Paradies von kiyahotep (Impossible now to go back to where we began) ================================================================================ Kapitel 1: Leben? ----------------- Kapitel 1 Langsam ging er durch die viel zu vollen Straßen. Er schlängelte sich zwischen unzähligen Menschen hindurch, die seiner Meinung nach alle zu fröhlich und unbesorgt schienen. Nur hier und da begegnete er vereinzelten ausgezehrten und abgespannten Gesichtern. Nur vereinzelt hastete man an ihm vorbei durch die sich gemütlich fortbewegende Menge. Vermutlich war er im falschen Viertel. Hier lebten zu viele reiche Kaufleute und Händler, hier lief viel zu viel Adelspack rum, die allesamt keine Ahnung hatten, was sich wirklich abspielte. Mit Sicherheit hatte von ihnen noch keiner in die gequälten Gesichter von Sterbenden gesehen, oder die Schmerzensschreie der Verwundeten gehört, oder die Klagerufe der Witwen und Waisen, die alleine zurückgelassen wurden ... Das alles hier widerte ihn an! Er beschleunigte seine Schritte und verschwand in einer schmaleren Seitengasse, der er lange Zeit folgte. Durch schmutzige Hinterhöfe hin zu den immer kleiner werdenden Häusern und heruntergekommenen Hütten. Immer weiter weg vom Prunk und Schmuck, von den Farben und den Menschenmassen der großen Marktstraße und des Händlerviertels, hinein in die dunklen und dreckigen Gassen der Armenviertel. Was er hier suchte? Das wusste er selbst nicht. Er wollte nur weg von dieser nicht existenten Realität. Weg von diesen Heuchlern, die so taten, als wäre alles wie damals, wie früher. Wut stieg in ihm auf. Er blieb stehen und mit der blanken Faust schlug er gegen eine der rauen Hauswände, welche aus grobbehauenem dunklen Stein bestanden. Vor ihm schreckten zwei Kinder auf, die ihn aus großen dunklen Augen ängstlich ansahen. Hastig rafften sie die Steinchen, Hölzchen und Glasscherben zusammen, mit denen sie gerade noch auf dem staubigen Boden gespielt hatten. Dann huschten sie eilig davon. Ein betrübtes Lächeln umspielte kurz seine Lippen. Er hatte ihnen Angst gemacht, hatte die beiden nicht bemerkt. Das hatte er nicht gewollt ... war nicht seine Absicht gewesen. Er wusste, wie seine Erscheinung auf andere wirkte. Seine hochgewachsene und muskulöse Gestalt ... die pechschwarzen, ausgefransten Haare, die ihm tief ins Gesicht fielen und ihm mittlerweile bis zwischen die Schulterblätter reichten ... das Stirnband, welches die Narbe verdeckte, die sich mittig über seine Stirn zog ... die fordernden, klaren blauen Augen ... das gleichgültige Gesicht ... der schwarze lange Mantel, den er trug. Alles in allem sah er sehr verwegen aus und wäre er ein Kind gewesen, hätte er sich sicher auch gefürchtet. Er ging noch ein paar Meter und bog dann nach rechts, folgte einer dunklen Hauswand, welche die schmale Gasse in einen tiefen lange Schatten tauchte - es würde bald dunkel sein - dann traf er auf einen Kanal, über den eine kurze Steinbrücke führte, an deren Seiten bereits etliche Steine abgebrochen waren. Schnell überquerte er sie und folgte dem Fluss des Wassers, welches unangenehm roch. Eine Mischung aus Abfällen, Abwässern, Schmutz und Dreck ... Der Weg, dem er folgte, wurde von kalten Hausrückwänden und dem Kanal begrenzt. Es war gerade so viel Platz, dass er sich bequem bewegen konnte. Ab und zu hörte er Hunde bellen oder Fetzen eines Gesprächs, das aus einem der offenen Fenster heraus an die stickige Luft drang. Einmal vernahm er sogar, wie jemand weinte. Warum tat er sich das hier eigentlich an? Es war beruhigend. Es war erlösend und befreiend zu spüren, dass er nicht der Einzige war, der litt. Hier war das Grauen so nah, wie nirgendwo anders in dieser Stadt. Hier spürte er, was geschah. Das hier war die Realität. Der Pfad vor ihm führte ein Stückchen bergauf, dann verlor er sich auf einer breiten gepflasterten Straße, während das Wasser glucksend unter dieser verschwand und dahinter in ein riesiges Becken floss. Er war am Hafen angelangt. Mittlerweile war es dunkel und nur ein paar Öllampen, die vor einem heruntergekommenen Gasthaus hingen, tauchten diese Seite in ein schummriges Licht. Einen kurzen Moment sah er durch die schwach erleuchteten Fenster, hinter denen einige ausgemerkelte Gestalten saßen, jeweils mit einem Glas oder Becher vor sich. Er ging über die Straße zur Kaimauer und ließ sich darauf nieder. Sein Blick fiel zunächst auf das gegenüberliegende Ufer. Dort leuchteten Lichter in allen erdenklichen Farben und wenn man ganz genau hinhörte, konnte man die Musik vernehmen, die leise mit dem Wind herüber wehte. Schnell wandte er ihn von dem bunten Treiben ab und betrachtete die schwarze Fläche vor sich, konzentrierte sich auf das leichte Schwappen, wenn die Wellen gegen die Mauer stießen. Eine vertraute Leere überkam ihn, füllte ihn ganz aus, seit nunmehr 700 Jahren ... "Keika, pass auf!", schrie er und stieß den silberhaarigen Dämon zur Seite, der erschrocken den Kopf zu ihm gewandt hatte und nun zu Boden ging. Er spürte einen kurzen heftigen Schmerz, der ihn durchfuhr, wie ein magischer Schlag, dann, wie er auf den harten Boden krachte. Für einen kurzen Moment bekam er keine Luft mehr. Er spürte, wie eine warme Flüssigkeit seine Uniformjacke durchdrang. Er blutete, war verletzt. Neben sich erblickte er Keika, der sich gerade wieder aufrappelte. Er war keine drei Meter entfernt, hob den Kopf leicht und blickte ihn fast panisch an. Dann wurde alles dunkel. Zwischen ihnen schoss heißer Dampf aus dem Boden. Er hörte noch Keikas Stimme - ein verzweifeltes Rufen - dann war alles still um ihn herum. Vorsichtig zog er den weiten Ärmel seines Mantels hoch und krempelte ihn zurück. Dann schob er sein Hemd ebenfalls ein Stück zurück. Nachdenklich betrachtete er die Brandnarbe, die dort zum Vorschein kam und sich von knapp unterm Ellenbogen bis zur Hälfte seines linken Unterarmes zog. Es war das einzige körperliche Mal, das ihn an diesen Tag erinnerte. Die anderen Wunden waren restlos verheilt, nichtmal Narben waren geblieben, nur diese eine Verbrennung. "Wo ist Keika?" Seine Stimme war noch schwach und leise. Er lag auf dem großen Himmelbett in seinem alten Zimmer, welches er bewohnt hatte bevor er mit Keika in ihr Häuschen gezogen war. Neben ihm auf einem Stuhl saß sein Bruder Koo. Die Beine hatte er übereinander geschlagen und sein Blick ruhte auf einem Fächer, mit dem er rumspielte. "Koo ... Wo ist Keika?" Ungeduldiger wiederholte er seine Frage, sah seinen Bruder voller Sorge an. Irgendwie ahnte er schon etwas. Sein Bruder saß bei ihm. Koo, der ihn hasste ... seit er Keika bei sich hatte ... seit er ihm den Shuten und die Aufsichtsbehörden wegen der Sache mit dem heiligen Wasser auf den Hals gehetzt hatte, um Keika zu retten, um ihn bei sich behalten zu können. "Keika ...", fing Koo mit ruhiger und bedachter Stimme an, "dein Adjutant, dein Begleiter und Geliebter ...", endlich sah er kurz von seinem Fächer auf, "Willst du dich nicht erst etwas erholen? Du warst immerhin fast eine Woche bewusstlos. Dann beantworte ich dir alle deine Fragen." Es sollte besorgt klingen und Koo gab sich alle Mühe diesen Anschein zu machen, dennoch konnte er in den Augen seines Bruders ein belustigtes Blitzen erkennen. Koo wollte ihn quälen, hielt sein Wissen zurück, sodass er daran zugrunde gehen würde. "Wo ist Keika?", wiederholte er nun schon zum dritten mal leise und noch eindringlicher. Sein Körper schmerzte und die Anspannung, die er empfand machte es nicht besser. Dennoch konzentrierten sich seine Gedanken nur auf die besonnene Stimme seines älteren Bruders. "Keika, der Dämon ... dein Dämon! Er ist tot. Gefallen in der Schlacht gegen Seinesgleichen. Sehr ehrenhaft." Wieder sah Koo zu ihm rüber. Spott lag in seinem Blick. Er spürte, wie ihm diese Worte einen Stich in die Brust versetzten, wie er keine Luft mehr bekam. Heftiger als jede Verletzung bisher schmerzte es diese Worte zu hören, die er nicht glauben konnte ... nicht glauben wollte. Das Einzige zu dem er fähig war, war ein erstickendes "Nein". "Wir haben seinen Leichnam verbrannt, wie es bei den Dämonen Sitte ist. Das war hoffentlich in deinem Interesse." Sein Bruder erhob sich und ging zur Tür, sah aber nochmal kurz zu ihm. "Schlaf dich aus Teiou. Wir brauchen dich bald wieder." Mit diesen Worten, die so anteilnahmslos waren, wie es nur ging, verschwand er. "Keika", flüsterte er leise, dann liefen ihm nur noch Tränen über die Wangen und er ließ es einfach zu ... Das war das einzige Mal, dass er sich bewusst daran erinnern konnte geweint zu haben. Es war jetzt gut 700 Jahre her. Seitdem hatte er so oft an Keika gedacht, aber nie mehr um ihn geweint. Seitdem überkam ihn auch diese Leere, wenn er ganz allein war. Es war gut so! Nichts würde Keika je ersetzen können und es war befriedigend zu spüren, dass Keika durch ein 'Nichts' ersetzt worden war ... "Habt ihr Euch verlaufen?" Eine dünne Stimme ließ ihn aufschrecken. Schnell zog er den Stoff wieder über die Narbe und drehte sich um. Vor ihm stand eine junge, ziemlich dünne Frau, die ihn schüchtern ansah. Sie trug ein Kleid aus einfachem grauen Leinen und zerschlissene Schuhe. In ihrem schmalen Gesicht konnte man dunkle Schatten unter den Augen erkennen, die durch die Dunkelheit und das Schummerlicht noch tiefer wirkten. Er lächelte freundlich. "Nein. Ich bin nur zufällig hier. Wie kommst du darauf?" Sie nickte zögernd. "Soldaten sind normal im Blumenviertel um diese Zeit." Mit einem ihrer dünnen Arme deutete sie auf das entfernte Ufer mit den unzähligen Lichtern. "Ihr seid doch ein Soldat?" Ihr Blick fiel auf das Kreuz, das an seinem Kragen hing. "Auch wenn Ihr keine Uniform tragt." Sie lächelte kurz. Erst jetzt konnte man sehen, wie jung sie eigentlich noch war. Er seufzte leise. Es stimmte. Um diese Zeit versuchten die Soldaten ihre Sorgen zu ertränken oder anderweitig zu verdrängen. Wer konnte es ihnen verübeln? Sie sahen so viel Grausamkeit jeden Tag, sie töteten ihr eigenes Volk. Sie kämpften vielleicht sogar gegen ihre eigenen Verwandten. Sein Blick ruhte auf der jungen Frau vor sich. "Auf wen wartest du? Deinen Mann? Deinen Bruder oder Vater?" Sie sah kurz betrübt zu Boden. "Meinen Mann ... und meinen Bruder ..." Sie wurde immer leiser. "Ich weiß nicht mehr, was ich ohne sie machen soll. Kennt ihr sie?" Hoffnung loderte kurz in ihren Augen auf, als sie zwei Namen nannte, die ihm gänzlich unbekannt waren. Dann liefen ihr Tränen über die Wangen. Verneinend schüttelte er den Kopf. Irgendwie tat sie ihm leid. Er stand auf und stellte sich vor sie. Sie war ein ganzes Stück kleiner und wirkte sehr zerbrechlich. Ohne groß darüber nachzudenken nahm er sie in den Arm, strich ihr behutsam über den Kopf und flüsterte ihr ein paar tröstende Worte zu. Sie nickte nur leicht. Als sie sich lösten drückte er ihr einige Münzen in die Hand. "Teil sie dir gut ein. Wer weiß wie lange dieser Krieg noch dauert." Wieder nickte sie und formte mit ihren Lippen ein wortloses "Danke". Er wandte sich von ihr ab und ging die Hafenpromenade entlang durch die Dunkelheit. Dieser Krieg forderte mittlerweile zu viele Opfer und wenn man sich hier in den Vierteln mal umsah wusste man, dass selbst die Himmelsbewohner stark darunter litten, auch wenn die Reichen es nicht wahrhaben wollten ... Es war ein Teufelskreis. Bisher hatte der Großteil der Schlachten in der Menschenwelt stattgefunden. Das Himmelsterritorium war noch unbeschädigt mit Ausnahme des Himmelsturmes, der nur noch eine Ruine war, und ein paar Dörfer an den jeweiligen Landesgrenzen. Dennoch war der Krieg hier spürbar. Wie viele hatten schon Familie, Freunde oder sonst was verloren, so wie das Mädchen gerade? Konnte es so weiter gehen? Wohl kaum ... Die Menschen wurden hingehalten. Für die Meisten gab es genug Nahrung und außerdem setzte man alles daran, die Bevölkerung bei Laune zu halten. Brot und Spiele ... das Konzept traf es ziemlich genau. Es war einfach nur widerlich und keiner übte auch nur ansatzweise Kritik am Herrscher. Dabei war Shoou nicht gerade zu geringem Teil Schuld an dieser Misere. "Ich wusste doch, dass du eine Freundin hast." Er hielt kurz inne. Die Stimme kam hinter ihm aus dem Schatten eines Hauses. Sie war ihm durchaus bekannt. Unbeirrt setzte er seinen Weg fort. "Wie lange folgst du mir schon? Tahou?" Seine Stimme klang gleichgültig und desinteressiert. Hinter sich nahm er nun Schritte wahr, die zu ihm aufschlossen. "Lange genug. Warum hast du dir hier eine gesucht und nicht unter den Händlerstöchtern oder dem Adel? Gibt doch wirklich Hübschere." Tahou, sein Neffe war mittlerweile neben ihm angekommen und musterte ihn interessiert. "Gib es zu Onkel Teiou! Ich habe alles gesehen." "Da du ja was gesehen hast, wo nichts war und du dich hier rumtreibst, nehme ich an, dass du deine Aufgabe erledigt hast." Er drehte den Kopf leicht und betrachtete den Sohn seines Bruders, dem er Unterricht im Schwertkampf und im Gebrauch von Magie gab. Für Tahou war er so etwas wie ein Mentor, oder vielleicht doch eher der große Bruder, dem es nachzueifern galt. Sein noch sehr jungenhaftes Gesicht zuckte kurz und er strich sich ein wenig verlegen die langen Haare zurück, die in diesem Licht beinahe schwarz waren, im Sonnenlicht allerdings in einem dunklen braun und sehr vielen anderen Farben schimmerten. Eindeutig definierbar war seine Haarfarbe jedenfalls nicht. "Also? Wie steht es mit der Magie?", wiederholte er seine Frage etwas konkreter. "Ganz gut." "Dann zeig es mir." Sein Blick war nach vorne gerichtet, dennoch bemerkte er, dass Tahou ein wenig verwirrt stehen blieb und ihn ansah. "Jetzt? Hier?" "Ja. Wo du es doch kannst ... Mach schon. Greif an." Ohne sich umzudrehen ging er weiter, seinen verdutzen Neffen hinter sich lassend, dessen Schritte erst ein paar Sekunden später wieder zu hören waren. "Kannst du es doch nicht, oder warum dauert das so lange?" "Vielleicht ...", Tahou klang unsicher und eingeschüchtert, das war gut, "... vielleicht mache ich auch gerade nur eine Pause. Ich meine es ist schon spät und ..." "... und du hast deine Aufgabe nicht erledigt." Kaum hatte er zu Ende gesprochen, als er Tahou hinter sich eine Beschwörung aufsagen hörte. Erst flüsterte Tahou fast, dann wurde seine Stimme immer lauter und er ließ letztlich einen magischen Blitz auf ihn zuschnellen, der sich aber knapp einen Meter hinter seinem Onkel in Luft auflöste. "War wohl nichts. Glaubst du, so einfach könntest du meinen Bannkreis durchbrechen?" Er musste leicht grinsen. "War das schon alles?" Er vernahm ein verärgertes Stampfen, dann schoss Tahou auf ihn zu und sprang von hinten auf ihn. Es brauchte einen Schritt zur Seite und zwei Handgriffe, bis der Junge vor ihm auf dem Boden lag und sich die Schulter rieb. "Musste das so fest sein, Onkel?" "Wenn es dir beim lernen hilft." Er zuckte mit den Schultern. Tahou würde noch sehr viel lernen müssen, wenn er sich einmal gegen ihn behaupten wollte. Aber bis dahin würde noch viel Zeit vergehen. Sehr viel Zeit ... "Und jetzt steh auf. Ich will nach Hause und du solltest um diese Zeit auch nicht in dieser Gegend rumlungern. Dein Vater wird davon nicht begeistert sein." "Du darfst auch und bist nur 1000 Jahre älter." "1100 um genau zu sein", für einen kurzen Moment sah er Tahou amüsiert an, der sich wie ein trotziger 12 Jähriger verhielt, was er im Grunde auch noch war, nur eben ein bisschen älter. "Außerdem bin ich Generalfeldmarschall und kann, im Gegensatz zu dir, mit meinen Kräften umgehen." "Jaja ...", grummelte sein Neffe vor sich hin, dann stand er endlich vom staubigen Boden auf. "Im Übrigen will Vater dich sehen. Schnellstmöglich." Seine Worte klangen etwas widerwillig und als er das Wort Vater gebrauchte, konnte man merken wie wenig ihm an Shoou, seinem eigenen Vater, lag. In solchen Augenblicken fiel ihm auf, wie ähnlich er Tahou doch war. Früher hatte er mit seinem eigenen Vater auch nicht viel anfangen können. Vielleicht war das in dem Alter einfach so. Heute wünschte er sich manchmal, Soryuou würde noch leben und regieren. Shoou war ein Tyrann. Sein Vater war immerhin angenehmer gewesen, in der Beziehung jedenfalls, wenn er auch in vielen anderen Dingen mächtig daneben gelegen hatte, wie zum Beispiel mit seinen ganzen Liebschaften. Allerdings konnte er sich nicht daran erinnern so ein biestiges Kind wie Tahou gewesen zu sein. Als er 5 Jahre alt gewesen war, hatte Tahou Keika dazu gebracht heiliges Wasser zu trinken. Die Sache war gerade nochmal gut gegangen, aber Keika war fast drei Tage bewusstlos gewesen. "Heute noch?" "Ja!" Ihre Schritte hallten von den Wänden des Ganges zurück, der zu den privaten Räumlichkeiten des amtierenden Tennos führten. Von einem Sekretär, der ziemlich mitgenommen und müde wirkte, wurde er in einen Empfangsraum gebeten. Tahou folgte ihm unschlüssig. Es war schon spät. Sicherlich bald Mitternacht. Er trat an die großen Rundbogenfenster und sah hinaus in die weitläufigen Parkanlagen, die sich rund um das Schloss erstreckten, jetzt aber in völligem Dunkel lagen. Nur ein paar Schatten waren erkennbar. Tahou hatte sich auf einem der Sessel niedergelassen und wartete, sichtlich nervös. "Generalfeldmarschall Teiou. Wie erfreulich, dass Ihr euch noch her bemüht habt." Er drehte sich um und sah seinen ältesten Bruder an. "Shoou-sama." Seine Stimme zeigte die Gleichgültigkeit, die sie immer an sich hatte. Er deutete eine leichte Verneigung nur an, verschränkte dann die Arme und schüttelte nur verneinend den Kopf, als der Tenno ihm einen Sitzplatz anbot. Tahou wurde von dieser Begrüßung völlig ausgeschlossen und saß nur unbeteiligt da. "Hat dich die Belohnung erreicht, die ich dir versprochen hatte, für deine letzten Taten?" "Die Mädchen aus dem Blumenviertel? Ich hab sie wieder weggeschickt ..." Shoous Gesichtsausdruck konnte er einen Moment lang nicht einordnen. Er wusste, dass diese erkauften Liebschaften ihn ablenken sollten von dem, was er hier alltäglich durchmachte. Aber er sollte auch Keika vergessen. Er sollte ihn durch eine Frau ersetzen, oder durch Affären. Genau so leben, wie er es gemacht hatte, bevor er Keika kennen gelernt hatte. Aber seit Keikas Tod hatte er nie wieder eine Frau angefasst. Gut mal umarmt, wie die junge Frau eben, aber sonst nichts. Er fühlte, dass er es Keika zumindest irgendwie schuldig war. "Dafür hab ich sie dir nicht geschickt." "Ich weiß ... Mit einer hab ich mich die halbe Nacht unterhalten. Zufrieden?" "Über was redet man denn mit solchen Personen?" Für den Tenno schien es undenkbar sich mit diesen Frauen zu unterhalten. "Über dies und das, aber ich denke, dass ist meine Sache." Ungeduld und Trotz schwangen in dieser Antwort mit. Er hatte sich lange mit ihr unterhalten: Über die Zustände, den Krieg, ihre Familie, die Gründe, warum so gesehen als Prostituierte arbeitete usw. Es hatte gut getan jemanden zum reden zu haben. Er hatte ihr auch so ziemlich alles erzählt, was ihn im Moment bedrückte. Aber über Keika oder ihre Beziehung hatte er sich ausgeschwiegen. Es ging eher um das, was er jeden Tag miterlebte. Über vieles schwieg er seit Jahren und seitdem Keika weg war, hatte er niemanden, der ihn verstand. Sie hatte ihm für ein paar Stunden das Gefühl gegeben wieder jemanden zu haben ... "Komm endlich zur Sache Bruder. Worum geht es? Ich würde auch gerne irgendwann ins Bett ... Alleine!" Ungerührt sah sein Bruder ihn an. "Nun gut. Wie macht sich Tahou?" Wie immer war seine Stimme salbungsvoll und geschwollen. Shoou nickte in die Richtung seines Sohnes, in dessen Richtung er nun auch sah. "Und deshalb empfängst du mich mitten in der Nacht noch? Glaubst du nicht, dass es wichtigere Dinge gibt? Hast du überhaupt eine Ahnung davon, was wichtig ist? Dein Sohn ist so was von unwichtig!" Er redete sich in Rage, ließ den ganzen Ärger raus, den er angestaut hatte in den letzten Tagen und Wochen. "Da draußen sterben jeden Tag zig Menschen und du interessierst dich nur für deinen Sohn? Sag mal, siehst du das Elend eigentlich nicht? Warum bist du so versessen darauf diesen Krieg zu gewinnen? Warum ..." "Teiou!" Die Stimme seines Bruders hatte einen Tonfall angenommen, der keinen weiteren Monolog zuließ. "Ich reagiere nur auf mein Umfeld. Wenn der Süden mein Land angreift, habe ich mich zu wehren. Und Opfer bringt so ein Krieg nunmal mit sich. Aber erzählen, dass die Bewohner dieser Stadt leiden, kannst du mir nun wirklich nicht." "Ach nein? Du hockst doch nur hier und ... warst du schonmal in den Armenvierteln? Wohl kaum ... Ich habe es erst gerade gesehen. Das Leid, was es ja nicht gibt in dieser Stadt ..." "Teiou! Es reicht jetzt. Treib dich halt nicht da rum. Das bekommt deinem angeschlagenen Zustand nicht so sonderlich ... Morgen wirst du übrigens die Besichtigung entlang der Grenze zum Süden unternehmen. Die zweite Mitteilung, die ich dir machen wollte. Und nun geh! Lass dich erst wieder blicken, wenn du deinen Bericht fertig hast!" Vor Wut schnaubend wandte er dem Tenno, ohne ein weiteres Wort, den Rücken zu und ging zur Tür. Seinen Neffen bedachte er noch mit einem kurzen ziemlich wütenden Blick, unter dem der zusammenzuckte. Dann verschwand er den Gang entlang. Kurz nach seinem Abgang tauchte Koo, sein zweiter Bruder, aus einem Nebenraum auf und stand nun knapp hinter Shoou. "Immer wenn er ausflippt, merke ich, dass er noch lebt." Ein leichtes Grinsen schlich auf seine Lippen. Ein Nicken des Tennos war erstmal alles, was er als Antwort bekam. Shoou sah immer noch ihrem kleinen Bruder hinterher, dann wandte er sich an Tahou. "Geh auf dein Zimmer! Teiou war mit Sicherheit nicht begeistert von dir. Sonst wärst du nicht unwichtig. Morgen übst du weiter! So lange, bis Teiou wieder hier auftaucht und dann beherrschst du das, was er von dir verlangt hat!" So konnte man es natürlich auch auslegen. Wiedermal war Tahou an allem Schuld. Dieser nickte untertänig, stand behände auf und verzog sich, sichtlich erleichtert von seinem Vater wegzukommen, aber auch sauer, weil er wieder zusammengestaucht wurde, wegen seinem mangelnden Ehrgeiz, oder besser gesagt Können. "Du hast Recht. Nur wenn er wütend ist merkt man das." Auch Shoou grinste nun leicht. "Er ist über diesen Keika nicht weg gekommen, aber seitdem ist gehorcht er ohne großen Widerspruch. Er ist wie eine Marionette." Sein jüngerer Bruder nickte zustimmend. "Manchmal sind meine Ideen unschlagbar." "Allerdings. Dass du ihn getötet hast ist dir hoch anzurechnen." Während er dies sagte, sah Shoou aus dem Fenster, so dass er nicht merkte, wie sein Bruder kurz stockte. "Ja .. eine meiner besseren Ideen", antwortete Koo nur leise. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)