Diener der Nacht von myrys84 ================================================================================ Kapitel 13: Kapitel 13 - Unter Druck ------------------------------------ Kapitel 13 Unter Druck Der November brach trübe und regnerisch an und ein eiskalter Wind wehte. Gabriel kam spät nach Hause. Zurzeit waren er und seine Bandkollegen wieder in NY und tüftelten an einem neuen Album, weshalb er wieder etwas mehr Zeit für sich hatte. Er öffnete die Wohnungstür und rief nach Jérôme. Ein knatschiges Brummen kam aus dem Wohnzimmer, in welchem er den Vampir auf dem Sofa liegend fand. Dieser hatte einen Lappen auf seiner Stirn und dunkle Ringe unter den Augen. "Was ist denn mit dir los?", fragte er besorgt. "Geht’s dir nicht gut?" Ein weiteres Knatschen kam als Antwort. "Verstehe. Soll ich dich in Ruhe lassen?" "Nein, bleib da", antwortete Jérôme schließlich und sah ihn aus halb geöffneten Augen an. "Bin nur müde und hab Kopfschmerzen." "Kopfschmerzen? Du bist ein Vampir, also wieso hast du Kopfschmerzen?", fragte Gabriel irritiert. "Weiß nicht. Ist nicht wirklich so wie Kopfschmerzen, eher so wie ein unterschwelliger Druck, weißt du?", erklärte der Vampir. "Also Migräne?", vermutete der Sänger und setzte sich neben Jérôme aufs Sofa. Ehe er sich versah hatte dieser seinen Kopf in Gabriels Schoß gelegt. "Bedauer mich mal ein bisschen", forderte er schelmisch grinsend während er es sich bequem machte. "Du bist so was von nervig, weißt du das?", meinte der junge Mann halb ernst, streichelte jedoch ein wenig mit den Fingerspitzen durch das weiche blonde Haar. "Irgendwas liegt in der Luft…", murmelte Jérôme ernst. "Und es kommt näher." "Was kommt näher? Du sprichst in Rätseln, mein Freund…" "Keine Ahnung. Es ist so ein ungutes Gefühl. Eine Bedrohung, die unausweichlich auf uns zukommt. Ich spüre es schon seit ein paar Tagen, aber heute ist es besonders schlimm. Ich weiß nicht, was es ist, aber es bedeutet nichts Gutes", erklärte der Vampir. "Mach dir keine Sorgen", versuchte Gabriel, ihn aufzumuntern. "Wir haben schon alles Mögliche durch gestanden. Solange wir zusammenhalten kann uns nichts und niemand was." "Dein Wort in Gottes Ohr", meinte Jérôme sarkastisch. "An den glaubst du doch gar nicht", grinste sein Mitbewohner. "Stimmt", gab der Vampir zu und schloss genießerisch die Augen, denn das Kraulen von Gabriels Fingern in seinem Haar war unheimlich angenehm. Plötzlich klingelte es an der Tür. Gabriel schob Jérôme von seinem Schoß woraufhin der Vampir sofort Protest einlegte. "Hey, nicht aufstehen. Lass doch einfach klingeln. Wenn's wichtig ist, kommt er schon wieder", schmollte er. "Nichts da. Unsere Privatadresse hat niemand außer den Leuten, die es wirklich was angeht. Und die kommen nur, wenn es wichtig ist", widersprach der Musiker und ging zur Tür. Als er sie öffnete erstarrte er. Vor ihm stand ein völlig Fremder. Der Mann lächelte ihn freundlich an und Gabriel fühlte sich für einen ganz kurzen Moment zu ihm hingezogen. Er war groß, schlank und irgendwie attraktiv. Seine Haut wies einen südländischen Ton auf, der durch die halblangen, im Nacken zu einem kleinen Zopf gebundenen schwarzen Haare und die dunkelbraunen Augen noch unterstrichen wurde. Ein feiner, säuberlich ausrasierter Bart umrahmte seinen lächelnden Mund. Er trug einen langen schwarzen Ledermantel, ähnlich wie Jérômes und darunter einen dunkelgrauen Anzug. "Guten Abend, Sir. Was kann ich für Sie tun?", fragte der Sänger nachdem er aus seiner kurzen Erstarrung erwacht war. "Guten Abend. Ich würde gerne mit Jérôme Saint Claire sprechen. Wir sind alte Bekannte", antwortete der Fremde mit einem merkwürdigen Akzent in der angenehm tiefen Stimme. "Moment bitte", antwortete Gabriel. Aus der Tatsache, dass er von ihrer Privatadresse wusste schloss er, dass er ihm wohl glauben konnte, doch irgendetwas hielt ihn davon ab, den Fremden einzulassen, was eigentlich normal gewesen wäre, also rief er in die Wohnung: "Jérôme, du hast Besuch!" "Ich bin nicht da!", kam es aus dem Wohnzimmer zurück. "Hör auf zu schmollen und beweg sofort deinen Arsch her, verstanden?", befahl Gabriel und drehte sich resigniert seufzend zu ihrem Gast um. "Entschuldigen Sie, manchmal braucht er diesen Ton." "Ich weiß", lächelte dieser zurück. "Tun Sie das?", fragte er skeptisch und zog eine Augenbraue hoch. Er konnte sich nicht helfen, doch bei dem Anblick vor sich klingelte irgendwas bei ihm und dieses Klingeln klang sehr nach Alarmglocken. Jérôme kam aus dem Wohnzimmer und schaute an seinem Mitbewohner vorbei zur Tür. Dann zog er scharf den Atem ein und Gabriel sah sein Gesicht für einen kurzen Augenblick entgleisen bevor es ausdruckslos wurde und seine Augen wieder so kalt wie Eis blitzten. "Was willst du hier?", fragte er mit einer Stimme so kalt wie sein Blick. "Na, na, begrüßt man so etwa nach so vielen Jahren alte Freunde?", tadelte ihn der Mann im Türrahmen mit einem überheblichen Lächeln. "Alte Freunde? Dass ich nicht lache! Wir waren nie Freunde, Ibliis", gab Jérôme giftig zurück. Gabriel fuhr zusammen. Wie war das möglich? "Das ist Ibliis?", fragte er ungläubig. Sein Manager nickte nur knapp zur Antwort. "Oh, wie ich sehe hast du ihm von mir erzählt. Ich fühle mich geehrt, mein Schöner. Was hältst du davon, wenn wir uns ein wenig über die guten alten Zeiten unterhalten?" Er setzte dazu an, die Wohnung zu betreten, doch Jérôme hielt ihn auf. "Wage es nicht", zischte er. "Gabriel, gib mir bitte meinen Mantel, ja?", bat er seinen Mitbewohner, jedoch ohne den Blick von Ibliis zu lassen. Gabriel reichte ihm das gewünschte Kleidungsstück nach kurzem Zögern. Jérôme schlüpfte hinein und schickte sich an, die Wohnung zu verlassen, doch er hielt ihn noch einmal kurz am Arm zurück. Die pure Verwirrung stand in dem hübschen Gesicht, doch der Vampir war nicht fähig, ihm irgendetwas zu erklären, denn er verstand selbst nicht, was gerade geschah. Er lächelte noch einmal, so hoffte er, aufmunternd und zog die Tür hinter sich zu. Draußen vor dem Hintereingang durch den sie hinausgegangen waren stand eine große, schwarze Limousine. "Mein Leihwagen", erläuterte Ibliis. "Komm, wir gehen ein Stück", forderte er Jérôme auf. Dieser hatte, als sie sich von der Limousine entfernten, das Gefühl, dass sich böse Blicke wie Dolche in seinen Rücken bohrten. "Es ist viel zu lange her…", meinte der ältere Vampir, wieder ins Arabische verfallend. "Nicht lange genug für meinen Geschmack", antwortete Jérôme ebenfalls in Arabisch. "Oh, du kannst es also noch", stellte der Araber überrascht fest während er den Blondschopf, der neben ihm lief, von der Seite musterte. "Was man als Vampir gelernt hat, vergisst man nicht mehr. Das solltest du eigentlich besser wissen als ich", gab dieser pampig zurück. "Wie hast du uns gefunden?", fragte er nur so aus Neugier. "Ich habe meine Quellen überall auf der Welt. Ich finde alles raus wenn ich will", antwortete Ibliis. Diese Antwort befriedigte Jérôme zwar nicht, doch er wusste, es war die einzige, die er bekommen würde. Er holte tief Luft, dann fragte er erneut: "Was willst du hier?", und hielt im Schritt inne. Ibliis ging noch ein paar Schritte weiter, dann hielt auch er inne und antwortete ohne sich umzudrehen: "Das sollte wohl klar sein." "Du willst mich", stellte Jérôme knapp fest. "So ist es", bestätigte Ibliis. "Niemals", zischte der jüngere Vampir. "Wie willst du mich davon abhalten, dich wieder mitzunehmen?", fragte sein Schöpfer schlicht. "Falls du es noch nicht gemerkt haben solltest: Ich bin stärker geworden in den letzten achthundert Jahren. Ich bin nicht mehr der kleine Schwächling der sich von dir hat unterdrücken lassen müssen. Ich würde dich bekämpfen und wenn es das letzte wäre was ich tue." "In der Tat, du bist stärker geworden, sowohl körperlich wie auch geistig. Es fiel mir sofort auf, dass ich nicht mehr in deine Gedanken eindringen konnte. Du hast gelernt, sie abzuschirmen. Auch deine körperlichen Stärken sind über die Maßen stark weiterentwickelt. Es wundert mich nicht im Geringsten, doch glaubst du allen Ernstes, dass nur du dich weiterentwickelt hast?" Langsam drehte er sich zu Jérôme um. "Glaubst du, du kannst mich einschüchtern?", fragte Jérôme lauernd. "Genau das. Du gehörst mir, mein kleiner Prinz des Abendlandes. Du hast mir immer gehört und wirst es auch immer tun. Du bist mein Eigentum, Jérôme. Machtlos, schwach, nur dazu da, von mir beherrscht zu werden. Außerdem erinnere ich mich nicht daran, jemals Beschwerden von dir gehört zu haben wenn wir uns geliebt haben. Im Gegenteil, klingt mir deine Stimme, die förmlich nach mehr bettelt, doch immer noch im Ohr", erklärte Ibliis mit überheblicher Miene und eiskalter Stimme. Seine Augen bohrten sich in Jérômes, doch dieser hielt seinem Blick stand. "Ich habe dir niemals gehört. Glaubst du allen Ernstes, es gab auch nur eine Sekunde in der ich nicht an Flucht gedacht hätte? Und schließlich hab ich es ja auch geschafft", erwiderte Jérôme. "Ich frage mich bis heute, wie genau du das bewerkstelligt hast. Bist auch tagsüber gelaufen, nicht wahr?" "Komplett verhüllt um mich vor der Sonne zu schützen", stimmte der Franzose zu. "Aber das tut nichts zur Sache. Ich werde niemals in deine Sklaverei zurückkehren. Verschwinde aus meinem Leben und zwar endgültig." "Es ist dir ernst, nicht wahr?", fragte Ibliis gedehnt und kam langsam auf ihn zu. Eine Weile sah er ihn nur mit forschendem Blick an, dann sagte er: "Gut, einverstanden, du brauchst nicht mitzukommen." "Was?", fragte der Jüngere ungläubig. "Wie ich sagte, du brauchst nicht mitzukommen. Jedoch… Es ist wirklich schade, dass ich den ganzen weiten Weg umsonst gekommen bin…" sagte der Ältere nachdenklich und rieb sich übers Kinn. "Wie meinst du das?" erkundigte sich der Blonde, nichts Gutes ahnend. "Er ist schön…", meinte Ibliis nur. "Wer?", hakte Jérôme nach und ihm schwante Übles. "Der Junge, mit dem du zusammen wohnst. Wie war noch gleich sein Name? Gabriel, nicht wahr? Der Name eines Erzengels. Er passt zu ihm. Wirklich, ein wunderschöner junger Mann…", antwortete der Araber schwärmerisch. "Wage es nicht, ihm zu nahe zu kommen, Ibliis", presste Jérôme mit unterdrücktem Zorn hervor. "Glaubst du denn wirklich, du könntest mich davon abhalten?", grinste sein Gegenüber fies. "Ach, sein Haar ist bestimmt genauso seidig wie es aussieht", schwärmte er weiter. "Ich werde ihn nicht eine Sekunde aus den Augen lassen", sagte Jérôme, doch seine Stimme schwankte ein wenig. "Gut, dann kannst du ja zusehen, wie ich es mit ihm tue. Wie es aussieht, hast du einmal wieder zwei Möglichkeiten. Du oder der Junge", meinte Ibliis schlicht. Jérôme kämpfte mit sich. Er wusste, gegen Ibliis hatte er keine Chance, sollte es tatsächlich zu einem Kampf kommen. Nein, er konnte den Mann, den er liebte nicht einfach an ihn ausliefern, niemals. "Also gut", sagte er schließlich. "Ich komme mit dir. Aber du wirst Gabriel kein Haar krümmen." "Ich doch nicht", sagte Ibliis überheblich grinsend. "Ach ja, schön, dass du doch noch vernünftig geworden bist, mein Lieber. Du liebst ihn wirklich, nicht wahr?" "Geht dich nichts an", kam als Antwort zurück. "Komm, wir gehen zurück zum Wagen", forderte der Araber ihn auf und legte einen Arm um Jérômes Schulter. Jérôme wusste, würde er aufmucken wäre Gabriel in ernster Gefahr also ließ er es geschehen. Als sie wieder beim Haus ankamen stand da, lässig gegen die Limousine gelehnt, ein Mann in schwarzer Uniform. Eine Schirmmütze verdeckte sein Gesicht. Nur das Glimmen einer Zigarette ließ erahnen, wo in etwa sein Mund lag. Als er die beiden näher kommen sah, hob er das Gesicht und Jérôme erkannte ihn sofort. "Akin!", rief er überrascht. "Ja, da staunst du, was?", sagte Angesprochener cool und blies den Rauch aus. "Hätte nicht gedacht, dass ich dich je wieder sehe." "Glaub mir, mir wär's anders auch lieber gewesen", antwortete Jérôme. "Bist noch ein Stück gewachsen seit ich dich das letzte Mal gesehen hab." "Tja. Als du meintest, abhauen zu müssen war ich 22 Jahre alt. Zum Vampir wurde ich allerdings erst drei Jahre später." "Seit wann rauchst du eigentlich?" "Seit es egal ist, ob ich daran sterbe oder nicht. Ich bin tot, also ist es egal, was ich mit meinen verbliebenen inneren Organen mache", gab Akin gelassen zurück. "Na ich jedenfalls würde dich nicht küssen wollen", bemerkte Jérôme spitz. "Ich dich auch nicht", grinste Akin und schnippte seine Kippe weg. "Wie ich sehe versteht ihr beide euch bestens", freute sich Ibliis. "Also dann, wir sehen uns morgen Abend", sagte er an Jérôme gewandt. "Was? Morgen Abend?", rief dieser entsetzt. "Ja. Wir fliegen mit meinem Privatjet. Also, morgen um zehn Uhr. Bis dahin solltest du alles geregelt haben", erklärte Ibliis. Dann zog er ihn an sich und drückte ihm einen harten, lieblosen Kuss auf die Lippen. Anschließend stieg er hinten in den Wagen, Akin vorne und die beiden fuhren davon. Jérôme fühlte sich schwer und niedergeschlagen. Oben in der Wohnung wartete Gabriel auf ihn. "Was wollte er?", fragte er besorgt. "Nichts weiter. Wollte nur mal Hallo sagen", log Jérôme. Er brachte es nicht fertig, ihm die Wahrheit zu sagen. "Warum siehst du dann so beschissen aus?", hakte der Sänger misstrauisch nach. "Wie würdest du aussehen, wenn das Schreckgespenst deiner Alpträume plötzlich vor dir steht, nachdem du geglaubt hast, endlich alles vergessen zu haben?", antwortete Jérôme und fühlte sich schwächer denn je. Für ihn überraschend legten sich Gabriels Arme tröstend um ihn und zogen ihn fest an sich. Wieso? Wieso war alles so ungerecht? Es schien, als hätte sich von Anfang an alles gegen ihn verschworen. Alles, was er jemals geliebt hatte, wurde ihm genommen. Und Gabriel liebte er mehr als alles andere. Er erwiderte die Umarmung, suchte in ihr Halt. Morgen würde es vorbei sein. Ab morgen würde er ihn nie mehr wieder sehen. Der Gedanke daran brach ihm das Herz, doch plötzlich war er irgendwie froh, Gabriel nie seine Liebe gestanden zu haben. Vielleicht war es wirklich besser, sie trennten sich als Freunde, denn sonst hätte der bevorstehende Abschied wohl auch Gabriels Herz gebrochen und das wollte er nicht. Während er den jungen Mann fest in seine Arme schloss dachte er immer nur: 'Ich liebe dich, Gabriel, doch du wirst es nie erfahren. Es tut mir Leid.' Der Schmerz in ihm war so stark, dass er überrascht spürte, wie ihm ein paar lautlose Tränen über sein Gesicht liefen. Gabriel war unruhig. Jérôme hatte ihm, nachdem er sich wieder etwas beruhigt hatte, versichert, dass alles in Ordnung war und ihn am nächsten Morgen brüsk zur Arbeit geschickt. Doch es war nicht in Ordnung, ganz und gar nicht. Er kannte ihn mittlerweile gut genug um zu wissen, wenn er nicht ganz ehrlich war. Er konnte sich nicht konzentrieren, versaute alle Aufnahmen, verspielte sich an seinem Klavier bei einem Stück, das er schon ewig auswendig konnte und vergaß immer wieder seinen Text. Schließlich schickten ihn die Jungs um acht heim. Als er zu Hause eintraf war Jérôme nicht da. 'Wohl auf der Jagd', dachte er. Da fiel ihm der große Koffer auf, der mitten im Flur stand, gleich neben dem Sarg. Was sollte das denn schon wieder? Doch dann dämmerte es ihm. Ibliis wollte Jérôme zurück und Jérôme würde mit ihm gehen. Nein, das durfte nicht wahr sein. Völlig fassungslos ließ er sich auf das Sofa sinken. Von wegen 'alles in Ordnung'. Der konnte was erleben wenn er heim kam. Eineinhalb Stunden später hörte er Jérôme nach Hause kommen und stürmte ihm gleich im Flur entgegen. "Kannst du mir mal erklären, was das soll?", fuhr er ihn wütend an. "Du bist schon zu Hause?", fragte Jérôme verwirrt zurück. "Schon? Es ist halb zehn Uhr abends. Was glaubst du denn, wie lange ich in diesem dämlichen Tonstudio rumhänge? Ich komme nach Hause und was sehe ich? Du spielst 'Reise nach Jerusalem' oder was weiß ich, wohin. Hattest du vor, einfach so abzuhauen und mir nicht ein Sterbenswörtchen davon zu sagen?", schimpfte der Musiker. "Um ehrlich zu sein, ja. Genau das hatte ich vor", gab sein Gegenüber kleinlaut zu. "Du willst also wirklich zu ihm zurück? Zurück in die Sklaverei?", fragte Gabriel ungläubig. Wie so häufig in letzter Zeit erhielt er nur ein Nicken als Antwort. "Weißt du was, Jérôme? Du bist ein erbärmlicher Schlappschwanz wenn du dich nicht gegen ihn durchsetzen kannst", sagte er und seine Stimme zitterte. Er stand kurz davor, loszuheulen. Jérôme war wie vom Blitz getroffen. Von einer Sekunde auf die andere ging es ihm auf: Gabriel liebte ihn, das war ganz klar. Was sollte er denn jetzt sagen? Dass ihn Ibliis in der Hand hatte? Dass er es nur für ihn tat? Er beschloss, einen anderen Weg einzuschlagen, obwohl er sich selbst dafür hätte ohrfeigen können. "Wer sagt denn, dass ich mich gegen ihn durchsetzen wollte?", fragte er lässig. "Wie meinst du das?", wollte Gabriel wissen. "Ich hab nach reiflicher Überlegung eingesehen, dass ich mich seit etwas länger als einem Jahr im Kreis drehe. Meinem Ziel komme ich jedoch nicht näher. Ich bin nett, zärtlich, rücksichtsvoll, opfere meine Zeit für dich, aber du… Weißt du, ich hab's satt, dass du mich nicht ranlässt", antwortete der Vampir mit ausdrucksloser Miene. "Dass ich dich nicht ranlasse? Das kann nicht dein Ernst sein, Jérôme", sagte der junge Mann leise. Er fühlte sich vor den Kopf gestoßen. Der Umstand, dass Jérôme nur mit ihm zusammen war, weil er ihn ins Bett bekommen wollte, war ihm nie gekommen. "Ist mein voller Ernst", sagte Jérôme kühl. "Aber… Ich dachte…", stotterte Gabriel. "Was dachtest du? Etwa, dass ich dich liebe?", fragte der Vampir und klang dabei schon fast boshaft. Diesmal war es an Gabriel, nur zu nicken. Jérômes nächste Worte trafen ihn wie ein Schlag. Der Vampir sagte: "Falsch gedacht." Gabriel schluchzte auf. War er blind gewesen? Hatte er sich nur getäuscht? Er sah Jérôme direkt in die Augen, erkannte darin jedoch nur Kälte und Hohn. "Ich hab dir mal erzählt", begann der Franzose, "dass ich mich immer gut mit denen gestellt habe, auf die ich es abgesehen hatte. Gut, am Anfang hattest du keine Kohle, aber du hast mir ein Dach über dem Kopf gegeben, das war schon mal besser als nichts. Eigentlich hatte ich geglaubt, leichtes Spiel mit dir zu haben. Du hast mich vom ersten Augenblick an angemacht und ich wollte deinen Körper, aber du hast dich mir verweigert. Nur dieses eine Mal, da hatte ich dich fast soweit, aber du musstest ja wieder die Diva spielen. Jetzt reicht es mir. Ich habe lang dafür gebraucht, es einzusehen, aber ich erkenne es, wenn ein Kampf verloren ist. Ibliis kann mir geben, was ich brauche, du nicht. Deshalb gehe ich freiwillig zu ihm zurück. Sieh es ein: Das einzige was ich von dir wollte war Sex." "Das ist nicht wahr. Sag mir, dass das nicht wahr ist", bettelte Gabriel und feine Tränen kullerten über seine Wangen. "Es ist wahr", bestätigte Jérôme kühl. Gabriels Knie wurden weich und gaben unter ihm nach. Unter anderen Umständen wäre Jérôme wohl sofort zu ihm gekommen und hätte ihn aufgefangen, doch diesmal blieben ihm die tröstende Wärme und der Halt der starken Arme verwehrt. "Ich bin so ein Idiot", schluchzte er. Eisige Kälte kroch in ihm hoch und füllte ihn ganz aus. Als wäre ein Damm gebrochen stürzte alles über ihm ein und er begann, hemmungslos zu weinen. Er fühlte sich so verraten, benutzt und enttäuscht. Wie hatte er sich nur in so einen Idioten verlieben können? "Ach übrigens", fuhr Jérôme fort, "unser Spiel ist beendet. Du hast gewonnen, also solltest du dich freuen anstatt rumzuheulen." Im nächsten Moment läutete es an der Tür. Akin stand davor um ihm mit seinen Sachen zu helfen. "Was hast du denn mit dem gemacht?", raunte er ihm zu als er einen Blick auf den völlig am Boden zerstörten Gabriel geworfen hatte. "Ist nicht dein Problem. Los, fass mit an", gab Jérôme zurück und lud ihm den Sarg auf während er seinen Koffer nahm. Dann griff er in seine Manteltasche und zog einen kleinen Gegenstand heraus, den er Gabriel hinwarf. Es war sein Wohnungsschlüssel. "Au revoir, Chéri", sagte er und zog die Tür hinter sich ins Schloss. Unten auf der Straße blies ihm die kalte Novemberluft ins Gesicht. Ein erneuter Regenschauer ging nieder und versteckte die Tränen in seinen Augen. Er versuchte sich einzureden, dass es besser so gewesen war. Besser, Gabriel hasste ihn und würde ihn irgendwann vergessen. Ibliis stand vor der Limousine und wartete, dass Jérôme einstieg, dann folgte er ihm. Bevor er die Tür schloss, sagte er zu Akin: "Alles bereit?" Dieser nickte und zückte einen Dolch aus seinem Ärmel. "Gut, dann bring es zu Ende", befahl Ibliis. Jérôme erkannte sofort, was das bedeutete. Panik ergriff von ihm Besitz. "Nein!", schrie er. "Akin, tu es nicht, bitte!" Er versuchte, über Ibliis hinweg zu klettern, um Akin zu erreichen, doch dieser hatte bereits die Tür geschlossen und verriegelt. Minutenlang hatte er gegen die Wagentür gehämmert und immer wieder "Nein, nein, nein!" geschrien, doch es hatte nichts genützt. "Du mühst dich umsonst ab", sagte Ibliis lässig. "Das hier ist Panzerglas und die Türen sind aus Stahl. Die kriegst du nicht auf, nicht, bevor Akin wieder aufschließt. Außerdem ist es ohnehin zu spät. Dein kleiner Engel ist tot." "Du hast gesagt, du würdest ihm kein Haar krümmen", fuhr Jérôme ihn mit einem zornigen Funkeln in den Augen an. "Ich habe gesagt, dass ICH es nicht tun würde. Und tatsächlich lege ich keinen Finger an ihn", erwiderte sein Erschaffer ungerührt. Akin erschien wieder. Er ließ sich auf den Fahrersitz fallen und seufzte. "Alles gut gegangen?", fragte Ibliis. Sein Diener nickte und reichte ihm den Dolch nach hinten. An ihm klebte frisches Blut. "Hat er sich gewehrt?", wollte Ibliis weiter wissen. "Nein. Er war zu verstört. Er war nicht einmal mehr in der Lage, mich richtig anzusehen, so verweint war sein Gesicht" antwortete der junge Araber ungerührt. Langsam und bedächtig leckte Ibliis ein wenig Blut von dem Dolch ab. "Sehr süß", stellte er fest. "Das Blut eines Liebenden." "Warum?", flüsterte Jérôme. "Warum musste er sterben?" "Damit du keinen Grund mehr hast, wieder wegzulaufen. Solange er lebt hättest du nie aufgehört, zu versuchen, zu ihm zurückzukehren. Dazu kenne ich dich gut genug, und das musste ich verhindern. Obwohl es schade um so eine Schönheit ist." Jérômes Welt stürzte in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Gabriel, sein geliebter Gabriel war tot und er selbst nicht in der Lage zu sterben. Niemals mehr würde er ihn wieder sehen. Egal, ob Ibliis ihn dabei sah oder nicht, er konnte nicht anders. Wie der Regen, der den Asphalt der Straße schwarz färbte, begann er, zu weinen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)