Days of Horror von Mikito (Bomben auf der Christopher Street) ================================================================================ Kapitel 41: Dienstag – 17.August -------------------------------- ~~~~ 27. Revier ~ Barclays Büro ~~~~ Im Anschluss an dem Treffen im Hug and Bell hatte Barclay sich mit seinem derzeitigen Freund getroffen. Jim war wie auch er verwundert, wie rasch man etwas über einen Menschen, der sonst nichts zu verbergen schien, ans Licht bringen konnte. Auch Jim war der Ansicht, dass eine Observierung das einzigst mögliche Mittel war, um hinter die Machenschaften von diesem Kerl zu gelangen. Jim wollte noch nicht einmal mehr in Betracht ziehen, dass sie sich vielleicht irren konnten. Nein. Die Beweise, die Barclay ihm vorgelegt hatte, waren reichlich belastend gewesen und für Jim überzeugend genug, um das Unmögliche für möglich zu halten. Nun saß Barclay in seinem Büro und dachte nach. Keiner sollte ihn stören, jedenfalls hatte er dies verlauten lassen. Doch er glaubte nicht daran, dass ihm lange Zeit des Nachdenkens bleiben würde. Barclay machte sich große Sorgen um Ryo. Er ging auch deswegen nicht mehr ins Krankenhaus zu den üblichen Besuchszeiten. Denn Dee kannte ihn einfach schon viel zu lange und demnach auch zu gut. Er würde sofort sehen, was Sache war und seine Sorge würde noch mehr steigen. Ross hasste es - jedes Mal, wenn er das Krankenzimmer betreten hatte, war die erste oder zumindest die zweite Frage gewesen, ob sie mit der Suche nach Ryo vorankamen. Was sollte er ihm sagen? Die Wahrheit? Das konnte er nicht. Noch nicht. Das Schrillen des Telefons riss ihn aus seinen Gedanken. War ja klar gewesen, dass ein so ruhiger Morgen nicht lange ruhig bleiben würde. Geschwind erhob er sich, nachdem das Telefonat beendet war und ging in das Großraumbüro, wo sich bereits zwei der Detectives zum Aufbruch rüsteten. Nun gut, dann wussten sie auch hier schon über den Leichenfund Bescheid. Er nicke im Vorbeigehen J.J. Adams und Drake zu, die sich ihm dann auch gleich anschlossen. Im Fuhrpark trennten sich ihre Wege, um sich dann beim Tatort wieder zu vereinen. ~~~~ Jeanelle Park ~~~~ Barclay bückte sich, um das Absperrband hinter sich zu lassen. J.J. und Drake waren wohl schneller als er gewesen, denn sie schauten sich den Fundort bereits an. Selbst Jim Cambel von der Spurensicherung sowie der Gerichtsmediziner waren schon vor Ort. Wohl ein Zeichen, dass er nicht zuerst informiert worden war. „Ist er es?“ fragte er, als er näher kam und auf die Leiche blickte. „Nein!“ Jim erhob sich aus der knienden Stellung und stellte sich neben Barclay. „Dennoch, die Ähnlichkeit...“ Barclay warf einen weiteren Blick auf die Leiche, die in dem Park in der Nähe des N.Y. Plaza von einem Spaziergänger gefunden worden. Nackt! Natürlich hatte es keine Zeugen gegeben. Schon gar nicht in einem Park, der eigentlich sehr ruhig gelegen war, aber dennoch viel besucht wurde. „Wie schaut es aus, Todeszeitpunkt oder Ursache?“ Will Godroy, der hiesige Gerichtsmediziner, mit dem Jim auch schon die Leiche von Fulton untersucht hatte, nahm einen kleinen Leuchtstift aus seiner Jacke und leuchtete über die Wunde im Oberkörper. „Das ist nur minimal. Es war für den Toten alles andere als angenehm, aber daran gestorben ist er nicht. Dazu ist der Schnitt zu oberflächlich. Man sieht, dass die Haut durchtrennt wurde und die oberen Fettschichten, aber ansonsten... nichts weiter als eine lange, harmlose, vermutlich nur leicht blutenden Wunde. Im Gegensatz zu den kleineren am Fuß. Oder eher gesagt, an der hinteren oberen Ferse... hier, sehen Sie...“ Will drehte den linken Fuß ein wenig. Normalerweise musste er alles so lassen, aber die Bilder waren gemacht und somit war diese kleine Veränderung nicht mehr wichtig. Außerdem würde er sie sich auch gleich notieren, für alle Fälle. Da war Will Godroy sehr genau. Der knapp sechzigjährige, mit nur noch einem Haarkranz gesegnete Gerichtsmediziner deutete auf mehrere kleine Einschnitte im hinteren Fußbereich. Die eisgrauen Augen des älteren Mannes hatten schon viel erblickt, aber so etwas, wie er nun vor sich hatte, war gnadenlos brutal. Er konnte solche Menschen nicht nachvollziehen, die so eine Gräueltat begehen konnten. Mord war schon schlimm genug. Aber dass jemand daran Vergnügen fand, das Opfer so zu quälen, war nicht normal. Jedenfalls in seinen Augen. Doch dies zählte nicht. „Nicht sehr effizient... Aber tödlich.“ Barclay beugte sich vor und betrachtete die Wunden. „Sie meinen, er ist...“ „Ausgeblutet. Ich tippe mal, dass kein Tropfen Blut mehr in ihm sein wird. Das Gewebe an sich ist trocken. Sonst wäre er aufgeschwemmt, was nicht der Fall ist. Außerdem fehlen die üblichen Verfärbungen, die auftreten, wenn noch Wasser oder Blut das Gewebe füllt. Das sind alles vorläufige Spekulationen, genauso wie die Tatsache, dass der Körper wohl erst kürzlich hier abgelegt worden ist. Da es gestern geregnet hat und sich der Körper auf einem feuchten Fleck befindet, würde ich mal sagen, dass er entweder vor oder während des Regens hier platziert worden ist.“ „Er wurde also nicht hier umgebracht...“ murmelte Barclay und notierte sich das in seinen Gedanken. Papier war unwichtig, dafür hatte er ein vorzügliches Gedächtnis. „Nein. Aber ich werde die Umgebung dennoch auf Blutspuren untersuchen. Auch werde ich den Körper nach Einstichen hin untersuchen. Obwohl ich diesmal nicht davon ausgehe, dass ich fündig werde... Das hier war geplant,“ meinte Godroy und steckte den Laserstift zurück. „Wir sollten ihn finden!... Warum?... Als Warnung?“ Barclay warf Jim einen Blick zu. Wenn wirklich Patrick dahinter steckte, warum tötete er einen Unschuldigen? Eine Frage mehr, die nun zu klären war. „Was meinen Sie, Doc, wie lange ist er schon tot?“ „Tja... Da der ganze Körper praktisch entwässert wurde... und wenn ich mir die Wundränder, die Flecken hier und hier ansehe... ich würde mal schätzen... vier bis sieben Tage. Genaueres kann ich ihnen erst sagen, wenn ich ihn auf dem Tisch hatte, Commissioner,“ hielt der Gerichtsmediziner sich etwas bedeckt. „Eine Vorstellung, wie er hierher transportiert wurde?“ Godroy erhob sich, stemmte die Hände in den Rücken und ließ seine morschen Knochen knacken. Der Jüngste war er nicht mehr mit seinen knapp 60 Jahren. Da taten einem schon die Knie vom langen Hocken weh. Als er stand und alles wieder eingerenkt hatte, was schon denkbar gefährliche Geräusche von sich verlauten ließ, schaute er sich in aller Ruhe die Gegend an. Das hatte er vorhin schon beiläufig getan, aber er wusste um die Neugier der hiesigen Cops und war deswegen erst einmal zur Leiche gegangen, um eine Vorab-Schau zu tätigen. „Der Boden war feucht... vielleicht... in einem Sack. Oder er wurde bis hierher gefahren, obwohl, Reifenspuren... sehe ich jetzt nicht... aber das wird die Forensik schon noch untersuchen. Meiner Meinung nach... in einem Sack. Sehen Sie... hier ist eine kleine Vertiefung... etwa so lang wie die Leiche... dann wurde er entweder herausgehoben... was ich anzweifle, sonst würden Druckstellen am Körper zurückbleiben. Also wurde er hier rübergedreht... wohl ebenfalls in dem Sack... praktisch ausgeschüttet. Dann einfach liegen gelassen... Aber wie gesagt... Cambel und sein Team werden das schneller rausfinden... Ich werde mich dann um die Obduktion kümmern... wann wollen Sie den ersten Bericht?“ „In einer Stunde?“ sagte Barclay und wusste, dass es mindestens drei werden würden. „Ich werde es versuchen... Also... packen wir ihn ein,“ bestimmte Godroy und machte sich an die Arbeit. Barclay sah sich weiter um. Ein Mann! Tot! Ähnlichkeit mit Ryo! Warum? Wieso und wofür? Fragen, die er beantwortet haben wollte. Sein Handy piepte los und er meldete sich mit einem raschen „Ja!“ „Ich bin’s, Mick. Dee möchte dich sehen.“ „Ich habe zu tun!“ „Ich denke mal, es war keine Bitte...“ „Wir haben eine Leiche... im Jeanelle Park gefunden. Männlich, etwas 35 Jahre alt. Blond, schlank und mit einigen Wunden am ganzen Körper. Und was wohl augenscheinlich das objektivste ist... er sieht Ryo ähnlich,“ erklärte Barclay und hoffte, dass Mick Dee davon abhalten würde, seine Bitte zu erneuern. „...“ Es war eine Weile still im Netz. Das musste Mick erst einmal verkraften. „Es ist nicht Ryo? Seid ihr euch sicher?“ hakte er nach. „Ja. Ganz sicher,“ knurrte Barclay. Ihm so eine Frage zu stellen - wo er jahrelang hinter dem Halbjapaner her gewesen war, wusste er doch, wie er wohl aussah. „Gut, ich versuche, ihn hinzuhalten. Aber lange wird er sich das nicht mehr gefallen lassen.“ „Was macht die Observierung?“ „Steve ist dran...“ „Seit wann?“ „Heute morgen gegen vier Uhr hat er sich gemeldet. Soweit wir wissen, ist McNear eine Runde im Park joggen gewesen, dann war er in seinem Apartment und ist seitdem dort. Warte... bekomme grade, dass er sich auf den Weg macht... wohin, werden wir noch sehen.“ „Fuck! Er hätte gestern abend anfangen sollen. Vielleicht hätten wir ihn dann schon gehabt?“ „Ross!“ meinte Mick mit ruhiger und sachlich klarer Stimme. „Steve hätte vor seinem Haus gewartet... und wenn er es war, dann war er mit Sicherheit nicht erst zu Hause und ist dann los, um einen umzubringen...“ „Okay, das macht Sinn... Gut... Ich bin nur ein wenig...“ „Das sind wir alle, Commissioner. Bleib nur ruhig, das wird schon. Wenn er es war... kriegen wir ihn.“ ~~~~ Battery Park ~~~~ Patrick fuhr einige Umwege. Er wusste nicht warum, aber er hielt es schon immer so. Nie fuhr er auf direktem Wege zu seinem Ziel. So auch heute. Und nachdem er sich sicher war, dass er alle Verfolger abgehängt hatte, wenn denn welche hinter ihm her gewesen sein sollten, fuhr er zum Battery Park. Parkte seinen Wagen in der dafür vorgesehenen Bucht und ging zu dem Kriegerdenkmal, wo der Name seiner beiden Väter eingemeißelt war. Kurz blieb er stehen, betete stumm für ihre Seelen, bevor er weiterging. Seinen Verfolger bemerkt er nicht. Doch dieser wunderte sich nur, dass McNear scheinbar verschwinden konnte. Denn nachdem auch Steve das Monument umrundet hatte, war von dem DCI nichts mehr zu sehen. Verwundert blickte Steve sich um. So einen Vorsprung hatte er ihm nicht gelassen, dass er in der vielen Anzahl der hier stehenden Denkmäler einfach verschwinden konnte. Steve griff zu seinem Handy und meldete seinen Misserfolg. Blieb aber dennoch vor Ort. Irgendwas stimmte nicht, da war er sich sicher. ~~~~ Ryo’s Gefängnis ~~~~ Ryo Entführer indessen ging durch einen langen Gang, blieb schließlich vor der offenen Tür stehen und sah auf sein Schneewittchen hinab. Noch immer leichenblass lag er auf der Pritsche. Die drei Infusionen erneuerte er schon zum x-ten Mal. Doch anscheinend hatte er zu lange gezögert, denn eine wirkliche Besserung schien sich in den letzten Stunden nicht eingestellt zu haben. Er prüfte die Etiketten auf den Infusionen. Eine zum Auffüllen des Wasservolumens, eine für künstliche Ernährung und die dritte ein leichtes Sedativum, damit die Schmerzen im Körper den Gefangenen nicht wahnsinnig machten. Sich anhand Ryo’s Zustand sicher fühlend, trug er das erste Mal keine Maske, als er neben Ryo in die Knie ging, um den Puls zu fühlen. Dieser war langsam und schwach, aber er schlug permanent. Auch wenn die Kraft nicht dem entsprach, wie es bei einem erwachsenen Mann normal war, beruhigte es den Entführer, dass das Herz wenigstens noch schlug. Und so lange dies der Fall war, würde Ryo wohl auch nochmals aufwachen. Damit er sein Leiden noch eine Spur verlängern konnte. ~~~~ Battery Park ~~~~ Steve wusste nicht, wie lange er schon in diesem Park herumgelaufen war. Inzwischen saß er auf einer Bank und haderte mit sich und Ryo’s Schicksal, das wegen seiner Dummheit weiterhin im unklaren blieb. Sein Blick streifte ziellos umher, bis er sich auf einen Mann fixierte. Einem Mann, dem er bis vor einer Stunde hierher gefolgt war. Wo kam dieser plötzlich wieder her? Steve verhielt sich still, wollte nicht die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Hier gab es ein Rätsel, welches es zu lösen galt, und er würde es lösen. Keiner verschwand einfach und tauchte dann wieder auf. Nachdem Steve sicher war, dass McNear den Park verlassen hatte, schaute sich der Ex-Mafiasohn die Gegend, in der Patrick verschwunden war, nochmals an. Doch er fand nichts. Keine Tür und auch keinen Spalt, der den DCI einfach verschluckt hätte. „Das gibt’s doch nicht...“ knurrte er und fuhr sich gereizt durch das Haar. „Ryo... ich finde dich... halt noch was durch,“ murmelte er nur für sich verständlich. Er verdankte den MacLane’s so viel. Er würde es sein Leben lang nie zurückzahlen können, aber wenn er Ryo fand, so konnte er doch ein klein wenig davon zurückgeben. Steve schlenderte weiter durch die Gegend. Schaute sich auch das Castle, das hier stand, genauer an. Doch auch dort gab es keinen Eingang. Jedenfalls für ihn keinen sichtbaren. Dennoch, irgendwohin musste Patrick McNear verschwunden sein. Und irgendwo hier gab es ein Geheimnis. Eines, das er nur zu finden brauchte. Da war sich Steve sicher. Nur die Zeit arbeitete gegen ihn. ~~~~ Medical Center ~ Chirurgie ~~~~ Leise lachte Dee, auf als Sara ihm einen ihrer Witze erzählte. Es war an sich nicht komisch, aber er wollte auch nicht das Gemüt der Kleinen, die sich so tapfer hielt, kränken. „Erzähl mal, Nikkô... wie gefällt es dir bei Onkel Aaron und Onkel Mick? Ist es besser als bei Onkel Steve und Onkel Tony?“ Sara beugte sich ganz dicht zu ihrem Dad vor. Denn dieser Onkel Aaron war mit im Zimmer und schaute leicht belustigt in ihre Richtung. „Onkel Aaron ist immer so streng... ich darf nichts machen...“ meinte sie leise und schielte zu dem Besagten hinüber. Schnell huschte ihr Gesicht jedoch wieder zu ihrem Dad, als sie den Blick auf sich spürte. „Siehst du, Dad... der guckt schon wieder so komisch.“ Dee grinste und warf Black einen Blick zu. „Oh... der guckt immer so... Da brauchst du dich nicht zu sorgen,“ erklärte Dee und strubbelte seiner Tochter durch das blonde Haar, welches ihn so sehr an Ryo erinnerte. Innerlich wimmerte er auf, jedes Mal, wenn seine Gedanken zu seinem Mann eilten. Ihn suchten und ihn nicht fanden. Wenn er nur bald wieder aufstehen könnte, damit er Barclay Feuer unter dem Hintern machen konnte, aber dieser Feigling traute sich noch nicht einmal mehr her. Für ihn ein eindeutiges Zeichen von Schwäche und Versagen. Abends, wenn es still wurde, alle Besucher das Zimmer verlassen hatten, dann unterhielt er sich mit Chris. Über alles. Erzählte ihm von seiner Ehe, wie es mit Ryo angefangen hatte, ihre erste schwere Zeit, die Schwangerschaft und die Hindernisse vor der Hochzeit. Er musste mit jemandem über ihn reden, sonst würde er noch durchdrehen. Alles in ihm schrie nach seinem Mann. Und er lag hier zur Untätigkeit verdammt. „Was?“ fragte er leise seine Tochter, denn er hatte die Frage schlichtweg gesagt überhört, so tief war er schon wieder in seiner Gedankenwelt abgedriftet gewesen. „Wann Daddy wiederkommt?“ fragte sie leise. Sie wusste zwar, dass sie das nicht fragen sollte, aber ihre Sehnsucht nach ihrem anderen Vater war halt genauso groß wie Dee’s. Dieser musste sich zwingen, nicht vor seiner Tochter in Tränen auszubrechen, schaffte es sogar, ein kleines Lächeln zustande zu bringen. „Bald, mein Sonnenschein... bald, meine Kleine... Dann haben wir unseren Daddy wieder,“ sagte er und nahm sie in die Arme, konnte das Glitzern seiner Augen nicht länger zurückhalten. Jedenfalls sah Sara so die kleine Träne nicht, die er auch schon rasch wegwischte. „Na komm, Sara. Lass deinem Dad ein wenig Ruhe. Wir machen einen Spaziergang... na, was meinst du dazu?“ fragte Robin, der es sich mal wieder neben Chris bequem gemacht hatte. Auf der Bettkante natürlich. Robin war zwar nicht auf der Liste derjenigen, die Sara schaden wollten, eigentlich wohl eher im Gegenteil. Auch wenn man bedachte, dass er geholfen hatte, McNear auf die Schliche zu kommen, fühlte sich Black bei diesem Angebot alles andere als wohl. „Das ist nett, Robin,“ erklang jedoch die Stimme von Dee und verhinderte, dass Black dieses verneinen konnte. „Dann könnt ihr drei mal offen reden,“ meinte Robin leise zu Chris. Dieser hatte sich schon so an die Nähe und die ständige Anwesenheit des Jüngeren gewöhnt, dass er sich wirklich schon fragte, warum er am Anfang so stark gegen ihn rebelliert hatte. Gut, er war noch immer jünger als er, daran würde sich wohl nie etwas ändern. Aber eins hatte Chris in den Tagen, die er hier träge herumlag, erkannt. Dass er Robin mehr als nur mochte. Er liebte ihn. Warum also nicht das nehmen, was einem so frei angeboten wurde. Es gab im Leben kein Garant darauf, dass alles ewig hielt. Ewig war sowieso ein kurzes Wort für nichts. Wenn, dann wollte er die Liebe nicht auf ewig, sondern für immer. Doch auch das war, wie er bei Dee und Ryo durch die Gespräche erfahren hatte, nicht immer mit Sonnenschein behaftet. Aber das musste sich wohl jeder selbst zurechtschustern. Deswegen war er einverstanden, mit Robin eine Beziehung einzugehen. Das würde er ihm jedoch erst sagen, wenn er wieder fit war. Denn so etwas musste schließlich ausgiebig und richtig gefeiert werden und dazu fühlte er sich noch immer nicht in der Lage. Robin streckte seine Hand aus und Sara ergriff sie strahlend. Sie mochte den Jüngsten hier. Irgendwie erinnerte dieser ihn an ihren Daddy. Der auch immer so strahlte und lustig war. Gut, ihr Dad war das auch, aber seitdem er hier lag, spürte Sara, obwohl sie noch recht jung war, dass ihr etwas verheimlicht wurde. Immerhin war sie die Tochter zweier Cops und spürte es innerlich. Außerdem waren die Scherze von ihrem Dad nicht mehr so toll und der Humor dahinter fehlte ihr ganz. Vielleicht konnte sie ja aus Robin etwas herausbekommen. Schließlich war sie ja nicht dumm. „Bis später, Dad...“ winkte sie ihm zu, nachdem sie ihm ein Küsschen aufgedrückt hatte und nun mit Robin aus dem Zimmer ging. „Was gibt’s neues?“ fragte Dee, kaum dass Sara das Zimmer verlassen hatte. Dass die Frage direkt an ihn gerichtet war, war Black durchaus bewusst, doch nur zu gerne hätte er ihm jetzt etwas konkretes gesagt. Die Vermutung, die sie über Patrick hatten, wollte er noch nicht erwähnen. Was, wenn sie sich täuschten? „Nun, inzwischen ist klar, dass Fulton für die Explosion im Chamer, im B & B und im Tropical verantwortlich war. Die Spuren des verwendeten explosiven Materials sowie einige passende Platinen wurden in seinem Apartment gefunden. Außerdem wurde bestätigt, dass Fulton sich bei der Baufirma eingeschlichen hatte. Er wurde von drei Leuten positiv identifiziert.“ Dee und Chris lauschten aufmerksam. „Und die anderen Bomben?“ erklang die fragende Stimme von Jackson zuerst im Raum. Offensichtlich war er damit Dee zuvorgekommen, denn dieser schloss soeben seinen Mund wieder, wartete wie sein derzeitiger Kollege auf die Antwort. „Der Professor vom Institut sowie die Heimleiterin des Waisenhauses und die Schwester des Jungen konnten Fulton nicht identifizieren.“ „Er war also nicht beim Basra?“ „Doch! Er hat die Bombe gebaut, wir fanden auch dazu Spuren. Aber...“ „ABER?“ fragte Dee gereizt. Warum hielt man ihm hier nur so spärliche Informationen vor. Bevor Black sich dazu genötigt sah zu antworten, öffnete sich jedoch die Tür und Patrick McNear betrat fröhlich vor sich hin pfeifend das Zimmer. „Hallöchen, bin ein wenig spät. Hier, Chris, für dich,“ sagte er und reichte Jackson eine Packung Kekse, ging dann zu Dee und strahlte ihn förmlich an. „Das ist für dich...“ Patrick streckte auch Dee eine Packung entgegen, die dieser ein wenig zaghaft annahm. Eigentlich war Dee sauer, weil ihr Gespräch so plötzlich unterbrochen wurde, aber als er auf die Schachtel Pralinen blickte, die er so gerne aß, verzieh er Patrick auf der Stelle. „Danke,“ sagte er leise und verzog dabei die Lippen knapp zu einem kaum wahrnehmbaren Lächeln. Dies, so meinte MacLane jedenfalls, war er ihm schuldig. „Wir reden später,“ hörte er Black, der auch schon fast fluchtartig das Krankenzimmer verließ. „Sag mal, stör ich?“ Patrick blickte ein wenig überrascht über den raschen Abgang des Kerls auf die geschlossene Tür. „Nein... und ja. Du bist doch auch an dem Fall dran, Pat. Gibt’s nichts neues?“ bohrte Dee nun seinen Ex-Lover an. In der Zeit, in der er nun hier lag und Patrick länger bleiben konnte, hatte er sich an dessen Anwesenheit gewöhnt. Irgendwie war trotz der Umstände die alte Vertrautheit wieder aufgekommen. Und wenn er von McNear nichts neues erfahren würde, dann würde er dem Commissioner noch heute gehörig ein Feuer unter dem Hintern machen. „Ich weiß nicht...“ wagte Patrick einen kleinen Vorstoß und stockte bereits nach diesen drei Worten. Die alles versprachen und ein ängstliches Zittern in Dee hervorriefen. Dee ließ die Packung Pralinen auf die Decke fallen und griff nach einer Hand von Patrick. „Sag schon... ist was mit... mit Ryo?“ Seine Stimme schwang vor Emotionen, obwohl er fast nur ein Hauchen ausgestoßen hatte. „Dee...!“ hörte dieser vom Nachbarbett. Wobei Chris hoffte, dass jetzt nichts grauenhaftes über den jüngeren Kollegen hereinbrechen würde. „Man hat dir noch nichts gesagt?“ fragte Patrick still nach, und erst als er den Blick von Dee und das leise Schnauben von Chris vernahm, atmete er tief durch, hockte sich dann auf das Bett seines alten Freundes. „Sie haben eine Leiche heute morgen gefunden... Ich war nicht vor Ort, ich habe es nur aus dem Funk...“ „Wieso erzählst du uns das?“ fragte Chris nun neugierig. Da stimmte was nicht, das spürte er tief in sich. Der Hammer kam noch. „Nun... wie ich gehört habe, war es eine männliche Leiche. Ich will hier nichts sagen, was dich aufregt, Dee... Es... Es tut mir leid... aber ich hörte, wie einer der Cops vor Ort den Namen deines...“ Weiter kam Patrick nicht. Dee stöhnte gepresst auf. Seine Augen flatterten zu, bevor sie wieder aufgingen und wie leer ins Nichts blickten. Auch aus seinem leicht geöffneten Mund kam kein Ton. Seine Finger krallten sich ins Bettlaken, als er sich zurücksinken ließ. Chris zögerte keine Sekunde. Aufstehen durfte er noch nicht, aber er konnte den Notfallknopf drücken und das tat er. Nicht nur einmal, sondern gleich mehrfach. Patrick griff nach der Hand von Dee, doch diese war so verkrampft, dass er nichts machen konnte. Wie leblos lag Dee in dem weißen Laken. Das Gesicht unnatürlich blass, die Augen... Patrick bekam Angst. Angst, dass er Dee zuviel zugemutet hatte, aber er würde schon darüber hinwegkommen. Irgendwann... Energisch wurde der DCI von einem herbeieilenden Arzt zur Seite geschoben. Rasche Anweisungen folgten und eine Injektion folgte einer bereits gesetzten. Der behandelnde Arzt trat einen Schritt zurück, als er Dee zwar nicht aus der derzeitigen Phase herausgeholt hatte, aber sichtlich zufrieden war mit dem Resultat seiner Arbeit. Der Arzt blickte sich zu Chris um. „Was hat das ausgelöst?“ Noch immer waren seine Hände auf Dee’s Handgelenk, fühlten den Puls, der langsam stärker und gleichmäßiger wurde. „Vermutlich habe ich...“ stammelte Patrick und stand noch immer ein wenig nervös am Fußende des Bettes. Starrte Dee an, dessen Augen nun geschlossen waren und der wohl schlief. „Haben Sie was...?“ fragte der Arzt und fokussierte den stotternden Kerl an. „Ich... ich habe ihm gesagt, dass sein Mann vielleicht tot aufgefunden wurde!“ sagte Patrick und fühlte sich unter dem vernichtenden Blick des Arztes alles andere als wohl. „Sie haben WAS?“ staunte der Arzt, und wenn es in dem Bereich des möglichen gelegen hätte, hätte er dem Kerl nun erst einmal gewaltig eine gedonnert. „Sind Sie verrückt? Der Patient erholt sich hier von einer schweren OP und Sie knallen ihm so was an den Kopf? Raus...! Raus aus dem Zimmer, der Station und dem Krankenhaus. Wenn ich Sie noch einmal hier erblicke, rufe ich den Sicherheitsdienst und lasse Sie entfernen,“ sagte der behandelnde Arzt mit ruhiger Stimme aber gefährlich angehauchtem eisigem Unterton, der keinen Zweifel daran ließ, dass er es auch ernst meinte. „Sie können nicht...“ Patrick blieb stur stehen, er ließ sich doch deswegen nicht rauswerfen. Nun, wo er fast das erreicht hatte. „Schwester, rufen Sie den Sicherheitsdienst... wir haben hier ein Problem,“ befahl er ruhig der anwesenden Schwester, die daraufhin einen weiten Bogen um die Person machte und eilig das Zimmer verließ. „Ich bin Polizist, das lasse ich nicht mit mir machen,“ wurde Patrick energischer. Es ging hier im Augenblick nur um ihn. Er würde sich nicht von Dee entfernen. Nein, endlich hatte er ihn da, wo er ihn haben wollte. „McNear! Seien Sie vernünftig und gehen Sie. Sie schaden Dee nur noch weiter, wenn sie so aufbrausend reagieren. Er braucht Ruhe...“ mischte sich nun auch Chris noch mit ein. Er konnte Patrick von Anfang an nicht ausstehen, aber diesen nun so zu sehen war nicht gerade erfreulich. Anscheinend war die ganze Zeit, wenn er freundlich war, eine Maske auf seinem Wesen gewesen. War dies sein wahres Gesicht? fragte sich Chris, und er blickte Patrick bittend an. „Denken Sie an Dee’s Gesundheit... gehen Sie. Ich rede mit dem Arzt...“ versprach er, um nur irgendwie dazu beizutragen, dass der DCI ohne großes Aufsehen wenigstens das Zimmer verließ. „Gut, ich gehe... aber Sie sollten Dee noch etwas von mir ausrichten, Jackson.“ „Und das wäre?“ fragte er neugierig, obwohl er es eigentlich nicht hören wollte. Denn es würde mit Sicherheit nur noch etwas sein, was Dee noch tiefer in seine Verzweiflung trieb. „Der Ehering. Ich weiß, dass Barclay Ross diesen in seinem Besitz hat. Schon seit Tagen...“ sagte er mit einem Grinsen, das Chris einen Schauer über den Rücken jagte. Dann verließ Patrick das Zimmer, nicht ohne dem Arzt noch einen kalten, fast tödlichen Blick zu zuwerfen. Erst als die Tür hinter ihm zugefallen war, schüttelte es den Arzt. „Ein unsympathischer Mensch!“ murmelte er und wusste nicht, dass er diese Worte laut ausgesprochen hatte. „Da stimm ich Ihnen zu, Doc. Aber eine Bitte habe ich an Sie. Ich muss wissen ob das stimmt, mit Ryo. Kann ich mein Handy einschalten?“ Kurz zauderte der Arzt. Aber angesichts der Tatsache, wie es einem seiner Patienten ging und dass es ihm wohl besser gehen würde, wenn er die Wahrheit kannte, nickte er. „Gut, aber nur kurz. Ich bleibe so lange hier,“ bestimmte er und ging den einen Schritt zurück zu Dee’s Bett. Noch immer war der Puls nur schwach. Diesen Schock musste der angeschlagene Körper erst einmal erneut verkraften. „Er hat ihn schon einmal verloren... Bei einer Bombe, dachte, er wäre im Feuer umgekommen, wochenlang hat er getrauert. Dass er überlebt hat, war ein Wunder und als er davon erfuhr... aber das können Sie sich selbst gut vorstellen... Dann wurde er entführt. Seit acht Wochen nun fehlt jede Spur zu ihm. Dann diese kalten Worte...“ erklärte Chris dem Arzt in knappen Worten, warum Dee so heftig auf den möglichen Tod des Ehemannes reagiert hatte. „Ross!“ meldete sich der Commissioner, den es inzwischen zurück in sein Büro gezogen hatte. Auf dem Schauplatz des Tatortes gab es für ihn nichts mehr zu sehen, und bevor er wichtige Spuren zertrampelte, hatte er sich lieber zurückgezogen. „Jackson hier, Commissioner,“ meldete Chris sich brav. „Sie sind schon auf?“ „Nein, ich benutze mein Handy. Wir haben hier einen Notfall...“ „Einen Notfall? Was ist passiert?“ fragte Ross nicht neugierig, aber aufgeregt nach. Denn wenn Chris telefonierte und von einem Notfall sprach, dann bedeutete das, dass etwas mit Dee war. „Es geht um die Leiche, die Sie heute morgen gefunden haben!“ kam er auch gleich zum springenden Punkt. Langes Gerede drum herum würde alles nur verzögern und wenn er Dee helfen wollte, dann musste er klare Aussagen machen und erhalten. „Woher weißt du... davon?“ „Es stimmt also,“ erklang die Stimme dumpf und angeschlagen durch den Hörer. „Ja, wir haben eine Leiche heute morgen im Jeanelle Park gefunden.“ „Ryo?!“ „WAS? Nein, um Gottes Willen...!“ Vehement bestritt Barclay das und Chris hatte keinen Zweifel am Gehalt der Wahrheit hinter dieser Aussage. „Wer dann?“ „Ein noch unbekannter junger Mann. Okay, ich gebe es zu. Die Ähnlichkeit zu Ryo ist beträchtlich. Aber woher weißt du von dem Fund und wieso kommst du gleich auf Ryo?“ hakte Ross gleich nach. „McNear hat es uns eben gesagt...“ „Fuck!“ knurrte Ross. „Wie geht’s Dee?“ „Er steht im Augenblick unter Schock, was denkst du denn. Außerdem erwähnte er einen Ring.“ Mehr traute Chris sich nicht zu sagen, weil Dee sich bewegt hatte und somit vielleicht auch die Unterhaltung mithören könnte. „Ja, den habe ich. Und jetzt hör genau zu. Er war am Finger von Fulton. Blutspuren von Ryo waren in der Wohnung und wir haben eine Spur. Ich habe Dee extra nichts von diesem Ring gesagt, weil ich ihn nicht aufregen wollte... ob du es ihm nun preisgibst, überlass ich dir.“ „Wie viel wissen Black und Mick?“ fragte Chris leise. „Alles. Wir treffen und regelmäßig und wie gesagt haben wir eine heiße Spur. Wir finden ihn.“ „McNear?“ schoss Chris mal ins Blaue. „...Der Verdacht liegt nahe...“ äußerte sich Ross wage. Denn er konnte noch nicht einfach den Verdacht bestätigen. „Okay... Ich... ich... Dee wacht auf, ich mach Schluss,“ sagte Chris und beendete das Gespräch, schaltete auch gleich das Handy wieder aus, um es in seinem Beistelltisch zu verstauen. „Ist er wach, Doc?“ fragte Chris von seinem Bett her, denn genau konnte er es halt nicht sehen. „Mr. MacLane... Mr. MacLane, hören Sie mich,“ beugte sich der Arzt über Dee und fühlte diesmal nach der Halsschlagader und nickte beruhigend. Anscheinend war es noch mal glimpflich verlaufen. „Dee... Dee, es war nicht Ryo. Hörst du... ich habe eben mit Ross gesprochen. Es war NICHT Ryo.“ Träge drehte der Angesprochene den Kopf und sah zu seinem Zimmergenossen hinüber. Eine Träne löste sich aus seinen Augen, gefolgt von einem leisen Schluchzen. „Ich gebe Ihnen noch etwas zur Beruhigung, Mr. MacLane. Dann können Sie ruhig schlafen. Es wird schon alles gut. Denken Sie an Ihre kleine bezaubernde Tochter. Sie braucht Sie noch...“ Dee drehte den Kopf in Richtung Fenster. Die Sonne lachte vom klaren, wolkenfreien Himmel auf die Erde. War es ein Zeichen, dass wirklich alles gut werden würde? Er hoffte es so sehr. Alles in ihm schrie nach seinem Mann. Doch er fand kein Echo, so wie sonst. Angst schnürte ihm seit gestern die Kehle zu. Seit gestern konnte er ihn nicht mehr spüren, so als ob er weg wäre, deswegen war er auch so leicht auf die Vermutung von McNear eingegangen. „Er ist weg... einfach weg...“ murmelte er, erklärte sich aber nicht weiter, sondern starrte weiter hinaus in den sonnigen Tag. Er hörte nicht, wie sich der Arzt noch leise mit Chris unterhielt und ihm die Sorge nahm, bevor die Tür hinter dem Arzt zufiel und die beiden wieder einmal allein ließ. Dee voller Sorgen und Ängste um seinen geliebten Mann und Chris, der sich um die Gesundheit von Dee sorgte. Frustriert über den Rauswurf verließ Patrick McNear hoch erhobenen Hauptes das Krankenhaus. Nein, er würde sich nicht vom Sicherheitsdienst des Krankenhauses hinauswerfen lassen, da ging er lieber selbst. Aber er würde wiederkommen. Daran würde ihn auch nicht dieser aufgeblasene Arzt hindern können. Er schlug sich den Mantelkragen etwas höher, als er sich auf den Weg zu seinem Wagen machte. Ein helles, reines Kinderlachen ließ ihn jedoch stehen bleiben und sich umsehen. Patrick machte die Richtung aus, aus der dieses fröhliche Lachen kommen musste, und ging zielstrebig drauf zu. Kurz darauf erblickte er die beiden, Sara und Robin, fröhlich herumtollend. Anscheinend spielten sie Fangen. Wieder erklang dieses erheiterte Lachen, gefolgt von einem etwas dumpferen, aber nichtsdestotrotz fröhlichen Lachen, das von dem männlichen Begleiter herrührte. Patrick lehnte sich mit der Schulter gegen einen Baum, der es sich im Krankenhauspark wohl gut gehen ließ, und schaute dem fröhlichen Treiben eine Weile zu. Nicht, dass sein Zorn über das eben geschehene verraucht war, aber da es ihm nicht möglich war, seinen Frust darüber an seinem Schneewittchen auszulassen, musste er sich ein anderes Objekt aussuchen. Ein Objekt, das im direktem Zusammenhang mit all den Geschehnissen stand. Eines, das Dee nahe stand. Vermutlich noch näher als sein Mann. Grübelnd blieb er noch eine Weile stehen, bis ihm ein Gedanke kam, wie er es am besten und am unauffälligsten anstellen konnte. Den jungen Mann bei dem Kind kannte er vom Sehen. An den Namen konnte er sich im Augenblick nicht erinnern, wusste aber wohl, dass er ihm bei der Explosion das Leben gerettet hatte. Mit langsamen, schlendernden Schritten ging er auf das spielende Pärchen zu. „Hallo Sara!“ sagte er freundlich, mit einem Lächeln in der Stimme, das positiv seine Absicht verdeckte. „Na, ihr zwei, spielt ihr auch schön?“ fragte er nun direkt den Älteren. „Ja. Sara brauchte ein wenig Abwechslung und Dee wohl eine kurze Auszeit. Waren Sie schon oben?“ Das ging besser als gedacht, grinste er in Gedanken. Da hätte er sich erst gar keinen Plan zurechtlegen müssen, wenn man ihm so freundlich entgegenkam. „Nein. Ich hörte Kinderlachen und dachte mir, dass die Kleine hier ist. Wenn es recht ist, nehme ich sie mit hoch. Nicht, dass sie sich noch verkühlt,“ erklärte er und ging neben Sara in die Hocke, streckte ihr seine Hand entgegen. „Hey, das wäre echt nett. Ich muss eigentlich schon längst wieder im Diner sein. Die geben mir zwar richtig viel Zeit, um Chris zu besuchen, aber heute habe ich eigentlich Schicht und hab mich rausgestohlen,“ erklärte er mit einem bezaubernden, aber auch verlegenen Lächeln. „Klar... Wie geht’s dir? Hab schon lange nicht mehr gefragt. Die Wunde scheint gut verheilt zu sein,“ richtete Patrick nochmals sein Augenmerk auf Robin. Wollte ja nichts überstürzen und so ein kleiner Plausch kostete kein Leben, nur ein wenig Zeit. „Ja. Die Ärzte sind zufrieden. Ich werde zwar eine kleine Narbe behalten, aber ansonsten bin ich wieder voll einsatzbereit. Tja... ich geh dann... und ich kann mich drauf verlassen, dass Sie Sara mit hoch nehmen?“ „Ich passe schon auf sie auf. Nicht wahr, du Kleine...“ «wie nannte Dee sie doch gleich» „Sonnenschein... ich bringe dich zu deinem Daddy!“ sagte er leise. Sara blickte Robin hinterher, der sie auf einmal bei diesem anderen zurückließ. Sie hatte kaum eine Frage an ihren älteren Spielkameraden stellen können, weil er sie so gut abgelenkt hatte, aber nun hörte sie dieses Wort und schaute den anderen, der ihr irgendwie unsympathisch war, an. „Du bringst mich zu meinem Daddy?“ fragte sie mit leicht schräg geneigtem Kopf, was Patrick am Anfang oft bei Ryo bemerkt hatte. War wohl Vererbung, wie er wütend erkannte, doch mit einem Lächeln kaschierte. „Ja. Oder magst du nicht?“ „Doch... Aber ich muss Dad Bescheid sagen, dass wir zu Daddy gehen,“ meinte die Kleine, klug, wie sie mit ihren fünf Jahren war. „Dein Dad weiß Bescheid... Komm, Sara... Dein Daddy wartet.“ Noch immer hielt Patrick seine Hand offen zu Sara hingestreckt, welche diese nun zögerlich mit ihrer kleineren bedeckte. Sogleich spürte sie, wie sich die Finger der Hand um ihre schlossen. Groß schaute sie zu dem Mann auf, rührte sich nicht vom Fleck. „Ich will zu meinem Dad,“ sagte sie bestimmt und energisch. „Da wird dein Daddy aber traurig sein,“ murmelte dieser und zog ein wenig an der Hand, die er fest in seiner hielt. „Nein... ich geh nicht mit... lassen Sie mich los,“ wurde Sara lauter. Ihr war eingefallen, dass ihre Daddys ihr immer wieder eingebläut hatten, nie mit einem Fremden mitzugehen. Gut, das war zwar nicht gerade ein Fremder, aber sie mochte ihn nicht. „Lassen Sie mich los...“ Verzweifelt zerrte Sara an der Hand, stemmte ihre Füße in den Kies und wurde nun doch gröber, als Patrick eigentlich beabsichtigt hatte, vorwärts gezogen. „Komm schon mit, Sara. Dein Daddy wird sich freuen!“ sagte er ernst und zog sie weiter in Richtung Parkplatz. Rasch warf er einen Rundblick, aber er konnte zum Glück keinen entdecken. Und er hoffte, dass auch keiner aus dem Fenster blickte und das Theater, das die kleine Göre veranstaltete, mitbekam. Mit allem hatte er gerechnet, doch nicht damit, dass die Kleine weiterhin so ein Theater machen würde. Schließlich hatte er es auf den Parkplatz geschafft. Die Kleine schrie immer wieder, dass er sie loslassen sollte und nur mit Mühe gelang es ihm, nicht die Hand gegen das Kind zu erheben. Nein, das würde er sich aufsparen für später. Der Druck um die zierliche Kinderhand war nur fester geworden, bis sie sich scheinbar in ihr Schicksal zu fügen schien. Doch den Griff behielt er bei, bis er bei seinem Auto war. Erst als er nach dem Schlüssel kramte, lockerte er den Griff etwas und diesen Augenblick nutzte Sara, um sich rasch aus der Hand zurückzuziehen. Trat dem bösen Menschen heftig gegen das Schienbein und rannte auf das Krankenhaus zu. Tränen verschleierten der Kleinen die Sicht. Weit kam Sara nicht. Denn Patrick, obwohl von der Aktion völlig überrascht, fing sich schneller als erwartet und setzte der Kleinen in raschen Schritten hinterher. Doch diesmal fasste er sie um die Mitte. Zog sie vom Boden hoch und griff ihr hart in die Haare. „Halt die Klappe... und halt still, sonst kannst du was erleben,“ bebte er völlig wütend, so dass Sara sofort das tat, was er befahl. Sie wimmerte in seinem Arm, hielt sich aber auf einmal still. Sah sich um, suchte etwas. «Warum bin ich allein... warum hilft mir keiner... Dad... Daddy... Onkel Aaron...» schluchzte sie in Gedanken auf und begann wie vorhin, heftig zu zappeln. Nein, so einfach würde sie es dem Mann, der sie so brutal umfasste, nicht machen. Dazu hatten sie ihre Eltern zu lieb und viel zu gut geschult. Wie oft waren sie mir ihr beim Kindertraining gewesen. Wenn sie sich doch nur noch daran erinnern könnte. «Wie war das doch gleich... überraschen... das hat nicht geklappt... ich hab mich doch gewehrt... geschrieen... warte... Daddy sagte immer... bleib ruhig... konzentrier dich, meine Nikkô... ruf nicht nach Hilfe... sondern...» „FEUER! FEUER!“ brüllte die Kleine auf einmal los, nachdem sie wieder ruhiger geworden war. Fast hätte Patrick die Kleine losgelassen, so überrascht war er. Nicht nur von der Lautstärke, die die Kleine nun an den Tag legte, sondern auch von dem, was sie rief. Aber er war nicht so weit gegangen, um nun zu scheitern. Nein, wenn sie ihn mit ihr im Arm entdeckten, war seine Tarnung, sein Leben, einfach alles... vor allem Dee... Gescheitert! Das konnte er nicht. Deswegen zögerte er nicht länger und schlug Sara in den Nacken. Nicht zu fest, wie er hoffte, aber sie erschlaffte augenblicklich in seinem Arm. Ein weiterer Blick, doch niemand schien auf das Geschrei zu reagieren. Doch, dort am Eingang sah er einen dunkel gekleideten Mann erscheinen. Rasch drehte er sich um, bugsierte Sara auf den Rücksitz und warf ihr eine Decke über, als er auch schon die Stimme hinter sich hörte. „McNear? Kann ich Sie einen Augenblick sprechen?“ Patrick hoffte nun darauf, dass zum einen das Gespräch nicht zu lange dauerte und zum anderen, dass Sara lang genug außer Gefecht gesetzt war. „Black! Nicht wahr? Was kann ich für Sie tun?“ „Nun, ich frage mich, ob sie vielleicht Robin und Sara gesehen haben?“ Seine Chance, schmunzelte er. „Der Junge vom Diner... Ja, habe ich. Sie waren im Park, ich hab sie gesehen, sie spielten Fangen... Ja... Ich sah, sie wie sie eben, vor wenigen Sekunden ins Krankenhaus rein sind. Sie müssten sie eigentlich gesehen haben,“ erklärte McNear mit eiskalter Gelassenheit. „Nun, dann habe ich sie wohl knapp verpasst... Danke!“ meinte Black. Irgend etwas gefiel ihm nicht an McNear. Dieses Grinsen, das er schon wieder aufgesetzt hatte, war noch überheblicher als sonst, wenn er ihn sah. Das er nur im Krankenzimmer von Dee und Chris zeigte. Doch die Antipathie hatte er, und diese vertiefte sich mit jedem Etwas, das über diesen Kerl ans Tageslicht gelangte. Black machte sich auf den Weg zurück ins Krankenhaus und erfuhr erst von Chris, was inzwischen vorgefallen war. Und da weder Sara noch Robin im Zimmer anwesend waren, zögerte er keine Sekunde. Aaron rannte so schnell er konnte, wich geschickt dabei einigen Krankenschwestern, Ärzten und auch Besuchern sowie Patienten aus, und erreichte den Ein- oder Ausgang, ganz wie man es sah, ein wenig außer Atem. Rasch zückte er sein Handy und hatte nach nur einem Klingeln seinen engsten Vertrauten und Freund an der Strippe. In schnellen aber deutlichen Worten informierte er Mick über den Stand der Ereignisse. Auch dass er den Verdacht habe, dass sich McNear Sara geschnappt hatte. Mick versprach, sofort zu handeln und ließ sich diesmal nicht einmal Zeit, seinem Boss und Lover einige tröstende Worte zukommen zu lassen. Nachdem er das erste Gespräch beendet hatte, wählte er erneut und landete diesmal bei seinem neuen Verbündeten. „Ross!“ hörte er und informierte auch den Commissioner präzise über seinen Verdacht. Gerne hätte Barclay sofort eine Großfahndung nach McNear erlassen, aber das würde bedeuten, dass dieser von ihrer Aktion Wind bekam und abtauchte. Da er das Leben von Sara, wenn sie in dessen Händen weilte, nicht noch unnötig in Gefahr bringen wollte, versprach er Black, dennoch nicht inaktiv zu bleiben. Nun, da der Ball am Rollen war, fühlte sich Black schon wohler. Mit langsamen und gemessenen Schritten, die dennoch die innere Spannung nicht verbergen konnte, ging er zurück ins Krankenhaus, in das Zimmer, welches er eben erst fluchtartig verlassen hatte. Seinen Verdacht behielt er vorläufig für sich, das würde Dee nur noch den Rest geben und er konnte den Anblick, den dieser im Augenblick zeigte, schon ganz und gar kaum ertragen. Erinnerte es ihn doch an die Zeit kurz nach der Explosion im Basra. Barclay rief Adams, Drake und Ted zu sich und informierte sie. Sie sollten sich getrennt auf die Suche nach McNear begeben. Aber nicht allein. Jeder, so befahl er mit fester gewohnter Stimme, sollte sich einen Partner dem sie vertrauten, mitnehmen. Welchen, das überließ er jedem für sich. Nachdem er wieder allein war, fühle er eine Angst für die Kleine in sich. Schließlich war er mitverantwortlich, wenn Sara was passierte. Doch nun blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten und zu hoffen. **** TBC Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)