Tango von Terrormopf (Das Rosa Cama in Buenos Aires) ================================================================================ Kapitel 12: Der zwölfte Tanz ---------------------------- Hallo, ihr Lieben! =) Ich hoffe doch, dass ihr die Festtage gut überstanden habt und auch gut ins neue Jahr gekommen seid; ich bin es jedenfalls :D Dann möchte ich mich euch noch um Verzeihung bitten, dass ich so lange gebraucht habe; ich hoffe, ihr seid mir nicht all zu böse... Als Entschädigung ist dieses Kapitel dafür knapp zehn Word-Seiten lang :D Um des Weiteren auf die Bitte einer Leserin einzugehen, hier noch einmal eine Erklärung modischer Fachbegriffe des letzten und dieses Kapitels, verzeiht, dass ich es im letzten vergessen hatte, ich hoffe, dass ich hierdurch etwas Klarheit schaffen kann. Beginnen wir mit der Herrenmode: Der Justaucorps ist ein Gehrock, ich hatte ihn schon mal unter der Bezeichnung „Rock“ beschrieben Die Cravate ist ähnlich wie die Halsbinde Die Culotte ist die übliche Kniehose Der Hosenlatz à la bavaroise bezeichnet den Verschluss der Hose mit zwei Knopfreihen beiderseits der Mitte Dreispitzen und Degen waren Zeichen des Adels Nun zur Damenmode: Volants sind die Besätze an Ärmeln (Nicht die Spitze, den Volants werden glatt angenäht) Der Schnürleib ist das Korsett oder Mieder, es wurde spiralförmig, vorne oder hinten verschnürt Das Chemise ist ein Unterkleid, das man trug Ein Contouche ist ein Kleid mit von den Schultern abfallenden Watteaufalten, benannt nach dem Maler Watteau, der so entzückt von diesem Faltenwurf war, dass er die Damen nur noch von hinten malte, zu erklären ist es nicht gut, deshalb schlag ich vor, dass ihr die Eigeninitiative ergreift und einfach mal nachgooglet^^ Ein Médicis ist ein Halsband aus Spitze oder Taft Die Robe oder das Manteau ist das Mantelartige Obergewandt Die Jupe ist ein Rock, der unter der unter der sich dreieckig öffnenden Robe zu sehen war, wer es sich leisten konnte, legte ihn sich in den Farben des Manteaus gehalten ist, weil man ihn nicht von diesem unterscheiden können sollte, es sollte wirken, als sei es ein Kleid Der Anstandsrock ist ein knielanger Rock, der dafür sorgt, dass wenn alle anderen Röcke hochgeweht werden, der Anstand gewahrt wurde Die Taschen wurden tatsächlich separat an den Hüften angebracht Der Stecker ist ein dreieckiges Stück Stoff, das unter die vordere Öffnung der Robe kam, um das Korsett zu verdecken Ich hoffe, dass ich nichts vergessen habe, ansonsten: Fragen dürfen gestellt werden, ich beantworte gerne^^ Und nun viel Spaß! Beim Arzt war sie nun schon vor einem Tag gewesen, zum Aderlass, und ihre Haut war noch immer wunderschön blass. Der Hurenwirt hatte es ihr bezahlt, als sie ihm vorgegaukelt hatte, sie sei sterbenskrank. Sie besah sich die Innenseite ihres Arms; man konnte sehen, wie die Venen sich blau durch ihre Haut zogen, verschwanden und in der Beuge ihres Ellenbogens wieder blaugrünlich aufblitzten. Sie war schon so fasziniert davon, seit sie vom Arzt wiedergekommen war. Noch nie hatte sie eine solch durchscheinende Haut gehabt. Dennoch waren die Adern der Frauen des Standes weitaus deutlicher zu sehen; ob sie sie nachmalten? Die Sonne ging gerade auf und erst jetzt wurde Carmen sich der Tatsache bewusst, dass an diesem heutigen Tag der Ball sein würde. Nur wusste sie nicht recht, ob sie sich darüber freuen sollte. Zwar sah sie auf der einen Seite ihren Julio wieder, doch auf der anderen Seite fand diese Festlichkeit nur statt, um der Gesellschaft seine Verlobung mit Esperanza Maladie zu offenbaren. Die Kirchturmuhr schlug sechs und daraufhin stieg Carmen aus dem Bett. Doch kaum war sie aufgestanden, musste sie sich wieder setzen. Konnte es denn tatsächlich sein, dass ihr noch immer vom Aderlass schwindelig war? Umso besser! Wenn sie herunterkäme und dort der Hurenwirt stand, würde er sie sicherlich fragen, wie es ihr ginge; mit einem schwächlichen Lächeln würde sie antworten, dass es schon ginge und anschließend einen Schwindelanfall vorschützen. Und wenn sie dann zwei Stunden später noch halb blind ankäme, so würde er ihr gewiss verbieten heute Abend einen Freier zu empfangen. Der erste Teil verlief wie sie es vorausgesehen hatte und der Hurenwirt nahm ihr die Schwäche ab und meinte: „Leg dich wieder hin, dass du mir krepierst fehlt mir gerade noch, du bist eine meiner Haupteinnahmequellen!“ Innerlich schäumte Carmen und hätte dem Herrn am liebsten nach Gentlemanart eine mit dem Glacéhandschuh gescheuert, dennoch nickte sie daraufhin nur schwach und schlurfte die Stufen hinauf in ihre Kammer, um sich da in ihr Bett fallen zu lassen. Mit Sicherheit würde heute Abend alles perfekt laufen und Julio würde sich sicher freuen sie wieder zu sehen. Bei dem Gedanken wurde ihr warm ums Herz und sie drehte sich auf die Seite, wohlig seufzend. Es war einfach wundervoll sich vorzustellen wie Julio vor ihr stand, sich ihr ganz langsam näherte und seine Lippen die Ihren ganz zurückhaltend, beinahe vorsichtig berührten. Dann würde er seine Scheu ablegen und seine Arme um sie schlingen, um in einem innigen Kuss mit ihr zu versinken… „Hey, was gibt es denn um die Uhrzeit schon so zu seufzen? Wenn einer seufzen darf, dann bin ich das, weil der Hurenwirt mir befahl, dir das Frühstück hinaufzubringen! Du seist schließlich noch zu geschwächt und überhaupt wäre es bei mir nicht so schlimm, wenn meine Hände aussehen wie die einer Bäuerin, Französinnen seien längst nicht mehr so gefragt wie früher, nein, mit dir mache er seinen ganzen Umsatz! Pah! Der soll sich trauen mir in einer dunklen Gasse zu begegnen, die Kanaille!“ Schnaufend stellte sie das Tablett, auf dem eine Scheibe Brot, etwas Käse, ein Krug mit Wasser und ein Becher standen, auf dem Tisch ab und legte sich zu Carmen aufs Bett. „Was für eine Frechheit!“, zeterte die Französin plötzlich und setzte sich wieder auf. „Ich habe bisher noch nie bemerkt, dass dein Bett viel weicher ist, als das Meine!“ Auch Carmen richtete den Oberkörper auf und sah ihrer Freundin prüfend ins Gesicht. Schließlich fragte sie: „Was ist denn mit dir los, Emilie?“ „Ach, ich bin sauer auf den Wirt!“, maulte die Französin und stierte mit zusammengezogenen Brauen aus dem Fenster. Nach dem Grund Emilies Zorn auf den Hurenwirt musste Carmen nicht fragen. Auch wenn ihre Freundin nicht darüber sprach, wusste sie, dass der Besitzer des Rosa Cama schon länger Emilies Bett aufsuchte und sie dennoch nur niedermachte und das zerrte an den Nerven der Französin. „Aber es ist doch immer noch besser bei ihm als bei dem aus dem Belladonna, der schlägt seine Nichten immerhin!“, versuchte Carmen sie ein wenig aufzuheitern, doch Emilie ging nicht darauf ein, sondern fragte: „Was musst du denn heute noch alles machen, bevor du gehen kannst und bei was brauchst du mich?“ Diese Reaktion war typisch für Emilie. Carmen ließ sie alles erzählen und selbst schwieg sie sich aus. Die Jüngere seufzte und erklärte: „Ich muss mir das Extrakt der Tollkirsche in die Augen träufeln, danach kann ich allerdings nichts mehr sehen; du musst mir dabei helfen und danach den Wirt herauf holen, damit er sieht, wie krank ich bin und mir heute Nacht Bettruhe verordnet.“ „Tollkirsche?“, fragte Emilie mit hochgezogenen Brauen. „Wozu soll das gut sein? Es hört sich irgendwie gefährlich an…“ „Nein, nein, das ist nur damit sich meine Pupillen weiten wie die der Damen. Sie sind nur giftig, wenn man sie isst“, beruhigte sie Carmen, doch Emilie warf ihr lediglich einen strengen Blick zu und sagte: „Und weiter?“ „Du musst mir helfen den Schnürleib anzuziehen“, fuhr Carmen fort. „Und mich dann schminken, weil ich es ja nicht mehr so genau sehen kann.“ „Mehr nicht?“, fragte Emilie und Carmen dachte noch einmal nach, schüttelte dann aber den Kopf. Die Ältere holte tief Luft, stand auf, krempelte sich die Ärmel symbolisch hoch und meinte: „Na dann lass es uns anpacken! Wo hast du dieses Serum?“ Carmen stand widerwillig auf und ging an ihre Truhe. Sie hatte das Kästchen, das Ramón ihr gegeben hatte, darin verstaut und kramte es nun von ganz unten hervor. Sie reichte es Emilie, die skeptisch hineinsah. „Und wie viel soll ich dir davon ins Auge träufeln?“, fragte sie schneidend, den Blick nicht hebend. Einige Sekunden sah Carmen unschlüssig auf ihre Freundin und meinte dann verlegen: „Ich weiß es nicht genau; ich hatte gehofft, dass du dich damit etwas besser auskennst, schließlich kommst du aus Frankreich.“ Hart lachte die Ältere daraufhin auf und entgegnete: „Und darum soll ich wissen, wie man so etwas macht? Damals war ich jung und habe mich für die Gesellschaft interessiert, wie sie sich für mich interessierte.“ „Aber ich dachte, du seist in diesen Adligen verliebt gewesen“, ließ Carmen kleinlaut vernehmen. „Ja, ich war in ihn verliebt“, höhnte Emilie. „Und er in seinen jungen Kammerdiener, den er immer mitbrachte und mit dem er es in meiner Kammer trieb.“ So verbittert hatte Carmen ihre Freundin noch nie erlebt, aber der Grund dafür war einleuchtend; nur was sollte sie darauf erwidern? So entstand eine peinliche Stille in der Emilie weiterhin auf das Fläschchen starrte und Carmen nachdenklich den Boden fixierte. „Dann lass uns anfangen“, durchbrach plötzlich Emilies Stimme die Stille und Carmen sah leicht erstaunt auf. Skeptisch hob sie die Augenbrauen und entgegnete: „Aber wir wissen doch nicht einmal, wie wir das Serum anwenden müssen.“ „Was soll’s“, meinte die Französin achselzuckend und öffnete das Fläschchen. „Es wird wohl nicht so schlimm sein, träufle ich dir zuviel ins Auge und wenn es zu wenig ist, können wir noch etwas nachtropfen. Also leg deinen Kopf in den Nacken.“ Carmen biss sich nachdenklich auf die Unterlippe und fragte sich unsicher, ob sie Emilie in diesem Gemütszustand vertrauen konnte. Dennoch tat sie nach einigen Sekunden was Emilie von ihr verlangte und beobachtete mit weit geöffneten Augen, wie ihre Freundin sich mit dem Fläschchen in der Hand über sie beugte. Als die Hand Emilies Carmens Lider berührte, zuckte diese zusammen und kniff unwillkürlich die Augen zusammen. „Du musst sie schon offen halten, wenn das Serum wirken soll!“, lachte Emilie und zog das obere und untere Augenlid Carmens linken Auges auseinander. Vorsichtig neigte sie das Fläschchen darüber. Carmen spürte, wie ihr Auge ganz langsam trocken wurde und zu brennen begann, dennoch sah sie, wie der Tropfen aus dem Hals der Flasche langsam größer wurde und bald herabfallen würde. Nun begann es schon zu tränen und es kam der Hure vor, als strömten beißende Dämpfe aus der Flüssigkeit. Der Tropfen wurde noch größer, gleich würde er sich lösen. Man konnte den Schrei durch die ganze Straße gellen hören, als die Flüssigkeit auf Carmens Pupille traf. Sie versuchte das Auge zu schließen, doch Emilie hielt sie unbarmherzig fest und raunte: „Schrei nicht so, du wolltest es selbst. Denk an deinen Julio, wenn es dir hilft; für ihn tust du es ja.“ Die harschen Worte halfen ihr nicht viel, dennoch biss sie die Zähne zusammen und ignorierte das Brennen in ihrem linken Auge. Ebenso die heißen Tränen, die ihr in Massen über die Wangen strömten, ihr anderes Auge hatte auch begonnen zu tränen. Immer mehr nahm sie war, dass die Sicht verschwommen wurde, und als der zweite, glühende Tropfen in ihr Auge viel und entsetzlich brannte, konnte sie kaum mehr Formen erkennen. Sie sah lediglich verschwommene Flecken, konnte nur bestimmen, ob sie hell oder dunkel waren. Endlich ließ die Französin ihre Lider los und sofort kniff Carmen ihre Augen zusammen und presste ihre Hände auf das Linke, leise wimmernd. Sie krümmte ihren Rücken und flehte Emilie an, sie solle es nicht auch mit dem anderen Auge machen, doch diese erwiderte daraufhin nur: „Es geht nicht, wir haben es begonnen und wenn nur eins deiner Augen geweitet ist, dann sieht es seltsam aus; auffällig.“ Ihr wurde schlecht, allein von der Tatsache, dass sie auf dem einen Auge nun fast blind war und das andere noch einwandfrei funktionierte, ihr Gehirn kam damit nicht klar. Der Schmerz, der sich in ihrer linken Gesichtshälfte ausbreitete machte sie beinahe rasend und sie musste sich arg zusammenreißen den Schmerz nicht herauszuschreien. „Nun komm, so schlimm wird es doch nicht sein?“ Emilie streichelte ihr sanft über den Arm und beugte sich zu ihr hinab. Mit einem geröteten und verquollenen Auge sah Carmen zu ihr auf und Emilie wich unwillkürlich einige Zentimeter zurück, schluckte schwer und lächelte dann aber: „Es wird ja nicht für lange so sein, bestimmt vergeht das bald. Wir sollten uns auch um die rechte Seite kümmern.“ Mit bebenden Lippen und verzweifeltem Blick sah Carmen sie an, wehrte sich aber nicht, als Emilie ihren Kopf nach hinten drückte und erneut ihre Lider auseinander zog. Die Jüngere zitterte schwach und ihr Atem ging flach, warum um alles in der Welt hatte sie sich dazu entschlossen wie die Damen der Gesellschaft aussehen zu wollen? Wieder spürte sie das Trockene im Auge und nun schneller folgte der Tropfen, der ihr diese qualvolle Pein bescherte. Doch diesmal presste sie hart die Kiefer aufeinander, sodass kein Ton über ihre Lippen dringen konnte. Und dann brannte schon der nächste Tropfen in ihrem Auge. Ihre Freundin hatte sich neben sie gesetzt und Carmen an sich gezogen. Diese hatte ihren Kopf an die Brust der anderen gelehnt und starrte ins Nichts, sehen konnte sie ohnehin nicht. Sanft streichelte Emilie ihr durch das rabenschwarze Haar und summte eine beruhigende Melodie, behutsam vor- und zurückwiegend. Plötzlich klopfte es an der Tür und der Hurenwirt streckte seinen Kopf hindurch. Carmen hob den Kopf leicht und blickte in die Richtung aus der sie das Geräusch vernommen hatte. Noch immer tränten ihre Augen und wahrscheinlich glühten sie vor Röte. „Verflucht, was ist mit der passiert?“, fragte er an Emilie gewandt und gaffte Carmen mit offenem Mund an. „Sie kann kaum mehr etwas sehen, heute Abend wirst du auf sie verzichten müssen“, entgegnete Emilie, fortwährend Carmens Kopf wiegend. „Ist es ansteckend?“, fragte er und war immer noch nicht eingetreten. „Denn dann kommst du sofort hier heraus, Französin!“ „Nein“, entgegnete die Angesprochene und schüttelte leicht den Kopf. „Es ist keinesfalls ansteckend und wird auch schon bald verflogen sein, sie braucht nur Ruhe, also musst du sie heute Nacht in Frieden lassen.“ Sie konnte es dem Mann ansehen, wie er mit sich ringen musste, dieser Bitte nachzukommen und seine Mundwinkel zuckten immer wieder. Schließlich stieß er jedoch die Luft aus, die er für einen Moment angehalten hatte, und knurrte: „Na gut, dann musst du dich allerdings mehr anstrengen, Französin, denn einen Verlust kann ich mir nicht leisten.“ Damit schloss er die Türe und sie konnten seine schweren Schritte die Treppe hinunterpoltern hören. „Dann solltest du weniger saufen und besser wirtschaften, lausiger Hund!“, fauchte Emilie ihm nach und hätte am liebsten ein Kissen nach ihm geworfen. Die Prozedur war nun schon einige Stunden her und inzwischen hatten sich ihre Augen wieder beruhigt; zwar konnte sie noch immer nicht ganz klar sehen, doch sie wusste auch, dass dieser Zustand wohl noch mindestens den nächsten Tag anhalten würde. Emilie hatte ihr die ganze Zeit über Gesellschaft geleistet und nun schnürte sie ihr das Korsett. Carmen hatte die Hoffnung gehabt, dass sie es ein wenig leichter als Ramón binden würde, doch diese zerschlug die Französin schnell. Sie schnürte es sogar noch fester als der jüngere der Sangrebrüder und ging in keinster Weise auf Carmens verzweifeltes Japsen ein. Ganz im Gegenteil; gegen Ende stützte sich die Jüngere mit ausgestreckten Armen an der Wand ab und Emilie hielt Carmens Kreuz mit dem Fuß zurück, ließ sich förmlich nach hinten fallen, nur die Schnüre festhaltend, damit es auch ja fest genug wurde. „Du willst wohl, dass ich diese Nacht ersticke!“, flüsterte Carmen, sie hatte Angst, der Hurenwirt könnte sie hören. „Nun stell dich nicht so an, wenn die verwöhnten Gören der gehobenen Gesellschaft das tragen können, dann wirst du es auch überleben“, erwiderte die Französin und stemmt wieder den Fuß in Carmens Kreuz, um den nächsten Faden stramm zu ziehen. Daraufhin erwiderte Carmen nichts, denn sie konnte es sich nicht vorstellen, dass Emilie nicht wusste, dass die Adelskinder schon in der Wiege in diese Dinger hineingezwängt wurden; sie waren daran gewöhnt. Es war die reinste Tortur und Carmen wünschte sich, sie hätte Emilie niemals darum gebeten ihr beim Anziehen zu helfen. „Nun setz dich mal“, forderte die Französin sie auf, als sie um sie herumging wie ein Geier und ihr Werk bewunderte. „Na du hast einen Humor!“, presste Carmen hervor, „Ich kann kaum damit stehen und nun soll ich mich setzen? Da zerquetscht es mir noch die Gedärme!“ „Du wirst dich aber irgendwann setzen müssen, oder willst du das ganze Fest über stehen?“ „Wenn es sein muss“, entgegnete Carmen trotzig und verschränkte die Arme vor der Brust. Emilie rollte daraufhin nur genervt mit den Augen und erwiderte: „Stell dich nicht so an, du wirst spätestens in der Kutsche sitzen müssen, außerdem musst du noch damit aus dem Fenster klettern!“ „Herrje, das Fenster! Da passe ich niemals hindurch!“ „Natürlich passt du da durch, früher stiegst du doch auch dort aus!“ „Aber ich habe seitdem ein paar Pfunde zugelegt!“ Mit weit aufgerissenen Augen sah sie auf ihre Freundin, die die Stirn runzelte und angestrengt überlegte. Plötzlich wandte sie den Kopf zur Tür und raunte: „Hörst du das auch?“ „Was?“, fragte Carmen und lauschte angespannt, doch konnte sie nichts Unnormales vernehmen. „Pst, nicht so laut!“ Emilie hatte sich den Zeigefinger auf die Lippen gelegt und die Augen zu Schlitzen verengt, als könnte sie so besser hören. „Jesus, Maria und Joseph! Es kommt jemand herauf!“ „Was?“, keuchte Carmen entsetzt, aber Emilie drängte sie zurück und befahl: „Schnell! Leg dich ins Bett und zieh die Decke bis unters Kinn!“ Carmen tat wie ihr geheißen, doch kaum lag sie, richtete sie sich wieder auf und rief so leise sie konnte: „Das Kleid!“ Prompt reagierte die Französin, riss das Kleid von dem Hocke, auf dem es gelegen hatte und stopfte es in die hinterste Ecke, in die kein Licht drang. Im nächsten Moment öffnete sich die Tür und der Hurenwirt trat ein. Er schielte kurz zu Carmen, wandte sich dann aber Emilie zu und sagte: „Komm endlich herunter, es ist schon eine halbe Stunde nach sieben und die Wirtschaft füllt sich.“ „Ich komme sofort, aber lass mir noch ein paar Minuten bei ihr; ich bitte dich!“ Emilie flehte ihn förmlich an. Der Wirt allerdings drehte sich nur um und knurrte: „Was bin ich eigentlich so nett zu euch Pack? Euch sollte mal einer Manieren beibringen…“ Den Rest bekamen die Beiden nicht mehr mit, da er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Die beiden Huren warfen sich einen vielsagenden Blick zu und mussten sich auf die Lippen beißen, um nicht in lautes Gelächter auszubrechen. Carmen schlug die Decke zurück, setzte sich auf und kicherte: „Wenn du wüsstest, wie mein Herz gerade geschlagen hat! Wie damals als Kind, wenn man etwas ausgefressen hat und die Eltern es beinahe herausbekommen!“ Emilie wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln, hielt sich von Lachen immer noch den Bauch und sagte: „Schluss mit dem Unsinn! Wir sollten uns überlegen, wie du es hier heraus schaffst. Bist du dir denn ganz sicher, dass du nicht durch das Fenster passt?“ Carmen biss sich auf die Unterlippe und entgegnete verdrießlich: „Ja, ganz sicher; glaube mir, diese Zeiten sind vorbei.“ „Aber mit dem Kleid“, Emilie nickte zu der Ecke, in der die Robe noch immer zusammengeknüllt lag, „wirst du dich unten kaum hinausschleichen können.“ „Und mit den Poschen passe ich schon dreimal nicht durch das enge Loch, das sich Fenster schimpft“, erwiderte Carmen bissig. Sie erhob sich und ging an ihre Truhe, hinter der die Poschen lagen. Emilie bewegte ihre Lippen hin und her, schien zu überlegen. Schließlich sagte sie zögerlich: „Dann musst du durch das Fenster Josephines, ihres ist sicherlich groß genug, außerdem liegt es ein wenig abseits des Eingangs.“ „Josephine?“ Entrüstet spie Carmen den Namen aus, als wäre er ein Fluch. „Du weißt doch, dass wir uns hassen wie die Pest! Außerdem hat die bestimmt schon längst einen Freier bei sich im Bett liegen.“ „Es ist mir einerlei, wie du zu ihr stehst. Ist sie mit einem Mann beschäftigt, so musst du deinen Plan aufgeben und hier bleiben; hat sie keinen bei sich, so ist sie unten in der Wirtschaft und angelt sich noch einen. Einen Versuch ist es wert, also jamm’re nicht unnötig, sondern stell dich aufrecht hin, dass ich dir beim Anziehen helfen kann!“ Widerwillig stellte Carmen sich in die Mitte des kleinen Raumes und ließ ihre Freundin wortlos gewähren, als diese ihr den Anstandsrock anzog und die Poschen umband. Anschließend fanden die Taschen ihren Platz und Emilie fragte: „Wo hast du denn deine Unterröcke?“ Mit einem Nicken deutete Carmen auf ihre Truhe. Emilie seufzte vernehmlich, ging dann aber doch zu der Truhe, öffnete den schweren Deckel und kramte solange darin, bis sie zwei Unterröcke Carmens hervorzog. „Zwei Unterröcke?“, fragte Carmen verblüfft; als sie bei Ramón gewesen war, hatte sie gar keinen angehabt. „Natürlich, sonst sieht man die Stäbe der Poschen“, erwiderte Emilie, als wäre es für sie selbstverständlich drei Röcke unter den eigentlichen Rock zu ziehen. „Und warum dann welchen aus diesem leichten Stoff? Wäre ein fester Stoff nicht besser?“, wollte sie dann wissen. „Ein fester Stoff wäre zu schwer und würde alles nur unnötig platt drücken“, erklärte die Französin geduldig. Als sie Carmen auch den zweiten Unterrock an der Taille festgebunden hatte und den Sitz der Taschen korrigiert hatte, ging sie nun zu der Robe, hob sie auf, unter ihr war die Jupe zum Liegen gekommen. Das Manteau breitete sie auf dem Bett aus und half Carmen in die Jupe zu steigen. Erst band sie den hinteren Teil fest, dann den Vorderen. Als Carmen gerade zu einer Frage ansetzen wollte, seufzte sie: „Auf die Art kannst du, trotz der Überlappung, leicht in die Taschen greifen.“ Carmen probierte es und stellte doch etwas überrascht fest, dass die Französin die Wahrheit gesagt hatte. „Nun kommt der Stecker“, meinte die Französin, noch immer etwas an der Jupe zupfend. „Pass nur auf, dass du mir keine der Nadeln und die Brust steckst!“, mahnte Carmen, die Augenbrauen hebend. Ihre Freundin allerdings, den Stecker schon in der Hand, stemmte die Hände in die Hüften und sagte, affektiert empört und einen Nasenflügel leicht gekräuselt: „Für wen hältst du mich denn? Ich würde meiner liebsten Konkurrentin doch niemals das zarte Brustfleisch zerstechen!“ „Du nicht, aber Josephine, wenn sie herausfindet, dass ich durch ihr Fenster aussteigen werde“, brummte die Jüngere missmutig, doch Emilie entgegnete, auf das Feststecken des Steckers konzentriert und einige Stecknadeln zwischen die Lippen geklemmt: „Sie wird es allerdings nie herausfinden und nun halt die Luft an, sonst zerkratze ich dir womöglich tatsächlich noch die Haut.“ Wie ihr befohlen hielt Carmen die Luft an so lange sie konnte. Als sie es nicht mehr länger schaffte, ohne blau anzulaufen, entwich nahezu die gesamte Luft auf einmal ihren Lungen und für den Bruchteil einer Sekunde kam ihr der Schnürleib tatsächlich geräumig vor. Doch sofort darauf hinderte er die schwer schnaufende Carmen daran, sich mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen, sodass sie einen Moment schwindelte, einen Schritt nach hinten tun und sich an Emilie festhalten musste, um nicht umzufallen. In dem Augenblick richtete Emilie sich auf und strahlte: „Fertig. Jetzt nur noch die Robe!“ Carmen wollte schon zu dieser gehen, da hielt Emilie sie zurück und meinte gelassen: „Bleib nur ruhig stehen, ich helfe dir doch.“ Dankbar tat Carmen wie ihr geheißen und ließ sich beim Anziehen der mantelartigen Robe helfen. Emilie wusste erstaunlich gut, wie man diese Sachen anzog und Carmen fragte sich, ob ihre Freundin ihr tatsächlich die Wahrheit erzählt hatte. Hatte sie doch erzählt den Adel gehasst zu haben… „Fertig“, meinte schließlich die Französin glücklich und Carmen erwiderte: „Jetzt muss ich mir nur noch die Schuhe anziehen und du musst mir das Gesicht und die Haare machen.“ Daraufhin lachte Emilie und sagte: „Na ich will sehen, wie du dich hinunterbeugst und die Schnallen zumachst; versuch es ruhig, ich hole noch Josephine hinzu, damit die etwas hat, um dich aufzuziehen.“ Beleidigt schob Carmen die Unterlippe vor und setzte sich an die Bettkante ihres Bettes, einen Fuß ausstreckend. „Dann zieh du mir halt die Schuhe an.“ „Es wird mir eine Ehre sein, Gnädigste“, grinste Emilie und knickste, bevor sie sich auf den Boden kniete, um Carmen die Schuhe anzuziehen. Für das Gesicht und die Haare ließ Emilie sich nicht viel Zeit, sie hatte Angst, der Hurenwirt könne noch einmal heraufkommen und nun wäre ihr Vorhaben schlecht zu verstecken gewesen. Carmens Gesichtshaut war schlussendlich nahezu weiß, die Lippen übertrieben stark gerötet, ebenso wie die Wangen; die Haare hatte Emilie zu einem Zopf geflochten und elegant hochgesteckt. Nun kniete sie vor Carmen, ihre Hände ergriffen und ihr fest in die geweiteten Pupillen sehend. „Dir ist klar, wie gefährlich das ganze ist?“, fragte sie und Carmen nickte. „Und du weißt auch, dass man dich dafür rädern könnte?“ Erneutes Nicken. „Dann nimm das.“ Sie griff in die Tasche ihres Rockes und zog ihren Rosenkranz heraus, diesen legte sie Carmen in die Hand. „Hör zu: Diesen Rosenkranz schenkte mir meine Maman in Frankreich, es ist das Einzige, das ich noch von ihr habe. Also pass auf dich auf und bring ihn mir wieder!“ Gerührt blickte Carmen auf den Rosenkranz in ihrer Hand. „Nicht weinen! Sonst verwischt die ganze Schminke!“, herrschte Emilie sie lächelnd an, zog sie auf die Beine und lachte: „Nun los! Sonst verpasst du noch Ramón.“ Vorsichtig schlichen sie sich den Gang entlang zum Zimmer Josephines, als Carmen plötzlich wie angewurzelt stehen blieb. „Was ist?“, flüsterte Emilie; für Stimmungsschwankungen hatte sie in diesem Moment gar keinen Nerv. „Das Médicis!“, hauchte Carmen und wollte gerade umdrehen, da hielt die Französin sie am Arm fest und fauchte: „Bleib hier, ich hole es; ist es in deiner Truhe?“ Die Jüngere nickte. „Geh du schon voraus und sieh nach, ob Josephine schon einen Freier verwöhnt.“ Mit diesen Worten machte sie sich auf den Rückweg und Carmen schlich weiter. Endlich stand sie vor der Tür und legte lauschend ein Ohr an die Tür. Als sie nichts hörte, öffnete sie die Tür einen Spalt breit und atmete erleichtert auf, als niemand darin war. Rasch trat sie ein und schloss die Tür wieder hinter sich. Es war wahrlich eine Frechheit! Dieses Weibsstück hatte eine viel größere Kammer als sie selbst und diese war auch noch viel komfortabler ausgerichtet. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, bei den Absätzen, die sie anhatte war es kaum möglich, und ging geräuschlos auf das Bett zu. Vorsichtig legte sie ihre Hände darauf und stützte sich dann etwas auf diese. Wäre Josephine nun zur Türe hereingekommen hätte Carmen sie als erstes kräftig geohrfeigt! Dass diese Schnepfe ein gefedertes Bett hatte, war eine bodenlose Unverschämtheit! Plötzlich jedoch vernahm sie ein Geräusch hinter sich. Blitzartig drehte sie sich um und starrte gebannt auf die sich öffnende Tür. Ihre Hand schoss in die Tasche und ergriff den Rosenkranz. Sie sandte ein Stoßgebet zum Himmel, dass es nicht Josephine war, denn das wäre ihr Ende gewesen. Aber ihr Gebet sollte erhört werden, denn es war Emilie, die eintrat und die Tür schnell wieder hinter sich schloss. Gänzlich erleichtert sank Carmen auf das Bett nieder und bemerkte in einem erneuten Anflug von Eifersucht, dass die Decke wohl mit Daunen gefüllt sein musste. Emilie kam rasch auf sie zu, zog sie grob am Handgelenk auf die Beine und fauchte: „Was sitzt du hier herum? Du solltest dich beeilen, Josephine könnte jeden Augenblick hier hereinplatzen und dann ist es aus mit dem Ball! Hier ist dein Médicis.“ Carmen wollte es sich gerade um den Hals legen, da herrschte Emilie sie an: „Du hast nun keine Zeit dafür! Leg es dir in der Kutsche oder sonst wo an, aber ich sah Josephine schon unten mit einem Mann tanzen und das Lied wird bald zu Ende sein! Es eilt, also beeile dich!“ Mit weit geöffneten Augen und für einen Moment atemlos starrte Carmen sie an, doch schließlich fand sie ihre Fassung wieder und steckte das Schmuckstück in ihre Tasche. Anschließend eilte sie zum Fenster und öffnete es; es war tatsächlich so groß, dass sie es schaffen müsste, hinauszuklettern. „Aber woran soll ich hinunterklettern?“, fragte sie und drehte sich verzweifelt zu Emilie um. Diese schien einen Augenblick zu überlegen, bis sie sagte: „Du kletterst an einem Kleid hinab, das ich halte, das letzte Stück wirst du dann springen, aber gib bloß Acht, dass du dein Contouche nicht schmutzig machst!“ „Wo willst du denn um Himmels Willen jetzt ein Kleid hernehmen?“, fragte Carmen ungläubig. Emilie allerdings grinste nur und ging zur Kleidertruhe Josephines und als sie diese öffnete stahl sich auch auf Carmens Gesicht ein Grinsen. Als sie sich an dem Kleid festhielt, die Füße an der Außenwand des Rosa Camas abgestützt, klopfte ihr Herz, als wollte es das Korsett sprengen. Sie hatte Angst, dass Emilie sie nicht mehr halten könnte, oder sie selbst den Halt verlor und abstürzte. Als sie endlich den Saum des Kleides, an dem sie sich festkrallte, erreicht hatte, blickte sie ängstlich nach unten, doch ob des ganzen Stoffes konnte sie weder über die Schulter, noch zwischen ihren Beinen den Boden erkennen. So blieb ihr denn nichts Anderes übrig, als die Augenlider zusammen zu pressen, sich mit den Schuhen von der Wand abzustoßen und das Kleid loszulassen. Während sie stürzte kam es ihr vor, als vergingen Stunden in denen sie keinen Boden unter den Füßen hatte, doch als sie diesen dann unter ihren Absätzen spürte, wünschte sie sich fast wieder zu fallen, denn ihre Knöchel schienen ihr den Sprung übel zu nehmen. Nichtsdestotrotz sah sie noch einmal hinauf zu dem Fenster, aus dem sie geklettert war. Emilie blickte besorgt auf sie hinunter und als Zeichen, dass es ihr gut ging, winkte Carmen ihr kurz zu und drehte sich dann um, um sich auf den Weg zum vereinbarten Treffpunkt zu machen. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie sich eine Gestalt aus dem Schatten einer Seitengasse löste und beschleunigte ihren Schritt unbehaglich. Erneut umschloss sie den Rosenkranz in ihrer Tasche und hoffte, dass es kein Raubmörder war, denn bei ihrem Anblick konnte man nicht umhin zu glauben, dass sie Geld haben musste, als sei sie selbst die Donna Sangres persönlich. Trotz des Lärmpegels, der hier auf der Straße herrschte, vernahm sie die Schritte ihres Verfolgers, als wären sie die einzigen Geräusche. Auch er ging schneller, woraufhin sie das Laufen begann. Ihre Absätze klackerten auf dem unebenen Boden, den Saum ihres Contouches hatte sie angehoben, es zu verdrecken konnte sie sich nicht erlauben, dennoch lief sie so schnell sie konnte, doch als sie plötzlich stolperte und drohte zu fallen, packte sie von hinten ein Mann unter den Armen und stellt sie wieder auf ihre Füße. Ihr Atem beschleunigte sich und ihr Herz schlug noch schneller, als bei ihrer Kletterei. Warum ließ der Mann sie nicht los? Warum hatte er seine Arme um sie gelegt und gab ihr seine Identität nicht preis? Sie bemerkte, wie sie begann zu zittern, als sie den warmen Atem des Mannes in ihrem Nacken spürte. „Ich danke Euch für die Rettung vor dem Fall“, sagte sie mit bebender Stimme, die Angst war ihr anzuhören, „Dennoch wäre ich Euch sehr verbunden, wenn Ihr mich losließet.“ Aber sie bekam keine Antwort, sondern spürte lediglich, wie seine Lippen ihr Ohr berührten, vermutlich unbeabsichtigt, dennoch sandte es ihr einen Gänsehautschauer über den Körper, und sein warmer, feuchter Atem nun ihre Halsbeuge striff, als er hauchte: „Ihr seht bezaubernd aus. Seid ihr auf dem Weg zu einem Ball?“ „Ich wüsste nicht, was es Euch anginge.“ Die Keckheit ihrer Worte wurden durch ihre gebrochene Stimme Lügen gestraft. Es lief ihr kalt den Rücken hinunter, als sie seine Wange an ihrer spürte und er seinen Griff nur noch verfesterte. Sie schielte so weit es ging zu seinem Gesicht; wenigstens das wollte sie sehen, wenn er sich schon so ungehobelt an sie heranmachte. Doch alles was sie erkennen konnte, war ein hellbrauner Schopf. „Ramón!“, brüllte sie und riss sich los. „Was fällt dir ein, du Flegel! Ich habe Todesängste ausgestanden!“ Sie drehte sich ruckartig um und blickte in sein lachendes Gesicht. „Ich dachte, du wärst ein Raubmörder!“ Der junge Prinz jedoch konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten, so sehr schüttelte ihn sein Lachen und Carmen musste sich arg zusammenreißen, ihn nicht einfach mitten in sein Gesicht zu schlagen. „Verzeih mir!“, schnaufte er. Gleichgültig musterte Carmen ihn. Er sah festlich aus, Justaucorps, Weste und Culotte in dunklem Grün, mit schwarzen Strümpfen und silbernen Schnallen an den Schuhen, den Degen an der Seite, es fehlte nur noch der Dreispitz auf dem Haupt. An den Ärmeln hatte er kleine Aufschläge und es lugte ein Teil der Spitze des Hemdes heraus, die Knopfleisten der Weste und des Justaucorps waren mit schlichten, aber adäquaten Stickereien aus Silbergarn verziert. Die Cravate trug er wie üblich, ein gestärktes, hohes Band, an dem die herabfallenden Spitzenenden befestigt waren. „Es kam so über mich, als du immer schneller liefst“, fuhr er fort. Carmen hätte zu gerne noch auf ihn eingeschimpft, doch er setzte sich schon wieder in Bewegung und tadelte sie: „Du bist spät dran, jetzt müssen wir uns beeilen.“ Carmen eilte sich, neben ihn zu kommen, schluckte die Verwünschungen, die sie ihm zu gerne an den Kopf geworfen hätte, hinunter und schwieg, bis er ihr schließlich in die Kutsche half und sie sich bei ihm dafür bedankte, die Blicke der Menschen um sie herum ignorierend. Nun saßen sie sich wieder gegenüber und sprachen nicht. Ramón allerdings lag wohl mehr in seinem Sitz, der Dreispitz lag neben ihm, und musterte sie gelangweilt. Wohingegen sie, mit geradem, steifem Rücken auf der gepolsterten Bank saß und den Vorhang etwas angehoben hatte, um hinaussehen zu können. Zugegeben, so gerade saß sie nur aufgrund des Korsetts, das sich weigerte auch nur einen Zentimeter nachzugeben. Gerade wandte sie sich vom Fenster ab und ihm wieder zu, da richtete er sich auf, lehnte sich ein wenig nach vorne und sagte leise: „Ich meinte es eben ernst.“ Erstaunt hob Carmen die Augenbrauen und fragte: „Was meintest du ernst?“ „Dass du bezaubernd aussiehst.“ „Ich danke dir.“ Es entstand eine unangenehme Stille zwischen ihnen, sie war es nicht gewohnt von Ramón Komplimente zu hören und wusste nicht, was er nun von ihr erwartete. Sollte sie auch etwas Nettes zu seinen Kleidern sagen? Gerade wollte sie den Mund aufmachen, da ließ sich Ramón wieder nach hinten sinken und fügte hinzu: „Aber ungewohnt ist es dennoch; du bist so stark geschminkt, das Haar hattest du noch nie gebunden, deine Pupillen sind so groß und deine Haut so blass. Ganz anders.“ Sie nickte, etwas Besseres fiel ihr in dem Moment nicht ein. „Jetzt bräuchtest du nur noch Manieren, dann könnte man dir glatt glauben, dass du eine Adlige bist, zumindest eine vom Land“ Er lachte. Ein Glück, mit Spott konnte sie umgehen. „Na wenn es um Manieren geht bist du auch nicht gerade der König von Spanien.“, grinste sie, doch er erwiderte: „Wenn es um Huren geht, aber ich weiß mich sehr wohl zu benehmen.“ „Das glaube ich dir nicht!“, spottete sie. „Dann lass uns wetten“, schlug er vor und ein schelmisches Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Und um was? Geld habe ich keines.“ „Dann um eine Nacht.“ „Niemals! Nicht mit dem Bruder Julios!“ „Von mir aus. Wie wäre es mit einem Essen?“ „Abgemacht, der Verlierer lädt den Gewinner zu einem Mittagessen ein!“ Daraufhin folgte wieder Stille, sie war unangenehm. Und abermals war es Ramón, der sie durchbrach: „Wieso trägst du denn eigentlich nicht das Médicis, das ich dir schenkte? Du wirst es doch nicht verloren haben?“ Er klang etwas gekränkt, Carmen hätte nicht gedacht, dass man ihn durch so etwas verletzen konnte. Also zog sie es schnell aus der Tasche und lächelte: „Nein, ich habe es nicht verloren, ich hatte lediglich keine Zeit mehr es mir umzulegen.“ Damit machte sie sich ans Werk, sich das Schmuckstück umzulegen. Aber es war schwerer als gedacht und als sie schon fast aufgab, grinste Ramón sie süffisant an, setzte sich neben sie und sagte: „Lass mich.“ So drehte sie ihm den Rücken zu. Als er ihr die beiden Enden aus den Händen nahm, stellte sie erstaunt fest, was für große Hände er hatte. Seine warmen Finger striffen gelegentlich ihren Nacken. Schließlich ließ er es los und streichelte noch einmal mit seiner Hand über ihren Hals. Blitzartig drehte sie sich zu ihm um und erblickte ihn nachdenklich. Über was dachte er denn nach? In dem Moment hielt die Kutsche. Carmen lugte neugierig hinter dem Vorhang hervor und erblickte den Palast strahlend, wie sie es sich nicht hatte vorstellen können. Da wurde die Tür der Kutsche geöffnet und Ramón stieg aus, ihr auffordernd die Hand entgegenhaltend, um ihr hinaus zu helfen, was sie dankend annahm. Soo, ich hoffe, es hat euch gefallen und ihr seid bei dem ganzen modischen Gelaber nicht durcheinander gekommen... Persönlich freue ich mich ja schon auf das nächste Kapitel *diabolisch grins* jedoch nicht nur des Inhalts wegen, sondern auf, weil ich dann die Zahl im Titel in Ziffern schreiben darf und nicht mehr in Buchstaben :D Oder würde das wen enttäuschen? oÔ In dem Sinne, LG, Terrormopf^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)