Stadt der Engel von matvo (Schatten und Licht, Band 1) ================================================================================ Kapitel 20: Doppelte Überraschung --------------------------------- Gedankenverloren saß Siri auf einer knochigen Baumwurzel, während der Himmel über ihr immer dunkler wurde. Ein kalter Luftzug zerrte an ihren Haaren, die eine Handlänge vor den Spitzen zu einem schlichten Zopf zusammengebunden waren. Zwei Strähnen hingen frei vor ihren Ohren und kitzelten ihre Wangen. Fröstelnd presste sie ihre mit ihren Armen ihre schlichte Reisekleidung an sich und stocherte in der Wasserbrühe, die ihre Begleiter Suppe nannten. Sie war nun schon einige Tage mit dem Händler unterwegs und jeder Tag wurde langweiliger. Alles, was sie tun hatte, war eine tägliche Untersuchung ihrer Gefährten auf Anzeichen einer Seuche, die vor kurzem in Farnelia gewütet hatte, und schon nach einer halben Stunde war sie meist fertig. Den Rest des Tages saß sie nur untätig herum. Anfangs hatte sie noch den Beziehungsgeschichten der Arbeiter gelauscht, doch inzwischen kannte Siri sie alle auswendig. Warum die Männer trotz der ewigen Wiederholungen noch lachen konnten, erschloss sich ihr beim besten Willen nicht. Ihre Begleiter hatten sich zum Essen ein paar Meter von ihr entfernt um ein Lagerfeuer versammelt. Siri konnte die geschmacklosen Witze um ihre Person nicht mehr hören und hielt sich daher absichtlich abseits, sodass sie nicht weiter auffiel. Sie hatte früh gelernt, bei allen Gefährten bis auf dem verantwortlichen Händler galt der Spruch: Aus dem Auge, aus dem Sinn. Kaum war sie nicht mehr zu sehen, hörten auch die Sprüche auf. Nur Gades, der Händler, drehte sich gelegentlich zu ihr um. Seine Aufmerksamkeit ihr gegenüber war schmeichelhaft, doch sie würde am liebsten darauf verzichten. Er hatte ihr die Teilnahme an sämtlichen Arbeiten untersagt, weswegen sie die meiste Zeit nur einsam und verlassen da stand, während die Männer das Lager aufbauten, die Zugtiere fütterten oder Reparaturen an einem der Wagen durchführten. Auch sonst behandelte er sie wie eine Dame. Als ob sie seine Hand bräuchte um vom Wagen herunterzukommen. Seufzend lehnte sich Siri an den harten Baumstamm, schloss ihre Augen und lauschte den Geräuschen des Waldes. Das Gespräch der Männer gewann an Lautstärke, doch abgesehen davon hörte sie…nichts! Schlagartig öffnete sie ihre Augen wieder und sah sich um. Von Panik erfüllt stand sie auf und nahm ihre Schwert mitsamt der Scheide in die linke Hand. „Seid still!“, wies sie die Männer an und lauschte wieder. „Was ist los?“, brummte Kio. Ein halbes Dutzend Männer starrten sie erwartungsvoll an, als würde gleich etwas lustiges geschehen. „Ihr sollt still sein!“, wiederholte sich Siri und schloss ihre Augen um besser zu hören. „Also, ich hör nichts.“, sagte Pail und beugte sich wieder über seine Schale. „Eben, der Wald ist viel zu ruhig.“ „Vielleicht ist gerade ein Rudel Wölfe vorbeigezogen. Nichts weswegen man sich Sorgen machen müsste.“, schlug Riden vor, woraufhin Siri der Kragen platzte und sie sich wütend zu ihm umdrehte. „So dumm könnt nicht mal ihr sein. So eine Stille ist nicht normal. Hier sind garantiert Räuber in der Nähe.“, fuhr sie ihn an. „Diese Route wurde seit Monaten nicht mehr benutzt. Die Wegelagerer sind längst weg.“, beruhigte Gades sie, während er seine Suppe auf den Boden stellte. „Gerade weil der letzte Handelskonvoi so lange her ist, werden sie uns überfallen. Das Mehl, das wir geladen haben, wird ihr hungrigen Mäuler anziehen wie das Licht die Motten.“, konterte Siri. „Wenn das wahr wäre, solltest du die Art unserer Ladung nicht alle Welt hinausschreien.“, belehrte Theo sie. Daraufhin wurde Siri still. Am liebsten würde sie für im Boden versinken. Plötzlich kam Ohren betäubendes Geschrei aus den umliegenden Büschen und von einem Moment auf den anderen waren die Männer von Wegelagerern umstellt. Geschockt wollte Siri sich der Gefahr zuwenden, da ließ ein Tritt in ihre Beine sie einknicken. Eine kräftige Hand zerrte an ihrem Zopf und zwang sie so aufrecht auf den Boden zu knien. Aus ihrem Augenwinkel sah sie eine Klinge, die ihr bedrohlich nahe kam, während ihr eigenes Schwert vor ihr lag, außerhalb ihrer Reichweite. Sie hat es wie ein Anfänger fallen gelassen. Gades und seine Männer waren aufgesprungen und wollten gerade ihre Waffen ziehen. „Nichts da, Hände weg von euren Waffen oder ich mach das kleine Fräulein hier einen Kopf kleiner.“, dröhnte eine kräftige Stimme über ihr. Verzweifelt musste sie zusehen, wie den Arbeitern ihre Schwerter und Dolche abgenommen wurden. Sie fühlte sich schuldig. Warum war sie nur so inkompetent? Die Wegelagerer trieben die Männer zu einem Baum und durchsuchten das Lager. Besorgt beobachtete sie, wie einer der Räuber in den Wagen, in dem der unbekannte Passagier lag, an dem man sie nicht heran gelassen hatte. Einen Augenblick später ertönte ein Aufschrei. Der Räuber flog im hohen Bogen aus dem Wagen heraus auf die Erde. Alle Wegelagerer sahen überrascht auf ihren Kameraden. Gades nutzte die Ablenkung als erster und streckte einen mit einem kräftigen Fausthieb gegen den Nacken nieder. Augenblicklich reagierten auch seine Kameraden und preschten gegen die Angreifer vor. Mit den Schwertern der ersten Gefallenen trieben sie den Rest der Bande zusammen, die sich dann ergab. Überraschenderweise schaltete sich auch ein Mann mit langen, blonden Haaren in den Kampf ein, der aus dem Wagen des Kranken gestiegen war. Leichtfüßig und elegant wie ein Tänzer bewegte er sich durch die Reihen seiner Gegner, während seine Klinge Schrecken verbreitete. Am Ende hatte nur noch Siris Peiniger seine Waffe und riss an ihren Haaren, sodass sie sich vor Schmerzen nicht rühren konnte. Der blonde Mann baute sich vor dem Räuberhauptmann auf und zeigte drohend mit der Spitze seines kostbares Schwertes auf ihn. „Lass sie gehen und ich verschone dein Leben.“, befahl er ihm. „Allen Shezar! Nur ihr könntet so eine verrückte Falle aufstellen.“, erwiderte der Räuber. Die Erwähnung von Allens Namen ließ Siri aufhorchen. Sie betrachte forschend den Mann vor ihr. Er schien Ende zwanzig zu sein und war damit einer der jüngsten der Männer. Dennoch zeigte seine Auftreten ein Maß an Autorität, das keine Zweifel über seine Rolle als Anführer zuließ. „Dass ihr allerdings ein schwaches und unschuldiges Mädchen in Gefahr bringt, hätte ich nicht gedacht.“, führte der Räuber weiter aus und zog fester an ihren Zopf. Plötzlich spürte Siri eine so große Wut im Bauch, dass sie ihre Schmerzen und ihre Haare, aber nicht ihre Würde vergaß. Der Dolch an ihren Waden schied daher als Waffe aus. Doch wenn ihr Geiselnehmer auch nur einen Hauch Professionalität besaß, so dachte sie sich, hatte er bestimmt auch… Siri fand den Dolch dort, wo sie ihn vermutet hatte. Im Stiefel ihres Peinigers. In einer Bewegung zog sie den Dolch heraus und schnitt damit durch ihren Zopf. Dann stieß sie sich vom Boden ab, rollte sich nach vorne ab, hob beim Aufstehen ihre Schwertscheide auf und ging in Kampfposition. „Der gehört mir!“, verlangte sie mit angekratzten Stimme. Sie sah nicht die ungläubigen Blicke ihrer Begleiter hinter ihr, doch war der Spott in den Augen des Räuberhauptmannes genug, um das Feuer in ihr weiter anzufachen. „Kein Mädchen würde so mit ihrem Haar umgehen.“, stellte der Räuber amüsiert fest. Mit einer lässigen Handbewegung warf er das Haarbündel weg und griff im nächsten Moment mit ganzer Kraft ihr Gesicht an. Siri wurde von seinem Schwertstreich vollkommen überrascht und riss reflexartig sie ihr Schwert hoch. Von der Wucht des Angriffes getroffen, torkelte sie ein paar Schritt rückwärts, ehe sie ihr Gleichgewicht wiederfand, doch ihr Gegner setzte ihr rücksichtslos nach. Mit kraftvollen und schnellen Schlägen setzte er ihr zu, während sie immer weiter zurückwich, um seinem Schwert zu entkommen. Schließlich parierte sie ein weiteres Mal und wurde durch die Kraft des Hiebes gegen einen Baum geschleudert. Der Aufprall betäubte ihre Sinne. Der Räuberhauptmann sah seine Chance und rammte seine Klinge mit der Spitze voran auf sie zu. Erst im letzten Augenblick lichtete sich der Nebel vor ihren Augen. Gerade so konnte sie mit Körperdrehung ausweichen. Das Schwert schrammte nur wenige Zentimeter an ihre Brust vorbei und drang tief in den Stamm ein. Geschockt trat Siri ein paar Schritte zurück, der Räuberhauptmann hatte derweil Mühe seine Klinge aus dem Holz herauszuziehen. Mit einem selbst zufriedenen Lächeln wurde Siri klar, dass er hilflos war. Ohne weiter unnötig Zeit zu verlieren hielt sie ihr eigenes Schwert an seine Kehle. „Loslassen!“, befahl sie ihm. Einen Moment schien es so, als wolle der Räuber lieber sterben als sich zu ergeben. Seine Augen brannten sich in Siri hinein, aber sie hielt seinem Blick stand. Schließlich löste er doch seine Hände von dem Schwertgriff und streckte sie von sich weg. Gades und Riden waren eine Sekunde später bei ihm und fesselten ihn. Während sie ihn abführten, ging Siri auf Allen Shezar zu. In seinem sanften Lächeln lag noch immer eine Spur von Verwunderung. „Ihr seid also der geheimnisvolle Kranke.“, begrüßte sie ihn. „Mein Name ist Allen Shezar, Ritter von Astoria.“, stellte er sich vor. „Ich wünschte, ich könnte behaupten, ich hätte Gutes über euch gehört, Ritter des Himmels, aber dann müsste ich lügen.“, warf sie ihm entgegen. „Nun, von euch hab ich noch gar nichts gehört. Wie ist euer Name?“ „Ihr seid ein Lügner, Allen Shezar. Ihr habt die ganze Zeit mich und Gades belauscht.“ „Ich halte mich nur an die Etikette.“, verteidigte er sich. „Was machen wir mit den Räubern?“, fragte Siri und warf dabei einen Blick auf die elf Männer, die inzwischen gefesselt bei den Bäumen lagen. „Wir verladen sie.“ „Die Wagen sind mit Mehlsäcken gefüllt. Da ist kein Platz mehr.“ „In den Säcken ist nur Stroh. Wir leeren die Säcke und packen die Räuber da rein.“ „Mit anderen Worten: Der Transport ist nur ein Köder. Warum ihr euch unbedingt verstecken musstet, versteh cih allerdings nicht.“, hakte sie nach. „Ein Pferdewagen wäre ein schlechter Köder mit einem gefürchteten Ritter auf dem Bock.“ „Ein gefürchteter Ritter…Warum leiden alle Männer an Selbstüberschätzung?“ „Ich bin nur realistisch.“, konterte Allen. „Außerdem müsst ihr zugeben, mein Eingreifen war eine gelungene Überraschung.“ „Ja, sie war aber nicht die einzige.“, fügte Siri lächelnd hinzu. „Zugegeben, mit euch hatte ich nicht gerechnet.“, erwiderte er. „Warum hattet ihr mir dann gestattet mitzukommen? Oh, wartet, ich weiß schon. Ihr konntet dem Gedanken an einer weiblichen Begleitung für die lange Reise nicht widerstehen, obwohl ihr nicht einmal mein Gesicht gesehen hattet.“ Verärgert wandte sich der Ritter an seine Untergebenen. „Was habt ihr über mich erzählt, dass sie so eine schlechte Meinung von mir hat.“, fragte er scharf. „Nur das Beste, Kommandant, wie immer.“, antwortete Pail und alle fingen an zu lachen. „Gades, teil die Wachen ein! Wir beide übernehmen die erste.“, befahl er mit strenger Stimme. „Gades, ihr könnt euch ausruhen. Allen Shezar und ich werden die erste Wache übernehmen.“, meldete sich Siri überraschend zu Wort. „Ihr könnt doch nicht einfach…“, protestierte Allen. „Ich kann sehr wohl eine Wache übernehmen. Ich lasse mich nicht weiter wie ein Kind behandeln! Ich bin genauso ein Krieger wie ihr.“ Einen Augenblick sah Allen so aus, als traute er seinen Ohren nicht, fing sich aber schnell wieder. „Es wird mir eine Ehre sein die Wache mit euch zu verbringen.“, schmeichelte er ihr und fasste Siris Hand und führte sie an seine Lippen, doch Siri zog sie zurück. „Glaubt ja nicht, ihr könnt mich so behandeln wie eine eurer zahllosen Eroberungen. Ich habe genug gehört um noch auf diese Masche hereinzufallen. Im Übrigen seid ihr viel zu alt für mich.“, sagte sie verärgert und zeigte ihm die kalte Schulter. Allen beobachtete sie noch einen Augenblick lang wie sie zu einem der Pferdewagen ging. Besonders schmerzte ihn ihr Kommentar über sein Alter und der Anblick ihres Haares, das ihr nicht einmal mehr bis zur Schulter reichte. Nur die zwei Strähnen vor ihren Ohren erinnerten an die vergangene Haarpracht. Von einem Gedankenblitz getroffen suchte Allen die Stelle ab, an der das Mädchen von dem Räuberhauptmann festgehalten worden war. Im nah liegenden Gebüsch fand er schließlich den Rest ihres Zopfes und strich vorsichtig den Dreck aus den Strähnen. Dann legte er das Haarbündel in einer seiner Taschen. Schließlich viel ihm auf, dass alle bis auf Gades ihn beobachteten und dabei über beide Ohren grinsten. „Macht euch gefälligst wieder an die Arbeit. Hier gibt es nichts zu sehen.“, befahl er ihnen, woraufhin sie sich Späße reißend zerstreuten. Gades indes konnte sich ein Lächeln nicht mehr verkneifen, er verbarg es aber sorgfältig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)