sieht doch selbst ein Blinder, dass ihr nicht bloß Freunde seid. Das ist viel mehr, als du dir vielleicht eingestehen willst. Aber mir kann es egal sein, ich kann dagegen nichts tun, so ist das Leben.“ So hatte ich meine Tante wirklich noch nicht erlebt. „Ich habe noch eine weitere erfreuliche Nachricht für dich: Mr. Livington hat uns zu seinem Mittsommernachtsball eingeladen. Da du jetzt mittlerweile recht passabel tanzen kannst, denke ich, dass Micail und du mich begleiten werdet.“ Nachdem sie den Satz beendet hatte, widmete sie sich ihrem Essen, was jegliche weitere Gesprächsansätze unterband. Kaum dass ich fertig war, sprang ich auf und suchte Micail überall im Haus. Schließlich fand ich ihn in der Küche. „Was ist denn mit dir los? Du grinst ja wie ein Honigkuchenpferd!“, bemerkte er und ich erzählte ihm die Neuigkeit. „Das nenne ich wirklich mal eine gute Nachricht. Vor allem, dass wir beide sie begleiten dürfen.“ Sein Grinsen wurde mehr als nur unverschämt und ich wurde rot. „Na, wer wird denn gleich …“, witzelte er und stichelte mir mit einem Finger in die Seite, sodass ich mich bemühen musste, nicht zu lachen. „Hör bitte auf“, sagte ich schwer atmend und das tat Micail dann auch sofort. „Das heißt auch, dass wir bestimmt noch einmal in die Stadt fahren werden, um mir ein passendes Kleid auszusuchen“, fuhr ich fort und versuchte, eine nervige Strähne in den Zopf zurück zu schieben. „Stimmt. Meine Begleiterin soll doch möglichst annehmbar aussehen“, kam als Antwort von Micail zurück. „Sehr witzig“, erwiderte ich spitz und wollte gerade nach der Türklinke greifen, doch Micail hielt mich am Handgelenk fest. „Das war ernst gemeint.“ Ich riss mich ohne ein weiteres Wort von ihm los und ging wieder in mein Zimmer hinauf. Der restliche Mai und die ersten zwei Juniwochen vergingen ohne weitere große Ereignisse. Micail mied mich sonderbarerweise, was ich mir nicht erklären konnte. Doch ein zufälliger Blick in seine Augen verriet mir, dass ihn irgendwelche Sorgen quälten. Lillian hingegen fuhr fort, mir das Tanzen beizubringen, was aber mit dem meistens schlechtgelaunten Micail nicht unbedingt einfach war. Schneller als es mir lieb war kam der Ball heran. Ich schaffte es, ganze anderthalb Stunden damit zu verbringen, meine Haare ordentlich zu frisieren, mich zu schminken und anzuziehen. Das Kleid, das meine Tante und ich gekauft hatten, war ein Traum. Fand ich zumindest. Es war nachtblau und einfach geschnitten, wobei allerdings die Schultern und ein großer Teil des Rückens frei blieben. Annie hatte mir auch etwas von ihrem Schmuck gegeben. Ein silbernes Collier und passende Ohrringe dazu. Als ich mich im Spiegel sah, verschlug es mir erst einmal den Atem. Ich fragte mich insgeheim auch, was Micail dazu sagen würde. Es war wie am ersten Tag. Micail erwartete mich am Fuß der Treppe und staunte, als er mich sah. Selbst meine Tante nickte anerkennend. „Du siehst genauso aus wie deine Mutter“, flüsterte sie mir zu, was mir ein Lächeln entlockte. Zusammen fuhren wir zur Villa der Livingtons. Micail bot Annie seinen Arm an und ich folgte den beiden in den Ballsaal. Ich war schon vor ein paar Wochen bei Lillian gewesen, doch damals war der Saal noch nicht so prächtig geschmückt gewesen. Überall hingen Blumengestecke und Lichter an den weißen Säulen und im Garten draußen entdeckte ich einen Springbrunnen. Zur Eröffnung des Festes hielt Mr. Livington eine kurze Rede und bat schließlich seine Frau um den ersten Tanz. Mehr und mehr Paare fanden sich auf der Tanzfläche ein und bald entdeckte ich auch Lillian, die mit einem jungen Mann tanzte. Ich beobachtete und bewunderte sie, wie sie sich leichtfüßig und anmutig bewegte. Bald darauf begann das kleine Orchester ein neues Stück zu spielen und Lillian hatte Gelegenheit, sich zu mir zu setzen. „Du siehst gut aus“, stellte sie fest und lächelte. „Dasselbe kann man von dir auch behaupten“, erwiderte ich. „Außerdem kannst du auch gut tanzen.“ „Na ja, das habe ich größtenteils meinem guten Partner zu verdanken. Das ist Duncan, mein Halbbruder. Er ist der Sohn meiner Stiefmutter.“ Duncan, der Lillian zu meinem Tisch gefolgt war, nickte mir zu. „Schön, dich kennen zu lernen. Meine Schwester hat mir schon einiges über dich erzählt.“ Ich besah ihn mir von oben bis unten. Er hatte helle Haare, leicht gebräunte Haut, blaue Augen und daher vom Aussehen her das komplette Gegenteil seiner Schwester. „Dürfte ich dich um einen Tanz bitten?“, fragte er auf einmal. „Ja, natürlich“, antwortete ich etwas holprig und stand auf. Lillian hatte Recht gehabt, er konnte wirklich gut tanzen. Ich verhaspelte mich zwar ein paar Mal, doch darüber sah er hinweg. Es war wirklich schwierig, wenn noch mehr Paare auf der Tanzfläche waren. Man musste sich ständig bemühen, mit niemandem zusammenzustoßen. Doch dank Duncans Führung kam es nicht dazu. Als wir zu Lillian zurückkehrten, hatten sich noch zwei Jugendliche zu ihr gesellt. Ich schaute überrascht in die Runde und zu meinem Glück erkannte meine Freundin die Situation und stellte sie mir vor: „Kirya, das sind Marco und Danniel, Freunde meines Bruders. Jungs, das hier ist Kirya. Sie wird ab nächstes Schuljahr zu meiner Klasse gehören.“ Ich reichte beiden meine Hand und sie erwiderten die Geste. Danniel war schlank und nicht unbedingt viel größer als ich, Marco hingegen war fast ein Riese und auch dementsprechend gebaut und sein Aussehen sowie seine Ausdrucksweise verrieten ihn als Italiener. Wir setzten uns und kamen ins Gespräch über die Schule. So erfuhr ich, dass die drei Jungs auch zu den ‚Engeln’ gehörten. Es machte mir wirklich Spaß, unter Leuten in meinem Alter zu sein. Wir waren so vertieft in unsere Unterhaltung, dass ich gar keine Notiz davon nahm, wie Micail hinter mich getreten war. Erst Lillian wies mich darauf hin und ich drehte mich herum. Er hielt mir seine Hand hin, was wohl eine Aufforderung zum Tanz war. Als ich aufstand, nickte er zufrieden und geleitete mich auf die Tanzfläche, die sich mittlerweile doch ein wenig geleert hatte. Das Orchester spielte zu meiner heillosen Verwirrung gerade ein sehr langsames Stück an, sodass Micail und ich uns sehr nahe kamen. Ich hatte erwartet, dass er mit mir reden wollte, doch er schwieg beharrlich. Allerdings waren seine Bewegungen nicht mehr so steif wie noch in den letzten Wochen beim Üben. Ich genoss es regelrecht und schloss die Augen, um mich von ihm führen zu lassen. Erst als die Musik verklang und ich meine Umgebung wieder wahrnahm, bemerkte ich, dass die restlichen Paare in einem weiten Kreis um uns gebildet und begeistert zugeschaut hatten. Ich wollte gar nicht wissen, was sie dachten. Nur Micail lächelte mich an, nahm meine Hand und küsste diese. „Begleitest du mich in den Garten?“, flüsterte er fragend und ich nickte. So gingen wir hinaus, die erstaunten Gäste hinter uns zurücklassend. Wir fanden schließlich eine Bank in einem geschützten Teil des Gartens und setzten uns. „Warum haben uns eigentlich alle beim Tanzen zugeschaut?“, fragte ich Micail, um das entstandene Schweigen zu brechen. „Hast du es denn nicht mitbekommen? Wir – nein du hast sie alle verzaubert. So schön wie du aussiehst, wie du tanzt … Einfach alles“, sagte er leise, legte eine Hand an meine Wange und küsste mich. Ich war derart überrascht, dass ich es einfach geschehen ließ. Es war noch nicht einmal unangenehm. Nach einigen Augenblicken ließ er wieder von mir ab und schaute mir ins Gesicht. „Ich liebe dich“, flüsterte er und mir wurde kalt. Ich rückte ein Stück von ihm ab und schüttelte den Kopf. „Nein. Sprich diese Worte nicht so leichtfertig aus, wenn du es nicht ernst meinst“, entgegnete ich. Ich wusste nicht, woher dieser Reflex kam. Tief in meinem Herzen war etwas, was diese Worte nicht hören wollte. Liebe – dieses Wort war mir mittlerweile fremd geworden. Ich war von den beiden Personen, die ich am meisten geliebt hatte, einfach im Stich gelassen worden. Ich hatte Angst, dass mir dasselbe noch einmal passieren würde. „Ich empfinde etwas für dich, doch es ist nicht viel mehr als Freunde es füreinander tun“, sagte ich schließlich. Er seufzte. „Ich habe mir also falsche Hoffnungen gemacht, So, wie du dich mir gegenüber verhalten hast. War das alles unecht?“ „Nein. Aber ich möchte nicht noch einmal so enttäuscht werden, wie von meinen Eltern. Bitte versteh’ das.“ Micail sah mich an und der Ausdruck seiner Augen brach mir das Herz. „Ich verstehe“, erwiderte er und seine Stimme versagte ihm. Er wollte aufstehen und gehen, doch diesmal war ich es, die ihn zurückhielt. Ich wusste nicht, was ich tun sollte und versuchte die Situation zu retten: „Damit habe ich auch gemeint, mich nicht einfach so allein sitzen zu lassen.“ Er musste lachen. Ehe ich mich versah hatte er mich zu sich gezogen und mir noch einen Kuss gestohlen. „Lass’ uns tanzen gehen.“ Meinetwegen hätte es noch den ganzen Abend so weitergehen können. Mittlerweile hatte das Orchester gewechselt und nun schwebten Salsaklänge durch die Luft. Viele der jüngeren Leute waren auf der Tanzfläche, einschließlich Lillian und ihrem Bruder. Micail und ich gesellten uns zu ihnen. Mir gefiel dieser Stil zu tanzen sehr. Er zeigte, dass zwischen Mann und Frau nicht unbedingt Worte nötig waren, um zu zeigen, dass man sich liebt. Ich hatte mich beim Üben immer schwer damit getan, so mit Micail zu tanzen, doch heute Abend war es anders. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, ihm so nahe zu sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)