Twilight Passion von Metaphysika (Traum um Mitternacht) ================================================================================ Prolog: Der Drehtür-Effekt -------------------------- Es beginnt in den meisten Fällen schleichend: mit Veränderungen, die selbst von der Familie oder guten Freunden zunächst kaum wahrgenommen oder auf "nartürliche Ursachen" wie Stress, eine Krise in der Partnerschaft oder vielleicht sogar einen allgemeinen Erschöpfungszustand wie das viel zitierte "Burn-Out-Syndrom" zurückgeführt werden. Am Anfang dessen, was die Medizin "schizophrene Psychosen" nennt, stehen veränderte Wahrnehmungen des bisher Vertrauten und sozialer Rückzug - einhergehend mit einem erhöhten Maß an Empfindlichkeit und vielleicht mit tief sitzenden und sich immer weiter ausbreitenden Ängsten, von denen jedoch niemand etwas wissen darf. Bei unbehandeltem Fortschreiten der Krankheit können auch kognitive Fähigkeiten nach und nach in Mitleidenschaft gezogen werden. Je nach Schwere der Erkrankung stellen sich Realitätsverlust und Wahnvorstellungen ein, die Suizidgefahr ist stark erhöht. Erwerbsunfähigkeit und Isolation bestimmen den Alltag... und eine Rückkehr in das frühere Leben scheint so gut wie ausgeschlossen. Kapitel 1: Zerfließende Wirklichkeit ------------------------------------ Fire an Ice Some say the World will end in fire, some say in in ice. From what I've tasted of desire I hold with those who favor fire But if it had to perish twice I think i know enough of hate To say that destruction ice is also great And would suffice. Und dann sah ich ihn... er stand am Ende des langen Flures - und hatte mir den Rücken zugekehrt. Langsam ging ich weiter, vorsichtig darauf bedacht auf dem glatten, dunklen Holzboden keine Geräusche zu machen. Die Spiegel zu beiden Seiten von mir, die das Licht des Kronleuchters in tausend Spektren durch den Ballsaal gleiten ließen, zeigten mich verschwommen in einem blutroten Abendkleid das sich stark von den weißen Rosen abhob die daran befestigt waren. Mit möglichst eleganten Schritten durchquerte ich weiter den Raum. Meine schwarzen, glatten Haare schwangen sanft an meinem Rücken mit und mein Pony fiel mir in die Augen ... trotzdem konnte ich meinen Blick nicht von der bezaubernden Gestalt vor mir abwenden. Im Gegensatz zu mir schien er nicht so verloren zwischen den cremefarbenen Spiegelwänden des riesigen Saales. Im Gegenteil, von ihm schien eine noch viel beeindruckendere, anziehendere Spannung aus zu gehen. Es war als würde sie sanft mit dem Licht in jede Ecke des Raumes dringen. Ich kannte sie nicht, und doch kam sie mir gleizeitig merkwürdig vertraut vor. Mindestens ebenso sicher war ich mir das ich ihn nicht kannte, trotzdem wurde ich auch hier das Gefühl nicht los das mich etwas schon seit ewigen Zeiten mit ihm verband. So als wäre ich bis jetzt nicht komplett gewesen und würde nun endlich meine zweite Hälfte finden. Eine wohlige Wärme durchströmte mich und ich musste unwillkürlich lächeln. Kurz hinter ihm blieb ich stehen, sah wieder mein Spiegelbild in dem Spiegel vor dem er stand ... etwas fiel mir auf, störte mich, aber ich hätte nicht sagen können was. Tief in meinem Inneren wurde mir bewusst das ich Angst haben sollte, aber sie blieb aus. Dann, ganz plötzlich, schien es als ob er mich bemerkt hätte, die Spannung veränderte sich. Eine Stimme drang durch den Saal, glasklar, wunderschön und kalt wie Eis. Die Spiegel an den Wänden schienen zu erzittern. Diese unglaubliche Stimme rief meinen Namen, lähmte mich, stopte meinen Atem und brachte mein Herz aus dem Tackt. Erst da wurde mir bewusst das es seine Stimme sein musste ... es »musste« einfach seine Stimme sein. Dann, ohne zu zögern, drehte er sich zu mir um und ich konnte nur überwältigt nach Luft schnappen. Er war einfach überirdisch schön. Seine rabenschwarzen Haare wehten für einen kurzen Augenblick über den oberen Teil seines Gesichts, doch schon kurz darauf gaben sie den Blick auf ein atemberaubendes Augenpaar frei ... Sie waren blutrot. Zwischen ihnen lief eine gerade Nase ihren perfekten Bogen, nur um unterhalb auf seine vollkommenen Lippen hinzuweisen. Seine schwarzen Haare umrahmten seine leicht hervorstehenden Wangenknochen, und bildeten einen scharfen Kontrast zu seiner elfenbeinweißen, fast durchscheinenden Haut. Sie war glatt wie Transparent-Papier und ich hatte den starken Drang sie zu berühren. Geistesabwesend hob ich meine Hand. Zitternd näherten sich meine Finger seinem Gesicht, fuhren dann langsam, fast ehrfürchtig, über seine Wange. Sie war kalt wie Eis und mich durchlief ein leichter Schauer. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, ein berauschendes Lächeln, mein Herz setzte für einen Moment aus. Als ich mich wieder gefangen hatte spürte ich wie eine kalte Hand langsam von meinem Nacken bis hin zu meinem unteren Rücken entlangfuhr und mich vorsichtig näher zog. Seine andere Hand ruhte an meinem Hals als er verführerisch seinen Kopf an mein Ohr senkte und nochmals meinen Namen flüsterte. Aus seinem Mund klang er merkwürdig schön, ich machte mir keine Gedanken woher er ihn überhaupt kannte, in diesem Augenblick war es mir einfach egal. Ich schlang meine Arme um seinen Hals und schloss erregt die Augen. Als wäre es seine Antwort darauf erstarrte er in seiner Haltung, und ich hätte schwören können ein leises, verächtliches Lachen zu hören. Wunderschön aus seinem Mund. In diesem Moment wurde mir schlagartig bewusst, das es ein fürchterlicher Fehler gewesen war mich ihm so weit zu nähern, aber da war es schon zu spät. Ein stechender Schmerz durchfuhr mich, brannte entsetzlich durch meinen Körper, und ich schrie auf. Wie konnte ich nur so dumm gewesen sein, fuhr es mir durch den Kopf ... Sein Spiegelbild, etwas hatte mich von Anfang an gestört, es war sein Spiegelbild gewesen ... er hatte keins. Sein Kiefer bohrte sich in meinen Hals, mordlustig, blutdurstig. Die weißen Rosen meines Kleides waren blutbefleckt, seine kalten Hände hielten mich so fest das es mir unmöglich war mich zu bewegen. Und ich wusste, das ich nun nicht mehr länger lebte ... Kapitel 2: Ein Traum wird wahr ------------------------------ »Rachel«, rief jemand. Schon wieder mein Name ... ich zuckte zusammen. Die Stimme klang besorgt, erst hatte ich gedacht es wäre »seine« Stimme gewesen. Aber der helle mädchenhafte Klang, der so stark in meinen Ohren schmerzte, wollte nicht so recht zu ihm passen. Ich fühlte mich müde, irgendwie erschöpft und mein Körper brannte immernoch von dem vermeindlichen Kuss. »Rachel!«, tönte es wieder, dieses mal überwiegte der Zorn vor der Besorgnis. Plötzlich wurde ich heftig durchgerüttelt, also entschloss ich mich wiederwillig meine Augen dazu zu zwingen sich zu öffnen. Schließlich blinzelte ich träge in das ründliche Gesicht meiner Internatsfreundin und Zimmergenossin Alex. Ich wusste nicht ob ich mich freute sie zu sehen. Es war nicht das was ich erwartet hatte. Aber was hatte ich denn schon zu erwarten, »ihn« vielleicht ? Ich brauchte eine Weile um zu begreifen das ich mich in meinem Zimmer befand, leise hörte ich das stetige Tropfen des Regens draußen auf dem Fenstervorsprung. Dieses Wetter hatten wir nun schon seit Monaten und irgendwann hatte sich das monotone Platschen für mich fast zu einem Hintergrundgeräusch verwandelt. »Ich dachte schon einer sticht dich ab«, erklärte Alex vorwurfsvoll. »Warum hast du denn bloß so geschrien ?!« Sie sah mich fragend an, ich drehte meinen Kopf und ich stierte verschlafen zurück. »Geschrien...?«, murmelte ich verwundert. Dann fiel es mir wieder ein, ein Ablauf verschiedener Szenen verschomm vor meinem geistigen Auge. An seinem wunderbaren Gesicht blieb er hängen. »Ja genau, geschrien«, holte Alex mich aus meiner Traumwelt. Sie war in der Zwischenzeit aufgestanden und lehnte jetzt an der Tür zum Bad, das sich an unser kleines Zimmer anschloss. »Willst du, oder kann ich zuerst?«, fragte sie mich vordernd und deutete ins Bad. »Geh ruhig...«, erwiderte ich während ich mich aus dem Bett quälte. Der Schrecken des Traumes saß mir noch immer tief zwischen den Rippen. »Na du hast ja wieder eine super Laune heute«, warf Alex mir an den Kopf. Sie regte sich öfters mal auf, und dann war es das Beste sie zu beruhigen ehe man mit den Folgen einer Strafpredikt oder einer Woche-ohne-ein-Wort-zu-wechseln rechnen musste. »Sorry«, erwiederte ich entschuldigend, »ich hab was total verrücktes geträumt«. Ich zwang mir ein verzehrtes Lächeln ab und hoffte das sie es nicht bemerkten würde. Alex Elliot war nämlich nicht nur meine Beste, sondern auch so ziemlich einzige Freundin. »Schon ok, vergessen und verziehen«, sagte sie. »Bist ja schließlich meine Freundin.« Das hatte ich an Alex schon immer gemocht, genauso schnell wie sie sich aufregte, verzieh sie einem wieder. »Danke, hab dich auch lieb«, antwortete ich, warf ihr Kusshändchen zu und grinste. Sie lachte, dann verschwand sie im Bad und knallte geräuschvoll die Tür hinter sich zu. Stille umgab mich wieder, nur das gleichmäßige Rauschen des Regens war wieder voll in meinem Bewusstsein. Langsam und umständlich schälte ich mich in meinen Morgenmantel, schlurfte zum Spiegel und ließ mich auf dem Hocker davor fallen. Meine schwarzen Haare wirbelten um mein Gesicht und ließen sich dann auf meiner Schulter nieder. Besonders gesund sah ich heute morgen nicht aus. Meine bleiche Haut war noch farbloser als sonst, auch wenn sie nicht an den Teint des nächtlichen Traum-Vampirs herankam. Meine Haare hingen lang und platt um mein Gesicht, so trugen sich nicht gerade dazu bei mich lebendiger wirken zu lassen wie ich fand. Ich nahm die Bürste von der Kommode, fest entschlossen wenigstens das was noch ging aus mir heraus zu holen. Mein Blick schweifte aus dem Fenster, ohne Zweifel, heute würde ein Tag werden wie jeder andere ... dachte ich zumindestens. Obwohl wir uns schon höllisch beeilt hatten, waren Alex und ich die letzten die gehetzt ,durch den Regen, von den Wohnräumen der Internatsschüler, über den großen Park, zum Hauptgebäude rannten. Das Frühstück ging bis um Viertel vor Acht und der Unterricht begann dann 20 min später. Jetzt war es Halb, wir hatten also noch eine Viertelstunde zeit um uns mit den anderen um die kläglichen Reste des Buffet´s zu schlagen. Wir liefen gerade über den Kiesweg, besser gesagt Alex lief, meine Fortbewegungsart hätte ich eher als "stolpern" bezeichnet, als wir kurz bevor wir den Brunnen in der Mitte des Parks erreicht hatten, von einer großen, schwarzen und vor allem langen Limusine überholt wurden. Verwundert blickte ich auf die getönten Scheiben des Wagens, aber ich konnte nichts erkennen. Dieser unachtsame Moment jedoch hatte verheerende Folgen. Ruckartig zog es mir den Boden unter den Füßen weg und ich fiel der Länge nach auf den matschigen Kies. Das Buch, das ich mir zum Schutz vor dem Regen über den Kopf gehalten hatte, flog in hohem Bogen davon und kam einige Meter weiter schliddernd zum stehen. »Mist, verdammte ...«, keuchte ich zähneknirschend hervor, während ich mich aufrichtete. »Zum Glück war's nur das BioBuch!«, tröstete Alex und grinste. Das Buch hielt sie in den Händen. »Na das ist doch schonmal was.«, erwiderte ich und schnappte es ihr aus den Fingern. Angespannt begutachtete ich es. Sie hatte wohl recht, das konnte ich vollkommen vergessen. Ich musste mir wohl ein bereitwilliges Opfer suchen in dessen Buch ich das nächste Halbjahr schauen würde. »Aber ich seh ja fast noch pampiger aus«, stellte ich entsetzt fest und blickte bestürzt an mir herunter. Ich würde mich wohl nach dem Essen nochmal umziehen gehen. »Komm mach schon«, drängelte Alex, sie war inzwischen vorgerannt, »Ich hab Hunger und will nicht ewig hier im Regen stehen. So gemütlich finde ich es dann auch nicht!« Nickend lief ich ihr nach, vorsichtig, um nicht noch mehr Kathastrophen zu verursachen. Kurz vor dem Eingang des Hauptgebäudes sah ich wieder die schwarze Limusine, sie hatte kurz hinter dem Brunnen geparkt, aber dieses mal wandte ich meinen Blick entschlossen wieder ab. Dieses dumme Auto war Schuld das ich gefallen war. Alex hatte Recht behalten. Das Buffet war fast leer als wir dort ankamen, also beschloss ich nichts zu essen. Mir war der Appetit ohnehin schon vergangen. Nachdem Alex gefrühstückt hatte, hatte ich mich wieder zurück auf den Weg in unser Zimmer gemacht und sie war schon zu den Unterrichtsräumen gegangen. Wir besuchten die selben Fächer zusammen, ich würde sie also spätestens in Mathe wiedersehen. Schnell hetzte ich den langen Korridor bis zur Empfangshalle entlang. Eigentlich war das Rennen auf den Fluren nicht gestattet, aber das war ein Notfall. Ich kam sowieso schon viel zu spät. So bemerkte ich auch die Gestalt nicht die vor mir zwischen den offenen Flügeltüren stand ... und lief geradewegs in sie hinein. Erschrocken rutschte ich zu Boden, sah gerade noch genug um zu erkennen das es ein Junge war. Sein Haar war rabenschwarz. Dann knallte ich mit dem Kopf auf die Fliesen, mein Blick trübte sich und alles wurde dunkel. Als ich wieder zu mir kam hörte ich eine vertraute Stimme neben mir und etwas kaltest legte sich an meine Wange. »Hey, alles in Ordnung mit dir??«, fragte mich sanft jemand neben mir. »Es tut mir Leid ... ich habe dich nicht gesehen.«, entrang ich mir schmerzerfüllt. Mein Kopf pochte entsetzlich und etwas Warmes ronn mir über die Stirn. Ich wollte meinen Arm heben, mich bewegen, aber mein Körper gehorchte mir nicht. Stattdessen wurden nur die Schmerzen immer größer, bis sie ein unerträgliches Maß erreicht hatten. Meine Augen waren noch immer geschlossen, mein Gesicht verzerrt. »Ist schon gut...«, flüsterte es neben mir und sein kalter Atem traf mich im Gesicht. Behutsam legte er seine eisige Hand auf meine Stirn. »Sowas geht vorbei.« Seine Worte hallten in meinem Kopf wieder, rein, glasklar, fähig dazu Spiegel zerspringen zu lassen. Verstört schlug ich die Augen auf ... und dann sah ich ihn -wieder- er kniete neben mir, war über mich gebeugt und schaute mich mit besorgtem Blick an. Seine Haare waren genauso rabenschwarz wie bei unserer ersten "Begegnung", seine Gesichtszüge genauso überirdisch wie in meinem Traum. In mir breitete sich Angst vor dieser verlockenden Perfektion aus, mein Hals brannte plötzlich wieder und ließ mich das Blut an meinem Kopf vergessen. Blut ... genau das war es. Angsterfüllt sprang ich auf die Beine. »Es ist nichts!!«, schrie ich ihn an und dann stürmte ich los, stolperte hastig die Treppen herunter. Lief verstört weg ohne mich umzuschauen. Aber aus den Augenwinkeln dachte ich ihn mir mit dem selben verächtlichen Lachen nachblicken zu sehen wie heute Nacht. Kapitel 3: Ein ungutes Gefühl ----------------------------- Ich hörte meine Schritte auf dem Kies, gehetzt, rutschig. In meinem Kopf drehte sich alles, wirbelte ungeordnet durcheinander. Meine Wunde pochte unerträglich und die Schmerzen schienen mit jedem Schritt zu wachsen. Die warme Flüssigkeit lief, von der Stirn herab, über mein Gesicht und verklebte meine Wimpern. »Er war es« dachte ich unentwegt. »Er war es... Er war es... Er war es« wie in einer Endlosschleife, ich war nicht fähig einen klaren Gedanken zu fassen. Alles schmerzte, doch wollten meine Beine nicht aufhören zu laufen. Panisch ging ich alle Möglichkeiten durch die ausschlossen das ich nun endgültig den Verstand verloren hatte. Er konnte ihm ja einfach ähnlich sehen, es konnte ein unglücklicher Zufall sein. Ja, so musste es sein, ein Zufall nichts weiter. Aber seine Stimme war noch immer in meinem Bewusstsein und ich hörte sie genauso klar, als wenn er neben mir stehen würde. Nein, so eine Stimme konnte es nur einmal geben. Vielleicht war es Schicksal, vermutete ich, aber besonders glaubwürdig kam mir das nicht vor. Endlich hatte ich die Wohnräume erreicht, ich verlangsamte meine Schritte und fingerte ungeduldig den Schlüssel aus meiner Tasche. Nachdem ich zwei Versuche gebraucht hatte um auf zu schließen, zog ich die Tür auf und knallte sie hinter mir ins Schloss. Mit dem Rücken an die Tür gelehnt stand ich schließlich da, ließ mich schlaff sinken. Zusammengekauert versuchte ich meinen Atem zu beruhigen. Nach einer Weile fühlte ich mich so standhaft das ich wieder aufstehen konnte. Zitternd richtete ich mich auf, schloss die Augen, und wartete bis sich um mich herum nicht mehr alles drehte. Genau genommen, kam mir das Ganze jetzt ziemlich voreilig vor. Wenn man es von der Sicht eines Außenstehenden betrachtete sogar sinnlos und kindisch. Wegen eines Traumes, dachte ich, nur wegen eines Traumes. Er war doch eigentlich nur hilfsbereit gewesen. Auf ihn musste meine ganze Aktion immerhin verwirrend gewirkt haben. Ich nahm mir vor mich zusammen zu reißen, zwar wusste ich nicht was er hier machte, aber ich wurde das Gefühl nicht los das ich ihm ab jetzt öfter begegnen würde. Langsam wagte ich einige Schritte vorwärts. Wischte notdürftig das Blut von der Stirn, sie schmerzte noch immer, klebte ein Pflaster darüber und legte mir zurecht was ich Alex sagen würde. Dann zog ich mich um und prüfte mich mit einem letzten Blick in den Spiegel. Als ich meinen Gesichtsausdruck wahrnahm verstärkte das nur noch meine Befürchtungen, heute war echt nicht mein Tag. Wenige Minuten später stand ich vor dem Unterrichtsraum. Dem Jungen war ich nicht noch einmal begegnet. Ich atmete tief durch und klopfte an, laut dröhnte der Aufprall auf dem Holz in meinen Ohren. Kurz darauf wurde die Tür von innen aufgezogen und Alex strahlte mich an. Zum meiner Freude bemerkte sie das Pflaster nicht. Überrascht schaute ich in dem Raum und stellte fest das ich anscheinend Glück gehabt hatte, von unserem Mathelehrer fehlte jede Spur. Ich seufzte, ein Stein, ach was, der Mount Everest fiel mir vom Herzen. Einmal im Leben war ich richtig dankbar für die Unpünktlichkeit der Lehrer. »Hi«, begrüßte ich Alex schließlich freudig. Sie nickte mir kurz zu und schob mich dann in das Klassenzimmer. Zusammen gingen wir zu unseren Plätzen, ich saß in der zweiten Reihe. Als ich mich umschaute, bemerkte ich das schon alle da waren. Einige schrieben noch eilig die Hausaufgaben ab, andere waren interessiert in Gespräche vertieft oder saßen auf dem Tischen. Ich setzte mich auf meinen Platz neben Victoria und Michael. Die beiden diskutierten heftig, als ich einen Gesprächsfetzen auffing. »Also ich hab gehört es sind drei«, sagte Michael, »Und sie sollen...« »Ach was«, unterbrach ihn Victoria mitten im Satz, »Ich hab bisher noch keinen von ihnen gesehen.« Dann bemerkte sie mich. »Oder du etwa??«, fragte sie und lehnte sich im Stuhl zurück. »Was soll ich gesehen haben??«, erwiderte ich. Ich hatte nicht mal eine Idee von was sie sprach. »Siehst du, Rachel weiß auch von nichts«, fuhr sie an Michael gewandt fort. Dieser schaute mich nur prüfend an, er fixierte meine Stirn. Schnell ließ ich meine Haare vor das Pflaster fallen, sein Blick war mir unangenehm. »Was hast du da gemacht??«, fragte er und deutete sich dort an die Stirn wo bei mir die Wunde war. »Bin hingefallen...«, murmelte ich, »ist aber nicht weiter schlimm.« Damit schien er sich zufrieden zu geben, ich war heilfroh das er nicht weiterfragte. Lügen gefiel mir nicht. Victoria stierte mich entgeistert an. Verlegen schaute ich zurück und zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Also von was war jetzt die Rede??«, fragte ich um das Gesprächsthema von mir abzulenken. Victoria war wieder voll in ihrem Element. »Michael meint unser Internat hat neue Schüler bekommen«, sagte sie verächtlich und warf ihm einen abschätzigen Blick zu. »Stimmt ja auch«, wehrte Michael sich. Die Beiden schauten sich einen Moment wütend an, und ich wartete nur darauf das einer von ihnen dem anderen an die Kehle sprang. Als keiner etwas sagte, fragte ich weiter: »Woher weißt du das denn so genau Michael??« Er hob die Hand und zeigte unauffällig in die Bankreihe hinter uns. »Dean hat es mal erwähnt.« Dean, der Sohn des Direktors, ging auch in meine Stufe. »Aber normalerweise werden die Neuen doch immer bei der morgendlichen Begrüßungsrede des Direktors vorgestellt«, schaltete sich Victoria dazwischen, »Warum sollte es ausgerechnet dieses Mal anders sein??« »Vielleicht wollten sie es nicht«, vermutete ich. Victoria seufzte, es passte ihr nicht das ich mich auf Michaels Seite schlug. »Du bist echt hoffnungslos Rachel«, stellte sie schnippisch fest. Beleidigt guckte ich sie an. Michael lachte, dann zwinkerte er mir zu, wie ein kleines "Danke", woraufhin er sich einen vernichtenden Blick von Victoria einfing. Ich wollte gerade etwas erwidern, als die Klassenzimmertür aufging und den Blick auf unseren Mathelehrer, Herrn Crafield, freigab. Augenblicklich verstummten alle Gespräche. Irgendwas war heute anders als sonst, das spürte ich sofort. Die Mädchen in der letzten Reihe kicherten, steckten die Köpfe zusammen, und ihre Aufmerksamkeit schien auf etwas ganze anderes gerichtet zu sein als dem Lehrer. Sie galt jemandem der hinter ihm stand, jemandem der die Spannung eines Raumes so unglaublich verändern konnte, jemand dessen Stimme sich auf dem Grad des nördlichen Polarkreises bewegte ... Ihm. Eine ungute Vorahnung überkam mich. Meine Atmung setzte aus. Ein ehrfürchtiges Schweigen lag in der Luft als er hinter Crafield auf das Lehrerpult zuging. Aus den Augenwinkeln sah ich wie Victoria der Mund aufklappte. Seine Haare wehten im Zug leicht um sein Gesicht, lagen trotzdem noch unnormal perfekt. Mir fiel auf das er recht gut gebaut war, nicht klotzig, ehr zierlich muskolös. Sein Gang war elegant und fließend, gegen ihn hätten Models ausgesehen wie Elefanten auf dem Laufsteg. Das alles führte dazu das die Klasse nur Augen für ihn hatte, den Lehrer hatten alle vergessen. Ein lautes Räuspern hohlte ein paar aus ihren Traumwelten und manche richteten den Blick unwillig auf Crafield. Wie konnte er diese stille Bewunderung nur unterbrechen. »Guten Morgen«, tönte er, »Ich habe das Privileg euch heute einen neuen Mitschüler vorstellen zu dürfen. Er ist mit seiner Familie erst vor Kurzem hierher gezogen und wird ab heute in den Genuss des Internats kommen.« Crafield lächelte und ließ seinen Blick schweifen. »Ich würde euch bitten euch zu benehmen, macht mir keine Schande und helft so gut ihr könnt.« Keiner sagte daraufhin ein Wort, es war als würde sich niemand trauen die Spannung zu zerbrechen angesichts des schönen Neuen. Schweigen beherrschte den Raum. Als die Stille drückend wurde wollte Crafield gerade fortfahren, als der Junge die Hand hob. Die Bewegung war unnartürlich schnell gewesen, aber sie hatte die Anspannung im Raum so entscheidend verändert, das alle sie bemerkt hatten. »Morgen«, sprach er mit seiner unwiderstehlichen Stimme. Ich konnte mir denken das alle Blicke jetzt ohne Ausnahme auf ihn gerichtet waren. »Mein Name ist...«, er machte eine Pause und lächelte verführerisch in die Runde. »Allen Hale. Ich freue mich hier zu sein.« Perplex starrte die Klasse ihn an, es hätte mich nicht gewundert wenn es Beifall zu sein Worten gegeben hätte. Mein Herz allerdings machte einen Sprung, ich wusste seinen Namen. Freude überkam mich, obwohl ich wusste das es idiotisch war. All meine anfängliche Angst vor ihm war verschwunden, ich fühlte mich leicht und beschwingt. Den anderen schien es nicht anders zu ergehen. »Guten Morgen«, rief ein mutiges Mädchen aus der letzten Reihe, sie hob die Hand zum Gruß. Allen lächelte und nickte ihr zu. Langsam entspannte sich die Atmosphäre im Klassenzimmer, vereinzelt fingen die Gespräche wieder an, es gab bestimmt nur ein Thema. Verlegen glitten die Blicke immer wieder zu Allen, der neben Crafield stand und schnell mit ihm redete. Es ging augenscheinlich um die Platzfrage, wo sollte Allen sitzen?? Mein Magen rutschte in die Hose, neben mir war ein Platz frei und genau darum schien es zu gehen. Ängstliche fixierte ich die Beiden. Mein Blick traf Crafields und der Ausdruck seines Gesichts bestätigte meine Befürchtungen. »Wir sollten nun mit dem Unterricht beginnen«, beschloss er um die Aufmerksamkeit der Klasse zurück zu erlangen. Die Geräusche zurückgeschobener Stühle, geöffneter Taschen und Bücher durchdrang den Raum. »Allen, setz dich doch zu Rachel«, beendete Crafield seinen Satz. Ein aufgeregtes Murmeln ging durch die Klasse, Victoria neben mir sah aus als wollte sie einen Freundenschrei ausstoßen. Michael stöhnte, er bekam männliche Konkurrenz. Allen nickte, dann ging er auf uns zu. Ich konnte nicht mehr klar denken, wie sollte ich das nur überstehen?? Crafield lächelte mir aufmunternd zu, ich grinste gezwungen zurück. Schließlich stand Allen neben mir. Er zog seinen Stuhl zurück, setzte sich, und musterte mich dabei sonderbar. Ich schaute wohl ziemlich verwirrt, denn er lächelte belustigt. Verlegen schaute ich weg, stierte auf den Tisch vor mir, und wurde rot. Auf einmal hatte ich einen Arm vor meinem Gesicht. Nach einer Schrecksekunde war mir klar das es Victorias war. Sie streckte ihm die Hand ihn. »Tag, ich bin Victoria Lancaster. Freut mich dich kennen zu lernen«, begrüßte sie ihn. Als keine Antwort kam schaute ich auf. Allen schien sie vollkommen zu ignorieren, er sah noch immer mich an. »Geht es dir wieder besser??«, hörte ich seine Stimme, wie von einer fremden Welt. Suchend blickte ich mich um, hielt Ausschau nach Leuten die er angesprochen haben könnte. Doch niemand sah aus als würde er mit ihm reden. »Meinst du mich??«, fragte ich schließlich kleinlaut. Victoria hatte ihre Hand bereits beleidigt zurückgezogen. Er lachte, ein Lachen wie kein Zweites, es klang wie eine Melodie aus Eis. Entgeistert blickte ich ihn an. »Nartürlich«, sagte er wieder ernst, »Rachel Stone, so heißt du doch, oder ??« Ich nickte. »Du bist in der Empfangshalle gegen mich gelaufen«, erklärte er. »Erinnerst du dich??« »Wie sollte ich das vergessen...«, murmelte ich. An alles konnte ich mich erinnern, selbstverständlich auch an meinen peinlichen Abgang. Allen hatte wohl erraten was ich dachte, er beugte sich ein Stück zu mir herüber und flüsterte so das nur ich es hören konnte: »Keine Angst, so reagieren viele.« Plötzlich pochte meine Wunde, mein Hals brannte wieder. Wie Gift floss die Erschöpfung in meinen Adern. Brannte durch meine Venen, zog schmerzhaft durch meinen Körper. Die Farbe wich aus meinem Gesicht und mein Blick begann sich zu trüben. So ging das nicht, ich musste hier raus. Hastig stand ich auf, der Stuhl fiel von der Bewegung hinter mir um. Mir war schlecht und ich stützte mich auf den Tisch. »Mir ... geht es ... nicht gut«, keuchte ich stockend hervor. Schnell hielt ich mir die Hand vor den Mund. Übelkeit stieg in mir auf. Drängelnd schob ich mich auf den Mittelgang und taumelte zur Tür. Ein weiterer Stuhl wurde ächzend zurückgeschoben. »Ich bringe sie ins Krankenzimmer«, hörte ich eine wunderschöne Stimme sagen. Allen's Stimme. »Nein«, dachte ich, aber meine Stimme erstarb in meinen Gedanken. Ich hörte seine Schritte nicht, aber ein kalter Arm legte sich um meine Hüfte und hielt mich aufrecht. Die Umgebung um mich herum nahm ich bereit nur noch verschwommen, unklar, wahr. Irgendwann nach endlosen Sekunden hielt jemand die Tür für uns auf. Wer es war konnte ich nicht erkennen. Stimmengewirr umgab uns, es klang merkwürdig weit weg und unscharf. Dann fiel die Tür hinter uns ins Schloss und wir standen auf dem ruhigen Gang. Der Schmerz pochte durch meine Adern, mein Hals stand in unsichtbaren Flammen, alles drohte zu zerreißen. Ich spürte wie der Boden sich unter mir entfernte, ich wurde hochgehoben. Schlapp und kraftlos fiel mein Kopf gegen seinen kühlen Oberarm. Seine Hand hielt meine Beine dort hoch wo der kurze Rock der Schuluniform gerade zu ende war. Normalerweise wäre mir das furchtbar peinlich gewesen, aber jetzt wahr ich unfähig irgendetwas außer Schmerzen zu fühlen. Allen's Schritte hallten auf den glatt polierten Fliesen der riesigen Halle wider, bis er in einen kleinen Flur einbog der zum Krankenzimmer führte. Sanft wurde ich in seinen Armen hin und her gewiegt. Auf einmal dachte ich noch jemanden neben uns zu hören. Schnellere Schritte, wie die eines Mädchens. Allen redete wohl mit ihr, jedenfalls vermutete ich das. Es klang wie eine Aneinanderreihung von Lauten. Er schien sichtliche besorgt, richtig nahm ich das allerdings nicht wahr. Ich wollte meinen Kopf drehen, sehen wer dort zu uns gestoßen war, aber eine erneute Welle des Schmerzes verhinderte mein Vorhaben. Mein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Etwas kaltes berührte meine Wange. Es war das Letzte was ich spürte bevor um mich herum endgültig alles schwarz wurde. Als ich wieder zu mir kam lag ich auf etwas weichem, flauschigen. Es fühlte sich gut an, aber ich war zu schwach um die Augen zu öffnen. Neben mir sprachen mehrere Personen gedämpft miteinander. »Sie ist einfach zusammengeklappt«, hörte ich Allen. Seine schöne Stimme klang in meinem Kopf angenehm nach. »Ich hohle lieber noch ein Schmerzmittel«, sagte Madame Loan, die Frau aus dem Sekretariat. »Ich bleibe hier bei Rachel«, antwortete Allen fürsorglich. Schritte entfernten sich und es wurde ruhiger. Als es endlich still war, sagte jemand etwas dessen Stimme ich noch nie gehört hatte. »Wie konnte es dazu kommen??« Sie klang glockenhell und melodisch, eindeutig weiblich. »Sie scheint besonders auf die Anwesenheit eines von uns zu reagieren. So etwas habe ich noch nie erlebt, vielleicht hat sie ein feines Gespür.« »Scheint nur über knappe Distanz zu funktionieren«, das war Allen. »Phee...«, machte das Mädchen verächtlich. Ich hörte Allen ein Lachen unterdrücken. Ein Vorhang, wohl der des Krankenbettes, wurde bei Seite geschoben. Ich versuchte einen entspannt, schlafenden Eindruck zu erwecken. Sie sollten bloß nicht merken das ich schon wach war. »Sie ist ziemlich dünn und bleich für einen Menschen«, stellte die weibliche Stimme fest. »Ich weiß«, erwiderte Allen, »Ungewöhnlich, es ist mir auch schon aufgefallen.« »Für einen Menschen«, dachte ich verzweifelt, was hatte das zu bedeuten. Angespannt versuchte ich meinen Atem zu beruhigen. »Gefällt sie dir??«, fragte das Mädchen leise und neckisch. Ich horchte neugierig auf seine Antwort. »Rose...«, sagte er ruhig. So musste das Mädchen heißen. »Selbst wenn, sie "darf" mir nicht gefallen.« Eine seltsame Art der Resignation und Unbefriedigtkeit lag in seinen Worten. "Dürfen" ... ich "durfte" ihm also nicht gefallen. Mein Herz bekam einen Stich, wurde gnadenlos durchbohrt. Es war als hätte mich jemand einen dunklen, tiefen Abgrund herunter gestoßen. Die Tür flog auf, Madame Loan war wieder da. »Ist sie inzwischen wach??«, fragte sie besorgt. »Noch ni...«, wollte Allen gerade ansetzen, als ich »Doch« dazwischen rief und mich entschlossen aufrichtete. Böse, verletzt, funkelte ich ihn an. Mein Kopf pochte noch immer, aber das Brennen am Hals war weg. Endlich konnte ich Rose sehen. Sie war ein zierliches, geschmeidiges Mädchen, mit langen feuerroten Haaren. Ihre Haut war genauso bleich wie Allen's und ihre Gesichtszüge ebenso perfekt. Elfengleich stand sie da. Sie schauten mich für einen Moment erstaunt an, ich blickte mit trotziger Mine zurück, bis Rose in ihrer fließenden Stimme, die jeder Opernsängerin Konkurrenz gemacht hätte, meinte: »Na siehst du, sie ist doch schon wach.« Vielsagend lächelte sie mir zu, zwinkerte. Allen sah nicht besonders erfreut aus über diese Geste und ich musste lachen. Vielleicht war der Tag doch nicht so schlimm wie ich gedacht hatte. Aber was hatten bloß all diese seltsamen Formulierungen zu bedeuten?? Kapitel 4: Versuchskanninchen ----------------------------- »Wenn du erlaubst, würde ich gerne wieder selbstständig gehen.«, bluffte ich und versuchte Allen wütend anzufunkeln. Mein kläglicher Versuch der verbalen Selbstverteidigung zeigte nicht die geringste Wirkung. Wir hatten das Krankenzimmer verlassen, nachdem ich mich wieder besser fühlte. Und dank Allens Überzeugungskraft ließ auch Madame Loan davon ab uns zu begleiten. Rose war mit uns gekommen und lief nun leichtfüßig neben mir her. Wie ich ihre Freiheit beneidete. Stattdessen wurde ich mehr mitgeschleift als das ich wirklich selber ging. »Selbst wenn du mir zur Hilfe gekommen bist, hast du noch lange nicht das Recht mich einfach zu entführen!«, versuchte ich es noch einmal. Abrupt blieb Allen stehen. Bevor ich es überhaupt realisieren konnte, war ich von hinten in ihn hinein gelaufen. »Was ist denn jetzt los? Hast du's endlich kapiert?!«, setzte ich, übermütig wegen des Erfolges den meine Worte erzielten, noch einen drauf. Als sich Allen zu mir umdrehte lag eine stumme Verletzung in seinem Blick. Sofort bereute ich meine Worte. »Es tut mir Leid.«, murmelte ich betreten, den Blick gesenkt. »Du musst dich nicht entschuldigen.«, antwortete er tonlos, »Du hast ja recht, ich werde dich in Ruhe lassen wenn du es so verlangst. Ich dachte nur mein Vater wüsste vielleicht einen Grund für deine Anfälle, deswegen wollte ich dich ihm vorstellen.« »Aber du kennst mich doch gar nicht.«, entgegnete ich leise. Allens Lippen formten ein müdes Lächeln. »Ja.«, war seine schlichte Antwort. Nach kurzem Überdenken fasste ich neuen Mut. »Also gut, ich bin einverstanden.« »Was?«, Allen bernsteinfarbenen Augen konnte man die Verwunderung förmlich ansehen. »Frag nicht.«, lächelte ich, »Ich komme mit, aber beeil dich lieber, bevor ich es mir anders überlege.« Seine unwiderstehlichen Augen sprühten vor Freude. Es war ansteckend. Niedlich. Wie ein Kind. »Ich melde uns für heute ab und hole den Wagen.«, warf Rose ein. Fast hatte ich sie vergessen. Allen nickte und Rose verschwand den Gang entlang, in die Richtung, aus der wir gekommen waren. »Was ist dein Vater?«, fragte ich als wir schließlich allein waren. »Wie meinst du das?«, fragte Allen zurück, ich meinte eine gewisse Nervosität in seiner Stimme festzustellen. »Ganz normal.«, antwortete ich verwirrt, »Was ist dein Vater von Beruf? Was dachtest du denn?« »Er ist eine Art Therapeut.«, gab er knapp zurück. Mein Gefühl sagte mir das ich wohl fürs erste nicht mehr erfahren würde, also beließ ich es dabei. Ca. sieben Minuten später kehrte Rose zu uns zurück. »Alles erledigt. Wir können gehen!«, rief sie uns schon von weitem entgegen. »Na, dann brechen wir am Besten gleich auf. Eh du es dir noch anders überlegst.«, sagte Allen an mich gewandt. Seine Hand streifte seicht meine Wange, ein kecker Ausdruck lag in seinen Mundwinkeln. »Gestattest du, dass ich kurz etwas versuche?«, fragte er verführerisch. Meine Antwort wartete er natürlich nicht ab, aber was hatte ich denn auch erwartet. Langsam wickelte er eine meiner Haarsträhnen um seine Finger und beugte sich zu mir herunter bis er mir direkt in die Augen schaute. Als er weiter sprach, lag zwischen unseren Lippen höchstens noch ein cm. »Wie geht es dir jetzt?« »Gut«, antwortete ich, leicht verwirrt über seine Frage. »Kein Schwindelgefühl, keine Übelkeit, keine Schmerzen?« »Nein.«, stellte ich fest. Meine Augen weiteten sich vor Erstaunen, ich verstand. Ich hatte keine Schmerzen! Die letzten Male als er mir so nahe war, hatte der Augenblick nicht lange angedauert. Aber dieses Mal war es anders. Endlich konnte ich Allen einmal aus der Nähe bewundern. Seine Wimpern waren erstaunlich lang, schwarz wie sein Haar. Funkelnd fixierten mich sein bernsteinfarbenen Pupillen. Etwas Wildes, Tierisches lag in ihnen, das mich gleichermaßen erschreckte und anzog. Vorsichtig näherte ich meine Finger seinen perfekten Lippen. Es war als würde mein Verstand aussetzen. Vielleicht hatte ich ihn einfach zu lange schon gebraucht. Meine Hand traf auf etwas weiches, zartes. Es musste Allens Lippe sein. Neugierig fuhr ich ihre Konturen nach. Erst als ich an seinem Mundwinkel ankam, merkte ich das er breit grinste. Sanft, aber bestimmend umfasste er meine Hand, zog mich von ihm weg, und richtete sich auf. Peinlich, ging es mir durch den Kopf als ich wieder klaren Gedankens war, absolut peinlich was ich hier tat. Röte trat auf meine Wangen. Zum Glück nahm Allen den Vorfall nicht all zu ernst. »Mein Bruder hat dich ja anscheinend richtig um den Finger gewickelt.«, stellte Rose fest, die uns die ganze Zeit aufmerksam beobachtet hatte. Ich beschloss einfach nichts dazu zu sagen. Am Ende machte ich es nur noch schlimmer. Allens Mine regte sich kaum. »Also ihr Zwei, ich gehe jetzt.«, fügte sie grinsend hinzu und drehte sich in Richtung Ausgang, »Was ihr macht ist mir ja egal, aber flirten könnt ihr auch im Auto.« Meine Wangen hatten inzwischen bestimmt ein ziemlich kräftiges Rot angenommen. Angespannt schielte ich zu Allen. Dieser lachte nur großbrüderlich. »Frech wie immer. Mach dir nichts draus.«, waren seine einzigen Worte. Wenige Minuten später saßen wir im Auto. Es war die schwarze Limusine, wegen der ich heute morgen gefallen war. Allen fuhr, Rose saß neben mir. Als sie bemerkte das ich sie beobachtete, lächelte sie mich vielsagend an. »Was mache ich bloß?«, war meine letzter Gedanke, bevor wir auf die Hauptstraße abbogen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)