Days of Horror von Mikito (Bomben auf der Christopher Street) ================================================================================ Kapitel 48: Montag – 12. September ---------------------------------- ~~~~ Basra ~~~~ Über drei Monate war es nun her, das dieses Gebäude zum Schauplatz einer Bombe geworden war. Drei Monate, die aber nicht so ohne weiteres vergangen waren. Viel war in dieser Zeit passiert. Nicht nur mit den Menschen in New York, nein, hauptsächlich hier. Der Schutt war beiseite geschafft worden und Tony hatte sich einen Architekten gesucht, der das Haus nach seinen Vorstellungen wieder aufbauen sollte. Wenigstens erst einmal auf dem Papier. Steve und Tony waren bei Max untergekommen. Aber auf Dauer war das einfach nichts für die beiden. Sie verdankten Max schon viel, und ihn nun auch noch mit ihrer Anwesenheit zu belästigen, gefiel ihnen nicht. Zumal sie auch noch hin und wieder Sara zu beaufsichtigen hatten. Zwar weitaus weniger als noch vor einem Monat, aber noch genug, um sie auch in ihrer Tätigkeit einzuengen. Sara war schon ein niedliches Ding und eigentlich recht pflegeleicht, aber ihre fünfjährige Klugheit konnte einem auch mal auf den Geist gehen. So nun auch heute. Steve Cotton und sein Freund Tony Briscol hatten eigentlich einen Termin bei dem Architekten, aber Dee hatte kurzfristig Sara vorbeigebracht, weil er zu seinem Mann wollte. Manchmal war dies echt lästig. Ryo ging es doch schon den Umständen entsprechend gut. Er hätte auch mal Sara mitnehmen können, aber Tony war schon so zum Ja-Sager mutiert, dass Steve überhaupt nicht dagegen ankam. Ergeben schloss er nur die Augen, als er seinen Freund mit Sara an der Hand in die Wohnung von Max kommen sah. Nichts gegen Sara, nein, er liebte die Kleine ja auch, aber ihre naive Neugier gepaart mit dem Wissen, das sie von ihren Eltern vermittelt bekam, war schon eine rechte Landplage. „Ich pass auf sie auf...“ hörte Steve Max’ Stimme in seinem Rücken und hätte den sonst so schweigsamen Koch am liebsten durchgeknuddelt. „Nicht wahr, Sara... wir kochen was schönes. Das kannst du dann deinem Dad mitnehmen.“ Max wusste, wie er Sara von allem fernhalten und sie dennoch in aller Ruhe beschäftigen konnte. „Danke, Max!“ war Steve erleichtert. Lächelte nun auch das erste Mal, seit Sara hier war. Griff dann auch gleich nach seiner Jacke, um sich mit Tony gemeinsam auf den Weg zu ihrem festgesetzten Termin zu machen. „Aber...!“ wollte Tony noch aufbegehren, doch Steve ließ ihn einfach nicht weiter zu Wort kommen. Draußen sah er den Ex-Ladenbesitzer an. „Entweder du willst deinen Laden besser und schöner hochziehen, oder du bleibst Babysitter. So geht das nicht weiter. Wir müssen mit Dee reden. Wir sind doch nicht die Ersatzeltern. Wir haben doch auch ein eigenes Leben. Auch wenn ich Sara gern habe und sie auch gerne um mich hab, aber so ungefragt finde ich es nicht toll...“ „Aber Dee...“ „Ja, der arme Dee... und der arme Ryo! Fang mir nicht damit an. Es reicht!“ maulte Steve Cotton ungehalten auf. „Du bist unfair!“ ging Tony in die Verteidigungsstellung und presste wutschnaubend die Hände in die Seite, funkelte den Ex-Mafiasohn an. „Okay, dann bin ich eben unfair. Und? Es ist jetzt fast einen Monat her, dass ich ihn da rausgeholt habe. ICH! Also sag mir nur nichts von unfair. Wir haben auch noch ein Leben, willst du das nicht verstehen?“ „Dee und Ryo brauchen halt noch Unterstützung!“ fuhr Tony weiter aus. „Die ich ihnen auch gewähre... Aber bitte, dann bleibt da eben ein Loch... was brauch ich schon einen Laden… so lange ich dich hab... Tony! Ich bin nur angefressen, weil Dee uns einfach Sara aufs Auge drückt und noch nicht einmal fragt, ob wir Zeit haben. Und du sagst auch ständig nur noch ‚ja’. Black hat mir extra Urlaub gewährt und ich werde auch nur in seltenen Fällen im Augenblick eingesetzt und das nur, damit ich dir helfen kann. Aber wenn du deine Zeit lieber mit dem Mädchen verbringen willst, bitte sehr. Eigentlich dachte ich, dass dir das Basra wichtig sei, aber da hab ich mich wohl auch getäuscht. Geh wieder rein, spiel mit Sara… ich geh dann arbeiten… ich weiß im Gegensatz zu dir wenigstens, was ich will,“ knurrte Steve. Drehte sich dann einfach um und ging die Stufen langsam hinunter. Er war sich noch nicht einmal sicher, warum er so ausgetickt war, aber er fühlte sich nun wohler. Schon seit einiger Zeit brannten ihm diese Worte in der Seele, und sie endlich auszusprechen war fast wie eine Erleichterung. Tony sah auf die zugefallene Tür und drehte sich zu Max um. Keine Frage, er hatte diskret gelauscht. „Geh...“ sagte er nur und nahm Sara bei der Hand. „Komm Kleine, gehen wir was kochen.“ Ohne Widerworte folgte die kleine MacLane ihrem Lieblingskoch. Tony hingegen schnappte sich eilig seine Jacke und rannte hinter Steve her, erwischte ihn gerade noch, als er in seinen Wagen steigen wollte. „Warte...!“ rief Tony und sah, wie sein Freund sich trotz der harten Worte von eben zu ihm umdrehte. Locker lehnte er sich gegen das Verdeck und verschränkte fast in Abwehrhaltung die Arme vor der Brust. „Ich verdanke den beiden mehr, als du ahnst... ich hab dir das nie erzählt... Wie Dee mich gerettet hat. Ihm verdanke ich genauso viel wie Max. Ich weiß, dass ich die Schulden nie zurückzahlen kann, deswegen will ich es so irgendwie wieder gutmachen... versteh doch,“ bat Tony zerknirscht. Steve war auch wieder runter von seiner Palme und legte nun Tony eine Hand an die Hüfte, zog ihn näher zu sich. „Wir verdanken ihnen beiden viel. Du vielleicht mehr als ich, aber es ist dennoch kein Grund, ungefragt unsere Zeit einzuplanen. Wir haben doch auch ein Leben, Tony. Eins, das ich mit dir verbringen möchte. Als ich dachte, ich hätte dich verloren... ich bewunderte Dee in diesem Augenblick, wie er das alles meisterte. Aber ich war nicht so stark. Wären Mick und Black nicht gewesen...Verstehst du? Jede Sekunde, die ich mit dir verbringen kann, sehe ich als himmlisches Geschenk an. Ich möchte nicht mit dir streiten, oder im Streit auseinander gehen... ich möchte dich immer um mich haben, wissen, dass du lebst, dass du mich liebst... auch wenn wir getrennt arbeiten... aber ich weiß, dass du da bist... verstehst du mich? Kannst du mich nicht ein wenig...“ „Steve!“ sagte Tony sanft. So hatte dieser noch nie seine Gefühle vor ihm ausgebreitet. Okay, er hatte geahnt, dass diese Tage, wo das Basra in Flammen aufging, hart für ihn gewesen waren, aber so hart? Nein, das überraschte Tony. Behutsam legte er seine Stirn an Steve’s. „Verzeih... ich habe es verdrängt... ich liebe dich doch... aber ich kann halt auch nicht gegen mein Innerstes aufbegehren. Wenn Dee mich fragt, oder Ryo... dann ist es schon selbstverständlich, ja zu sagen. Ist es okay, wenn ich daran arbeite?“ lächelte er ein wenig zaghaft. Auch wenn die Stimmung nicht mehr hochgekocht war, so schlummerte es dennoch in Cotton. „Ja... wir werden mit Dee reden, wenn er Sara abholt. Was meinst du, ist doch auch okay für dich?“ schlug dieser nun im Gegenzug vor. „Gut. Reden wir nachher mit ihm. Lass uns jetzt zum Architekten gehen... sonst nimmt der unseren Entwurf noch für einen anderen.“ ~~~~ Untersuchungsgefängnis ~~~~ Patrick saß allein in seiner Zelle. Einen Umstand, den er nur hatte, weil er ein Cop war. Doch lange würde er dieses Privilegium wohl nicht mehr halten können, wenn er offiziell verurteilt war. Vielleicht konnte er bestmögliche Haftbedingungen verhandeln. Doch was sollte er bieten für so etwas? Er hatte nichts, außer Beziehungen, und die würden ihm vor Gericht wohl kaum helfen. Mit hinter dem Kopf verschränktem Armen lag er auf seiner schmalen Pritsche und blickte zur grauen Decke hinauf. Sonnenlicht flutete durch das vergitterte Fenster herein und zeigte ihm ein ums andere mal, wie schön es draußen wäre. Doch das hatte er sich selbst verbaut. Das Grübeln an sich brachte ihn auch nicht weiter. Mit seinem Anwalt hatte er nun schon einige Male gesprochen, aber weiter gekommen waren sie immer noch nicht. Aber Patrick hatte so erfahren, dass Ryo MacLane noch immer nicht verhört worden war und somit eine Aussage von ihm noch nicht vorlag. So lange dies nicht der Fall war, konnten sie auch nicht mit einer Planung ihrer Strategie beginnen. Zumal Timber zum wiederholten Mal gesagte hatte, dass seine Chance ausgesprochen schlecht standen. Ein Patrick McNear gab schlichtweg gesagt nicht so schnell auf. Aus dem Gespräch mit dem Anwalt wusste er nur, dass Chris Jackson sich auf dem Weg der Besserung befand und wohl in den nächsten Tagen die Klinik verlassen konnte, was Dee MacLane bereits gestern getan hatte. Anscheinend waren die Wunden entweder nicht so schlimm gewesen, wie man ihm gesagt hatte, oder aber Dee und Chris hatten verdammt gutes Heilfleisch. Obwohl es schon etwas über einen Monat her war, dass sie so schlimm verletzt worden waren. „Dee...!“ seufzte Patrick und wünschte sich nichts mehr, als ihm zu erklären, warum das alles passiert war. Ahnte er doch, dass er vor Gericht kaum die Chance erhalten würde, Dee seine Ansicht zu dem Fall zu bekunden. ~~~~ Medical Center ~~~~ Chris bewegte sich noch immer etwas hölzern durch die Gegend. Sein Magen-Bauch-Bereich sollte noch immer nicht groß belastet werden. Genauer hieß dies, keine körperlichen Anstrengungen und kein schweres Heben. Selbst Bücken oder Überdehnungen sollten vermieden werden. Morgen würde er nochmals untersucht werden, dann endlich durfte er das Krankenhaus verlassen. Wie die Ärzte war auch Chris der Meinung, dass es gut verheilt war. Schneller als gedacht. Aber ruhen musste er weiterhin. Jedenfalls war er bis auf weiteres krank geschrieben und erst wenn sein Hausarzt bei der zweitägigen folgenden Untersuchung sein okay geben würde, konnte er wieder im Revier als Cop tätig werden. Irgendwie freute er sich schon darauf, wieder einsatzbereit zu sein, aber andererseits wollte er die Ruhe genießen. Sich richtig erholen und relaxen. Robin wollte ihn nachher noch besuchen, doch als es leise an der Tür klopfte war es nicht der erwartete, sondern Dee stand in der Tür. „Kann ich dich kurz stören?“ fragte der dunkelhaarige Cop und schloss bereits die Tür wieder hinter sich. Seit gestern war Dee entlassen. Der Kratzer an seiner Lunge war ein Witz im Vergleich zu den inneren Verletzungen, die Chris davongetragen hatte, aber ansonsten waren sie beide recht flott wieder auf den Beinen gewesen. „Was drückt dich?“ „Ryo!“ sagte er fast tonlos, zog seine Unterlippe zwischen die Zähne was neu an Dee war. Mit ein Zeichen, wie ihm diese ganze Angelegenheit zu schaffen machte. „Dee! Er braucht einfach noch Zeit,“ setzte sich Chris auf das Krankenbett und sah den Mann an, der immer noch sein Partner war. „Ich weiß. Aber ich komm einfach nicht durch bei ihm. Egal was ich sage, tue oder sonstwie versuche, zu ihm durchzudringen. Es scheitert, weil er sich vor mir verschließt. Ich hab keine Ahnung, was ich noch tun soll.“ Dee war scheinbar am Ende von seinem Wissen und auch seiner physischen Kraft. Lange würde er diesen Zustand wohl nicht mehr durchhalten. Jedenfalls sah dies Chris so. Doch auch er war nur ein Mensch und kein Hellseher. „Dee, so gern ich dir auch dabei helfen würde... Aber ich kann nicht. Was sagt denn der Psychiater?“ „DER? Der kommt noch weniger zu ihm durch. Ryo blickt nur aus dem nicht vorhandenen Fenster. Du müsstest seine Augen sehen, Chris. Es ist, als ob... als ob er sich innerlich verschließt... das macht mir Angst.“ Chris war nun wirklich geduldig und half auch immer, wenn es in seiner Macht stand, doch hier musste er einfach klein beigeben. Egal was er auch sagen oder raten würde, es wäre falsch. Deswegen stand er auf, ging zu Dee und nahm ihn einfach in den Arm. Trost konnte er ihm spenden, ihn vielleicht auch ein wenig aufbauen, wenn er ihm zeigte, dass er nicht alleine war. Mehr jedoch war Chris außerstande zu gewähren, so gern er es auch wollte. „Danke... Danke, Chris...“ „Schon gut, Kumpel. Ich bin immer für dich da... okay... War Sara inzwischen schon mal bei ihm?“ Stumm schüttelte Dee den Kopf. Das, was er jeden Tag sah, war schon für ihn schlimm genug, das wollte er der Fünfjährigen noch ersparen. Sie hatte in den letzten Monaten genug durchgemacht. „Ich will dir ja nichts vorschreiben, Dee. Aber ich denke, er fragt nach Sara. Es könnte sein, dass es ihm hilft, voranzukommen. Zeig ihm, dass es noch einen Sinn gibt. Du hast mir doch gesagt, dass er, als er dich das erste Mal sah, glücklich war, befreit zu sein. Sagte dir doch auch, dass er dich liebt... Das war doch okay... Dass er sich nun vor dir zurückzieht, kann auch sein, ich will dir da wirklich nichts einreden, aber ein Versuch wäre es doch wert. Also was ich sagen will... Du bestimmst momentan über das, was er sehen und hören darf, nicht wahr? Vielleicht sieht er in dir nur einen anderen Wächter... Es ist nicht leicht, weder für dich noch für deinen Mann, aber du musst ihm auch Zugeständnisse machen. Er ist nicht im eigentlichen Sinne krank. Ryo leidet... noch immer... öffne seine Zelle... lass ihn raus... und da würde Sara ihm ein Lichtblick sein,“ sagte Chris lange und fuhr beruhigend über Dee’s Schulter, als dieser sich dann auch schon etwas von ihm löste. Die Worte von Chris in sich nachhallen ließ. Es war schon möglich, dass er Ryo so einschränkte, da lag Jackson gar nicht so falsch, aber nicht, um ihn an irgendwas zu hindern, sondern eher um ihn zu schützen. Sah Ryo das womöglich als eine andere Gefangenschaft an? Wer konnte das sagen? Niemand! „Du bist ein guter Partner, Chris... Danke,“ sagte er und atmete dann tief ein und wieder aus. „Ich denk drüber nach... Wie geht’s mit dir und Robin voran?“ Das war nun ein Thema, über das Chris nicht wirklich mit Dee reden wollte, aber er konnte auch nicht, nach so einem Gespräch von eben, abblocken oder nur die Schulter zucken. „Na ja... inzwischen hab ich mir eingestanden, dass ich ihn liebe.“ „Weiß er von... wie war der Name von deinem Mann?“ „Bob! Nein... noch nicht. Aber ich werde es ihm sagen. Er kommt gleich... Robin ist so... ich weiß nicht, wie ich es sagen soll...“ „Niedlich? Unbefangen? Jung?“ half ihm Dee, dem es auch gut tat, mal wieder über was anderes nachzudenken als nur über sich und Ryo. „So ungefähr. Ja!“ „Wann wollte er denn...“ weiter kam Dee nicht, weil nach einem kurzen Klopfen die Tür aufging und derjenige, von dem sie eben gesprochen hatte, ins Zimmer trat. Das Lächeln, welches Robin auf den Lippen hatte, ließ das jungenhafte Gesicht erstrahlen, welches sich auch nicht verdunkelte, als er Dee’s ansichtig wurde. „Hi!“ sagte er knapp in die Richtung von MacLane, bevor er sich Chris schnappte, diesen umarmte und wie selbstverständlich mit einem Kuss begrüßte. „Tja, ich stör dann wohl,“ merkte Dee auf. „Ach was... Dee. Robin und ich...“ „Schon gut... Ich wollte eh gehen...“ Dee lächelte den beiden kurz zu, bevor er die Tür auch schon hinter sich zuzog. „Ryo?“ fragte Robin, der das lächelnde Gesicht von Dee als eine aufgesetzte Maske erkannt hatte. „Ja. Aber es sind ja auch erst vier Wochen, seit er aus diesem Martyrium raus ist,“ erklärte Chris, der nun seinerseits eine Hand hob und sie Robin gegen die Wange legte. „Ich liebe dich, Robin. Deswegen muss ich dir auch noch was sagen. Setz dich bitte,“ bat er und löste sich dann von dem Jüngeren. Robin sah Chris ernst an. Das hörte sich für ihn nicht so an, als ob sich der Weißhaarige von ihm trennen wollte. Nicht nach dem Eingeständnis der Liebe, aber wer wusste schon, was in Chris vor sich ging. Robin setzte sich neben Chris auf das Krankenbett und als der Ältere nach den Händen des Jüngeren griff, wurde es diesem nun doch ein wenig unheimlich. Bang erwartete er ein Geständnis. Was daraus wurde, würde wohl seine Reaktion zeigen, soviel war Robin klar. Dennoch fühlte er sich unbehaglich, und als Chris leise anfing zu reden, wäre er am liebsten davor davongerannt. Leichter würde es nichts machen, deswegen hob er seinen Blick und sah den Mann, den er aus tiefstem Herzen liebte, direkt an. Es dauerte einen Moment, in dem Chris sich wohl die Worte zurechtlegte, doch als er dann anfing zu reden, waren diese so sorgsam ausgewählten Worte wie weggewischt. „Ich war 24, als ich Bob traf. Wir waren gleich alt. Ich wollte schon immer zur Mordkommission. Er war dort bereits seit einem Jahr tätig. Auf einer Weiterbildung lernten wir uns kennen und verliebten uns. Es war diese Liebe auf den ersten Blick. Bob, sein Lachen. Er hatte ein kleines Grübchen auf der Wange... so wie bei dir, Robin.“ Chris sah Robin schweigend an. Schien auf eine Reaktion zu warten. Und da Robin dies auch mal so annahm, wollte er den Älteren auch nicht enttäuschen. „Und?“ fragte er bewusst ruhig. Denn würde dieser erwähnte Bob noch eine Rolle im Leben von Chris spielen, dann hätte er ihm doch nicht die Liebe gestanden, machte sich Robin selbst ein wenig Mut. Immerhin würde er nun nicht mehr nachfragen müssen, wer dieser war. „Am 14. Mai gaben wir uns das Jawort,“ sagte er weiter, hörte, wie Robin hörbar die Luft einzog und diese dann auch keuchend wieder ausstieß. Anscheinend hatte er den Jüngeren mit dieser Aussage überrascht. Denn so lange sie sich kannten, hatte er ihm nie etwas von Bob oder von einem Ehemann gesagt. Damals nicht, als er sich von ihm trennen wollte und dies als guten Grund hätte angeben können. Aber er wollte Bob da nicht mit reinziehen. Aber nun, da er Robin liebgewonnen hatte, fand er es nur richtig, dass er ehrlich zu ihm war. „Bob und ich... wir hatten... vier wunderschöne Jahre miteinander.“ Chris ließ die Hand von Robin los und stand auf. Langsam ging er zum Fenster, sah hinaus, lehnte sich dann mit dem Po gegen die knappe Fensterbank und sah zurück ins Zimmer, wo Robin noch immer auf dem Bett saß und ihn anblickte. Aus diesen rehbraunen Augen sprach Neugier aber auch eine Spur der Unsicherheit. „Zwei Tage vor unserem zweiten Hochzeitstag... wir hatten Nachtdienst. Uns fiel ein Wagen auf... ein defektes Bremslicht...“ Man konnte sehen, wie es noch heute Chris zu schaffen machte, davon zu sprechen. Es lag lange zurück, aber dennoch schien es ihm jedes Mal, wenn er es erzählte, schwerer zu fallen. Allein schon daran zu denken bereitete ihm innerliche Qualen. Jedes Mal war es, als ob es erst gestern gewesen wäre. „Bob stieg aus. Ich sollte neben ihm stehen und ihn sichern, aber ich gab erst das Kennzeichen durch, fragte, ob etwas vorlag... ich hatte gerade die Antwort erhalten, als ich auch schon einen Schuss hörte... Eine Pumpgun... aus nächster Nähe... Bob hatte keine Chance...“ sagte er und drehte sich herum, blickte hinaus aus dem Fenster. Sprach gegen die Scheibe weiter. Hörte und sah deswegen nicht, wie Robin aufstand und sich ihm näherte. „Der Wagen war als gestohlen gemeldet... ein Bankraub... Sie fanden ihn und der Kerl sitzt im Knast. Wartet noch immer auf seine Hinrichtung. Seine Anwälte schaffen es jedes Mal, noch eine Verzögerung zu erwirken. Aber damit ist Schluss. Im Januar wird er gerichtet...“ Robin legte behutsam seine Hand auf die Schulter von Chris. Worte fand er überflüssig. Denn alles, was er sagen konnte, würde die Last und die Trauer, die Chris in sich fühlte, nicht verdrängen können. Deswegen also war Chris so abweisend gewesen, hatte ihn von sich gestoßen, nur weil er sich nicht noch einmal binden wollte. Oder versagte er sich einfach das Lieben? Stumm legte er seine Arme um den Älteren. Ließ ihm die Zeit, die er wohl benötigte, um sich zu fangen. ~~~~ Einige Zimmer weiter klopfte Dee an die Tür von Ryo’s neuem Krankenzimmer. Gestern war er auf die Normale Station verlegt worden. Dass er so lange auf der Intensiv hatte liegen müssen, lag nicht an den körperlichen Verletzungen, sondern an den Vergiftungserscheinungen. Inzwischen, so waren sich die Ärzte nach der letzten Blutuntersuchung sicher, waren alle Rückstände aufgelöst. Nur bei fester Nahrung, die Ryo im Augenblick noch verweigerte, bestand die Gefahr von Verletzungen am Zahnfleisch. Aber auch das würde sich in einigen Tagen ganz legen. „Darf ich reinkommen,“ fragte er und schloss die Tür bereits hinter sich, ohne auf eine Antwort zu warten. Ryo saß im Bett. Körperlich ging es ihm gut, nur die Seele litt weiterhin und er verschloss sich noch immer. Redete nicht über diese Zeit seiner Gefangenschaft. Weder mit Dee noch mit einem der Ärzte, und einem Psychiater hatte er gleich wieder die Tür gewiesen. Nun sah er mit erwartungsvollem Blick zur Tür und wand sich dann trotzig ab, als er nur seinen Mann erblickte. Dee sah das Aufblitzen von Ryo’s dunklen Augen, doch als dieser seinen Mann wieder einmal alleine erblickte, legte sich dieser dunkle Schleier erneut darüber. „Ich...“ „Warum, Dee?“ Was Ryo damit meinte wusste Dee, aber wie sollte er sich weiter herausreden. Es gab keinen Grund mehr, Sara von dem Blonden fern zu halten. Hatte es wohl auch nie gegeben. „Ich...“ „Ist es deine Rache, weil ich Black’s Forderungen nachgegeben habe?“ „Was? Nein... Red dir das nicht ein, Ryo. Das stimmt nicht.“ Mit schnellen Schritten war er bei dem Bett und wollte nach Ryo’s Händen greifen, doch dieser entzog sie ihm, wie er sich in den letzten Tagen vor ihm verschlossen hatte. „Lüg mich nicht an,“ kam es tonlos und aus den schwarzen Iriden sprang ihm förmlich die Anklage ins Gesicht, so dass er sich tatsächlich abwandte. „Ich liebe dich doch... Ich würde dir nie Vorwürfe machen,“ murmelte Dee leise und setzte sich schwer auf die Bettkante. „Du hast es getan...“ „Wann denn?“ fuhr er energisch dazwischen. „Nach dem Feuer im Basra, nachdem wir uns im Tropical getroffen hatten. Fast wärst du sogar vor Wut und Verletzlichkeit gegangen... und glaub mir... ich bereue es... ich bereue meinen Entschluss... dennoch...“ „Dennoch würdest du dich wieder so entscheiden,“ vollendete Dee den abgebrochenen Satz von seinem Ehemann. Er verstand ihn. Verstand ihn einfach nur zu gut. Die Hoffnung, die sie in dieses Vorhaben gesetzt hatten, wäre auch geglückt. Doch sie hatten nicht alle Fakten berücksichtigt. Zwei Täter bedeutete auch die doppelte Gefahr. Aber daran hatte nur er gedacht und sie beiseite geschoben, als Ryo ihn darum gebeten hatte, ihn dies durchziehen zu lassen. Was hatten sie nun davon? Schlussendlich hatten sie den Bomber gefunden und auch Ryo’s Peiniger, aber zu welchem Preis? Würde sich Ryo je ganz davon erholen? „Hast du den Mann gefunden?“ wechselte Ryo plötzlich das Thema. „Ja, habe ich. Möchtest du ihn wirklich sprechen?“ „Das bin ich ‚ihm’ schuldig.“ Da war es wieder, dieses Geheimnisvolle. Dieses was er durchgemacht hatte, aber mehr sagte Ryo auch nicht, und wenn Dee nachfragte, blockte dieser gleich ab. „Der Staatsanwalt möchte auch noch mit dir reden. Er bräuchte eine genaue Aussage darüber, was dort passiert ist. Ob er alles verwendet, weiß er noch nicht, aber für die...“ „...Akten,“ kam es wehmütig. Sollte er wirklich alles noch mal durchleben? Aber wenn er wollte, dass sein Peiniger hinter Gitter kam, oder besser noch hingerichtet wurde für den Mord an Gary Logan, dann musste er etwas sagen. „Gut... wann immer er will.“ Was blieb ihm denn auch für eine Wahl. „Ryo...“ Langsam hob der Angesprochene den Blick zu seinem Mann hinauf. Dee griff in seine Jackentasche und holte den Ring hervor. Den Ring, den er ihm vor sechs Jahren an den Finger gesteckt hatte. „Wir fanden ihn beim Bombenleger. Ich habe Barclay bearbeitet, damit ich ihn bekomme. Er gehört doch dir,“ sagte er und griff langsam nach Ryo’s Hand, und diesmal ließ er ihn gewähren. Nahm die sanfte Berührung an, als Dee die Hand hob und den Ring wieder auf seinen Finger an der linken Hand steckte. „Ich liebe dich!“ sagte er dabei. Hob die Hand hoch und küsste die Stelle, wo nun der Ring saß. Wusste er doch, dass Ryo einen direkten Kuss abgelehnt hätte. „Ich... ich weiß... Ich habe dich nicht verdient, Dee...“ hauchte Ryo. Auch wenn er lange gefangen gewesen war und nun auch schon über Wochen hier im Krankenhaus lag, wusste er sehr genau, was für ein Tag heute war und deswegen bedeutete ihm diese Geste gerade an ihrem Hochzeitstag so viel, dass es Ryo nun doch ein wenig eng in der Brust wurde. „Ich weiß...“ „Ich werde dann mal gehen... Sara holen,“ sagte Dee und da er wusste, dass sie Ryo aufbauen würde, würde er ihre Tochter nun regelmäßig mitbringen. Denn je eher Ryo hier rauskam, desto eher würden sie wieder zu einem normalen Leben zurückfinden. **** TBC Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)