Wednesday´s Children von Tsutsumi ================================================================================ Kapitel 2: Stage 2: Ikari- Shinji´s Sheepskin --------------------------------------------- Autor: Tsutsumi Disclaimer: NGE gehört nicht mir, sondern dem werten Herrn Anno und Gainax. Warnung:/ Pairing:/ Orientierung: Weitesgehend an der Serie, ich hoffe, ich verrutsche im weiteren Verlauf nicht. Stage 2: Ikari- Shinji´s Sheepskin Eine furchtbare CD war es gewesen. Die konnte dem Dieb doch selbst nicht gefallen haben. Shinji saß unbequem auf dem harten Holzstuhl und starrte die Hülle an. Es hätte eigentlich nur noch gefehlt, dass ihn dieser schmierige Polizist drangekettet hätte. Sie hatten ihn vorhin hierhergeschleift, mit vorwurfsvollen Blicken und diesem Schatten in den Augen, den er seit jeher bei den Leuten wiedererkannte, wenn sie ihn zum ersten Mal sahen. Sein Lehrer hatte, seit er bei ihm gewohnt hatte, immer wieder vor fremden Leuten angefangen, sein Leid zu klagen. Davon war dieser Blick gekommen, ganz gleich, wie er sich daraufhin verhalten hatte. Es war, als hätte man die Menschen vor ihm verblendet. Gelangweilt lehnte der Junge sich im harten Stuhl zurück. Vor geschätzten fünf Minuten hatte der Polizist den Raum verlassen, hatte ihn angeblafft, sich ja nicht zu regen. Er war ganz sicher gegangen, um Shinjis Vater anzurufen. Der würde hierher kommen müssen um seinen Sohn abzuholen, weil dieser eine hässliche Heavy Metal- CD gestohlen haben sollte. Shinji lächelte selbstspöttisch. So etwas war noch nie vorher geschehen. Dabei hatte er vorhin nur durch die Musikabteilung gehen wollen, sich die eine oder andere CD probeweise anhören wollen. Dann war er von einem Gleichaltrigen angerempelt worden, der ihn einfach nur angesehen und dann geblökt hatte. Geblökt wie ein Schaf. Shinji verstand Spott nur langsam. In aller Regel war er zu langsam darin, rechtzeitig zu schalten, dass ihm gerade ein Streich gespielt wurde oder ihn jemand indirekt auslachte. Vielleicht sah er ja wirklich so unschuldig und lächerlich aus. Asuka behauptete das ja regelmäßig. Wie ein Schaf angeblökt hatte ihn zuvor niemand und das hatte ihn irritiert. Er hatte ratlos vor dem Jungen gestanden, mit einer Pop-CD in der Hand und verwirrt geblinzelt. Mit offenen Anfeindungen konnte er immerhin etwas anfangen. Touji hatte ihm damals klipp und klar gesagt, was er gegen ihn gehabt hatte und er hatte ihm genauso klipp und klar das Gesicht eingeschlagen. Was aber sollte man mit einem Schafsblöken anfangen? Kurz darauf hatte ihn der Junge angerempelt, eine dieser schwarzen Metal-CDs gegriffen und sie ihm in den Rucksack gestopft. Wie ein harter, kalter Windstoß hatte sich das Ganze angefühlt und Shinji hatte kaum gewusst wie ihm geschah als ihn der andere vor sich herschob, lange schob bis sie beide plötzlich außerhalb des Elektrogeschäftes gestanden hatten und die Alarmbeeper angesprungen waren. Shinji hatte damit auf dem theoretischen Wege eine CD gestohlen. Er erwartete nicht, dass man ihn verstehen würde. Als er die Geschichte um den anderen Jungen versucht hatte zu erzählen, hatten der Polizist und der Kaufhausdetektiv ihn angeschaut, als sei er übergeschnappt. Auch wenn das nicht sehr schmeichelhaft gewesen war, es war immerhin nicht dieser schattige Blick gewesen. Der schattige Blick war erst gekommen als ihn der Polizist in seinem Kabuff zu seiner Identität befragt hatte. „Name?“ „Ikari. Shinji.“ „Wie schreibt man das? Schreib mal auf, ich suche hier nicht ewig nach Schriftzeichen für einen kleinen Kaufhausdieb!“ Shinji hatte es sich verkniffen, dass es seinen Namen so oft gab wie neue Popsternchen am Teeniehimmel. Sein Vater hatte ihm den gegeben, einen langweiligen, gewöhnlichen, nichtssagenden Namen. „Geburtsdatum?“ „Sechster Juni Zweitausendundeins.“ „Mit vierzehn Jahren schon klauen, ja? Du bist ziemlich dreist, Kleiner!“ „Wenn ich es mit zwanzig tun würde, wäre das dann in Ordnung?“ Für Zynismus hatte der Kerl leider nichts übrig gehabt. „Eltern!“, hatte er gedonnert und Shinji hatte ihm zerknirscht die Daten gegeben. „Dann werde ich jetzt mal deine Mutter anrufen. Du solltest Mitgefühl für sie empfinden, bedenk mal, in welche Schande du die arme Frau stürzt!“ All diese Sätze hatten wie auswendig gelernt geklungen, Worte aus der Gehirnschablone von vielen, kleinen, räudigen CD-Dieben, die schon zuvor da gewesen waren. Und Shinji hatte sich beinahe darüber gefreut, aus diesem Schema, dieser Schablone ganz einfach ausbrechen zu können. „Ich glaube, das wird ihr egal sein.“, hatte er gemurmelt und den Polizisten mit wachen Augen angeschaut. „Sie ist nämlich tot.“ Jetzt wusste Shinji, woher dieser Schattenblick jedes Mal kam. Als kleines Kind hatte er es nie begriffen, er hatte auch noch nicht gewusst, dass man das Mitleid nannte, ein scheußliches und klebriges Gefühl, welches ihm die Erwachsenen zuwarfen und in dem er sich verstrickte und das Gefühl bekam, noch mehr Haltung anzunehmen um den Leuten nicht zur Last zu fallen. Sein Lehrer hatte damals jedoch Mitleid durchaus zu schätzen gewusst und darum jedem sein Leid geklagt, sich nun um den armen mutterlosen Jungen kümmern zu müssen, der doch so schwierig zu erziehen war. Vieles vom Leben bei seinem Lehrer hatte Shinji aus den ersten Jahren nicht in Erinnerung behalten. Nur die Farbe seines Futons, welcher fast jeden Tag gewaschen und auf die Leine zum Trocknen aufgehängt werden musste, weil er komischerweise morgens dauernd völlig durchnässt gewesen war. Shinji konnte sich daran erinnern, dass er seinen Lehrer gefragt hatte, ob das Dach ein Loch habe, durch das es nachts regnete und dieser hatte ihn nur einen dummen Jungen gescholten. Er konnte sich an den Garten erinnern, in dessen hinterster Ecke er sich so gerne versteckt und Schnecken gezählt hatte, an sein erstes Cellospiel, an das Windspiel an der Veranda. Er dachte daran zurück, wie verwirrt er sich damals gefühlt hatte, als seine Mutter plötzlich verschwunden gewesen war und sein Vater ihn fortgeschickt hatte. Der Polizist jedenfalls hatte plötzlich ebenfalls diesen mitleidigen Blick gehabt und Shinji hatte ihn angesehen und im Kopf des Mannes beinahe mitansehen können, wie sich die gewohnte Assoziationskette zu bilden schien; verwaist und vernachlässigt, ein wilder Bengel, der nicht erzogen worden war und deshalb jetzt CDs klaute. Es gab Shinji erneut ein Gefühl der Schuld, Schuld an seiner bloßen Existenz, weil er eigentlich nur zur falschen Zeit am falschen Ort war und das Leben der anderen behinderte. Und Asuka hatte Nerven, ihn dauernd anzublaffen, wenn er sich am laufenden Band zu entschuldigen pflegte. Shinji setzte sich wieder etwas gerader hin, weil ihm die Pobacken auf dem harten Stuhl langsam einschliefen. Er betrachtete den unordentlichen Schreibtisch des Polizisten, drehte ein Familienfoto des Mannes um und begutachtete die Frau und das kleine Kind im geblümten Kleidchen. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals etwas gestohlen zu haben. Im Gegenteil. Er hatte stets darauf geachtet, gut in der Schule und im Cellospiel zu sein, den anderen Menschen um sich herum zu helfen. Ihnen zu helfen, ohne ihnen je zu nahe zu kommen. Er war ein Herdentier gewesen, jemand ohne eigene Bedürfnisse, jemand ohne zu feste Bindungen. Wie ein Schaf. Der Junge schreckte ein wenig in seinem Gedankengang auf. Woher hatte dieser Typ das vorhin gewusst? Gab es irgendetwas, das an Shinjis Äußerem darauf hinwies, dass er sich wie ein dummes, blökendes Schaf verhielt? Er hatte eigentlich immer das getan, was man von ihm verlangt hatte. Lernen, saubermachen, still sein. Er hatte mit Misato damals mittels Schere-Stein-Papier den Haushaltsplan festgemacht, obwohl er das innerlich für völlig absurd gehalten hatte, nicht zuletzt weil er in diesem blöden Spiel immer verlor. Als man ihm befohlen hatte, in den Eva zu steigen, hatte es nur einer Ayanami bedurft, ihn umzustimmen. Genau genommen hatte es im Leben nur ein einziges Mal gegeben, bei dem er sich bis zum Letzten widersetzt hatte. Ikari kippelte ein wenig mit dem Stuhl und atmete tief aus. Vielleicht hatte ihm dieser Kerl vorhin sogar einen Gefallen getan. Jetzt musste der große Gendou Ikari, Kommandant von Nerv, hier antanzen und sich offiziell dafür entschuldigen, dass sein Sohn eine CD der Gruppe...Shinji musste noch einmal nachsehen... Smashed Guts entwendet hatte. Neugierig griff der Junge nach der CD-Hülle und blätterte das Booklet durch. Diese Gruppen hatten doch immer alle mindestens ein Lied, in dem sie davon sangen, entweder alle niederzumetzeln oder Blut zu trinken oder sich selbst langsam und qualvoll umzubringen. Das würde den Effekt der Demütigung vielleicht noch etwas verstärken. Shinji hatte sich neulich geweigert, auf Eva 03 loszugehen. Er hatte sich so sehr geweigert, dass diese ganze Aktion nach hinten losgegangen war und sein Vater ihm beinahe seinen besten Freund ins Jenseits gerissen hatte. Das wirklich Demütigende daran aber war gewesen, dass Gendou Ikari keine Angst vor ihm gehabt hatte, als er mit der Zerstörung des Geosektors gedroht hatte. Obwohl die Waffe Eva 01 nur ihm, Shinji, gehorchte, hatte er keine Gewalt gehabt. Nicht ein kleines Bisschen. „Willst du wirklich weglaufen?“, hatte Kensuke ihm mit vor Wut bebender Stimme auf den Anrufbeantworter gesprochen, als Shinji vorgehabt hatte, abzuhauen, diesmal entgültig. Der Kerl hatte doch nicht die geringste Ahnung. Weglaufen war vielleicht die einzige Lösung für die Belastung, die seine Existenz in dieser Welt ausmachte. Wenn er fortgehen und in einem luftleeren Raum weiterexistieren würde, wären die Menschen vielleicht erleichtert. Man hatte ihn doch damals verschwinden lassen als seine Mutter gegangen war. Warum sollte verschwinden jetzt etwas Schlechtes sein? Draußen vor der Tür murmelten Stimmen. Nein, sie murmelten nicht, doch bis hierher drang nur leises Raunen. Vielleicht war Vater jetzt da. Vielleicht erklärte er ja gerade, dass dieses Kind nicht ihm gehörte. Vielleicht wollte er ihn ja wieder verschwinden lassen. So wie er es damals mit Mutter gemacht hatte. Nachdem sie den halbtoten Touji aus seiner geschrotteten Kapsel gezogen hatten, hatte Shinji seinen Vater wahrhaftig umbringen wollen. Es hatte plötzlich nichts mehr mit Herdenverhalten zu tun gehabt. Da war blinde Wut gewesen, ein explodierender Hass, der sich nur noch vergrößert hatte, als man ihn in Handschellen vorgeführt hatte. Kensuke konnte natürlich nicht verstehen, dass man vor so einem übermächtigen Vater automatisch weglaufen wollte. Daran lag es eigentlich. Shinji hatte seit jeder das Gefühl gehabt, er sei eines der kleinen Geißlein, die sich vor dem Wolf verstecken wollten. Sein Vater war der Wolf, dunkel und groß und so fordernd und abstoßend zugleich, dass man nicht wusste, wie man ihm begegnen sollte. Der Junge vorhin hatte das gewusst und er hatte Shinji damit nur verspottet. „Vielleicht ist es Kensuke gewesen?“, murmelte Ikari gedankenverloren. Dann schüttelte er den Kopf. Unmöglich. Misato marschierte in üblich überlegener Manier in das Kabuff des Polizisten und ließ ihre unechte Arroganz ein wenig verströmen. „Ich bin der Vormund des Jungen!“, sagte sie hart und warf dem Mann ihren Ausweis vor. „Ist es wirklich nötig, dass er hier stundenlang rumsitzen muss?“ Ihre Empörung war nicht gespielt und das hätte Shinji im Normalfall wirklich gerührt, wenn er sich nicht so völlig vor den Kopf gestoßen gefühlt hätte. Ihm war, als hätte ihm jemand gehörig auf den Hinterkopf geschlagen. „Das wäre gar nicht nötig gewesen, wenn Ihr Junge nicht gestohlen hätte, gnä´ Frau!“, blaffte der Polizist zurück. Dann las er ungeduldig ihre Karte. „Katsuragi? Wie? Wer sind Sie eigentlich? Der Junge hat gesagt, seine Mutter sei tot!“ „Das stimmt auch.“ Die Frau rückte sich einen Stuhl heran, der ebenso unbequem aussah wie Shinjis und setzte sich neben ihn. „Sein Vater ist aus geschäftlichen Gründen verhindert und ich bin, wie ich bereits erwähnte, sein Vormund. Also können wir das hier schnell hinter uns bringen, ich denke, wir haben alle drei nicht den gesamten Tag Zeit!“ Sie hatte die CD bereits gesehen. Mit flüchtigem Blick streifte sie über das aufgeschlagene Booklet, wahrscheinlich gerade über die Textstelle mit den gebrochenen Knochen und den blutunterlaufenen Augen der Engel. Shinji begann, das folgende Gespräch der Erwachsenen auszublenden. Er wusste nur, dass er seinen Vater heute morgen noch gesehen hatte. Gendou Ikari war nicht im Ausland, er war nicht einmal außerhalb der Stadt. Nein, er betrachtete es einfach nur nicht als nötig, hierher zu kommen um seinen Sohn aus einem verräucherten Polizistenkabuff zu holen. Sein Vater ließ sich weder mit einem Diebstahl noch mit Eva bedrohen. Er konnte sein Kind am langen Arm verhungern lassen. „Ich weiß ja, dass dich die Sache mit Suzuhara so mitgenommen hat.“, sagte Misato im Auto als der Papierkram endlich erledigt war. Sie wirkte nicht wütend, nur erschöpft. Und, was Shinji ihr hoch anrechnete, war, dass sie ihn nicht mit dem Mitleidsblick bedachte. „Aber...Mann, Shinji, warum Heavy Metal?“ Vielleicht meinte sie das als Witz, vielleicht aber auch entsetzt. Vielleicht hatte sie der Text wirklich erschreckt. Shinji fühlte sich unendlich müde und betrachtete die in der Sonne glitzernde See. Die Straße säumte die Küste, die Route hier gefiel ihm immer ganz gut. Möwen glitten als schwarze Umrisse über den Lichtstrahlen. „Was würdest du tun, wenn dich einer wie ein Schaf anblöken würde?“, fragte er unvermittelt. Der Versuch, diese ganze Diebstahlsgeschichte richtig zu stellen war sinnlos, das wusste er genau. Auch wenn er keinen Zweifel daran hatte, dass Misato ihm glaubte, alle anderen hatten ihn bereits als abgestürzten, entwurzelten Teenager abgestempelt. „Wie bitte, ein Schaf?“ Misato lachte ungewollt, aber das wirkte befreiend. „Ich würde ihm eine reinhauen, ganz einfach.“ Shinji wusste genau, der Impuls vor seinem Vater davonzulaufen so weit bis dieser ihn nicht mehr würde erreichen können, würde wahrscheinlich nie so ganz weggehen. Er war das Schaf, das versuchte, sich im Uhrenkasten zu verstecken. Das war er schon immer gewesen, daran änderte auch Eva nichts. „Okay.“, murmelte er leise und lächelte Misato an. „Ich merk mir das für´s nächste Mal.“ Schafe aber drohten nicht. Das war der springende Punkt. Der Junge schaute aus dem Fenster und nichts als ein Lächeln lag ihm ferner. Das Meer rauschte so laut, dass es das Geräusch des Motors beinahe übertönte. „Ich spendiere dir ein Eis.“, schlug Misato vor, versöhnlich, müde. Shinji nickte langsam ohne sie anzusehen. Der springende Punkt war, dass Wölfe nur Wölfe als Kinder haben konnten. To be continued... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)