Mondlicht und Sonnenwind von Lizard (aus den Schatten der Vergangenheit) ================================================================================ Kapitel 2: Freundschaft ----------------------- Vorbemerkung: Erneut bedanke ich mich für alle bisherigen Kommentare. Vielen Dank auch an alle stillen Leser. Eure Unterstützung und Euer Interesse bedeutet mir wirklich viel. Zurück zur Geschichte: im letzten Kapitel lernte ein junger Hundedämon auf etwas unübliche Weise den Herrscher des Westens kennen und kam so in die zweifelhafte Ehrenposition eines Leibwächters. Mal sehen, wie sich dieser Jungspund in seinem neuen Amt schlägt, denn eins ist sicher, eine dankbare Aufgabe hat er nicht... Enjoy reading! Kapitel 2: Freundschaft Was für ein beschissener Tag! Das war der erste Gedanke des jungen Wolfshundedämons Yoshio, als er an einem Frühlingsmorgen das oberste Stockwerk des herrschaftlichen Schlossgebäudes betrat. Mit verdrießlichen Blicken musterte er einen jungen Soldaten, der vor den Gemächern des Fürsten wartend an einer Holzsäule lehnte und gelangweilt mit einem winzigen Wurfstern herumspielte. Was für ein blöder, selbstgefälliger Typ, dachte Yoshio, seine Laune sank ins Bodenlose. Warum, fragte er sich, warum war ausgerechnet dieser Seto zu Sesshoumarus Leibwächter bestimmt worden? Was hatte sich Inutaishou nur dabei gedacht? Weshalb hatte er diesen unverschämten Gesellen nach dem ungewöhnlichen Duell vor einigen Monaten nicht einen Kopf kürzer gemacht? Yoshio hätte diesen Aufschneider an Stelle des Fürsten sofort getötet! „Na Wolfi, was machst du denn hier? Bist du etwa auch zum Herrn befohlen worden? Ich dachte, der wollte mich nur in meine Aufgabe einweisen und mich endlich mal seinem Sohn vorstellen... Oder soll ich mich künftig etwa nicht nur um das Fürstenbaby, sondern auch um dich kümmern?“ Na bitte, dachte Yoshio, es geht schon los, ich wusste, dass der sofort irgendeine doofe Bemerkung loslässt... was für ein anmaßender Scheißkerl! „Wo bleibt der Fürst eigentlich so lange“, stellte Seto seine nächste Frage: „Gehört das hier zum höfischen Stil, dass die Herrschaften dermaßen auf sich warten lassen? Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich noch eine Stunde gepennt. Dieses ständige frühe Aufstehen geht mir sowieso auf den Nerv!“ „Pass auf, was du sagst!“ drohte Yoshio: „Nur weil der Inu no Taishou dein respektloses Verhalten bisher geduldet hat, heißt das noch lange nicht, dass er dir deshalb alles nachsieht. Du bist nichts als ein niederer Soldat, ein winziger Fisch gegenüber einem riesigen Wal!“ „Ui, ich bin beeindruckt...“ spöttelte Seto: „Du kannst dich ja toll ausdrücken! Wo hast du denn dieses schwülstige Gelaber und solch schöne Metaphern gelernt? Im Sprachunterricht für gezähmte, verhätschelte Wolfskinder?“ „Ich bin kein Wolf“, gab Yoshio zurück, seine Stimme begann vor unterdrückter Wut zu zittern. „Dann eben ein halber Wolf“, meinte Seto verächtlich, „tu nicht so, das riecht ja jeder Trottel, dass du ein Wolfshundmischling bist! Eine komische Mischung... mag sein, dass Wolfsdämonen und Hundedämonen ursprünglich dieselbe Abstammung haben und sich sehr ähnlich sind. Aber soweit ich weiß, paaren sich diese beiden Rassen nicht mehr miteinander, weil da meist nur schwachsinniger Mist bei rauskommt... Wer ist denn bei dir der dämliche, blinde Hund gewesen, der bei der Partnerwahl so daneben gegriffen hat, deine Mutter oder dein Vater?“ Yoshio schluckte hart und unterdrückte seinen Zorn weiterhin, auch wenn ihm das sehr schwer fiel. Er konnte es nicht glauben, was nahm sich dieser gemeine Kerl heraus? Hielt er sich etwa für etwas Besseres, nur weil er ein reinblütiger Hund war sowie ein wenig älter und stärker war? Am liebsten wäre Yoshio jetzt auf den jungen Soldaten losgegangen, doch er wusste, damit hätte er alles nur noch schlimmer gemacht. Er wollte nicht zeigen, wie sehr ihn Setos beleidigende Worte getroffen hatten. Außerdem hätte er auch keine Chance gegen Seto gehabt, denn eines entsprach leider den Tatsachen, Yoshio war nur ein halber und zudem ein sehr schwacher Hundedämon. „Hast du etwas gegen Mischlinge?“ Die dunkle, sanft klingende Stimme, die diese fragenden Worte aussprach, bewirkte, dass Seto zusammenfuhr und sich umdrehte. Als er erkannte, von wem er gerade angesprochen worden war, ließ er sich rasch auf ein Knie nieder, presste ebenso hastig seine rechte, zu einer Faust geballte Hand an seine Brust und senkte ergeben das Haupt. „Mein Herr und Fürst... äh, nein. Ich meine, nein, ich habe nichts gegen Mischlinge. Ich habe mir nichts dabei gedacht, als ich...“ „Du solltest aber lieber denken.“ Die Stimme Inutaishous war immer noch sanft, hatte jetzt allerdings einen unterschwellig bissigen, zurechtweisenden Ton. Seto schluckte. „Verzeiht, ich...“ „Ein guter Krieger braucht sich nicht zu entschuldigen, sondern er steht zu seinem Wort und handelt danach. Darum überlege immer gut, was du sagst.“ Die goldenen Augen des Dämonenfürsten richteten sich nun von dem getadelten Soldaten auf Yoshio. „Warum bist du zornig, Junge? Haben Setos einfältige Worte dich beleidigt? Es gibt keinen Grund gekränkt zu sein. Du gehörst zur Familie. Oder habe ich dir jemals das Gefühl gegeben nicht willkommen zu sein?“ Yoshio sah beschämt zu Boden. „Nein “, antwortete er leise, „und ich bin ja gar nicht gekränkt.“ Der Fürst betrachtete den jungen Wolfshundedämonen intensiv, sein Gesicht zeigte dabei einen recht seltsamen Ausdruck, es wirkte nahezu traurig oder schmerzlich. Das währte allerdings nur kurz. So schnell wie eine vorüberziehende Erinnerung verwandelte sich Inutaishous Miene wieder in äußerliche Regungslosigkeit. Nach diesem Moment drehte er sich um und ging auf seine Gemächer zu. „Folgt mir!“ Sofort sprang Seto diensteifrig auf und eilte seinem Herrn nach. So ein Mist, dachte er, ich war wohl etwas zu vorlaut. Alles nur wegen diesem schwächlichen, wölfischen Mondkalb... Er warf einen kurzen, verärgerten Blick auf den Wolfshundedämonen neben sich. Yoshio sah ebenso feindselig zurück und verkniff sich mühsam den Impuls die Zunge herauszustrecken. Erst als die beiden jungen Hundedämonen ihrem Herrn durch eine weit aufgeschobene, von zwei Wachposten flankierte Schiebetür folgten und einen geräumigen, halbdunklen Raum betraten, ließen sie die gegenseitige, heimliche Streiterei sein. Verblüfft blieben sie stehen, als sie begriffen, wo sie waren. Sie befanden sich im Herzstück des Schlosses, besser gesagt sogar im Herzstück der gesamten westlichen Gefilde. Inutaishou hatte die beiden Jugendlichen in seinen Ratssaal geführt. Hier versammelte der Herr des Westens seine Berater, Freunde und Verbündeten. Hier empfing er die Beherrscher anderer Länder, hier hielt er seine Audienzen ab, hier gab er seine Beschlüsse bekannt und erließ Gesetze. Das war der Raum, vom dem aus die Geschicke des Westens bestimmt wurden, das Land regiert wurde. Weder Yoshio noch Seto waren bisher an diesem Ort der Macht gewesen. Schließlich galten sie bisher so gut wie nichts, in den Augen der Mächtigen waren sie nur unbedeutende und unerfahrene Burschen. In scheuer Ehrfurcht und eingeschüchtert sahen sie in den Saal hinein. Angesichts der Tatsache, was dieser Raum repräsentierte, wirkte er leicht enttäuschend. Er war weder überragend groß noch besonders prachtvoll. Ein vollkommen schlichter, fensterloser Raum, gebaut aus uraltem Holz. Bis auf ein paar glimmende Kohlebecken, die matt Licht spendeten, war er völlig leer, nicht einmal Reismatten lagen am Boden. Die einzige Verzierung war ein kunstvoll in die Wand geschnitztes Holzrelief gegenüber der Tür in der Darstellung eines Hundes. Darunter war mit silbernen Haken ein Schwert in einer versiegelten Scheide an der Wand befestigt. Atemlos starrte Seto das Schwert an. Sou'unga, das Schwert der Hölle, dachte er staunend. Er hatte schon davon gehört, abends, wenn an Lagerfeuern Abenteuergeschichten und Legenden erzählt wurden, doch er hatte nie geglaubt, dass es diese legendäre Waffe tatsächlich gab, geschweige denn, dass er sie jemals sehen würde. Eine flüsternde und wohlbekannte Stimme holte Seto wieder in die Realität zurück. „Starr keine Löcher in die Luft und setz dich gefälligst endlich hin, du halbwüchsiger Vollidiot!“ Etwas packte Seto am Handgelenk und riss ihn zu Boden. Unsanft landete er auf seinem Hinterteil und entdeckte zu seiner Überraschung Tamahato neben sich. Und nicht nur den, sondern auch sieben weitere Dämonen, die in kniender Stellung halbkreisförmig auf dem Boden saßen. Sie alle waren kostbar gekleidet, entweder in die aufwendigen Gewänder und Rüstungen hochgestellter Krieger oder in die teuren Kimonos wie sie vornehme Amtsinhaber von Verwaltungs- und Beratungsaufgaben bevorzugten. Mit starren Gesichtern und missbilligenden Blicken sahen sie alle auf Seto, ihre Augen schimmerten rötlich in dem halbdunklen Raum. Allmählich verstand der junge Hundedämon, dass er nicht nur in den Ratssaal, sondern auch in eine Ratsversammlung geführt worden war. Und dass er sich eben gründlich blamiert hatte, weil er die zusammengekommenen, hochrangigen Dämonen vor lauter Aufregung und Staunen komplett übersehen und ignoriert hatte. Zumindest war er mit dieser Blamage nicht allein. Auch Yoshio hatte die Sachlage etwas spät erkannt. Deshalb hatte er sich überstürzt zu Boden geworfen und lag flach wie eine Flunder auf dem Bauch. Inutaishou, der sich auf der gegenüberliegenden Seite des Raums vor der Wand mit Relief und Schwert niedergelassen hatte, kommentierte das Verhalten des jungen Wolfshundedämons mit belustigter Stimme: „Das hier ist kein Gericht und du bist kein Angeklagter, Yoshio. Also rutsch nicht am Boden rum, sondern setz dich hier hinter mich!“ Verlegen stand junge Wolfshundedämon auf, huschte zum Dämonenfürsten, und setzte sich rechts hinter ihm auf den Boden. Vorsichtig betrachtete er die versammelten Würdenträger. Deren Mienen waren nun alle ausdruckslos und verrieten nichts mehr. Wenn sie sich darüber wunderten, was zwei jugendliche Naseweise hier zu suchen hatten, ließen sie sich nichts davon anmerken. Yoshio wusste nicht, dass Inutaishous Gefolgsleute derartige Auftritte durchaus gewohnt waren. Denn der Herrscher des Westens brachte öfters solche Überraschungsgäste in seine Besprechungen mit, er wollte Unerfahrenen so die Gelegenheit zum Lernen geben. Außerdem ging es heute um eine wichtige Angelegenheit und Inutaishou wollte den beiden Jugendlichen klar machen, dass das Leben in seinem Reich durchaus auch sehr ernsthafte Dinge bereit hielt. Nachdem Yoshio Platz genommen hatte, kam der Hundherr sofort zur Sache und wandte sich an die kleine Versammlung, seine Stimme hatte jetzt einen festen, leicht grimmigen Tonfall: „Ich danke euch allen für eure gute Aufmerksamkeit und eure Warnungen. Eure Befürchtungen haben sich bestätigt. Heute früh bekam ich die Meldung, dass Akechi tatsächlich einen Aufstand plant. Die Lage ist bedenklich, Akechi hat die ihm ergebenen Fomorians vermehrt und begonnen ein Kriegsheer aufzustellen. Offensichtlich bereitet er einen Angriff über das Donnergebirge vor. Soweit darf es erst gar nicht kommen. Glücklicherweise gibt es eine Möglichkeit die Gefahr frühzeitig zu beseitigen.“ Der Dämonenfürst sah auffordernd zu Kage, seinem Heermeister. Dieser sprach daraufhin weiter: „Um über die Donnerberge zu kommen, muss Akechi seine Armee durch die Düsterschlucht führen. Dieses Terrain kenne ich gut, es gibt dort eine Enge, an dem wir ihm einen Hinterhalt legen können. Dafür brauche ich nur etwa bis zu vierzig Krieger, die jedoch zu den Besten gehören sollten und möglichst viele, verschiedene Kampftechniken beherrschen müssen. Die Fomorians sind ein bunt gemischtes Volk aus unterschiedlichsten Kreaturen. Da sie den chaotischen Kräften aus Anbeginn der Schöpfung entstammen, beherrschen einige von ihnen uralte Magien. Daher brauche ich zusätzlich noch einige magiebegabte Dämonen auf meiner Seite. Leider wissen wir bisher nicht, auf welcher Seite der Donnerstamm steht, ob er Akechi möglicherweise unterstützen und uns in den Rücken fallen wird. Das könnte unsere Aktion scheitern lassen.“ „Deshalb werde ich als Ablenkungsmanöver ein Heer in die Ebenen südlich der Donnerberge führen“, fuhr Inutaishou fort, „und so den Anschein erwecken, als wolle ich Akechi dort erwarten. Falls die Dämonen des Donnerstamms auf Akechis Seite stehen, werden sie versuchen mich vorzeitig zu überfallen, um meine Streitkraft zu schwächen. Dadurch werden sie nicht mehr darauf achten, was sonst in ihrem Territorium vorgeht.“ „Die Angehörigen des Donnerstamms sind alle sehr kriegslüstern“, gab einer der übrigen Versammelten, ein Hirschdämon, seine Bedenken bekannt: „Wenn sie wirklich angreifen, könnten alle, die an diesem Ablenkungsmanöver teilnehmen, in eine furchtbare Schlacht verwickelt werden.“ „Das ist wahr“, bestätigte Inutaishou, „ich bestehe daher nicht auf mein Recht Truppen von euch zu fordern. Niemand muss mich begleiten, ich nehme nur Freiwillige mit.“ „Also, meine Unterstützung und die meiner Leute habt Ihr“, erklärte ein Büffeldämon: „Sollte es Akechi gelingen über die Donnerberge zu kommen, kommt er in ein Gebiet, in dem viele Unzufriedene leben, die sich ihm anschließen könnten. Und dann könnte es erst wirklich gefährlich werden. Da finde ich es besser, wenn dieser Verräter frühzeitig aufgehalten wird und riskiere lieber einen Kampf gegen den Donnerstamm!“ „Gut“, meinte der Herrscher des Westens daraufhin, „am Nachmittag brechen wir auf. Ich erwarte alle, die sich mir anschließen wollen, am Rande der Dornenwälder. Kage wird seine ausgewählten Krieger einen Tag später zur Düsterschlucht führen und die Falle zuschnappen lassen. Trefft eure Vorkehrungen und verteilt geheime Warnungen, ich möchte zivile Opfer möglichst vermeiden. Das wäre alles, ihr könnt gehen.“ Die Versammelten erhoben sich. Mit einer Verbeugung vor dem sitzen bleibenden Fürsten, verließen sie den Ratssaal. Seto und Yoshio hatten atemlos zugehört, am liebsten hätten sie noch mehr erfahren. Neugieriges Nachfragen stand ihnen aber nicht zu. So wollten sie auch aufstehen, gemäß ihrer niedrigen Rangordnung mussten sie jedoch warten und konnten erst zuletzt gehen, nach Tamahato. Dieser wurde allerdings zuvor von Inutaishou aufgehalten. „Tamahato“, sagte er, „ich übertrage dir die Befehlsgewalt über die Schlosswache. Du bist mir für die Sicherheit aller hier lebenden Dämonen verantwortlich.“ Der altgediente Dämon senkte demütig das Haupt. „Mein Herr, ich danke Euch für die Ehre Eures Vertrauens...“ Der Dämonenfürst kannte seinen getreuen Gefolgsmann sehr gut. „Aber...?“ fragte er deshalb. „Ich würde Euch lieber begleiten. Erlaubt mir, an Eurer Seite zu kämpfen“, bat der Soldat. „Dieses Mal nicht“, entschied der Hundeherr, „ich möchte meine Heimstatt und meine Familie während meiner Abwesenheit gut geschützt wissen.“ Nach einem kurzen Blick auf Seto sprach er weiter: „Wie macht sich dein kleiner Grünschnabel? Zeigt sein Training Fortschritte?“ „Ja, Herr“, antwortete Tamahato, „er lernt schnell. Seine Kampftechniken haben sich in den vergangenen Wintermonaten deutlich verbessert.“ „Ich hoffe, seine Klugheit wächst ebenso. Es wird Zeit, dass er meinen Sohn kennenlernt. Er bekommt ein Zimmer hier im Hauptgebäude, direkt neben Sesshoumarus Raum. Ab jetzt wird er sich immer in der Nähe meines Sohnes aufhalten, außer in seinen Trainingsstunden.“ Zum Schluss drehte sich Inutaishou noch zu Yoshio um: „Tamahato wird sich künftig auch um deine und um Sesshoumarus Ausbildung kümmern. Wenn ihr wollt, könnt ihr beiden zusammen mit Seto üben. Und jetzt bring Seto zu Sesshoumaru, ich hoffe, ihr drei versteht euch gut!“ Damit waren die zwei Jugendlichen entlassen. Zweifelnd und besorgt sah Tamahato den Burschen nach. Er hoffte inständig, dass Seto nicht nur genug Kampftechniken, sondern vor allem genug Anstand gelernt hatte. Leider hatte der aber immer noch ein ungeahntes Talent dafür in jedes auf dem Weg liegende Fettnäpfchen zu steigen und war sich bedauerlicherweise nur wenig bewusst, welch bedeutende Pflicht er zu erfüllen hatte. „Ich bin sicher, dass Seto gute Arbeit leisten wird“, meinte Inutaishou in diesem Moment dazu, „er ist schließlich dein Partner und Schüler.“ Tamahato wäre kein guter Gefolgsmann gewesen, hätte er nicht sofort verstanden, was sein Gebieter mit diesen Worten sagen wollte. Darin lag die Aufforderung Seto und seine Leistungen als Leibwächter gründlich zu überwachen. Vor allem bedeutete es, Inutaishou hatte Tamahato damit zum indirekten, aber zum wirklichen Beschützer von seinem Sohn ernannt. Der treue Soldat schluckte. Er wusste, im gesamten Reich gab es keine verantwortungsvollere Aufgabe als den Thronerben zu beschützen. Und es war der größte Vertrauensbeweis, den der Herr der Hunde zu vergeben hatte. Ehrerbietig verlagerte Tamahato daher sein Gewicht, rutschte auf ein Knie vor und stützte sich mit geballter Faust auf seinen nach unten ausgestreckten Schwertarm. Seine daraufhin ausgesprochenen Worte waren ein Schwur: „Ihr werdet niemals von mir enttäuscht sein, Oyakata-sama!“ Yoshio führte Seto derweil ein Stockwerk tiefer zum Gemach des Kronprinzen. Er wollte die Sache möglichst schnell hinter sich bringen. Je früher er Seto an Sesshoumaru los war und den unverschämten Kerl nicht mehr ertragen musste, desto besser. Zudem musste sich Seto Sesshoumaru gegenüber sehr höflich benehmen und es war bestimmt eine sehenswerte Demütigung für den überheblichen Soldaten einem Kind gehorchen zu müssen. Allerdings gab es ein Problem, das Yoshios Stimmung senkte. Sesshoumaru war nicht in seinem Zimmer. „Also schön, Wolfi, und was jetzt?“ fragte Seto ungeduldig. „Was fällt dir ein, mich so anzusprechen?“ empörte sich Yoshio: „Hast du immer noch nicht kapiert, dass ich zur fürstlichen Familie gehöre? Du hast mich gefälligst mit Yoshio-sama anzusprechen!“ „Soweit ich richtig informiert bin, du wölfischer Mischling“, höhnte Seto, „bist du bloß ein einfacher Findling, den der Fürst zufällig irgendwann und irgendwo halb verhungert im Dreck gefunden und aus nicht ganz nachvollziehbarem Mitleid aufgezogen hat. Das gibt dir weder einen Rang noch einen ehrenvollen Namen. Also versuch nicht mir, einem Hundedämon aus reinem Geblüt und klarer Herkunft, Vorschriften zu machen, klar?“ „Vorsicht“, warnte Yoshio, „Inutaishou behandelt mich trotzdem wie einen Sohn. Ich hätte sein Erbe werden können!“ „Na, da hast du ja Pech gehabt, dass er noch einen leiblichen Sohn gekriegt hat“, spottete Seto weiter: „Außerdem bist du ganz schön dämlich, wenn du dir jemals Chancen auf die Herrschaft ausgerechnet hast. Dafür musst du schon mehr mitbringen als die Protektion unseres Gebieters. Glaubst du etwa, die Hunde oder andere Dämonen im Westen würden je eine solch kümmerliche Witzfigur wie dich als Anführer akzeptieren?“ „Noch ein Wort“, knurrte Yoshio, „und ich...“ „Und was? Willst du dich beim Inu no Taishou über mich beschweren gehen? Nur zu, damit schindest du bestimmt Eindruck. Ist gewiss eine tolle Demonstration deiner Autorität und deines Durchsetzungsvermögen, wenn du dem Herrn die Ohren voll heulst!“ Erneut knurrend drehte Yoshio sich weg. Seto grinste daraufhin breit, sein Spott hatte zielsicher ins Schwarze getroffen. Eigentlich waren seine Sticheleien ziemlich würdelos, aber der schwache Wolfshundedämon war einfach ein zu verlockendes Opfer und es machte zu großen Spaß ihn zu ärgern. „So, Wolfi, nachdem wir das geklärt haben, könntest du mich jetzt wie befohlen zu dem Fürstenbaby bringen, damit ich endlich mal meine Pflicht erfüllen kann. Also, wo ist der Kleine?“ Yoshio schluckte seinen Zorn herunter, öffnete eine der vielen Schiebetüren von Sesshoumarus Zimmer und durchsuchte eine großräumige, luftige Balkonterrasse. Soweit er wusste, hielt sich der Prinz lieber dort als drinnen auf, weil er geschlossene Räume nicht besonders mochte. Doch auch auf dem Balkon war Sesshoumaru nicht. „So ein Pech“, meinte Yoshio und kam zurück zu Seto ins Zimmer, „ich glaube, er ist draußen. Wir müssen in den Gärten nach ihm suchen. Das kann dauern.“ Seto schnupperte in der Luft herum und prägte sich den in Sesshoumarus Raum vorherrschenden Geruch ein. „Dann gehen wir halt der Nase nach. Für mich stellt so etwas kein Problem dar, ich bin ein herausragender Spürhund. Das Prinzchen werden wir schnell haben. Also, damit übernehme ich jetzt die Führung. Pass gut auf, Wolfi, von mir kannst du noch was lernen!“ Hochnäsig stolzierte Seto aus dem Gemach, hinunter ins Erdgeschoss des herrschaftlichen Gebäudes und von dort hinaus in den ausgedehnten Park hinter dem Schloss. In seinem stolzen Eifer fiel ihm nicht auf, dass Yoshio nicht mehr wie erwartet verärgert war, sondern überraschenderweise auf einmal sehr vergnügt gestimmt war. Diese rätselhafte Änderung in der Stimmung des Wolfshundedämons bemerkte Seto erst, als er etwa eine Stunde später durch einen verwilderten Rosengarten stapfte und sich fluchend durch dichte, wuchernde Dornengebüsche kämpfen musste. „Ja, verdammt noch mal!“ schimpfte er dabei: „Wo ist dieses Kind denn überall hingerannt? Und irgendwas stimmt doch mit dieser Fährte nicht, wir drehen uns ja dauernd im Kreis! Wie, zur Hölle, ist das möglich?“ Yoshio hätte am liebsten laut losgelacht. Doch er wollte den Spaß gerne noch länger auskosten und begnügte sich daher mit einer höhnischen Bemerkung: „Ich sehe, ich kann von dir tatsächlich noch eine Menge lernen, großer Meister der Fährtenlese-Kunst! Welche Strategie schlägt mein verehrter Spürhund nun vor?“ „Verarsch mich nicht, du blöder Wolfsköter“, raunzte Seto den Schadenfrohen an, „mach dich lieber mal nützlich und erklär mir, was hier los ist. Dieser Fürstenbengel führt uns doch irgendwie an der Nase herum!“ „Tja“, meinte Yoshio fröhlich, „du hättest dich vielleicht mal besser über die Person, die du beschützen sollst, informieren sollen. Sesshoumaru ist dafür bekannt, dass er gerne wegläuft und sich versteckt. Und er ist äußerst geschickt darin, seine Spuren zu verwischen. Er hat schon öfters eine wahre Panik im ganzen Schloss ausgelöst, wenn er unauffindbar war und alle vergeblich nach dem Verschwundenen gesucht haben... Möchtest du in diesem Zusammenhang übrigens wissen, was aus dem letzten Leibwächter von Sesshoumaru geworden ist? Der Prinz ist ihm einmal auf einer Reise verloren gegangen und wurde durch einen Unfall lebensgefährlich verletzt. Inutaishou war daraufhin völlig außer sich und hat den glücklosen Bewacher regelrecht in Fetzen gerissen.“ „Verdammte Scheiße“, fluchte Seto, „behalt deine bescheuerten Geschichten für dich und denk nach! Du kennst den Fürstensohn doch gut, oder? Sag schon, wo er sich verkrochen haben könnte! Hat er vielleicht irgendwelche Lieblingsplätze?“ „Hat er“, bestätige Yoshio grinsend, „dann übernehme ich jetzt wieder die Führung, oder?“ „Ach, mach doch, wenn es dich glücklich macht!“ Die nächste Suchaktion war erfolgreicher. Bereits beim zweiten Ort, den Yoshio als einen von Sesshoumarus Lieblingsplätzen kannte, hatten die Hundedämonen Glück und fanden den Gesuchten nahe eines Quellbachs in einem bebuschten Hain. Dort saß der kleine, weißhaarige Dämonenprinz neben einem Rhododendron am Boden und schnitzte mit einem hell glänzenden Messer kurze, hölzerne Wurfpfeile. Als Yoshio und Seto sich ihm näherten, schaute er auf. Er bedachte Yoshio mit einem kurzen, freudigen Blick und sah danach missfällig zu Seto. „Was will der hier?“ Seto musste sich zusammennehmen, um nicht eine ungebührliche, beleidigende Erwiderung loszulassen, die ihm bereits auf der Zunge lag. Einen derartig abwertenden Ton und einen solch arroganten Blick hätte er sich normalerweise nie gefallen lassen. Erst recht nicht von so einem Knirps. Was erlaubte dieses anmaßende Balg sich? „Das ist dein neuer Leibwächter“, stellte Yoshio den jungen Krieger vor. Sesshoumaru schnaubte verächtlich. „So etwas wie den brauche ich sicher nicht. Wessen Idee war denn das?“ Jetzt reichte es Seto, Geduld war noch nie seine Stärke gewesen. „Hör zu, Kleiner“, sagte er, „ich bin auch nicht begeistert davon, dass ich den Babysitter für dich spielen soll. Aber ich bin auf ausdrücklichem Wunsch deines Vaters hier. Also wirst du dich wohl damit arrangieren müssen. Lass uns einfach einen Pakt schließen, okay? Ich bleib unauffällig in deiner Nähe und geh dir nicht auf die Nerven und du nervst mich nicht. Dann kommen wir sicher wunderbar miteinander aus!“ Mit golden funkelnden Augen sah Sesshoumaru zu ihm. Bedächtig schob er die Wurfpfeile, die er geschnitzt hatte, unter seinen Haori und hob dann leicht sein Messer. Ruhig und demonstrativ strich er mit den Fingerspitzen seiner linken Hand über die scharf geschliffene Klinge. Ein dünnes Blutrinnsal floss über seine Haut. „Solltest du mich jemals noch einmal unaufgefordert ansprechen oder mir nochmals irgendeinen Ratschlag geben wollen“, drohte er leise dabei, „sorge ich dafür, dass du fein säuberlich in hauchdünne Streifen geschnitten wirst. Ansonsten kannst du niederer Wurm meinetwegen machen, was du willst.“ Seto verschlug es die Sprache. Gerade noch rechtzeitig unterdrückte er seinen Impuls den vor ihm sitzenden Dämonenjungen zu packen und übers Knie zu legen, um ihm eine ordentliche Tracht Prügel zu verpassen. Sesshoumaru beachtete seinen verärgerten Leibwächter nicht mehr, er wandte sich erwartungsvoll an Yoshio: „Kommst du mit mir zum alten Buchenwald, zum Vögel jagen?“ Yoshio hätte sich lieber verdrückt, denn er hatte selten Lust sich mit Sesshoumaru zu beschäftigen. Aber er wusste auch, dass der kleine Dämon sehr hartnäckig sein konnte, wenn er etwas wollte. Aus einem unerfindlichen Grund mochte Sesshoumaru Yoshio nämlich sehr gern. Wenn der Wolfshundedämon jetzt nicht nachgab, das kannte er aus Erfahrung, konnte es leicht geschehen, dass sich Sesshoumaru bei jeder anderen Gelegenheit an seine Fersen heftete. Außerdem machte es sicher Spaß Seto dabei zu beobachten, wie er um Selbstbeherrschung rang. Also nickte Yoshio bejahend. „Fein“, freute sich Sesshoumaru, „du kannst meine Wurfpfeile haben. Ich kann ja auch mit meinen Krallen jagen.“ „Lass nur“, meinte Yoshio, „behalte deine Spitzen. Ich habe meine Shuriken dabei. Das geht auch. Dein Vater hat dir schließlich verboten, per Hand fliegenden Vögeln hinterher zu jagen. Du bist in deinen Flugfähigkeiten noch nicht sicher genug.“ „Da täuscht du dich, ich bin schon ziemlich gut im Fliegen und Chichi-ue muss ja auch nichts davon wissen“, erwiderte Sesshoumaru, steckte sein Messer ein und sprang auf: „Los, lass uns gehen.“ Na, das kann ja heiter werden, dachte Seto, als er den beiden Dämonen in einem höfisch angebrachten Abstand folgte. Zum ersten Mal konnte er die Bedenken seines Partners Tamahato nachvollziehen und fragte sich nun ebenfalls, warum der Herr der Hunde ausgerechnet ihn zum Leibwächter seines Sohns erkoren hatte. Was bezweckte Inutaishou damit? Hatte er geglaubt, dass ein jüngerer Krieger besser zu einem Kind passte? Sollte er als zusätzlicher Spielkamerad oder Freund für den Fürstensohn fungieren? In diesem Fall, dachte Seto weiterhin, ist der Herr aber ganz schön auf dem Holzweg. Dieser trottelige Wolfsköter und diese aufgeblasene Rotznase sind bestimmt die allerletzten, mit denen ich mich jemals anfreunden würde. Soweit das zweite Kapitel. Tja, es erscheint oft ziemlich rätselhaft, was sich der Inu no Taishou bei so einigen Dingen gedacht hat. Vielleicht hatte er manchmal auch eine etwas seltsame Art von Humor?!? Im nächsten Kapitel wird Seto weitere Schattenseiten seiner neuen Position kennen lernen. Hoffen wir mal, dass Tamahato als Lehrer und heimlicher Zusatzwächter den jungen Hunden etwas beibringen kann. Währenddessen sieht der Westen nach einer Friedensperiode einer eher kriegerischen Zeit entgegen... Über Kommentare freue ich mich sehr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)