Mondlicht und Sonnenwind von Lizard (aus den Schatten der Vergangenheit) ================================================================================ Kapitel 6: Annäherung --------------------- Vorbemerkung: Zunächst möchte ich wieder meinen Dank an alle Schreiber von Kommentaren aussprechen. Merci, ihr Lieben, ihr seid toll! Weil mich einige von euch wegen dem Dämonenheiler Ieyasu befragt haben, hier noch ein paar Infos zu diesem Charakter: die Figur, die mir als Inspirationsvorlage für Ieyasu diente, findet ihr bei Rumiko Takahashi im Manga nach der Geschichte von Tessaigas Diebstahl durch die erpresste Sango, woraufhin sich ein Kampf mit Naraku entwickelt und die Inuyasha-Gruppe danach auf Heilkräutersuche geht. Wer Ieyasu in Farbe sehen will, kann sich auch Animefolge 31 anschauen... Ieyasu hat eine gewisse Gemeinsamkeit mit dem Inu no Taishou bezüglich seiner Nachkommenschaft ... ich denke, das dürfte als Hinweis reichen, welche Figur sich hinter diesem Charakter versteckt. ^^ Jetzt wieder zur Geschichte: glücklicherweise haben Seto und Sesshoumaru im letzten Kapitel den Wolfsangriff auf das Schloss des Westens und einen Entführungsversuch heil überstanden. Für ihre Unbesonnenheit erhielten sie aber eine hintergründige Strafpredigt des Inu no Taishou, der in diesen unsicheren Zeiten schon genug Gründe für allerlei Sorgen hat. Nun stellt sich die Frage, ob und wie lange bittere Erfahrungen vor neuen Dummheiten schützen können... Enjoy reading! Kapitel 6: Annäherung Im Norden Japans hatte sich der seit Wochen herrschende Frühling noch nicht richtig durchgesetzt. Insbesondere in den Bergen brauchte die Vegetation noch Zeit, um sich zu entwickeln. Viele Bäume trieben gerade erst ihre Blätter aus. Auf tiefer gelegenen, unbewaldeten Gebirgsmatten und in den Tälern zeigten sich zwar schon die ersten Blütenknospen, in den höheren Lagen dagegen bedeckte Schnee das langsam sprießende Grün. In diesem Gebiet, in einer abgelegenen, von Menschen unbesiedelten und meist gemiedenen Gegend war eine dreißigköpfige Reisegruppe unterwegs und überquerte entlang eines kaum erkennbaren Pfades einen Gebirgszug. Die Reisenden waren zu Fuß unterwegs, ohne Pferde oder Packtiere. Das beeinträchtigte die Geschwindigkeit dieser menschenähnlichen Wesen jedoch kaum, denn sie besaßen weitaus größere Ausdauer als jedes Tier. Es waren Hundedämonen und ihre lautlose Gewandtheit, mit der sie sich flink durch das unwegsame, steile Gelände bewegten, war beeindruckend. Nur wenige Tage nach seinem Kampf gegen Aufständische, direkt nach ausreichender Heilung seiner Kriegsverletzungen, hatte der Herrscher des Westens seine Heimstatt verlassen und zog nun mit einigen seiner Getreuen nordwärts in fremdes Territorium. Inutaishous Begleiter auf dieser Reise waren fast alle perfekt ausgebildete und buchstäblich bis zu den Zähnen bewaffnete Krieger. Darunter Tamahato und die besten Veteranen der Fürstengarde. Diese Tatsache bewies, dass der Hundeherr keine Vergnügungstour machte, sondern in einer ernsten, möglicherweise gefährlichen Mission unterwegs war. Tatsächlich befanden sich der Fürst und seine Gefolgsleute momentan in Feindesland, in einem Gebiet, das Wolfsdämonen als Revier beanspruchten. Im Hinblick auf eine derartig riskante Sachlage wirkten fünf Mitglieder der Reisegruppe, die hinter Inutaishou und Tamahato hergingen, fehl am Platz. Sie sahen jedenfalls nicht sehr wehrhaft aus. Zu ihnen zählten zwei Jugendliche und ein Kind. Die frappierende Ähnlichkeit des Kindes mit dem anführenden Dämonenfürsten ließ keine Zweifel, um wen es sich dabei handelte. Es war Inutaishous kleiner Sohn Sesshoumaru, die beiden Jugendlichen waren Seto, Sesshoumarus Leibwächter, und der junge Wolfshundedämon Yoshio. Ihnen folgten zwei schon ältere, einfache Diener, die Gepäckballen trugen. Kaum jemand war begeistert gewesen, dass Inutaishou unbedingt seinen Sohn auf eine Reise in den Norden hatte mitnehmen wollen, am wenigsten war Tamahato davon angetan. Schließlich erhöhte das die Sorgenlast. Aber niemand wagte dem Fürsten etwas auszureden und Tamahato fand es zumindest verständlich, dass der Hundeherr seinen Sprössling bei sich haben wollte. Inutaishou hatte sonst viel zu selten Zeit für seine Familie. Deshalb ahnten auch nur sehr wenige, wie sehr der Hundefürst in Wirklichkeit an seinem Welpen hing. Als die dämonische Reisegruppe nach Überwindung eines steilen Felsenkamms die Ausläufer einer verborgenen, verzweigten Schlucht erreichte, geriet sie ins Stocken. Inutaishou war stehen geblieben, beobachtete aufmerksam den Himmel und schien auf etwas zu warten. Er musste nicht lange warten. Nur kurz, nachdem alle Halt gemacht hatten, flog ein fledermausartiges Wesen zu der Gefolgschaft herab und landete direkt neben dem Dämonenfürsten im spärlich sprießendem Gras. Die fledermausartige Gestalt entpuppte sich als ein Flughund, der sich nun in das Licht dämonischer Energie tauchte und verwandelte. Aus dem geballten Youki formte sich ein bewaffneter, hünenhafter Mann in kostbarer Rüstung: Kage, der Hauptmann der Fürstengarde und Inutaishous Heermeister. Ehrerbietig neigte er vor seinem Herrn den Kopf. „Nun, Kage“, sprach der Herrscher des Westens seinen Heerführer freundlich an, „was hast du entdeckt?“ Der dämonische Flughund faltete seine ausladenden Schwingen unter seinem dunkelgrauen Umhang zusammen und zeigte zu einem entfernten Berghang in Gegenrichtung zur bald untergehenden Sonne. „Dort oben, etwa eine viertel Flugstunde von hier, gibt es ein verstecktes, Plateau mit frischem Quellwasser. Von da aus hat man einen guten Überblick über die Schlucht und das anschließende Gebiet. Das Gelände ist da nicht mehr so steil und teilweise bewaldet, sicherlich gibt es dort auch Wild. Wölfe habe ich noch keine finden können, doch wenn sich in dieser Gegend welche aufhalten, dann dort.“ „Gut“, meinte Inutaishou, „dann schlagen wir dort unser Lager auf. Gibt es einen Weg zum Plateau, auf dem wir die Schlucht umgehen können?“ „Ja, wenn wir uns bei der nächsten Abzweigung westlich halten“, antwortete Kage, „allerdings müssen wir dann einen Umweg von etwa ein bis zwei Stunden in Kauf nehmen.“ „Das macht nichts“, entschied der Dämonenfürst, „besser ein Umweg als ein Gang durch die Schlucht. Danke, Kage, schließ dich nun unserer Nachhut an!“ Kage ging sofort wie befohlen zum Hinterende der Reisegruppe, Inutaishou wandte sich derweil all seinen Gefolgsleuten zu. „Keiner von euch betritt diese Schlucht!“ befahl er: „Erhöht eure Wachsamkeit! Wir werden sicher nicht mehr lange unentdeckt bleiben und wir werden wahrscheinlich nicht sehr herzlich empfangen werden. Ich möchte nicht, dass sich hier jemand zu unüberlegten Handlungen hinreißen lässt. Verstanden? Gut, dann weiter!“ Damit setzte sich der Herr der Hunde wieder in Bewegung, seine Getreuen folgten ihm. Zur Abendstunde erreichten die Dämonen das von Kage beschriebene Plateau. Inutaishou sah sich kurz um und wählte einen Lagerplatz am Rande eines leicht aufsteigenden, bewaldeten Berghangs aus. Während die Soldaten die Umgebung sicherten, näherte sich der Dämonenfürst seinem Sohn und ging neben dem Jungen in die Hocke. „Bist du sehr müde, Sesshoumaru? Es tut mir leid, der Weg war anstrengend...“ Energisch schüttelte Sesshoumaru seinen Kopf. „Ich bin nicht müde“, beteuerte er. Der Hundeherr lächelte sanft. Zaghaft hob er seinen rechten Arm, strich Sesshoumaru kurz zärtlich über die Wange und legte seinem kleinen Sohn schließlich die Hand auf die Schulter. „Du brauchst dich deiner Schwächen doch nicht zu schämen“, sagte er leise: „Du bist mein Sohn, du musst mir nichts beweisen...“ Mit einem weich werdenden Ausdruck in seinen goldenen Augen fügte er zögerlich fragend hinzu: „Möchtest du heute bei mir, an meiner Seite schlafen? Es würde mich freuen...“ Ein schüchternes Lächeln stahl sich in Sesshoumarus Antlitz. Doch bevor er seinem Vater antworten konnte, störte ein lautes Streitgespräch von Seto und Yoshio mit Tamahato die Szenerie. „Das kommt keinesfalls in Frage“, schimpfte Tamahato gerade, „ihr geht nirgendwohin! Erst recht nicht in die Nähe der Schlucht! Dort unten befindet sich ein Friedhof der Wolfsdämonen.“ „Na und?“ ereiferte Seto sich: „Was ist dabei denn das Problem? Auf einem Friedhof stören wir wenigstens niemanden. Wir wollen ja nichts anstellen, sondern uns nur mal die Gegend angucken.“ „Nochmals, damit auch du Schwachkopf es kapierst: wir sind hier in feindlichem Territorium, wir wollen die Nordwölfe nicht provozieren! Und genau das tut ihr zwei, wenn ihr ungebeten und pietätlos in der Wolfsruhestätte herumstolziert!“ „Was haben die Nordwölfe denn gegen uns Hunde?“ mischte sich der Wolfhundedämon Yoshio in die Diskussion ein und fragte daraufhin neugierig weiter: „Hat das etwa was mit dem vergessenen Krieg zu tun?“ Diese Frage schien Tamahato ziemlich unangenehm zu sein. „Auf gewisse Weise...“ antwortete er ausweichend, „das ist alles schon sehr lange her...“ Yoshio ließ nicht locker. „Was ist damals in diesem Krieg geschehen?“ In diesem Moment stand Inutaishou auf und drehte sich ernst zu den jugendlichen Hundedämonen um. „Vergessene Kriege sollten vergessen bleiben“, betonte er. Seine goldenen Augen waren nun wieder hart und seine Stimme klang seltsam, wie gesprungenes Glas: „Fragt nicht weiter, lasst die Vergangenheit lieber ruhen!“ „Vorsicht, ein Wolf!“ Der Warnruf eines Soldaten beendete jede weitere Diskussion. Inutaishou sah in die Richtung, in die der warnende Krieger mit seinem Speer deutete. Am Rand des Plateaus, das sich die Hundedämonen als Nachtlager erkoren hatten, neben dem bewaldeten Berghang, stand ein mit einer festen, geschwärzten Lederrüstung gepanzerter Mann. Um seine Schultern hing ein Bärenfell. Seine spitzen Ohren und seine rötlich schimmernden Augen kennzeichneten ihn sofort als Dämon. Sein wolfsartiger Geruch machte klar, welcher Art er angehörte. Sein sonstiges Aussehen allerdings war sehr untypisch für einen Wolfsdämon, denn sein schulterlanges Haar war blond. Zunächst schien er völlig allein zu sein, doch dann tauchten wie aus dem Nichts acht schwarzfellige Wölfe neben ihm auf und umringten ihn schützend. „Was wollt Ihr hier?“ fragte der Unbekannte und musterte argwöhnisch die hundedämonischen Krieger, die sich sogleich verteidigungsbereit um ihren Fürsten scharten. „Sucht Ihr Streit?“ „Nein.“ Inutaishou trat etwas vor, eine unauffällige Handbewegung seinerseits genügte, dass sich seine Soldaten wieder leicht zurückzogen. „Ich bin in Frieden hier, meine Krieger begleiten mich nur zum Schutz.“ Der blondhaarige Wolfsdämon schnaubte verächtlich. „Seit wann habt Ihr das nötig, seit wann muss der ach so mächtige Herrscher des Westens mit einer Schutzpatrouille durch fremde Bergwälder schleichen? Heimlich und versteckt, wie ein Räuber mit seinem Diebsgesindel!“ Tamahato, der knapp hinter seinem Herrn stand, sog scharf die Luft ein und fasste nach seinem Schwertgriff. Inutaishou warf ihm einen gebieterischen, verneinenden Blick zu und wandte sich erneut dem Wolfsdämonen zu. „Es gibt keinen Grund für Beleidigungen, Wolf. Ich will niemanden provozieren. Darum solltest du das auch lassen.“ Der Wolfsdämon kraulte eines seiner Tiere begütigend an den Ohren und kam skeptisch näher. „Gastfreundschaft könnt Ihr nun mal nicht von uns erwarten, Hundeherr, das ist Euch ja hoffentlich klar? Ihr seid hier nicht willkommen.“ „Ich weiß“, meinte Inutaishou ruhig, „und wenn ihr Wölfe es unbedingt wollt, gehe ich sofort wieder. Allerdings werde dann mit einem Heer und einem gezogenen Schwert zurückkommen. Such es dir aus, es liegt ganz bei dir.“ Kurzzeitig herrschte bedrohliche Stille. Die rötlichen Augen des Wolfsdämons begannen unheilvoll zu glühen. „Scheinbar seid Ihr genau so, wie es unsere Ältesten erzählen. Sind Drohungen und Gewalt Eure einzige Sprache? Dann seid Ihr ein Tyrann. Doch damit macht Ihr mir keine Angst, irgendwann werdet Ihr für Eure Untaten büßen!“ „Du enttäuschst mich“, antwortete Inutaishou, seine Stimme war immer noch erstaunlich ruhig: „Ich hätte dich für klüger eingeschätzt. Willst du dir nicht erst selbst ein Bild machen, bevor du dein Urteil über mich fällst? Oder hörst du lieber auf das Gerede alter, verbitterter Kriegstreiber, die vergangenen, am Stolz kratzenden Niederlagen nachweinen? Vielleicht tröstet es dich, wenn ich dir sage, dass es damals in dem Konflikt zwischen Hunden und Wölfen keinen echten Gewinner gab. Ich habe auch viel dabei verloren.“ „Oh, wie bedauerlich für Euch“, bemerkte der Wolfsdämon, „wenn Ihr allerdings nach Mitleid sucht, seid Ihr hier falsch... Aber gut, ich möchte tatsächlich nicht vorschnell urteilen. Also, frage ich Euch nochmals: was wollt Ihr hier?“ „Ich will mit dem Anführer der Wölfe reden.“ „Welchem Anführer? Wir Wölfe sind frei, wir sind die Kinder der ungezähmten Wildnis und gehorchen nur uns selbst. Wir haben keinen Herrn. Niemand kann einen Wolf an die Kette legen, nicht einmal Ihr!“ „Aber jedes Wolfsrudel hat auch jemanden, der seine Getreuen leitet und schützt, jemanden, dem jedes andere Rudelmitglied folgt. Die Wölfe des Nordens bilden momentan die größte, stärkste und einflussreichste Gruppe. Deswegen suche ich den Leitwolf des Nordrudels.“ Der Wolfsdämon lächelte hintergründig. „Ihr seid gut über uns informiert, Hundeherr, das muss ich Euch lassen... Und was habt Ihr mit dem Leitwolf des Nordens zu bereden?“ Inutaishou betrachtete den Wolfsdämonen eine Zeitlang, als suche er in dessen Gesicht etwas. Seine bisher ruhige Stimme änderte sich und bekam nun einen zunehmend harten Unterton, offensichtlich war seine Geduld langsam erschöpft. „Du stellst sehr viele Fragen, Wolf. Eigentlich stünde das eher mir zu. So würde ich beispielsweise gerne wissen, warum Angehörige deiner Art mein Schloss angegriffen haben und meinen Sohn entführen wollten, während ich durch eine mehrtägige Schlacht abgelenkt und fort war. Das lässt sich sehr leicht als Kriegserklärung interpretieren. Ich komme nicht als Bittsteller zu euch, ich will diesen Vorfall klären. Und falls ihr Wölfe an der Bewahrung des Friedens zwischen uns interessiert seid, solltet ihr mir bei der Aufklärung helfen. Sonst sehe ich mich gezwungen eure Kampfansage zu erwidern.“ Dieses Mal zeigte der Wolfsdämon eine überraschte Miene, sein Gesichtsausdruck grenzte sogar an Fassungslosigkeit. „Das...“ stammelte er, „das ist unmöglich... Was redet Ihr denn da? Von so einem Angriff auf Euer Schloss wüsste ich... Ihr lügt! Es gab nie irgendwelche Pläne Euch anzugreifen!“ „Du willst mich der Lüge bezichtigen?“ Bei diesen Worten hielt Inutaishou keinen Groll mehr zurück, sein Youki wallte drohend auf: „Meinetwegen zeige ich dir die Toten beider Seiten und bereite dir dann neben den Wolfsschädeln ein weiteres Grab. Das ist meine letzte Warnung. Nicht ich bin hier derjenige, der einen Waffenstillstand gebrochen hat!“ Der Wolfsdämon wurde blass, er war auf einmal wie ausgewechselt. Absolute Betroffenheit spiegelten sich in seinen dämonischen Augen. Er hätte ein hervorragender Schauspieler sein müssen, um seine fortdauernde Bestürzung zu verbergen. „Ich...“ brachte er schließlich heraus, „bitte, das ist... verzeiht mir, vielleicht habe ich Euch Unrecht getan... Das ist wohl alles ein großes Missverständnis! Wenn Ihr wollt, könnt Ihr mit mir verhandeln. Nicht weit von hier ist eine Höhle, dort sind wir ungestört. Mein Name ist Chugo, Ihr könnt Euch sicher sein, ich meine es ehrlich. Und ich möchte keinen Krieg.“ Inutaishou nickte. „Chugo“, sagte er. In der Art, wie er diesen Namen aussprach, klang es, als würde er eine Vermutung bestätigen: „Du bist einer der ranghöchsten Wölfe. Der Stellvertreter vom Leitwolf des Nordrudels. Und einer der Wächter des Wolfsdämonen-Friedhofs. Du besitzt ein hohes Ansehen bei deinesgleichen. Kannst du für alle Wölfe des Nordens sprechen?“ „Ich sagte schon, wir Wölfe lassen uns nur ungern binden“, erklärte Chugo zögernd, „wir respektieren zwar unsere Rudelführer und wir haben unsere Regeln, aber wir müssen ihnen nicht unbedingt folgen. Daher kann ich nicht für alle Wölfe sprechen, doch ich habe Einfluss. Ich werde Euch zuhören und so gut es geht helfen. Wenn Ihr wirklich von Wölfen angegriffen wurdet, ist das eine sehr ernste Sache, die geklärt werden muss. Bitte, folgt mir!“ Mit einem weiteren Kopfnicken nahm Inu Taishou die Einladung des Wolfsdämons an und schickte sich an ihm zu folgen. Sofort schlossen sich Kage, der Heermeister, Tamahato und vier weitere Krieger ihrem Herrn unaufgefordert an. Chugo trat den Soldaten abwehrend entgegen. „Nein!“ bestimmte er und forderte Inutaishou auf: „Ihr kommt mit mir allein!“ „Von wegen, Wolf! Das lass ich nicht zu“, erhob Kage seinen zornigen Einwand: „Ich vertraue keinem potentiellen Feind!“ „Wir sind in einem für uns Wölfe heiligem Gebiet“, gab Chugo verärgert zurück, „wollt ihr uns beleidigen? Ich habe nichts Unehrenhaftes vor.“ „Lass nur, Kage“, sagte Inutaishou besänftigend, „es ist schon in Ordnung. Schlagt das Lager auf, ruht euch aus, wir haben morgen noch einen weiten Weg vor uns. Danach stehen uns weitaus schwierigere Verhandlungen bevor. Ich möchte das hier gütlich geregelt haben, bevor ich zu den Drachen reise.“ „Herr, bei allem Respekt“, begehrte Kage auf, „es könnte eine Falle sein! Ihr solltet nicht allein gehen!“ Inutaishou lächelte amüsiert. „Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen. Es besteht keine Gefahr.“ Damit wandte sich der Hundefürst wieder dem Wolfsdämonen und dessen tierischen Begleitern zu. „Ich vertraue dir, Chugo. Lass uns gehen!“ Kage und Tamahato beobachteten, wie der Inu no Taishou zusammen mit Chugo und seinen Wölfen den bewaldeten Berghang hinauf verschwand. „Manchmal würde ich diesen Hund am liebsten anleinen und ihm einen Maulkorb verpassen“, fauchte Kage, „was glaubt er, wer er ist? Jedermanns Liebling? Unter den Wölfen gibt es bestimmt mehrere, die unserem Herrn voller Entzücken den Hals durchschneiden würden. Hat er vergessen, was damals alles vorgefallen ist? Alle Wölfe, die an diesem längst vergangenen, scheußlichen Krieg direkt beteiligt waren, sind zwar tot, aber die Geschichten darüber leben weiter und werden natürlich mit Vorliebe zunehmend umgedeutet. Und es gibt immer irgendwelche dämlichen, selbsternannten Helden, die sich zum Rachegeist berufen fühlen. Ein heimlich verborgenes, rasch geführtes Mördermesser ist schließlich schnell bei der Hand!“ „Sicher, Kage-sama“, meinte Tamahato, „doch so dumm ist unser Herr nun auch wieder nicht. Und seiner Intuition konnten wir bisher immer trauen. Wenn er meint, dass keine Gefahr besteht, gibt es wohl auch keine. Zur Not kann er ja tatsächlich auf sich aufpassen. So wie wir auf uns auch.“ Der Heerführer gab einen entrüsteten Laut von sich. Wütend wies er die hinter ihm abwartenden Krieger an auf die Jagd zu gehen, um Fleisch zu besorgen. Danach brüllte er Befehle zur Lagerbereitung und Wacheinteilung. Mit seiner barschen Stimme machte er keinen Hehl aus seiner derzeitigen Laune, daher beeilten sich alle den Befehlen ihres zornigen Hauptmanns Folge zu leisten. Tamahato ging zu der Kriegertruppe, die Sesshoumaru, Seto und Yoshio während dem Auftauchen der Wölfe schützend eingekreist hatte, und unterdrückte ein Grinsen. Er konnte Kages Ärger gut nachvollziehen und er wusste, dass sich hinter der aggressiven Fassade des dämonischen Flughunds nur Besorgnis verbarg. Kaum jemand von Inutaishous Getreuen mochte den Fürsten eben gern allein irgendwohin gehen lassen, dafür verehrten und liebten sie ihn alle zu sehr. „Sollen wir jetzt etwa schlafen gehen?“ fragte Seto seinen älteren Kampfgefährten, als dieser zu den jungen Hunden kam. „Keine schlechte Idee“, antwortete Tamahato, „Welpen brauchen viel Schlaf zum Wachsen.“ Mit einem leichten Lächeln sah der alte Soldat kurz zu Sesshoumaru und Yoshio, die ungerührt am Boden saßen. Neben den beiden kramten derweil die zwei einzigen, nicht kriegerischen Diener aus Inutaishous Gefolge im Gepäck des Fürsten herum und breiteten Decken aus. Alle anderen hatten sich währenddessen höflich ein Stück von dem Fürstensohn und seinen Begleitern zurückgezogen und halfen nun bei der Vorbereitung des Nachtlagers. Einige Krieger sammelten Holz und zündeten Lagerfeuer an. Es würde schon bald dunkel werden und nachts war es in den Bergen des Nordens kalt. „Ich bin doch kein Baby mehr“, murrte Seto und betrachtete missfällig die vorbereiteten, weichen Decken und Felle. „Sonst schläfst du doch auch immer so gerne“, entgegnete Tamahato, „was stört dich daran? Wer sich kindisch verhält, wird eben auch wie ein Kind behandelt. Es könnte schlimmer sein, also beschwer dich nicht.“ „Schon gut, schon gut...“ Grummelnd setzte sich Seto neben Sesshoumaru auf den Boden und verfiel wie dieser und Yoshio in demonstratives Schweigen. Allerdings konnte er nur schwer dauerhaft den Mund halten. Nachdem Tamahato wieder gegangen war und sich nach einer Runde durch die Reihen seiner soldatischen Kameraden dem Hauptmann Kage zugesellte, brach es aus dem jugendlichen Hundedämonen heraus: „Also, so langsam nervt mich das alles. Das ist echt die langweiligste und bescheuertste Reise, die ich je erlebt habe!“ Yoshio seufzte leise. „Was hast du erwartet? Das ist ja kein Erholungsurlaub.“ „Das weiß ich auch“, gab Seto gereizt zurück, „aber deshalb braucht man uns doch nicht wie ein zerbrechliches Gepäckstück zu behandeln. Wir könnten uns ja wenigstens zwischendrin mal was angucken gehen dürfen oder so. Oder warum lässt man uns stattdessen nicht einfach mal bloß in Ruhe? Wir können ja nicht mal pinkeln gehen, ohne dass irgendwelche Wachhunde hinterher rennen!“ „Ach nee, was du nicht sagst“, spöttelte Yoshio, „dann rat doch mal, wem wir diese Zusatzwache und diese überaufmerksame Fürsorge zu verdanken haben...“ „Reit nur drauf rum und ich vergesse meine gute Erziehung!“ drohte Seto. „Hast du so was wie eine Erziehung überhaupt?“ reizte Yoshio frech weiter. „Seid still!“ Sesshoumarus Befehl war zwar sehr leise, hatte aber sofort die gewünschte Wirkung. Seto und Yoshio verstummten und sahen den kleinen Dämonenprinzen überrascht an. Es waren die ersten Worte, die der Fürstensohn seit Reisebeginn an seine jugendlichen Begleiter richtete. Noch überraschender war dabei Sesshoumarus Gesichtsausdruck. Bisher hatte er ziemlich abgestumpft und bedrückt gewirkt, doch nun wirkte er ganz anders, regelrecht abenteuerlustig. „Wir legen uns schlafen und warten, bis sich alle anderen auch zur Ruhe gelegt haben“, fuhr Sesshoumaru flüsternd fort: „In der zunehmenden Dunkelheit ist es leicht die Waldesschatten als Deckung zu benutzen, sobald keiner zu uns sieht. Sehr viele Wachposten wurden nicht aufgestellt und Kage, der uns orten könnte, ist mit Tamahato auf der anderen Lagerseite. Der Wind steht ebenfalls günstig. Wir stopfen unsere Decken mit nicht benötigten Kleidungsstücken aus. Keiner wird es wagen uns zu stören, wenn wir angeblich schlafen. So wird niemand unsere Abwesenheit bemerken.“ Perplex starrten Seto und Yoshio den Fürstensohn an. „Äh“, wagte Yoshio vorsichtig einzuwerfen, „ich glaube, ich habe dich gerade nicht richtig verstanden... planst du etwa auszubüxen?“ Völlig ernst nickte Sesshoumaru dem Wolfshundedämonen zu. „Ich gehe hinunter in die Schlucht, ich möchte mir den Friedhof der Wölfe ansehen. Das interessiert dich doch auch sehr, nicht wahr?“ „Äh...“ Yoshio war sprachlos. Seto fehlten ebenfalls die Worte. Für eine Weile zumindest, dann explodierte er fast. „Sesshoumaru-sama, verzeiht, wenn ich das jetzt so sage, aber... spinnst du kleiner Scheißer jetzt total? Du glaubst doch nicht, dass ich da mitmachen werde? Nach all dem, was passiert ist... Ich meine, du kannst dir ja wohl denken, was dein Vater davon halten würde! Er würde dir mit Recht den Hintern versohlen und mich in meine Einzelteile zerlegen. Die Zeit der Kinderstreiche haben wir, dachte ich, hinter uns! Willst du den Inu no Taishou schon wieder enttäuschen?“ Sesshoumaru ging nicht auf Setos unverschämten Tonfall ein, er sah zu Boden. „Nein“, meinte er dann, „ich möchte ihn nicht nochmals enttäuschen. Aber Chichi-ue ist nicht da und er wird es nie erfahren. Ich will in diese Schlucht und ich werde dorthin gehen.“ „Aber warum denn bloß?“ Setos Stimme klang nun fast verzweifelt. Nach einem kurzen Seitenblick auf Yoshio sprach Sesshoumaru weiter: „Ich will wissen, was damals passiert ist. Vor meiner Geburt, als mein Vater den vergessenen Krieg gegen die Wölfe geführt hat. Über diese Sache ist so gut wie nichts zu erfahren. Fragen darauf werden auch nie beantwortet. Dahinter steckt irgendein bedeutungsvolles Geheimnis und ich will es herausfinden. Auf dem Friedhof der Wolfsdämonen, in dem viele Geheimnisse bewahrt werden, können wir möglicherweise etwas von diesem Rätsel lösen. Das ist eine Chance, die wir sonst vielleicht nie wieder haben.“ „Das... aber das... das ist doch...“ druckste Seto herum und blickte schließlich herausfordernd Yoshio an: „Sag doch auch mal was! Red ihm diesen Blödsinn aus! Du hast doch gehört, was Tamahato und der Inu no Taisho zu all dem gesagt haben!“ „Ja...“ murmelte Yoshio nachdenklich und starrte dabei intensiv auf seine krallenbewehrten Hände, „aber genau deswegen werde ich mit Sesshoumaru mitgehen. Ich will auch endlich etwas über den vergessenen Krieg erfahren. Irgendwie hatte ich schon immer das Gefühl, dass das teils was mit mir und meinen Eltern zu tun hatte. Ich möchte wissen, was. Und ich muss endlich wissen, wer meine Eltern eigentlich waren.“ „Ob du ebenfalls mitkommst, ist deine Sache“, fügte Sesshoumaru an Seto gewandt hinzu: „Aber eins sage ich dir: wenn du uns beide verpetzt, war das deine letzte Tat auf Erden! Einen Verräter werde ich nicht weiter als Leibwächter an meiner Seite dulden.“ Seto starrte den kleinen Dämonenprinzen an. Sesshoumaru blickte unverwandt zurück. Seine goldenen Augen bohrten sich regelrecht in Setos Seele. Dieselben Augen wie bei seinem Vater, dachte Seto. Und im gleichen Augenblick wusste er, dass es keinen Widerspruch mehr für ihn gab. Zudem hatte ihn nun auch die Abenteuerlust gepackt. Es war zu spät. Bevor er befürchten konnte, er würde es bereuen, hatte er schon die folgenden Worte ausgesprochen: „Ich schwöre Euch, ich würde Euch niemals verraten, Sesshoumaru-sama. Und... ich komme mit.“ Soweit das sechste Kapitel. Der Jugend sind die Flausen offenbar noch immer nicht ausgetrieben worden. Was es wohl mit dem vergessenen Krieg auf sich hat? Immerhin dürfte klar sein, dass es in der Vergangenheit großen Ärger zwischen Hunden und Wölfen gab. Im nächsten Kapitel schauen wir dann, wie sich das alles weiter entwickelt und welcher neue Ärger nun in Anmarsch ist. Eines ist jedenfalls schon mal sicher: so ganz nach Plan läuft die Reise des Hundefürsten nun nicht mehr ab... Über Kommentare freue ich mich sehr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)