Seelenopfer von Saedy ================================================================================ Kapitel 5: Begegnung auf dem Friedhof ------------------------------------- Eine stumme Melodie erklingt Sie ist ruhig, sie ist sanft Sie will dir Liebe zeigen Sie ist so schön. Aber du verstehst nicht. Was, wenn ich nicht versteh’? Einige Tage später - Yami hatte sich inzwischen von seiner Grippe erholt - fand er sich tatsächlich auf dem Friedhof ein und kam sich schon ein wenig wie der Grabräuber Bakura vor. Nur das er kein Grab ausrauben wollte, sondern einfach nachdenken. Zugegeben, ein etwas ungewöhnlicher Ort um die Gedanken schweifen zu lassen, aber… Er musste daran denken, dass er in ein paar Monaten wahrscheinlich auch hier liegen würde. Aber war das so schlimm? Ohne Seto schien ihm das Leben sowieso nur fad und einsam. Der einzige, der seinen Tag etwas erhellte, war sein Aibou. Es schmerzte einfach zu sehr, am Leben zu sein, so dumm sich das auch anhörte. Yami hätte nie gedacht, dass es mal so weit kommen würde, dass er so sehr an einem Menschen hinge, dass ihm sein Dasein einfach wertlos erschien, wenn dieser nicht bei ihm war. Aber während seiner Abenteuer mit Seto hatte er erst gemerkt, was es wirklich bedeutete zu leben. Immer, wenn dieser ihm eines seiner seltenen Lächeln geschenkt hatte, war es so gewesen, als ob er für einen Augenblick erfahren hätte, was es hieß, wahres Glück zu empfinden, nur um danach in ein tiefes Loch voller Sehnsüchte zu fallen. Außerdem kam er sich in dieser Zeit wie ein Relikt vor, das nicht hier her gehörte. Trotzdem, dass er schon eine ganze Weile in dieser Welt weilte, war ihm alles noch so fremd. Er vermisste seine Heimat Ägypten und die Kultur. Das einzige, was er nicht vermisste, war sein Dasein als Pharao. Yami hatte absichtlich die späten Abendstunden gewählt, um auf den Friedhof zu gehen, damit er völlig allein war und von niemandem gestört wurde. Da bereits geschlossen gewesen war, hatte er sogar über das große Eisentor klettern müssen. Fahles Licht schien von einigen Laternen her über das Gelände und warf tiefe, dunkle Schatten über die Gräber, machte den wallenden Nebel sichtbar, der bei diesem kühlen, feuchten Wetter heraufzog. Die Büsche und Bäumen bewegten sich im Wind und schufen auf diese Weise unheimlich wirkende Bewegungen in der Düsternis - genau der richtige Ort, um ungestört seinen Gedanken nachzuhängen. Der Pharao fragte sich, ob er nicht im Jenseits doch besser aufgehoben gewesen wäre. Vielleicht hätte er nie hierher kommen sollen, nie auf den Pakt eingehen dürfen. Wenn er diesmal sterben würde, wäre der Preis nicht nur sein Leben, sondern auch seine Seele. Und er hätte keine Chance mehr, sie zu befreien, wie Yugi sie damals aus dem Puzzle befreit hatte. Die Dunkelheit hätte ihn wieder und diesmal endgültig. Yami zuckte zusammen, als plötzlich etwas an seinem Gürtel vibrierte und eine Melodie erklang. So unerwartet aus seiner Ruhe gerissen und mit diesem Handy, welches Yugi ihm gegeben hatte und an das er sich noch nicht gewöhnt hatte, hier, zusammen mit dieser Atmosphäre auf dem Friedhof, hatte er sich ganz schön erschrocken. Ob Yugi sich wieder Sorgen machte und ihn zu erreichen versuchte? Zögernd öffnete er die Klappe des Displays, da er eigentlich nicht gestört werden wollte. Die Nummer, welche darauf erschien, war jedoch nicht Yugis, sondern eine ihm unbekannte. Missmutig nahm er ab und rief ein etwas genervtes “Hallo?” in den Hörer. Stille. “Hallo? Ist da jemand dran?”, wiederholte er drängender. Sollte dieser jemand doch einen anderen nerven, wenn er nicht schnell zum Punkt kam. Ein tiefes Durchatmen war zu vernehmen und dann: “Wo bist du Ex-Pharao?”, erkundigte sich eine unterdrückt zitternde Stimme, die schien, als wolle der Anrufer jeden Moment die Nerven verlieren und platzen vor…Wut? Hysterie? Yami kannte die Stimme und sie ließ Schauder gleich Eis über seinen Rücken laufen. “Kaiba, bist du das?”, erwiderte er überrascht. Als Antwort erhielt er nur ein abfälliges Schnauben, als hielte es der Anrufer nicht für wert, ihm seinen Namen zu nennen. “Wer sonst? Also, wo steckst du?” “Wieso willst du das wissen?”, erkundigte sich Yami, misstrauisch über den merkwürdigen Anruf. Wollte Kaiba ihn nun treffen, um ihn zu töten, damit er sich gleich auf den Friedhof legen konnte? Trotzdem schlug sein Herz ziemlich heftig in der Brust, so als müsse er sich über diesen Anruf freuen. “Weil ich dich sehen will, jetzt.” Yami rann erneut ein Schauder über den Rücken, auch wenn die Stimme nach wie vor nicht klang, als wolle Kaiba ihn treffen, um ihm ein Liebesgeständnis zu machen, eher im Gegenteil. “Ich bin…auf dem Friedhof. Auf dem Friedhof von Domino”, antwortete Yami schließlich. Er vernahm ein tiefes Durchatmen, so als könne Kaiba sich nur schwerlich beherrschen und stünde kurz vor einem Vulkanausbruch. “Nein, ich will gar nicht erst wissen, was du auf dem Friedhof suchst. Bleib da, ich komme dort hin. Und wehe, du bist nicht mehr da, wenn ich ankomme!” Ehe er noch etwas erwidern konnte, vernahm Yami ein mechanisches Tuten aus dem Hörer. Was Kaiba wohl von ihm wollte? Nervös auf einem Grabstein sitzend, drehte er seine Daumen umeinander und versuchte mit seinen rötlichen Augen, die im Mondschein an die eines Vampirs erinnerten, das Dämmerlicht zu durchdringen, starrte regungslos vor sich hin, so als müsse jede Bewegung bestraft werden. Gespannt wie ein Bogen saß er auf seiner ungewöhnlichen Sitzgelegenheit und verkrampfte die Beine über dem Stein. Nach einer scheinbaren Ewigkeit vernahm er stapfende Schritte hinter sich und wandte sich, vorsichtig die Glieder entkrampfend, um, ehe er vom Stein sprang. Die Hände steckte er in die Hosentaschen und blickte mit verkniffenem Gesicht zu der sich nähernden Gestalt hinüber, die unzweifelhaft die von Seto Kaiba war. Yami hätte sie wahrscheinlich unter Millionen erkannt. “Kaiba”, war alles, was er zur Begrüßung hervorbrachte. Irgendwie kam es ihm so vor, als hätte sein letztes Stündlein geschlagen. “Anderer Yugi”, erwiderte sein Gegenüber ebenso knapp, als hätten sie sich hier zum Duell eingefunden - zu einem richtigen Duell mit Degen - und nicht zu einem, ja was? Was wollte Kaiba eigentlich? Irgendwie wirkte es erniedrigend, dass er ihn immer noch mit “anderer Yugi” ansprach, statt mit seinem Namen, oder auch mit “Yami”. Die blauen Augen Kaibas wirkten im Dämmerlicht ungewöhnlich dunkel und schienen Blitze in seine Richtung zu verschießen. Ganz ruhig, wie eine Statue, stand er da, während Yami auf die Erklärung wartete, warum er ihn hatte treffen wollen. Die Bewegung kam so überraschend, dass er überhaupt nicht reagieren konnte, als Kaiba wie ein Blitz vorschoss und ihn gegen den großen, kalten Grabstein hinter sich nagelte. Er keuchte auf vor Schmerz und Überraschung, während ihm der Kragen um die Kehle zugezogen wurde und er in die Feuer spuckenden Augen über sich blickte. “Du!”, keuchte Kaiba vor kaum unterdrückter Wut. “Du, was treibst du für ein krankes Spiel mit mir, hm?” Er schüttelte ihn, schrammte ihn weiter gegen den Stein. “Was? Wovon sprichst du?”, zitterte Yami unter seinem Griff. Was sollte das Ganze? “Du weißt genau, wovon ich spreche”, zischte Kaiba ihm entgegen und warf ihn mit einem Ruck zu Boden, wo der Pharao sich sein schmerzendes Gesäß rieb und aufblickte, als ein Schatten über ihn fiel. “Ich meine diese linke Tour, dass du plötzlich behauptest, du würdest mich lieben und mich küsst.” “Was? Aber… Wie meinst du das? I-ich habe das ernst gemeint.” “Aber natürlich!”, lachte Kaiba spöttisch auf und verschränkte die Arme vor der Brust. “Und ich bin das Rotkäppchen. Also, sag mir schon, was du eigentlich damit bezweckst!”, zischte er. Yami schwieg mit traurigem Blick. Weshalb glaubte ihm Kaiba nicht? Und weshalb behandelte er ihn wie ein Stück Dreck? Langsam stand er wieder auf, hielt dem wütenden Blick stand, der ihm entgegen geworfen wurde, stellte sich vor den Mann hin, den er aus tiefstem Herzen liebte, auch wenn er sich im Moment selbst nicht erklären konnte, weshalb sein Herz so dumm war, jemanden zu lieben, der ihn hasste. “Ich liebe dich”, wiederholte er mit einer solchen Eindringlichkeit, dass Kaiba wie unter einem Schlag zusammenzuckte. Irritiert blickte er ihn an. Sollte er das wirklich ernst gemeint haben? Nein, das konnte nicht sein! “Ja, ja, versuch das doch, deinem Großvater zu erzählen, aber nicht mir!”, schnaubte er, sichtlich aus dem Konzept gebracht. Jedenfalls war seine Wut verraucht und er schien nur noch verwirrt, wandte sich fast unsicher von Yami ab und stapfte unvermittelt davon. “Und komm mir bloß nie wieder zu nahe!”, rief er noch über die Schulter, bevor er gänzlich verschwand. Yami ließ sich seufzend wieder auf den Boden fallen und krallte die Hände in den feuchten Boden, verkrampfte seine Finger um ein paar Büschel Gras und Unkraut. Er war verwirrter als je zuvor. Was hatte das bloß zu bedeuten? Irgendetwas an Kaibas Ausbruch irritierte Yami. Irgendwie war da mehr als nur Wut und der Glaube, er würde ihm nur etwas vormachen, gewesen. Seltsam. Es war spät, als Yami wieder nach Hause zu den Mûtos kam und sich an den leeren Küchentisch sinken ließ. Zu sagen, dass er vollkommen durcheinander war, wäre weit untertrieben gewesen. Zu müde und unter dem Druck des eben geschehenen Ereignisses, war er nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen und starrte nur blicklos auf die Holzoberfläche des Tisches. Irgendwann kam Yugi die Treppe aus seinem Zimmer hinunter und entdeckte ihn so. “Yami, hey, Yami, was ist los? Wo warst du überhaupt so lange? Du siehst total überfahren aus”, setzte er sich ihm gegenüber. “Ach, Yugi”, wachte der Pharao seufzend aus seiner Trance auf. “Liebeskummer ist echt die Hölle, weißt du das? Und Seto Kaiba ein totales Rätsel.” “Aber Rätsel sind doch deine Spezialität”, schmunzelte Yugi. “Ach, meinst du, ich habe mich deshalb in ihn verliebt?”, blickte Yami verknittert wirkend unter seinen zerzausten Haaren hervor. “Wer weiß?” Nun, sein Aibou schien sich ja köstlich über seinen Liebeskummer zu amüsieren. “Aber etwas Positives hat die Sache doch: Nachdem du ihm deine Liebe gestanden und er dich zurückgewiesen hat, weißt du wenigstens woran du bist und hast die Möglichkeit die Sache abzuhaken und neu anzufangen. Komm schon Yami, jemand wie Seto Kaiba, der dich einfach eiskalt abblitzen lässt, ist deiner Liebe gar nicht wert. Und jetzt wo du die Chance auf ein neues Leben bei uns bekommen hast, hast du auch die Möglichkeit, noch mal vollkommen von vorne anzufangen und alles hinter dir zu lassen.” “Aber nicht Seto”, grummelte Yami. “Ihn will ich nicht hinter mir lassen. Nun, wahrscheinlich hast du Recht und es wäre das beste. Was du sagst hört sich so einfach an, doch das ist es nicht. Es tut so weh, als würde mir jemand das Herz rausreißen. Wenn du dich erstmal so sehr verliebt hast, dann wirst du verstehen, was ich meine”, legte er den Kopf auf seinen verschränkten Armen ab und schloss müde die Augen. Ob er diese Nacht würde schlafen können, wäre allerdings eine andere Frage. “Ach, Atemu. Du hast ja Recht, ich kann nicht nachvollziehen, was du durchmachst und bin wohl schlecht geeignet, dir Ratschläge zu erteilen, aber…” “Ich weiß, du willst mir nur helfen und dafür bin ich auch sehr dankbar. Danke, Aibou, dass es dich gibt”, nuschelte Yami unter seinem Ärmel hervor. “Gern geschehen. Gut, ich… lass dich dann mal mit deinem Küchentisch alleine”, erklärte Yugi und ging wieder hinauf in sein Zimmer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)