Stadt der Engel von matvo (Schatten und Licht, Band 1) ================================================================================ Kapitel 17: Zum Mond mit der Etikette ------------------------------------- Nur die schwache Flamme einer Kerze und das matte Mondlicht erleuchteten Vans Tischpult, als er die Berichte der Sicherheitskräfte in seinem düsteren Gemächern durchging. Wie üblich ging es vor allem um die steigende Kriminalität in Farnelias Straßen. Als einer der Gründe dafür wurde die Seuche aufgeführt. Nun, da wieder mit dem Ausland gehandelt werden durfte, schimmerte die Hoffnung in den Berichten durch, dass man nun Herr der Lage werden könne. Alles Quatsch, dachte Van. Das Verbrechen hatte Hochkonjunktur, weil die anfängliche Aufbruchstimmung nach all den Jahren bröckelte und die armen Bevölkerungsschichten die Hoffnung verloren. Im letzten Absatz des Berichtes bat um mehr Männer für die Wache. Fasst mal einem nackten Mann in die Tasche, erwiderte Van in Gedanken und warf das Papier achtlos weg. Er stützte seinen Kopf mit den Händen und versuchte mit aller Kraft den pochenden Schmerz aus seinem Schädel zu verbannen. Er brauchte eine Zeit lang, ehe er merkte, dass ein Teil des Pochen durch ein Klopfen an der Tür verursacht wurde. „Ja?“, erkundigte sich Van. „Euer Abendessen, Majestät.“, antwortete ihm eine Mädchenstimme. Van horchte auf. Sonst holte er sich sein Essen selbst aus der Küche, da er keine geregelte Mahlzeiten hatte und sich nicht zu schade war, die Dienerschaft wenigstens ein bisschen zu entlasten. Aber das wusste der Attentäter wohl nicht. Leise stand er hinter seinem Schreibtisch auf, griff nach dem Schwert und hielt die gezogene Klinge unter der Tischkante versteckt. „Die Tür ist offen.“ Die Tür ging nur langsam auf, der Eindringling hatte Schwierigkeiten gleichzeitig das Tablett zu halten und das massive Holz zu bewegen. Der Flur hinter dem Eingang ebenfalls dunkel, so dass Van bis auf einen schmalen Schatten mit einer breiten Scheibe auf Brusthöhe nichts erkennen konnte. Die kleine Gestalt trat langsam aus dem Schatten der Decke in das Licht des Mondes. Erst erschienen nur zwei schmale Schuhe, dann ein schlichtes Kleid, ein glitzerndes Tablett, bis schließlich das Gesicht zum Vorschein kam. „Prinzessin, willkommen in meinen privaten Räumen.“, begrüßte Van seinen Gast und trat am Schreibtisch vorbei auf sie zu, wobei er unauffällig das Schwert zurück in die Scheide steckte. „Sophie reicht.“, erwiderte Sophia und lächelte ihn warmherzig an. „Was verschafft mir die Ehre eures Besuchs, Prinzessin?“, fragte Van förmlich. „Nun, ihr seid nicht zum Abendessen erschienen, da dachte ich, ich bringe euch etwas.“, antwortete sie und präsentierte ihm das Tablett. „Sehr rücksichtsvoll, doch warum seid ihr noch ihr? Ich nahm an, nach dem Mittagessen würdet ihr Farnelia verlassen.“ „Oh nein, diesen Gefallen tu ich euch nicht, Majestät.“ „Aber genau das ist es, was man von euch erwartet, Prinzessin. Eigentlich solltet ihr nach meinem skandalösen Auftreten eure Sachen packen und abreisen.“ „Ihr dürft mich ruhig duzen, Majestät.“ „Prinzessin, ihr wisst, dass es wegen der Etikette nicht geht. Schließlich sind wir weder verwandt noch verschwägert.“, belehrte Van sie. „Zum Mond mit der Etikette!“, fluchte Sophia und stellte das Tablett ab. „Ich bin hier, weil ich ein Gespräch führen wollte und kein Staatsbankett. Außerdem sind keine Diener anwesend. Wovor habt ihr Angst?“ Van biss sich auf die Lippen. Dieses Mädchen konnte wirklich unangenehme Fragen stellen. Da er ihr eine Antwort schuldig blieb, versuchte Sophia es von neuem: „Ich versteh es nicht. In Chuzario verehrt man euch als einen Helden, hier in Farnelia sieht man in euch die Hoffnung für einen Neubeginn. In beiden Ländern hält man euch für idealistisch, tatkräftig und unnachgiebig. Wo ist all die Stärke geblieben, die man euch nachsagt?“ Van wendete sich von Sophia ab und trat an das Fenster. „Irgendwo da draußen. Vielleicht hab ich sie schon auf dem Mond der Illusionen verloren.“ „Dann geht doch einfach raus und sucht sie. Ich bin sicher, sie kommt zu euch zurück, wenn ihr nach ihr sucht.“, redete Sophia sanft auf Van ein und trat neben ihm. Sie legte einen Arm um seine Schulter und lehnte sich an ihm. „Wie sieht sie denn aus?“ „Wie eine Göttin.“, schwärmte Van. „Ihre Augen glänzen so hell wie Smaragde, ihre Haut ist so zart wie Blütenblätter und ihr Haar duftet so wundervoll wie das blaue Meer.“ Einen Moment lang wollte Sophia Van wieder fragen, ob er in die Frau verliebt sei, von der er sprach, aber ein Blick in seine Augen genügte und sie wusste die Antwort. Eigentlich schade, dachte sie, sie hätte sich keinen besseren Ehemann wünschen können. „Lass uns essen, Van. Die Suppe wird sonst kalt.“, schlug Sophia vor und tätschelte ihm auf die Schulter. „Ja, du hast recht.“, antwortete Van und setzte sich an seinem Tisch. „Nur Suppe und Wein? Ist das alles?“ „Ich konnte nicht mehr tragen. Wenn wir mit dem ersten Gang fertig sind, hol ich Nachschub.“, informierte Sophia ihn und tauchte ihren Löffel in die Suppe. „Kommt gar nicht in Frage. Ich gehe.“, lehnte Van das Angebot ab und begann ebenfalls zu essen. „Ach übrigens, es ist wohl inzwischen notwendig, dass du deine Entschlossenheit öffentlich zeigst. Dein Ausrutscher beim Mittagessen war für die Dienerschaft wie ein Schlag ins Gesicht und für das Volk wird es nicht anders sein, wenn es die Gerüchte hört.“ „Und wenn meine geschätzten Kollegen aus Astoria, Vasram und Chuzario von unserer letzten Mahlzeit erfahren, werden sie den Druck auf Farnelia erhöhen, nur weil sie mich für schwach halten. Du hast leider recht.“ „Am besten überraschst du sie auf irgendeine Art und Weise.“ „Das darf aber nichts kosten. Ich steh im Moment mit leeren Taschen da.“, gab Van zu bedenken. „Wie wäre es, wenn du mit deinen Flügeln einen Rundflug über Farnelia machst.“, schlug Sophia vor. „Keine gute Idee. Vielen ist es unheimlich, dass ich ein Nachkomme des Drachenvolkes bin. Jetzt mit meinen Flügeln zu protzen, würde ihre Position stärken.“ „Dann eben mit Escaflowne. Nichts verkörpert die Geschichten mehr, die sich um dich ranken.“ „Ich habe ihn zum Zeichen des Friedens in einen tiefen Schlaf versetzt. Ihn zu wecken, würde die Bevölkerung verunsichern und die Nachbarländer paranoid werden lassen.“ „Auch wieder wahr. Nun hilf mir doch mal, wenn du eh alles besser weißt.“, beschwerte sich Sophia. Van überlegte erst ein bisschen, dann kam ihm eine Idee. „Ich werde ein Turnier mit einer offenen Teilnehmerliste abhalten.“, beschloss er. „Ein Turnier? Kostet das nicht Geld?“, wunderte sie sich. „Nicht mehr als es uns einbringt. Wenn wir die besten Kämpfer von Gaia dazu bringen könnten sich einzuschreiben, würden Adlige und gut betuchte Bürger von überall auf der Welt kommen. Das stärkt die Wirtschaft und ich bekomme die Kosten durch Steuern wieder rein.“ „Aber durch die offenen Listen wird das Turnier wie Laienspektakel wirken. Wie willst du die besten Krieger von Gaia dazu bringen an dem Turnier teilzunehmen?“ „Ganz einfach. Ich werden meinen Namen ganz oben auf der Teilnehmerliste setzen lassen.“, antwortete Van. „Du? Ich hab dich noch nie auf einem Turnier gesehen.“ „Weil ich bisher keine Zeit hatte. Einladungen hatte ich genug.“ „Echt?“, schmunzelte Sophia. „Ich habe bisher von keinem Veranstalter gehört, dass du abgesagt hättest.“ „Kein Wunder. Schließlich ist es für das Ansehen eines Turniers nicht förderlich, dass ein König von einen so kleinen Land, wie Farnelia es ist, eine Einladung ausschlägt.“ „Stimmt auch wieder.“ Plötzlich grinste sie über beide Ohren. „Ich werde übrigens auch daran teilnehmen.“, verkündigte sie. Van spie den Wein, den er gerade trank, wieder aus. Die Ausläufer der Fontäne reichte bis Sophias Kleid. „Was?“, fragte er ungläubig. „Du hast mich schon richtig verstanden. Ich mache bei dem Turnier mit.“ Aber du kannst doch gar nicht mit einem Schwert umgehen!“, protestierte Van. „Das sollten wir schleunigst ändern, meinst du nicht auch?“, sagte Sophia und erhob sich von ihrem Stuhl. „Wo willst du hin?“, wunderte sich Van. „Ich gehe mich umziehen.“, antwortete sie, als wäre es offensichtlich. „Oder glaubst du, ich esse in einem eingesauten Kleid weiter.“ „Nein, das nicht, aber…“ „Warte mit dem Essen auf mich, in Ordnung? Gute Nacht!“ Ohne eine Antwort von Van abzuwarten, verließ Sophia das Zimmer. Van glotzte ihr mit großen Augen hinterher. Es verging eine Stunde, ehe es ihm dämmerte, dass sie sich bei ihm für heute Mittag revanchiert hatte. „So eine freche Prinzessin aber auch.“, flüsterte der König und machte sich mit dem Tablett auf den Weg in die Küche. Dort holte er sich ein Tablett mit den restlichen Gängen und sagte Bescheid, dass er nicht mehr gestört werden wollte. Wieder in seinem Zimmer angekommen, aß er auf und zog sich für die Nacht um. Mit nacktem Oberkörper und einer langen Hose stand er vor dem Fenster und überblickte das schlummernde Farnelia. Seine Gedanken drehten sich um Hitomi, doch er öffnete keinen Kanal zu ihr. Noch immer hielt ihn seine Angst zurück. Einen Moment lang dachte er an ihre Kette und wünschte sich, wenigstens dieses Andenken wieder in den Händen halten zu können. Dann wurde Van plötzlich schwarz vor Augen. Kraftlos beugte er sich nach vorn, stützte mit einer Hand seinen Kopf ab und lehnte sich mit dem anderen Arm an das Fensterglas. Das Schwarz veränderte sich und wurde zu einem Kopf ohne Körper. Die Augen waren leer, der Mund stand offen und die Haare waren mit Blut beschmiert. Mit einem Schlag wurde ihm bewusst, dass es Sophias Kopf war, den er vor sich sah. Im nächsten Augenblick war Van wieder in seinem Zimmer und er blickte verwirrt um sich. Das Sternbild am Himmel hatte sich kaum verändert, also konnte er nicht sehr lange bewusstlos gewesen sein. Aber was war das eben? Hatte er eine Vision gehabt? War Sophia in Gefahr? Ohne auch nur einen Gedanken an seiner Kleidung zu verschwenden, griff Van nach seinem Schwert und rannte so schnell er nur konnte zu Sophias Gästezimmer. Dort angekommen, stellte sich eine Wache ihm in den Weg. „Tut mir leid, Majestät, aber Prinzessin Sophia nimmt gerade ein Bad.“, informierte ihn die Wache. „Ist ein Wachposten da drin?“, fragte Van aufgeregt und zeigte auf die geschlossene Tür. „Nein, Majestät, wie ich schon sagte, die Prinzessin badet gerade.“ Rücksichtslos stieß Van die Wache zur Seite und riss die Tür auf. Mit großer Erleichterung beobachtete er, wie Sophia gerade aus der Wanne stieg, bis ihm bewusst wurde, dass er sie nackt sah. Als die Prinzessin den Eindringling erkannte, schrie sie gellend auf. Es dauerte einen Moment, bis sie ihren Körper durch ein Handtuch bedeckt hatte. Van war so geschockt, dass er seinen Blick nicht abwenden konnte. Von seinem starren Blick eingeschüchtert wich Sophia bis zur Wand hinter ihr zurück, während zwei Dienerinnen sich dicht vor ihr stellten. Sophia rief ihm Beleidigungen am laufenden Bande entgegen, doch er hörte sie nicht. Stattdessen sah er in einer Schrecksekunde, wie zwei maskierte Angreifer mit gezogenen Schwertern die Fenster links und rechts von Sophia durchbrachen. Brutal rissen die beiden Männer die Dienerinnen von Sophias Seite weg, um das hilflose Mädchen zu erreichen. In den zwei Sekunden, die sie dafür brauchten, hatte Van sein Schwert aus der Scheide gezogen und lief ihnen im gestrecktem Schritt entgegen. Den Angreifer an Sophias linker Seite köpfte er mit einem Hieb, den rechten stieß er nach einer viertel Körperdrehung seine Klinge in die Rippen. Sophia stand zitternd wie angewurzelt da und hatte sich zu ihrem Glück nicht einen Zentimeter bewegt. Van presste ihren erstarrten Körper an seine Brust. Mit gezogenen Waffen erschien Gesgan im Türrahmen. „Nehmt alle Personen auf dem Schiff aus Chuzario fest und sperrt sie ein! Das Schiff wird von oben bis unten durchsucht! Verstärkt die Kontrollen am Tor und besorgt mir die neusten Steckbriefe!“, befahl Van wütend, woraufhin Gesgan nickte und wieder verschwand. Sophia fing in seinen Armen an zu wimmern und eine Träne kullerte über ihre Wange. „Ich bin hier, kleine Prinzessin, keine Angst, ich bin für dich da.“, redete er beruhigend auf sie ein. Sophia brach in Tränen aus und weinte ohne Zurückhaltung. Einen Arm hielt Van unter ihre Knie und hob sie hoch, während er seine Wange gegen ihre rieb. „Dokumentiert den Tatort und räumt ihn auf! Nichts darf mehr an diesen Anschlag erinnern“, befahl er der Wache an der Tür. Dann verließ er mit Sophia in den Armen den Raum und ging hoch in sein Zimmer. Neugierige Augenpaare begleiteten ihn dorthin, bis er die Eingangstür hinter sich schloss. Einen Moment zögerte er. Er hatte Angst vor den möglichen Konsequenzen der Schritte, die ihn hoch in das Kuppelzimmer tragen würden, doch schließlich tat er sie. Oben angekommen, legte er Sophia auf das Bett. Sie schlief tief und fest. Sanft strich Van mit seinen Fingern die Strähnen aus ihrem Gesicht. Einen Moment wunderte er sich, wie ruhig und furchtlos sie im Schlaf wirkte, obwohl sie gerade etwas so Schreckliches erlebt hatte. Vorsichtig und mit zugekniffenen Augen entfernte er das Handtuch und deckte sie zu. Heilfroh beobachtete er Sophias regelmäßige Atemzüge, bis er sich schließlich hinunter in sein Zimmer begab. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)