Raftel (1) von sakemaki (When Spirits Are Calling My Name ...) ================================================================================ 44 - Herbstwasser ----------------- Es klirrt und schepperte schrill in der Kombüse der Sunny. Feinstes Chinaporzellan fiel zu Boden und zersprang in tausend Teile. Winzige Splitter flogen empor und verflüchteten sich in die hintersten Ritzen von Möbeln und dem Holzfußboden der Schiffskombüse. Somit war die Strohhutbande in Sekunden um ein gutes Dutzend edler Teller ärmer. Entsetzt schlug die junge Frau die Hände vor ihr Gesicht und piepste in einer gefährlich hohen Tonlage einen Schwall an Entschuldigungen los, dass jeder im Umkreis von 50 Metern Tinitus bekommen müsste. „Sanji, das tut mir ganz furchtbar schrecklich leid! Wirklich! Ganz ehrlich!“ „Ach, Tashigi-Maus. Das ist doch gar kein Problem. Du bist so süß, wenn du tollpatschig bist“, strahlte der Smutje mit pinkfarbigem Herzchenauge wie ein Atomkern und wirbelte dabei verliebt wie ein Brummkreisel herum. Auch wenn Tashigi den Koch gewarnt hatte, sie auf die Liste der Küchenhilfen zu setzen, so ging es an Bord nun einmal seinen ganz normalen Weg, dass ein jeder mit dem Dienst an der Reihe wäre. Dennoch hätte sie lieber irgendetwas anders gemacht. Wäsche waschen oder Klamotten flicken zum Beispiel. Das machte zwar auch nicht mehr Spaß als Küchendienst, aber da ging in der Regel nicht ganz soviel kaputt wie beim Abwaschen. Wenigstens verzieh ihr Sanji dieses Missgeschick. Zumindest im Moment. Später würde er sich sicherlich doch noch für die Zerstörung seiner Küchenutensilien ärgern, übellaunig an einer Kippe ziehen und finster aufs Meer starren. Doch das würde er sich gegenüber einer Dame niemals anmerken lassen. Die Navigatorin ließ sich ihren Frust über die zerbrochenen Teller in ihrer stutenbissigen Art sofort anmerken. „Na toll, das Geschirr war sündhaft teuer und Designerware. Alles Unikate! Das wirst du bezahlen. Mit mindestens 50% Zinsen!“ keifte sie den Pechvogel an, der sich mittlerweile mit einem Handfeger und Kehrblech auf dem Küchenboden entlang zuschaffen machte. 50% Zinsen? Das würde sie niemals an Geld aufbringen können. Sie hatte schon Probleme gehabt, für neue Klamotten das Geld zusammenzukratzen, als sie alles verloren hatte. Das Unglück wurde abgerundet, indem sie sich böse an einer der Scherben in die Hand schnitt. Blut quoll hervor und tropfte nun auf ihre Kleidung und den Fußboden. Nami konnte nur noch die Augen verdrehen über soviel motorische Dummheit und nippte weiter an ihrem fruchtig-frischem Cocktail, welchen sie noch vor einem Augenblick liebevoll vom Smutje gemixt bekommen hatte. „Tashigi-Süße! Lass mich dir doch helfen!“ flötete Sanji unvermindert weiter, kniete sich unverschämt nahe zu ihr herunter und wickelte edel wie ein Gentleman ein blütenweißes Küchenhandtuch großzügig um die verletzte Hand. Dabei strahlte er eine beturtelnde Aura aus, dass Tashigi schon ganz mulmig wurde. So ehrenhaft sich der Koch auch gegenüber Frauen geben mochte, für sie war das Ganze eine weite Spur zuviel und auch zu anschleimend. „Ach, dass ist doch nichts ungewöhnliches“, lenkte sie schnell ab, erhob sich plump und stieß dabei Sanji noch so ungünstig an, dass dieser sich auf den Hosenboden setzte. Die einseitig romantische Stimmung war somit gekippt. Flink eilte die Verletzte zu Choppers Behandlungszimmer, wo eine große Tube Salbe für ihre Wunde inklusive einer professionellen Verarztung warten würden. In wenigen Schritten durchquerte sie den Raum und nahm im Vorbeigehen noch drei Stühle vom Esstisch mit. Sie fluchte laut. Ja, sie war tollpatschig, aber ohne ihre Brille war es durch nichts zu übertreffen. „Oh, du hast dich verletzt!“ begrüßte sie der kleine Arzt schon in der Tür besorgt, betrachtete den glatten Schnitt in der Handinnenfläche fachmännisch von allen Seiten und gab dann erleichtert Entwarnung. Die Wunde war groß, aber nicht tief. Schnell zierte ein fest angelegter Verband Tashigis Hand. Sie bedankte sich freudig und ließ das Rentier wieder allein über seiner Einkaufsliste brüten. Auch sie musste sich langsam Gedanken machen, was sie noch dringend für die weitere Fahrt bräuchte. Vor zwei Tage waren sie wieder auf Umeshu-Shima angekommen und hatten in einer kleinen Bucht in der Nähe des Dörfchens geankert. Anschließend lagen sie allesamt auf Choppers Anordnung an Deck, um die herrlich frische Herbstluft zu inhalieren, die ihnen hier kühl um die Nasen wehte. Die Zeit unter Wasser hatte bei allen die Atemwege aufs Äußerste strapaziert und der Arzt hatte wie ein Schießhund darauf geachtet, dass sich niemand überanstrengte. Streitereien zwischen bestimmten Crewmitgliedern waren da einfach vorprogrammiert und trotz heftigster Verbalgefechte konnte das Rentier dann nach zwei Tagen für alle das Signal geben, dass sie sich langsam wieder erheben könnten. Die Lungenflügel wären nun ausreichend durchgelüftet worden. Niemand aus der Truppe ließ sich das zweimal sagen, auch wenn der ein oder andere manchmal noch etwas wackelig auf den Beinen stand. Es wurde beschlossen, Einkaufslisten zusammenzustellen und nach einem deftigen Mittagessen schnell alle Einkäufe zu erledigen. Anschließend wollte man sich ebenso schnell aus dem Staub machen. Wohin sie segeln würden, wollte Nami eröffnen, wenn alles startklar wäre. Der Vormittag verging schleppend. Kaum einer konnte es so recht erwarten, endlich von Bord zu kommen und festen Boden unter den Sohlen zu spüren. Besonders Luffy hatte seine lieben Probleme, ruhig zu bleiben. Er konnte sich nicht entscheiden, was er nun sehnlichster erwartete: Mittagessen oder Landgang. Als Tashigi das Rasendeck hinüber zum Schlafraum der Frauen überqueren wollte, hielt sie kurz an der Reling inne und ließ ihre Seele baumeln. In den letzten zwei Tage hatte sie keinen Blick für ihre Umgebung gehabt, doch nun versank sie förmlich in diesem malerischen Ausblick und träumte vor sich her. Über einer tiefblauen See mit leichtem Wellengang spannt sich ein strahlendblauer Himmel ohne Wolken wie ein großer Papierbogen über das Szenario. Der Herbst hatte mit seinem Farbpinsel allen Bäumen und Büschen ein neues Outfit verpasst. Die Pflaumenbüsche leuchteten in einem Tomatenrot. Vereinzelte Bäume mischten sich mit satten Orange- und Gelbtönen dazwischen. Ein seichter Wind bewegte die Zweige leicht hin und her und verursachten ein feines Rauschen, welches sich mit dem Meer mischt. Der felsige Untergrund der Insel wirkte gegen die bunte Farbpracht fast schwarz. Hier und da stieg Wasserdampf wie Nebel aus den heißen Quellen hervor, kroch die Bergkämme entlang und stieg dann wie Qualm in den Himmel. „Als würde die Insel wie ein großes Lagerfeuer lichterloh brennen“, dachte Tashigi vollkommen verträumt und starrte den Alltag um sich herum vergessend weiterhin auf den knallroten, rauschenden Blätterwald. So etwas schönes hatten sie noch nie gesehen. Oder besser gesagt, sie hatte da zuvor nie drauf geachtet. Wie konnten ihr solch schöne Naturmomente all die Jahre entgangen sein? Luffys lautes Organ holte sie in die Realität zurück. „Los geht’s!“ brüllte dieser absolut übermotiviert und war auch sofort einer der Ersten, die in der Mini-Merry Platz nahmen. Zu ihm gesellten sich noch Robin und Sanji und schon düsten sie einer flinken Nami auf dem Waver hinterher zum Strand. Zurück blieben Franky, Usopp, Chopper, Zoro und Tashigi, welche sich nur kopfschüttelnd das Rettungsboot teilten und nun gemütlich lospaddelten. „Zurück müssen wir eh mehrmals fahren“, meinte der Konstrukteur. „Ja, mit dem Proviant können ja nicht alle gleichzeitig zurück und zum ein- und ausbooten brauchen wir ja auch immer noch wen“, ergänzte der Kanonier die Überlegung. Der Rest im Boot nickte als Zeichen des Verstehens. Niemand sprach ein Wort und so hörte man nur das gleichmäßig Eintauchen der beiden Paddel, mit welchen Zoro und Franky das Boot langsam in Bewegung setzten. Auf der Mitte des kurzen Weges zum Strand begannen der Scharfschütze und das Rentier dann doch loszuschnattern wie zwei aufgeschreckte Gänse. Usopp erzählte von wundersamen Zauberdingen auf seiner Einkaufsliste und Chopper hoffte, das ein oder andere Becherglas erwerben zu können. Franky fühlte sich kurz darauf genervt und blubberte die beiden Tratschtaschen an, sich etwas ruhiger zu verhalten. Den Krach würde man bis zur Redline hören. Und so kabbelten sie sich eine Weile zu dritt. Tashigi blieb stumm, blickte abwechselnd aufs Wasser und dann zu Zoro. Doch jedes Mal wenn zu versuchte, einen Augenkontakt zu erhaschen, wich er ihr aus. War das ein dummes Spiel um sie zu ärgern oder lag es schlichtweg daran, dass sie nun beide nicht mehr allein und unter sich waren? Sie seufzte. Vermutlich war Letzteres der Grund, weshalb sie nun wieder der unsichtbare Mensch für ihn war. Sie kam nicht dazu, den Gedanken zu ende zu spinnen, denn ein sanfter Ruck durchs Boot und die plötzlich laute, quengelige Stimme ihre Captains signalisierte, dass sie nun den Strand erreicht hatten. Der Strand war, ebenso wie die Bucht, nicht sonderlich groß und lag zu Füßen der einzigen Einkaufstraße der Insel. An den Schleifspuren auf dem Strand konnte man erahnen, dass wohl gelegentlich kleine Fischerboote hier aufs Wasser gesetzt und später wieder herausgezogen wurden. Unregelmäßig klecksten sich dünne Sandstreifen an das felsige Ufer, überdeckt von den wildroten Sträuchern. Es reichte zum Anlegen, aber kaum zum Baden oder Verweilen. Ein schmaler Pfad schlängelte sich fast unbemerkt zwischen den Büschen ins Inselinnere. Gemeinsam folgte sie seinem Lauf, bis sie bereits nach wenigen Kurven an ein altes, aber stabiles Lagerhaus aus schwarzem Holz kamen. Daneben lag eines der vermuteten Fischerboot. Es wäre fast nicht aufgefallen, wenn die Büsche derzeit nicht so einen farblichen Kontrast gesetzt hätten. An der schwarzen Hütte gabelte sich der Weg. Links ab wurde aus dem Pfad ein breiter Fahrweg, der tiefe Radspuren aufwies als Zeichen einer erst kürzlichen Benutzung. Rechts ab wurde der Pfad noch schmaler und wilder. „Ok!“ riss Luffy das Wort an sich. Er war immerhin der Chef der Bande und da musste ab und zu mal etwas gesagt werden. „Jeder kann machen, was er will, aber morgen Mittag sind alle wieder hier am schwarzen Haus“, und wies mit einer unübersehbaren Armbewegung auf die Hütte. „Dann fahren wir weiter, nachdem es was zu futtern gab. Nami, wohin?“ Sanji rollte bei dem Wort „Futter“ nur die Augen, während Nami sich an eine kurze Erklärung machte. „Meine liebste Robin hat sich mit mir zusammen noch mal durch alle Karten aus den sieben Truhen gewälzt. Dabei fielen uns viele kleine Markierungen in den Karten auf. So kleine Kästchen. Wir haben die großartige Vermutung, dass es sich hierbei unter anderem um Lagepläne der Porneglyphen handelt.“ Die Crew war erstaunt. „Was? Wirklich?“ „Tatsächlich? Wie viele sind es denn? „Wo liegen die denn alle?“ „Was macht euch so sicher?“ überschlugen sich die neugierigen Fragen. Robin lächelte geheimnisvoll und gab dann bereitwillig Auskunft. „Es ist nur eine Vermutung, aber dort, wo ich Porneglyphen gesehen habe, war auf der Karte so ein Zeichen. Das ist doch ein sehr ungewöhnlicher Zufall. Und da das nächste Zeichen ganz in der Nähe ist, könnten wir das doch leicht überprüfen. Es sind mehr als 500 Zeichen in der Karten.“ „500?!“ kam es aus allen Mündern gleichzeitig. „Und wie viele hast du davon schon gelesen?“ erkundigte sich Usopp vorsichtig. „121“, gab die Archäologin zurück und fügte hinzu, „Es sind einige sogar auf der Redline. Das hätte ich nicht so sehr vermutet. Unser Plan war halt, dass wir vielleicht das Kerzenrätsel lösen, wenn wir alle Porneglyphen besucht haben. Und mit der Karte wäre das sehr viel einfacher. Mit Namis Hilfe werde ich auch eine Liste erstellen, was ich wo gelesen habe. Vielleicht kann man anhand der Karte sogar ein Schema ausmachen. Robins Augen leuchten wie Sterne und ihre Wangen glühten wie heiße Kohlestücke. Sie war dem Ziel ihrer Träume das entscheidende Stückchen näher gekommen. Der Plan klang simpel und schlüssig. Selbst Luffy hatte ihn auf Anhieb verstanden und segnete augenblicklich die ganze Aktion ab. Franky erkundigte sich bei der Navigatorin, wo denn der nächste Steinquader mit den komischen Inschriften stehen würde. Diese lachte und nannte das Twin Cape. Luffy freute sich. Sie könnten mit Brook die Mannschaft wieder komplettieren und zudem Laboon wiedersehen. Eigentlich hatte er sich das zwar erst für den Schluss der Reise aufheben wollen, aber manchmal ging das Abenteuer eben andere Wege. Morgen Mittag wären sie also wieder auf See und hätten ein neues Abenteuer vor sich. Die Jagd nach den Porneglyphen. „Ok, seid bitte pünktlich an diesem Treffpunkt, damit wir gemeinsam den Proviant verladen können. Das geht dann schneller. Morgen hier an der Hütte, wo sich der Weg gabelt. Den Weg dort geht es zum Schiff“, zeigte paffend der Smutje und zog an seiner Zigarette. „Kannst du dir das merken, Marimo?“ „Schnauze!“ kam es nur trotzig zurück. Ohne sich auch nur irgendeinen Ärger anmerken zu lassen, schritt der Schwertkämpfer voran. Die kleinen schwarzen Hütten mehrten sich am Rande des Fahrwegs. Einige sahen gut gepflegt aus, andere fielen fast in sich zusammen. Jeder Inselbewohner schien hier sein eigenes privates Lagerhaus zu besitzen. Plötzlich machte der Weg eine scharfe Rechtskurve weg vom Hang, an dem oberhalb das wohlbekannte Dorf mit seiner einzigen Einkaufsstraße war. Dafür war aber in den Felsen zwischen den Büschen in unregelmäßigen Abständen unförmige Treppenstufen gehauen: eine Abkürzung zum Dorf. Die so kurz wirkende Treppe entpuppte sich dann doch als Bergsteigerparadies. Usopp sprach bereits bei Stufe 32 von Höhenangst und totaler Erschöpfung, aber auch der Rest musste nach der Hälfte des Aufstiegs feststellen, dass sie wohl hier kein zweites Mal hinaufkraxeln würden. Endlich wurde Stufe Numero 854 erklommen und somit die Hangkante erreicht. Dort war eine kleine gedrungene Mauer und ein kleiner Durchlass zur Dorfstraße. Mit hängenden Zungen lehnten die Crew an das Mauerwerk, japste nach Luft. Dabei betrachteten sie die bildschöne Aussicht auf die Bucht zu ihren Füßen und der dort ruhenden Sunny. „Ohje, das Wetter wird umschlagen“, warnte die Navigatorin und deutete auf dunkle Regenwolken am Horizont. „Bis zum Abend sind die hier!“ „Sturm?“ fragte Sanji. „Nein, aber ein kräftiger Guss wird über uns runterkommen“, antwortete Nami fachmännisch. Die Gruppe löste sich langsam auf und ein jeder ging allein oder zu zweien seiner Wege. Die Damen zogen gemeinsam los. Sie benötigten nichts besonderes und so einigte man sich sofort ohne Worte zu verlieren aufs Shoppen. Durch das erst kürzlich vergangene Piratenfest waren wieder viele Handelswaren auf die Insel gekommen und auch bei den neusten Kollektionen der Modehochburgen fehlte nichts. Nami erfreute sich nicht nur an den neusten Klamotten, sondern auch an ihren sündhaft günstigen Preisen. Da konnte man tatsächlich mehr zugreifen, als sie tragen konnte. Viele knappe Tops, kurze Röcke und enge Jeans landeten schließlich in gut einem Dutzend Einkaufstüten. Robin hatte ihr stets zufriedenes Lächeln auf den Lippen und gab sich mit zwei neuen Hüten, drei Jacken, ein Paar Stiefeln und einer dunklen Wildlederhose zufrieden. Als sie jedoch Tashigis hilfloses Wühlen in den Klamottenbergen sah, empfand sie es als richtigen Zeitpunkt, der ehemaligen Soldatin in punkto Mode kräftig unter die Arme zu greifen. Es lag eine gewisse Schwierigkeit daran, Tashigi zu überzeugen, von ihrem Schlabber-Chaos-Look auch mal abzuweichen und stattdessen Farben und Formen vernünftig zu kombinieren. Nach unzähligen Outfits stand fest, dass ihr gedeckte, kräftige Farben sehr gut standen. Und so füllte sich langsam, aber sicher auch bei Tashigi die Einkaufstüten. Nun fehlten nur noch ein paar neue Schuhe und schon war sie komplett neu ausstaffiert. Den Regenanorak zog sie gleich über und schlug den Kragen hoch, denn Nami sollte recht behalten: Dicke Regenwolken und ein kühler Wind zogen auf. Niemand der drei Frauen wusste zwar hinterher noch, was von den Textilwaren schon probiert und was noch nicht probiert war, aber da sie in diesem Laden eine große Stange Geld lassen würden und es eh keiner wagen würden, Piraten die Meinung zu geigen, sagte keiner der Ladenverkäuferinnen auch nur ein Wort. Sie bedankten sich fröhlich für das gute Geschäft und seufzten später, als sie mit dem Aufräumen in dem kleinen Laden begannen. Die Piratinnen beschlossen nach dem anstrengenden Kaufmarathon, es sich in einem Cafe mit einem leichten Abendessen und warmen Getränken so richtig gut gehen zu lassen. Die Lokalität war auf der Dorfstraße schnell gefunden. Und ebenso ihr Strohhutchef. Der saß mampfend über einem Berg von leeren Tellern, bestellte ebenso schnell nach, wie er futterte und trieb die Gaststätte an den Rand der Lagerkapazitäten. Die Navigatorin seufzte. Dort, wo Luffy aß, hinterblieb meist ein Saustall und Tischmanieren kannte der Strohhutjunge eh nicht. Auch wenn sie erst so tun wollte, als würde sie ihn nicht kennen, gesellte sie sich dann doch mit den beiden anderen an seinen Tisch, denn Luffy hatte sie schon überschwänglich winkend begrüßt und unverständliche Laute mit vollem Munde von sich gegeben. Es war mehr als peinlich. „Wo sind die anderen geblieben?“ fragte Nami den Gummijungen, während sie wie die beiden anderen auf ihre Getränke warteten. „Öhm...“, grübelte dieser. „Also Usopp, Chopper und Franky waren erst zusammen los. Dann ist Chopper bei so’ner alten Kräuterhexe Einkaufen gegangen, wo der auch Sanji angetroffen hat. Und Franky hat mit Usopp Werkzeug gekauft. Er wollte aber nicht auf Usopp warten, weil der noch in den Krempelladen wollte. Und Franky wollte wieder zur Sunny, damit die nicht solange allein und unbewacht ist. Zoro habe ich den ganzen Tag noch nicht so richtig gesehen.“ „Der war doch bei euch mit bei?“ staunte Nami etwas entnervt, nachdem sie Luffys komplizierter Aufzählung gefolgt war. „Und wo bleibt eigentlich mein Kaffee? Hey, Bedienung?“ Damit stand sie auf und ging leicht angesäuert zur Theke. Der Gummijunge fühlte sich keiner Schuld bewusst. Immerhin war er schon seit der Erklimmung der Treppe an diesem Platz. Da konnte er doch wirklich nicht wissen, wo alle sein würden. Robin lachte und auch Tashigi fand es mehr als komisch. Einige Tassen Kaffee später tauchte der Smutje der Crew auf und wurde umgehend von den Damen zum Einkaufstütenschleppen eingeteilt. Mit einem „Natürlich, liebste Nami! Ich bin gleich wieder an deiner Seite“, wirbelte er verliebt von dannen gen Sunny wie auch immer er es geschafft hatte, gut 25 übervolle Tüten im XXL-Format gleichzeitig an den Griffen zu packen. „Ich möchte auch noch mal los. Weiter die Straße runter gibt es einen Glaser. Vielleicht hat der wenigstens eine Sammellinse als Brillenersatz“, meinte Tashigi und erhob sich. Der Rest nickte ihr fröhlich zu. Als sie durch die Tür des kleinen Gasthauses ging, wehte ihr ein kalter Wind entgegen. Mit ihm trieb rotes Laub wie aufgeschreckte Fliegen durch die Straße und verlor sich hilflos über dem Abhang zum Meer hinüber. Jenes hatte ein unruhiges grüntürkis angenommen und wirkte mit den gekräuselten Oberfläche dreckig. Tashigi trat vom Eingang der Kneipe weg und blickte über die Mauer hinunter in die Bucht. Auf den Wellenkämmen bildeten sich grauweiße Schaumkrönchen. Ihr Piratenschiff schaukelte aufgebracht auf und ab und schien so seine Crew anzuprangern, die es ganz allein gelassen hatten. Es war die richtige Entscheidung des Schiffbauers gewesen, zurück zur Sunny zu gehen bei diesem Wetter. Hoffentlich könnten sie morgen überhaupt auslaufen. Sie lächelte. Natürlich würden sie auslaufen. Sie waren Piraten. Denen war das Wetter egal. Die Himmel hatte sich verfinstert. Dicke, graue Wolken hingen tief herunter und jagten sich gegenseitig, so dass sie sich zerfetzten. Die ersten dicken Regentropfen begannen zu fallen. Wenn sie nicht klitschnass werden wollte, dann musste sie sich beeilen. Und so rannte sie gegen den Wind die Straße entlang, um den Glaser mit einem mehr als ausgefallenem Wunsch heimzusuchen. Aus den einzelnen Tropfen wurden Wasserfäden. Innerhalb von Sekunden schüttete es wie aus Eimern und verwandelte die Straße in einen Fluss. Nass bis auf die Knochen stürmte sie die kleine Glaserei, wo ihr schon im Eingang große Hitze vom Brennofen entgegen schlug. Tatsächlich bekam sie so eine Sammellinse. Dankend zahlte sie und ließ das kostbare Glas in ihre Anoraktasche fallen. An dem rauschendem Trommeln auf dem Dach hörte sie, dass der Regen noch nicht nachgelassen hatte. Sie würde wohl noch etwas verweilen müssen, bis der Regen nachließ. Nicht sehr weit entfernt von der Glaserei und somit auch von der Dorfstraße lag der Tempelhügel. Er war einer der höchsten Punkte der Insel und bei gutem Wetter bot sich dem Besucher eine herrliche Aussicht über das gesamte Areal. Jetzt jedoch war es ungemütlich geworden. Der Wind blies kräftig über den platten Bergkopf und rüttelte an dem kleinen Tempelschrein wie ein Stier, der mit gesenkten Hörnern Anlauf auf ein rotes Tuch nahm. Die tiefen Regenwolken hingen an dem flachen Gipfel fest und hüllten in nassen Nebel. In dem Tempel hockte der alte, bucklige Mönch hinter den Holzläden und lugte hindurch auf den Vorplatz. Er kannte die Wetter hier oben seit Jahrzehnten und gab seinem Gast einen Rat: „Es wird Zeit zu gehen für dich, mein Freund! Sonst verwandelt sich die Treppe in einen reißenden Wasserfall und dann wird der Abstieg ungemütlich. Wann legt ihr wieder ab?“ „Morgen gegen Mittag, wenn alles verladen ist“, antwortete Zoro ruhig und ließ den Nachmittag vor seinem inneren Auge noch einmal Revue passieren. Schnell hatte er sich gegen Mittag von den anderen Strohhüten getrennt und war ziellos in eine andere Richtung gegangen. Die Ereignisse der letzten Tage wollte er allein für sich ordnen. Die Bande würde da nur stören. Irgendwann stand er dann am Spätnachmittag vor der Treppe, die ihm unheimlich bekannt vorkam, aber nun bei Tageslicht für einen Roronoa Zoro absolut nicht mehr einzuordnen war. Wie so alles, was mit Orientierung zu tun hatte. Am Schrein angekommen, hatte er sich dann in der Windschattenseite des Schreins niedergelassen und war kurz darauf von dem kleinen Mönch, der übrigens Arax hieß, angesprochen worden. „Du kannst die hier oben alle sehen, oder?“ hatte er gesagt, dabei auf die ganzen Geisterseelen gedeutet und dabei so ein unverschämt gütiges und allwissendes Lächeln wie Koushirou auf den Lippen gehabt. Allein diesen Wink einer Erinnerung verdarb Zoro den Spaß an der Ruhe und machte den kleinen Wicht verdächtig. Dennoch gab er sich halbwegs nett und bejahte die Frage in der Hoffnung, Arax gleich wieder loswerden zu können. Doch der kleine Mann wollte sich so nicht abspeisen lassen. Er nahm neben dem Schwertkämpfer Platz und war durch seine geringe Größe auch im Sitzen nicht höher als die Schulter Zoros. Im Gegensatz zu der vergangen Vollmondnacht, trug Arax nun aber nicht sein simples Kuttengewand, sondern einen wertvollen Seidenkimono, in dem bordeauxrote Dreiecke eingewebt waren, die sich kaum von dem schwarzen Stoffuntergrund abhoben. Das ganze sah sehr teuer und elegant, fast festlich aus. „Ich weiß Bescheid über dich und wollte dich neulich schon ansprechen, aber das wäre wohl nicht gut gekommen in dem Moment“, fuhr das Männlein unbeirrt fort. „Hm?“ Argwöhnisch betrachtete Zoro seinen Gesprächspartner. Jemand, der Ahnung hätte und Bescheid wisse? Woher das denn? Der Typ wurde immer suspekter. „Na, das Mädchen, was so traurig wegen dir war. Wie geht es ihr?“ „Du bist ganz schön neugierig!“ „Du beantwortest meine Frage nicht.“ „Was weiß ich, wie es ihr geht ...“ Der Schwertkämpfer verspürte keine Lust, weiter über dieses Thema zu plaudern. „Du lügst“, stellte der Mönch nun breit grinsend fest und sein Grinsen wurde noch breiter, dass es von einem Ohr zum anderen reichte. „Grünhaarig, hitzköpfig, vorschnell, hochmütig, aggressiv, aber auch müde, genervt, zielstrebig, treu... Du und alle aus deiner Linie. Ihr seid alle sehr ähnlich, um nicht zu sagen: gleich.“ „Was weißt du?“ brach es laut und aggressiv aus Zoro hervor. Das ging nun doch zu weit und auf keine Kuhhaut mehr. Wenn der Kerl neben ihm etwas zu sagen hatte, dann sollte er das jetzt tun oder sich andernfalls zurück in seinen Schrein verziehen und ganz fest die Tür hinter sich zunageln. Und so begann Arax kurz und knapp zu erzählen, wie es einst die Prismenträger mit großer Macht gab und dass sich um diese Prismen eine Religion und einen Kult entwickelte hatte. Er selbst würde das rote Prisma und seine Eigenschaften favorisieren, obwohl er selbst nicht so genau wüsste, wer oder was das wäre. Aber er würde feste daran glauben, zeigte stolz seinen Kimono und es wäre mehr als ein Weltwunder ein echtes Kalikind neben sich sitzen zu haben. Den die Kalikinder wären ja das Nonplusultra in diesem Kult. In Zoros Kopf kitteten sich winzigste Scherben aus Informationen der letzten Wochen und Monate zusammen. Nun wurde ihm klar, warum das Orakel im Haus der Stille von Rot, Gelb und Blau sprach. Selbst die Panzerreiter auf der Redline waren nun kein Rätsel mehr. Sie gehörten wie die Alte in dem Bauernhaus im Schnee und der Wirt aus dem Blitzableiterschüsselhaus zum gelben Prisma. Das alles war ein Teil von Raftels Geschichte und auch die Kalikinder gehörten zu dieser Geschichte. Wie, war noch unklar, aber die Antworten würden schneller kommen als jemals gedacht. Auf jeden Fall schien sich alles um eine große, düstere Sekte zu drehen, wo Zoro doch so rein gar nicht an Götter glaubte. Das passte wie die Faust aufs Auge. Der Schwertkämpfer seufzte innerlich. Er hatte vor Kurzem beschlossen, sich seinem Schicksal zu fügen. Und dazu gehörte wohl ein ganzer Rattenschwanz an Mysterien, die nicht sonderlich nach Spaß schrien. In diesem Moment tröpfelten die ersten Regentropfen von einem zerfetzen Wolkenhimmel herab. Tashigi wusste nicht, wie lange sie gewartet hatte, doch der Regen wurde einfach nicht weniger. Wenn er doch nur ein kleines bisschen abgenommen hätte. Doch solche Wünsche wurden selten erhört. Also zog sie die Kapuze über den Kopf und ging hinaus in die Nässe. Es war bereits Abend und dunkel, wodurch ihr die Orientierung sehr schwer viel. Sie ging langsam voran und hoffte, den richtigen Weg zum Schiff zu finden, doch nach einer guten Stunde Marsch durch nasse Pfützen und Matsch wurde ihr schnell gewiss, dass sie auf dem Holzweg war. Sie hatte sich verirrt. In der Ferne leuchtete etwas. Heller Lichtschein aus den Fenstern eines Haus! Vorsichtig schlich sie sich an, stolperte aber über ihre Füße und war nach weiteren Metern über und über mit Matsch bezogen. Leise fluchte sie und spähte durch ein Fenster. „Verdammt!“ entfuhr es ihr leise. Sie war an den Ruinen des kleinen Marinestützpunkt gelandet. Notdürftig waren hier schon wieder erste Mauern gezogen worden. Im Inneren saßen eine Handvoll wachhabender Offiziere und zu allem Unglück ihr ehemaliger Chef. Soviel Pech konnte man doch kaum haben. Wenigstens war Hina nirgends zu sehen. „Wen haben wir denn da?“ tönte eine männliche Stimme und schon spürte Tashigi eine Pistole im Rücken. Ein Angriff ihrerseits wäre nun der vollkommen falsche Weg gewesen, weshalb sie sich entschloss, den Anweisungen des Wachsoldaten Folge zu leisten. Langsam schob sich das ungleiche Pärchen von draußen in das wohlig warme Innere des Notgebäudes. Schon in der Eingangstür drang der Gestank von Tabak in ihre Nase und sie musste sich eingestehen, dass sie diesen von früher gewohnten Geruch absolut nicht vermisst hatte. Obwohl sie es verhindern wollte, schwappte bei jedem Schritt Regenwasser aus ihren durchnässten Schuhen und die Dreckflecken auf dem Fußboden mischten sich herrlich zu einem Matschmuster. Im Großen und Ganzen, war es ein elendiger Auftritt. Der Qualmer saß mit dem Rücken zu den gerade Hereingekommenen, hörte sich die Meldung des Soldaten an und zeigte keine Regung. „Ok, ihr Pfeifen! Ihr verlasst alle den Raum und verzieht euch oben auf eure Unterkünfte. Wehe, es kommt auch nur einer raus, bevor ich es sage!“ drang es rauchig aus Smokers Mund. Die Soldaten flitzten los. Strafen von Smoker sollte man sich niemals einfangen. Noch immer zeigte der Admiral keine Regung. Ungewohnt ruhig klang seine Stimme. „Du wagst es noch, hierher zu kommen?“ Tashigi traute sich nicht, den Mund aufzumachen aus Angst, etwas Falsches zu sagen. Das einzige, was sich bewegte in diesem Moment, war der Rauch von Smokers Zigarren. Eine Sekunde später plumpste draußen vor der Tür etwas unsanft nieder. Die Eingangstür flog aus den Angeln und eine weitere, regennasse Person betrat das Gebäude. Den Fußstapfen zu urteilen, war die Gestalt extrem missmutig. „Den hatte ich schon fast vermisst...“ ergänzte Smoker weiterhin gelassen, aber dennoch ironisch, über Zoros plötzliches Erscheinen. Dem Qualmer war nicht zu entnehmen, ob er über diese bizarre Treffen sich freuen oder heulen sollte. Zumindest warf er niemanden raus: „Und glaube man ja nicht, dass ich euch beide nun ziehen lasse!“ Der Admiral wirbelte herum. Eiskalter, weißer Rauch schlängelten sich wie Schlangen auf ihre Opfer zu. „Das hat letztes Mal schon nicht geklappt und wird es diesmal auch nicht“, konterte der Schwertkämpfer trocken, lässig im Eingangsbereich stehend mit den Händen in den Hosentaschen. Er hoffte inständig, dass ihn seine unkontrollierbaren Kräfte nun nicht im Stich lassen würden. Smoker wusste mit dieser Aussage nichts rechtes anzufangen. Klar erinnerte er sich an den Vorfall vor einigen Tagen unten in dem Kerkerlabyrinth. Allerdings war es dort stellenweise zu dunkel gewesen, um die möglichen Ursachen seines Scheiterns zu analysieren. Letztendlich schob er es in die Schublade „Unerklärliche Phänomene“ und damit war die Sache für ihn abgehakt. Er staunt dann im nächsten Augenblick nicht schlecht, als die Nebelschlange seine beiden Kontrahenten nicht wie geplant fesselte, sondern wie eine kreisförmige Spirale gen Zimmerdecke flog und sich dort verflüchtigte. So sehr er sich auch anstrengte, um den weißen Rauch zu verfestigen, waren seine Bemühungen zum Scheitern verurteilt. Innerlich tobte er, aber nach außen hin durfte man sich so eine Verzweiflung niemals anmerken lassen. Aus schmalen Augenschlitzen und mit versteinerter Miene konnte er nur noch mit ansehen, wie der grüne Teufel seine ehemalige Untergebene am Arm packte und mit sich zog. Dabei wanderte ein schwarzer Klacks zu deren Füßen wie ein Schatten mit den beiden mit. „Was zur Hölle bist du? Hast du eine Teufelsfrucht gegessen?“ brüllte er dem Piraten hinüber, noch bevor dieser durch die Tür entschwinden konnte. Smoker war sichtlich genervt. Zoro blieb abrupt stehen, dachte einen Moment nach und sagte ohne seinen Feind anzusehen: „Finde es raus!“ Dann ging er ohne auch nur ein einziges Mal nach hinten zu sehen, denn er wusste, dass der Admiral sich nicht rühren würde. Er konnte es fühlen. Ganz anders erging es Tashigi. Sie ließ sich tonlos mitziehen. Zoros Griff an ihrem Oberarm glich einem Schraubstock und schmerzte höllisch. Sie kam nicht davon ab, ein allerletztes Mal über ihre Schulter hinweg zu ihrem ehemaligen Chef zu blicken. Es war nur kurz, aber es war wie ein Abschied. Fast hätte sie gemeint, so etwas wie einen Hauch von Traurigkeit in Smokers Gesicht erkennen zu können. Aber vielleicht spielte ihr die Fantasie auch nur einen dummen Streich. Das Kapitel namens Marine war abgeschlossen. Draußen prasselte der Regen immer noch wie die Salven eines Maschinengewehres. Er durchtränke die Kleidung in Windeseile mit eisiger Kälte. Jeder Tropfen auf der Haut fühlte sich wie Hagelkörner an. Wenigstens war es fast windstill. Ebenso scheußlich wie das Regenwetter empfand Tashigi den Rückweg. Kaum draußen auf dem Vorplatz angekommen, hatte Zoro sie losgelassen. Nun stapften sie beide durch die schwarze, nasse Nacht zurück zum Dorf. Kein Wort hatten sie mit einander gewechselt. Nicht mal einen Blickkontakt. Sie war wieder der unsichtbare Mensch und bereits nahe der Annahme, dass er mehr als sauer war. Wieder einmal hatte sie sich selbst in Schwierigkeiten gebracht und wieder einmal hatte er sich aus dem Schlamassel befreit. Tausend Gedanken kreisten ihr durch den Kopf, warum er wohl plötzlich aus dem Nichts dort aufgetaucht war oder warum er so schlecht gelaunt war oder, oder, oder... Sie hielt es für besser, zu schweigen. Schon einmal hatte sie miterlebt, dass Zoro auch gewaltig explodieren konnte. Das schien zwar nur in den allerseltensten Fällen zu geschehen, aber haben musste sie das definitiv nicht. Der Regen hatte die schmalen Pfade in zu Tale stürzende Bäche und Moraste verwandelt. Das Vorankommen wurde immer schwieriger. Arax sollte also recht behalten, dass man bei diesem Wetter lieber zuhause blieb. Nach einer gefühlten Unendlichkeit tauchten in einigen Metern Entfernung die Dorfstraße auf. Zoro hielt inne. „Wir sollten heute Nacht hier oberhalb bleiben. Bei der Pampe kommen wir eh nicht unten am Strand an. Oder willst du da heute noch runter?“ Die Antwort war ein undefinierbares Nicken. „Was ist los? Du redest doch sonst auch immer wie ein Wasserfall?“ „Ich dachte, du wärst sauer auf mich. Ich wollte da nicht hingehen. Aber die Dunkelheit. Und ohne meine Brille...“ Verschämt senkte sie den Kopf zu Boden. „Nein, bin ich nicht. Aber Smoker wird nun nachforschen, was da gerade passiert ist. Das ist alles.“ Tashigi fühlte sich beruhigter. Ihr war klar, dass dieses eben eines der Gespräche waren, die nur sie beide etwas angingen und sonst niemand. Genauso wie das, was sie in das Buch schrieb. Sie hatte es ihm zum Geburtstag übergeben wollen. Jedoch bekam sie es einige Tage später zurück. „Schreib weiter!“ hatte er sie beauftragt und da hatte sie sich doch schon etwas stolz gefühlt. Einige Minuten später stellten sie sich unter einer Veranda eines einfachen, leer stehenden Steinhauses unter. Das Nachbarhaus und somit auch der Ortseingang lagen noch einige Meter weiter den Weg entlang. Der Schwertkämpfer ging davon aus, dass heute niemand mehr hier entlang geistern würde und kurzerhand war das Vorhängeschloss an der Tür geknackt. Das Haus war typisch für die Gegend. Die Tür und Fensterläden aus schwerem Holz waren bunt bemalt, die Wände unverputzt grau und der hintere Gebäudeteil war in den Fels eingelassen. Es war vielmehr ein Häuschen, denn der quadratische Raum hinter der Eingangspforte maß vielleicht gute 5 Meter Länge. Die Schlafecke war etwas erhöht auf einem Podest in der hinteren Ecke. Im vorderen Bereich war ein winziger Tisch und ein Regal mit Konserven, ein Paravent verbarg einen Waschzuber und ein kleines Waschbecken. In der Mitte von allem war eine Feuerstelle. Eine feine Staubschicht auf Boden und Möbel gab Gewissheit, dass der Bewohner wohl schon länger ausgeflogen war. Dennoch war alle sehr ordentlich hinterlassen worden. Erstaunt stellte Tashigi fest, dass der Wasserhahn tatsächlich sauberes Wasser fließen ließ und so gab sie an, sich den Dreck von Haut und Haar abzuschrubben und sich dann schlafen zu legen. Der Tag heute würde ihr reichen. Kaum gesagt, hörte man schon Wasser plätschern und die nasse Kleidung hing schief über dem Paravent zum Trocken. Zoro zuckte nur mit den Schultern und inspizierte das Regal, nachdem er eine Kerze in die Finger bekam. Der Magen hing durch und gab böse Worte von sich. Eine Sakeflasche wurde gefunden und sofort entkorkt. Nach einem kräftigen Schluck fragte er durch den Raum: „Ramen oder Birnen?“ „Hm?“ „Mehr Essbares gibt es nicht“, meinte Zoro und hielt seiner Süßen beide Konservendosen hin. Bei der übersichtlichen Essensmenge war man sich einig, beide Dosen auszulöffeln. Es war stellenweise schwierig für den Schwertkämpfer, nicht laut loszulachen, denn Tashigi war einfach sie selbst und hatte es zustande gebracht, das komplette Repertoire an Linkshändigkeit binnen von Sekunden an den Tag zu legte. Und so beließ er es bei einem amüsiertem Schmunzeln, als sie sich erst an der Dose schnitt, dann die Zunge am heißen Suppenlöffel verbrannte und zu guter letzt die Birnenstücke auf dem großen Badetuch verteilte, welches sie umhüllte. Unzufrieden über ihre eigene Tollpatschigkeit trollte sie sich umgehend unter die Bettdecke, wo sie aus einem Deckenspalt heraus in den dunklen Raum spähte und ihren Freund beobachtete, wie dieser sich ein Tuch schnappte und seine Katana von der Regenfeuchtigkeit befreite. „Es leuchtet nicht mehr“, stellte sie fest, als Zoro den Lappen einmal über die Klinge des Wadôichimonji zog und es prüfend in den Feuerschein hielt. Immer noch glänzte es wie frisch poliert und geschmiedet, doch der wundersame blauweiße Glanz, der das Schwert magischen wirken ließ, war seit dem Einlösen des Versprechens verschwunden. „Ja, das ist wohl so...“ antwortete er ihr mit einem Seufzer in der Stimme. Auf dem Dach trommelte unbeirrt der Regen. Es gluckerte und blubberte vor der Eingangstür. Ein Klang dafür, dass auch die Dorfstraße nun mehr einem Wildwasserbach glich. Shûsui – klares Wasser im Herbst. Auch wenn der Regen so vertraut und beruhigend gleichmäßig auf die Erde tropfte, so zerstörerisch waren hinterher die Wassermassen, die sich sammelten und Hänge, Böschungen und alles andere, was sich ihnen in den Weg stellte, in braunen Schlammwassern mitriss. Vielleicht hieß das Shûsui deshalb so, weil es eine ebenso starke Wirkung hatte, wie draußen der Herbstregen. Aber die Schwertschneide war immer ungetrübt glänzend. Die Schmiede der Schwerter hatten sich sicherlich etwas orakelhaftes bei der Namenswahl ihrer Meisterwerke gedacht. Zoro hatte sein Putzwerk vollendet und seine Katana an die Wand gelehnt. „So nass und dreckig kommst du hier nicht rein!“ beschwerte sie sich. Das Bett war zwar nicht sonderlich kuschelig, sondern leicht kratzig, aber warm und trocken. Im Gegensatz zu ihr hatte sich Zoro nicht um seine klatschnasse Kleidung gekümmert. Nun saß er dort leichtschräg auf der Bettkante und hinterließ einen Wasserklecks auf dem Laken. Das ging gar nicht! Mürrisch richtete sie sich auf, um ihn runterzuschubsen. Das machte ihm aber rein gar nichts aus, entledigte sich seiner Stiefel und schubste sanft zurück. Der kleine Engel wurde gerade wieder biestig, wenn er maulte. Gerade so fing sie die Gegenwehr ab, konnte aber nicht verhindern, dass ihr Handtuch runterrutschte und ihre Schulterblätter und Rücken entblößten. Mit einer Hand knüllte sie den oberen Handtuchsaum, um nicht gleich vollkommen frei zu sitzen, mit der anderen Hand knuffte sie den Schwertkämpfer kräftig in die Seite. Piraten waren einfach frech und dieses Exemplar schien darauf eh ein Dauerabonnement zu besitzen. Also wäre noch ein zweiter Knuffer angebracht. Soweit kam sie nicht, denn er ließ sich langsam mit ihr zurück aufs Bett sinken, während er sie küsste. Sie ließ ihn genießerisch gewähren, schlang ihre Arme um seinen Oberkörper, nur um im nächsten Moment mit ihren Fingerspitzen langsam seinen Rücken hinauf zu gleiten. Sanft griff sie in den Stoff seines Hemdkragens und zog daran bis es nachgab und das Hemd leise irgendwo neben dem Bett zu Boden fiel. Sie war verrückt nach diesem Kerl und wollte ihm nahe sein. Näher als sonst und bisher. Ebenso rhythmisch wie der prasselnde Regen verschmolzen in dieser Nacht zwei Körper und fühlten sich eins. Sie liebten sich dieses und noch ein weiteres Mal bis die Müdigkeit stärker wurde und sie in sein eigenes Reich des Schlafes holte. Es war weit nach Mitternacht, als Zoro ruckartig aufwachte. Etwas hatte sich verändert und etwas schlich die Straße draußen entlang. Schnell war er hellwach und witterte gedanklich in die Umgebung hinein. Nein, dort war nichts bis auf eine Handvoll Raben, die sich draußen krächzend von einem Baum in den Himmel erhoben. Das Trommeln auf dem Dach war verklungen. Der Regen hatte aufgegeben. Dennoch erhob er sich, schlupfte nach einer Weile suchen in seine Unterhose, nahm auf dem Weg zur Tür automatisch die Sakefalsche mit, in der noch ein winziger Rest schwappte und ging auf die Veranda. Die Wolkendecke war aufgerissen und vereinzelte Fetzen jagten noch vom Wind gepeitscht über das Firmament. Sterne funkelten dazwischen und schienen die Wolken wie ein großes Publikum bei einem Wettrennen anzufeuern. Es war ein unruhiger Himmel und es roch nach dem Meerwasser, was aufgeregt rauschte unten an den Ufern der Insel. Er ortete die anderen Crewmitglieder. Drei waren auf dem Schiff, zwei unten bei der schwarzen Hütte und der Rest wohl noch immer in der Dorfkneipe. Alles war friedlich. Zoro starrte in die Nacht und zu den Sternen. Ob das zwischen ihm und Tashigi wirklich so eine gute Idee war und besonders das, was noch vor ein paar Stunden geschah. Die Antwort lag irgendwo, aber nicht in Griffweite. Er kratze sich am Kopf und atmete einmal tief und kräftig durch. Naja, würde schon passen. Er wollte sich einen Schluck genehmigen und hielt dann aber inne. Nein, jemand wie sie hatte es nicht verdient neben einem nach Alkohol stinkenden Kerl zu pennen. Und so geschah etwas, was zuvor noch nie geschehen war. Zoro drehte die Flasche auf den Kopf und sah, wie der Sake auf den Verandaboden plätscherte. Die Flasche flog weit auf der anderen Straßenseite in die Büsche. Er stand noch etwas an Ort und Stelle blickte der Flasche hinterher, obwohl sie in der Dunkelheit nicht auszumachen war. „Eigentlich schade drum, aber was soll’s“, dachte er sich und ging zurück zu ihr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)