Divine Justice von MajinMina (Göttliche Gerechtigkeit) ================================================================================ Kapitel 6: Kapitel 6 - Die Wirtin vom Kohagiya ---------------------------------------------- Ein neues Kapitel... wie immer würde ich mich sehr über Kommentare freuen! J Izuka will Kenshin Ratschläge geben. Yoshida ist plötzlich weg. Und da ist auch noch Okami-san, die von Kenshins Existenz als Attentäter weiß... Kapitel 6 – Die Wirtin vom Kohagiya Okami-san war froh über ihr geringes Schlafbedürfnis. Früher war sie ein echter Morgenmuffel gewesen. Kein Wunder, denn meistens hatte sie sich die Nächte um die Ohren geschlagen – nicht immer zum Vergnügen, sondern meistens ihres Berufes wegen. Als sie schließlich genug Geld beisammen hatte, um ihr eigenes Lokal zu eröffnen, kamen gleich am ersten Abend die Yakuza des hiesigen Stadtviertels und zerstörten ihr die halbe Einrichtung. Damals war Katsura Kogoro zufällig ein Gast in ihrer Herberge mit Namen Kohagiya – er regelte den Vorfall mit den Yakuza. Und nicht nur das... Er sorgte für Rache. Denn die Männer hatten sich an dem Abend noch mehr genommen als das Geld aus den Kassen... Seitdem war sie ihm treu ergeben. Und fühlte sich geehrt, ihm und den Choshuu Ishin Shishi Unterschlupf zu gewähren. Trotzdem war es anstrengend. Mit Aki und Kiku hatte sie zwar etwas Unterstützung, aber dennoch waren alle Zimmer hoffnungslos überbelegt. Heute Abend jedoch genoss Okami-san auf der Veranda sitzend einen heißen Tee. Katsura war mit einigen Männern aufgebrochen und heute waren ihm weitere zur Unterstützung nachgefolgt - und das hieß: Weniger Arbeit. Das war ihr erster freier Abend seit Monaten. Eigentlich wollte sie die Zeit nutzen, um wenigstens einmal früh zu Bett zu gehen und richtig ausgeschlafen zu sein. Doch sie hatte schon nach wenigen Minuten feststellen müssen, das sie überhaupt nicht müde war. Es war ihr eben zur Gewohnheit geworden, die halbe Nacht aufzubleiben, immer bereit, falls einer der Männer irgendetwas benötigte. Mit einem Seitenblick auf die Uhr nippte sie erneut an ihrem Tee. Schon fast halb Zwei! Wenn sie ausgetrunken hatte, würde sie sich hinlegen, ob der Schlaf nun kommen wollte oder nicht. Es war still in Herberge, die meisten Männer waren bereits von ihrem Dienst oder Vergnügen zurückgekehrt. Selbst Aki und Kiku, die mit zwei der Samurai ihren freien Abend genossen hatten, schliefen schon tief und fest ihren Rausch aus. „Wahrscheinlich werden die zwei mich mit ihrem Schnarchen auch den Rest der Nacht wach halten...“ überlegte sie lächelnd. Sie hatte die Mädchen, wenn sie auch etwas flatterhaft waren, sehr gern. Sie waren herzensgut und hatten besseres verdient, als im Milieu des Gion-Viertels aufzuwachsen. Gerade, als Okami aufgestanden war, um ihren steifen Rücken zu strecken – „Jaja, das Alter macht sich langsam bemerkbar“ – hörte sie das Knarren der Eingangstür. „Oh, noch ein Nachzügler?“ Neugierig spähte sie in den Innenhof, um zu sehen, wer wohl so spät noch aus gewesen war – und erschrak. Eine tropfnasse Gestalt watschelte benommenen Schrittes durch den Innenhof in Richtung Badehaus, eine Wasserspur hinter sich lassend. „...Kenshin?“ dachte sie ungläubig und rieb sich die Augen. Der Junge war verschwunden, aber die Wasserspur, die bis ins Badehaus führte, noch da. Ein Zeichen, dass sie nicht geträumt hatte. Okami-san überlegte. Sollte sie dem Jungen jetzt folgen und ihn fragen, was das alles sollte? Oder lieber alles ignorieren und schlafen gehen? Vielleicht war er ja betrunken und jemand hatte ihn zur Ernüchterung ins Wasser getaucht... ja, das schien sehr wahrscheinlich zu sein. Der arme Junge. Naiv wie er doch war hatten sich bestimmt einige Männer einen Spaß daraus gemacht, ihn betrunken zu machen. Mit Handtüchern bewaffnet ging Okami zum Badehaus, aus dem es bereits plätscherte. Leise und vorsichtig öffnete sie die Tür einen Spalt breit – sie wollte den Jungen ja nicht erschrecken oder seine Privatsphäre verletzen – aber sie sah, dass er noch angezogen war. Er hatte längst ihr Kommen bemerkt. „Okami-san...“ murmelte er mit tonloser Stimme ohne sich zu ihr umzudrehen und das erschreckte sie noch mehr. Irgendetwas war nicht in Ordnung. „Ich... bin nur gekommen, um dir ein paar Handtücher zu bringen.“ Meinte sie sanft. Sie bekam keine Antwort. „Da... ich lege sie dir hier vor die Tür.“ Kaum getan eilte sie verwirrt in die Küche und setzte Wasser auf. Was hatte der Junge bloß? Seine sonst so freundliche, wenn auch zurückhaltende Gegenwart hatte gerade eben sehr beängstigend auf sie gewirkt. Okami-san konnte Eins und Eins zusammenzählen. Immerhin war sie die Wirtin dieser Herberge, ihr blieb nichts verborgen. Deshalb wusste sie, auch wenn es Katsura ihr nicht wortwörtlich so erzählt hatte, was die Bestimmung des Jungen war. Er sollte der neue Hitokiri sein. Der letzte dieser Sorte – allesamt waren es gefährliche, blutrünstige, emotionslose Männer gewesen, mit einem Lebenslauf, den man besser nicht zu Papier brachte – war in einem Gefecht vor einigen Wochen umgekommen. Es hatte sie gewundert, dass Katsura-sama die Stelle so lange unbesetzt gelassen hatte, wo sie doch so wichtig für das Gelingen der Revolution war. Doch schon seit seiner Ankunft des Jungen hatte sie es mehr geahnt als gewusst: Die Stelle war wieder neu besetzt. Spätestens, als sie den Jungen vom Küchenfenster aus im Hof trainieren sah, hatte sich ihr Verdacht bestätigt. Nachdem sie daraufhin Katsura angesprochen hatte – sie war wirklich wütend gewesen – hatte er es nicht geleugnet. Sie brachte Katsura-sama zuviel Ehre entgegen, um an ihm, seinen Worten oder seinen Taten zu zweifeln. Jedoch konnte sie es in ihrem Herzen nicht gutheißen, einen Jungen wie Kenshin, der so unschuldig, rein und idealistisch zu sein schien, für derartige blutrünstige Aufgaben zu missbrauchen. Sie wusste wie Katsura, dass es den Jungen zerstören würde. Deshalb hatte sie insgeheim beschlossen, ihm soviel Unterstützung zu geben, wie sie konnte. Sie würde keine Angst vor ihm haben, so wie dass die Männer vielleicht bald hätten. Denn ihre mütterlichen Instinkte betrogen sie nicht. Sie war sich sicher, das Kenshin ein von Herzen gutmütiger und friedliebender Mensch war. So gutmütig, dass er bereit war, das wertvollste, was ein Mensch besitzen konnte unwissend für das Glück anderer Menschen opfern – seine unschuldige Seele. --- Eimer nach Eimer über sich ausleerend, wusch Kenshin das restliche Blut und das dreckige Wasser des Kanals von sich ab. Das unheimliche, bernsteinfarbene Glitzern war längst schon aus seinen Augen verschwunden und einem stumpfen Blau gewichen. Sein Herz zuckte schmerzlich in seiner Brust, als er die Handtücher vor der Tür sah. Okami-san war so gut zu ihm gewesen. Nun, da sie ihn so gesehen hatte, musste sie ihn verachten... Er nahm eines der weißen Handtücher und rubbelte sich schnell trocken. Im Eiltempo schrubbte er nun bereits zum zweiten Mal in dieser Woche, nur mit einem Handtuch bekleidet seine Choshuu-Uniform sauber, wobei er wie beim ersten Mal krampfhaft versuchte, an nichts zu denken. Zur gleichen Zeit wankten zwei Samurai, offensichtlich mehr als betrunken, im Mondlicht durch die Eingangstür in Richtung ihrer Zimmer. Als sie Kenshin im Hof hocken sahen, halbnackt, die Wäsche schrubbend, brachen sie in Gelächter aus und lallend amüsierten sie sich über „Katsura’s kleinen Dienstjungen“. Kenshin wendete seinen starren Blick nicht einmal von der Wäsche vor ihm ab und mit einem Schulterzucken gingen die Männer schließlich zu Bett. Kenshin hängte die tropfende Uniform auf und beeilte sich, zum Zimmer zu kommen und sich umzuziehen. Schon auf dem Flur wusste er, das Yoshida nicht anwesend war und daher schmiss er das Handtuch einfach in eine Ecke und zog sich hastig seine zivilen Kleidung an. Wenige Minuten später stand er vor Izukas Zimmer, aus dem schwacher Kerzenschein durch das Reispapier der Schiebetüren leuchtete. Leise klopfte Kenshin an das Holz des Türrahmens und Izukas helle Stimme gebot ihm Einlass. Steif setzte sich Kenshin auf das Kissen gegenüber von Izuka und seinen zwei Handlangern. Er vermied es, ihre Gesichter anzusehen doch spürte er ihren Wiederwillen, mit ihm in einem Raum sitzen zu müssen. Und etwas anderes... was war es? Respekt? Oder Angst? „Warum hat das so lange gedauert?“ fuhr in Izuka, offensichtlich kein bisschen ängstlich, barsch an. „Ich warte schon über eine halbe Stunde.“ Kenshin fixierte die Sake-Flaschen auf dem Tisch zwischen ihnen und antwortete schließlich mit leiser Stimme: „Ich ... musste mich erst sauber machen.“ „Na...zum Glück ist der Sake noch warm.“ Izukas Stimme war nun versöhnlich, als er Kenshin und sich zwei Schälchen voll goss. „Hier.“ Er schob eines der Schälchen in Kenshins Richtung. „Schon mal Sake getrunken?“ Kenshin schüttelte den Kopf. Als er auf die im Kerzenlicht schimmernde Flüssigkeit sah, musste er plötzlich an seinen Meister denken. Sake und sein Shishou... zwei Dinge, die untrennbar miteinander verknüpft waren. Fast hätte sich ein wehmütiges Lächeln in sein Gesicht geschlichen. Mit einem genüsslichen Schlürfen hatte Izuka bereits sein Schälchen gelehrt und schenkte sich ohne Scham gleich das Zweite ein. Auch dieses trank er in einem Zug, bis er bemerkte, dass Kenshin seinen Sake immer noch nicht angerührt hatte. „Hey Himura. Trink, sonst wird er kalt.“ Erneut schüttelte Kenshin den Kopf. Ihm war jetzt nicht danach, Sake zu trinken und schon gar nicht wollte er an seinen Meister erinnert werden. „...dann nicht!“ Izuka nahm Kenshins Schale und trank sie ebenfalls leer. Kenshin spürte abermals die misstrauischen Blicke der Männer in Izukas Rücken und wünschte sich, dieser würde endlich zur Sache kommen. Er fühlte sich auf einmal sehr erschöpft. „Nun, Himura, du bist wohl nicht besonders kommunikativ. Aber du sollst mir sowieso nur zuhören...“ Izuka hatte die Flasche endlich ausgetrunken und seine Wangen waren bereits leicht gerötet. „... das war nichts!“ Kenshin hob den Blick. „Deine Mission heute Abend – ich gebe zu, sie war nicht besonders leicht – wäre um ein Haar fehlgeschlagen. Wenn ich nicht mit Umino und Hatomo vor dem Eingang der Gasse einen lauten Wortstreit angefangen hätte, wären nicht binnen fünf, sondern binnen einer Minute die Bakufu-Truppen alarmiert gewesen.“ Schweigsam wartete Kenshin darauf, dass Izuka weitersprach. „Naja... wenigstens hast du die Typen erledigt. Ehrlich gesagt...“ er beugte sich über den Tisch und sein nach Sake riechender Atem wehte zu Kenshin herüber, „... ich habe nicht gedacht, das du Yabu Sekura erledigen kannst.“ Mit einem Lachen setzte er sich wieder zurück. „Die Jungs wollten sogar schon mit mir wetten...“ Mit einem kalten Blick fixierte Kenshin die beiden abgehalfterten Samurai, die daraufhin unruhig hin und her zu rutschen begannen. „Egal!“ Alle zuckten zusammen, als Izuka mit der Faust auf den Tisch schlug, dass die Sakeschälchen hochsprangen. „Wer nach dem, was heute Abend geschehen ist, noch solche Wetten abschließt ist bekloppt! Wie du den Typen erledigt hast! Der Wahnsinn. Ein glatter Schlag, aufgeschlitzt von rechts unten nach links oben, schneller als das Kenboku Shio Battoujutsu! Mein Kompliment.“ Mit steinerner Miene begegnete Kenshin Izukas Enthusiasmus. „Du darfst dich ruhig freuen, Junge!“ rief dieser stahlend. „Freuen?...“ Ungläubig hielt Kenshin inne. Was gab es an der Tatsache, einen Menschen aufgeschlitzt zu haben, zu freuen? „Yabu Sekura war wohl einer der fähigsten Schwertmeister, die sich zur Zeit in Kyoto befinden. Sein Name ist überall in Japan bekannt. Noch nie wurde er in seinem Kenboku Shio Battoujutsu geschlagen! Es war bisher immer absolut tödlich.“ „Dann war ich wohl tödlicher...“ Kenshins ausdruckslose Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Oh ja!“ lachte Izuka, als er sich aus der zweiten Sakeflasche einschenkte. „Darauf kannst du deinen Arsch verwetten! Aber hör mir gut zu! Du musst vorsichtiger sein! Nach dem heutigen Abend werden alle Shogunats-Anhänger ihre Sicherheitsvorkehrungen verdoppeln. Die werden ganz schon Schiss haben vor dem Hitokiri, der Yabu gekillt hat!“ Kenshins Augenbraue zuckte bei den letzten Worten. „Jedenfalls, so etwas wie heute darf dir nicht noch mal passieren!“ Auch die zweite Flasche war geschwind geleert, Izukas Blick wurde glasig und seine Zunge schwer. „Wenn ich dir nen Ratschlag geben darf: Du musst noch schneller werden! Gib den Arschlöchern einfach keine Zeit, ewig mit dir herumzudiskutieren! Dafür bist du nicht da, Katsura-sama redet sich die Zunge fusselig, aber du wirst für’s Töten bezahlt. Also Himura: Das nächste Mal bist du schneller, kapiert?! Schnell, akkurat, unsichtbar – so soll ein Hitokiri sein. Außerdem... ich geb dir nen Tip: wenn du nicht so ne Sauerei machst, mussudich und deine Klamotten Nachts nich mehr Stunden waschen, ne? Du willst doch deinen Job ordentlich erledigen und Katsura nich in die Scheiße reiten!“ Kenshin’s Finger hatten sich in dem Stoff seines Gi’s gekrallt. Der betrunkene Izuka nahm, im Gegensatz zu seinen immer ängstlicher schauenden Männern das gefährliche Glitzern in seinen Augen nicht wahr. „Hai Izuka-san. Der Job wird ordentlich erledigt.“ Presste er schließlich zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor. „Gut gut.“ Gluckste Izuka. „Merke dir einfach: Wenn du Mitleid mit deinen Feinden hast, hast du Mitleid mit den Falschen. Die haben auch kein Mitleid, wenn sie dich mal zu fassen kriegen sollten. Hoffen wir, dass du diese Erfahrung nie machen musst. Du kannst jetzt gehen.“ Mit kaltem Blick stand Kenshin auf und verließ den Raum. Hinter sich hörte er Seufzer der Erleichterung von Umino und Hatomo, gerade als er die Schiebetür schloss. Wütend stapfte er auf sein Zimmer. Vor seiner Tür entdeckte er ein Tablett mit heißem Tee und ein paar Reisbällchen. Er ließ es einfach stehen und schloss die Schiebetür. Wie konnte Izuka es wagen, ihm was von Schnelligkeit zu erzählen? Soweit er sich erinnerte, hatte er ihn noch kein einziges Mal beim Kämpfen beobachtet. Und das mit dem Blut... glaubte Izuka etwa, dass es toll war, so auszusehen? Wie soll man es vermeiden, jemanden mit dem Schwert zu töten und dabei kein Blut abzubekommen? Vielleicht war es möglich aber... dafür hatte er wohl noch nicht genug... Übung. Ein Schauer rann ihm den Rücken hinab als er sein Schwert betrachtete, was bereits von vier Menschen das Leben gefordert hatte. Izuka-san sprach von Mitleid... hatte er denn Mitleid mit seinen Feinden? Vielleicht fiel ihm das Töten ja deswegen so schwer. „Mitleid ist dumm.“ Sprach seine Innere Stimme. „Wie Izuka schon sagte: Es sind Feinde! Die werden auch kein Mitleid mit mir haben.“ Ihm fiel der Gemüsehändler wieder ein. Auch er hätte kein Mitleid von diesen Samurai erfahren. Menschen, die anderen kein Mitleid gewährten, verdienten selbst auch keines! Doch er konnte einfach das Gefühl der Schuld nicht beseitigen, wie er es auch drehte und wendete. Ein Teil von ihm wusste, was seine Bestimmung als Hitokiri war. Ein anderer Teil wollte das nicht akzeptieren. Er musste an die zwei Bodyguards von Yabu denken. Sie waren Freunde gewesen. Sie wurden wahrscheinlich einfach nur für ihren Job bezahlt, nichts weiter... Es tat ihm so Leid. „Nicht denken!“ befahl die innere Stimme. „Handeln. Ein Schwert hat keine Gefühle. Ein Schwert kennt kein Mitleid.“ „Doch...“ dachte sich Kenshin. „Wenn ich auch für ein neues Zeitalter töten muss.... dann kann ich wenigstens schnell töten. Ein schneller Tod. Das ist die einzige Gnade, die ich gewähren kann...“ Kenshin starrte gedankenverloren auf Yoshidas Bett. Endlich begann er sich zu fragen, wo sein Zimmergenosse eigentlich war. Es musste jetzt mindestens schon vier Uhr nachts sein. Normalerweise kam selbst Yoshida so spät nicht nach Hause. Lag da nicht etwas auf dem Futon? Kenshin stand auf und fand einen zusammengefalteten Zettel auf Yoshidas Kopfkissen. „An meinen rothaarigen Zimmergenossen!“ stand mit krakeliger Schrift darauf geschrieben. Er faltete den Zettel auf. Hey Kenshin. Ich konnte nur bis Mittag auf dich warten, aber du bist nicht gekommen. Deswegen der Zettel. Heute Morgen hat mich Katagai in eine neue Einheit eingeteilt. Stell dir vor, ich darf jetzt mit Buntaro und einigen anderen Katsura-sama auf seiner Reise in die Provinz Tosa begleiten. Dort sollen wohl einige Bündnisse getroffen werden, auch Ausländer werden dabei sein! Vielleicht sehe ich sogar mal einen mit gelben Haaren. Das muss noch komischer Aussehen wie dein roter Schopf! Wir werden wohl einige Wochen weg sein. Allerdings will Katsura-sama noch vor Einbruch der großen Schneefälle wieder nach Kyoto zurückkehren. Daisuke ist ganz schön neidisch, dass er nicht mitkann. Ich hoffe, du bist nicht auch neidisch? Ich vermisse dich und freue mich auf die Rückkehr, dann kann ich dir viele neue, tolle Geschichten erzählen! Pass gut auf dich auf, Kenshin! Yoshida Kenshin lies die Hand mit dem Zettel sinken, unschlüssig, wie er sich nun fühlen sollte. In seinem Inneren fühlte er sich so erschöpft wie noch nie. Die Bluttaten des Abends pochten beständig an der Tür zu seinem Bewusstsein und er musste sich konzentrieren, sie zu unterdrücken. Nichts hätte er im Moment lieber getan, als mit Yoshida zu sprechen. Sich von ihm ablenken zu lassen. Und vielleicht sogar alles zu erzählen. Alles loszuwerden – es nicht wie einen riesigen Stein um den Hals mit sich herumtragen zu müssen. Seine inneren Gefühle jemandem anvertrauen. Jemandem, der verstehen würde. Jemanden, der wusste, dass er kein kaltblütiger Killer war. Aber äußerlich in seinem Gesicht spiegelten sich keine Reaktionen auf den Brief wieder, keine Inneren Gefühle schafften den Weg aus ihrem gut verschlossenen Gefängnis heraus, kein Schrei der Enttäuschung und des sich Verlassen-Fühlens schlich sich über seine Lippen. Warum auch? Irgendwie fühlte er sich erleichtert, allein zu sein. Außerdem... vielleicht war es besser für Yoshida, weg von Kyoto zu sein. Der Zettel fiel zu Boden. Weg von ihm... -- Er stand! Endlich hatte er es geschafft, aufzustehen. Die Sonne dämmerte bereits am Horizont und färbte den Morgenhimmel in ein frisches Rot. Körper vor ihm warfen ihre langen Schatten. Sie lagen auf dem Boden, der bedeckt war mit zertrampeltem Getreide, vermischt mit Erde und getrocknetem Blut. Die Wut über seine Hilflosigkeit war einer tiefen Trauer gewichen. Alle tot... Die verhassten Banditen, die sie überfallen hatten. Die Sklavenhändler. Die Mädchen, die ihn, wenn auch nur für kurze Zeit, als ihren Bruder aufgenommen hatten. Doch der Tod macht vor niemandem halt. Und im Tod sind alle gleich. Was vor ihm hier auf dem Boden lag, das waren nur Körper. Leblose Hüllen der Menschen, die er vorher vielleicht gelacht oder Pläne mit ihrem Leben gemacht haben. Alles vorbei. Er hatte sie nicht retten können. Langsamen Schrittes ging er auf den Wagen zu, der Wagen seiner Besitzer. Auf ihm türmten sich ihre paar Habseligkeiten und Gerätschaften zur Arbeit. So waren sie zur Erntezeit durch das Land gezogen. Auf der Suche nach reichen Bauern, die Aushilfsarbeiter benötigten, denn billige Hilfskräfte wurden immer gebraucht. Das, was er suchte, fand er schließlich unter einigen Bündeln. Die Schaufel. Dann begann er im immer heller werdenden Tageslicht zu graben. Gruben für diejenigen, die diesen trügerisch strahlenden Morgen nicht mehr erleben würden. Der kleine Junge grub. Grub den ganzen Tag. Bis schließlich die Abenddämmerung hereinbrach. Er sah auf seine kleinen Hände, schwielig und voller Blasen von der harten Arbeit. Plötzlich waren seine Hände viel größer. Er war nicht mehr acht, sondern 14 Jahre alt. Seine Arme waren vom vielen Training gestählt und seine Hände umschlossen kraftvoll den Griff der Schaufel. Um ihn herum gähnten unzählige Gräber wie schwarze Münder aus dem Boden. Er drehte sich zu den Leichen um, die er beerdigen wollte. Sie waren verschwunden. Statt dessen lagen da vier Körper. Leichen, deren Gesichter sich in sein Gedächtnis gebrannt hatten. Sie starrten ihn mit offenen Augen an. „Warum gräbst du?“ fragten sie ihn stumm. „Um die Toten zu beerdigen.“ Hörte sich Kenshin antworten. „Mit einem Schwert kann man keine Gräber schaufeln.“ Erschrocken sah Kenshin, dass er nicht mehr die Schaufel, sondern sein Schwert in der Hand hielt, von dessen Spitze in einem dünnen Rinnsal Blut zu Boden tropfte. „Du tränkst den Boden mit Blut!“ riefen die Stimmen der Toten anklagend. „Ohne dieses Schwert müsstest du diese Gräber gar nicht schaufeln!“ Die Stimmen wurden immer lauter und immer anklagender. „Du bist schuld! Ohne dich gäbe es all diese Gräber nicht. Sie her!“ Die Gräber im Boden wurden immer mehr, endlos um ihn herum schienen sie sich zu erstrecken, kein Baum, kein Fels, nur schwarze Gruben in der Erde. „Schau!!“ schrieen die schrillen Stimmen. „All das sind die Gräber für deine Opfer! Es werden immer mehr! Wer schaufelt ihre Gräber? Wer?“ Plötzlich krochen Arme aus den Gruben, tasteten nach ihm, er war eingekreist, tote Körper wälzten sich langsam auf ihn zu, mit schrecklichen Gesichtern in denen nur der Wunsch nach seinem Tod geschrieben stand. Sie packten ihm am Bein, zogen ihn zu sich herunter, er sah sich in eine der Gruben fallen, sein eigenes Grab... Schweißgebadet schreckte Kenshin aus seinem Futon hoch. Die Decke hatte er weggestrampelt und sie lag neben ihm auf dem Boden. Am ganzen Körper zitternd tastete sich seine Hand über den kühlen Holzboden bis sie sich endlich um den Heft seines Schwertes schloss. Fast hätte er es gezogen, in Erwartung, auf feuchter Erde zu liegen und die widerlichen Körper immer noch auf sich zukriechen zu sehen Erleichtert stellte er fest, dass er allein war, nicht in einem Grab, sondern in seinem Zimmer im Kohagiya und dass der Morgen bereits am Himmel dämmerte. Mit geschlossenen Augen setzte er sich auf, mit dem Rücken an die Wand, das Schwert griffbereit gegen seine Schulter gelehnt. Die Träume wurden schlimmer. Seit seinem ersten Auftrag hatte er keine Nacht mehr ohne einen Albtraum zugebracht. Doch heute Nacht war es besonders schlimm gewesen. Der Albtraum, der ihn seit jenem schicksalshaften Ereignis seiner Kindheit verfolgte, war zurück gekommen und zwar mit Verstärkung - in Form seines schlechten Gewissens angesichts der jüngsten Vergangenheit. Langsam öffnete er seine schweren Augenlieder und lächelte traurig der aufgehenden Sonne entgegen. Was hatte er erwartet? Leute töten und dabei Nachts gut schlafen? Es geschah ihm ganz recht. Die Toten hatten allen Grund, ihn heimzusuchen. Und er würde sie nicht daran hindern. Wenig Schlaf und Albträume waren ein geringer Preis, den er für seine Taten gerne bezahlen wollte. Auch wenn er tagsüber die Reue verdrängte – immerhin war sie nachts in seinen Träumen noch da. Ein Zeichen vielleicht, dass er kein kaltblütiger Mörder war. Er beschloss, die Schrecken der Nacht schnell abzuschütteln und aufzustehen. Im Zimmer lagen noch die Handtücher, die Kenshin nun einsammelte, um sie Okami-san zu bringen. Mit schlechtem Gewissen machte er sich auf in Richtung Küche – ihm war das Tablett, das Nachts noch vor seiner Tür gestanden hatte, heute morgen jedoch schon weggeräumt war, eingefallen. Die gute Okami-san... Er ging über den Innenhof, in dem noch die Stille der frühen Morgenstunden lag. Tau war auf den Blättern zu einer weißen Reifschicht gefroren. Doch aus der Küche drang bereits leises Geschirrklappern und es stiegen bereits Rauchfahnen aus dem Kamin auf. Reumütig hatte er kaum durch die halb geöffnete Küchentür gespitzt als ihm schon ein „Ohayo Kenshin!“ entgegenschallte. „Ohayo Okami-san...“ antwortete er schüchtern. „...Die Handtücher...“ Unbeholfen stand er da, mit den ganzen Handtüchern im Arm, unfähig, Okami in die Augen zu schauen. „Leg sie einfach da drüben hin, mein Junge!“ zwitscherte Okami, was ihn noch mehr verwirrte, doch er tat, wie geheißen. „Früh auf wie immer, was? Hast du Hunger? Ich habe hier noch ein paar Reisbällchen...“ Schamesrot begann Kenshin sich zu entschuldigen. „...Ah, Okami-san, wegen gestern Nacht... Ich wollte nicht unfreundlich erscheinen, angesichts all der Güte, die ich von euch erfa- ...“ „Kein Wort mehr!“ unterbrach ihn die Gastwirtin und hielt ihm einen Reisball unter die Nase. Seufzend biss Kenshin hinein und der gute Geschmack weckten seine Lebensgeister. Dankbar aß er auch noch die zwei weiteren Bällchen auf, währen Okami sich am Herd beschäftigte, den Jungen jedoch keinen Moment aus den Augen ließ. Blass sah er heute Morgen aus, mehr wie ein Gespenst. Wie zart und fragil er doch wirkte... kaum zu glauben, dass er fähig war, ein Schwert in solcher Meisterschaft zu führen... „Kenshin...“ begann sie schließlich, die Gelegenheit, mit Kenshin allein zu sein beim Schopf ergreifend. „Du bist ein Samurai Choshuus, deswegen überlasse doch mir nächstes Mal das Wäschewaschen...“ Kenshin blieb der letzte Reisball im Hals stecken. „Nein!“ keuchte er in seinem Hustenanfall, „sie – hust – nicht meine Wäsche – husthust – anfassen – röchel.“ „Nah nah...“ Okami-san klopfte Kenshin einige Male auf den Rücken, bis er wieder zu Atem kam. „Keine Wiederrede! Deine Wäsche landet von nun an bei mir, dann musst du sie auch nicht mehr Nachts waschen...“ Kenshin starrte auf seine Hände. „... Es hat gute Gründe, warum ich meine Wäsche nachts wasche...“ „Ich weiß!“ Überrascht blickte Kenshin in Okami-sans Gesicht. Sie wusste alles. Dennoch schenkte sie ihm ein warmes Lächeln, auch wenn ihre Augen sorgenvoll und traurig waren. „Aber...“ wiedersprach er, „... ich will nicht, das ihr es seht...“ Okami-san setzte sich neben Kenshin und legte den Arm um ihn. Dieser versteifte sich angesichts dieser ungewohnten Berührung. Er konnte sich gar nicht erinnern, wann ihn das letzte Mal jemandem umarmt hatte... andererseits... es fühlte sich gar nicht so schlecht an. Schließlich entspannte er seinen Körper wieder etwas. „So ist’s gut... nun hör mir mal zu, mein Junge.“ Okami fixierte Kenshins verwirrt dreinschauende blauen Augen. „Ich bin die Wirtin der Kohagiya-Herberge. Ich habe schon einiges gesehen in meinem Leben. Und glaub mir, viele Dinge davon waren nicht sehr schön. Ich kenne den Geruch von Blut. Ich habe es viele Male aus der Kleidung von Männern gewaschen. Glaub also nicht, das ich ohnmächtig werde, wenn du mir deine Wäsche vor die Tür legst!“ „Aber ich ... das Blut...“ „Schhhh. Ich weiß, woher das Blut kommt. Es macht mir nichts aus, die Sachen für dich zu waschen. Ich bin nur eine Frau. Wenn ich ein Samurai wäre, würde ich Katsura-sama vielleicht mehr nützen. Ich würde ein Schwert tragen, und für ihn kämpfen, egal welchen Dienst er für mich vorgesehen hat – so wie du. Doch leider...“ sie stand mit einem Seufzen auf, „... bin ich nur eine alte Kurtisane, und ich tue meinen Dienst auf die Art, die ich kann. Deine Aufgabe ist soviel wichtiger. Du hast meine und Katsura-samas völlige Unterstützung. Außerdem...“ fügte sie mit einem letzten intensiven Blick in seine Augen hinzu, „... sehe ich, welche Schmerzen dir das Waschen bereitet. Lass mich wenigstens diese Last von dir abnehmen... du hast schon so schon genug Sorgen...“ Mit offenem Mund sah Kenshin Okami-san hinterher, die sich geschäftig wieder an ihre Arbeit machte, ein Kinderlied vor sich her summend. Er wusste, dass es hier um mehr als nur um seine Wäsche ging... Eine Wärme durchströmte plötzlich seinen Körper, die er glaubte, längst vergessen zu haben. Sie rief Erinnerungen in ihm wach, an lachende Stimmen, das Gesicht seiner Mutter, die ihm liebevoll über die Wange strich... Lächelnd senkte er den Kopf und sein roten Haare fielen ihm ins Gesicht. Viele Jahre hatte er diese Erinnerungen tief in sich vergraben, um in der Welt bestehen zu können. Auch jetzt würde er es wieder tun müssen, denn hier, in Kyoto, wie auch schon in den Bergen bei seinem Meister gab es für Gefühle dieser Art keinen Platz. Im Herzen eines Hitokiri schon gar nicht. Dennoch... Es tat gut zu wissen, dass es diese Erinnerungen noch ihn ihm gab. „Danke Okami-san...“ sagte er mit klarer Stimme, bevor er den Raum verließ. „...Für alles.“ -- Kein Kampfesgetummel in diesem Kapitel... Ich habe versucht, die doch sehr ernste Atmosphäre etwas zu entspannen. Außerdem ist dieses Kapitel auch wieder so eine Art Zwischenspiel, bevor der arme Kenshin wieder in den Abgrund gezogen wird. Zudem wollte ich den Charakter von Okami-san und ihre Beziehung zu Kenshin etwas erläutern. Nächstes Kapitel: Kenshin bekommt eine neue Mission und erkennt, dass er als Attentäter noch viel lernen muss... Kohagiya-Herberge: Hauptversteck der Choshuu-Ishin Shishi in Kyoto. Gion-Viertel: Rotlichtmeile Kyotos Bakufu – Die Militärregierung des Shogunats. Provinz Tosa: später mit Choshuu im Kampf gegen das Shogunat verbündete Provinz. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)