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Contra todo el Mundo

(Gegen die ganze Welt)
von

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Helen

Helen
 

Schon wieder so ein Tag. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern und alle Leute sind bei bester Laune. Alle, außer mir, fühlen sich heute toll. Ich hasse diesen Tag. „Wieso bin ich die Einzige, die niemand will? Die Einzige, die niemand mag? Wieso musste das Leben so ungerecht zu mir sein?“ Die ganze Zeit schon schwirren mir diese Gedanken durch den Kopf.
 

Mein Name ist Helen. Ich bin 16 Jahre alt und das wohl armseligste Mädchen auf dieser Welt. „Wieso?“, fragt ihr. Das ist ganz einfach: Meine Eltern sind nie da. Sie lieben mich nicht, sie interessieren sich nicht für mich. Ich bin mir nicht mal sicher, ob sie überhaupt wissen, dass ich existiere. Und bei meinen Klassenkameraden ist es das Gleiche. Etwas anderes außer Abneigung habe ich von ihnen noch nie zu spüren bekommen.
 

Dabei dachte ich, das alles würde sich ändern, als eine Neue an meine Schule kam. Ihr Name war Lena und sie war das Schönste, was ich je in meinen Leben gesehen hatte. Sie hatte lange schwarze Haare, die ihr bis zur Hälfte ihres Rückens gingen und ihr schmales und wunderschönes Gesicht perfekt einrahmten. Sie war schlank und auch ein wenig kleiner als ich. Nicht viel, vielleicht 5 Zentimeter, aber es reichte um einen guten Blick in ihre blauen Augen zu bekommen. Ich hatte noch nie solch blaue Augen gesehen. Sie funkelten wie Saphire im Licht und zogen mich von Anfang an in ihren Bann. Dieses Mädchen war so abgrundtief schön und mir fiel nur ein Wort ein um sie zu beschreiben: WoW!

Ich wusste vom ersten Augenblick an, dass sie nur für mich da war. Dass ich nur sie und niemand anderen lieben könnte.
 

Gleichzeitig traf mich diese Erkenntnis wie ein Schlag in den Magen. Was dachte ich da nur? Wie konnte ich nur denken, dass ich ein Mädchen lieben könnte?! Ich war doch selber ein Mädchen! Wie konnte ich mich als Mädchen in ein anderes Mädchen verlieben?! Was war los mit mir? Ich begann zu weinen. Was wenn die Anderen heraus bekämen, dass ich in ein Mädchen verliebt war?! Sie hassten mich doch jetzt schon und taten alles um mir das Leben schwer zu machen. Was würden sie erst tun, wenn sie erfuhren, dass ich lesbisch war?
 

Mit einem Mal hatte sich alles verändert. Aber ich wollte nicht, dass es sich veränderte und so weinte ich. Ich weinte den ganzen Tag bis tief in die Nacht hinein. Irgendwann schlief ich dann ein. Der Schlaf tat mir gut. Er vertrieb die Gedanken an die Anderen und sorgte dafür, dass ich mich beruhigte.

Ich träumte in jener Nacht von ihr. Dem Mädchen, das ich liebte. Ich träumte von ihr und schlief so gut, wie ich noch nie in meinen Leben geschlafen hatte.
 

Am nächsten Morgen tat mir alles weh. Das viele Weinen von Tag zuvor hatte seine Spuren hinter lassen. Ich fühlte mich schlecht, aber meine Mutter hätte es nie zugelassen, dass ich zu hause blieb. Tatsächlich rief sie mich auch schon wenige Sekunden später. Es war keine freundliches oder liebevolles Rufen, wie es Mütter normalerweise riefen, wenn sie ihre Kinder morgens wecken wollten. Es war ein völlig neutrales, gefühlskaltes Rufen. Ich hätte ihr am liebsten nicht geantwortet, aber da sie sonst zu mir ins Zimmer gekommen wäre, antwortete ich mit einem „Komme ja schon!“ und ging dann zu ihr hinunter.

Als ich in der Schule ankam, fühlte ich wieder das Angstgefühl in mir aufsteigen. Dieses Gefühl, das mir sagte, ich sei nicht in Ordnung. Ich sei schmutzig und ekelhaft. Ich war schon am Überlegen, ob ich nicht doch lieber wieder nach hause gehen sollte, als ich meinen Engel sah. Meinen Schatz. Sie ging an mir vorbei und begrüßte mich. Ich schreckte automatisch zusammen „Oh Gott! Sie weiß das ich existiere!“, schoss es mir plötzlich durch denn Kopf.

Da ich in den letzten Jahre nur Ablehnung und Ignoranz von meinen Eltern und von meinen Klassenkameraden entgegen gebracht bekommen hatte, war ich es schon lange nicht mehr gewohnt, dass mich einfach so jemand ansprach. Aber schon im nächsten Moment breitete sich ein unglaublich warmes Gefühl in mir aus. Und zum ersten Mal in meinem Leben ging ich gerne in meine Klasse.
 

Mit einem Lächeln, das mir wohl bis zu beiden Ohren reichen musste, betrat ich die Klasse. Doch noch auf der Türschwelle blieb ich wie angewurzelt stehen. Ungläubig sah ich mich um. „Hm? Wo sind die denn alle?“ Langsam betrat ich den Raum und sah mich dabei sorgfältig um. Es wäre nicht das erste mal gewesen, dass meine Klassenkammeraden sich irgendwo versteckt hätten, um mich dann in einem unachtsamen Moment meinerseits, mit einem Eimer Wasser zu übergießen oder sich sonst irgendeine Gemeinheit ausgedacht hätten. Aber der Raum war definitiv leer. Selbst hinter den Vorhängen, eines ihrer beliebtesten Verstecke, war niemand. Verwirrt stand ich einen Augenblick am Fenster, dann fiel mein Blick auf die Sporthalle und mir wurde schlagartig bewusst, dass wir ja heute in den ersten beiden Stunden Sport hatten. Ich fing, mich über meine eigene Vergesslichkeit amüsierend, an zu lachen und beeilte mich noch rechtzeitig zum Stundenbeginn in der Halle zu sein.
 

Eigentlich hasste ich Sport. Ich verstand und verstehe bis heute nicht, was so toll daran sein sollte sich solange abzurackern bis einem der Schweiß auf der Stirn stand und man fast umkippte. Diese Einstellung hatte wahrscheinlich auch maßgeblich dazu beigetragen, dass ich bis heute noch nie eine bessere Zensur als eine 3 in Sport bekommen hatte. Aber heute war es anders. Ich hatte regelrecht das Gefühl zur Sporthalle zu fliegen, so schnell rannte ich. Der Grund dafür war wohl der, dass wir zusammen mit unserer Parallelklasse Sportunterricht hatten. Und genau in diese Klasse ging mein Engel. Als ich die Halle schließlich erreicht hatte, waren die Anderen bereits umgezogen. Mit gesenktem Blick betrat ich das Gebäude. Ich wusste, dass die Anderen mir mit ihren feindseligen Blicken folgten. Deshalb hob ich meinen Kopf auch nicht, als ich meine Beine Richtung Mädchenumkleideraum lenkte. Ich kam nicht sehr weit, denn schon nach ein paar Schritten stieß ich mit jemandem zusammen. Ich fluchte laut, ob dieser jemand denn nicht aufpassen könnte, doch als ich aufsah, verflog meine Wut sofort. Lena stand vor mir. „Tut mir leid. Ich habe dich nicht gesehen. Ist alles in Ordnung?“, sagte sie, doch ich wahr unfähig zu antworten.
 

Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, bin ich mir nicht sicher, ob ich, wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, meinen Blick gesenkt halten würde und damit wieder in sie reinlaufen würde. Es hätte mir wahrscheinlich viel Ärger erspart, aber andererseits wäre ich Lena wohl auch nie so nahe gekommen.

Lena

Lena
 

„Halt dich von ihr fern.“ Das war das erste was mir meine Mitschüler über Helen sagte. Ich habe nicht auf sie gehört...
 

Mein Name ist Lena. Ich bin 16 Jahre alt und neu in der Stadt. Meine Eltern und ich sind hier vor 2 Tagen eingezogen. Dementsprechend schlecht sieht es auch mit meinen sozialen Kontakten aus. Ich hoffe, das wird sich schon bald ändern.

Wobei ich mich besonders freuen würde, wenn ich mich mit einem bestimmten Mädchen anfreunden könnte. Ich habe sie gestern gesehen. Sie war ungefähr in meinem Alter und wirkte unglaublich traurig. Ihr Anblick versetzte meinem Herzen einen heftigen Stich. Es war seltsam, aber sie so zu sehen machte mich ebenfalls total traurig. Und dabei kannte ich sie noch nicht mal. Ich wollte sie aufmuntern und so lächelte ich ihr zu. Sie sah mich erst etwas verschreckt an, erwiderte dann aber meine Lächeln mit einem kleinen, leichten Grinsen. Ihr Gesicht dabei war süß wie Zucker. Sie lächeln zu sehen war einfach nur wunderbar. Ich fühlte mich unglaublich glücklich in diesen Moment. Es war genau wie damals...
 

*Flashback*

Es war ein Tag wie jeder andere gewesen. Zumindest dachte ich das, als ich am Morgen von zu hause aufbrach und zum nahegelegenen Spielplatz ging. Ich war damals 7 Jahre alt. Ein kleines, freches und neugieriges Mädchen, das seine schwarzen Haare am liebsten in zwei Zöpfen trug und in der ganzen Nachbarschaft bekannt war. Aber dieser Tag sollte mein ganzes Leben verändern.

Es war noch relativ früh, als ich am Spielplatz ankam. Im ersten Moment dachte ich es wäre noch niemand da. Aber dann hörte ich ein leises Geräusch. Es war das Rascheln von Blättern gepaart mit einem Art Wimmern. Ich blickte mich um und bemerkte, dass sich hinter einem der Büsche, die vereinzelt auf dem Gelände standen, etwas bewegte. Jedes andere Kind hätte sich wahrscheinlich tunigst von dem Busch ferngehalten aber bei mir war die Neugier geweckt worden. Also schlich ich um den Busch herum und fand dort ein kleines Mädchen sitzen. Sie hatte ihre Arme um ihre Beine geschlungen und den Kopf an diese gelehnt. Ihre zottelige blonden Haare fielen ihr ins Gesicht, aber ich konnte dennoch ihre vom Weinen geröteten Augen erkennen. Sie hatte wohl schon eine ganze Weile dort gesessen und sich die Augen ausgeweint. Ich setzte mich neben sie, legte ihr einen meiner Arme um die Schultern und fragte sie, warum sie den so weine. Eine ganze Weile lang erhielt ich keine Antwort, aber gerade als ich ein zweites mal fragen wollte, hörte ich ihre leise, von Schluchzern durchsetzte Stimme. „Sie haben... Sie haben mich nicht lieb. Sie hassen mich. ...Sie wollen mich nicht...“

Ich sah sie einen Moment verwirrt an, dann fragte ich: „Wer, wer mag dich nicht? Wie kommst du darauf?“

Diesmal brauchte ich nicht allzu lange auf meine Antwort warten. “Meine Eltern... Sie sind nie da. Sie... Sie gehen immer weg und lassen mich alleine...“

„Und wieso glaubst du, dass sie dich nicht lieb haben?“

„Weil... Weil ich sie gehört habe... Ich hab Mama gehört, wie... wie sie zu meinen Papa gesagt hat: Ich hasse sie! Ich kann ihren Anblick nicht ertragen! Ich wünschte, sie wäre nie geboren worden. Jedes Mal wenn ich sie sehe,... sehe ich IHN vor mir.“ Sie brach ab, wurde wieder von einem heftigen Heulkrampf geschüttelt.

Ich versuchte sie zu trösten, aber es gelang mir nicht. Sie wollte einfach nicht aufhören zu weinen. Da nahm ich sie in den Arm und küsste sie. Ich weis bis heute nicht, was mich dazu brachte sie zu küssen. Es war mein erster Kuss. Und ich habe ihn bis heute nicht vergessen.

Was danach genau passierte, weiß ich nicht mehr. Sie hörte auf zu weinen, ja. Aber ansonsten ist die Erinnerung verschwommen. Das Nächste, woran ich mich erinnere ist, dass es dunkel geworden war und wir nach hause gingen. Wir hatten uns versprochen, am nächsten Tag wieder zu dem Spielplatz zu kommen.
 

Am nächsten Tag konnte ich es kaum erwarten wieder zum Spielplatz zu gehen. Als ich dort ankam, war das Mädchen noch nicht da. Also setzte ich mich auf eine Schaukel und wartete. Ich wartete bis in die Nacht hinein und ging erst als meine Mutter ängstlich zum Spielplatz gelaufen kam, weil ich nicht nach hause gekommen war und sie dachte mir sein etwas passiert. Ich sagte, mir, dass dem Mädchen vielleicht etwas dazwischen gekommen sei und dass sie bestimmt morgen kommen würde. Aber auch am nächsten Tag kam sie nicht. Und auf den darauffolgenden Tag ebenfalls nicht. Aber trotzdem wartete ich jeden Tag auf sie, in der Hoffnung, dass sie eines Tages plötzlich vor mir stehen würde. Doch sie kam nicht und irgendwann hörte ich auch auf, auf sie zu warten.
 

In den darauf folgenden Jahren hatte ich natürlich auch andere Beziehungen, aber keine konnte mir wieder dieses Gefühl geben, welches ich damals bei diesem weinenden Mädchen empfunden hatte. Dieses unglaublich starke Gefühl der Verbundenheit, das man nur bei seiner einzig wahren Liebe verspürt.

*Flashback Ende*
 

Der erste Schultag verlief echt gut. Alle waren total nett zu mir und ich verstand mich auch sofort mit ihnen. Aber trotz all dieser Leute ging mir das Mädchen mit den traurigen Augen nicht aus dem Kopf.
 

Die erste Nacht in meinem neuen Zimmer schlief ich wirklich gut. Ich weiß leider nicht mehr genau wovon ich geträumt habe, aber ich weiß das es etwas Schönes gewesen war. Leider passiert mir das oft, dass ich mich an meine Träume nicht erinnern kann.
 

Heute jedenfalls haben wir in der ersten Stunde Sport. Ich liebe Sport total. Das Gefühl, wenn man eine gute Leistung erbracht hat, finde ich einfach umwerfend.

In der Sporthalle angekommen, merkte ich, dass unsere Parallelklasse mit uns zusammen Sport hatte. Und diese Erkenntnis machte mich unglaublich glücklich. Denn wie ich nur ein paar Minuten später erfuhr, war diese Klasse, die Klasse in die das Mädchen mit den traurigen Augen ging. Ich hielt nach ihr Ausschau und entdeckte sie nach einem kurzen Moment tatsächlich. Ich fragte ein paar Leute aus meiner Klasse, wer sie denn sei. Die Antworten, die ich erhielt, waren alle ziemlich ähnlich und verblüfften mich ungemein. „Die da? Das ist Helen, die kleine Angeberin. Sie ignoriert uns und tut immer so, als sei sie die schönste und wichtigste Person auf der Welt. Wenn du dir selbst einen Gefallen tun willst, dann halt dich von ihr fern. Die mag hier nämlich keiner.“

Ich konnte mir das gar nicht vorstellen. Sie wirkte auf mich so einsam und verlassen. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie ein so gemeines Biest sein sollte. Also entschloss ich mich zu ihr rüber zu gehen und sie anzusprechen. Dabei war ich so in meine Gedanken vertieft, dass ich gar nicht bemerkte wie auch sie sich in Bewegung setzte und in meine Richtung lief. Und so kam es, dass ich sie aus Versehen anrempelte. Sie fluchte wie irre, aber als ich mich entschuldigte und sie zu mir aufsah, schien sich all ihr Ärger in Luft aufgelöst zu haben. Sie stammelte ein leises „Schon okay.“ und sah mich mit ihren süßen Augen an.

Erste Schritte .1.

Hei leute ich danke euch für die commis die ich bis her gekriegt habe und möchte auch gleich sagen das ich versuchen werde so schnell wie möglich denn nächsten cap.fertig zu stellen ~♥~ viel spass beim lesen und nicht vergessen erzählt mir wie ihr es findet =)
 


 

„Endlich Schulschluss.“, dachte ich.

Der Tag war mal wieder die Hölle gewesen. Das Hochgefühl, das ich noch am Anfang des Tages verspürt hatte, war spätestens im zweiten Teil der Sportstunde wieder verflogen. Ich hatte es zwar geschafft, wenn man mal von dem kleinen Zusammenstoß mit Lena absah, relativ unbehelligt in die Umkleide zu kommen, aber meine Klassenkameraden hatten mich durchaus nicht vergessen lassen, was sie von mir hielten. Beim Stabhochsprung war die Latte aus unerfindlichen Gründen bei mir nie richtig auf die Halter gelegt worden, meine Unterwäsche war, während ich beim Duschen war, rein versehentlich im Mülleimer gelandet und meine Hausaufgaben waren auch nur ganz zufällig aus dem geöffneten Fenster geflogen. Von dem Getuschel, das ‚heimlich’ hinter meinem Rücken stattfand, und der Ignoranz mir gegenüber will ich gar nicht erst anfangen.

Aber was beschwerte ich mich eigentlich? Das war doch immerhin mein schulischer Alltag. Sollte ich es nicht langsam gewohnt gewesen sein?
 

Ich war so in meine Gedanken versunken, dass ich gar nicht bemerkte wie Lena plötzlich vor mir auftauchte und „Buh!“ sagte. Ich erschreckte mich total. Zum Einen, weil sie beim Anschleichen an mich leise wie eine Katze gewesen war und zum anderen, weil mich seit Urzeiten niemand mehr freiwillig angesprochen hatte. Mein Gesichtsausdruck muss wohl zum Schreien gewesen sein, denn Lena bekam sich gar nicht mehr ein vor lachen. Einen kurzen Moment sah ich sie einfach nur verdattert an, dann stimmte auch ich mit in ihr Lachen ein, weil ich zugeben musste, dass es doch recht lustig war.

Es war erstaunlich. Hätte ein anderer Klassenkamerad mich auf diese Weise erschreckt, hätte ich wohl so schnell wie möglich meine Sachen gepackt und wäre aus der Klasse gestürmt. Aber bei Lena war das anders. In ihrer Nähe fühlte ich mich frei und unbefangen. Ich wusste in diesem Moment, dass ich ihr vertrauen konnte und dass sie dieses Vertrauen nicht missbrauchen würde.
 

Es dauerte ein paar Minuten, bis wir wieder aufhörten zu lachen. Lena sah mich lächeln an und ich konnte nicht umher in ihre blauen Augen zu sehen. Ich hatte das Gefühl zu versinken. Als würde ich von meinem Platz in der Schule in diese wunderbaren, tiefen Augen gezogen werden. Ich vergaß alles um mich herum und erst Lenas Stimme holte mich wieder in die Realität zurück. „Hi!“, sagte sie. „Wie geht’s?“

Einen kurzen Moment starrte ich sie einfach nur an, so sehr überrascht mich diese Frage, aber dann fand ich glücklicherweise meine Stimme wieder und antwortete leise: „Gut. Und dir?“

„Auch gut. Ich bin Lena. Und wie lautet dein Name?“

„Ich bin Helen.“

“Hi Helen! Schön dich kennen zu lernen.“ Sie lächelte mich an. „Ich hab da mal eine Frage an dich: Kannst du mir zeigen, wo man hier Spaß haben kann?“

„Tut mir leid. Aber da kann ich dir nicht weiter helfen. Ich halte mich nicht sehr viel hier in der Stadt auf. Ich mag es nicht so sehr an Plätze zu gehen, wo viele Menschen sind und-“ Ich brach mitten im Satz ab. Was redete ich denn da nur?! Da sprach mich mal jemand an und ich dumme Nuss sagte so was. Bestimmt hielt sich mich jetzt für total langweilig und wollte nichts mehr mit mir zu tun haben. Aber nicht geschah. Sie sah mich zwar einen kurzen Moment verdutzt an, sagte dann aber: “Oh, das ist aber ungewöhnlich. Wo gehst du denn dann gerne hin?“

Ich sah sie einen Moment skeptisch an. Hatte ich mich gerade verhört? Sie bezeichnete mich als ungewöhnlich? Dabei war sie doch mindestens genauso seltsam. Jeder normale Mensch hätte mich doch als öde bezeichnet und nicht als ungewöhnlich. Ich dachte kurz nach. War das vielleicht wieder eine Gemeinheit von meinen Mitschülern. Hatten sie Lena dazu überredet sich erst mit mir anzufreunden, um mich dann wie eine heiße Kartoffel fallen zu lassen? Aber dann sah ich Lenas Gesicht und eine leise Stimme in mir flüsterte mir zu, dass es ok wäre ihr zu vertrauen.

„...In den Wald... Ich liebe den Wald, weißt du. Dort ist es so ruhig und da stört mich auch keiner oder macht sich über mich lustig.“

„Okay! Dann gehen wir jetzt in den Wald.“, meinte Lena.

Ich starrte sie einen Momenz perplex an. „Hää? Wieso den in den Wald?!?“ Diese Aussage wsr das letzte, was ich erwartet hatte zu hören.

„Na weil du den Wald magst.“

„Ähm.... Okay. Aber es wird dauern bis wir da sind...“

„Das ist schon in Ordnung. Ich mag es lange zu gehen. Dabei kann man sich gut unterhalten.“

Wieder lächelte sie mich mit ihrem warmen Lächeln an.
 

Wir redeten den ganzen Weg bis zum Wald. Und ich taute in dieser Zeit immer mehr auf. Es war schon komisch: Ich kann mich nicht erinnern, jemals so offen mit jemanden gesprochen zu haben, aber mich mit ihr zu unterhalten macht mich glücklich und es bereitete mir enorm viel Spaß.

Als wir in Wald angekommen waren, zeigte ich ihr meine Lieblingsstelle.

Es war eine Lichtung mit einem See und ich liebte diesen Ort über alle Maße. Auf der Oberfläche des Gewässers spiegelten sich die Wolken des Himmels. Das Ufer war von Bäumen gesäumt und an einer Stelle stand eine großer, von Wind und Wetter gebeutelter Baum, desen lange Äste ins Wasser hingen und von der Strömung leicht mitgerissen wurden. Das Wasser war glasklar und an manchen Stellen konnte man sogar kleine Fische erkennen, die in Schwärmen fröhlich durchs Wasser schwammen. Aber das Schönste war wohl die kleine Insel in der Mitte des Sees, auf der sich nur ein einzige alte Weide befand.
 

Wir blieben den ganzen restlichen Tag dort und redeten über alles mögliche. Erst als es dunkel wurde, merkten wir, dass wir uns wohl langsam auf den Weg machen mussten.

„Oh Mann, ich will nicht nach hause.“,sagte Lena.

„Da bist du nicht die Einzige.“

„Sag mal, was machts du denn dieses Wochende?“, fragend sah sie mich an.

„Ich glaube Nichts. Ich hatte zumindest noch nichts vor.“

„Klasse!“ Lena klatschte begeistert in die Hände.“Ich nämlich auch nicht! Dann können wir was zusammen machen! Du kannst mir ein bisschen die Stadt zeigen. Und wir könnten ins Kino gehen. Und wenn du willst, kannst du ja bei mir übernachten. Oder ich bei dir!“

„Also wenn wir bei mir schlafen, sind wir alleine. Meine Eltern sind nähmlich nicht da.“

„Dann gehen wir zu dir. Da können wir uns dann nämlich einen gemütlichen Abend machen.“

„A-aber du kennt mich nicht! Du weißt doch gar nichts über mich!“

„Doch ich weiß etwas über dich.“, sagte Lena freudestrahlend. „Deine Name ist Helen und du magst den Wald. Und außerdem hasst du Orte, an denen viele Menschen sind.“

„Oh, wie konnte ich das nur vergessen! Das ist ja auch wirklich viel!“
 

Als wir uns verabschiedeten, gab mir Lena ein Kuss auf die Wange und verschwand dann im Dunkeln. Ich stand noch mindestens fünf Minuten bewegungslos und mit offenem Mund da und starrte in die Richtung, in die sie verschwunden war.

Ich weiß nicht mehr, wie ich es geschafft habe nach hause zu kommen, denn ich konnte an nichts anderes als an diesen einen kurzen Moment denken, in dem mich ihre Lippe so unglaublich sanft berührt hatten.

Mit einem glückseeligem Lächeln betrat ich mein Heim und bemerkte sofort, dass meine Eltern mal wieder nicht zu hause waren. Aber im Gegensatz zu sonst, war es mir relativ egal. Ich suchte zwar nach einer Nachricht oder einer kurzen Notiz, die mir gesagt hätte, wo die Beiden sich befänden, fand aber nichts dergleichen. Also ging ich hoch in mein Zimmer und dachte bis ich einschlief über nichts anderes als den Tag und Lena nach.

Erste schritte 1.2

Der nächste Tag war der Wahnsinn. Ich habe Lena am Morgen abgeholt und wir nahmen den Bus in die Innenstadt. Ich habe ihr alles gezeigt. Den Marktplatz mit der Kirche und dem Rathaus, die Einkaufstraße, den Stadtpark, einfach alles. Und ich entdeckte eine neue Eigenschaft an ihr. Sie liebte es einkaufen zu gehen!

Sie zog mich in wohl so jedes Geschäft, das es gab und aus vielen –wobei es sich dabei hauptsächlich um Modeläden handelte- entließ sie mich erst wieder, nachdem ich mir etwas gekauft hatte. Ob ich nun wollte oder nicht. Allerdings musste ich zugeben, dass sie wirklich Geschmack besaß und die Sachen, die sie mir aus den Kleiderständern heraus suchte, einsame spitze waren.

Nach gut 4 Stunden war ich voll bepackt mit Tüten und meine Füßen schienen mich vor Schmerz schier umzubringen. Lena zeigte derweil nicht mal das kleinste Ermüdungszeichen. Ich wollte mich nur noch irgendwo hinsetzen und etwas trinken, den meine Kehle kam mir vor, als wäre sie die Wüste Sahara persönlich. So öffnete ich den Mund um Lena dies mitzuteilen und schloss ihn gleich darauf wieder. Ein Gedanke war plötzlich in meinem Kopf aufgetaucht und ließ sich nicht mehr vertreiben: Was wäre, wenn Lena mich nicht mehr mochte, wenn ich ihr meinen Wunsch sagte? Was, wenn sie mich dann als doof und arrogant empfand? Genauso wie alle anderen auch.

Angst stieg in mir auf. Das wollte ich nicht. Ich hatte mich inzwischen damit abgefunden, dass mich meine Eltern vernachlässigten und meine Mitschüler mich hassten, aber von Lena wollte ich nicht gehasst werden. Das hätte ich nie verkraftet!
 

„Alles in Ordnung Helen? Wolltest du nicht gerade was sagen?“ Lena hatte sich mir zugewandt und musterte mich.

Ich sah sie an. Nein! Ich wollte auf gar keinen Fall, dass sie mich hasste. Lieber lief ich mir die Füße wund und verdurstete! „Oh, mir geht es gut! Keine Sorge!“, antwortete ich daher mit einem Lächeln auf den Lippen.

„Sicher? Du siehst ein wenig geschafft aus. Ich glaube wir sollten uns mal irgendwo hinsetzen.“ Sie sah sich um. „Wie wär’s mit dem Eiscafe dahinten? Ich könnte jetzt gut einen Cappuccino vertragen.“ Und schon nahm sie mich an der Hand und zog mich in Richtung des Cafes.
 

Wir betraten das Eiscafe und keine Sekunde später wollte ich es schon wieder verlassen. An einem der Tische, keine 5 Meter entfernt, saßen Mitschüler aus meiner und Lenas Klasse. Ich drehte mich auf dem Absatz um und wollte aus den Cafe stürmen, aber etwas hielt mich zurück. Lenas Hand.

Mit dieser hielt sie immer noch meine umklammert und dachte gar nicht daran mich loszulassen. Stattdessen zog sie mich auch noch in die Richtung der Anderen. Ich war viel zu geschockt als das ich mich hätte wehren können. Alles in mir schrie danach mich einfach loszureißen und aus dem Cafe zu stürmen, aber die Angst vor meinen Mitschülern machte mich so gut wie bewegungsunfähig. Ich kam erst wieder richtig zu mir als wir direkt vor dem Tisch standen.

Als sie Lena erkannten, grüßten sie sie freundlich. Mich sahen sie erst wieder auf diese Art an, die zu sagen schien: „Was willst du denn hier? So was Widerliches wie dich wollen wir hier nicht haben! Verschwinde!“, dann ignorierten sie mich völlig.

Lieber wandten sie sich wieder Lena zu und fragten sie, was sie denn hier so ganz alleine in der Stadt tun würde und was sie denn noch vor hätte. Lena sah sie erst etwas seltsam an, dann blickte sie kurz zu mir und meinte: „Ich bin nicht alleine. Ich bin mit Helen hier! Sie zeigt mir die Stadt und wir shoppen ein wenig!“ Sie schaute die anderen wieder an.

Manche unserer Mitschüler stammelten darauf etwas wie „Oh... ähm, ja... stimmt...“, andere wandten einfach nur verlegen den Kopf ab und wieder andere spießten mich mit ihren feindseligen Blicken geradezu auf.

„Na ja, wir müssen dann auch weiter. Haben noch ’ne Menge vor.“ Damit zog sie mich wieder an der Hand aus dem Laden.
 

//Hm, komisch... Wieso sind denn alle so zu Helen? Sie ist doch total nett...// „Na dann! Wollen wir weiter?“, fragte ich sie und spürte förmlich ihre Erleichterung von diesen Leuten weg zu kommen. Wir verließen das Eiscafe und liefen schweigend nebeneinander her. Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Sollte ich sie auf das Verhalten unserer Mitschüler im Cafe ansprechen, oder lieber doch nicht? Es schien sie sehr mitzunehmen. Mehr als sie selber zeigen und zugeben wollte. Aber wollte sie darüber reden? Und wenn ja, war ich dann die richtige Person dafür? Wir kannten uns ja noch nicht mal eine Woche. Aber die Frage erübrigte sich von selbst, als ich Helens leise Stimme vernahm.

„Was wollen wir denn jetzt machen?“, fragte sie mich leise. Es war kaum mehr als ein Flüstern.
 

Ich konnte den Kummer in diesen Worten hören und am liebsten hätte ich sie in den Arm genommen. Aber ich ließ es sein und beschloss stattdessen nur auf ihre Frage zu antworten. "Hm... Wir könnten zu dir oder zu mir gehen. Meine Eltern sind allerdings zu hause. Eigentlich wollten sie ja in der Firma sein, aber da gab's dann irgendwelche Probleme und deswegen sind sie jetzt doch daheim." Ich seufzte bei diesen Worten. Mir persönlich wäre es ja lieber gewesen, wenn sie in der Firma gewesen wären. "Also, was möchtet du machen?"

Lena schien kurz zu überlegen. "...Wenn du willst können wir zu mir nach hause... Meine Eltern sind nie da, also dürfte es auch keine Probleme geben..."

Ich sah sie erstaunt an. Ihre Eltern waren nie da? Das musste ja das reinste Schlaraffenland sein! Keiner, der einen mit Aufgaben überschüttet, keiner, der einen anmault, wenn man vergessen hat etwas zu tun und keiner, der einen ständig kontrollieren wollte! So stellte ich mir das Paradies vor.

Seltsam nur, dass Lena diese Worte mit so viel Bitterkeit gesprochen hatte. Aber ich beschloss mir darüber erst mal keine Gedanken zu machen.

"Dann würde ich sagen wir gehen zu dir. Aber vorher muss ich noch mal schnell bei mir zu hause vorbei um ein paar Dinge zu holen, okay?" Ich wartete nicht auf eine Antwort ihrerseits, sondern zog sie einfach mit.
 

Wir waren kaum die Tür zu rein, als meine Mutter uns schon entdeckt hatte und anfing drauf los zu reden. "Schatz! Da bist du ja! Wie geht es dir? Wo warst du denn? Was hast du gemacht? Und wer ist denn diese junge Dame da neben dir?" Das war typisch für meine Mutter. Immer gleich mit der Tür ins Haus fallen.

Ich seufzte frustriert auf. "Mum, wie wär's wenn du mich erstmal kurz Luft holen lässt?!"

"Oh! Tut mir leid! Aber jetzt sag schon!"

"Also Mum: Ja, mir geht es gut. Die junge Dame neben mir ist Helen. Wir gehen auf die gleiche Schule und haben uns angefreundet. Und weil ich mich hier ja noch nicht so gut auskennen, sind wir heute zusammen in die Stadt gefahren und sie hat mir alles gezeigt."

Meine Mutter sah Helen strahlend an und mir schwante dabei nichts Gutes. "Hallo Helen! Schön dich kennen zu lernen!" Und ich hatte mit meiner Vermutung recht. Kaum das ich mal kurz nicht aufpasst, schnappte meine Mutter sich Helen und zog sie mit sich in die Küche.

Ich lief ihnen hinterher. "Mum! Lass sie los! Wir gehen so wie so gleich wieder."

"Was?! Aber ich dachte wir drei und dein Vater machen uns einen schönen Abend?!"

"Nixs da! Ich schlafe heute bei Helen."

"Och nee! Und was soll ich dann mit deinem Vater so ganz alleine hier machen? Der verkriecht sich doch wieder hinter seiner Zeitung. Komm schon. Das kannst du mir nicht antun." Sie setzte ihre Bettel blick auf, der mich schon so manches Mal dazu gebracht hatte ihrer Bitte nachzugeben. Aber heute nicht. Ich wollte mit Helen allein sein. Ohne nervige Eltern. Das sollte immerhin ein Freundinnen abend werden. Keine Familienabend.

"Mir doch egal was du anstellst. Ich hab jedenfalls was anderes vor." Ich wandte mich Helen zu. "Komm Helen. Wir holen schnell die Sachen aus meinem Zimmer und dann verschwinden wir wieder."
 

Helen sah zwischen mir und meiner Mutter hin und her. Ihr Gesicht hatte seltsamen Ausdruck angenommen. Ich weiß nicht wie ich ihn beschreiben soll. Vielleicht war es Unglaube oder Entsetzen. Ich habe keine Ahnung und in diesem Moment machte ich mir auch keine Sorgen darüber, sondern nahm sie einfach mal wieder bei der Hand und zerrte sie mit in mein Zimmer. Dort setzte sie sich auf mein Bett, während ich ein paar Filme und Spiele einpackte. Helen sagte während dieser ganen Zeit nicht ein Wort. Ein paar Minuten später verließen wir das Haus wieder und machten uns auf den Weg zu ihr nach hause.

"Hey, wie lange dauert es denn zu dir nach Hause?"

"Nicht lange. Wenn wir denn Bus nehmen brauchen wir nur 15 Minuten."

"Hm... Und wann kommt der nächste Bus?"

Helen sah kurz auf die Uhr. "In genau einer Stunde."

Ich sah sie entsetzt an. "Ne oder!?! Das kann doch nicht dein Ernst sein. Das überleb ich nicht, so lange an der Haltestelle zu warten!" Ich schlug mir übertrieben theatralisch die Hände vor's Gesicht. "Wie lange würde es denn dauern, wenn wir laufen?"

"Ich schätze so ungefähr 40 Minuten"

"Dann laufen wir.
 

Also liefen wir. Aber wirklich angenehm war der Marsch nicht. Die ganze Zeit herrschte so eine bedrückende Stille zwischen uns. Ich versuchte mit ihr über allen Möglich zu reden, aber sie wechselte trotz aller Bemühungen kaum ein Wort mit mir.

Als wir bei ihr zu hause ankamen, bekam ich meinen Mund vor Staunen gar nicht mehr zu. Das Haus war so unglaublich groß und mein erster Gedanke als wir es betraten war: "Das ist kein Haus, das ist eine Villa."

Aber noch mehr staunte ich als wir ihr Zimmer betraten. Es war mindestens dreimal so groß wie mein Zimmer bei mir zu hause. Und das wollte schon was heißen, denn auch mein Zimmer war nicht gerade klein. Es hatte viele Fenster und war hauptsächlich in Pasteltönen gehalten. An der einen Wand stand ein großes Himmelbett in dem locker 4 Personen hätten schlafen können. Außerdem gehörten ein großer Schreibtisch vor einem der Fenster und ein Kleiderschrank mit zur Einrichtung. Das Licht, das durch die vielen Fenster schien, gab dem ganzen eine warme Atmosphäre. Aber gleichzeitig wirkte das Zimmer so unglaublich einsam und leer auf mich.

zerbrochene Familie

Der Tag mit Lena, war der schönste den ich jemals in meinem Leben verbracht habe. Ich hatte nie gedacht, dass es so schön wäre eine Freundin zu haben.

Doch je näher wir meinem Haus kamen um so mulmiger wurde mir. Ich konnte mir nicht vorstellen wie Lena wohl auf das Haus, das zugegebener Maßen doch ziemlich groß war, reagieren würde. Die meisten Leute, die bis jetzt hier gewesen waren, hielten mich danach für eingebildet oder einen Snob, der mit seinem Reichtum prahlen musste. Für meine Eltern traf das vielleicht zu, aber mir wäre es eigentlich vollkommen egal gewesen, wo ich lebte, solange es nur warm und trocken war.
 

Ich bemerkte wie Lena mich überrascht ansah, als sie begriff in was für einem Haus ich lebte, aber sagen tat sie nichts.

Wir betraten das Haus schließlich durch die Eingangstür, zogen uns die Schuhe und Jacken aus und ging hoch in mein Zimmer. Lena bekam die ganze Zeit ihren Mund vor Staunen nicht mehr zu. Mir hingegen wurde das ganze von Minute zu Minute unangenehmer. In meinem Zimmer angekommen, ließ sie sich rückwärts auf mein Bett fallen und betrachtete den Baldachin. Ich stand währenddessen etwas verloren in der Mitte des Raumes und wusste nicht was ich tun sollte. Ich überlegte, dass ich vielleicht etwas sagen sollte, egal worum es dabei ging, als sie das Wort ergriff.
 

„Sag mal. Wo sind eigentlich deine Eltern?“

Schlagartig verdüsterte sich mein Gesicht. Meine Eltern... das war so ein Thema für sich. „Ich weiß es um ehrlich zu sein nicht. Das letzte Mal, dass sie länger als einen Tag zu Hause waren, war vor einem halben Jahr. Seit dem sind sie glaube ich noch 2 oder 3 Mal für ein paar Stunden hier gewesen.“ Ich drehte mich von ihr weg und ging hinüber zu meinem Schreibtisch.

„Oh! Was machen deine Eltern denn, dass sie so wenig zu hause sind?“

„Mein Vater arbeitet für einen Autohersteller und ist deswegen oft auf Geschäftsreisen. Meine Mutter begleitet ihn dabei.“ Ich nahm ein paar Stifte und legte sie in den für sie vorgesehenen Behälter.

„Und wann siehst du deine Eltern dann mal?“

„Wenn ich Glück habe und sie auch einmal hier sind, wenn ich hier bin. Das letzte Mal war wie gesagt vor einem Halben Jahr. Dazwischen waren sie wohl noch 2 oder 3 Mal hier. Vermute ich zumindest. Es würde zumindest erklären, warum auf einmal ein Koffer in ihrem Schlafzimmer stand oder warum einmal die Tür zum Arbeitszimmer meines Vaters offen war.“ Ich nahm ein paar Papiere, die offen und unordentlich auf meinem Schreibtisch lagen und fing an sie zu ordnen.

„Du vermutest es? Wollen dich deine Eltern denn nicht sehen? Schreiben sie dir denn nicht wenigstens eine Nachricht?“

„Nein, tun sie nicht. Ich vermute sie wollen mich nicht sehen, weil ich sie zu sehr an meine Zwillingsschwester und deren Unfalltod erinnere.“ Ich ordnete immer noch.

„Zwillingsschwester? Du hast eine Zwillingsschwester?“

„Ich hatte. Elena ist vor ein paar Jahren gestorben.“ Ich wandte mich von den Papieren ab und sah aus dem Fenster. Elenas Tod schmerzte mich auch heute noch ungemein. Und so weit es ging, versuchte ich dieses Thema zu meiden.

„Erzählst du mir etwas über sie, Helen? Du musst natürlich nicht. Ich kann mir vorstellen, dass dich das Ganze immer noch sehr mitnimmt. Man sagt ja immer, dass Zwilling auf eine besondere Weise mit einander verbunden wären.“

Ich sah Lena an. In ihren Augen konnte ich vielerlei Gefühle erkennen. Mitgefühl und Verständnis waren am stärksten vertreten, aber auch ein kleines Fünkchen Neugier, war zu erkennen. Ich betrachtete sie einen Moment nachdenklich. Lena hatte den ganzen Tag mit mir verbracht. Sie hatte mit zugehört, mich getröstet und das wichtigste von allem: Sie hatte mir ihr Vertrauen geschenkt.

Ich nickte schließlich. „Ich werde dir von dem Tag erzählen an dem sie starb.“
 

Flashback

Es war eine stürmische Nacht. Der Himmel wurde von schweren, schwarzen Wolken verdeckt. Regen peitschte an mein Fenster und immer wieder erhellten Blitze die tief schwarze Nacht. Der Donner rollte so laut durch die Luft, wie ich ihn noch nie in meinem Leben gehört hatte.

Ich lag wach in meinem Bett und wartete. Es kam mir wie eine kleine Ewigkeit vor, bis ich sie endlich hörte. Leise tapsige Schritte und ich wusste gleich würde die Tür aufgehen und Elena würde mit ihrem Kissen unterm Arm in der Tür stehen und fragen, ob sie bei mir schlafen könnte. Und wie immer würde ich ihr sagen, dass sie ihr eigenes Bett hätte und ihr nichts passieren würde. Dass sie keine Angst vor dem Gewitter haben müsste.
 

Ich seufzte leise, als die Tür aufging und Elena wirklich in der Tür stand. Sie stellte ihre Frage und meine Antwort war wie immer dieselbe. Und leider fing sie auch dieses Mal wieder an zu weinen.

Ich hasste es, wenn sie weinte. Ich wollte sie eigentlich auch nicht zum Weinen bringen, aber wir wurden bald 9 Jahre alt und ich fand es war an der Zeit, dass sie ihre Angst vor Gewittern überwand.

Wie sollte das sonst werden, wenn wir älter wären. Es wäre doch reichlich seltsam, wenn sie mit 14 oder 15 Jahren immer bei Gewitter in meiner Tür stehen würde und bei mir schlafen wollte.
 

„Bitte, Helen. Ich hab doch solche Angst vor Gewittern. Lass mich bitte hier schlafen.“ Sie schluchzte herzzereisend.

Anfangs vertrat ich weiter meinen Standpunkt, dass sie zurück in ihr Zimmer gehen sollte, aber nachdem sie sich 5 Minuten später immer noch nicht beruhigt hatte und mich anflehte hier bleiben zu können, gab ich es auf.

Das breite Grinsen, das darauf ihr Gesicht erhellte, war kaum zu übersehen. Schon wieder hatte sie es geschafft und mich weich geklopft.

Resignierend rutschte ich weiter auf die Seite des Bettes und hielt die Decke hoch, damit sie besser zu mir schlüpfen konnte.
 

Am nächsten Morgen wurde ich durch die Sonne, die durch mein Fenster schien, geweckt. Das Gewitter hatte sich in der Nacht noch verzogen.

Elena hatte sich dicht an mich gekuschelt. Von meiner Position aus konnte ich nur ihre Haare sehen.

Ich lächelte leicht und zog sie noch ein wenig näher an mich. Mein kleineres Ich gab darauf hin ein wohliges Seufzen von sich.
 

Elena und ich waren, seit ich denken konnte, unzertrennlich. Wir waren unterschiedlich wie Tag und Nacht. Sie, die Aufgeweckte und leicht Hyperaktive, die kein Blatt vor den Mund nahm, und ich, die Stille und Zurückhaltende.
 

Ich kann dir nicht sagen wieso, aber ich hatte immer das Gefühl, dass meine Eltern Elena mehr liebten als mich. Elena schien das auch zu bemerken und es schien eine Art Beschützerinstinkt in ihr zu wecken.

Immer, wenn ich Ärger für etwas bekam an dem ich keine Schuld trug, schritt sie sofort ein.

So auch an diesem Tag. Ich weiß nicht mehr, warum meine Eltern sauer auf mich waren, ich weiß nur noch das Elena irgendwann einschritt und die beiden anschrie, dass ich keine Schuld tragen würde und das sie mir Angst machen würden. Meine Eltern ließen daraufhin von mir ab und redeten auf Elena ein. Dass sie davon noch nichts verstehen würde und dass ich sehr wohl Schuld hätte und deswegen bestraft werden müsste. Mich ignorierten sie.

Elena gab mir schließlich ihr Zeichen. Es bedeutete, ich sollte verschwinden, sie würde das schon regeln. Das tat sie tatsächlich immer und ich war ihr unglaublich dankbar dafür.

Langsam machte es mir zwar nichts mehr aus, dass meine Eltern mich anscheinend nicht leiden konnten, aber es tat trotzdem weh von ihnen angeschrieen zu werden.
 

Ich verschwand also für ein paar Stunden auf einen Spielplatz ein paar Straßen weiter. Ich vergaß die Zeit und erst als es dämmerte machte ich mich auf den Weg zurück.

Auf der Hälfte des Weges traf ich Elena. Sie hatte sich Sorgen gemacht, weil ich normalerweise bereits nach 2 bis 3 Stunden nach einem Streit wieder nach Hause zurück kam. Aber an dem Tag waren wohl an die 7 Stunden vergangen.

Als sie mich sah, strahlte sie übers ganze Gesicht und lief einfach drauf los. Mitten über die Straße.

Ich habe noch versucht sie zu warnen, aber es war zu spät. Ein Auto erfasst sie und das nächste was ich sah, war wie sie in ihrem eigenen Blut bewusstlos auf der Straße lag. Ich lief zu ihr, rüttelte sie an der Schulter und rief immer wieder ihren Namen, flehte sie an, dass sie doch aufwachen möge. Aber sie blieb bewusstlos.

Irgendjemand hatte wohl einen Krankenwagen gerufen, denn das nächste was ich weiß ist, dass mich ein Sanitäter von ihr wegzog, mich einer Frau übergab und ihr sagte, sie solle sich um mich kümmern. Sie untersuchten Elena, legten sie schließlich auf eine Trage und fuhren mit dem Krankenwagen und ihr weg.

Mich fuhr die Frau, die sich in der Zeit um mich gekümmert hatte ins Krankenhaus.
 

Meine Eltern trafen eine viertel Stunde später als ich im Krankenhaus ein und das erste, was meine Mutter tat, als sie bei mir war, war mir eine kräftige Ohrfeige zu geben. Dann fing sie an mich anzuschreien und mich für Elenas Unfall verantwortlich zu machen.

Ich kann heute noch ihre Worte hören: „Du dreckiges Balg! Deinetwegen ist meine Tochter tot! Wegen dir ist meine einzige Hoffnung gestorben!“ Kein tröstendes Wort entkam ihren Lippen.
 

Ich sah sie die ganze Zeit über nur stumm an. Weinen konnte ich nicht mehr. Ich hatte bereits alle meine Tränen am Unfallort und im Auto vergossen.

Selbst bei Elenas Beerdigung weinte ich nicht und stachelte die Wut meiner Mutter damit noch mehr an. Sie packte mich am Arm, schleifte mich nach vorne zu Elenas Sarg und sagte ich solle sie ansehen. Ich solle sie gut ansehen und bereuen. Bereuen und niemals vergessen, dass dies meine Schuld sei.

Flashback Ende
 

Ich hatte während meiner Erzählung auf einen imaginären Punkt gestarrt und war in eine Art Trance gefallen. Das war mein Selbstschutzmechanismus in diesem Fall. Immer, wenn ich an Elena dachte, versetzte ich mich in diese Art Trance, die es mir ermöglichte alle meine Gefühle vorübergehend abzustellen, die Umgebung um mich herum aber weiter wahr zu nehmen.

Das war nötig, denn die Trauer über ihren Tod war auch heute noch so schmerzhaft, dass es mir schier den Atem raubte, wenn ich an sie dachte ohne vorher diesen Schutz zu aktivieren.
 

Ich fuhr mir mit einer Hand über mein Gesicht und zog sie fast sofort überrascht zurück. Fassungslos sah ich meine nasse Handfläche an.

Ich weinte.

Ich hatte ewig nicht mehr geweint. Um genau zu sein seid Elenas Tod.

Schnell wollte ich mir mit meinen Händen die verräterischen Spuren wegwischen und hoffte, dass Lena sie noch nicht bemerkt hatte. Ich konnte doch nicht einfach vor Lena in Tränen ausbrechen.

Doch noch bevor meine Hände mein Gesicht erreichten, spürte ich eine andere Hand, welche die Tränen wegwischte. Verwirrte und auch ein bisschen ängstlich sah ich zu Lena. Sie war mir so nahe und im ersten Moment dachte ich, sie würde mich küssen. Aber sie lächelte einfach nur ein bezauberndes Lächeln und zog sich wieder von mir zurück.
 

„Hast du eine Ahnung warum deine Mutter so kalt zu dir ist?“, fragte sie mich schließlich um die unangenehme Stille, die seit meiner Erzählung zwischen uns herrschte, zu durchbrechen.

„Nein. Ich habe keine Ahnung. Sie war schon so zu mir seit ich denken kann. Aber obwohl ich es nicht anders gewohnt bin, tut es doch immer wieder weh.“

Wir verfielen wieder in Schweigen.

„Es tut mir leid übrigens, wenn ich dir eben zu nahe gekommen bin, Helen.“

„Hm... Oh, nein, ist schon okay. Bist mir nicht zu nahe gekommen.“, nuschelte ich, dann schwiegen wir wieder. „Wollen wir vielleicht was essen? Ich könnte jetzt gut was vertragen.“

Sie nickte. „Ich denke, dass ist eine gute Idee.“

Auf dem Weg in die Küche fragte ich sie:“ Gibt es etwas, dass du nicht isst oder das du nicht essen darfst?“

„Solange es gut schmeckt, esse ich alles.“ Sie grinste.

„In Ordnung. Dann würde ich vorschlagen, du deckst den Tisch und guckst danach einfach ein bisschen fern. Ich werde uns etwas in der Zeit kochen.“

„Soll ich die nicht lieber ein bisschen helfen?“

„Nein, ist schon okay. Aber danke für das Angebot“ Ich lächelte sie beruhigend an.
 

Während ich das Essen zubereitete und auch später beim Essen, hatte ich immer wieder das Gefühl von Lena beobachtet zu werden. Aber jedes Mal, wenn ich zu ihr hinüber sah, war sie in ihr Essen vertieft. Ich habe mehrmals versucht die Stille zu durchbrechen, aber jedes Mal, wenn ich etwas sagen wollte, kam kein Laut aus meinem Mund. So ging das wohl eine viertel Stunde bis Lena auf einmal und völlig ohne Grund in schallendes Lachen ausbrach. Ich weiß nicht, was sie dazu brachte, aber es brach das Eis zwischen uns, das sich nach meiner Erzählung wieder langsam zwischen uns aufgebaut hatte.

Ende des Leidens

7.
 

Diese Nacht bei Helen ist jetzt zwei Monate her.

Wir hatten damals noch viel Spaß zusammen, trotz des etwas unglücklichen Starts.

Unsere Freundschaft hat sich in dieser Zeit gefestigt, aber ich habe bald bemerkt, dass ich mehr für sie empfinde als nur Freundschaft. Ich habe mich in sie verliebt.
 

Es passierte wohl in dem Moment, als ich ihr die Tränen aus dem Gesicht wischte, denn wenn ich jetzt daran zurückdenke, weiß ich, dass ich kurz davor war sie in diesem Augenblick zu küssen.
 

Helen weiß von meinen Gefühlen nichts. Ich wünsche mir zwar öfters, sie ihr zu beichten und mit ihr als Paar zusammen zu sein, aber da ich nicht sicher bin, wie sie darauf reagieren würde, schweigen ich lieber. Ich bin ihre beste Freundin und das ist mir lieber, als das sie mich auf Grund meiner Gefühle zu ihr meidet.
 

Helen hat sich in der Zeit auch stark verändert. Sie lässt seit neuestem Nichts mehr von unseren Mitschülern sagen. Vor zwei Wochen ist sie sogar richtig ausgetickt.
 

Ja, genau. Die ruhige und stille Helen ist völlig ausgerastet.
 

Ich habe es zuerst von einigen meiner Klassenkameraden gehört und sie später danach gefragt.

Sie erzählte mir, dass ein Klassenkamerad, sein Name war Patrick, sich mal wieder über sie lustig gemacht hätte und sie auf übelste beleidigt hätte. Aber anstatt ihre Sachen zu nehmen und zu verschwinden fing sie an ihn anzuschreien.

Sie fragte ihn, ob ihm einer abgehen würde, wenn er auf anderen rumhacken würde und hat ihm geraten einen Psychologen wegen seiner Minderwertigkeitskomplexe auf zu suchen. So etwas Armseliges wie er, sei ja nicht zu ertragen und er soll ihr doch den Gefallen tun und vom nächst besten Dach springen.
 

Danach hat sie ihre Sachen genommen und ist gemächlich aus der Klasse gegangen, während ihre Mitschüler ihr nur dumm hinterher gesehen haben. Seit diesem Tag lassen sie auch alle in Ruhe.
 

Als sie mir das erzählt hatte, bekam ich mich vor Lachen gar nicht mehr ein.
 

Vor einer Woche haben schließlich unsere Sommerferien angefangen. Helen und ich haben beschlossen, dass wir sie bei ihr zu Hause verbringen wollen, da uns dort niemand stört und Vorschriften macht. Vielleicht fahren wir auch ein bisschen weg. Nein, eigentlich fahren wir ganz bestimmt weg.

Helen hatte mir vor einer Woche gesagt, dass sie eine Reise für uns gebucht hätte, aber wohin wollte sie mir nicht erzählen. So grübelte ich den ganzen Weg über unser Reiseziel nach.
 

------------
 

Ich konnte das Geschrei, dass aus Helens Haus drang schon von weitem Hören und ich wusste instinktiv, dass sie in Gefahr war. So sprintete ich die letzten 300 Meter in einem Tempo, dass ich mir selber nie zugetraut hätte.

Vor dem Haus hatte sich bereits eine Menschenmenge angesammelt, die den Streit, oder was auch immer es war, interessiert verfolgte.

Ich verzog ärgerlich das Gesicht, bevor ich mich begann durch die Masse zu wühlen. Mehrmals wurde ich von irgendwelchen Leuten angefahren, was das denn sollte, mich hier einfach durch zu drängeln. Ich sollte gefälligst hinten bleiben. Sie wären zuerst da gewesen.

Ich ignorierte es größtenteils, aber ich hätte in diesem Moment kotzen können. Wie sensationsgeil konnten Menschen eigentlich sein?! Es war doch deutlich zu hören, das dort jemand Hilfe brauchte, denn mittlerweile konnte ich unter dem ständigen Geschrei und Gekeife auch Helen ausmachen. Helen, die weinte.
 

Am Tor zum Grundstück angekommen, holte ich schnell den Schlüssel, den Helen mir gegeben hatte aus der Tasche und schloss auf.

Eine Frau, die mich bis eben noch beschimpft hatte, verstummte sofort als sie das sah und wurde ganz rot vor Verlegenheit. Sie dachte wohl, dass ich dort wohnen würde, aber es war mir völlig egal und ich registrierte es auch nur am Rande. Meine ganze Konzentration galt Helens leiser und völlig verängstigter Stimme. Ich legte ein weiteres Mal einen sagenhaften Sprint hin und öffnete in Windeseile die Haustür.

Schnell orientierte ich mich. Die Stimme kamen aus dem 1. Stock, wahrscheinlich aus Helens Zimmer.

Ich ließ die Tür einfach offen stehen und rannte zur Treppe. Als ich sie bis zur Mitte erklommen hatte, blieb ich schließlich wie angewurzelt stehen. In Zeitlupe zogen die eben gehörten Geräusche noch einmal an mir vorbei. Zuerst den wütenden und hysterischen Schrei einer Frau, dann ein dumpfes Geräusch, zeitgleich mit dem lauten Schrei von Helen und schließlich ein Poltern, als wenn etwas großes zu Boden gegangen wäre. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, bei den Bildern, die mein Verstand mir passend zu den Geräuschen vorspielte und ich flehte zu Gott, dass ich mich irrte.
 

Ich stieg die Treppe schließlich weiter hoch, ging den Gang entlang. Mein Herz schlug schmerzhaft gegen meine Rippen.

Helens Zimmertür war geschlossen, aber dafür fiel mir sofort ins Auge, dass die Tür zu Elenas ehemaligem Zimmer nur leicht angelehnt war. Die Tür, die eigentlich nie offen war, die eigentlich gar nicht geöffnet werden durfte. Das hatte mir Helen gleich zu Anfang unserer Freundschaft gesagt.

Elenas Zimmer musste auf Wunsch ihrer Mutter verschlossen bleiben und Helen, die sich nichts mehr als die Liebe und die Anerkennung ihrer Mutter wünschte, dachte auch gar nicht daran dieses Gebot zu übertreten.
 

Je näher ich nun der Tür kam, desto mehr zog sich mein Herz in der Brust zusammen und ein mehr als ungutes Gefühl machte sich in meinem Bauch breit. Als ich vor ihr zum Stehen kam, war meine Kehle so zugeschnürt, dass ich kaum noch atmen konnte.

Ich drückte die Tür langsam, fast schon vorsichtig beiseite, nicht sicher, ob ich wirklich wissen wollte, was ich gleich zu sehen bekommen würde.
 

Schockiert stolperte ich, als sie gänzlich geöffnet war, rückwärts von der Tür weg, bis ich die Wand an meinem Rücken spürte.

Helen lag auf dem Boden. Der Teppich unter ihrem Kopf war mit Blut getränkt und ich konnte eine Platzwunde an ihrem Hinterkopf ausmachen.

Hinter ihr standen zwei Menschen: Ein Mann und eine Frau, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Ich achtete auch nicht weiter auf sie, sondern lief, nachdem ich mich halbwegs gesammelt hatte, sofort zu Helen. Ich schlug ihr ins Gesicht und rief immer wieder ihren Namen, versuchte sie wieder zu Bewusstsein zu bekommen.

Sie blieb regungslos.

Schnell griff ich nach ihrer Hand und suchte ihren Puls. Er war nur noch schwach, kaum noch zu fühlen.

Ich geriet in Panik, schlug sie immer wieder ins Gesicht und schrie sie an aufzuwachen. Meine Finger umschlossen krampfhaft ihr Handgelenk, um sicher zu gehen, dass sie noch lebte. Tränen liefen mir wie Sturzbäche über die Wangen, meine Hände waren blutverschmiert.

Zwischendurch bemerkte ich, dass die beiden Fremden immer noch bewegungslos im Zimmer standen. Die Frau hielt einen länglichen Gegenstand in der Hand.

Ich blaffte sie an, doch endlich etwas zu tun. Den Notarzt zu rufen oder etwas ähnliches. Nur sollte sie aufhören dort nutzlos in der Gegend rum zu stehen und uns anzugaffen. Sie taten es nicht, weder die Frau noch der Mann.
 

Und während ich verzweifelt um Hilfe schrie und versuchte Lena wieder zu Bewusstsein zu bekommen, hörte ihr Herz auf zu schlagen.



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Kommentare zu dieser Fanfic (15)
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Von: abgemeldet
2008-06-30T09:07:16+00:00 30.06.2008 11:07
Du meine Güte *heul* wie kannst du nur so etwas trauriges schreiben???
Ich habe Gänsehaut einen trockenen Hals und meine Augen sind fast am überschwappen. Am ist so mitten drin das man am liebsten eingreifen will, wie kann man nur solchen Eltern haben... einfach schrecklich!

Du hast das unglaublich schön geschrieben, konnte richtig mitfühlen. Obwohl mir Lena jetzt so leid tut! Dickes Lob an dich, und schreib weiter geschichten, aber bring mich nich immer so zum weinen *schnief*

LG, deine Pinky *knuddel*
Von: abgemeldet
2008-06-30T08:43:47+00:00 30.06.2008 10:43
Man is das traurig... ich hätte fast angefangen zu weinen *schnüff* aber das ist echt nich gut, weil ich hier auf Arbeit bin!
Bin echt gespannt wie´s weiter geht, du wirst immer besser im schreiben!
Von:  Milux
2008-02-13T11:03:57+00:00 13.02.2008 12:03
Tolle FF. Das mit Helens Schwester hat mich sehr mitgenommen. Echt traurig... ;_; Aber du hast es echt gut beschrieben.
Bin gespannt wies weitergeht. ^^
Von:  Miami
2008-02-04T08:45:42+00:00 04.02.2008 09:45
wirklich gut und ich bin schon sehr gespannt wie es weiter geht
Von: abgemeldet
2007-07-29T20:46:42+00:00 29.07.2007 22:46
erste sahne :D
wann gehts denn weiter???

hab mich sooo auf die fünfte seite gefreut, dachte, da gehts weiter, aber die war irgendwie leer :(

freu mich total aufs nächste kapitel!!
Von: abgemeldet
2007-07-20T11:48:52+00:00 20.07.2007 13:48
Ach ist das wieder suß geschriebn!
Hasst du mal wiedermal richtig suuper gemacht *daumen hoch*
Bin natürlich auch schon wieder auf die vortsetzung gespannt!
*riesen lob geb*
Weil dein schreibstil so klasse ist, ist nicht zu aufgetragen und sehr natürlich!
will weiter lesen *drängel*

GLG deine Pinky^^
*knuddel*

Von: abgemeldet
2007-06-15T08:13:55+00:00 15.06.2007 10:13
oooohhhh, wie schöööön *________*
los hinsetzen und weiterschreiben, essen und schlafen wird verboten! Damit ich möglicht schnell erfahre wie es weitergeht ^.^
Nee war spaß, aber schreib bitte, bitte, bitte trotzdem schnell weiter!
Von: abgemeldet
2007-05-28T20:43:58+00:00 28.05.2007 22:43
ich hab ganz schön lange auf das nächste cap gewarte =() das war nicht nett von dir mich so lange warten lassen ich hoffe du schreibst das nächste schnell weiter ich will nähmlich wissen wie es weiter geht und aja wie lang soll die geschichte eigentlich werden ???
Von: abgemeldet
2007-05-14T13:24:36+00:00 14.05.2007 15:24
Die Geschichte ist echt schön geschrieben! Gefällt mir sehr gut! Sie liest sich super gut und man vergisst sogar ein bisschen seine Umwelt! Ich freu mich jetzt schon riesig auf das nächste Kapittel, mach weiter so!

LG deine PinkAngel^^
Von:  Denitz
2007-05-13T14:53:31+00:00 13.05.2007 16:53
Also, ich habe jetzt aber das erste Kapitel gelesen... ich finde es bisher ganz gut, auch wenn ich finde, dass du dir vielleicht och ein bisschen mehr Zeit mit der Schilderung von Helens Gefühlen hättest lassen können, besonders was ihre "Angst" vor dem lesbisch sein angeht (Ich weiß nicht waru, aber ich finde, dass da Wort "Lesbisch" sich dämlich anhört... ein unschönes Wort, irgendwie...) Aber sonst gefällt mir die Geschichte, sie ist auch ganz gut geschrieben, dein Schreibstil ist schon ziemlich sicher, trotz der Rechtschreibfehler hier und da.. aber das passiert eben (vor allem auch mir...)

Auch die Aufteilung in 2 Perspektiven gefällt mir... ich bin gespannt auf das, was noch kommt!


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