Freiheit von Tio (sammlung unter einem titel) ================================================================================ Kapitel 1: I ------------ Langsam ließ er seine langen Finger über die frisch gespannte Saite streichen. Es hatte ihn kaum mehr fünf Minuten gekostet die zwei Saiten zu wechseln und zu stimmen. Jetzt klang seine weiß rote Lieblingsgitarre wieder so wie immer. Er drehte den Verstärker etwas lauter und strich mit dem Plektrum einmal über alle Saiten. Ein sanftes Lächeln huschte über sein sonst so trauriges Gesicht. Er schloss die linke Hand behutsam um den Gitarrenhals und schlug die Saiten erneut an. Em Em war wirklich ein schöner Griff, vor allem wenn man ihn auf diese eine Art und Weise anspielte. Er zögerte etwas, wiederholte seine Handlung dann aber. Er mochte den klang zu sehr. Er hielt kurz inne, um dass Plektrum abzulegen und die Kopfhörer auf seinem Kopf zurecht zu rücken. Dann drehte er den Verstärker noch etwas auf und änderte einige der Einstellungen. Ein kurzer trauriger Blick fiel auf die geschlossene Tür, bevor er sich wieder seinem Instrument widmete. Er beugte sich etwas nach vorn und spielte dann wieder eben jenen Ton an, den er so gern hörte. Em G D Hm D Er mochte den Klang wahrlich. Er strahlte so viel Ruhe aus und irgendwie baute er ihn auch auf. Wohl, weil er ihn von hier weg brachte. Er brauchte seiner Hand nur den ersten Griff befehlen. Der Rest kam von selbst. Seine Finger legten sich schnell aber behutsam auf die Saiten und das Plektrum flog in einem immer wiederkehrenden Rhythmus über die Saiten seiner E-Gitarre. Sein Geist jedoch flog davon. Getragen von den Flügeln der Musik, ließ er für gute fünf Minuten alles hinter sich. Alle Sehnsüchte und alle Depressionen. Nur die Tränen nahm er mit sich. Heiß und nass liefen sie über seine Wangen bis hin zu seinem Drei-Tage-Bart, bevor sie schließlich von seinem Kinn aus auf der Gitarre landeten. Doch es kümmerte ihn nicht. Selbst wenn in diesem Moment jemand in den Raum kommen sollte, so würden seine langen Haare, die ihm weit bis über die Augen fielen, jegliche Schwäche verbergen. Er schloss die Augen einen kurzen Moment lang, spürte wie sich erneut einige Tränen von seinen braunen Augen lösten, während sich eine leichtes Kribbeln unter seiner Haut ausbreitete und in diesem winzigen Moment hörte er diese Stimme wieder. Diese sanfte Stimme, wie sie ihm ins Ohr säuselte, dass alles OK wär, obwohl es doch gar nicht danach aussah. Ja, er hatte ihm nie verziehen. Doch für diesen Song würde er ihm ewig dankbar sein. Für diesen Song, der ihm fast ganze fünf Minuten lang die Freiheit schenkte, würde er ihn immer lieben. Kapitel 2: II ------------- „Live sucks!“, rief er laut, bevor er die Tür hinter sich zuknallte. Er hatte die Nase mal wieder gestrichen voll. Es war also doch zu viel erwartet. Wieso sollte auch ausgerechnet er mal eine Weile lang glücklich sein. Er hatte sein Mädchen, er hatte seine Arbeit und doch. Das beschissene Schicksal hatte ihn mal wieder gefickt. Wüten feuerte er seine volle Tasche in die nächstbeste Ecke und verschwand im Schlafzimmer. Dieses eine Mal würde er seinen Egoismus einfach nur ausleben. Er zog seine beiden Reisetaschen vom Schrank und klopfte die leichte Staubdecke von ihnen, die sich dort über das halbe Jahr, in dem er sie nicht benutzt hatte, gebildet hatte. Die Taschen landeten auf dem Bett, noch während er die Schranktüren aufriss und nacheinander einige Kleidungstücke Richtung Bett warf. Im Hinterkopf konnte er die klagenden Stimmen seiner Freunde hören, wie sie schon jetzt versuchten ihn aufzuhalten, noch bevor sie überhaupt wussten, dass er erneut flüchten würde. Er wusste nicht was das sollte. Eigentlich war es doch das erste Mal, dass er wirklich flüchtete. Normalerweise hatte er immer gewartet, hatte sich Urlaub genommen und hatte vor allem allen Bescheid gesagt. Heute würde er seinen Egoismus einmal richtig ausleben. Komplett in seinen wirren, wütenden Gedanken versunken, packte er die zwei Taschen, zog sich dann um und schleppte sich und die Taschen erst einmal ins Wohnzimmer. Er ließ sich aufs Sofa fallen, schnappte sich seinen alten Kugelschreiber und ein dreckiges Blatt Papier und beugte sich nach vorn, um den kleinen Couchtisch als Unterlage zum schreiben zu verwenden. „Live Sucks! Ich bin weg. Weiß nicht, wann ich zurück komme. Handy lass ich hier. Sucht mich nicht. Und nein, mir tut es nicht leid. Jan“, schrieb er schnell unsauber und unliebsam. Dann steckte er den Zettel in einen Briefumschlag. Er überlegte kurz wessen Adresse er auf dem Umschlag schreiben sollte. Er entschied sich für die des Jüngeren, denn auch wenn der ganze Ärger wegen dem Älteren begonnen hatte, so wollte er ihn damit doch trotz allem nicht verletzen oder gar zerstören. Der Schwarzhaarige würde ihn verstehen und er würde es dem Älteren schonend erklären. Er musterte den Umschlag eine Weile, zögerte und überlegte doch wirklich, ob er nicht alles noch einmal überdenken sollte. Nein. Die Entscheidung war gefallen. Er schüttelte demonstrativ den Kopf, stand dann auf und ging samt Taschen und Umschlag in seine Garage. Ein Lächeln. Wohl das erste des Tages. Da stand sie, seine Freiheit. Er ließ die Taschen fallen und steckte den Umschlag in seine Hosentasche, ohne darauf zu achten, ob er knickte. Dann ging er einige Schritte auf die orange Maschine zu. Selbst in dem kalten Licht der Garagenlampe war sie noch immer der schönste Anblick, den er sich vorstellen konnte, auch wenn er das sehr ungern zugab. Er schüttelte erneut den Kopf. Mit seiner KTM würde er sich noch früh genug beschäftigen können. Jetzt musste er erst einmal hier weg. Er schnappte sich seine Taschen und befestigte sie an den Seiten seines Motorrads. Ein Druck auf den Knopf und das Garagentor öffnete sich automatisch, sodass er Zeit hatte sich in seine Motorradsachen zu zwängen und den Helm aufzusetzen. Dann konnte er sich endlich auf sein Liebling schwingen und den Motor starten. Ein kurzes aufjaulen und auf seinen Lippen lag erneut ein Lächeln. Er legte die Finger fest um die Stange des Lenkers und er konnte selbst durch die dicken Handschuhe hindurch das Relief des Griffes spüren. Eine kurze Bewegung mit dem Fuß ein zucken seiner Hand und die KTM trug ihn aus der Garage. Das Tor schloss hinter ihm wieder automatisch, sodass er sich nicht ein einziges Mal umsehen musste. Er fuhr einfach. Er wusste selbst noch nicht wohin. Das würde sein Motorrad entscheiden. Jetzt fuhr er einfach nur. Und je weiter er kam, umso entfernter waren all die Probleme die ihn an diese verfluchte Stadt hatten binden wollen. Trotz des Helmes konnte er den Fahrtwind spüren und zusammen mit dem sanften Vibrieren seiner Maschine gab er ihm Kraft. Kraft um zu spüren, wie ihm Flügel wuchsen, die ihn in Form seiner KTM weit weit weg trugen und ihm für die nächsten Wochen Freiheit schenkten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)