Against all odds von Tattoo (Miya x Gackt) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- ~1~ Fremde Gesichter, entstellte Fratzen. "...etwas sagen..." Ein langer Gang, hell erleuchtet und doch stockdunkel. "...jemand..." Eine tonnenschwere Tür. "...leid..." Kalte, glatte Fliesen. "...nicht mehr..." Ein hämisch grinsender Spiegel. "...aus." Blut. **** Sein Stuhl knarrte leicht als er sich langsam zurücklehnte und kurz die Augen schloss. Wie er so etwas hasste. Statt zu Hause an neuen Songs zu arbeiten oder seine spärliche Freizeit zu genießen, saß er mal wieder in einem dieser Nobelrestaurants und musste sich das Geschwafel und Geschleime geldgieriger Werbefritzen anhören, die seine Band für die Werbung ihrer Produkte gewinnen wollten. Dieses Mal versuchten die Typen, die in ihren teuren Armani-Anzügen und den Goldrand-Brillen alle gleich aussahen, ihn von Energydrinks zu überzeugen. Energydrinks!!! Hätte Miya von seinem Plattenlabel nicht das Verbot, Werbefirmen und mögliche Sponsoren schon vor einem ersten Treffen abzuwimmeln, dann würde er jetzt nicht hier sitzen. Doch er saß hier, und das garantiert nicht zum letzten Mal. In solchen Momenten bereute er, der Leader von MUCC zu sein. In anderen nicht... "Entschuldigen sie mich bitte einen Augenblick." unterbrach er einen der Schlipsträger und stand plötzlich auf. "Ich komme gleich wieder." Die überraschten Geschäftsleute nickten und lächelten ihn übertrieben freundlich an. Dem Gitarristen wurde schon bei ihrem Anblick übel und erleichtert verließ er den Tisch und ging, vorbei an den anderen Gästen des um diese Zeit noch mäßig besuchten Lokals, hinüber zu den Toiletten. Er musste eigentlich gar nicht, aber so hatte er wenigstens für ein paar Minuten seine Ruhe. Miya öffnete die Tür mit der Aufschrift "WC" und fand sich auf einem langen Flur mit unzähligen grellen Lampen wieder. Genervt kniff er die Augen zusammen. Hier war es für seinen Geschmack eindeutig zu hell. Dann setzte er sich wieder in Bewegung, passierte die Räume für das Personal und für die weiblichen Gäste, und blieb schließlich vor einer Tür stehen, dessen Schild ein kleines Männlein zeigte. Der Gitarrist stieß sie auf und betrat den weiß gekachelten Raum, der glücklicherweise nicht so stark beleuchtet war wie der Flur. Es roch nach einer widerlichen Mischung aus Lavendel und Chemikalien, die Miya die Nase rümpfen ließ. Noch ein Grund, solche Restaurants zu meiden... Er trat an eines der teuren Porzellanwaschbecken mit den vergoldeten Armaturen und warf einen Blick in den riesigen Spiegel, der sich über die gesamte Länge der Wand erstreckte. Der Mann, der ihm entgegenblickte, sah müde aus. 'Kein Wunder, bei dem Terminplan...' dachte er und wollte gerade den Hahn aufdrehen, um sich die Müdigkeit mit kaltem Wasser aus dem Gesicht zu wischen, da hielt er plötzlich inne und lauschte. Hatte er nicht gerade etwas gehört? Ihm war so als wäre ein ganz leises Geräusch an sein Ohr gedrungen, aber als er sich umdrehte und die Türen der Kabinen betrachtete stellte er fest, dass keine von ihnen verschlossen war. Er musste also allein sein. 'Na klasse, jetzt krieg ich schon Wahnvorstellungen! Wird wohl am Schlafmangel liegen...' Der Gitarrist drehte sich zurück zu seinem Spiegelbild und seine Hand wanderte wieder zum Wasserhahn, als er erneut etwas hörte und erstarrte. Nein, das bildete er sich mit Sicherheit nicht ein! Er hatte ganz deutlich etwas gehört das wie ein unterdrücktes Schluchzen klang. Langsam öffnete er den Hahn und drehte ihn bis zum Anschlag auf, sodass das Wasser lautstark auf das Porzellan traf und somit die Geräusche, die er zwangsläufig verursachte als er sich vorsichtig bückte, übertönte. Schließlich kniete er auf dem kalten Boden und senkte den Kopf, um unter den Türen hindurchsehen zu können. Sein Blick fiel auch sofort auf ein Paar schwarze Schuhe, eine dunkelblaue Jeanshose und zwei Hände, die im Schoß desjenigen lagen der da am Boden neben der Toilette saß. Und auf eine große Scherbe, die die eine Hand auf das Gelenk der anderen drückte. Miya hielt den Atem an, richtete sich ganz langsam wieder auf und wandte sich dem Spiegel zu. Da entdeckte er erst den Sprung an dessen unterer Ecke, etwa zwei Meter von ihm entfernt. Es sah aus als hätte jemand mit der Faust dagegen geschlagen, er konnte kleine Blutspuren erkennen, und es fehlte ein großes Stück daraus. 'Das fehlte mir noch. Erst diese Werbefuzzis und jetzt auch noch ein Selbstmörder. Heute ist echt nicht mein Tag...' seufzte der Leader innerlich, dann stellte er den Wasserstrahl ab und griff in seine Hosentasche. Zum Vorschein kam eine halbvolle Zigarettenschachtel, die er um eine weitere Kippe beraubte. Aus der anderen Tasche fischte er sein Feuerzeug, zündete die Zigarette zwischen seinen Lippen an und nahm einen langen Zug. Er war es ja schon durch seine Position in ihrer Band gewöhnt, Dinge die andere verbockten wieder gerade zu biegen, warum also nicht auch jetzt? 'Na dann mal los...' "An ihrer Stelle würde ich das nicht tun." sagte Miya ganz ruhig und gelassen und nahm einen weiteren Zug, während er auf eine Reaktion wartete. Zuerst war die Antwort darauf nur eine Minute des Schweigens, in welcher sich der Lebensmüde hinter der Tür wohl den Kopf darüber zerbrach, ob er den Fremden richtig verstanden hatte, doch dann- "Sie sind aber nicht an meiner Stelle, also lassen sie mich bitte in Ruhe." "Ganz schön egoistisch. Aber haben sie auch mal an die arme Putzfrau gedacht, die den Schlamassel hinterher wegwischen muss? Legen sie ihr wenigstens vorher ein ordentliches Trinkgeld als Entschädigung hin, wenn sie hier schon so rumschweinern müssen." "...Finden sie das witzig?" "Nein, ganz und gar nicht. Ich wüsste nicht was witzig daran wäre, wenn einer so verzweifelt mit sich selbst und seinen Sorgen beschäftigt ist, dass er keinen Gedanken an die Menschen verliert, die leiden werden wenn er sich umbringt." "Und da denken sie zuerst an die Putzfrau?" "Na einer muss ja an sie denken." "Ziemlich unkonventionelle Methode, jemanden vom Selbstmord abzuhalten, finden sie nicht? Ich dachte immer, die Polizei hätte für solche Fälle Spezialisten, aber wenn die im Film jemanden retten wollen sind deren Argumente eher die Familie und Freunde..." "Tja, ich bin eben kreativer als die Bullen." "Ach sie sind gar kein Polizist? Ich habe angenommen ein Gast hätte mich entdeckt und Hilfe gerufen." "Nee, der Gast hat das kurzentschlossen selbst in die Hand genommen. Aber wenn sie das gedacht haben müssen sie ja schon ziemlich lange hier sitzen, hab ich Recht?" "..." "Ich glaube ja, wenn sie wirklich Schluss machen wollten hätten sie's schon längst getan." Miya wusste dass er sich mit diesem Satz auf's Glatteis gewagt hatte, denn der andere könnte die Nerven verlieren und sich ohne weiter darüber nachzudenken die Pulsader aufschlitzen. Aber das Risiko musste er eingehen, sonst käme er irgendwann in eine Sackgasse. Und er glaubte wirklich nicht, dass der Fremde fest entschlossen war, sein Leben hier und jetzt zu beenden. Gespannt wartete er darauf, was passieren würde. "Haben sie nichts besseres zu tun als sich in die Probleme anderer einzumischen?" "Also ehrlich gesagt unterhalte ich mich lieber hier drinnen mit ihnen durch die Klotür als da draußen mit den dämlichen Werbetypen bei einem 5-Gänge-Menü, die gehen mir nämlich ziemlich auf den Keks." "Kenn ich..." "Wie meinen sie das? Sind sie etwa auch einer von der Sorte?" "Nein, ich bin einer von der Sorte über die sie ständig herfallen." Jetzt war Miya's Neugier vollends geweckt. Wer war dieser doch recht vernünftig sprechende Suizidgefährdete? Er musste ja irgendwie bekannt sein, sonst wäre er für Werbefirmen uninteressant. Vorsichtig streckte er den Arm aus und legte seine Finger um den Türgriff, zog aber nicht daran. Er durfte den anderen nicht mit unangekündigten Handlungen überraschen. "Wir sind also quasi Leidensgenossen. Darf ich ihnen dann wenigstens eine Zigarette anbieten?" "...Ich glaube ich könnte jetzt wirklich eine vertragen..." "Dafür muss ich aber die Tür öffnen, also nicht erschrecken." "Wieso, sind sie so hässlich?" "Kann ich eigentlich nicht behaupten, aber das ist wohl Ansichtssache." konterte der Gitarrist, amüsiert über den so überhaupt nicht zur Situation passenden Humor des Fremden, und machte die Kabinentür auf. "..." "..." Er konnte es nicht fassen, und der Typ am Boden starrte Miya ebenso verdattert an wie dieser ihn. Sie hatten sich also beide gegenseitig erkannt. Was für den Leader ja auch nicht weiter schwierig war, immerhin gab es in ganz Japan bestimmt niemanden der Gackt nicht kannte. Auch wenn Miya wohl einer der ganz wenigen, wenn nicht sogar der einzige war, der den berühmten Sänger jemals in einem solchen Zustand sah, mit tränennassem Gesicht, geröteten Augen und einer blutenden Hand. Ganz zu schweigen davon dass er auf den kalten Fliesen neben der Toilette eines Nobelrestaurants kauerte. "Okay, ich gebe zu, das hätte ich jetzt nicht erwartet..." murmelte Miya schließlich, nachdem er den ersten Schock einigermaßen überwunden hatte. Gackt blinzelte ihn einfach nur weiter perplex an. Er war offensichtlich ebenso fassungslos darüber, ausgerechnet vom Gitarristen und Leader von MUCC gefunden worden zu sein anstatt von einem x-beliebigen Lokalbesucher, und dementsprechend war er auch zur Salzsäule erstarrt. Das änderte sich erst als Miya in die Hocke ging und ihm eine Zigarette an die Lippen hielt. Nach kurzem Zögern schloss Gackt seinen Mund um das Ende des Glimmstängels und sah seinem Gegenüber dabei zu, wie dieser die Zigarette mit seinem Feuerzeug anzündete. Dann ging der Gitarrist wieder etwas auf Abstand, lehnte sich mit der Schulter gegen den Türrahmen und steckte sich auch noch eine an. Schweigend beobachteten sich die beiden Musiker während sie ihre Zigaretten rauchten, was Miya etwas leichter fiel als Gackt, der ja seine Hand nicht zur Hilfe nahm. "Ich glaube es geht besser, wenn du die Scherbe wenigstens mal für zwei Minuten loslässt..." Da hob Gackt erstaunt eine Augenbraue, zum einen weil der andere ihn einfach so geduzt hatte, und zum anderen weil diese Art der Ablenkung doch recht plump war im Vergleich zu Miya's früheren Manövern. Dieser zuckte gleichgültig mit den Schultern. "War ja nur so eine Idee... Aber mal ehrlich, du willst dich doch nicht wirklich umbringen, oder? Über mangelnden Erfolg kannst du schließlich nicht klagen, immerhin liegt dir praktisch ganz Japan zu Füßen." Daraufhin spuckte der Sänger die fast vollständig abgebrannte Kippe in die Ecke der Kabine und funkelte Miya wütend an. Seine Hand verkrampfte sich um die spitze Scherbe, ein deutliches Zeichen dafür dass sich der Gitarrist das falsche Argument ausgesucht hatte. "Du solltest doch eigentlich wissen-" auch er duzte Miya ohne zu überlegen, "dass das Musikbusiness auch seine Schattenseiten hat und dass Geld allein nicht glücklich macht. Also komm mir nicht mit meinen Fans und dem Erfolg, darauf pfeif ich! Ich würde ohne zu zögern alles davon gegen das eintauschen, was ich heute verloren habe! Aber das ist unmöglich, und deshalb wäre ich dir wirklich überaus dankbar wenn du mich jetzt endlich mit meinem Elend allein lassen würdest!" Miya sah unbeeindruckt zu dem Sänger hinüber und drückte dabei in aller Ruhe seine eigene Zigarette auf dem Boden aus. "Damit du dir das Licht ausknipsen kannst?" "...Kann dir doch egal sein..." entgegnete Gackt und senkte den Kopf, und plötzlich waren seine Augen so voller Trauer, dass dieser extreme Stimmungsumschwung von Aggression zu Verzweiflung Miya für eine Sekunde den Atem nahm. Dann zwang er sich aber wieder zu seiner zumindest äußerlichen Selbstsicherheit. "Hast Recht, ist es im Grunde auch. Ich kenne dich schließlich nicht, und was du mit deinem Leben machst ist deine Entscheidung. Ich könnte mir zwar gut vorstellen dass einige fanatische Mädchen sich bei der Nachricht von deinem unrühmlichen Abgang ebenfalls das Leben nehmen werden, aber für die trägst du ja nicht die Verantwortung, also kann dir das ega-" "Sei still! Du kannst dir noch so viel Mühe geben und mir hier etwas vorspielen, aber im Grunde machst du dir doch gerade vor Angst fast in die Hose! Deine Vorstellung nehm ich dir nicht ab, und diese Amateurversuche, mich zu manipulieren funktionieren bei mir auch nicht! Warum denkt eigentlich jeder dass ich ein kompletter Vollidiot bin, mit dem man machen kann was man will? Ich bin für euch doch nur ein Spielzeug, das man wegwerfen kann wenn man keine Lust mehr darauf hat und etwas neues, interessanteres findet! Ständig muss ich mich beweisen, muss noch bessere Lieder schreiben und den Fans noch größere Shows liefern, aber ein kleiner Fehltritt und es ist aus! Ich-" "Hast du's jetzt langsam? Wenn du dem Druck und den Erwartungen nicht gewachsen bist, dann steig doch einfach aus, aber nur aus dem Job, nicht gleich aus dem Leben! Du führst dich auf wie ein verzogenes Kleinkind und machst ein riesen Drama, bist wahrscheinlich genau so eine Diva wie man immer von dir behauptet!" "Na bitte, dann bin ich’s eben, was macht das schon? Und weißt du wie die meisten Diven gestorben sind?" 'Oh Scheiße, ich bin doch total bescheuert...' verfluchte sich der Gitarrist noch in Gedanken, dann musste er mitansehen wie Gackt mit weit aufgerissenen, tränenverschleierten Augen nach unten auf sein Handgelenk starrte und die Spiegelscherbe blitzschnell ansetzte und darüber zog. Sofort stürzte Miya nach vorn und versuchte sie dem anderen zu entreißen bevor dieser eine Arterie ernsthaft verletzte, und es entstand ein heftiges Gerangel zwischen den beiden, bei dem der Sänger Miya unabsichtlich mit der Spitze am Arm verletzte bevor dieser ihn endlich so heftig ins Gesicht schlug, dass er ohnmächtig zusammensackte. Hastig griff der Gitarrist nach Gackt's Hand um zu sehen wie stark er sich geschnitten hatte, und stellte erleichtert fest dass er zwar blutete, aber wohl doch keine Arterie erwischt hatte. Er zog dem Bewusstlosen den Gürtel von der Jeans und benutzte ihn, um den Arm abzubinden und so die Blutung etwas zu stoppen, dann wickelte er noch zusätzlich eine halbe Rolle Klopapier um das verletzte Handgelenk und stand auf. Seine grauen Zellen arbeiteten auf Hochtouren. 'Und was mach ich jetzt am besten? Wenn ich einen Krankenwagen rufe dauert das erstens länger als wenn ich ihn selbst ins Krankenhaus bringe, und zweitens ist sein Gesicht dann morgen in allen Zeitungen. Dann versucht er sich bestimmt sofort wieder umzubringen...' Er kratzte sich nachdenklich am Kopf und bemerkte da erst, dass etwas warmes an seinem Arm hinablief. Als er ihn drehte entdeckte er eine ziemlich lange aber nur oberflächliche Schnittwunde, aus der nur hier und da ein kleiner Bluttropfen sickerte. Gackt hatte ihn mit der Scherbe glücklicherweise nur gestreift. 'Tja, Pech für ihn, wenn er mich schlimmer erwischt hätte und ich durch seine Schuld nicht mehr Gitarre spielen könnte, dann würde ich ihm die Arbeit höchstpersönlich abnehmen...' Mit diesen Gedanken im Kopf wischte er sich das Blut mit einem Rest des übrig gebliebenen Klopapiers ab, dann schloss er die Tür der Kabine, in der der Sänger noch immer bewusstlos in der Ecke lehnte, und verließ schnellen Schrittes die Toilette. Auf seinem Weg zurück betete er, dass in den nächsten fünf Minuten niemand in dem Lokal das dringende Bedürfnis verspürte, die hiesigen Örtlichkeiten aufzusuchen (oder wenigstens nicht die falsche Kabine zu öffnen), denn es kam ihm schon recht seltsam vor dass in der ganzen Zeit, die er dort verbracht hatte, kein einziges Mal ein Gast hereingeplatzt war. 'Der Typ hat echt mehr Glück als Verstand...' dachte er noch, dann war er auch schon an dem Tisch angelangt, an dem noch immer seine unliebsamen Gesprächspartner saßen und sich vollstopften. Er fertigte sie mit der Ausrede, dass es ihm nicht gut gehe und er jetzt nach Hause fahren würde, und der Bitte, wegen eines neuen Termins doch mit dem Manager zu sprechen, ab und eilte sofort zurück. Miya war sich ihrer entrüsteten und genervten Blicke in seinem Rücken wohl bewusst, aber das interessierte ihn herzlich wenig. Er hatte jetzt wichtigeres zu tun als über Energydrinks zu plaudern. Nachdem der Leader die Hintertür des Restaurants gefunden hatte und sich davon überzeugt hatte, dass sie nicht verschlossen war, kehrte er an den Schauplatz des dramatischen und blutigen Gemetzels zurück und fand Gackt genau so, wie er ihn wenige Minuten zuvor verlassen hatte. Offenbar hatte wirklich niemand etwas von dem Drama bemerkt. Er hoffte nur, dass ihr Glück noch etwas anhielt, denn noch hatte er es nicht ganz geschafft. Mit etwas Mühe hievte sich Miya den deutlich größeren Sänger auf den Rücken und trug ihn erst einmal huckepack bis zur Tür. Vorsichtig spähte er hinaus und die Gänge auf und ab, überzeugte sich davon, dass niemand in unmittelbarer Nähe war, dann schlich er mit seiner 60-Kilogramm-Bürde zur Hintertür und trat hinaus auf den angrenzenden Parkplatz, wo unter anderem auch sein Wagen stand. Es war trotz der frühen Stunde schon relativ dunkel, immerhin ging der Winter gerade erst zu Ende und die Tage waren noch kurz. Auch dafür war Miya im Moment mehr als dankbar, denn am hellichten Tage wäre es doch recht auffällig gewesen wenn ein sehr düster dreinblickender Yakuza-Verschnitt einen offensichtlich bewusstlosen Mann auf die Rückbank seines Wagens verfrachtet hätte. Er setzte sich ans Steuer und brauste los in Richtung Krankenhaus. **** Der MUCC-Leader betrat die Notaufnahme des Hospitals und hielt sofort die erstbeste Krankenschwester auf, die an ihm vorbei lief. "Könnten sie mir bitte mal zu meinem Wagen folgen? Ich habe darin einen Verletzten." Sie war schon etwas älter, vielleicht so um die 50, und erkannte ihn deshalb nicht. Fragend sah sie ihn an. "Und warum bringen sie ihn nicht gleich rein? Oder braucht er eine Trage?" Miya neigte den Kopf etwas zu ihr und setzte einen verschwörerischen Blick auf. "Sagen wir mal so... Er ist kein typischer Patient und erfordert besondere Diskretion. Gibt es eine Möglichkeit, ihn unbemerkt durch einen Hintereingang reinzubringen?" Damit hatte er die Neugier der Dame geweckt und sie folgte ihm bereitwillig zu seinem Wagen und warf einen Blick auf den Rücksitz. Und wie Miya vermutet hatte erkannte sie Gackt auch sofort. "Ach du meine Güte, das ist ja-" "Ja genau das ist er, und sie tragen die Verantwortung wenn ich morgen in der Zeitung lese dass er ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Haben wir uns verstanden?!" warnte er sie in einem überraschend strengen Ton und sah sie todernst an. Er war schon so weit gekommen, da wollte er sich seine Anstrengungen nicht von irgend einer plappermäuligen alten Frau ruinieren lassen. Diese schien auch wirklich von seinen Worten eingeschüchtert zu sein, denn sie erklärte ihm eilig wie er zur hinteren Einfahrt gelangte und versprach, dort mit einem Arzt auf Miya und seine wertvolle Fracht zu warten. Er nickte, stieg wieder ein und fuhr zur Rückseite des Gebäudes. Dort wurde Gackt auf eine Fahrtrage gelegt, und nachdem der Leader allen Anwesenden noch einmal eingeschärft hatte, gegenüber niemandem ein Wort über die Anwesenheit des Solokünstlers zu verlieren, eilten die Schwester und ein junger Arzt mit diesem fort um ihn zu versorgen, während ein älterer Arzt bei Miya blieb und ihm Fragen stellte. "Erzählen sie mir bitte wie das passiert ist und in welcher Beziehung sie zu dem Patienten stehen." begann er routinemäßig und der Gitarrist erklärte ihm wahrheitsgetreu dass er ein guter Freund des 'Patienten' sei und dieser sich beim Kochen verletzt hatte. Man sah dem Arzt an dass er ihm die Story nicht abnahm, wahrscheinlich hörte er diese Ausrede bei gescheiterten Selbstmordversuchen andauernd, aber Miya's eindringlicher Blick hielt ihn davon ab zu fragen, warum denn auch die Hand des Patienten blutig war. Er notierte noch den Namen und die Telefonnummer des Gitarristen, dann machte er sich auf den Weg zu seinen anderen Schäfchen. Miya blieb zurück und ließ sich schließlich erschöpft auf einen der Wartestühle sinken. So hatte er sich den Tag ganz sicher nicht vorgestellt, als er an diesem Morgen aufgestanden war... **** Na da bin ich ja mal gespannt was ihr von diesem zukünftigen Pairing haltet... *zitter* Kapitel 2: ----------- ~2~ Wenn gestresste Leader schlafen sollte man sie lieber nicht wecken. Dies ignorierte irgend jemand aber gekonnt, als er Miya gegen zwei Uhr morgens aus dem Bett klingelte. Gift und Galle spuckend strampelte der übermüdete Gitarrist die Bettdecke zurück und schlurfte, noch einige unschöne Worte von sich gebend, zum Telefon und gähnte erst einmal herzhaft hinein, um den Anrufer dezent auf die Uhrzeit hinzuweisen. Es war bestimmt Tatsurou, dem ein neuer Songtext eingefallen war und der nichts besseres zu tun hatte, als seinem Freund in aller Hergottsfrühe davon zu berichten. Wäre jedenfalls nicht das erste Mal... "Wehe es ist nicht wichtig." brummte er missmutig in den Hörer und wartete auf die quäkige Stimme des Sängers. "Ähm... Yaguchi-San, sind sie das?" "Wer spricht da?" "Takano, der Arzt der Gackt Camui betreut." antwortete der Mann am anderen Ende der Leitung und Miya kniff die Augen zusammen und massierte mit einer Hand seine Schläfe. Er würde wegen diesem labilen Solokünstler garantiert noch eine derbe Migräne kriegen. Das hatte er jetzt von seiner Hilfsbereitschaft... "Was gibt es denn so dringendes?" "Ich muss sie leider darüber informieren dass der Patient gerade einen Nervenzusammenbruch hatte. Ich denke es wäre das beste, wenn sie vorbeikämen." "Ich komme ihn später mal besuchen, jetzt will ich gefälligst schlafen." grummelte der Gitarrist genervt und wollte sich schon verabschieden, da erklang erneut die Stimme des Arztes, diesmal strenger. "In dem Fall sehe ich mich gezwungen, einen Psychologen zu rufen. Der Patient stellt eine Gefahr für seine eigene Gesundheit dar, weshalb wir ihn ans Bett schnallen mussten, und er sollte jetzt wirklich nicht alleine sein. Und sie sind nun mal der einzige Ansprechpartner den wir haben." Bei diesen Worten wurde Miya etwas munterer. "Was meinen sie damit dass er eine Gefahr für seine Gesundheit darstellt? Was hat er denn gemacht?" "Er ist aufgewacht und hat, als er feststellte wo er sich befindet, versucht den Verband von seinem Handgelenk abzureißen. Als ihn die Schwester daran hindern wollte tobte er und warf ein Wasserglas zu Boden. Es sah ganz so aus als wolle er sich mit den Scherben verletzen, aber die Schwester und ich konnten ihn gerade noch daran hindern. Als wir ihn festhielten fing er plötzlich an zu weinen, jetzt ist er ganz ruhig, beinahe apathisch. Diese starken emotionalen Schwankungen sind typisch für einen Nervenzusammenbruch, und sie können sich sicher denken dass man so etwas nicht auf die leichte Schulter nehmen darf. Deshalb ist es dringend notwendig dass jetzt jemand für ihn da ist. Und sie als ein guter Freund-" "Ist ja schon gut, ich mach mich gleich auf den Weg." unterbrach Miya den Arzt, dann legte er auf und trottete hinüber zu seinem Kleiderschrank. Und während sich der Gitarrist anzog grübelte er darüber nach wie er jemandem helfen sollte, den er doch eigentlich gar nicht kannte. **** Eine halbe Stunde später stand Miya vor der Tür zu Gackt's Einzelzimmer, welches sich ganz am Ende des Ganges befand. Er zögerte kurz, dann drückte er die Klinke herunter und betrat den kalkweiß gestrichenen Raum. Es sah darin nicht gerade einladend aus – typisch für ein Krankenhaus – und die mit Genesungswünschen behafteten bunten Blumensträuße, die der tristen klinischen Atmosphäre normalerweise mit ihrer Farbenvielfalt wenigstens ein bisschen Abhilfe schafften, fehlten auch. Kein Wunder, außer Miya wusste ja niemand, dass Gackt hier war. Dieser lag in seinem Bett und starrte die Zimmerdecke an, schien von Miya's Anwesenheit gar keine Notiz zu nehmen. Der Gitarrist ging wortlos hinüber zum Fenster und setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett, betrachtete dann erst einmal eingehend die Fesseln, die Gackt's Handgelenke am Rahmen des Bettes fixierten. Er vermutete dass es den Fußgelenken genauso ergangen war, konnte diese allerdings nicht sehen da Gackt ab der Hüfte abwärts zugedeckt war. Und die Decke extra anheben um nachzusehen wollte er dann doch nicht. Also widmete er seine Aufmerksamkeit stattdessen Gackt's Gesicht. Der Sänger zeigte noch immer keine Reaktion, er blinzelte nicht einmal. Langsam aber sicher wurde es Miya neben diesem seelenlosen Körper unheimlich, außerdem wurde er nicht gerne ignoriert. Und so tat er das für ihn Naheliegendste: Er verpasste dem eisernen Bettgestell einen leichten Tritt. "Hey, begrüß mich wenigstens wenn ich schon um diese gottlose Zeit vorbeikommen muss, um auf dich aufzupassen." knurrte Miya und verschränkte seine Arme vor der Brust. Es vergingen auch nur wenige Sekunden, dann wanderten Gackt's Augen langsam hinüber zu dem beleidigten Leader. Diesem fiel auf wie trüb und gerötet sie waren, und wie Gackt's leichenblasse Haut den Wänden Konkurrenz machte. Er tat ihm fast schon leid. Aber darüber konnte er sich jetzt keine Gedanken machen, denn der andere öffnete endlich den Mund. "Du hast mich doch auch nicht gegrüßt als du reingekommen bist." erwiderte er mit leiser, rauher Stimme und Miya hob eine Hand zu seinem Gesicht und rieb sich die müden Augen. "Du Spaßvogel, ich war mir ja nicht mal sicher ob du noch irgendwas mitkriegst oder überhaupt noch lebst. Liegst hier rum wie eine Schaufensterpuppe und starrst Löcher in die Luft..." Er ließ die Hand gerade wieder sinken, da bemerkte er wie Gackt's Augen den Bewegungen seines Armes folgten und hob ihn wieder etwas an. Der Ärmel seines Pullovers war runtergerutscht und entblößte die lange Schnittwunde, die der Sänger ihm zugefügt hatte. "War ich das?" fragte dieser leise und sah ihn verlegen an. Miya nickte nur und Gackt senkte den Kopf. "Tut mir leid..." "Ach was, das ist nur ein kleiner Kratzer, halb so wild. Mach dir deshalb keine Vorwürfe." beeilte sich der Gitarrist ihn zu beruhigen, und Gackt blickte überrascht auf. Das war das erste Mal seit sie sich begegnet waren, dass Miya ehrlich besorgt und mitfühlend geklungen hatte. Machte er sich etwa tatsächlich Sorgen? Konnte es ihm denn nicht eigentlich vollkommen egal sein, wie der andere sich fühlte? Gackt wusste es nicht, er wusste nur dass er sich jetzt etwas besser fühlte und wollte sich schon bei Miya bedanken, da deutete dieser schmunzelnd auf sein Gesicht. "Und ich hab dich schließlich auch ganz schön erwischt, das Veilchen kann sich wirklich sehen lassen. Also sind wir quitt." Bei diesen Worten wollte Gackt ebenfalls eine Hand heben und sein Gesicht abtasten, aber die Fessel hinderte ihn daran. Augenblicklich verschwand das kleine Grinsen von Miya's Lippen und er sah den bewegungsunfähigen Solokünstler ernst an. "Tja, das hast du nun von deinen dummen Selbstmord-Aktionen. Man hält dich für geisteskrank und bindet dich ans Bett. Und mich ruft man mitten in der Nacht an, damit ich dich bemuttere. Aber so läuft das nicht, ich hab anderes zu tun." Kopfschüttelnd zog er dabei einen Zettel und einen Stift aus seiner Hosentasche. "Also sag mir jetzt bitte, wen von deiner Familie oder von deinen Freunden ich anrufen soll, damit die sich um dich kümmern können." Gackt schloss die Augen und atmete tief durch. 'Pah, von wegen besorgt und mitfühlend.' "Die Mühe kannst du dir sparen, ich brauche niemanden der mir das Händchen hält. Außerdem gibt es sowieso keinen, den du anrufen könntest..." Traurig schaute er an Miya vorbei aus dem Fenster. Der nächtliche Himmel war pechschwarz, passte perfekt zu seiner Stimmung. Er war im Moment so sentimental dass er hätte heulen können, aber ein kleines Fünkchen Stolz hatte seinen Selbstmordversuch überlebt und hielt ihn nun davon ab, vor dem anderen schon wieder Schwäche zu zeigen. Dieser sah ihn erstaunt an. "Na aber du wirst doch wohl Eltern oder Geschwister haben, die sich Sorgen um dich machen werden." Resigniert zuckte Gackt mit den Schultern. "Ich will nicht dass sie es erfahren. Und das werden sie auch nicht. Wir haben selten Kontakt, es wird sie nicht überraschen wenn ich mich eine Weile nicht bei ihnen melde." Miya nickte, er konnte verstehen dass der Sänger seine Familie nicht belasten wollte. "Und was ist mit deinen Freunden?" hakte er nach und musste mitansehen, wie Gackt schwer schluckte und gegen die Tränen ankämpfte. "Von denen wird keiner kommen..." Diese Reaktion ließ Miya vermuten dass Gackt's Suizidversuch etwas mit seinen Freunden zu tun hatte, aber er fragte nicht nach. Das ging ihn schließlich nichts an. Nachdenklich betrachtete er den anderen Mann, der seinen Blick mittlerweile erneut der Zimmerdecke zugewandt hatte. Es wäre wohl besser, ihn nicht mehr auf das Thema Freunde anzusprechen, aber dann gäbe es niemanden der Gackt besuchen käme... außer ihm... "Kann ich dich noch um drei Gefallen bitten?" durchbrach Gackt's leise Stimme die Stille und riss Miya aus seinen Gedanken. Der Gitarrist blinzelte ihn überrascht an. "Gleich drei auf einmal? Seh ich aus wie eine gute Fee?" Gackt erwiderte nichts darauf, er blickte nur noch trauriger ins Leere und Miya verdrehte die Augen. "War doch nur ein Witz. Also was möchtest du?" Der Sänger schluckte, dann wandte er sich wieder seinem Besucher zu. "Könntest du bitte meinen Manager anrufen und ihm sagen wo ich bin?" Da winkte Miya grinsend ab. "Ist schon erledigt, das hab ich gestern abend noch schnell gemacht. War nicht besonders schwer herauszufinden, wer das ist. Er hat mir auch versichert dass er alles unternehmen wird, damit niemand etwas von dem Vorfall und deinem Aufenthalt hier erfährt." Gackt starrte ihn mit großen Augen an, erstaunt darüber dass sich der andere noch über seine Rettungsaktion hinaus Gedanken um ihn gemacht und mitgedacht hatte. Ein winzig kleines Lächeln stahl sich auf seine Lippen. "Danke..." "Kein Problem. Und was soll ich noch tun?" fragte Miya scheinbar gleichgültig, aber er war froh über die Reaktion des Solokünstlers. Dieser schwieg einen Moment, dann- "Ich möchte dich noch bitten meine Nachbarin anzurufen. Sie kümmert sich immer um meine Haustiere, wenn ich auf Tour oder sonstwo bin. Aber sag ihr nicht was passiert ist, okay?" Miya nickte langsam, dann trat er erneut leicht gegen dass Bett und sah Gackt kalt an, der seinen Blick überrascht erwiderte. "Du bist ja noch egoistischer als ich dachte. Dir ist schon klar dass deine Tiere im Heim gelandet wären wenn du dich wirklich umgebracht hättest, ne?!" Bei diesen Worten runzelte der Angesprochene die Stirn und sah Miya nun ebenso ernst an wie dieser ihn. "Du wirst entschuldigen wenn ich in einem Moment der tiefsten Verzweiflung nicht als allererstes an meinen Hund und meine Katze gedacht habe." Der Gitarrist zuckte mit den Schultern. "Ich muss gar nichts entschuldigen, denn es geht mich überhaupt nichts an. Ich wollte dir damit nur klarmachen dass, egal was du tust, dein Handeln auch Konsequenzen für andere hat. Daran solltest du denken bevor du das nächste Mal zu einem spitzen Gegenstand greifst. Und was ist der dritte Gefallen?" Nachdenklich sah Gackt seinen Gegenüber an, versuchte aus dessen merkwürdigem Verhalten schlau zu werden. In einem Moment wollte er Gackt noch so schnell wie möglich loswerden, im nächsten hielt er ihm einen Vortrag über sein verantwortungsloses Handeln. Mal schien er besorgt, dann wieder gleichgültig. Als könne er sich selbst nicht entscheiden, wie er mit der Situation umgehen sollte. Der Sänger wurde in seinen Überlegungen von Miya unterbrochen, der ihn ungeduldig ansah. "Hey, wenn du nicht innerhalb der nächsten fünf Sekunden mit der Sprache rausrückst hast du Pech, dann verfällt mein Angebot. Also?" Gackt blinzelte erst verdutzt, dann sah er auf den Nachttisch neben dem Bett. Darauf stand ein Glas und eine Kanne mit Wasser. "Kannst du mir was zu trinken geben? Denn wenn die hier vorhaben, mich verdursten zu lassen, hätten sie sich das mit dem Verband echt sparen können." Obwohl es Miya noch immer etwas irritierte, dass Gackt trotz seines Gemütszustandes noch den ein oder anderen ironischen Spruch auf Lager hatte, musste er unwillkürlich schmunzeln. Irgendwie mochte er den Galgenhumor des Solokünstlers. Und so griff er zu der Kanne und goss das Glas fast voll, führte es dann langsam an Gackt's trockene Lippen. Dieser trank es in wenigen Zügen aus und bat dann um mehr. Miya kam der Bitte nach, dann war der Durst des anderen vorerst gestillt. Nachdem er sich bedankt und Miya noch Namen und Telefonnummer der Nachbarin gegeben hatte, verabschiedete sich der Gitarrist und ging zur Tür. Doch gerade als er zur Klinke griff hörte er Gackt kurz stöhnen, dann fluchen. Überrascht drehte er sich um und sah ihn an. Es war dem Sänger deutlich anzusehen dass er sich in diesem Moment am liebsten die Haare gerauft hätte (oder Schlimmeres...), und besorgt fragte Miya was denn jetzt wieder los sei. Da drehte ihm Gackt das Gesicht zu und seufzte. "Mir ist gerade eingefallen dass meine Nachbarin zur Kur ist. Du brauchst also gar nicht erst bei ihr anrufen, da geht keiner ran." Verzweifelt sah er abermals empor zur Zimmerdecke, als würde er dort die Lösung für all seine Probleme finden. "Verdammt, wen könnte ich noch fragen? Mein anderer Nachbar hasst Tiere, das geht schon mal nicht. Ich könnte... nein... also... vielleicht... ach Scheiße..." Miya trat zurück an das Bett und legte ihm eine Hand auf die Schulter, woraufhin Gackt augenblicklich verstummte. Ihm war sehr wohl bewusst wie erbärmlich es auf Miya wirken musste dass dem Sänger außer der alten Dame von nebenan niemand einfiel, der ihm diesen simplen Gefallen tun würde. Beschämt schloss er seine brennenden Augen und wünschte sich an das Ende der Welt. Miya beobachtete den anderen mitleidig und drückte dessen Schulter etwas fester. "Jetzt mach dir mal nicht so 'nen Kopf deswegen. Du hast immer noch einen Gefallen offen, also frag mich doch einfach ob ich deine Haustiere vorerst füttere." Sofort riss Gackt die Augen auf und starrte ihn fassungslos an. "Das kann ich doch nicht von dir verlangen!" "Ich hab ja auch nicht gesagt dass du es verlangen sollst. Die Frage reicht schon." "Aber-" "Kein 'Aber'." "...Würdest du-" "Okay." Und damit war das geklärt. Miya fischte Gackt's Wohnungsschlüssel aus dessen Jacke, die zusammen mit seinen anderen Klamotten in einem Schrank neben der Tür lag, erfuhr von dem verwirrten Sänger dann noch die Adresse und verließ nach einer weiteren Verabschiedung das Zimmer und schließlich das Krankenhaus. Ein kurzer Blick auf seine Uhr verriet ihm, dass sein Handywecker normalerweise in drei Stunden klingeln würde, und er wischte sich erneut mit einer Hand über sein Gesicht. Miya wusste dass es sich nicht lohnen würde, jetzt noch zurück nach Hause zu fahren nur um in zwei Stunden wieder aufzubrechen, um Gackt's Tiere zu versorgen. Und schon wieder war ihm seine Hilfsbereitschaft (und in diesem Fall auch seine Tierliebe) zum Verhängnis geworden. Geschlagen ließ er die Schultern hängen und trottete zu seinem Wagen. Wer braucht schon Schlaf... **** Schon als er den Schlüssel ins Türschloss steckte konnte Miya auf der anderen Seite Geräusche hören, die er eindeutig als Winseln identifizierte. Es kam ihm schon fast so vor als käme er zu sich nach Hause, Gizmo begrüßte ihn auch immer auf diese Weise. Unbewusst lächelte der Leader bei dem Gedanken an seinen Hund, dann fragte er sich noch schnell was für eine Rasse er wohl gleich zu Gesicht bekommen würde. Hoffentlich nicht so einen Riesenköter, der am Ende noch größer war als Miya selbst. Aber das Winseln klang eher nach einem kleinen Hund, und als er endlich die Tür öffnete sah er sich in seiner Vermutung bestätigt. Ein winziges rotbraunes Etwas kam auf ihn zugehechelt, blieb aber bei seinem Anblick wie angewurzelt stehen und beäugte den Eindringling misstrauisch. Genau wie der Gitarrist, der noch nie so einen merkwürdigen Hund gesehen hatte. Das Tier hatte eine erschreckende Ähnlichkeit mit einer dünnen behaarten Wurst auf Stummelbeinen. Er nahm sich fest vor Gackt, wenn er ihn das nächste Mal sah, zu fragen was das für eine Rasse darstellen sollte. Jetzt galt es erst einmal, dem Ding was zu futtern hinzustellen. Und irgendwo sollte ja auch noch eine Katze rumliegen... Miya zog erst einmal seine Schuhe aus (nachdem ihm sein Gespür versichert hatte dass der Hund ihm nicht feindlich gesonnen war und wohl nicht in die Zehen beißen würde), dann ging er durch die Wohnung. Die kleine Wurst folgte ihm auf Schritt und Tritt, und als er ihr zu bunt wurde, ignoriert zu werden, schnappte sie nach seinem Hosenbein und zog daran. Der Gitarrist blickte nach unten auf das vernachlässigte Tier, ging schließlich in die Hocke und hielt ihm seine Hand vor die Nase. Diese wurde erst vorsichtig beschnuppert und dann erbarmungslos abgeschlabbert. Der Hund schien Miya zu mögen. Also mochte Miya ihn auch. Nachdem er das schwanzwedelnde Tierchen eine Weile gestreichelt hatte nahm er aus dem Augenwinkel heraus eine Bewegung wahr und drehte seinen Kopf in die Richtung. Und zum Vorschein kam ein grau-weißes Wollknäul, welches mit langsamen und majestätischen Schritten auf ihn zu stolzierte. Zum Zeichen dass auch sie ihm freundlich gesonnen war (und es ihr ohnehin egal war, von wem sie ihr Futter bekam) stieß die Katze ihren Kopf gegen sein Bein und strich dann mit ihrem gesamten Körper daran entlang, dabei schnurrte sie lautstark. Miya streichelte ihr über den Rücken, dann stand er wieder auf und machte sich auf die Suche nach der Küche. Nun hatte er gleich zwei treue Weggefährten, die ihm nicht von der Seite wichen. Das Futter für die beiden war schnell gemacht, und während sich Hund und Katze vollstopften ging Miya zurück ins Wohnzimmer und ließ sich auf die große Couch fallen. Als er seinen Blick durch das Zimmer schweifen ließ wurde ihm zum ersten Mal bewusst, dass er sich Gackt's Wohnung total anders vorgestellt hatte. Er hatte ein großes Apartment mit unzähligen sündhaft teuren Möbeln erwartet, doch die Einrichtung war relativ schlicht gehalten und ließ nicht vermuten, wer hier in dieser kleinen Wohnung lebte. Noch während er darüber sinnierte dass er von dem anderen wohl ein völlig falsches Bild gehabt hatte, fielen dem totmüden Leader die Augen zu und er schlief auf Gackt's Couch ein. Dass sich die beiden Tiere kurz darauf zu ihm gesellten und an ihn gekuschelt ebenfalls einschliefen, merkte er schon gar nicht mehr. **** Falls euch interessiert wie die Tierchen in der Realität aussehen... ich hab ein Bild von ihnen in die Charakterbeschreibung gepackt!^^ Kapitel 3: ----------- ~3~ "Atmet er?" "Natürlich tut er das, Satochi!" "Er scheint aber wirklich ganz schön fertig zu sein." "Stimmt, ich frag mich was ihn so geschlaucht hat…" "Vielleicht hat er eine neue Freundin und die hat ihn die ganze Nacht wach gehalten!" Das vertraute Geräusch von Yukke's Faust auf Tatsurou's Schädel riss den Leader aus seinem Halbschlaf, und als er die Augen öffnete starrte er direkt in die seiner Kollegen, die ihn neugierig ansahen. Naja, der Sänger war im Moment eher damit beschäftigt, sich den Kopf an der Stelle zu reiben wo Yukke ihn erwischt hatte, als Miya allzu intensiv zu betrachten. Dieser blinzelte die drei müde an. "Kann ich euch irgendwie helfen?" Da rollte Satochi mit den Augen. "Das nicht direkt, aber du könntest uns erklären warum du mitten bei Tatsurou's Aufnahmen einfach so einschläfst." Der Gitarrist sah sich um und stellte fest dass er tatsächlich auf seinem bequemen Drehstuhl vor dem Mischpult eingenickt war. Gackt insgeheim zum x-ten Mal verfluchend richtete er sich etwas auf und grummelte, dass das doch jedem mal passieren könnte, aber Yukke schüttelte entschieden den Kopf. "Miya, dass du im Studio einpennst ist seit unserer Bandgründung in etwa so oft passiert wie ich Finger an einer Hand habe, und in diesen seltenen Fällen warst du meist krank. Da kannst du es uns ja wohl nicht verübeln dass wir uns Sorgen um dich machen." Tatsurou nickte zustimmend. "Eben, also sag uns endlich was los ist. Und wenn du behauptest, ich hätte dich mit 'Kuukyo na Heya' in den Schlaf gesungen, dann kannst du was erleben, Freundchen." Die anderen beiden grinsten bei diesen Worten, denn jedem der Anwesenden war klar dass der Sänger es nie wagen würde, ihren Leader ähnlich grob zu behandeln wie den ständig mit grünen und blauen Flecken verzierten Yukke. Miya sah Tatsurou nur unbeeindruckt an. "Ich zittere. Aber keine Sorge, es lag nicht an dir. Ich hatte in den letzten Tagen einfach viel zu tun und wenig Schlaf, das ist alles." "Dann gönn dir doch mal eine Pause!" mischte sich der fürsorgliche Bassist ein. "Wir sind mit den Aufnahmen bis jetzt sehr schnell vorangekommen und liegen gut im Zeitplan, da kannst du ruhig mal einen Tag zu Hause bleiben und dich richtig ausschlafen." Um das Wohl seines Freundes besorgt sah Yukke ihn schon fast flehend an, doch das kleine Arbeitstier wollte davon nichts hören. "Unsinn, ich bleibe hier und wir machen weiter. Es reicht wenn ich heute Abend etwas eher ins Bett gehe, dann bin ich morgen wieder fit und hab die nötige Energie um euch in eure faulen Hintern zu treten." Empört über diese Unterstellung zeterten seine Freunde eine Weile lautstark durch die Gegend und amüsierten Miya damit genug, dass er den Rest der Zeit einigermaßen wach blieb, doch sofort nachdem die letzte Strophe zur Zufriedenheit aller eingesungen war erklärte der Gitarrist, dass es für heute genug sei. "Na sowas, das ist doch sonst nicht deine Art, so pünktlich aufzuhören. Bist wohl doch total erledigt und willst es nur nicht zugeben, hm?" neckte Tatsurou ihn, schaffte es aber auch diesmal nicht, bei Miya mehr als ein gleichgültiges Schulterzucken zu bewirken. "Ich könnte gut und gerne noch ein paar Stunden länger hier bleiben und dich weiter quälen, aber ich hab noch etwas zu erledigen. Wir verschieben das auf morgen und-" "Oha, was hast du denn so wichtiges zu erledigen? Wir haben nämlich vorhin mal in deinen Planer geschielt, und außer den Studioaufnahmen stand für heute nichts weiter drin. Hast du ein Date, von dem wir nichts wissen dürfen, oder was? Wie heißt die Schnecke denn? Ist sie hübsch? Ist sie kleiner als du? Hat sie mpfl-" Alle weiteren geistreichen Worte des vorlauten Sängers wurden von Yukke's Hand erstickt, die der Blonde Tatsurou vor den Mund hielt und Miya dabei entschuldigend ansah. "Tut mir leid, wir wollten das eigentlich gar nicht tun, aber es hätte ja sein können dass wir dir den einen oder anderen Termin abnehmen könnten. Nur deshalb haben wir reingeschaut, wirklich." erklärte er hastig ehe Tatsurou sich aus seinem Griff befreien und ihm gegen die Schulter boxen konnte. Nach dieser kleinen Racheaktion wollte der Sänger sich wieder Miya zuwenden um ihm so lange weiter auf die Nerven zu gehen, bis dieser endlich mit der Sprache herausrückte, doch alles was er sah war der Rücken des Gitarristen und eine Sekunde später nur noch die zufallende Tür. Elvis had left the building. **** Die Tür zu seinem Zimmer öffnete sich und herein kam-- eine Krankenschwester. Gackt seufzte enttäuscht und wandte seinen Kopf wieder zur Seite um aus dem Fenster zu starren, während die weißgekleidete ältere Frau wortlos seinen Verband wechselte. Er hatte irgendwie gehofft dass Miya ihn besuchen kam, er war der einzige dessen Gegenwart Gackt ertrug. Das lag wahrscheinlich daran dass der Gitarrist ihn nicht mit Samthandschuhen anfasste sondern wie einen normalen Menschen behandelte und ihm auch mal hart und ehrlich die Meinung geigte. Genau das brauchte der Solokünstler. Jemanden, dem der Name 'Gackt' egal war. Der einfach nur bei ihm war und ihm half weil er ihn mochte. 'Aber mag er mich denn überhaupt? Oder tut er das alles nur aus Pflichtgefühl oder Anstand?' Nachdenklich zog er die Augenbrauen zusammen. 'Will ich denn eigentlich dass er mich mag? Ich fühle mich zwar im Moment so einsam als wäre ich der letzte Mensch auf der Welt, aber wenn es mir gut ginge, würde ich dann Wert auf seine Gesellschaft legen?' Er dachte eine ganze Weile darüber nach und kam letztendlich zu dem Schluss, dass er es nicht wusste. Und dass es im Prinzip auch keine Rolle spielte, denn es ging ihm nun mal nicht gut, also wozu sich den Kopf an Was-Wäre-Wenn-Fragen zerbrechen? Die Krankenschwester hatte den Raum mittlerweile wieder verlassen, doch schon wenige Minuten später ging die Tür erneut auf. 'Bestimmt wieder dieser dämliche alte Arzt der mich dazu bewegen will, mit einem Psychologen zu sprechen.' dachte Gackt genervt und machte sich gar nicht erst die Mühe, den Eindringling anzusehen. "Lassen sie mich endlich in Ruhe, ich hab schon tausendmal gesagt dass ich mit niemandem reden will." zischte er und danach herrschte einen Moment lang absolute Stille, bis sich der Besucher schließlich doch zu Wort meldete. "Dann sag mir wenigstens noch schnell, ob deine Hündin kastriert ist." Überrascht drehte Gackt sich um und sah Miya, der an der Wand neben der Tür lehnte und ihn anschmunzelte. Eine leichte Röte breitete sich auf den Wangen des Gefesselten aus. "Oh, tut mir leid, ich dachte du wärst jemand anderes." entschuldigte er sich schnell für den nicht gerade herzlichen Empfang, dann wurden ihm die Worte des Gitarristen erst bewusst. "Aber… äh… warum fragst du?" Miya stieß sich von der Wand ab, umrundete das Bett und setzte sich wieder auf den Stuhl am Fenster. Irgend etwas schien ihn zu belustigen, denn sein anfängliches Schmunzeln war inzwischen zu einem stattlichen Grinsen mutiert. "Naja, ich war gerade mit meinem Hund und deiner Hündin spazieren, und wenn die kleine komische Wurst nicht kastriert sein sollte ist es durchaus möglich, dass sie bald nicht mehr wie eine Wurst sondern eher wie ein Fleischbällchen aussieht, wenn du verstehst." Gackt's Augen weiteten sich beängstigend. "Du meinst…" "Ja, genau das meine ich." bestätigte der immer noch grinsende Gitarrist und beobachtete Gackt dabei, wie dieser angestrengt darüber nachdachte ob er diesen Eingriff bei Belle hatte vornehmen lassen. Er war sich ziemlich sicher dass dem nicht so war, denn daran würde er sich ja wohl erinnern, also schüttelte er schließlich langsam den Kopf. "Nein, Belle ist nicht kastriert. Hättest du nicht besser auf die beiden aufpassen können?" Da verschwand das Grinsen aus Miya's Gesicht so schnell, als wäre es nie dagewesen, und die Augen des Jüngeren funkelten bedrohlich. "Aber sonst geht's dir noch gut, oder wie? Du hast doch tatsächlich die Frechheit, mir sowas ins Gesicht zu sagen?! Ich rette dir das Leben, schütze deinen Ruf, komme dich besuchen anstatt mich um meine eigenen dringenden Angelegenheiten zu kümmern, und versorge sogar deine Haustiere! Und das ist der Dank dafür? Ich glaub ich bin im falschen Film! Wenn du so unzufrieden mit mir bist, dann stört es dich ja sicher nicht wenn ich mich hiermit endgültig von dir verabschiede! Sieh doch zu wie du allein klarkommst, du undankbares Arschloch!" Mit diesen Worten stand er abrupt auf und ging, ohne den anderen noch eines Blickes zu würdigen, in Richtung Tür. Gackt starrte ihm entsetzt hinterher. "Warte! Warte Miya, bitte! Ich hab das nicht so gemeint, es tut mir leid! Ich weiß sehr wohl zu schätzen was du alles für mich tust, und dabei weiß ich noch nicht einmal warum du es überhaupt tust! Aber bitte geh jetzt nicht so einfach!" Seine Entschuldigung zeigte die gewünschte Wirkung, Miya war stehen geblieben. Für ein paar Sekunden schien er noch unentschlossen, dann drehte er sich langsam wieder zu Gackt um und sah ihn mit einem unergründlichen Ausdruck in den Augen an. "Glaub mir, ich weiß es selbst nicht…" Damit schlurfte er zurück zu seinem Stuhl, ließ sich erschöpft darauf sinken und rieb sich die Stirn. Erst jetzt fiel dem anderen auf wie müde Miya aussah, und nach kurzem Zögern sagte er ihm dies auch. Der Leader nickte. "Das liegt daran dass ich es auch bin. Ich könnte hier und jetzt sofort einschlafen, deshalb hab ich gerade wohl auch etwas überreagiert. Sorry…" Als er dies hörte konnte Gackt nur beschämt abwinken. "Mach doch nichts. Außerdem hast du ja Recht, das war eben wirklich ziemlich dreist von mir." Da formte sich Miya's Mund plötzlich wieder zu einem Schmunzeln. "Sag mal, was ist deine Belle eigentlich für eine Rasse?" "Sie ist ein Dackel." "Ein was?" "Ein Dackel. Ist eine deutsche Rasse." "Aha, die Deutschen sind also solche Würstchenliebhaber dass sie sogar ihre Hunde in diese Form gezüchtet haben." "Ich finde nicht dass Belle aussieht wie eine Wurst." "Wie bitte? Na und ob die so aussieht! Es grenzt an ein Wunder dass deine Katze sie noch nicht gefressen hat!" "Wie sieht denn dann bitte dein Hund aus, hm?" "Wie eine zerzauste kleine Fledermaus." "Dann will ich mir lieber gar nicht erst vorstellen wie die Welpen aussehen werden, falls Belle wirklich schwanger werden sollte." Amüsiert sahen sich die beiden an und Miya's kleiner Gefühlsausbruch war schon wieder so gut wie vergessen. Dann lehnte sich der Gitarrist zurück, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. "Ich bleib nicht lange, ich muss ins Bett. Und mach dir keinen Kopf, ich kümmere mich auch weiter um deine Tiere, bis du entlassen wirst." Gackt bedankte sich lächelnd, doch dann trübte sich sein Blick ein bisschen. "Was glaubst du wie lange die mich hierbehalten werden?" fragte er unsicher und Miya beugte sich wieder vor und sah ihn an. "Ich weiß ja nicht wie schnell der Schnitt verheilt, aber so gefährlich war er ja dann doch nicht. Und sie haben keinen Beweis dass es… kein Unfall war… also denke ich dass du schon in wenigen Tagen hier raus sein müsstest." Betreten blickte Gackt hinunter auf seine gefesselten Handgelenke. "Aber so wie ich hier ausgerastet bin wissen die doch bestimmt Bescheid und werden sich weigern, mich gehen zu lassen. Dieser Takano liegt mir schon den ganzen Tag damit in den Ohren dass ich mir helfen lassen soll, der wird meine Entlassungspapiere sicher nicht unterschreiben." Miya schüttelte den Kopf. "Das muss er aber. Wie gesagt, es gibt keine Beweise für einen Selbstmordversuch, und die Sache mit dem runtergeworfenen Glas ist auch nicht eindeutig. Und ich kann ja auch noch mal mit ihm reden und ihn davon überzeugen dass es unbedenklich ist, dich zu entlassen." "Woher willst du denn wissen dass es unbedenklich ist?" fragte Gackt leise und sah Miya dabei direkt und ohne Scheu in die Augen. Der Jüngere erwiderte den Blick ohne mit der Wimper zu zucken. "Das weiß ich nicht. Aber falls du tatsächlich wieder versuchen solltest dich umzubringen, dann ist dir wohl wirklich nicht mehr zu helfen. Ich kenne den Grund für deine Verzweiflung nicht und will es auch gar nicht, aber ich hoffe du siehst ein dass es sich trotz allem lohnt zu leben." Gackt ließ diese Worte sinken und nickte schließlich langsam. "Ich schätze du hast Recht... Wenn man den ganzen Tag hier liegt hat man viel Zeit zum Nachdenken, und mittlerweile weiß ich dass das nur eine Kurzschlussreaktion war. Ich will eigentlich noch gar nicht sterben. Jetzt nicht mehr." **** Nachdem Miya Gackt's Zimmer verlassen hatte machte er sich auf die Suche nach Dr. Takano und erklärte ihm, dass der Solokünstler weder eine Gefahr für sich selbst noch für andere darstellte und man ihm ruhig die Fesseln abnehmen konnte. Der Arzt stimmte dem nur widerwillig zu, er wusste dass er diesbezüglich keine wirkliche Entscheidungsgewalt hatte und Gackt sowieso in ein paar Tagen wieder entlassen wurde. Dies teilte er Miya auch gleich mit, der sich bedankte und daraufhin das Krankenhaus verließ. Er fuhr auf direktem Weg nach Hause, streifte sich im Flur kraftlos die Schuhe von den Füßen, warf seine Jacke einen halben Meter am Garderobenständer vorbei und trottete ins Schlafzimmer. Ohne sich seiner restlichen Kleidung zu entledigen sank er auf das durchwühlte Bett, welches er heute früh um zwei Uhr unfreiwillig verlassen hatte, und noch ehe sein Kopf das Kissen berührt hatte war der übermüdete Gitarrist bereits eingeschlafen. Gizmo, der sich total vernachlässigt fühlte da sein Herrchen ihm überhaupt keine Beachtung geschenkt hatte, sprang mit einiger Mühe auf das für seine Größe viel zu hohe Bett, stupste Miya mit seiner kleinen nassen Nase ins Gesicht und legte sich, da sein Dosenöffner sich nicht regte, kurzentschlossen neben diesen. Seite an Seite schliefen die beiden bis zum späten Mittag des nächsten Tages. **** Genervt starrte Gackt aus dem Fenster hinunter auf den Parkplatz vor dem Haupteingang des Krankenhauses. Dort herrschte das totale Chaos. Reporter und Fotografen drängten sich auf engstem Raum und verlangten lautstark Auskunft, ihre Vans versperrten die Ein- und Ausfahrt und hinderten dadurch sogar Krankenwagen daran, den Eingang zu erreichen. Dass es wie aus Kübeln regnete störte anscheinend keinen der Belagerer. Man hatte inzwischen sogar die Polizei rufen müssen, die in diesem Moment damit beschäftigt war, die Presse vom Gelände zu scheuchen. Immerhin hatte es ganze vier Tage gedauert bis sie davon Wind bekommen hatte, dass Gackt sich angeblich hier befand. Bis jetzt war es zum Glück nur ein Gerücht, denn niemandem war es gelungen den Solokünstler zu Gesicht, geschweige denn vor die Kamera zu bekommen. Aber das hielt diese aufdringlichen Pressefritzen nicht auf. Sie belagerten das Krankenhaus nun schon seit mehreren Stunden und die Polizei hatte alle Hände voll zu tun, doch langsam aber sicher lichteten sich die Reihen. Es würde aber trotzdem noch eine ganze Weile dauern bis wieder Ruhe einkehren konnte, und so wie Gackt seine ständigen Verfolger kannte machten die es sich gerade ganz in der Nähe des Klinikgeländes bequem, um solange auszuharren bis sie ihn endlich sahen. Es würde nicht leicht werden, das Krankenhaus morgen unerkannt zu verlassen. Ein kurzes Klopfen an der Tür brachte Gackt dazu, sich von dem Spektakel einige Stockwerke unter ihm abzuwenden. Nun galt seine ganze Aufmerksamkeit einem klatschnassen Gitarristen, der den grauen Linoleumboden volltropfte während er seine durchweichte Jacke auszog. "Es gibt da eine ganz tolle Erfindung die nennt sich Regenschirm, schon mal was davon gehört?" bemerkte Gackt augenzwinkernd und erntete dafür einen mürrischen Blick von Miya. "Normalerweise brauch ich sowas nicht wenn ich herkomme, aber wer konnte denn ahnen dass die Tiefgarage komplett versperrt sein würde? Ich musste drei Straßen laufen und mich dann still und heimlich an den tausenden von Reportern vorbeischleichen, um überhaupt hier rein zu kommen!" erklärte er, dann sah er sich kurz fragend im Zimmer um. "Hast du ein Handtuch für mich? Ich hab keine große Lust auf eine Erkältung…" Gackt zeigte sofort auf den Schrank neben der Tür. "Natürlich hab ich das, sogar mehrere. Das müsstest du ja eigentlich am besten wissen, immerhin warst du so freundlich mir ein paar meiner Klamotten und andere Sachen aus meiner Wohnung zu holen. Bedien dich." Miya nickte und zog ein rotes Handtuch aus dem Schrank, trocknete zuerst sein Gesicht und dann seine Haare, die ihm in feuchten Strähnen vor den Augen hingen. Dass sowohl sein Pullover als auch seine Hose und Schuhe ebenfalls Opfer des Regens geworden waren, damit musste er wohl oder übel leben. Das Handtuch über seine Schultern geworfen trat er ans Fenster, an genau die gleiche Stelle an der Gackt zwei Minuten zuvor gestanden hatte, und beobachtete das Treiben auf dem Parkplatz. Er schüttelte den Kopf. "Das ist einfach unglaublich… Ich frag mich wie sie es erfahren haben…" "Ist doch egal, jedenfalls wissen sie es jetzt. Oder vermuten es zumindest, aber das kommt letztendlich ja auf das gleiche hinaus." erwiderte der andere resigniert und machte es sich auf seinem Bett bequem. Die Hand- und Fußfesseln hatte man ihm schon vor drei Tagen wieder abgenommen, und er wusste ganz genau dass das Miya's Verdienst gewesen war. Dieser drehte sich zu Gackt um und lehnte sich dabei gegen das Fensterbrett. Sich mit der nassen Hose auf den Stuhl setzen wollte er auf gar keinen Fall. "Hast du denn schon mit deinem Manager telefoniert und abgesprochen, wie man dich morgen möglichst ungesehen hier rausbringen wird?" Das bejahte der Angesprochene und erzählte, dass er am späten Nachmittag abgeholt und in einem schwarzen Van mit verdunkelten Scheiben die Klinik durch die Tiefgarage verlassen würde. Miya nickte nachdenklich, sagte aber nichts weiter dazu. Stattdessen neigte er den Kopf etwas zur Seite und ein lautes Knacken war zu hören, gefolgt von einem leisen Ächzen des Gitarristen. Gackt starrte ihn entsetzt an. "Großer Gott, das klang ja furchtbar!" "Es reicht wenn du mich Miya nennst." "Lenk mal nicht ab. Das hörte sich an als wärst du total verspannt." "Hm, und ich dachte schon mein Genick sei gebrochen…" "Scherzkeks. Los, komm her, ich verpass dir jetzt eine Profimassage, danach fühlst du dich wie neugeboren." "Wie bitte??" "Hast du auch Wasser in die Ohren bekommen? Ich sagte dass ich dir-" "Ich hab gehört WAS du gesagt hast, ich kann nur nicht glauben DASS du es gesagt hast!" "Wieso, was ist denn so schlimm an einer Massage?" "Ähm… naja… eigentlich nichts, aber-" "Kein 'Aber', und jetzt beweg dich hier rüber. Du brauchst deinen Pullover auch nicht ausziehen, wenn dir das lieber ist." Miya, dem das in der Tat lieber war, schlurfte murrend hinüber zum Bett und setzte sich widerwillig auf dessen Rand, Gackt nahm hinter ihm im Schneidersitz Platz. Er bot normalerweise Leuten die er erst seit kurzer Zeit kannte keine Massage an, aber Miya hatte ihn seit seiner Einlieferung jeden Tag besucht und ihm so sehr geholfen, dass er es gern tat, auch um sein schlechtes Gewissen wenigstens etwas zu beruhigen. Und er hatte festgestellt dass er sich in der Gegenwart des Gitarristen sehr wohl fühlte und die Frage, ob er auch unter normalen Umständen Wert auf Miya's Gesellschaft legen würde, inzwischen eindeutig mit 'Ja' beantworten konnte. Und so legte er seine Hände auf die schmalen Schultern des Jüngeren. "Bäh, du bist nass…" "Ach, sag bloß. Das war ja wohl deine Schnapsidee, nicht meine." "Ja ja, schon gut, und jetzt sei still." *KNACK* "KYAAAAA!!!!!!!! ARGH, VERDAMMT, DAS TUT WEH!!!!" "Kein Wunder, du bist ja auch verspannt bis zum Geht-nicht-mehr! Ganz ruhig, der Schmerz vergeht gleich wieder, und dann fühlt sich das ganz toll an." "Woher willst du das wissen??" "Ich hab die Technik von meinem eigenen Masseur gelernt, der wendet die bei mir auch an. Also vertrau mir und beiß die Zähne zusammen, du Memme." Beleidigt und mit verletztem Stolz machte Miya den Mund zu und ertrug diese Folter unter einigen Anstrengungen stumm weiter, bis der Schmerz tatsächlich allmählich nachließ. Zehn Minuten später hörte Gackt auf und beobachtete lächelnd wie Miya sich erhob, den Kopf erst zu beiden Seiten und dann im Kreis bewegte, und zufrieden aufseufzte. "Danke, das hat wirklich geholfen…" Dann ging er wieder zu seinem Platz am Fensterbrett, warf noch einen flüchtigen Blick hinaus und sah dann auf seine Uhr. "Ich muss gleich wieder los, durch meinen unfreiwilligen Fußmarsch hab ich für den Weg hierher um einiges länger gebraucht als erwartet, und bevor ich ins Studio fahre muss ich noch mal nach Hause, um mir trockene Klamotten anzuziehen." Gackt nickte, obwohl er sich wünschte dass Miya noch ein bisschen länger bleiben würde. "Wie laufen denn eure Aufnahmen?" Der Gitarrist hob eine Augenbraue, überrascht dass das den anderen interessierte, dann fuhr er sich nachdenklich durch die strähnigen Haare. "Es sind bis jetzt nur zwei Songs komplett eingespielt, aber wir haben ja auch erst vor einer Woche angefangen. Also würde ich mal behaupten dass es ganz gut läuft. Wir hoffen dass wir die Aufnahmen Ende März oder spätestens Anfang April abschließen können, veröffentlicht wird das Album dann voraussichtlich Ende April." Gackt hatte dem anderen aufmerksam zugehört und sah ihn jetzt ganz neugierig an. "Und wird das neue Album genau so melodieverliebt und abwechslungsreich wie 'Houyoku', oder geht es diesmal wieder etwas härter zur Sache?" Perplex starrte Miya ihn an. Er hatte absolut nicht damit gerechnet dass Gackt ihre Musik kannte, es hatte ihn ja schon sehr erstaunt dass dieser ihn vor ein paar Tagen in dem Restaurant überhaupt erkannt hatte. "Du... du kennst 'Houyoku'?" fragte er vorsichtig nach und der Ältere verdrehte die Augen. "Miya, ich bin nicht so egozentrisch wie alle denken. Glaubst du denn ernsthaft dass ich zu Hause meine eigenen Alben rauf und runter höre und nichts von der Musik kenne, die es sonst noch auf dem Markt gibt? Natürlich kenne ich das Album, es ist brilliant! Euer bis jetzt bestes, würde ich sogar behaupten. Wenn du mir nicht glaubst brauchst du dir nur mal die CD-Sammlung neben meiner Stereoanlage anschauen, da sind auch eure Alben dabei." Es dauerte einen Moment bis der Leader sich wieder gefasst hatte, dann lächelte er, erfreut darüber dass Gackt eines ihrer Alben als brilliant bezeichnet hatte. "Ich muss zugeben dass mich das ziemlich überrascht, aber schön wenn sie dir gefallen. Ich mag von dem, was ich bisher von dir gehört habe, am meisten die Balladen. Und dieses eine schnellere Lied, 'Asrun Dream', das finde ich auch klasse, besonders eben wegen der Dynamik. Außerdem hast du eine wirklich eindrucksvolle und kräftige Stimme." Jetzt war es an Gackt, den anderen verdutzt anzublinzeln. Hatte er gerade richtig gehört? Hatte Miya eben wirklich gesagt dass er seine Stimme und einige seiner Lieder mochte? Der Gitarrist konnte am Gesichtsausdruck seines Gegenübers erraten, was dieser gerade dachte, und grinste leicht. "Jetzt kuck nicht so. Du hast eben selbst gesagt dass du nicht egozentrisch bist und die Musik anderer zu schätzen weißt, also darf das gleiche doch wohl auch für mich gelten, oder? Und sag es keinem weiter, aber ja, das neue Album wird wieder ein ganzes Stück rockiger und metallastiger." Er zwinkerte Gackt zu und dieser grinste nun ebenfalls. "Da haben wir uns wohl gegenseitig falsch eingeschätzt." Miya nickte schmunzelnd. "Sieht ganz so aus." **** Als er gegen Mittag in trockenen Sachen das Studio betrat, war Miya der letzte. Argwöhnisch wurde er von den drei übrigen Mitgliedern von MUCC beäugt und im nächsten Moment auch schon auf die Couch gedrückt. Yukke und Satochi hielten jeder einen seiner Arme fest während Tatsurou, ausgerechnet der Größte von ihnen, sich auf den Schoß des Leaders setzte. Miya sah seine Kollegen verwirrt an, sagte aber kein Wort und ließ es über sich ergehen, dass der Sänger ihm an die Stirn fasste. Dieser sah dann zu den anderen beiden und schüttelte den Kopf. "Nein, Fieber hat er auch keins. Vielleicht hat er sich ja irgendwo den Kopf gestoßen..." Seufzend fragte Miya sich zum wiederholten Male, warum sich seine Freunde nicht wenigstens ab und zu wie Erwachsene verhalten konnten, dann schaute er Tatsurou finster an. "Ich habe von allen Anwesenden hier am seltensten was auf den Kopf gekriegt, also red nicht so einen Stuss und geh endlich von mir runter, du Riesenbaby." Grummelnd rutschte besagtes Kleinkind von seinen Beinen, und auch die Arme des Gitarristen wurden wieder freigegeben. Doch seine Ruhe hatte er deshalb noch lange nicht, denn noch immer waren drei skeptische Augenpaare auf ihn gerichtet. "Sag uns endlich was mit dir los ist und warum du nicht so ein rücksichtsloser Sklaventreiber bist, wie du es bei unseren früheren Studioarbeiten warst!" platzte Satochi schließlich heraus und Miya runzelte die Stirn. "Sonst habt ihr euch immer beschwert dass ich euch keine Freizeit lasse und es mit dem Arbeiten übertreibe, und jetzt meckert ihr rum weil ich das nicht mehr tue? Könnt ihr euch denn nicht langsam mal entscheiden?" Beschwichtigend hob Yukke die Hände. "Miya, versteh doch bitte, wir wollen nur wissen ob mit dir alles in Ordnung ist. Sonst gab es für dich nichts wichtigeres als die Band und die Musik, aber seit ein paar Tagen scheinst du irgendwie abgelenkt und bestehst nicht mehr darauf, dass wir bis spät in die Nacht an den Aufnahmen arbeiten. So kennt man dich gar nicht." "Und auch wenn wir das ganz angenehm finden wüssten wir wirklich zu gerne was der Auslöser für deinen Sinneswandel war." mischte sich nun auch noch Tatsurou ein und wieder sah Miya sich den eindringlichen Blicken seiner Kollegen ausgesetzt. Er ließ die Schultern hängen. "Sagen wir einfach, ich tue jemandem einen Gefallen und das beansprucht etwas von der Zeit, die ich normalerweise im Studio damit verbringen würde, euch mit der Peitsche anzutreiben, wie ihr es so schön beschreibt." Yukke's Gesicht hellte sich trotz des letzten Kommentars auf. "Ach so ist das, du hilfst also jemandem. Und wem? Und bei was?" Die Antwort, dass ihn das nichts anginge, kam wie aus der Pistole geschossen und der Bassist sah Miya gekränkt an. "Seit wann haben wir den Geheimnisse voreinander?" wollte er von seinem Freund, mit dem er schon als Kind gespielt hatte, wissen. "Sei mir nicht böse, Yukke, aber darüber kann ich wirklich nicht sprechen. Und keine Sorge, spätestens übermorgen habt ihr euren Sklaventreiber wieder, wenn euch das glücklich macht. So, und jetzt lasst uns endlich anfangen, ich muss gegen 20 Uhr wieder los." Damit klopfte Miya dem Bassisten noch kurz aufmunternd auf die Schulter, erhob sich dann von der Couch und ging zum Mischpult. Die stechenden Blicke in seinem Rücken versuchte er dabei so gut wie möglich zu ignorieren. Kapitel 4: ----------- Anm.: Ich habe im 3. Kapitel die geplante Abholzeit vom späten Vormittag in einen späten Nachmittag geändert, weil das besser zur weiteren Handlung passt!^^ ~4~ Umgeben von einer schwarzen Mauer aus Leibwächtern, die ihn dank ihrer breiten Körper und dem engen Treppenhaus gerade ziemlich einquetschten, war Gackt auf dem Weg zur Tiefgarage. Die Sonnenbrille und das tief ins Gesicht gezogene Basecap verbargen seinen genervten Blick. Er hatte seinem Manager gesagt dass es unnötig sei, so viele Bodyguards zu schicken, und dass er dadurch nur noch mehr Aufsehen erregen würde. Aber der Kerl hatte ja nicht hören wollen, weshalb der Sänger vor ein paar Minuten von einer halben Armee von Muskelprotzen abgeholt worden war. Und weil er keine große Lust auf eine lange und relativ aussichtslose Diskussion hatte war Gackt ihnen einfach wortlos gefolgt. Einer dieser Gorillas stieß nun die schwere Tür auf und die kleine Gruppe trat in die Tiefgarage und marschierte zielstrebig auf einen schwarzen Van zu. Als sie näher kamen sah Gackt den Fahrer mit jemandem sprechen und bekam große Augen. Das war ja Miya! Dieser drehte sich in eben diesem Moment zu ihnen um und wartete, bis der Solokünstler und seine Begleiter vor ihm stehen blieben. "Was machst du denn hier?" platzte Gackt ohne Umschweife heraus und der Gitarrist schmunzelte ihn an. "Dir auch einen schönen guten Tag. Ich weiß ich hatte mich nicht angekündigt, aber was wäre das Leben ohne ein paar Überraschungen? Na jedenfalls konnte ich Oeda-San hier-" dabei zeigte er auf den Fahrer, der Gackt zunickte, "davon überzeugen, bei meinem kleinen Ablenkungsmanöver mitzuspielen." "Was denn bitte für ein Ablenkungsmanöver?" wollte ein immer noch recht verwirrter Gackt wissen und Miya erklärte ihm daraufhin seinen Plan. Dann stiegen die Bodyguards, nachdem sie nach einigem Zögern schließlich zugestimmt hatten, wieder in den Van und Oeda-San fuhr zur Ausfahrt. Miya und Gackt blieben in der Tiefgarage zurück. "Wo steht dein Wagen?" fragte der Ältere und Miya's ausgestreckter Zeigefinger wies auf eine im Schatten liegende Ecke der Garage. Schweigend gingen die beiden zu dem Fahrzeug und der Gitarrist ließ den Motor an. "Sollten wir nicht vielleicht noch eine Minute warten?" Miya schüttelte den Kopf. "Nein, das würde wohl auch keinen Unterschied machen. Die werden schon weg sein… hoffe ich…" Damit fuhr er los, und als sie hinauf ins Freie kamen atmeten beide erleichtert auf. Von aufdringlichen Reportern und Fotografen fehlte jede Spur. "Sieht so aus als hätten die Idioten den Köder geschluckt. Danke Miya, das war wirklich eine gute Idee." Der Angesprochene grinste. "Ehrlich gesagt hatte ich die schon als du mir erzählt hast, wann und wie du abgeholt werden würdest, aber ich hab den Mund gehalten weil ich unbedingt dein überraschtes Gesicht sehen wollte. Und es hat sich gelohnt, du sahst echt zum Schießen aus." Bei diesen Worten wollte Gackt sofort Einspruch erheben, überlegte es sich dann aber doch noch anders und gönnte dem anderen seinen Spaß. Miya hatte es sich mehr als verdient. Dieser schwenkte gerade mit seinem Wagen auf die Straße und fummelte dabei so lange an seinem Autoradio herum, bis er etwas hörenswertes gefunden hatte. Eine Weile fuhren sie schweigend durch die Stadt bis Gackt endlich bemerkte dass das nicht der Weg zu seiner Wohnung war. Als er den Gitarristen neben sich darauf ansprach nickte dieser. "Hast Recht, ich wollte dir nämlich noch etwas zeigen bevor ich dich bei dir absetze." Mehr sagte er zu dem Thema nicht und Gackt bohrte auch nicht weiter nach, obwohl er sehr gespannt darauf war was Miya jetzt schon wieder vorhatte. Es dauerte dann noch etwa zehn Minuten bis der Gitarrist seinen Wagen vor einem kleinen Klub zum Stehen brachte und ausstieg. Der Ältere tat es ihm gleich und sah sich neugierig um. Sie waren in einem recht abgelegenen und ruhigen Stadtteil von Tokyo, Gackt kannte sich hier überhaupt nicht aus und wusste auch nicht was es hier so besonderes gab. Fragend schaute er hinüber zu Miya, der ihn einfach nur anlächelte und dann losmarschierte. Gemeinsam gingen sie zum Seiteneingang und der Gitarrist klopfte in einem merkwürdigen Rhythmus, der Gackt wie eine Art Code vorkam, an die Tür. Sekunden später wurde sie geöffnet und Miya von einem älteren Mann, der die 50 offensichtlich schon längst überschritten hatte, begrüßt. "Na Kleiner, du hast wohl wieder mal Sehnsucht nach mir, hm? Und wer ist dein Begleiter?" Die Augen des Fremden musterten Gackt kurz und dieser wollte sich schon vorstellen, aber Miya kam ihm zuvor. "Das ist ein Freund von mir. Er ist auch Musiker, und ich dachte ich bringe ihn mal mit. Ist doch in Ordnung, oder?" Da grinste der Angesprochene. "Na klar, kein Problem, Musikliebhaber sind mir immer willkommen. Aber seid leise, muss ja nicht jeder mitkriegen." Mit einer einladenden Handbewegung forderte er die beiden auf ihm zu folgen, drehte sich dann um und stiefelte los. Miya ließ Gackt den Vortritt und schloss, nachdem er ebenfalls eingetreten war, die Tür. Sie befanden sich im Backstagebereich des kleinen Klubs, Gackt konnte das gedämpfte Gerede der Gäste hören. Er warf einen flüchtigen Blick auf seine Uhr und fragte sich wie voll ein Klub wohl um 18:00 sein würde. Bestimmt noch nicht sehr voll. Aber das würde er ja wahrscheinlich gleich erfahren, obwohl er noch immer nicht wusste was genau Miya vorhatte. Hatte er sie nur über den Seiteneingang hier reingebracht damit Gackt nicht erkannt wurde? Aber das wäre Blödsinn, ob der Solokünstler nun vor oder in dem Gebäude auf andere Leute traf war schließlich egal, und Gackt hielt Miya für alles andere als blöd. Außerdem bezweifelte er dass sich in diesem Publikum kreischende Fangirlies befanden, dafür schien der Klub zu… naja… sagen wir mal 'unglamourös'. Für weitere Überlegungen blieb ihm keine Zeit, denn der unbekannte Mann vor ihm war stehengeblieben und zeigte wortlos auf eine an der Wand befestigte Leiter, die durch eine Art Falltür in der Decke führte. Miya hatte sie inzwischen eingeholt, nickte seinem Bekannten zu, und dieser zwinkerte noch kurz verschmitzt und verschwand dann um die Ecke. Verwirrt sah Gackt den Jüngeren an. "Und jetzt?" Er bekam keine Antwort auf seine Frage, stattdessen griff Miya nach den Sprossen der Wandleiter und begann, sie hinaufzusteigen. Als von ihm nur noch die Schuhe zu sehen waren, Gackt sich aber noch immer nicht rührte, beugte der Gitarrist sich wieder etwas hinunter und sah ihn an. "Worauf wartest du? Komm mit." Dann machte er sich wieder an den Aufstieg, und diesmal folgte ihm der andere. Als er oben angekommen war und die herumliegenden Kartons, Scheinwerfer und Kabel erblickte, da wurde ihm klar wo sie sich befanden. Sie standen über den Köpfen des Publikums auf einer großen länglichen Plattform, von der aus man zwar nur noch einen kleinen Teil der Gäste, dafür aber die gesamte Bühne sehen konnte. An dem niedrigen Geländer waren zwei im Moment ausgeschaltete Scheinwerfer montiert, ansonsten konnte Gackt kein weiteres Equipment für Beleuchtung oder Ton sehen. Dafür sah er aber eine kleine schlichte Holzbank nahe des Geländers, auf der Miya gerade Platz nahm und ihm zuflüsterte, sich neben ihn zu setzen. Gackt ging zu ihm und ließ sich auf der Bank nieder, dann schaute er hinunter um sich den Klub genauer anzusehen. 'Klein' war eigentlich noch übertrieben, 'winzig' traf es eher. Der Sänger schätzte dass nicht mehr als hundert Leute hineinpassten, aber an dem Stimmengewirr konnte er erkennen dass für diese Zeit doch schon recht viele da waren. Das Licht war schummrig und die Luft rauchverhangen, die Gäste saßen an ihren kleinen Tischen und unterhielten sich während im Hintergrund Bluesrock spielte. Es herrschte eine richtig gemütliche und familiäre Wohnzimmeratmosphäre. Die Bühne war leer und lag im Dunkeln, sie wurde anscheinend nicht ständig zur Unterhaltung genutzt. Nachdem er genug gesehen hatte drehte Gackt sich wieder zu Miya um. "Ist ja wirklich ganz schön hier, aber ich verstehe immer noch nicht weshalb du mich hergebracht hast. Wie wäre es mit einem Tipp?" Der andere wollte gerade zum Sprechen ansetzen, da ging ein Raunen durch die Menge und Miya, anstatt etwas zu sagen, stand wieder auf und ging hinüber zu den beiden Scheinwerfern. Er schaltete sie genau in dem Moment an als der ältere Mann, der sie reingelassen hatte, die Bühne unter tosendem Beifall der Gäste betrat. Er hatte eine E-Gitarre in der Hand und setzte sich auf einen simplen Barhocker in der Mitte, der nun von den Scheinwerfern angestrahlt wurde. Damit schien Miya's Arbeit erledigt, denn er kam zurück und nahm wieder seinen Platz neben Gackt ein. Dieser war für den Moment etwas von seinem Banknachbarn abgelenkt, zu sehr erstaunte ihn der noch immer anhaltende Jubel des Publikums. Der Kerl schien hier eine ziemlich große Nummer zu sein, und der Solokünstler war gespannt was er so drauf hatte. Mit einem Zeigefinger auf den Lippen brachte der Musiker die Leute blitzschnell zum Schweigen, dann begann er zu spielen. Und schon nach einer Minute musste Gackt anerkennend zugeben dass der andere sein Handwerk wirklich sehr gut verstand. Seine flinken Finger huschten mühelos über die Saiten, und obwohl die meisten Riffs recht kompliziert waren sah er nicht auf das Griffbrett seiner Gitarre sondern hatte die Augen geschlossen und ein entspanntes Lächeln auf den Lippen. Jetzt verstand Gackt auch, warum um die Zeit schon so viele Leute hier waren. Es machte einfach Freude ihm zuzusehen und zuzuhören. "Deshalb." unterbrach Miya's leise Stimme seine Gedanken und er riss seine Augen von dem Mann auf der Bühne, um den Gitarristen neben sich anzusehen. Miya lächelte sanft. "Ich glaube nämlich dass du vergessen hast, worum es eigentlich geht. Du denkst du machst Musik für andere und strengst dich an, um deren Erwartungen gerecht zu werden, aber so ist es nicht. Du musst sie für dich machen." Er beugte sich vor, stützte seine Arme auf dem Geländer ab und sah hinunter zu dem spielenden Gitarristen. "Sieh ihn dir an. Wenn er spielt sieht er immer so zufrieden und glücklich aus, als wäre er in seiner eigenen Welt. Er liebt die Musik die er spielt, deshalb muss er auch gar nicht hinsehen oder nachdenken um die richtigen Saiten anzuschlagen. Und diese Leidenschaft und Hingabe begeistert die Leute, ohne dass er sich dabei für sie verbiegen muss. Verstehst du? Mach Musik die aus deinem Herzen kommt und die dich selbst begeistert, denk dabei nicht an andere. Das ist der beste Rat den ich dir geben kann." Während seiner kleinen Rede hatte Miya den Blick nicht von dem Musiker auf der Bühne genommen, und so sah er nicht wie Gackt ihn fassungslos anstarrte und schwer schluckte. "Woher… woher weißt du dass ich… so über meine Karriere denke?" fragte er mit belegter Stimme und Miya richtete sich wieder auf und wandte ihm das Gesicht zu. "Ich habe das bei unserer ersten Begegnung aufgeschnappt. Und auch wenn ich nicht glaube dass das der Hauptgrund für deine Aktion war, so denke ich doch dass es einen großen Teil dazu beigetragen hat. Und diese Unzufriedenheit ist etwas, das du selbst ändern kannst." Geschockt darüber, dass der Gitarrist anscheinend in ihm lesen konnte wie in einem offenen Buch, blinzelte Gackt seinen Gegenüber eine Weile sprachlos an ehe er sich wieder fing. "Danke, Miya. Ich habe keine Ahnung warum du das alles tust, aber in der kurzen Zeit, die wir uns erst kennen, hast du mir schon so sehr geholfen als wären wir richtige Freunde." "Sind wir das denn nicht inzwischen?" fragte Miya bei diesen Worten erstaunt und Gackt senkte den Blick. "Ich hätte nichts dagegen, aber du musst dich nicht dazu verpflichtet fühlen dich weiter mit mir abzugeben." Da zuckte der Jüngere mit den Schultern. "Tu ich nicht. Deine Gesellschaft ist für mich eine willkommene Abwechslung zu der meiner chaotischen Bandkollegen. Glaub mir, wenn ich dich nicht ehrlich leiden könnte wärst du jetzt nicht hier.“ Überrascht darüber dass Miya ihn anscheinend tatsächlich mochte sah der Sänger ihn nachdenklich an, dann fiel ihm etwas ein. "Ach sag mal, wie viele Leute hast du denn eigentlich schon hierher gebracht?" Der Gitarrist erwiderte nichts darauf, doch sein Blick und das Schmunzeln auf seinen Lippen verrieten alles. Gackt war der erste. **** Sie hatten den Rest des Auftritts schweigend verfolgt, und als der Musiker auf der Bühne das letzte Lied ausklingen ließ und ein erneuter Beifallssturm losbrach, da musste Gackt sich sehr beherrschen um nicht auch zu applaudieren. Man hatte ihnen ja gesagt dass sie leise sein sollten. Danach stiegen die beiden wieder hinunter in den Backstagebereich, wo ihnen der ältere Gitarrist auch schon lächelnd entgegen kam. Gackt sprach ihm seine Bewunderung aus, dann verabschiedeten sie sich und verließen den Klub. Auf dem Weg zu Gackt's Wohnung überkam diesen wieder die Neugier. "Äh… Miya… der Typ, der ist aber nicht zufällig dein Vater, oder?" Für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein Schatten über das Gesicht des Gitarristen, dann schüttelte er langsam den Kopf. "Nein… nein, er ist nicht mein Vater. Es war ein glücklicher Zufall dass ich ihn getroffen habe. Vor ein paar Jahren ist mir mein alter Wagen direkt vor dem Klub verreckt und ich bin reingegangen, um den Abschleppdienst zu rufen. Da habe ich ihn spielen gehört und danach einfach angesprochen und gebeten, mich zu unterrichten. Natürlich konnte ich da schon längst selbst Gitarre spielen, aber er hat mir sehr viele nützliche Dinge beigebracht und stand mir auch sonst immer mit Rat und Tat zur Seite. Er ist also so etwas wie ein väterlicher Freund. Und ich gehe oft in den Klub um ihm zuzusehen, und dort oben hab ich immer den besten Platz und meine Ruhe." Nach dieser Erklärung kehrte, abgesehen vom leisen Dudeln des Autoradios, wieder Stille zwischen den beiden ein. Aber es war kein unangenehmes Schweigen bei dem man verzweifelt versuchte, ein neues Gesprächsthema zu finden, sondern eins bei dem man einfach nur nebeneinander saß und nicht dass Gefühl hatte, unbedingt etwas sagen zu müssen. Gackt gefiel das, und er war fast schon enttäuscht als seine Wohnung schließlich in Sicht kam. Aber er würde Miya bestimmt wiedersehen, denn er zweifelte nicht daran dass der Gitarrist seine Worte über ihre Freundschaft ernst gemeint hatte. Der Wagen hielt am Straßenrand und Gackt wollte sich nochmals bei Miya bedanken und sich verabschieden, doch noch bevor er den Mund aufmachen konnte war der andere auch schon ausgestiegen. Verwundert blieb der Solokünstler noch ein paar Sekunden sitzen, dann stieg er ebenfalls aus und sah Miya fragend an. "Was dagegen wenn ich noch einen Augenblick mit reinkomme?" wollte der Jüngere wissen und Gackt schüttelte sofort den Kopf. "Nein, überhaupt nicht." Damit warf er sich seine Reisetasche über die Schulter und ging, gefolgt von Miya, die Treppe hinauf und schloss die Wohnungstür auf, hinter der bereits das bekannte Winseln zu hören war. Und kaum war er eingetreten, da wuselte und hibbelte die kleine Belle auch schon schwanzwedelnd um seine Beine und sprang so hoch wie es ihre kleinen Stummelbeine zuließen. "Sieht aus als hätte sie dich vermisst." kommentierte Miya dieses Schauspiel amüsiert während Gackt sich zu dem aufgeregten Tier hinunterbeugte und es durchwuschelte. "Ja, sowas soll vorkommen…" erwiderte er und dem Gitarristen entging nicht die kleine Spur von Trauer in seiner Stimme. Um ihn von seinen trüben Gedanken abzulenken tippte er Gackt auf die Schulter und dieser sah zu ihm auf. "Willst du was trinken?" "Eigentlich ist das mein Spruch, schließlich wohne ich hier und nicht du." "Das stimmt zwar, aber du bist ja gerade mit Belle beschäftigt, und Mai will bestimmt auch 'ne ausgiebige Begrüßung. Also was ist nun? Tee?" "Okay, danke." Und schon war Miya, der sich inzwischen seiner Schuhe entledigt hatte, in die Küche verschwunden. Wenige Sekunden später hörte Gackt bereits das Klappern von Geschirr und das Zufallen der Schranktüren und konnte angesichts der Tatsache, dass der Leader von MUCC gerade in seiner Küche für sie beide Tee kochte, nur ungläubig den Kopf schütteln. Wenn ihm das jemand noch vor einer Woche vorhergesagt hätte, dann hätte der Sänger ihn ausgelacht und für verrückt erklärt. Diesen Gedanken konnte er allerdings nicht weiterspinnen weil in dem Moment seine Katze um die Ecke bog, um sich ihre Streicheleinheiten abzuholen. Nachdem er Mai und seinen sich eifersüchtig dazwischen drängelnden Hund eine Weile bearbeitet hatte stand Gackt auf, zog ebenfalls die Schuhe aus und ging mit seiner Tasche in den Raum am Ende vom Wohnzimmer. Belle folgte ihm, die Miez machte es sich wieder auf der Sofalehne bequem. Somit war sie auch das einzige Lebewesen das Miya sah als er, mit einer Tasse in jeder Hand, aus der Küche kam. Er rief nach dem Hausherrn und dieser meldete sich mit einem gedämpften "Hier drin." Da fiel dem Gitarristen erst auf dass die Tür zum Schlafzimmer nur angelehnt war, also ging er hinüber und stupste sie mit dem Fuß ganz auf. Gackt schloss gerade seinen Kleiderschrank und stopfte die nun leere Reisetasche unter sein Bett, dann nahm er Miya dankend eine der Tassen ab und sie setzten sich nebeneinander auf den Rand des Bettes. Während der Sänger seinen heißen Tee bepustete drehte der andere die Tasse in seinen Händen nur unruhig hin und her, und nach einer Weile wurde es Gackt zu bunt und er wandte sich zu seinem Gast um. "Miya, Tee dreht man nicht, den trinkt man. Oder hast du was auf dem Herzen?" "Naja, das kommt ganz darauf an ob du in nächster Zeit viel zu tun hast und ständig unterwegs bist." erwiderte der Angesprochene etwas kleinlaut und Gackt blinzelte erstaunt. "Äh… nein, demnächst steht nichts wichtiges an, ich habe quasi Urlaub. Warum willst du das wissen?" Als hätte er nur auf diese Frage gewartet wies Miya sofort mit einer Hand auf das schwarze Ungetüm im hinteren Teil des recht großen Zimmers. "Bring mir bitte Klavierspielen bei." Das kam nun völlig unerwartet für den Solokünstler, und er sah verwirrt zwischen Miya und dem Piano hin und her. "Du… du willst Klavierspielen lernen? Ausgerechnet jetzt? Ihr steckt doch gerade mitten in den Aufnahmen für euer neues Album, hast du da für so etwas überhaupt Zeit?" Miya's Nervosität war nun gänzlich verschwunden, nachdem er endlich die Frage über die Lippen gebracht hatte die ihm schon seit dem Tag auf der Zunge lag, an dem er dieses Zimmer zum ersten Mal betreten hatte um Gackt etwas von seinem Zeug ins Krankenhaus zu bringen, und er sah den Sänger nun wieder vollkommen ruhig an. "Das ist kein Problem. Ich würde ja nicht ständig vorbeikommen, nur manchmal gegen Abend und auch nur wenn du Zeit und Lust hast. Ich will mich echt nicht aufdrängeln, sag einfach 'Nein' wenn es dich stört." Da schüttelte Gackt sofort den Kopf. "Ach Unsinn, ich hätte absolut nichts dagegen. Also wenn du das mit der Arbeit unter einen Hut bekommst… Aber denkst du nicht es wäre besser, bei einem richtigen Lehrer Unterricht zu nehmen? Der könnte dir das bestimmt besser beibringen als ich…" "Da könnte ich ja gleich zu meiner Mutter gehen, die ist nämlich Musiklehrerin. Aber auf sowas hab ich keine Lust, außerdem hat sie mir in meiner Kindheit schon einiges beigebracht, wir würden also nicht bei Null anfangen. Damals hab ich mich dagegen gewehrt weil ich viel lieber Schlagzeug spielen wollte, aber ich bereue inzwischen dass ich mich so stur gestellt habe." Bei diesen Worten lächelte der andere. "Da haben wir etwas gemeinsam. Meine Eltern haben mich schon als kleines Kind regelrecht dazu gezwungen, es zu lernen, ich hatte gar keine andere Wahl. Wahrscheinlich habe ich es deshalb so gehasst, und ich habe meine Eltern dafür gehasst, aber mittlerweile liebe ich das Klavierspielen und bin ihnen dankbar, auch wenn ihre Methode nicht gerade pädagogisch wertvoll war." Miya schlürfte lautstark seinen Tee, dann setzte er die Tasse wieder ab und grinste. "Na dann kann ich ja nur hoffen dass ihr Sohnemann nicht diese drastischen Lehrmethoden übernimmt und mir immer mit einem Bambusstock auf die Finger haut, wenn ich mich verspiele." Da erschien auf Gackt's Gesicht ebenfalls ein Grinsen, allerdings ein unheilvolles und fast schon diabolisches. "Ich schätze es gibt für dich nur einen Weg, um das herauszufinden…" Kapitel 5: ----------- ~5~ Miya musste sich zum Glück keine Metallhandschuhe kaufen, denn Gackt war ein sehr guter und geduldiger Lehrer. Seine Geduld wurde sowieso nicht gerade auf eine harte Probe gestellt, denn der Gitarrist und angehende Pianist war ein ebenso begabter wie ausdauernder Schüler, weshalb sie ziemlich schnell vorankamen. Nur eine Sache machte Miya zu schaffen. "Ich fürchte Tatsurou hatte mit seinen ständigen Witzeleien nicht ganz Unrecht…" meinte er nachdenklich als die beiden am dritten Abend ihres Unterrichts in der Küche saßen und sich bei einer Tasse Kaffee eine kleine Pause gönnten. Der andere sah ihn verwirrt an. "Was meinst du?" "Meine Finger." "Was ist denn mit ihnen?" "Sie sind zu kurz." Da konnte Gackt sich das Kichern nicht verkneifen, wofür Miya ihn mit einem mörderischen Blick strafte. "Lach nicht, das ist nicht witzig. Beim Gitarrespielen stört es kaum, aber beim Klavier muss man viel weiter auseinandergreifen können, und damit hab ich echt Probleme, wie dir bestimmt nicht entgangen ist." Sich vom Kichern zu einem einfachen Schmunzeln zwingend sah Gackt den grummelnden Leader an. "Es stimmt zwar dass du mit deinen Händen nicht unbedingt an Meisterschaften teilnehmen könntest, aber darum geht es dir ja meines Wissens nach auch gar nicht. Für deine Zwecke reicht die Spannweite deiner Finger völlig aus, glaub mir." Zweifelnd blickte Miya auf seine Hände und murmelte "Na ich weiß ja nicht…" woraufhin Gackt ihn gespielt beleidigt ansah. "Hey, wenn ich das sage stimmt es auch. Oder vertraust du deinem Sensei etwa nicht?" "Doch, aber-" "Nix aber! Wenn Kinder auf einem Klavier spielen können, dann kannst du das auch." "Willst du damit sagen dass ich Kinderhände habe?" "...Wärst du mir sehr böse wenn ich jetzt 'Ja' sage?" "Jupp." "Dann nicht." "Weise Entscheidung. Aber sag mal..." "Hm?" Gackt nahm einen Schluck und sah Miya dabei über den Rand der Tasse aufmerksam an. Der Gitarrist hatte seinen Kaffee bereits ausgetrunken und schob das leere Tongefäß nun über die Tischplatte von einer Hand zur anderen und wieder zurück. Das hatte er so ähnlich auch schon getan bevor er Gackt gebeten hatte, ihn zu unterrichten, also schien ihn etwas zu beschäftigen. Endlich machte er den Mund auf. "Also ich… ich will ja nicht neugierig sein aber… warum wohnst du eigentlich in so einer normalen 2-Zimmer-Wohnung? Du könntest dir doch locker eine größere leisten, oder gleich ein Haus. Ich weiß dass es unhöflich ist, sowas zu fragen, aber ich hab mich ziemlich gewundert als ich zum ersten Mal herkam…" Miya befürchtete offenbar dass Gackt ihm seine Frage übelnehmen könnte, doch er irrte sich denn der Sänger lächelte. "Stimmt, ich könnte mir gut und gerne mehrere Häuser leisten, aber ich wohne allein, was soll ich da mit einem großen Haus? Außerdem bin ich faul und habe keine Lust, mein Bett erst nach einem halben Kilometer Fußmarsch zu erreichen. Und wenn du mal darüber nachdenkst, dann siehst du bestimmt ein dass so eine unscheinbare kleine Wohnung noch einen entscheidenden Vorteil hat." "Und der wäre?" wollte Miya wissen und der andere grinste wieder. "Niemand erwartet es. Verstehst du? Meine Fans und die Presse denken alle dass ich in einer riesigen Luxusvilla irgendwo außerhalb von Tokyo lebe. So etwas in der Art scheinst du ja auch erwartet zu haben. Und so hab ich hier meine Ruhe. Ich hab mir sogar bei meinem Auftritt in der HeyHeyHey-Show im Januar den Spaß erlaubt, die Leute mal so richtig schön zu verarschen." Bei der Erinnerung daran leuchteten die Augen des Sängers und er sah in diesem Moment aus wie ein glücklicher kleiner Junge, dem ein Streich gelungen war. Das machte Miya neugierig und er fragte, was Gackt denn getan hatte. "Ich habe, weil ich wusste dass man mich in der Show auf meine Behausung ansprechen würde, kurz davor eine ziemlich extravagante Villa für einen Tag gemietet und mich von… jemandem dort fotografieren lassen. Unter anderem in einem großen begehbaren Kleiderschrank, auf einem riesigen Bett und in einer überdimensionalen Badewanne. Und… Hey, ich hatte was an!" stellte er sofort klar als Miya bei der Erwähnung des Bettes und der Wanne große Augen bekommen hatte. "Na jedenfalls waren die alle ziemlich beeindruckt von den Bildern und haben mir die Story echt abgekauft. Es ist ja sowas von einfach, die Leute an der Nase herumzuführen, die glauben wirklich alles." Miya nickte bei diesen Worten zustimmend, überlegte aber dabei ob er nicht auch auf Gackt's Trick hereingefallen wäre. 'Wahrscheinlich schon…' Auf einmal wurde ihm seine Tasse aus der Hand genommen und zusammen mit der anderen in die Spülmaschine geräumt, dann drehte der Lehrer sich zu seinem Schüler um. "So, genug geredet, wir wollen ja heute noch was schaffen. Also hopp hopp, ins Schlafzimmer mit dir." Gehorsam stand Miya auf und trottete aus der Küche, schon wieder über die zuletzt gelernte Klavierpassage grübelnd. Die Doppeldeutigkeit von Gackt's Worten war ihm total entgangen. **** Es war inzwischen drei Wochen her dass Gackt das Krankenhaus verlassen hatte, und ihm ging es so gut wie schon lange nicht mehr, was zum größten Teil an Miya's Gesellschaft und seiner lockeren und manchmal amüsant sarkastischen Art lag. Sie verbrachten auch über die Klavierstunden hinaus Zeit miteinander, hauptsächlich um über Musik zu quatschen oder mit ihren Gitarren einfach zu improvisieren. Gackt kam den anderen mittlerweile auch in dessen Wohnung besuchen und hatte sich sofort mit dem kleinen Gizmo angefreundet, der immer ganz begeistert war wenn an den Klamotten des Sängers der Geruch von Belle haftete. Miya vernachlässigte in diesen Wochen zwar nicht seine Arbeit an dem neuen Album, aber er war nicht wie früher immer der erste und letzte im Studio und überließ es auch öfters mal seinen Kollegen, ihre Parts ohne sein Beisein einzuspielen oder die Feineinstellungen vorzunehmen. Die drei wussten schließlich auch wie das funktionierte, es war ja bereits ihr sechstes Album, und es würde ihnen nicht schaden ein bisschen mehr Verantwortung zu übernehmen. Vielleicht würden sie sich dann endlich mehr auf die Musik konzentrieren anstatt sich ständig gegenseitig zu verkloppen während er die ganze Arbeit machte. Sonderlich begeistert waren seine Freunde davon zwar nicht, doch meist hielten sie den Mund und regten sich erst darüber auf, wenn der Leader weg war. Und Yukke und Satochi, die die Hilfe ihres musikalischen Leittieres am schmerzlichsten vermissten, überzeugten Tatsurou schließlich davon, Miya einen Besuch abzustatten und ihm ins Gewissen zu reden. So stand ihr mutiger Held noch am Abend des gleichen Tages vor der Tür des Gitarristen und klingelte. Ein wenig nervös war er aber schon, weshalb der Sänger ganz leise ein Mantra aufsagte das ihm vor Konfrontationen mit Miya immer half: "Er ist klein, er kann dir nichts tun. Er ist klein, er kann dir nichts tun. Er ist klein, er kann-" Tatsurou klappte den Mund schnell zu als die Tür geöffnet wurde und der gefürchtete Leader ihn irritiert anschaute. "Nanu, was machst du denn hier? Waren wir verabredet?" Sein Kollege zwang sich zu einem selbstsicheren Grinsen und wollte gerade etwas sagen, da ging auf einmal im Hintergrund die Badtür auf und eine dritte Person erschien auf der Bildfläche. "Hey Miya, ich hab eine Idee für-" Der Mann blieb stehen und starrte Tatsurou überrascht an, der seinen Blick um einiges geschockter erwiderte. Halluzinierte er oder stand da tatsächlich Gackt in Miya's Flur? Tatsurou verspürte das starke Verlangen, sich die Augen zu reiben, ließ es aber sein da sich die vermeintliche Fata Morgana wieder in Bewegung setzte und auf sie zukam. "Hi, ich bin Gackt. Freut mich." stellte er sich lächelnd vor und überzeugte den Jüngeren davon, dass es sich bei ihm tatsächlich um den berühmten Solokünstler handelte. "Tatsurou. Freut mich auch." brachte der andere mühsam über die Lippen, dann sah er Miya fragend an. "Sag bloß ihr kennt euch." Der Gitarrist verdrehte die Augen. "Nö, er war nur zufällig in der Gegend und hat an einer x-beliebigen Tür geklingelt und gefragt, ob er mal aufs Klo kann… Natürlich kennen wir uns, baka." "Nenn mich nicht so du Zwerg!" erwiderte Tatsurou, der durch diese Beleidigung wieder etwas zu seiner alten Form zurückgefunden hatte, gereizt und Miya grinste überlegen. "Dann benimm dich doch nicht wie einer." Schmollend verschränkte der Sänger die Arme vor der Brust und funkelte seinen Freund missmutig an. "Hast du kurz Zeit? Ich muss mit dir reden." Auch Miya's Blick verfinsterte sich etwas. "Kann das nicht bis morgen warten? Du siehst doch dass ich gerade Besuch habe." brummte er, doch Gackt, der nicht wollte dass sich die beiden wegen ihm in die Haare kriegten, meldete sich eilig zu Wort. "Ist doch kein Problem, ich geh einfach eine Runde mit Gizmo spazieren. Wird ja wohl keine Ewigkeit dauern." Und schon hatte er sich die Leine vom Haken neben der Tür geschnappt und rief nach dem Hund, der auch sofort brav angetrabt kam. "Also… wenn dir das nichts ausmacht…" meinte Miya etwas unsicher, woraufhin Gackt den Kopf schüttelte während er Gizmo anleinte. "Ach, überhaupt nicht. Außerdem wollte ich mir sowieso mal den Park hier in der Nähe anschauen, von dem du mir erzählt hast, also lasst euch ruhig Zeit. Bis dann!" Gackt verabschiedete sich auch noch kurz von Tatsurou, der das ganze bis dahin schweigend verfolgt hatte und auch jetzt nicht mehr als ein leises "Tschüß" herausbrachte, und war im nächsten Moment auch schon mit Gizmo zur Tür raus. Kaum war Tatsurou sich sicher dass der andere Sänger außer Hörweite war, da fand er seine Stimme und sein Temperament wieder. "Seit wann bist du denn mit DEM befreundet??" verlangte er lautstark Auskunft und Miya hätte ihn am liebsten sofort wieder rausgeworfen. Aber er beherrschte sich und antwortete "Nicht dass dich das etwas angehen würde, aber… seit ein paar Wochen." Da weiteten sich die Augen des anderen. "Jetzt erzähl mir aber nicht dass ER der Grund dafür ist, dass du nicht mehr so lange im Studio rumhängst wie früher!" "Gut, dann erzähl ich es dir eben nicht." erwiderte Miya schulterzuckend und schaute Tatsurou gleichgültig an, dem die Wut deutlich ins Gesicht geschrieben stand. "Das kann ja wohl nicht wahr sein! Es ist dir nicht mal unangenehm dass du deine Band wegen so einem Möchtegern-Musiker im Stich lässt?" Bei diesen Worten platzte auch Miya der Kragen. "Hey, hör auf ihn zu beleidigen! Du kennst ihn überhaupt nicht, also bilde dir nicht vorschnell ein Urteil, er hat nämlich um einiges mehr drauf als ihr! Sonst wärt ihr auch ohne mich nicht so hilflos, denn ich nehme mal stark an dass du deswegen hier bist! Hab ich Recht? Na?" Tatsurou presste die Lippen aufeinander und atmete tief durch. Er wusste dass er Gackt gegenüber unfair gewesen war, aber es machte ihn einfach wütend dass Miya's Bekanntschaft mit ihm dem Gitarristen offenbar wichtiger war als die Aufnahmen für das neue Album. Dass das so nicht ganz stimmte, denn sie waren ja fast fertig und Miya hatte trotz allem wieder den Hauptanteil der Arbeit geleistet, verdrängte er für den Augenblick. "Wir sind ohne dich nicht hilflos, aber wir vermissen den Miya der uns ständig angetrieben und im Studio festgehalten hat und das beste aus uns herausholen wollte." erklärte er ruhig und hoffte auf ein Einsehen des Leaders, doch dieser schüttelte langsam den Kopf. "Nein Tatsurou, ihr vermisst den Miya der euch immer die ganze Arbeit abgenommen hat. Aber komm erst mal mit und setz dich hin, dann reden wir darüber. In Ordnung?" Der Sänger nickte und folgte seinem Freund, der es gewohnt war dass Tatsurou seine Schuhe nicht auszog, ins Wohnzimmer. Eine halbe Stunde später kam Gackt zurück und fand Miya allein in der Wohnung vor, Tatsurou war gerade gegangen. "Er schien ja echt ganz schön schockiert darüber zu sein, mich hier zu sehen." meinte der Sänger als er sich neben den anderen auf die Couch setzte. "Kann ich ihm ehrlich gesagt auch nicht verübeln, du gehörst nicht unbedingt zu meinem typischen Bekanntenkreis." war die Reaktion des Gitarristen und Gackt zog die Augenbrauen zusammen. "Bin ich denn so anders als deine übrigen Freunde?" hakte er leicht angesäuert nach und Miya hob beschwichtigend die Hände. "Du nicht, aber dein Ruf. Du hast ja selbst gesagt dass die meisten Menschen ein falsches Bild von dir haben und alles glauben, was sie sehen und hören, und da sind meine Kollegen nun mal keine Ausnahme. Ich hab dich ja auch anders eingeschätzt als du in Wirklichkeit bist." Gackt nickte bei diesen Worten langsam, dann wandte er sich mit einer anderen Frage an seinen Freund. "Hat Tatsurou eigentlich gefragt, wie wir uns kennengelernt haben?" "Ja, hat er." "Und was hast du gesagt?" "Ich hab ihm erzählt dass wir uns vor einer Weile in einem Lokal über den Weg gelaufen und ins Gespräch gekommen sind. Im Prinzip stimmt das ja auch." "Ja, in groben Zügen." "Wären dir die Details lieber gewesen?" "Nein, natürlich nicht." "Na siehst du. Außerdem, so wie ich Tatsurou kenne telefoniert er in diesem Moment schon eifrig mit Satochi oder Yukke und erzählt ihnen alles brühwarm." Und Miya sollte Recht behalten, denn dass die beiden Musiker Bescheid wussten sah er ihnen schon an, als er am nächsten Tag das Studio betrat. Tatsurou war nicht da weil keine Gesangsaufnahmen für ihn anstanden. Und das war auch gut so, denn die geballte Ladung seiner Kollegen hätte Miya wohl nicht verkraftet, der Bassist und der Drummer reichten schon. Yukke war übertrieben freundlich und gesprächig und gab sich die größte Mühe, so zu tun als sei alles wie immer (nur um daran kläglich zu scheitern), und Satochi musterte Miya die ganze Zeit eindringlich um festzustellen, ob der Einfluss dieses ominösen neuen Freundes bereits sichtbare Spuren hinterlassen hatte. Schließlich hatte der Gitarrist die Nase gestrichen voll von dem Theater. "Ja, Herrgott nochmal, ich bin mit Gackt befreundet! Na und?" entfuhr es ihm ohne jede Vorwarnung und die anderen beiden blinzelten ihn überrascht an. "Wir haben doch gar nichts gesagt." meinte Yukke vorsichtig und der Gitarrist schnaubte genervt. "Das ist auch gar nicht nötig, euer Verhalten spricht Bände! Ich versteh einfach nicht was euer Problem ist! Er ist doch ein ganz normaler Mensch, also warum ist es so unvorstellbar dass ich gut mit ihm klarkomme? Kann mir das bitte mal einer erklären?!" Der Jüngste wollte sich sofort herausreden, doch Satochi machte noch vor ihm den Mund auf. "Aber wenn er so normal ist, warum hast du uns dann nicht schon eher gesagt dass ihr euch kennt? Oder wäre es dir unangenehm gewesen, wenn wir das gewusst hätten?" "Seit wann bin ich denn dazu verpflichtet, euch zu sagen mit wem ich mich anfreunde? Ich verlange das doch auch nicht von euch, aus dem einfachen Grund weil es mich nichts angeht und auch absolut nicht interessiert! Es ist ja schon lächerlich dass wir überhaupt darüber reden müssen!" entgegnete Miya und sah seine Kollegen verärgert an, die ihrerseits verlegen die Köpfe senkten. "Du hast ja Recht... es kam nur so unerwartet... ausgerechnet Gackt... der ist doch bestimmt schwul oder so..." murmelte Satochi leise und der Gitarrist rieb sich die Stirn. "Jetzt fang bitte nicht mit dem Scheiß an... Ich hab keine Ahnung wie er da tickt, aber das ist ja auch völlig egal. Unser Stylist ist doch auch schwul, und gegen den hast du doch nichts, oder?" Das verneinte der Drummer und Miya nickte zufrieden. "Na also. Können wir jetzt weitermachen oder habt ihr sonst noch irgendwelche Fragen oder Probleme?" Da meldete sich Yukke endlich zu Wort. "Denkst du... denkst du dass wir ihn auch mögen könnten?" fragte er zögernd und der Leader schmunzelte plötzlich. "Na, mein lieber Yukke, bei dir wäre ich mir da ehrlich gesagt nicht ganz sicher. Er hat nämlich 'ne Katze." Anm.: Ja ja, Mr. Pottschnitt mag keine Miezen! o.Ô **** Ein paar Tage später stieg Miya die Stufen zu Gackt's Wohnung hinauf und dankte dabei Gott und der Welt für die Erfindung von Kopfschmerztabletten. Die Mitglieder von MUCC hatten gestern das Album rechtzeitig fertiggestellt und am Abend in einer großen Runde darauf angestoßen, und wie zu erwarten gewesen war hatte sich die Feier zu einem ziemlichen Saufgelage entwickelt. Der Gitarrist hatte zwar nicht ganz so oft zur Bierflasche gegriffen wie seine Kollegen, aber die Menge war trotzdem ausreichend gewesen um ihn erst gegen Mittag und mit einem heftigen Kater erwachen zu lassen. Zum Glück hatte er sich mit Gackt erst für den Abend verabredet, doch Miya war fest davon überzeugt dass er trotz Aspirin auch jetzt noch nicht zu Meisterleistungen am Klavier fähig sein würde. Aber deswegen abzusagen kam ihm nicht in den Sinn, er freute sich den Sänger wiederzusehen, vor dessen Tür er in diesem Moment stehen blieb. Kaum hatte Miya geklingelt, da wurde sie auch schon aufgerissen und ein freudestrahlender Gackt stand ihm gegenüber. "Wir bekommen ein Baby!!" "Wie bitte?" "Ich war vorhin beim Tierarzt! Belle ist tatsächlich schwanger!" "Das heißt trächtig*." "Ist doch egal wie es heißt! Stell dir nur mal vor wie die Babys-" "Welpen." "Klugscheißer… Freust du dich denn nicht? Du wirst Papa!" "Wenn überhaupt, dann Opa, und irgendwie fühle ich mich noch nicht so alt." "…Du machst mich fertig…" Mit hängendem Kopf machte Gackt auf dem Absatz kehrt und schlurfte zurück ins Wohnzimmer, Miya trat währenddessen grinsend in den Flur und zog sich die Schuhe aus. Dann folgte er dem Älteren und sein erster Weg führte ihn auch gleich zu Belle's Körbchen. Sie hatte anscheinend keine große Lust, extra aufzustehen um ihn zu begrüßen, also beugte er sich zu der Hundedame hinunter und streichelte ihr über den Rücken. "Na du zukünftiges Fleischbällchen, herzlichen Glückwunsch. Da kann ich ja von nun an immer Gizmo mitbringen, jetzt müssen wir ja nicht mehr auf euch beide aufpassen." Bei dieser Bemerkung schaute Gackt, der mit verschränkten Armen und der festen Absicht, eingeschnappt zu sein, auf der Couch saß, hinüber zu seinem Gast. "Eigentlich keine schlechte Idee, ich hab jedenfalls nichts dagegen. Vielleicht bringt er Belle ja dazu, sich wieder ein bisschen mehr zu bewegen, sie liegt nämlich seit ein paar Tagen nur noch faul rum. Beim Gassigehen muss ich sie regelrecht hinter mir herschleifen." murrte er und Miya setzte sich schmunzelnd neben ihn. "Also wenn Gizmo hier auftaucht wird die Kleine blitzschnell wieder auf ihren kurzen Beinchen sein, das garantiere ich dir. Und sei es auch nur, um vor seinen männlichen Trieben wegzurennen."Da musste Gackt lachen. "Wohl eher wegzurollen, der Arzt hat nämlich gesagt dass ihr Bauch ab der fünften Schwang- ähm, ich meine ab der fünften Trächtigkeitswoche deutlich runder werden wird." Amüsiert darüber, dass Gackt sich noch schnell selbst korrigiert hatte, sah Miya ihn grinsend an. "Dann kann es wirklich nicht mehr lange dauern, ist ja schließlich fast genau fünf Wochen her. Wie lange dauert die Tragezeit bei Hunden eigentlich?" Bei dieser Frage hob Gackt eine Augenbraue und musterte den anderen kritisch. "Ach, sieh mal an. Ich dachte du bist hier der Experte wenn's um Tiere geht." Dann wandte er sich wieder ab und streckte die Nase in die Höhe. "Ist ja niedlich, er schmollt..." meinte Miya belustigt und der Sänger zog eine Schnute. "Ich schmolle nicht. Und um deine Frage zu beantworten, Hündinnen sind nur zwei Monate trächtig. Das heißt die Hälfte ist schon geschafft." "Aha. Und wie geht es dann weiter?" "…Wie jetzt? Muss ich dir etwa noch erklären wie so eine Geburt abläuft, oder was?" "Das meine ich doch nicht. Aber hast du dir schon mal überlegt was danach mit den Welpen passieren soll?" "Du meinst ob ich sie abgeben oder behalten werde?" "Genau. Behalten wäre bestimmt keine gute Idee, für so viele Hunde hast du einfach nicht genug Zeit wenn du wieder anfängst zu arbeiten." "Du könntest mir ja welche abnehmen." "Falls du es vergessen haben solltest, ich bin selbst nicht oft zu Hause." "Na schön, mach ich eben Erziehungsurlaub bis sie groß genug sind und geb sie dann zur Welpenvermittlung." "Da müssen sich deine Fans aber ganz schön gedulden, bis sie wieder was neues von dir zu hören bekommen." "Ja, aber das macht nichts. Ich lasse mich nicht mehr unter Druck setzen, weder von anderen noch von mir selbst. Diese Einsicht habe ich einem guten Freund zu verdanken." *extra für dich, Susu!^^ Anm.: Sorry dass die anderen 3 Muccies in diesem Kapitel relativ schlecht weggekommen sind, aber es wäre doch langweilig wenn alles reibungslos und ohne Konflikt oder Diskussion ablaufen würde... *nick* Kapitel 6: ----------- Weil von euch so fleißig kommentiert wurde, gibt's das neue Kapitel schon etwas eher!^^ Übrigens lasse ich mich für meine FFs oft von Videos der jeweiligen Bands/Musiker inspirieren und übernehme manchmal auch was. Die Idee mit dem Klavierunterricht kam mir wegen diesem Video http://www.youtube.com/watch?v=1zhPP2ZrZvM und das mit Gackt's Villa-Verarsche hab ich mir auch nicht selbst ausgedacht, die Fotos hat er wirklich in dieser Show gezeigt!^^ --> http://youtube.com/watch?v=8aU8GwUqpBs (ab 1:00 - 1:20) ~6~ Miya hatte seine Drohung wahrgemacht und Gizmo zu ihrem nächsten Treffen mitgenommen. Das Wiedersehen verlief noch stürmischer als erwartet, und ihre Besitzer überlegten schon ob sie die beiden Hunde nicht doch lieber wieder trennen sollten, aber nachdem sich die erste Aufregung gelegt und Belle keine Lust mehr zum Herumtoben hatte, kehrte wieder Ruhe ein. Gizmo legte sich brav neben das Körbchen seiner Herzensdame und bewachte sie, und Gackt kam bei diesem süßen Anblick gar nicht mehr aus dem Grinsen heraus. Auch der Gitarrist fand das Verhalten der beiden Tiere niedlich, hätte das aber natürlich nie zugegeben. Später machte Miya den Vorschlag, zum Gassigehen in einen kleinen abgelegenen Park am Stadtrand zu fahren, weil er wusste dass dort kaum Leute hingingen und die Wahrscheinlichkeit geringer war, erkannt zu werden. Außerdem würden sie die Hunde nicht anleinen müssen, und so machten sich die vier kurz darauf in Gackt's Wagen auf den Weg dorthin. Tatsächlich waren zu dieser fortgeschrittenen Stunde, obwohl es noch hell war, auf den ersten Blick keine anderen Menschen zu sehen, daher behielten sie die Leinen in der Hand und ließen Belle und Gizmo frei herumlaufen. Und während die beiden kreuz und quer über die Wiesen rasten, gingen ihre Besitzer ein Stück und setzten sich schließlich auf eine der Parkbänke. Da fiel Miya auf dass Gackt ein breites Grinsen auf den Lippen hatte und sah ihn überrascht an. "Was ist denn mit dir los? Du siehst aus als hättest du 'nen Kleiderbügel im Mund." Der Sänger kicherte und schüttelte leicht den Kopf. "Mir ist nur eben aufgefallen dass wir beide mit den Hunden für Außenstehende wohl gerade wie eine glückliche kleine Familie aussehen würden." "Na dann ist es ja gut dass keiner hier ist." "Wieso, hast du Angst für die Frau gehalten zu werden?" "Geht's noch? Wenn hier einer die Frau ist, dann ja wohl du!" "Nein du!" "Nein du!" "Nein du!" "..." Mit einem leisen Grummeln verschränkte der Leader die Arme vor der Brust und schwieg, was bei Gackt ein noch breiteres Grinsen auslöste. Es amüsierte ihn dass Miya auch ab und zu mal albern sein konnte, aber damit nie so lange durchhielt wie der Sänger, obwohl dieser älter war. Zufrieden streckte Gackt sich und beobachtete Belle und Gizmo beim spielen, bis sein Banknachbar die angenehme Stille durchbrach. "Wäre es okay für dich, wenn ich in den nächsten drei Wochen ein wenig öfter zum Klavierspielen vorbeikäme? Danach geht nämlich die Promotion für unser neues Album los, und du weißt ja selbst dass dann kaum noch Zeit für andere Sachen bleibt." Der Sänger machte bei dieser Frage ein ernstes Gesicht und schien angestrengt zu überlegen. Als er nach einer Minute noch immer nicht geantwortet hatte stieß Miya ihm ganz leicht einen Ellbogen in die Rippen. "Jetzt mach's nicht so spannend. Ja oder nein?" Da verdrehte Gackt die Augen und grinste wieder. "Natürlich ist das okay, frag doch nicht so blöd. Außer dir besucht mich doch eh keiner, und wenn ich nicht nebenbei noch an ein paar neuen Songs schreiben würde, dann wäre ich vor lauter Langeweile schon längst krepiert." Er sagte dies zwar in einem ganz lockeren Tonfall, doch Miya's anfängliches Lächeln verschwand trotzdem sofort aus seinem Gesicht und er schaute betrübt zu Boden. "Ich versteh das einfach nicht. Du willst mir doch wohl nicht ernsthaft einreden dass du außer mir keine Freunde hast." Zu seiner großen Erleichterung schüttelte Gackt den Kopf. "Nein, so ist es ja auch nicht. Die Leute aus meiner Band sind meine Freunde, aber die sind zur Zeit nicht in Tokyo, deshalb konnten sie mich auch nicht im Krankenhaus besuchen kommen. Wir hatten in den letzten Monaten ja fast ununterbrochen gearbeitet und machen jetzt erst mal eine längere Pause um uns zu erholen. Außerdem haben alle bis auf You noch Nebenprojekte, an denen sie weiterarbeiten wollen. Ich glaube Chacha ist in Amerika wegen Aufnahmen zu einem Album, Ju-ken macht irgendwo auf Hokkaidō Urlaub, und wo Ryuichi und Igao stecken weiß ich nicht." "Na und was ist mit diesem You? Hätte der dich nicht besuchen können?" hakte Miya sofort nach. Er war normalerweise nicht besonders neugierig, aber dass Gackt ständig allein war machte ihm Sorgen. Dieser sah plötzlich sehr traurig aus, fast so wie damals im Krankenhaus. "Wir... wir hatten uns kurz davor ziemlich heftig gestritten und ich wollte nicht, dass er vorbeikommt." Verwirrt und auch ein kleines bisschen wütend sah der Gitarrist ihn an. "Aber in so einer Situation vergibt man sich doch selbst den schlimmsten Streit, ihr seid doch trotzdem Freunde!" So einfach schien es aber dann doch nicht zu sein, denn Gackt zögerte kurz und erwiderte dann leise "Miya… der Streit mit You war der Grund, weshalb ich mich umbringen wollte…" Ein ebenso leises "Oh…" war alles, was der geschockte Gitarrist über die Lippen brachte, dann schwiegen die beiden einen Moment. Gackt war der erste, der den Mund wieder aufmachte. "Ich weiß es klingt merkwürdig dass ich mir wegen einem Streit mit einem Freund das Leben nehmen wollte, aber-" "Schon gut, du musst es mir nicht erzählen." fiel Miya ihm eilig ins Wort und legte dem Älteren – er wusste selbst nicht so richtig, warum - einen Am um die Schulter. Doch der Sänger sah ihn an und zwang sich zu einem kleinen Lächeln. "Ich würde aber gerne. Vielleicht tut es mir wirklich ganz gut, endlich mit jemandem darüber zu reden. Natürlich nur wenn es dir nichts ausmacht." Sein Gegenüber schüttelte als Antwort langsam den Kopf, und so sprach Gackt, den Blick in den Himmel gerichtet, weiter. "You war bis zu diesem Tag mein bester Freund, und wenn mich damals jemand nach meinem Seelenverwandten gefragt hätte, dann hätte ich ohne zu Überlegen seinen Namen genannt. Wir kennen uns schon viele Jahre und es gab praktisch keinen Menschen in meinem Leben, der mir wichtiger war, nicht einmal meine Eltern oder meine Schwester, so merkwürdig das auch sein mag. Ich weiß nicht ob du auch mal so einen guten Freund hattest und das ein wenig nachvollziehen kannst, aber du kannst dir sicher vorstellen dass es wie ein Schlag ins Gesicht war, als er mir von einem Tag auf den anderen... die Freundschaft gekündigt hat. Einfach so, ohne Vorwarnung. Dabei war die Freundschaft mit ihm für mich immer der Grund, nicht zu verzweifeln wenn ich total gestresst oder wegen meiner Karriere oder anderen Dingen unzufrieden war. Verstehst du? Er war so etwas wie mein Rettungsring. Und als er plötzlich nicht mehr da war ist alles – also Stress, Wut, Trauer, Verzweiflung, Enttäuschung und Einsamkeit - über mir zusammengebrochen und hat mich schließlich dahin geführt, wo du mich gefunden hast." "Eine Restauranttoilette..." meinte Miya daraufhin ganz nüchtern und Gackt fing an zu lachen. Er war dem Gitarristen so unglaublich dankbar dafür, diesen Moment durch seinen trockenen Humor nicht in peinlichem Schweigen versinken zu lassen, dass er ihn am liebsten umarmt hätte. Doch das verkniff er sich, sah Miya stattdessen einfach nur an und grinste. "Tja, ich schätze man trifft gerade die interessantesten Menschen an den ungewöhnlichsten Orten." Auch Miya, dessen Arm immer noch auf Gackt's Schulter lag, lächelte wieder und nickte. "Da hast du wohl nicht ganz Unrecht... Und wie sieht es jetzt aus? Glaubst du dass du damit klarkommen wirst, wenn ihr wieder aufeinander trefft? Immerhin arbeitet ihr ja noch zusammen." Da zuckte Gackt gelassen mit den Schultern. "Am Anfang wird es sicher unangenehm sein, aber das wird sich mit der Zeit schon legen. Und inzwischen hänge ich auch nicht mehr so an ihm und habe eingesehen, dass es noch andere wichtige Menschen in meinem Leben gibt." Ein spitzbübisches Grinsen schlich sich bei diesen Worten auf Miya's Gesicht und er fragte übertrieben scheinheilig "Aha, und wer wäre das?", woraufhin der andere einen Finger an den Mund legte und laut nachdachte. "Na zum Beispiel meine Mutter, mein Vater, meine Schwester, meine Nachbarin, der Hausmeister, der Blumenverkäufer um die Ecke, die-" Ein leichter Schlag gegen seinen Oberarm unterbrach Gackt's Aufzählung und er sah hinüber zu Miya, der seinen Blick gespielt beleidigt erwiderte. Da grinste der Sänger und zwinkerte seinem Freund zu. "Und du natürlich." "Das wollte ich hören. Und du Heimlichtuer hast also an neuen Songs gebastelt, ohne mir davon zu erzählen?!" "Jupp. Ein paar sind gar nicht so schlecht, möchte ich mal behaupten. Wenn du willst spiele ich sie dir nachher vor." "Sehr gern." Damit standen die beiden auf und machten sich auf die Suche nach ihren Hunden, die vermutlich gerade in irgend einem Gebüsch Dinge taten, die Miya und Gackt gar nicht so genau wissen wollten. **** Zwei Tage später betrat der Leader das Hauptgebäude von Danger Crue Records, der Plattenfirma bei der MUCC unter Vertrag standen, um mit den anderen Mitgliedern der Band und ihrem Manager die bevorstehende Promotion zu besprechen. Als er die Tür zum Konferenzraum öffnete waren Tatsurou, Yukke und Satochi schon da und warfen ihm merkwürdige Blicke zu, die Miya nicht deuten konnte. "Ist was passiert?" erkundigte er sich ohne weitere Begrüßung, dann erst bemerkte er die Zeitung in Tatsurou's Händen, die dieser gleich darauf vor ihn auf den Tisch warf. "Das sollten wir wohl eher dich fragen." meinte der Sänger und deutete auf das große Bild der Titelseite. Bei näherem Hinsehen erkannt Miya die beiden Personen und seine Augen weiteten sich vor Überraschung. Abgebildet waren er und Gackt auf der Bank im Park, und zwar genau zu der Zeit in der Miya seinen Arm um den Sänger gelegt hatte. Das Foto war etwas schief und ließ darauf schließen, dass es von keinem Profi geschossen worden war, aber man konnte sie dennoch eindeutig erkennen. Die Überschrift lautete "Das neue Traumpaar der Musikszene?" Fassungslos schaute der Gitarrist wieder hoch in die Gesichter der anderen. "Ihr glaubt doch wohl nicht den Mist, der hier steht, oder?" Da verschränkte Satochi die Arme und sah ihn abschätzend an. "Sollten wir denn?" Bei diesen Worten stieg in Miya Wut hoch, doch er beherrschte sich mühsam und hielt ihren eindringlichen Blicken stand. "Glaubt doch was ihr wollt." "Selbst wenn es nicht stimmt, was da steht, haben wir jetzt ein Problem." meldete Tatsurou sich wieder zu Wort. "Ich habe gleich gewusst dass der Kerl Ärger machen würde, aber du wolltest davon ja nichts wi-" Auf einmal knallte Miya's Hand auf die Tischplatte und brachte den Sänger sofort zum Schweigen. Zornig funkelte sein Gegenüber ihn an. "Bevor du weiter über Gackt herziehst würde ich dich bitten, mir zu erklären was GENAU wir jetzt für ein Problem haben. Und wie kommst du eigentlich darauf, IHM dafür die Schuld in die Schuhe zu schieben? Wenn ich mich nicht irre ist das MEIN Arm auf SEINER Schulter, und er hat mich nicht dazu gezwungen, falls ihr ihm das auch noch unterstellen wollt." Tatsurou machte den Mund auf, um etwas zu erwidern, doch dabei blieb es auch. Er wusste zum ersten Mal seit langem nicht, was er sagen sollte, denn im Grunde hatte der Leader ja Recht. Sie waren von Anfang an davon ausgegangen, dass Gackt der Ursprung allen Übels und Miya sein armes Opfer war, doch so ganz schien ihre Theorie nicht zu stimmen. Das sahen auch die anderen beiden ein, aber Yukke war der einzige der sich bei Miya entschuldigte, obwohl gerade er bis jetzt nichts gegen Gackt gesagt hatte. Satochi seufzte leise und wies mit dem Kopf zur Tür. "Was das Problem ist wird dir unser Manager sagen, er hat gemeint dass wir dich zu ihm schicken sollen wenn du kommst." Der Gitarrist verdrehte die Augen und kam sich langsam wirklich vor wie ihm Affenhaus. Wortlos machte er kehrt und ging zur Tür, doch als er sie schon geöffnet hatte blieb er stehen und sah noch einmal zurück zu seinen Freunden. "Ihr mögt jetzt vielleicht enttäuscht von mir sein, aber ich bin es auch von euch. Und glaubt mir, ich bin der einzige von uns der auch einen Grund dazu hat." Damit verließ er das Zimmer um sich ihrem Manager zu stellen. Zehn Minuten später hatte er auch das hinter sich gebracht und ging erst einmal hinaus, um eine Zigarette zu rauchen. Dabei zog er sein Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer, die er schon längst auswendig kannte. "Hallo?" "Ich bin's, Miya. Hast du's schon gelesen?" "Nicht direkt, mein Manager hat mich vorhin angerufen und es mir vorgelesen. Und das Foto beschrieben." "Ich nehme mal an, dass er nicht besonders begeistert davon war." "Stimmt, war er wirklich nicht. Und deiner?" "Von dem hab ich mir gerade 'nen ziemlichen Anschiss abholen dürfen, weil das keine gute Publicity vor der Veröffentlichung des neuen Albums wäre. Ich glaub einfach nicht dass die sich alle so darüber aufregen." "Tja, es gab eben schon lange keine Schlagzeilen mehr über mich, da ist eine Umarmung von einem anderen Mann natürlich ein gefundenes Fressen für diese Aasgeier." "Von wegen Umarmung, das war doch nur mein Arm auf deiner Schulter! Rein freundschaftlich!" "Brauchst du mir nicht sagen, ich war dabei. Aber ich hab's dir doch gesagt, die Leute glauben alles was sie sehen und hören. Oder eben das was sie sehen und hören wollen..." "Aber selbst wenn diese Behauptungen stimmen würden, hätte trotzdem niemand das Recht darüber zu schreiben und zu urteilen." "Willkommen in der Realität, mein Freund." "...Hier gefällt es mir nicht, ich will wieder zurück in meine glückliche kleine Fantasiewelt, wo die Menschen noch Hirn im Schädel haben." "Sag Bescheid wenn es los geht, ich komme gern mit." "Bist du mir eigentlich böse?" "Weswegen denn?" "Na weil ich gesagt habe, der Park wäre ziemlich verlassen und wir hätten unsere Ruhe..." "Ach Unsinn! Du kannst doch nichts dafür wenn ein paar Spaziergänger meinen, unbedingt wild in der Gegend herumfotografieren zu müssen! Außerdem bin ich solche Geschichten über mein Privatleben schon gewöhnt, es tut mir nur um euch leid. MUCC wurden, soweit ich weiß, bisher ja nie von der Presse belästigt, und das Timing ist wirklich ungünstig..." "Mir ist es eigentlich egal, was unser Manager oder die Presse sagt. Die Fans, die unsere Band wegen der Musik mögen, werden sich das neue Album so oder so kaufen, und alle anderen können mich mal gern haben. Und, bleibt es dabei dass ich später noch vorbeikommen kann?" "Klar, ich bezieh schon mal das Bett neu." "Sehr witzig." "Ich weiß. Also bis dann, okay?" "Ja, bis dann." **** Auch in den folgenden Tagen rissen die Diskussionen über das Foto und Miya's Beziehung zu Gackt nicht ab, und es kam häufiger vor dass dem Gitarristen von Bekannten oder Mitarbeitern des Labels verstohlene Blicke zugeworfen wurden. Doch er gab sich alle Mühe, dies zu ignorieren, auch wenn es ihm oft schwer fiel. Aus Trotz bestand er darauf, mit den Hunden nur noch in diesen Park zu gehen, und Gackt hatte auch eingewilligt, aber insgeheim machte der Solokünstler sich Vorwürfe. Er wusste genau dass Miya die ganze Sache nicht so kalt ließ wie er vorgab, und dass er es nur herunterspielte um seinen Freund nicht zu belasten. Dieses schlechte Gewissen, der Wunsch dass Miya wieder seine Ruhe hatte, und noch etwas anderes brachten ihn daher zu einem Entschluss. Und den teilte er dem Gitarristen mit, als sie nach einer Klavierstunde mal wieder in eben jenem Park saßen, in dem der ganze Schlamassel angefangen hatte. Miya hatte gerade die Augen geschlossen und ließ sich die warme Frühlingssonne ins Gesicht scheinen, da wurde er von Gackt angestupst und sah ihn fragend an. "Ich muss mit dir reden..." meinte dieser leise und der Jüngere zog eine Augenbraue hoch. "Dann tu's doch." Daraufhin herrschte allerdings erst ein paar Sekunden lang Schweigen zwischen den beiden, bis Gackt sich endlich dazu durchrang den Mund wieder aufzumachen. "Also ich... versteh das jetzt bitte nicht falsch, ich bin dir wirklich unendlich dankbar für alles, was du für mich getan hast, und ich schätze unsere Freundschaft sehr, aber... auch wenn das jetzt abgedroschen klingen mag... es wäre besser wenn wir uns nicht mehr sehen würden." Der Schreck war Miya deutlich anzusehen. "Warum... warum sagst du das?" "Naja, du weißt doch dass ich mich wegen meinem Streit mit You umbringen wollte…" "Ja..." "Ich habe dir aber nicht gesagt, warum wir uns gestritten haben. Der Grund war dass er fremdgegangen ist und mich dann verlassen hat. Verstehst du? Wir waren zu der Zeit zusammen." Miya atmete auf als er das hörte. Na wenn es weiter nichts war. Dass Gackt sich nicht - oder nicht nur - für Frauen interessierte war ihm egal. "Na und? Es stört mich nicht dass du bi oder schwul bist." erwiderte er deshalb und hoffte dass das Thema damit erledigt war, doch das Glück war nicht auf seiner Seite, denn der andere sah ihn mit einem traurigen Lächeln an. "Und stört es dich auch nicht dass ich mich in dich verliebt habe?" Es dauerte einen Moment bis Miya begriffen hatte, dass die Worte seines Freundes keine Einbildung waren, dann wurde er schlagartig rot und sah verlegen zu Boden. "Das... also ich... es kommt schon etwas plötzlich... sehr plötzlich... aber ich denke dass ich damit umgehen kann. Jedenfalls-" er schaute wieder auf und in Gackt's Augen, "ist das kein Grund für mich, nicht mehr mit dir befreundet zu sein." Der Sänger erwiderte seinen Blick nachdenklich und sagte erst einmal nichts, stattdessen legte er Miya ohne Vorwarnung eine Hand aufs Knie und der Gitarrist zuckte etwas zurück. Wieder lächelte Gackt ihn traurig an. "Siehst du, es stört dich. Ich nehm dir das auch nicht übel, mir würde es an deiner Stelle ganz genauso gehen." Doch bei diesen Worten schüttelte der Gitarrist entschieden den Kopf und sah den Älteren nun wieder etwas sicherer an. "Jetzt übertreib mal nicht gleich, ich hätte auf deine Aktion auch nicht viel anders reagiert, wenn du mir das nicht gerade gesagt hättest. Gib mir einfach ein bisschen Zeit, mich an den Gedanken zu gewöhnen, dann geht das schon." "Ganz schön egoistisch, und dabei hast du mir dasselbe auch mal vorgeworfen." entgegnete Gackt da unerwartet ernst. "Was ist denn bitteschön mit mir? Denkst du es wäre leicht für mich, ständig Zeit mit dir zu verbringen, wenn ich so für dich empfinde? Könntest du einfach mit einer Frau normal befreundet sein, die du liebst?" Miya öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch der Sänger ignorierte das und redete weiter. "Selbst wenn du das könntest, ich kann es nicht. Deshalb ist es besser, jetzt im Guten auseinanderzugehen als später im Streit. Bitte glaub nicht dass mir das hier leicht fällt, aber ich bin mir sicher dass es das Beste für uns beide ist. Ich muss mich nicht quälen, und du musst dich nicht zusammenreißen." Betrübt sah Miya zur Seite und faltete die Hände in seinem Schoß. "Du scheinst dir das ja wirklich gut überlegt zu haben und fest entschlossen zu sein. Dagegen kann ich wohl nichts mehr tun... und zwingen kann ich dich auch nicht, also... war's das dann wohl." Er konnte noch gar nicht richtig glauben, dass das hier wirklich gerade passierte und er Gackt heute wahrscheinlich zum letzten Mal sah, doch dieser gab sich alle Mühe um ihn von der bitteren Realität zu überzeugen, denn er rief plötzlich nach den beiden auf der Wiese liegenden Hunden und stand auf. "Wir sollten jetzt gehen." meinte er nur leise, dann machte sich der Sänger auf den Weg zu Miya's Wagen, ohne auf den anderen zu warten. Schweren Herzens erhob sich auch dieser nach ein paar Sekunden und trottete Gackt hinterher. Auf der Fahrt zu dessen Wohnung sagten beide kein Wort, und zum ersten Mal, seit sie sich kannten, war die Stille bedrückend und unangenehm. Sogar Belle und Gizmo, die auf dem Rücksitz lagen, spürten dass etwas nicht in Ordnung war, denn als der Gitarrist nach ihrer Rückkehr die Tür öffnete und die Hundedame herausließ, da winselte Gizmo sein Herrchen leise an. Und als Miya den kleinen Hund streicheln wollte, leckte dieser ihm tröstend die Hand. "Ich hab dich auch lieb." murmelte der junge Mann und fuhr Gizmo sanft über den Rücken, dann machte er die Wagentür wieder zu und schlurfte hinüber zum Haus. Verwirrt sah Gackt ihm hinterher. "Äh... hey Miya, ich dachte wir wären uns einig dass-" Bei dem müden und resignierten Blick, den ihm der Angesprochene zuwarf, klappte er den Mund sofort wieder zu und schluckte schwer. Er hatte sich fest vorgenommen, stark zu bleiben bis der andere weg war, doch es fiel ihm von Sekunde zu Sekunde schwerer, seinen Entschluss nicht zu bereuen. "Meine Jacke hängt noch bei dir im Flur, die wollte ich nur schnell holen." erklärte Miya ruhig, stieg dann die Treppe zu Gackt's Wohnung hinauf und wartete oben geduldig, bis dieser mit Belle nachgekommen war und die Tür aufgeschlossen hatte. Wenige Augenblicke später stand er mit seiner Jacke unterm Arm vor dem Sänger, und keiner wusste so richtig was er sagen sollte. Schließlich räusperte Miya sich und streckte Gackt eine Hand entgegen. "Na dann... alles Gute." Mit großer Mühe schluckte der andere den Kloß in seinem Hals hinunter, erwiderte die Geste und schüttelte langsam Miya's kalte Hand. Er wollte nicht loslassen, er wollte sie mit beiden Händen ergreifen und wärmen, er wollte Miya in seine Arme ziehen und fast alles zurücknehmen, was er vorhin gesagt hatte... doch er tat es nicht. Stattdessen erwiderte Gackt mit belegter Stimme "Das wünsche ich dir auch." Ein kurzes Nicken war das letzte, was er von dem Gitarristen sah, dann drehte dieser sich um und verließ die Wohnung, in der sie so oft miteinander musiziert, geredet und gelacht hatten. Gackt schloss die Tür hinter ihm, lehnte sich dann dagegen und ließ endlich den Tränen, die er schon die ganze Zeit zurückgehalten hatte, freien Lauf. War er nun ein Held... oder ein Idiot? Anm.: So, jetzt ist es raus. Ich weiß, der Grund für seinen Selbstmordversuch ist nicht gerade einfallsreich, aber naja... *mit Schultern zuck* Und? Seid ihr jetzt alle auch ganz doll traurig wie die beiden? (ó_ò) Kapitel 7: ----------- ~7~ Vier Tage. So lange hatte er Gackt nicht mehr gesehen. Und Miya konnte kaum fassen, wie sehr er den anderen bereits vermisste. War das normal? Lag es vielleicht einfach an der Gewissheit, dass aus diesen vier Tagen irgendwann vier Wochen, dann vier Monate und schließlich vier Jahre werden würden? Er wusste es nicht und wollte auch gar nicht weiter darüber nachdenken. Doch was sein Kopf sagte war seinem Herzen offenbar vollkommen gleichgültig, denn es schmerzte weiter und ließ ihn nachts kaum schlafen und auch sonst nicht zur Ruhe kommen. Der Gedanke daran, dass er Gackt nicht mehr einfach so besuchen und mit ihm reden konnte, wenn ihm danach war, ließ den Gitarristen nicht mehr los. Aber warum? Warum traf es ihn so hart dass er denjenigen, der ihm noch vor wenigen Monaten total egal gewesen war, nicht mehr sehen konnte? Sicher, sie waren schnell zu guten Freunden geworden, aber… trotzdem… es war merkwürdig. Und sehr unangenehm. Dennoch bereute er keine Sekunde lang, dem Sänger begegnet zu sein. Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet Miya in diesem Moment, dass es Zeit für einen Spaziergang mit Gizmo war. Dieser lag dicht an ihn geschmiegt auf der Couch und gab sich schon seit besagtem Tag alle Mühe, sein trauriges Herrchen mit seiner Gesellschaft aufzumuntern, folgte ihm auf Schritt und Tritt und hatte sich zu einem wahren Kuschelmonster entwickelt. Und jedes Mal, wenn Miya in der Küche oder im Wohnzimmer saß und einfach gedankenverloren vor sich hinstarrte, winselte oder bellte die kleine Fledermaus ihn so lange an bis er ihr seine Aufmerksamkeit schenkte und darüber wenigstens für kurze Zeit seine Sorgen vergaß. Es war richtig rührend, und Miya war unglaublich froh und dankbar darüber, Gizmo bei sich zu haben. Zur Belohnung ging er mit seinem Hund länger vor die Tür als früher, dehnte ihre Spaziergänge aus und ließ ihn herumtoben, anstatt wie sonst nur eine kleine Runde zu drehen und danach sofort wieder nach Hause, ins Studio oder zu Terminen zu eilen. Allerdings machte er sich die Mühe, dafür extra in den abgelegenen Park zu fahren, in den sie immer mit Gackt und Belle gegangen waren. Er war ja auch früher öfters mal hingefahren, weil ihm die Ruhe so gefiel, und es erschien ihm sehr unwahrscheinlich, dort auf den anderen Musiker zu treffen. Also schnappte er sich auch jetzt die Leine und seinen Schlüsselbund und machte sich zusammen mit Gizmo auf den Weg. Zwanzig Minuten später verewigte dieser sich bereits an dem ersten Baum und sprintete anschließend im Zick-Zack über die Wiesen, während Miya ihm gemächlich folgte. Wie er erwartet hatte war weit und breit niemand zu sehen, also konnte er den Hund frei herumlaufen lassen. Und Gizmo entfernte sich sowieso nie allzu weit von ihm, daher musste er ihn nicht ständig im Auge behalten. So schlenderte der Gitarrist langsam den Weg entlang, und trotz des schönen und sonnigen Wetters verfinsterten sich seine Gedanken erneut. Er wusste selbst nicht warum er sich zweimal täglich damit quälte, in diesen Park zu kommen, ihre Bank zu sehen und sich an die vielen Gespräche zu erinnern, die sie darauf geführt hatten. Miya setzte sich auch nie sondern ging immer daran vorbei, aber sein Herz wog trotzdem jedes Mal doppelt so schwer wie vorher. Auch heute war da keine Ausnahme, doch zum Trübsal blasen blieb ihm diesmal nicht so viel Zeit wie sonst, denn er wurde von einer plötzlichen Erscheinung abgelenkt und hielt überrascht den Atem an. Der Gitarrist vermutete stark dass es nur wenige Dackel in Tokyo gab, und garantiert noch sehr viel weniger kugelrunde Dackeldamen, die auch noch ohne zu zögern und mit lautem Begrüßungsbellen auf ihn zuhoppeln würden. Also kam er unweigerlich zu dem Schluss, dass diese kleine Murmel da tatsächlich Belle war. Und auf einmal war sein Kopf völlig leer. Vernünftige Gedanken wie 'Wo eine Belle ist, kann ein Gackt nicht weit sein.' oder 'Er wollte mich doch nicht mehr sehen!' prallten an einer unsichtbaren Mauer ab und verschwanden im Nirgendwo, und in diesem Moment zählte nur das Gefühl, das er schon seit vier Tagen entbehren musste. Freude. Er freute sich, Belle zu sehen. Und dieser schien es nicht anders zu gehen, denn mittlerweile war sie bei Miya angelangt und vollführte trotz dickem Bauch wahre Luftsprünge. Um sie davon abzuhalten hockte er sich hin und wuschelte die trächtige Hündin erst einmal kräftig durch, doch dann hielt er inne, denn eine vertraute Stimme drang durch das laute Kläffen an sein Ohr. "Belle, komm-" Diese zwei Worte genügten um seinen Kopf hochschnellen zu lassen, und was er sah war Gackt, der an einer nahen Wegbiegung stand und ihn geschockt anstarrte. Auch bei dem Sänger schien sich der Verstand auf unbestimmte Zeit verabschiedet zu haben, denn er bewegte sich in den folgenden Sekunden keinen Zentimeter und brachte auch kein Wort über die Lippen. Sie hätten sich wahrscheinlich noch eine ganze Weile weiter stumm angeglotzt, doch die lautstarke Ankunft des vierten Mitgliedes der kleinen Gruppe riss sie aus ihrem Trance. Gizmo hatte Belle gehört und kam mit Lichtgeschwindigkeit angesaust, rannte seine Herzensdame dabei fast über den Haufen. Und dann ging das Bellen und Anspringen erst richtig los. Amüsiert beobachtete Miya das aufgeregte Treiben der beiden Hunde, doch schließlich wanderte sein Blick wieder hinüber zu Gackt, der noch immer wie angewurzelt dastand, nun aber seine Schuhe genauer betrachtete. Das klitzekleine Lächeln auf Miya's Mund erstarb. "Du freust dich, im Gegensatz zu den beiden, offensichtlich nicht besonders über unser Wiedersehen, stimmt's? " Als hätten diese Worte ihm Leben eingehaucht, setzte der Ältere sich endlich in Bewegung und kam langsam auf ihn zu. "Das sollte dich eigentlich nicht besonders wundern." erwiderte er und blieb in einem Sicherheitsabstand von zwei Metern stehen. Miya seufzte kaum hörbar und senkte den Blick. "Hätte ja sein können, dass du es dir doch noch mal anders überlegst." Da sah Gackt ihn nachdenklich an. "Bist du deshalb hier? Um mich davon zu überzeugen, dass wir doch weiter miteinander befreundet sein könnten?" Empört über diese Unterstellung blickte Miya wieder auf und in die Augen seines Gegenübers. "Bild' dir mal nicht zu viel ein. Ich bin nicht deinetwegen hier, ich dachte du gehst mit Belle wieder in den Park in deiner Nähe. Aber wenn du willst komme ich nicht mehr her." "Nein, schon gut, ich werde nicht mehr herkommen." beeilte Gackt sich mit der Antwort, dann sah er etwas verlegen zu Boden als er merkte dass Miya ihn anstarrte. "Das ist so albern…" stöhnte dieser schließlich und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. "Ich kann ja verstehen dass du dich in meiner Gegenwart unwohl fühlst, aber deswegen müssen wir doch nicht voreinander flüchten und alles daran setzen, uns niemals wiederzusehen! Du wirst mich nicht vergessen wenn du ständig daran denkst, wie du mir am besten aus dem Weg gehen kannst!" Die Worte sprudelten nur so aus dem Gitarristen heraus, und seine Stimme hatte mittlerweile einen schon fast verzweifelt klingenden Ton angenommen. Doch der andere erwiderte erst einmal gar nichts, sondern presste die Lippen aufeinander und schaute Miya einfach nur an, der seinem traurigen Blick tapfer standhielt. Dann öffnete Gackt den Mund und flüsterte "Ich werde dich so oder so nie vergessen… und du weißt auch ganz genau, warum." Bei diesen Worten konnte der Gitarrist seinem Gegenüber nun doch nicht mehr in die Augen sehen, und Gackt fühlte sich in seiner Annahme bestätigt dass es Miya unangenehm war, von ihm geliebt zu werden. "Aber du hast Recht," fuhr er mit festerer Stimme fort, "es wäre ziemlich kindisch, jedes Mal schreiend wegzulaufen oder mich zu verstecken wenn ich dich sehe. Das war dumm von mir, entschuldige. Ich muss jetzt weiter." Beide wussten dass das gelogen war, denn eigentlich hatte er Zeit im Überfluss, doch Miya sagte nichts, nickte nur und sah zu wie Gackt an ihm vorbeiging und dabei nach Belle rief. Die Hündin hörte allerdings nicht auf ihn sondern spielte lieber weiter mit Gizmo, also blieb der Sänger wieder stehen und schaute Miya hilfesuchend an. Gemeinsam gingen sie wortlos hinüber zu den beiden Tieren, und der Gitarrist hielt seinen Hund auf Abstand während Gackt Belle anleinte und dann hinter sich herzog. Sie gab den Widerstand auch bald auf und folgte ihm gehorsam. Nach ein paar Metern machte sich die Hoffnung, es endlich überstanden zu haben, ihn ihm breit, doch dann hörte er Miya plötzlich leise "Gackt" rufen, und ihm fiel auf wie selten der Gitarrist seinen Namen aussprach. Und wie sehr es ihm gefiel, wenn er es tat. Langsam sah er zurück zu dem Jüngeren, der noch immer auf der Wiese hockte und Gizmo festhielt, und wartete. Zu seiner Verwunderung erhellte ein sanftes Lächeln Miya's Gesicht. "Du hast dich geirrt. Ich muss dich gar nicht davon überzeugen, dass wir weiter miteinander befreundet sind. Freundschaft misst man nämlich nicht daran, wie oft man sich sieht oder miteinander spricht, sondern daran, wieviel man einander bedeutet. Also bist du immer noch mein Freund, und daran wirst du auch nichts ändern können." Gackt's gleichgültige Maske verriet nicht, was er bei diesen Worten empfand, und das war auch gut so. Warum musste Miya nur so etwas sagen? Gerade dann, als Gackt es fast geschafft hatte! Bis zum Parkplatz hätte er das Ziehen und Stechen in seiner Brust noch ertragen können, wäre erst hinter dem Steuer seines Wagens zusammengesackt und hätte die Kontrolle über seine Gefühle verloren. Doch nun stürzte alles über ihm ein. Abrupt drehte er sich um, ging ohne ein einziges Wort an den Gitarristen zu richten, und ließ diesen enttäuscht und verletzt zurück. Dabei wollte er doch nur nicht, dass Miya die Tränen in seinen Augen sah. **** Sie hatten ihren Leader wieder. Von einem Tag auf den anderen war Miya zurück zu dem arbeitswütigen Sklaventreiber mutiert, den seine drei Bandkollegen so vermisst hatten, übernahm so gut wie alle Aufgaben, kümmerte sich um die gesamte noch ausstehende Organisation der Promotion und zukünftiger Liveauftritte selbst und war wieder ganz der Alte. So schien es jedenfalls auf den ersten Blick, doch dem geübten Beobachter – und dazu konnten sich Tatsurou, Yukke und Satochi inzwischen ruhigen Gewissens zählen – fiel etwas entscheidendes auf: Es machte ihm keinen Spaß mehr. Er überhäufte sich regelrecht mit Arbeit, sogar noch mehr als früher, doch sie wurden das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte. Dass er mit allen Mitteln versuchte, sich von etwas abzulenken woran er nicht denken wollte. Doch bessere Beobachter zu sein hatte sie – zumindest einen von ihnen – leider nicht gerade einfühlsamer gemacht… Die Mitglieder von MUCC hatten sich an diesem Tag zur Probe für einen bevorstehenden Liveauftritt getroffen, und aus irgendeinem Grund war Tatsurou diesmal besonders aufgedreht, änderte zum Beispiel beim Singen ab und zu nach Belieben den Text oder sang absichtlich so schief, dass es klang als hätte man einen Kojoten vor das Mikro gesetzt. Oder er hampelte an den Stellen der Songs, bei denen er Pause hatte, wie ein Affe vor Yukke herum und lenkte ihn damit manchmal so sehr ab, dass der Bassist sich aus Versehen verspielte. Und während Satochi, der heute ebenfalls zu viel gute Laune gefrühstückt hatte, sich in solchen Momenten hinter seinem Drumset halb scheckig lachte, waren Miya's Nerven zum Zerreißen gespannt. Doch als verantwortungsbewusster und erfahrener Leader gab er sich alle Mühe, die Ruhe zu bewahren und Tatsurou nicht an den Hals zu springen. Stattdessen versuchte er es mit einem (ziemlich naiven) Appell an dessen Vernunft – sofern der Sänger so etwas überhaupt besaß. "Tatsurou, lass bitte den Quatsch und konzentrier dich endlich." "Aye aye, sir!" "Ich meine es ernst, der Auftritt ist sehr wichtig." "Aye aye, sir!" "Und hör auf mit diesem dämlichen 'Aye aye sir'." "Aye aye, sir!" Er wollte ihn schlagen, er wollte ihn aus dem nicht vorhandenen Fenster schmeißen, er wollte ihn mit seinen Gitarrensaiten erwürgen, an der Lampe aufhängen und als Punching Bag benutzen – doch alles was Miya tat war, sich auf einen Hocker fallen zu lassen, seinen Kopf in beide Hände zu stützen und frustriert zu stöhnen. Und weil Tatsurou anscheinend nicht sehr an seinem Leben hing, setzte er noch einen drauf. "Och du armes Kerlchen, in letzter Zeit bist du immer so traurig und still. Es läuft wohl nicht mehr so toll mit deinem Gackt, hm?" Bei diesen Worten richtete Miya sich sofort wieder auf und starrte den Sänger wütend an. "Halt gefälligst deine blöde Klappe, wenn da heute nur Müll rauskommt! Ich hab es langsam echt satt mit dir!" Noch konnte er sich einigermaßen beherrschen, doch wenn Tatsurou so weitermachte – und das hatte dieser anscheinend vor – konnte Miya für nichts garantieren. "Aha, da hab ich ja voll ins schwarze getroffen!" rief der Jüngere triumphierend und stolzierte auf seinen Leader zu. "Mr. Perfect hat wohl keine Zeit mehr für dich, und deshalb machst du wieder einen auf Workaholic und vergräbst dich in der Arbeit. Hab ich Recht oder hab ich Recht?" Mit halb zusammengekniffenen Augen funkelte Miya, der inzwischen seine Gitarre abgestellt hatte und aufgestanden war, seinen Gegenüber bedrohlich an. "Du hast gleich ein paar Zähne weniger in deiner vorlauten Fresse, und glaub mir, das meine ich todernst! Also halt endlich den Rand!" Doch selbst diese für den Älteren sehr ungewöhnliche Ausdrucksweise reichte Tatsurou nicht als Warnzeichen. Nur Yukke, der den halb zornigen und halb verzweifelten Blick seines Freundes ernst nahm, versuchte zwischen den beiden zu schlichten. "Hey Tatsurou, das reicht jetzt aber wirklich. Lass Miya in Ruhe, du siehst doch dass ihm das Thema zu schaffen macht." "Alles was ich sehe ist ein kleines Häufchen Elend, das vor irgendwas davonläuft. Und vor so jemandem hab ich keinen Respekt. Geh nach Hause, verkriech dich in dein Bett und heul dir dort die Augen aus, bis du den Typ endlich vergessen hast und-" Weiter kam der Sänger jedoch nicht, denn Miya hatte ihn blitzschnell mit einer Hand am Kragen gepackt und ganz nah an sein Gesicht herangezogen. Satochi ließ vor Schreck seine Sticks fallen, Yukke hielt die Luft an und Tatsurou kniff in Erwartung eines Schlages die Augen zu, doch als dieser auch nach ein paar Sekunden nicht kam öffnete er sie langsam wieder und starrte in die fast schwarzen Iriden des Gitarristen. Er konnte spüren wie der Ältere vor Anspannung zitterte, wie unregelmäßig sein Atem ging und wie stark sich die Hand in seinem Shirt verkrampfte, und zum ersten Mal an diesem Tag tat ihm sein Verhalten leid. Nicht weil er sich um sein Gesicht sorgte, sondern weil ihm in diesem Moment bewußt wurde dass der Gitarrist wirklich tief in seinem Inneren litt. Doch er kam nicht mehr dazu, eine Entschuldigung oder etwas ähnliches zu äußern, denn Miya zischte leise "Eher vergesse ich dich, du ignoranter Wichser, als dass ich ihn vergesse.", ließ dann von Tatsurou ab und marschierte zur Tür, die er mit einem lauten Knall hinter sich zuschlug. Zwischen den drei zurückgebliebenen Musiker herrschte erst einmal Stille, bis Yukke plötzlich hastig seinen Bass ablegte und ebenfalls zur Tür eilte. Dabei kam er an Tatsurou vorbei und ließ es sich nicht nehmen, dem Sänger in Miya's Namen einen ordentlichen und verdienten Schlag gegen den Oberarm zu verpassen. "Baka..." hörte dieser ihn noch murmeln, dann hatte auch der Bassist den Raum verlassen. Yukke rannte durch die Gänge zum Haupteingang, und als er ins Freie trat entdeckte er Miya gerade noch rechtzeitig, bevor sein Freund um die Ecke des Gebäudes verschwand. Er hatte offenbar nicht die Absicht, seinen Wagen zu nehmen. Der Jüngere sprintete hinter ihm her, und als er Miya fast eingeholt hatte rief er seinen Namen, doch der Gitarrist drehte sich nicht um sondern ging einfach weiter. "Jetzt warte doch bitte mal." versuchte Yukke es erneut als er neben ihm ankam und ebenfalls im Schrittempo weiterlief, dabei riskierte er einen vorsichtigen Blick in das verschlossene Gesicht des anderen. "Tatsurou ist manchmal echt ein Idiot, aber das wissen wir doch schon lange. Nimm es ihm bitte nicht allzu übel, er trägt sein Herz nun mal auf der Zunge und spricht alles, was ihm in den Sinn kommt, auch sofort und schonungslos ehrlich aus." Das einzige was Miya darauf erwiderte war ein geknurrtes "Lass mich in Ruhe.", doch es klang bei weitem nicht so abweisend und gefährlich wie gerade im Proberaum. Es klang eher müde. Yukke versuchte es deshalb mit hartnäckiger Geduld und ging einfach weiter neben dem Leader her, und nachdem sie eine ziemlich lange Strecke schweigend zurückgelegt hatten gab Miya endlich auf und blieb stehen. Da das Gebäude, in dem sie immer probten, nicht im Zentrum der Stadt lag und um diese Zeit die meisten Menschen entweder auf Arbeit oder in der Schule saßen, war außer ihnen kaum jemand auf den Straßen unterwegs, und so ließ er sich kurzentschlossen auf der Bordsteinkante nieder und zündete sich eine Zigarette an. "Kann ich auch eine haben?" fragte Yukke und setzte sich neben ihn, erwartete aber eigentlich keine Reaktion. Doch er hatte sich geirrt, denn Miya hielt ihm wortlos seine Schachtel hin und er nahm sich dankend eine Zigarette und das Feuerzeug daraus. Auch die nächsten Minuten verbrachten sie schweigend Seite an Seite, bis der Bassist sich schließlich doch vorwagte. "Hatte er denn Recht?" "...Was von all dem, was er gesagt hat, meinst du denn genau?" "Na dass du irgendwie Stress mit Gackt hast und dich deshalb in die Arbeit stürzt." "Ich will nicht darüber reden, Yukke." "Darf ich dich dann vielleicht daran erinnern dass du auch noch andere Freunde hast, mich zum Beispiel, die sich um dich sorgen und es dir langsam auch echt übel nehmen, dass du sie immer mehr ignorierst und ausgrenzt?!" "Versuchst du mir gerade ein schlechtes Gewissen einzureden?" "Darauf kannst du wetten! ... Und, klappt es?" "Irgendwie schon..." "Sehr gut. Und jetzt erzähl dem lieben Onkel Yukke endlich mal, was Sache ist. Ich hab bestimmt den einen oder anderen heißen Tipp für dich, wie alles wieder in Ordnung kommt." "Den brauch ich nicht, ich weiß selbst wie alles wieder in Ordnung kommt. Entweder ich treibe jemanden auf, der sich mit Gehirnwäsche auskennt, oder ich werde schwul." Damit hatte Miya es geschafft, Yukke wenigstens für kurze Zeit sprachlos zu machen. Verwirrt starrte der Bassist ihn an. "Wie... wie... häh? Könntest du mir das vielleicht so erklären, dass ich nicht an deinem Geisteszustand zweifeln muss?" Und nach einigem Zögern und Hin- und Herüberlegen erzählte der Gitarrist seinem langjährigen Freund schließlich die ganze Geschichte. Er fing mit ihrer ersten Begegnung an, schilderte wie er Gackt vom Selbstmord abgehalten und ihn jeden Tag im Krankenhaus besucht und sich um seine Tiere gekümmert hatte, wie sie sich angefreundet und zusammen Klavier gespielt hatten, sogar dass Belle von Gizmo Nachwuchs erwartete ließ er nicht aus. Dann kam Miya zum schwierigen Teil und erzählte von Gackt's Liebesgeständnis und seinem Entschluss, dass sie sich nicht mehr sehen sollten, und er verschwieg auch nicht wie sehr ihn das mitnahm. Musste er aber eigentlich gar nicht, es war ja vorhin ziemlich offensichtlich gewesen. Yukke unterbrach ihn keine einziges Mal, hörte sich alles mit erstaunter Miene an und legte ihm zum Schluss einen Arm um die Schulter. "Das würde ich an deiner Stelle nicht tun, sonst sind wir morgen 'das neue Traumpaar der Musikszene'." zitierte Miya die Klatschzeitung von damals und Yukke senkte verlegen den Blick, ließ seinen Arm aber, wo er war. "Tut mir leid dass wir dich wegen dem Bild so blöd angemacht haben..." Da lächelte Miya zum ersten Mal seit langem. "Hör auf, dich für andere zu entschuldigen, du hast doch als einziger nichts dazu gesagt. Apropos gesagt... was ich dir gerade erzählt habe bleibt unter uns, okay? Ich habe keine Lust, mir von Tatsurou wieder Schwachsinn anhören zu müssen von wegen was für eine kleine Schwuchtel Gackt doch wäre und dass ich mich bestimmt bei ihm damit angesteckt hätte." Yukke nickte daraufhin und Miya stellte erleichtert fest, dass er sich tatsächlich ein kleines bisschen besser fühlte, nun da er sich endlich jemandem anvertraut hatte. Der Gitarrist übersah dabei völlig, dass ein Nicken noch lange kein Versprechen war... Kapitel 8: ----------- ~8~ Aus den vier Tagen waren mittlerweile tatsächlich mehr als vier Wochen geworden, doch entgegen seiner stillen Hoffnung, dass die kurze Zeit mit Gackt für ihn nach einer Weile an Bedeutung verlieren würde, vermisste Miya ihn nur noch stärker. Und in Tokyo zu leben machte die ganze Sache auch nicht einfacher. Es war ihm früher nie wirklich aufgefallen, aber wenn der Gitarrist jetzt durch die Straßen ging bemerkte er jedes einzelne der aberwitzig vielen Plakate, auf denen der Sänger abgebildet war, und jeden noch so kleinen Reklameschriftzug, der seinen Namen trug. Es schien fast so als versuche die Stadt ihn in den Wahnsinn zu treiben, und es war schon so weit gekommen dass Miya einen weiten Bogen um die große Kreuzung in Shibuya machte, um die riesigen Werbebildschirme nicht sehen zu müssen. Er versuchte sich weiterhin mit seiner Arbeit abzulenken, was allerdings immer seltener gelang, doch wenn er zuhause war fiel ihm dafür vor lauter Langeweile die Decke auf den Kopf. Mit anderen Worten: Würde morgen der Tokyo Tower einstürzen, ein UFO auf der Erde landen oder seine Gitarrensammlung gestohlen werden, wäre Miya das vollkommen egal. Er wollte einfach nur wieder zu Gackt. Doch weiter als bis dahin dachte er nicht. Das einzigst gute zur Zeit war, dass seine Bandkollegen seit dem kleinen Zwischenfall bei der Probe rücksichtsvoller waren und ihn mit dem Thema 'Gackt' in Ruhe ließen. Miya hatte die starke Vermutung dass Yukke seine Klappe doch nicht hatte halten können, aber da die Reaktion der anderen überraschend positiv war nahm er es dem Bassisten nicht weiter übel. Im Moment quälten sich die vier Musiker brüderlich durch ein nicht enden wollendes Interview bei einem Radiosender, und ihre Erleichterung war groß als sich der Moderator endlich für das Gespräch bedankte und den Zuhörern 'Akai Sora' ankündigte. Es war schon Abend als sie den Sender verließen, und obwohl mittlerweile Sommeranfang war verdunkelte sich der Himmel bereits über ihren Köpfen und es wurde kühler. "Dieses dämliche Wetter kann man echt in die Tonne treten, da war es ja im Frühling noch wärmer als jetzt!" beklagte sich Tatsurou mürrisch und zog den Reißverschluß seiner dünnen Jacke hoch, dann stakste er Satochi, Yukke und Miya hinterher. Es war vorher mit ihrem Roadie Kondo, der die Band nicht nur auf Tour sondern auch bei Terminen innerhalb Tokyos begleitete, abgesprochen worden dass er sie mit dem Van nicht direkt vom Sender abholen, sondern ein paar Straßen weiter warten und erst dann zu ihrer Lieblingskneipe fahren sollte, weil Yukke noch unbedingt in einem Musikladen in der Nähe etwas besorgen wollte, das es seiner felsenfesten Überzeugung nach nur dort gab und [Zitat Yukke:] "sonst nirgendwo auf der ganzen großen weiten Welt!" Und nach dem langen Herumsitzen beim Interview kam ihnen allen ein kleiner Fußmarsch ganz recht. Nach der abenteuerlichen Suche nach Yukke's einzigartigem Schatz, der sich als erstes Album der finnischen Band 'The Rasmus' herausstellte, machten sich die vier schließlich wieder auf den Weg zum Ausgang, doch Tatsurou hatte anscheinend damals in Mathematik gut aufgepasst, denn als sie auf die Straße traten bemerkte er dass sie nur noch zu dritt waren. Miya fehlte. Verwundert drehte er sich um und sah durch ein Schaufenster ihren Leader noch immer im Laden stehen und etwas anstarren, das der Sänger aus dieser Entfernung jedoch nicht erkennen konnte. "Hey, wartet mal!" rief er seinen beiden Kollegen noch schnell zu, dann ging er zurück um Miya zu holen und herauszufinden, was diesen da so sehr interessierte. Doch als er neben seinem Freund ankam stellte er resigniert fest, dass er sich das ja hätte denken können. Der Gitarrist stand regungslos vor einem von vielen neben- und übereinander aufgereihten Fernsehern, auf denen gerade ein PV von Gackt lief. Und gerade als Tatsurou beschlossen hatte, den anderen am Kragen seines Shirts zu packen und hinter sich herzuschleifen, sah er dessen Gesicht und überlegte es sich doch noch anders. Miya fixierte mit starrem Blick den Bildschirm während sich seine Zähne in seine Unterlippe gruben, und er wirkte so traurig dass der Jüngere ihm mitleidig eine Hand auf die Schulter legte. "Miya..." Da riss dieser seine Augen von Gackt los und senkte den Kopf. "Ja, ich weiß... ich soll ihn vergessen... ist doch kein Problem..." Mit diesen Worten drehte er sich langsam um, woraufhin Tatsurou's Hand von seiner Schulter glitt, und schlurfte aus dem Geschäft. So hörte er nicht mehr wie der Sänger leise murmelte "Ich wollte eigentlich etwas anderes sagen..." Im Van, den Kondo geschickt durch den dichten Verkehr und den inzwischen begonnenen Regen steuerte, herrschte Schweigen unter ihnen, nur das Autoradio verhinderte eine vollkommene Stille. Alle, auch der Roadie, hatten mitbekommen dass Miya, der neben Tatsurou auf der hinteren Rückbank saß, nicht gut drauf war und dass ihn etwas bedrückte, also hielten sie lieber den Mund. Aber an diesem Tag war das Schicksal offenbar vom Arbeitseifer gepackt worden, wie sonst war es zu erklären dass die piepsige Stimme der Radiomoderatorin plötzlich zuckersüß verkündete "Und als nächstes spielen wir etwas für die Romantiker unter euch! Freut euch auf 'Hoshi no Suna' von Gackt!" Sofort fuhr Miya sich mit einer Hand übers Gesicht und stöhnte leise, was Yukke dazu veranlasste, Kondo zu bitten den Sender zu wechseln, doch noch bevor dieser dazu kam erklangen auch schon die ersten Töne des Liedes. 'Ausgerechnet... warum ausgerechnet ein Klavierintro?' dachte Miya verzweifelt und hoffte inständig, dass ihr Fahrer gleich umschalten und ihm irgend etwas anderes – rockige Gitarrenriffs, Rap, Querflöten, Polka, ganz egal was – in den Ohren dröhnen würde, doch gerade als Kondo die Regler des Radios erreicht hatte durchzuckte es den Gitarristen wie ein Blitz und er rief schnell "Nein warte, lass es bitte an! Ich möchte das hören!" Erstaunt drehten Yukke und Satochi sich zu ihm um, und auch Tatsurou sah Miya verwirrt von der Seite an, aber das war diesem total egal. Für ihn zählte nur eins: Er kannte dieses Lied. Er kannte es sogar sehr gut, immerhin hatte er es oft genug mit Gackt geübt. Damals, als noch alles in Ordnung gewesen war. Doch als nach etwa einer halben Minute der Gesang einsetzte, weiteten sich Miya's Augen und ihm stockte für einen Moment der Atem. Das kannte er noch nicht. ~flashback~ "Ich habe etwas neues zum üben rausgesucht." verkündete Gackt lächelnd, setzte sich neben Miya auf die Klavierbank, die ihnen beiden ausreichend Platz bot, und legte einige handbeschriebene Blätter auf die Notenablage. Der Jüngere betrachtete neugierig die ersten Zeilen um zu prüfen, ob er damit hoffnungslos über- oder vielleicht eher unterfordert war, und befand sie schließlich für angemessen, was er mit einem kleinen Nicken kundtat. Daraufhin begannen sie das Lied, eine wunderschöne Ballade, gemeinsam am Klavier zu spielen, und wenn Miya mal mit einem Griff oder einer bestimmten Passage Schwierigkeiten hatte, dann legte Gackt seine Hände auf die des Gitarristen und führte ihn. So kamen sie schnell voran und Miya beherrschte das Lied bei ihrem nächsten Treffen schon fast perfekt. Als er einmal dabei war, es allein durchzuspielen, begann Gackt neben ihm plötzlich dazu eine Melodie zu summen, und nachdem die letzten Töne verklungen und der Sänger wieder verstummt war, sah sein Banknachbar ihn fragend an. "Sag mal, das Lied hast du doch geschrieben, ne?! Gibt's dazu auch einen Titel und einen Text?" Ein paar Sekunden lang erwiderte Gackt seinen Blick nur nachdenklich und wirkte auf einmal ein bisschen traurig, dann schaute er hinunter auf die schwarzen und weißen Tasten und schüttelte langsam den Kopf. "Nein, gibt es nicht..." ~end flashback~ 'Er hat gelogen... Gackt hat mich angelogen... Es gibt einen Titel, und es gibt auch einen Text.' dachte Miya, sprachlos und enttäuscht darüber dass der Sänger ihm gegenüber nicht ehrlich gewesen war. Aber es musste einen Grund dafür gegeben haben, und den würde er vielleicht jetzt herausfinden, wenn er sich den Text anhörte. Also versuchte Miya so gut es ging, den Gedankenwirrwarr in seinem Kopf zu ignorieren, und konzentrierte sich stattdessen auf Gackt's Stimme. [Anm.: Ich empfehle jedem, das Lied jetzt beim Weiterlesen auch zu hören! Wer es nicht hat: http://www.youtube.com/watch?v=YLi82bEKJko (die Übersetzung dort aber bitte nicht mitlesen)] ~*~ Alles wird still... Unter dem Himmel und der Sonne, die den Körper verbrennt, verschwindest du. Was suchst du noch, umherwandernd? Und ich, ganz allein... ~*~ Ja, genau so fühlte Miya sich auch schon seit Wochen. Allein. Allein unter seinen Bandkollegen und Freuden, allein vor Tausenden von Fans bei Auftritten, allein im Getümmel der Großstadt, die er schon seit Jahren sein Zuhause nannte. Und ihm schien dass es nur eine Person gab, die das ändern konnte. Doch die war, genau wie im Lied, aus seinem Leben verschwunden. Nur nicht aus seinem Kopf... ~*~ Diese müden Augen sind voller Hass. Egal, wie sehr du dich verabscheust, der Schmerz vergeht nicht. Umarme die unendliche Trauer. ~*~ Gackt's Worte sprachen ihn von Zeile zu Zeile mehr an, während Miya blind geradeaus starrte. Er merkte gar nicht dass seine Bandkollegen ihn die ganze Zeit stumm und mitleidig beobachteten, dafür war er zu sehr von dem Gefühl ergriffen, der Sänger würde direkt zu ihm sprechen. Unendliche Trauer... ja, so könnte man es eigentlich nennen. Aber warum fühlte er sich von dieser Strophe so besonders angesprochen? Miya war zwar müde und erschöpft vom vielen Nachdenken beziehungsweise Verdrängen, aber er hasste oder verabscheute sich doch nicht. Weswegen sollte er auch? Falsch hatte er jedenfalls nichts gemacht, oder? ... Oder? ~*~ Ich kann an nichts anderes denken, als an dich. Meine Gefühle für dich sind unverändert. Tiefer, tiefer, auch jetzt... Ja... liebe ich dich. ~*~ Warum klopfte sein Herz bei diesen Worten wie verrückt? Gackt hatte das Lied doch nicht für ihn geschrieben! Trotzdem ertappte Miya sich bei dem Wunsch, dass es so wäre. Dass jemand mehr als nur freundschaftlich an ihn dachte. Dass jemand sich nach ihm sehnte. Dass jemand ihn liebte. Nein, nicht jemand... Aber als Gackt ihm seine Liebe gestanden hatte, warum war Miya's Reaktion da anders gewesen? Warum war er von diesen Worten jetzt nicht mehr so peinlich berührt wie damals im Park? Was hatte sich geändert? Der Gitarrist presste die Lippen aufeinander und schloss seine Augen. Langsam wurde ihm das alles zu viel... ~*~ Selbst dein im hellen Mondlicht geflüsterter Name wird vom Wind fortgetragen. Im Morgengrauen singe ich weiter das Lied, das du mir lächelnd beigebracht hast. Wir zählten die Tränen, die in den Sternenhimmel zurückkehrten. Wie oft hat sich dieser Abend wiederholt. ~*~ Dabei musste er unwillkürlich an ihre Klavierstunden denken, die sich manchmal tatsächlich bis spät in die Nacht hingezogen hatten. Das Üben war aber nicht immer der Grund dafür gewesen, ab und zu hatten sie sich danach auch mal mit einem Glas Rotwein auf die Couch im Wohnzimmer verzogen und noch lange unterhalten. Dabei war die Zeit immer wie im Fluge vergangen, und gerade jetzt in diesem Moment hätte der Gitarrist alles dafür getan, um noch einmal so einen Abend mit Gackt zu erleben und sich endlich mal wieder richtig wohl zu fühlen. Aber daraus würde wohl nichts mehr werden... ~*~ Tiefer, tiefer, auch jetzt... Ja... liebe ich dich. ~*~ Er hatte es noch einmal gesungen, und langsam verstand Miya auch, warum Gackt ihm den Text verschwiegen hatte. Er hatte ihn wahrscheinlich damals schon geliebt und das Lied unbedingt mit ihm teilen wollen, aber von dessen tatsächlicher Bedeutung sollte der Gitarrist nichts wissen. Die letzten Worte hallten in Miya's Kopf wider und wider und wurden ganz allmählich von einer Erkenntnis verdrängt, gegen die sein Unterbewusstsein schon seit langer Zeit beharrlich angekämpft hatte und es selbst jetzt noch verzweifelt versuchte. Langsam öffnete er wieder seine Augen, und ohne es bewusst wahrzunehmen legte er eine Hand über seinen leicht geöffneten Mund und spürte im nächsten Moment etwas feuchtes darauf tropfen. Es waren Tränen. Er weinte. Warum hatte er das nicht eher gemerkt? Und was viel wichtiger war: Warum weinte er überhaupt? Es war doch nur ein Lied! Doch gerade Miya wusste aus eigener Erfahrung am besten, dass Songtexte für manche Menschen oftmals der einzige Weg waren, ihre Gefühle zu offenbaren und zu verarbeiten, und in diesem Fall waren es eben Gackt's Worte und nicht seine eigenen, die aus seinem Herzen sprachen. Aber das... das konnte doch nicht sein... "Miya?" drang es da plötzlich leise und vorsichtig an sein Ohr, und der Gitarrist blinzelte einige Male um wieder in die Realität zurückzufinden, in der ihn Tatsurou, Satochi und Yukke besorgt ansahen. Es war der Sänger gewesen der ihn angesprochen hatte, und so wandte Miya ihm langsam das Gesicht zu, erwiderte aber nichts. Er war nicht sicher ob seine Stimme versagen würde, wenn er den Mund aufmachte, doch Tatsurou erwartete anscheinend auch nichts dergleichen. "Du kannst es leugnen, soviel du willst, aber dass du eurer Freundschaft nach so vielen Wochen noch immer dermaßen nachtrauerst und sogar weinst... das ist nicht mehr normal. Jedenfalls ist das keine normale Freundschaft." meinte er überraschend sanft, was ziemlich untypisch für Tatsurou war, aber auch bestimmt und überzeugt, was nun wieder sehr typisch für ihn war. Verwirrt sah Miya den anderen an. "Ich versteh nicht ganz, was du damit sagen willst..." Da rollte der Sänger mit den Augen, löste seinen Sicherheitsgurt, obwohl sie noch fuhren, und drehte sich ganz zu seinem Freund um. "Stell dich nicht dumm, Yukke hat uns alles erzählt. Und ich denke ich verstehe jetzt was das Problem ist." Keiner von beiden achtete auf den Bassisten, der sich ängstlich hinter seiner Sitzlehne verkroch. "Wie lange hast du ihn jetzt schon nicht mehr gesehen?" wollte Tatsurou wissen und Miya lehnte sich zurück und starrte wieder ins Leere. "Keine Ahnung, ungefähr einen Monat." Bei dieser Antwort blickte der Sänger ihn eindringlich an, räusperte sich schließlich und Miya ließ geschlagen die Schultern hängen. "38 Tage." Tatsurou nickte. "Und wie geht es dir seitdem?" Müde schloss der Gitarrist erneut die Augen. "Beschissen..." "Du liebst ihn." kam es da völlig nüchtern und sachlich von dem Jüngeren, und auch Satochi und Yukke, der sich wieder hervorgewagt hatte, sahen überhaupt nicht überrascht aus, doch Miya schüttelte den Kopf. "Tu ich nicht..." wehrte er sich mit schwacher Stimme während ihm neue Tränen über das blasse Gesicht liefen, und Tatsurou seufzte leise beim Anblick seines sonst so beherrschten Freundes. "Doch das tust du. Und du hast es verdient, glücklich zu sein. Kümmere dich nicht darum was andere sagen werden, oder was ich gesagt habe." Da entfuhr es dem Gitarristen in einem letzten verzweifelten Anflug von Trotz "Aber ich bin nicht schwul!", doch Tatsurou ließ sich davon nicht beeindrucken. "Ich schätze, so etwas wie 'eindeutig hetero' oder 'eindeutig schwul' gibt es nicht. Es kommt nur darauf an, den richtigen Menschen zu treffen. Und ich denke das hast du. Geh zu ihm, Miya." Bei diesen ungewöhnlich einfühlsamen und ehrlichen Worten stutzte der Ältere. Den richtigen Menschen? Konnte das sein? War es im Grunde wirklich völlig egal, ob man als Mann eine Frau oder einen anderen Mann liebte? Hatte er sich letzten Endes die ganze Zeit über selbst im Weg gestanden? Und als ihm dieser Gedanke kam und von Sekunde zu Sekunde plausibler schien, da gab sein Unterbewusstsein den wochenlangen Widerstand auf und seine wahren, bisher unterdrückten Gefühle stürzten mit einem Schlag auf Miya ein, als wäre in seinem Kopf eine Schleuse geöffnet worden. Was der Wahrheit ja auch ziemlich nahe kam. Und jetzt endlich konnte er sie sehen und akzeptieren, die Antwort auf all seine Fragen, die ihm nachts den Schlaf geraubt hatten. Er liebte Gackt. So einfach war das. Und das wussten mit ihm jetzt noch vier andere Menschen. Doch derjenige, den es am meisten betraf, der wusste es nicht. "Kondo, halt sofort an!!" rief Miya plötzlich während sich seine Finger auch schon hastig an seinem Gurt zu schaffen machten, und ein Lächeln erschien auf den Gesichtern seiner Bandkollegen. Er hatte es endlich begriffen. Der Roadie, der alles mitgehört hatte, rief zurück dass es aber wie aus Kübeln regnete und Miya nicht einfach blindlings losrennen sollte, doch dieser zerrte bereits energisch an der Tür des Vans und Kondo gab sich geschlagen. Gegen Liebe kam Vernunft eben nicht an. Also fuhr er an den Straßenrand, und kaum war der Wagen zum Stillstand gekommen, da riss Miya die Tür auf, zwängte sich an Satochi's Sitz vorbei ins Freie, brauchte genau zwei Sekunden um sich zu orientieren, und rannte los. Yukke's Ruf, dass er doch wenigstens seine Jacke anziehen solle, ging im Prasseln des Regens unter. **** Etwa zwanzig Minuten später sprintete Miya, bis auf die Haut durchgeweicht und völlig außer Atem, die Treppe zu Gackt's Wohnung hinauf und den Gang entlang. Er war unterwegs etliche Male bei Rot über die Straße gerannt und sogar zweimal fast angefahren worden, und Fußgänger hatten ihm ärgerlich hinterhergerufen wenn er sie im Gedränge unabsichtlich angerempelt hatte. Aber heute war ihm das alles egal. Für Miya gab es nur ein Ziel, und an dem war er jetzt endlich angelangt. Das Adrenalin in seinem Körper reichte gerade noch aus, um ihn auf den Klingelknopf drücken zu lassen, dann gaben seine überforderten Beine, die einen derartigen Dauerlauf durch die Stadt nicht gewöhnt waren, unter ihm nach und er sackte vor der Tür zusammen und musste sich mit beiden Händen auf dem Boden abstützen, um nicht nach vorn zu kippen. Und so fand Gackt ihn auch vor, als er kurz darauf die Tür öffnete. Zusammengekauert, den Blick starr auf den Boden gerichtet, nach Luft ringend, klatschnass. Und als der Sänger ihm eilig eine von seinen eigenen Jacken über die Schultern warf und sich neben ihn hockte, da merkte er auch wie Miya vor Kälte zitterte. "Um Himmels Willen, was ist denn passiert?" fragte er beim Anblick des vollkommen erschöpften Gitarristen entsetzt und rieb ihm dabei über einen Arm und den Rücken, um ihn etwas zu wärmen. Miya konnte nicht antworten, weil seine Lungen vor Anstrengung höllisch schmerzten und sein Herz anscheinend in seinen Hals gewandert war und dort so stark hämmerte, als würde es jeden Moment zerspringen. Das einzige, was sein Körper ihm noch erlaubte, war, sich gegen Gackt's Oberkörper zu lehnen und weiter zu versuchen, seine Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen. Und als er einigermaßen sicher war, dafür genügend Kraft zu haben, da richtete er sich ein wenig auf, noch immer keuchend und ohne dem anderen in die Augen zu sehen, drehte sich etwas mehr zu ihm und umarmte Gackt. Der Sänger erstarrte für eine kurzen Augenblick, unsicher ob er gerade halluzinierte, doch dann legte er ebenfalls seine Arme um Miya und strich ihm weiter über den Rücken. Es gab schließlich schlimmere Halluzinationen als die, den Gitarristen zu umarmen. "Miya, was ist denn nur los mit dir?" flüsterte er besorgt, bekam aber noch immer keine Antwort, also wartete er weiter darauf dass der Jüngere wieder sprechen konnte. Und nach einer Weile hörte er ganz leise Miya's Stimme. "Im Morgengrauen singe ich weiter das Lied, das du mir lächelnd beigebracht hast. Wir zählten die Tränen, die in den Sternenhimmel zurückkehrten. Wie oft hat sich dieser Abend wiederholt." Er sang die Worte nicht, sondern flüsterte sie, doch Gackt musste die Melodie nicht hören um das Lied zu erkennen, und ihm schnürte sich die Kehle zu. Miya hatte es nun also doch noch gehört und sich sogar den Text gemerkt. Aber was hatte das zu bedeuten? Warum kam er im Regen hergerannt und zitierte 'Hoshi no Suna'? Und warum umarmte er ihn dabei? Doch Gackt's Gedanken wurden unterbrochen als Miya leise weitersprach. "Ich kann an nichts anderes denken, als an dich. Meine Gefühle für dich sind unverändert. Tiefer, tiefer, auch jetzt..." Nach diesen Worten verstummte der Gitarrist wieder und löste sich vorsichtig aus ihrer Umarmung, lehnte sich etwas zurück und zum ersten Mal an diesem Abend trafen sich ihre Blicke. In Gackt's Augen lag Verwirrung, gepaart mit einem Fünkchen Hoffnung, aber auch Angst. Miya's Augen dagegen waren voller Wärme und Zuversicht, und obwohl Gackt langsam den Kopf schüttelte, als Zeichen dafür dass er die nächsten Worte nicht hören wollte, öffnete der Jüngere erneut den Mund und flüsterte sanft "Ja... liebe ich dich." Sein Gegenüber schluckte schwer und schloss die Augen, konnte einfach nicht glauben was hier gerade passierte. Entweder es war ein Traum oder ein schlechter Scherz, aber letzteres traute er dem Gitarristen nicht zu, und so einen realistischen Traum hatte er bisher auch noch nie gehabt. Blieb also nur noch... Plötzlich wurde eine kalte und nasse Hand an seine Wange gelegt, und vor Überraschung riss Gackt seine Augen wieder auf und sah Miya, der nun wieder vollkommen ruhig und gleichmäßig atmete. Und der Gitarrist lächelte. "Du hast richtig gehört... Ich liebe dich. Es hat nur etwas gedauert, bis ich's gemerkt habe." Da hob Gackt eine Augenbraue. "Das nennst du 'etwas'? Es waren über fünf Wochen!" gab er zu bedenken und Miya zog bei diesen Worten eine beleidigte Schnute. "Wäre es dir lieber gewesen, wenn ich es überhaupt nicht gemerkt hätte?" Sofort schüttelte der andere schnell den Kopf und Miya grinste ein bisschen, dann zog etwas anderes seine Aufmerksamkeit auf sich, denn irgend jemand zupfte ganz leicht am Saum seines Hosenbeins. Und als er hinuntersah stellte sich der Übeltäter als winzig kleine Belle-Kopie heraus, die anscheinend Gefallen an seiner Hose gefunden hatte und sie jetzt für sich beanspruchte. Da fiel ihm erst wieder ein, dass die Hündin ja inzwischen Mutter geworden war, und er drehte sich mit großen Augen wieder zu Gackt um. "Das hatte ich ja total vergessen! Wie geht's den Kleinen denn? Und wie viele sind es? Sind alle gesund? Und was ist mit Belle?" Da musste Gackt lachen. "Eins nach dem anderen, das erfährst du alles drinnen im Warmen. Also hoch und rein mit dir!" Damit half er dem noch immer etwas entkräfteten Gitarristen, der sich noch schnell den kleinen neugierigen Ausreißer geschnappt hatte, in die Wohnung und schloss die Tür hinter ihnen. Im Wohnzimmer machte Miya dann noch die flüchtige Bekanntschaft mit vier weiteren niedlichen Welpen und hatte auch kurz Zeit, die ganz aufgeregte Belle zu begrüßen, dann wurde er von Gackt gnadenlos ins Bad geschoben mit der Anweisung, erst einmal heiß zu duschen damit er sich nicht erkältete. Als Miya zehn Minuten später zurückkam, nun in einen großen weißen Bademantel gehüllt, da saß der Ältere auf 'ihrer' Couch und sah den tollpatschigen Welpen amüsiert beim Spielen zu. Ohne zu zögern ging Miya zu ihm hinüber, setzte sich dicht neben Gackt und kuschelte sich an ihn, als wäre es das Normalste auf der Welt. Und der Sänger legte einen Augenblick später erneut einen Arm um ihn und zog Miya noch näher zu sich. Für eine kleine Weile genossen sie einfach schweigend diese angenehme Vertrautheit, an der sich trotz der vergangenen einsamen Wochen nichts geändert hatte, dann wurde Miya aber doch wieder neugierig und fragte, ob es denn sehr anstrengend sei, plötzlich sechs Hunde im Haus zu haben. "Das kannst du laut sagen, außerdem kosten die Kleinen ein halbes Vermögen! Also verlass mich bloß nicht, sonst kriegst du eine dicke fette Unterhaltsklage an den Hals." kam die prompte Antwort und der Gitarrist lächelte. "Keine Sorge, mich wirst du so schnell nicht wieder los." Dann warf er einen kurzen Blick auf den Couchtisch und meinte schmunzelnd "Wo ist der Rotwein?", worauf Gackt mit einem Augenzwinkern erwiderte "Steht schon zusammen mit zwei Gläsern in der Küche." Zufrieden grinsten sich die beiden an, doch während sie sich weiter wortlos in die Augen sahen wurde ihr Grinsen allmählich zu einem sanften Lächeln. Und schließlich, wie in Zeitlupe, legte Miya eine Hand in Gackt's Nacken und zog ihn langsam zu sich. Keine einzige Sekunde lang unterbrachen sie den Blickkontakt während sich ihre Gesichter einander näherten, erst als sie sich schon fast berührten schloss Miya seine Augen und spürte einen Augenblick später die weichen Lippen des Sängers auf seinem Mund. Kurz darauf, als Gackt sich relativ sicher war dass Miya sich an das Gefühl gewöhnt hatte, folgte seine Zunge und bat um Einlass, der ihr ohne Zögern gewährt wurde, und je länger ihr Kuss dauerte, desto mehr kam Miya zu der Überzeugung dass es zumindest in dieser Hinsicht keinen Unterschied zwischen Mann und Frau gab. Dieser erste, noch recht unschuldige Kuss hätte jetzt schön romantisch enden können, er hätte sich aber auch fortsetzen und in leidenschaftlichem Sex gipfeln können, doch es wird bei Spekulationen bleiben, denn auf einmal riss Miya die Augen wieder auf, löste sich ruckartig von Gackt und gab ein überraschtes und ziemlich unmännliches Quietschen von sich. Dieses plötzliche laute Geräusch gefiel dem kleinen Hund, der an der nackten Zehe des Neuankömmlings kaute, offenbar nicht besonders, deshalb ließ er von seiner Beute ab und trollte sich wieder zu seinen Geschwistern. Zurück blieben ein grummelnder Gitarrist und ein herzlich lachender Sänger, der das schmollende weiße Bündel neben sich dann sogleich wieder in seine Arme zog und ihm besänftigend durch die noch feuchten Haare strich. "Ich schätze, der Kleine wird nicht dein neuer bester Freund, hm?" meinte er schmunzelnd und erhielt als Antwort ein sofortiges Nicken, dann sah er Miya dabei zu wie dieser die Hundeschar genauer in Augenschein nahm. "Wie alt sind die Zwerge denn jetzt?" wollte der Jüngere schließlich wissen und Gackt überlegte kurz. "Also Belle hat sie drei Tage nach unserer Begegnung im Park zur Welt gebracht, und mittlerweile sind sie... genau fünf Wochen alt." Miya öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch der andere war schneller. "Ich weiß, ich weiß, es heißt nicht 'zur Welt bringen' sondern 'werfen'." "Das stimmt zwar, aber eigentlich wollte ich nur fragen wie sie heißen." grinste der Gitarrist belustigt und beobachtete dann erstaunt, wie sich Gackt's Wangen leicht rötlich färbten. "Naja... mir schwirrte ehrlich gesagt immer nur dein Name im Kopf rum, deshalb habe ich sie erstmal alle Miya genannt und dann durchnummeriert. Siehst du, das da ist Nummer zwei, der kleine dort drüben ist Miya Nummer drei, Nummer vier ist der mit dem dein Fuß gerade Bekanntschaft gemacht hat, und Nummer fünf und sechs liegen da auf der Decke." Miya's erster Impuls war, dem anderen dafür um den Hals zu fallen und ihn besinnungslos zu küssen, doch im letzten Moment fiel ihm etwas auf dass sein Vorhaben verhinderte. "Eh? Aber warum hast du denn nicht bei Nummer eins angefangen? Oder läuft die hier noch irgendwo rum und ich hab sie nur noch nicht gesehen?" Da lächelte Gackt und lehnte seine Stirn gegen die des verwunderten Gitarristen. "Ach du kleiner baka... meine Nummer eins bist doch du." Ende Waahhh, was für ein schmalziger letzter Satz!!! (>_<) Aber mir ist nix besseres eingefallen... Und endlich haben sie sich! *__* Hoffe dass ich euch mit jedem Kapitel ein bisschen überraschen und neugierig machen konnte, und dass das Ende zufriedenstellend war. Wem's gefallen hat, der kann ja auch mal in meine anderen FFs reinschauen… Vielen lieben Dank für die ganzen Kommis, hätte echt nicht gedacht dass das Pairing so gut ankommt! Ä_Ä Bis zum nächsten Mal, Tattoo Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)