Tango von Terrormopf (Das Rosa Cama in Buenos Aires) ================================================================================ Kapitel 8: Der achte Tanz ------------------------- Ich will nicht viel vorweg sagen, nur dass ich nun wahrscheinlich noch verhasster bin uû Leise öffnete er die Flügeltüre, die in Ramóns Gemächer führte. Die Vorhänge in seinem Gelass waren zugezogen. Hier war er also nicht. Er ging weiter in das Durchgangszimmer, das zu Ramóns Schlafraum führte. Die Tür zum Balkon stand offen. Draußen saß Ramón – allein – in der einen Hand ein Glas gefüllt mit Wein, in der anderen die Pfeife, die ihm ihr Vater zu seinem zwanzigsten Geburtstag geschenkt hatte. Julio lehnte sich über die Brüstung. Von hier aus hatte man einen wunderbaren Blick über die Dächer des Viertels, deren Ziegel die Sonne warm bemalte. Eine Weile schwiegen sie, bis Ramón mit leiser Stimme fragte: „Sie ist also nicht gekommen?“ Der Dunkelhaarige schüttelte niedergeschlagen den Kopf und murmelte: „Dabei war ich mir so sicher, dass sie mich auch liebt.“ „Vielleicht“, begann Ramón zögerlich und stellte seinen Wein ab, „Hat sie es nicht geschafft frei zu bekommen? Die Hurenwirte sollen ja nicht die freundlichsten Gesellen sein.“ Daraufhin brauste der Ältere auf: „Carmen ist doch nicht stupide! Hätte sie es denn gewollt, hätte sie einen Weg gefunden. Es kann nicht daran liegen.“ Ramóns Hand war auf der Schulter des Kleineren zum Ligen gekommen und er fragte: „Was verliebst du dich auch ausgerechnet in eine Hure? Dein Verstand muss toll geworden sein, denn wäre er noch klar, so hättest du, der du stets der Vernünftige bist, niemals eine solche Torheit begangen.“ „Ach, mein Bruder, verspott’ mich nur; ich hab’s ja doch verdient; ’s ist ja die Wahrheit!“ Der Kopf des Dunkelhaarigen hing zwischen seinen Schultern. Er wollte den Sonnenball nicht sehen, der gleich seiner Hoffnung und seiner Lust am Leben, hinter dem Horizont verschwand, unterging. „Ich habe Kopfschmerzen, entschuldige mich bitte bei den Eltern, Ramón.“ Damit drehte er sich um und ging, ohne seinem Bruder noch einen Blick zu schenken. In seiner Kammer saß er im Ohrensessel, die Vorhänge zugezogen und starrte an die Wand. Was für ein Narr verliebte sich in eine Hure? Nur der dümmste und naivste unter ihnen. Er wusste nicht, wie lange er schon so dasaß, da klopfte es an der Tür. „Ich wünschte doch nicht gestört zu werden, Ramón!“, rief er. Dennoch öffnete sich die Tür. Er konnte es zwar nicht sehen, da er mit dem Rücken zu dieser saß, doch hörte er es. Auch hörte er, wie die Absätze bei den Schritten auf dem Boden klackerten und neben ihm zu schweigen begannen. Eine kleine, zarte Frauenhand fuhr ihm über den Schopf und er vernahm die Stimme Esperanzas: „Warum sitzt Ihr hier so allein im Dunkel, Don Julio?“ „Die Dunkelheit passt gerade so vortrefflich zu meinem Leben“, gab er matt zurück und erwartete, dass sie sich über ihn empörte, dass er, der doch so glücklichen Tatsache ihrer Verlobung zum Trotz, so niedergeschlagen war. „Dann lasst mich Euch im Dunklen Gesellschaft leisten, denn auch zu meinem Leben passt es gut“, erwiderte sie und setzte sich in den zweiten Sessel. Erstaunt hob der junge Mann die Augenbrauen und fragte: „Wieso sollte Euer Leben denn von Dunkelheit gefüllt sein, Señorita Maladie? Ihr habt, was Ihr wolltet: die Verlobung mit mir. Sollte Euer Gemüt sich denn damit nicht begnügen? Sollte Eure Welt ob dieser Tatsache nicht glänzen und strahlen und die Luft durch Fanfaren erbeben?“ Esperanza jedoch schüttelte, ein melancholisches Lächeln auf den Lippen, den Kopf und antwortete: „Wie sollte es denn, wenn Euch diese Entscheidung in einen tiefen, dunklen Abgrund der Depressionen wirft?“ „Oh glaubt mir, Verehrteste, mein Gebärden hat gewiss nicht unsere Verlobung zum Grund.“ „Was ist es dann?“ Ihre Stimme klang aufrichtig, interessiert. „Ich kann es Euch nicht erzählen, denn nannte ich Euch den Grund, so hasstet Ihr mich und für eine Ehe ist das nie eine gute Grundlage, so halte ich es denn für besser es Euch zu verschwiegen. Verzeiht.“ „Nein.“ „Nein?“ Verwundert sah er zu ihr und fragte: „Warum nicht?“ „Weil“, so begann sie zu erklären, „Eine Lüge als Grundlage für die Ehe ebenso verwerflich ist wie Hass; und ich kann guten Gewissens sagen, dass ich Euch niemals auch nur verachten könnte.“ „Und wenn ich es Euch nicht verraten will?“, fragte er, versuchend sich aus dieser Zwickmühle zu befreien; doch abermals hatte sie eine Erwiderung parat: „Euch zwingen zu reden, das kann ich nicht und das wollte ich auch nicht, aber ich kann Euch sagen, dass ich weiß, worum es geht, wenn Ihr Euch dem Gespräch mit mir so verweigert.“ „So?“ Etwas belustigt zog er die Augenbrauen hoch und wartete, dass sie fortfuhr. „Ihr seid verliebt.“ Ihre Lippen hatten sich kaum bewegt und die Stimme hatte sie ruhig gehalten. Dennoch hallten ihre Worte in seinem Kopf wieder, als hätte sie geschrieen. Sein Mund öffnete sich und doch konnte er nichts erwidern, so fuhr sie fort: „Ich sah es doch mit eigenen Augen. Ihr verliebtet Euch in Euren Bruder.“ „Wie…?“ Er kam nicht dazu seine Frage zu vollenden. „Wie ich es herausfand? Man sieht es doch auf den ersten Blick; wie Ihr ihn anseht und Euer Gebärden, als er mir Komplimente machte; es liegt auf der Hand.“ Die Augen des Dunkelhaarigen weiteten sich und er schnappte überrascht nach Luft, dann prustete er los. Er konnte es nicht zügeln und hielt sich schon den Bauch vor Lachen. „Ihr- Ihr glaubt tatsächlich, ich hätte mich in meinen eigenen Bruder verliebt? In Ramón – den ungehobeltsten Rüpel des ganzen Viertels? Weil ich ihn zurechtwies, als er Euch in Verlegenheit brachte? Meine Verehrteste Esperanza, welche Talente Ihr auch immer haben mögt, das Kombinieren ist es keinesfalls.“ „Ihr verspottet mich.“ Er verstummte. Wohl hatte er gehört, wie verletzt sie war. „Wenn ich denn nur Eurer Erheiterung diene, so gehe ich und kleide mich in das Kostüm eines Narrens, auf dass Euer Lachen noch schallender und noch verhöhnender wird. Gute Nacht, Don Julio!“ Sie erhob sich, den Handrücken vorm Mund und er hörte noch ihr Kleid rascheln, bis sie die Tür zuschlug. Der Knall ließ ihn aus seiner Starre erwachen. Waren das Tränen gewesen, die auf ihren Wangen geglitzert hatten? Und hatte ihre Stimme tatsächlich so gezittert? Hatte er sie wirklich verletzt? „Esperanza!“ Er war aufgesprungen, hatte die Türe aufgestoßen und in den Gang gerufen. „Esperanza, wartet!“ Er lief ihr nach – schwerer als erwartet sie einzuholen – und kriegte sie endlich zu fassen. Sie leistete jedoch erbittert Widerstand. Dennoch drehte er sie zu sich um. Verzweifelt suchte sie sich loszureißen und schaffte es doch nicht. So presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor: „Lasst mich auf der Stelle los!“ Von den Schreien angelockt kamen sogleich einige Sklaven und ein Teil des Gesindes, die ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrten, wie er da die weinende Esperanza festhielt. „Lasst los.“, wiederholte sie ihre Aufforderung leise und wandte den Blick beschämt zu Boden. Julios Blick schweifte umher; von einem schockierten Gesicht zum Nächsten, bis er schließlich auch das seines Bruders sehen konnte, der ihn angrinste und die Daumen hob. Erst jetzt wurde er sich ihrer Situation bewusst, ließ ihr Handgelenk auf der Stelle frei und murmelte: „Verzeiht, ich wollte nicht…“ „Spart Euch die Worte!“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging schnellen Schrittes den Flur entlang, bis sie schließlich um eine Ecke bog und aus seinem Blickfeld verschwand. Julio hingegen blieb stehen und sah ihr nach. Er hatte sie doch nicht verletzen wollen. „Habt ihr nichts Besseres zu tun als zu gaffen, ihr faules Pack? Na los! Zurück an die Arbeit!“ Es war wieder Ramón, der ihn aus dieser Benommenheit erweckte. Das Gesinde verstreute sich eilig, den Zorn des Jüngeren fürchtend und überließen die Beiden sich selbst. Eben der kam auf ihn zu, legte ihm den Arm um die Schultern und lachte: „Mein bester Bruder, hast dich also doch entschieden von allen Tellern zu probieren; mich dünkt allerdings, dass ich dir da noch so einiges zeigen muss.“ „Aber…“, wollte Julio noch widersprechen, doch der Hellhaarige zog in mit sich in die nächste Tür, die in seine Gemächer führte. Als sich Alejandro Insida seine Dienstbotenkleidung wieder anzog beobachtete sie ihn. Dieser abscheuliche Mann, der sie die Liebe zu Julio gekostet hatte. Ihr Blick schweifte durchs Zimmer. Hatte sie etwas, das sie verwenden konnte, ihn zu erschlagen? Vielleicht der Kerzenständer? Oder besser gleich der Schemel? Seufzend wies sie sich zurecht. Sie könnte ihn nicht erschlagen, denn das hieße ihn umbringen. Mental hätte sie es mit sich ins Reine bringen können – Grund genug ihn zu meucheln hatte sie schließlich – doch war sie nicht gescheit genug, um den Mord zu vertuschen, geschweige denn die Spuren die zu ihr führen würden zu verwischen. Also erhob auch sie sich, um sich ihr Kleid wieder überzustreifen. Doch als sie aufstand, merkte sie, dass ihr alle Glieder schmerzten, insbesondere der Unterleib. Beim Herrn, dieser Mann war alles andere als zärtlich und einfühlsam gewesen. Und das in dieser Zeit; die meisten ihrer Freier besaßen noch den Anstand Vorsicht walten zu lassen, doch dieser Flegel hatte es nicht für nötig befunden zu warten, dass sie bereit gewesen wäre. So zog sie sich also an. Was hatte es eigentlich für einen Sinn? Sie hätte sich am liebsten aus dem Fenster gestürzt, doch das dumme Ding war nicht groß genug, dass sie hindurch gepasst hätte. Nichts schien mehr einen Sinn zu machen. Nun glaubte Julio, sie hätte nur mit ihm gespielt; sie liebe ihn nicht. Erneut brauste die Wut in ihr nach oben; von tief aus ihrem Bauch heraus spürte sie wie sie sich mühen musste den Atem flach zu halten und nicht zu schnauben wie ein Stier bei der Corrida. Am liebsten hätte sie geschrieen, getobt, ihn geschlagen und getreten. Ihm seine lächerliche Perücke vom Haupt gerissen und sie im Staube zertreten. Aber sie war wie gelähmt in ihrem Zorn. Alejandro drehte sich zu ihr um, grinste süffisant und meinte: „Ich glaube, ich komme dich öfter besuchen. Mein Herr wird sicher auch nichts dagegen haben, schließlich weiß er ja nun, dass du nur mit ihm spieltest.“ Wäre es nicht ihre Kammer gewesen hätte sie angewidert ausgespuckt, denn etwas darauf zu erwidern, war sie nicht fähig. „Nun tu nicht so, als hätte es dir nicht gefallen, dass dich mal einer richtig genommen hat; schließlich hast du laut gestöhnt vor Lust!“ „Vor Schmerz!“, korrigierte sie ihn zwischen zusammengepressten Zähnen. „Wie dem auch sei“, ungerührt hob er die Achseln und zupfte die Spitze an seinen Ärmeln zurecht. „Du hast meinem Herrn das Herz gebrochen, da kannst du natürlich nicht ganz ungeschoren davonkommen oder wie dachtest du dir das?“ Er band sich seine Halsbinde um und steckte das Ende galant in den Ausschnitt seiner Weste. Daraufhin griff sie in ihre Tasche und ertastete dort noch die Halsbinde Julios. Fest umklammerte sie diese mit ihren Fingern, als könnte sie ihr irgendeinen Halt geben, dass sie sich selbst und alle Regeln der Gesellschaft nicht vergaß. Der weiche Stoff schmiegte sich den Konturen ihrer Hand an und es war ihr, als streichelte er ihr beruhigend über die Haut. „Wie konntest du meinen Herrn nur so hintergehen, Hure? Dich mit mir zu vergnügen, während er auf dich wartete, pfui!“ Er stand nun unmittelbar vor ihr und bleckte die Zähne, während er das Gesicht zu einem noch breiteren Grinsen verzog. Sie hingegen presste ihre Kiefer so fest aufeinander, dass es ihr schon wehtat, nur damit sie nicht nach ihm schnappte. Wieso provozierte dieser Barbar sie dermaßen? Was brachte es ihm? War es für ihn eine kranke und perverse Art der Befriedigung? Reichte ihm das Körperliche nicht? Musste er sie auch noch seelisch in Stücke reißen? „Aber wie könntest du dir anmaßen zu sagen, dass du ihn liebtest? Du kennst ihn nicht, du weißt nichts über ihn, seine Familie. Wusstest du, dass er einen Bruder hat? Dass seine Mutter wohl bald endlich ins Gras beißt? Dass ihm sein Vater schon direkt nach der Hochzeit alle Verantwortung übertragen will?“ Sie atmete tief ein und musste es auf sich sitzen lassen. Sie wusste nahezu nichts von alledem; hatte er am Ende doch Recht? Nein! So leicht ließ sie sich nicht verunsichern! Das Tuch in ihrer Hand glitt sanft durch ihre Finger. Auf einmal wurde der Hure bewusst, dass es das Einzige war, das ihr von ihm blieb, bis auf die Erinnerung an ihn und den Duft nach Tabak und Vanille. Ihre Hand formte eine Faust, in der es fest eingeschlossen war, doch anscheinend hatte Alejandro bemerkt, dass sie etwas in der Hand hatte, denn er fragte: „Was hast du in der Tasche? Ist es Geld, das du mir gestohlen hast?“ Sie? Stehlen? „Nein, ich würde es mir niemals erlauben etwas zu stehlen!“ Ihre Stimme zitterte vor Angst und ihre Hand umfasste die Halsbinde noch stärker. „Du lügst! Huren lügen schon, wenn sie nur den Mund aufmachen; zeig deine Hände!“ Zögerlich präsentierte sie ihm ihre linke Hand. „Nun die Andere!“ Nur widerwillig ließ sie das Stück Stoff los und zeigte ihm auch ihre Rechte. Blitzschnell trat er nun auf sie zu, packte grob in ihre Taschen und stülpte diese nach außen, woraufhin die Halsbinde sanft zu Boden schwebte. Hastig stopfte sie ihre Taschen wieder in den Rock und wollte sich nach dem Tuch bücken, da hatte er es schon in die Finger gekriegt und begutachtete es. „Eine Halsbinde?“, fragte er, „Was will eine Hure mit einer… J.S.?“ Er hatte die eingestickten Initialen entdeckt. Starr vor Schreck und mit offenem Mund starrte Carmen in sein Gesicht. Was würde er nun tun? „Du hast meinem Herrn die Halsbinde gestohlen?“, fragte er ungläubig. „Dann ist ja gut, dass ich gleich zu ihm muss, dann kann ich ihm diese zurückgeben.“ „Nein!“, keuchte Carmen. „Nein! Das kannst du mir nicht antun! Es ist das Letzte, was mir von ihm bleibt! Das darfst du nicht!“ „Ich darf es nicht?“ Er lachte abfällig. „Verehrteste, hätte ein Wächter dich erwischt, so hätte er dir die rechte Hand abgehackt, also beschwer dich nicht. Guten Abend, Hure.“ Sie suchte ihn in ihrer Verzweiflung festzuhalten, doch er riss sich los und trat aus ihrer Kammer. „Nein! Warte! Ich bitte dich! Nein!“ In diesem Moment brach sie zusammen. Sie fiel zu Boden wie ein Sack Kartoffeln und schluchzte hemmungslos. Wie hatte dieser Tag nur so schief laufen können? Die heißen Tränen tropften auf ihr Dekolletee und erkalteten dort. Was blieb ihr nun noch von ihm? Sein Antlitz würde in ihrer Erinnerung bald verblassen, so war es immer mit den Menschen und auch seinen Duft würde sie nicht mehr atmen können. Seinen heißen, zärtlichen und doch so starken Körper könnte sie nie wieder spüren. Sie achtete nicht mehr auf ihre Umgebung. Sie kniete nur dort und weinte bitterlich. Sie bekam auch nicht mit, wie Emilie in das Zimmer geeilt kam, sich neben ihr fallen ließ und Carmens Kopf gegen ihre Brust drückte. Es war alles in weiter Ferne. Sie sah nur die Verzweiflung. Soo~o ^.^ Das war der achte Tanz. Ich hoffe, dass er euch doch etwas gefallen hat und ihr ihn nicht zu kitschig (ist das das richtige Wort? oder doch besser Klischeehaft?) fandet uû Ich freue mich auf eure Meinung,lG, Terrormopf^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)