Divine Justice von MajinMina (Göttliche Gerechtigkeit) ================================================================================ Kapitel 14: Kapitel 14 - Schwäche --------------------------------- Ein langer Tag, der sich zusehends in einen Alptraum verwandelt. Freundschaften, Gefühle, Vertrauen... alles scheint dahinzuschmelzen wie der Schnee in den dreckigen Strassen... Kapitel 14 - Schwäche Den Schnurrbart zwischen zwei Fingern zwirbelnd schritt Izuka im schwindenden Abendlicht über die Engawa der Kohagiya-Herberge. Er war tief versunken in Grübeleien. Der Attentäter Himura Kenshin – oder wie die Männer ihn seit heute mit furchtvollem Unterton nannten, Battousai – beschäftigte ihn, aber auch seine eigene Zukunft ließ ihn nicht ruhig stehen bleiben. Der Vorfall mit den Verrätern würde sich bestimmt bald auflösen, aber der Schaden, der dadurch entstanden war oder noch entstehen würde, war nicht abzusehen. „So etwas darf auf keinen Fall noch einmal passieren,“ überlegte Izuka. Er hatte bereits beschlossen, die Struktur der Ishini Shishi gehörig umzukrempeln. Nur noch Mitglieder aus wohlbekannten Familien, die sich keine Schande erlauben würden, durften in den inneren Rängen zugelassen werden. Und die Ronin würde er für sich in einer gut kontrollierbare Einheit bündeln, wo im Falle eines Verrates kein großer Schaden entstehen konnte. Immerhin war Izuka bereit, alles in seiner Macht stehende zu Unternehmen, um in diesem Krieg nicht auf der Verlierer-Seite stehen zu müssen. Er lächelte schief, als ihm Himura wieder einfiel, der eine Schlüsselrolle zum Gelingen der Revolution darstellte. „Er wird bald lernen, niemandem mehr außer Katsura Kogoro und mir zu vertrauen. Freundschaft ist eine Schwäche, die Battousai nicht mehr eingehen wird – schon gar nicht, wenn er bald einen Umschlag mit drei ihm bekannten Namen erhalten wird.“ Izuka konnte noch nicht wissen, das dieses „bald“ noch am selben Abend stattfinden würde. Gerade, als er wieder in sein Zimmer hinaufgehen wollte, hörte er lautes Gelächter hinter sich. Neugierig drehte er sich um und sah, dass sich einige herumstehende Männer über einen Samurai amüsierten, der offensichtlich sturzbetrunken versuchte, möglichst würdevoll den Innenhof zu durchqueren, dabei aber ständig stolperte und schwankte. Izuka wollte auf ihn zueilen und ihm seinen Arm zur Hilfe bieten. Schließlich kannte er aus eigener Erfahrung die schlüpfrigen Steine des Hofes nur allzu gut. Doch als er sich dem taumelnden Mann näherte, erkannte er, dass es Buntaro war. „Umso besser“, dachte er hocherfreut und packte ihn am Arm. Buntaro sah ihn mit glasigen Augen an. „Yoshida,“ nuschelte er. Dann weiteten sich seine Augen plötzlich, als er zu erkennen schien, wer ihn da wirklich am Arm gegriffen hatte. Er versuchte sich loszureißen und fiel dabei der Länge nach hin. Die Männer, die dieses traurige Schauspiel beobachteten, lachten umso lauter. Izuka half Buntaro, der inzwischen zitterte wie Espenlaub, wieder auf die Beine. „Setzt dich erst mal hin,“ meinte er mit mütterlicher Stimme und führte Buntaro zur Engawa. Dort angekommen sackte Buntaro auf dem Holzboden wie ein nasser Sack in sich zusammen. „Isssuka,“ lallte er, „Ich bin eine Schande. Schande...“ Er brabbelte noch ein bisschen vor sich hin, bevor er plötzlich wieder nüchterner zu werden schien und seine kullernden Augen sich auf seinen Gegenüber fixierten. „Izuka,“ begann er erneut, seine Zunge immer noch vom Alkohol schwer, aber die Worte bewusst wählend. „Ich... Ich habe die Ishin Shishi und meine Ehre als Samurai verraten.“ „Mein Verdacht bestätigt also noch am selben Abend,“ schoss es Izuka durch den Kopf, während sein Grinsen verschwand und sein Blick hart wurde. „Ich glaube, wir unterhalten uns besser in meinem Zimmer.“ -- „Verdammte Scheiße!“ war das einzige, was Daisuke einfiel, als er von seinem Zimmerfenster aus beobachtete, wie Izuka den offensichtlich sturzbetrunkenen Buntaro vom Innenhof aus in sein Zimmer im anderen Teil des Gebäudes mitnahm. Und diese Beschreibung war für seine Situation auch ziemlich treffend. Seine Faust traf mit einem Knacken die Holzwand neben ihm. Der Schmerz berührte ihn nicht. Jede weitere Sekunde, die ihm zwischen den Fingern zerrann, brachte ihn näher an seinen Untergang. Er hatte seinem einzigen Verbündeten zu sehr vertraut – eine Schwäche, die er jetzt bitter büßen würde. „Es sei denn, mir fällt schnell etwas ein,“ überlegte er fieberhaft. Kalter Schweiß tropfte ihm von der Stirn. Heute morgen noch waren seine Pläne fast stündlich immer weiter ausgereift. Vor wenigen Stunden war er sich sicher gewesen, dieser Revolution mit einem großen Batzen Geld entfliehen zu können, bezahlt mit dem Kopf eine rothaarigen Jungen. Und jetzt? Innerhalb eines Tages nur hatte sich seine Situation ins Gegenteil verkehrt. Sein eigener Kopf war es, der in wenigen Augenblicken rollen würde. Voller aufwallender Panik überlegte Daisuke kurz, einfach davonzulaufen oder sich das Schwert selbst ins Herz zu stechen. Doch dann griff nach kurzem Zögern wieder jene Seite von ihm Besitz, die sich nicht kampflos und schon gar nicht mittellos ergeben wollte. Jene Seite, die alles tun würde, um zu überleben. „Fliehen? Dann bleibt mir nichts. Nicht mal genug Geld“, kalkulierte Daisuke, „um mich einen Monat über Wasser halten zu können. Oder alles auf eine Karte setzen?“ Daisuke entschied sich für Letzteres. Hastig schrieb er einen Brief. Die Tinte war noch nicht einmal trocken, da rauschte er schon aus seinem Zimmer, auf der Suche nach Yoshida. -- „Hat das Bad nach der langen Reise jetzt gut getan,“ seufzte Yoshida angenehm aufgewärmt und sauber. Er stand in seinem Zimmer und suchte sich frische Kleidung aus dem Schrank. Gerade hatte er sich einen dunkelblauen Gi übergezogen und grübelte halbnackt darüber, welche Hakama er dazu anlegen sollte, da wäre er fast mit einem Aufschrei in den Schrank gesprungen, als plötzlich hinter ihm die Tür schwungvoll aufgeschoben wurde und Daisuke wie eine Schneelawine hereinrauschte. „Daisuke, langsam geht mir deine Art, ohne Vorwarnung bei mir aufzutauchen, auf die Nerven“ rief er ärgerlich als Begrüßung, während er versuchte, das Gleichgewicht wiederzuerlangen, „Keine Zeit,“ antwortete Daisuke knapp und etwas außer Atem. „Wir müssen uns beeilen, zieh dich fertig an.“ „W-was ist denn los?“ Yoshida hopste schnell in die erstbesten Hakama, die Daisuke ihm mit zitternder Hand aus seinem Schrank fischte und er sah die Schweißperlen auf der Stirn seines Freundes. „Ist was passiert?“ Daisuke strich sich die schwitzigen Haare aus dem Gesicht und zwang sich zu einem falschen Lächeln. „Ach was, nichts schlimmes. Ich habe gerade nur einen dringenden Auftrag von Izuka-san bekommen und du musst mich begleiten. Sofort!“ Yoshida war überrascht.. „Von Izuka-san? Ich? Was hab ich denn damit...“ „Die anderen Männer unserer Einheit sind nicht da, wahrscheinlich irgendwo was trinken, deswegen sollst du einspringen,“ schnitt ihm Daisuke das Wort ab. „Wir müssen sofort los.“ Sein Tonfall wurde drängender.. Etwas bang steckte sich Yoshida rasch seine Schwerter in den Obi. Irgendetwas schien nicht zu stimmen, Daisuke war total nervös und das war sonst überhaupt nicht seine Art. „Was für einen Auftrag haben wir denn?“ rief er Daisuke hinterher, der schon in Richtung Tür unterwegs war. Ungehalten sein Freund sich um und legte einen Finger auf seine Lippen. Yoshida stutzte. Ein Geheimauftrag? „Naja,“ dämmerte es ihm, „was wäre anderes von Izuka zu erwarten. Immerhin ist er ja der Leiter der Geheimoperationen...“ Mit wachsendem Unwohlsein hoffte Yoshida, dass dieser Auftrag nichts Himura zu tun hatte. Seinen Freund mit blutigem Schwert inmitten von Leichen zu sehen – Yoshida wusste nicht, wie er dann jemals wieder unbefangen in die blauen Augen seines Zimmergenossen schauen sollte. Vor lauter Überlegungen hatte Yoshida nicht bemerkt, dass Daisuke einen Brief in seinem Zimmer fallen gelassen hatte. -- Durchgefroren eile Himura Kenshin zurück zum Kohagiya. Er war solange ziellos durch die Strassen geeilt, bis er wenigstens ansatzweise das Gefühlt gehabt hatte, seine Gefühle wieder unter Kontrolle zu haben. Wie hatte er sich nur so gehen lassen können? Im einen Moment hatte er noch mit innerer Ruhe, ja sogar Freude seine Kata im Dojo geübt und im nächsten Augenblick waren seine Instinkte mit ihm durchgegangen. „Meine Killerinstinkte,“ murmelte er missmutig in sich hinein. „Hat sich Yoshida doch in mir getäuscht?“ Der Tag war doch so gut verlaufen. Am Morgen noch hatte er Angst gehabt, seinem Freund und Zimmergenossen zu begegnen. Er hatte sich vor der Einsamkeit gefürchtet und trotzdem hatte er versucht, seinen einzigen Vertrauten zu vergraulen. Wie groß war seine Erleichterung gewesen, als er vom Schwertschmied Arai Shakku zurückgekommen war und Yoshida sich nicht hatte abschrecken lassen. Statt dessen hatte er sich entschieden, bei ihm zu bleiben und Kenshin war unendlich dankbar dafür gewesen. Er hatte gedacht, wenn er einen Freund hätte, dann würde er es schaffen, trotz seiner grausamen Aufgabe immer wieder in die Normalität zurückkehren zu können. Doch das war eine Illusion gewesen. Weder die beruhigenden Kata noch Yoshidas Stimme hatten seine plötzliche Wut auf Onaka, der ihn hinterrücks angegriffen hatte, bremsen können. Es war, als ob in diesem Moment des Instinkts eine andere Person in ihm das Schwert gezogen hätte. Diese andere Person, die in der Dunkelheit in ihm lebte und mit jedem Leben, das er ausgelöscht hatte, stärker geworden war, hatte erstmals ungefragt die Kontrolle über die Klinge übernommen und nur er selbst hatte sie gerade noch vor Onakas Halsschlagader stoppen können. Er selbst. Kenshins Herz klopfte und er bekam plötzlich ein ganz seltsames Gefühl. War es Angst? „Bin ich jetzt schon zwei Personen?“ überlegte er mit einem Schaudern. „Wer ist diese andere Person in mir? Ist es die selbe Person, die auch das Schwert schwingt, wenn ich einen Menschen töten soll?“ Yoshida hatte ihn gefragt, wie er es mit sich selbst vereinbaren konnte: Auf der einen Seite Menschen schützen zu wollen und auf der anderen Seite sie zu töten. „Ist das die Antwort?“ fragte sich Kenshin bang. „Ist die Antwort, dass ich mich innerlich aufspalte? Einen Teil von mir wegsperre, während der andere Teil die Kontrolle übernimmt?“ Kenshin kniff die Augen zusammen. Wenn er weiter solche Gedanken denken würde, dann würde er früher oder später durchdrehen. Er lachte bitter. „Wahrscheinlich ist es schon zu spät.“ Um nicht länger denken zu müssen, versuchte er, sich in einen Zustand kalter Ruhe zu versenken, so wie er es auch immer vor seinen nächtlichen Aufträgen machte. Das einzigste Regung, die seinen steinernen Gesichtsausdruck jetzt noch durchbrach, war das Bibbern seiner Lippen und das Klappern seiner Zähne. Erneut verfluchte er sich, seinen Haori nicht mitgenommen zu haben und beschleunigte seine Schritte. Es war bereits dunkel, als er die Herberge endlich erreichte. Etwas schuldbewusst hoffte Kenshin, dass ihn niemand gesucht hatte. Immerhin war es ziemlich verantwortungslos von ihm gewesen, einfach zu verschwinden. Es konnte ja trotz aller Zusagen dazu kommen, dass ein dringender Auftrag erledigt werden musste. Mit einem vergewisserndem Blick auf die leere Straße hinter ihm schlüpfte der rothaarige Junge schnell zum Eingang der Herberge hinein. Zügig ging er über den Innenhof zur Treppe, die ihn hoch in sein Zimmer führte. Verblüfft bemerkte er, dass trotz der Abendstunden noch ziemlich viele Männer anwesend waren und im Gang herumstanden, als ob sie nichts Besseres zu tun hätten. Er versteifte sich und machte sich schon dazu bereit, sich durch die Massen der viel größeren und breiteren Soldaten zu drängeln, als sich plötzlich die Männer seiner Anwesenheit bewusst wurden und hastig eine Gasse bildeten. Kenshin verbarg seine Überraschung und konzentrierte sich kurz, um mit seinem sechsten Sinn die Gefühle der Männer über die Ausstrahlung ihrer Ki zu lesen. Es war offensichtlich zu spüren, dass die Meisten anscheinend seit heute Nachmittag einen Sinneswandel durchgemacht hatten. Waren die vorherrschenden Gefühle, die Kenshins Anwesenheit bei den Männern auszulösen schienen, vor einem halben Tag noch Misstrauen, Verachtung und sogar Spott gewesen, so fühlte er jetzt größtenteils Angst, Respekt und Vorsicht. Grimmig schlussfolgerte Kenshin, dass diese plötzliche Veränderung wohl etwas mit seiner Entgleisung im Dojo zu tun haben musste. Anscheinend hielten die Männer ihn jetzt für einen unberechenbaren Wahnsinnigen. Kenshins unterdrückte ein zynisches Lächeln, während er mit betont ernster und ausdrucksloser Miene durch die schweigsamen Männer hindurch zu seinem Zimmer schritt. Sollten ihn die Männer ruhig für einen Psychopaten halten – wenigstens würden sie sich dann nicht länger über seine Größe, sein Alter oder seine Haarfarbe lustig machen. Oder ihn leichtsinnigerweise sogar herausfordern. Erleichtert, die glotzenden Männer hinter sich lassen zu können, schob Kenshin schnell seine Zimmertür auf und holte sofort seinen Haori. Obwohl jetzt im Inneren der Herberge, war ihm immer noch kalt und er zog den warmen Stoff schnell über. Fröstelnd überlegte er, zu Okami in die Küche zu gehen – dort würde es ein paar Grad wärmer wie draußen sein und außerdem gab es dort sicher noch etwas Abendessen. Außerdem war sie die einzigste Person, die ihn noch als den behandelte, der er vor einem Monat gewesen war – als ganz normalen Jungen. Wie sehr genoss er die Illusion, in ihrer Gegenwart noch einmal so sein zu können wie damals. Gerade, als Kenshin den Raum mit einem missmutigen Gedanken an die Hindernisse zwischen ihm und der Küche - die im Gang herumlungernden Männer - verlassen wollte, entdeckte er im Dämmerlicht einen Zettel, der auf dem Boden lag. Verwundert hob er das anscheinend achtlos dahingeworfene Papier auf. Es war unordentlich zusammengefaltet und kein Name stand darauf. Wahrscheinlich hatte Yoshida es verloren. „Wo ist er überhaupt?“ fragte sich Kenshin. Halb hatte er erwartet, seinen Freund hier im Zimmer sitzen zu sehen, mit einem grimmigen Lächeln und einem Spruch auf den Lippen wie: „Himura, schon zum zweiten Mal heute bist du vor mir weggerannt. Das mindeste, was du als Entschädigung tun kannst, ist, mir noch mal den Trick mit dem Würfelspielen zu zeigen. Ich will die Männer auch mal so abzocken, wie du das letztens getan hast!“ Doch statt dessen war alles, was von Yoshida zu sehen war, nur sein Haori auf dem Futon. Es war kein Yoshida im Zimmer und nach allem, was Kenshin spürte, als er kurz die Augen schloss und sich auf die vielen, verschiedenen Ki’s konzentrierte, auch nicht in der Herberge. Seufzend öffnete er die Augen wieder und starrte einige Sekunden auf den Zettel, bevor er ihn zögernd auffaltete. Überrascht stellte er fest, dass die in hastig dahingeschmierten Zeichen geschriebene Botschaft ihm galt. Himura, wenn du Yoshida lebend wiedersehen willst, dann komm um Mitternacht in die Shinsakusen-Gasse im westlichen Altstadt-Bezirk. Komm alleine und ohne Waffen. Wenn du dich auslieferst, dann wird Yoshida ohne Schaden freigelassen. Wenn du allerdings versuchen solltest, ihn mit Gewalt zu befreien, dann stirbt dein Freund. Kenshin starrte auf das Papier in seiner Hand und war überzeugt, dass dieser ganze Tag ein Albtraum gewesen sein musste. Hoffentlich würde er bald aufwachen. --. „Sagst du mir jetzt endlich mal, was hier los ist?!“ Wütend starrte Yoshida seinen vermeintlichen Freund an, während er mit zitternden Händen seinen dünnen Gi enger um sich zog. Er hatte nicht einmal Zeit gehabt, seinen Haori aus der Herberge mitzunehmen, so eilig hatte Daisuke ihn davon gescheucht. Der Angesprochene drehte sich nicht zu ihm um, als er antwortete. „Wir haben einen wichtigen Geheimauftrag bekommen.“ Yoshidas Augen weiteten sich vor Überraschung. „Wir? Aber wir haben doch darin überhaupt keine Erfahrung. Ich bin nicht mal in einer der Einheiten, die Izuka unterstehen.“ „Du vielleicht nicht,“ schnauzte ihn Daisuke an. Yoshida legte seine Stirn in Falten. „Und wie genau sieht dieser Auftrag aus? Sind wir Leibgarden bei einem geheimen Treffen?“ Daisuke drehte sich endlich zu ihm um und lächelte. „Fast, Yoshida. Wir sollen bei einem geheimen Treffen eine wichtige Person beschützen. Einen Überläufer aus Aizu.“ „Einen Verräter? Noch dazu aus Aizu?“ Daisuke drängte Yoshida schon zum Weiterlaufen, bevor dieser weitere Fragen stellen konnte. „Jetzt schau nicht so zweifelnd und komm. Du wirst schon sehen...“ Nervös trottete Yoshida hinter seinem Freund her, bis sie schließlich in einer kleinen Seitengasse stehen blieben. Yoshida kannte diesen Stadtteil kaum, denn er hatte ihn bisher vermieden – wohlweißlich, denn hier trafen sich viele Gruppierungen aus Aizu, der dem Shogunat am treusten ergebenen Provinz. Allein die frühen Abendstunden schmälerten etwas die Lebensgefahr, in der sie sich hier inmitten von Feinden befanden. Noch war genug Licht, so dass die Gestalten der Nacht noch in ihren Häusern auf das Dunkel der Nacht warten mussten. Doch Yoshida war sich sicher, dass auch das ihnen kein Schutz bieten würde, wenn sie von irgendjemandem in ihrer Choshuu-farbenen Kleidung erkannt würden. Besser, so schnell wie möglich hier zu verschwinden. Daisuke schien ebenso nervös wie er selbst zu sein, denn Yoshida sah deutlich das Zittern seiner Hand, als er in der schmalen Gasse an eine unauffällige, schäbige Holztür klopfte. Mit schwitzigen Händen vergewisserte sich Yoshida, dass seine Schwerter noch an Ort und Stelle waren. Die kleine Tür öffnete sich quietschend und aus dem dunklen Inneren wurden sie von einer kaum erkennbaren Gestalt beäugt. „Du?“ fragte der Mann aus dem Dunkeln heraus. In seiner Stimme war deutlich Misstrauen zu hören. „Wer ist der andere? Wo ist dein Freund?“ „Das ist mein Freund,“ lächelte Daisuke und trat dicht an die Türschwelle heran. Leise, so dass nur der Mann im Dunkeln ihn hören konnte, fügte er flüsternd hinzu: „Der Junge hat keine Ahnung. Aber dank seiner Hilfe kann ich euch heute Nacht den persönlichen Hitokiri von Katsura Kogoro ausliefern.“ Daisuke sah, wie sich der Gesichtsausdruck des im Halbschatten verborgenen Mannes vor ihm von mürrisch zu interessiert wandelte. „Kommt rein.“ Mit wachsamen Blick und die Hand immer noch in der Nähe seines Schwertgriffes folgte Yoshida Daisuke, der bereits im Dunkeln des kleinen Hauses verschwunden war. Er betrat den spärlich beleuchteten und nach Küchenabfällen stinkenden Flur. Daisuke war bereits ganz am Ende des langen Ganges und gestikulierte ihm, sich zu beeilen. Dann bog er nach rechts in einen weiteren Gang ab. Vorsichtig und darauf bedacht, nicht über den Dreck und das Gerümpel am Boden zu stolpern, folgte Yoshida. Sein Herz pochte. Diese ganze Situation kam ihm plötzlich sehr seltsam vor. Schon als sie die Herberge verlassen hatten, hatte ihn so ein ungutes Gefühl beschlichen. Es war etwas, das Daisuke gesagt hatte... Yoshida erinnerte sich plötzlich! Sein Freund hatte behauptet, sie zwei müssten den Auftrag ausführen, weil die anderen Männer alle unterwegs wären. Doch als sie durch die Herberge geeilt waren, hatte Yoshida sie doch alle im Gang herumstehen sehen: Hatomo und Umino. Hatte er nicht auch deutlich Uchida erkannt? War nicht Uchida derjenige, dem immer die Aufträge, die Informanten und Überläufer betrafen, überlassen wurden? Warum sollte dann Izuka nach jemandem so unqualifizierten wie ihm schicken? Izuka war ihm sowieso schon immer verdächtig vorgekommen. Er mochte dieses schmierige Grinsen einfach nicht und die ganze, schlüpfrige Art. Einer, so stellte Yoshida fest, der mit einem süffisanten Lächeln Menschen wie Himura in die Strassen hinaus zum Töten schickte und dabei einen so entspannten Eindruck machen konnte, war unmöglich sympatisch zu finden. „Yoshida, wo bleibst du?“ hallte Daisukes ungeduldige Stimme durch den dunklen Flur. Ein Überläufer aus Aizu, überlegte Gerufener fieberhaft weiter. Wenn etwas unrealistischer war, dann das. Aizu war die loyalste Provinz – niemals würde sie sich gegen das Bakufu stellen. Und was für einen Wert hätte dann ein einzelner Überläufer? Wichtig konnte er nicht sein, sonst hätte Izuka mehr Männer geschickt. Mit klopfendem Herzen eilte Yoshida seinem Freund nach. Er musste ihn warnen. Das alles hier roch – noch stinkender als die Küchenabfälle zu seinen Füßen– nach einem Hinterhalt. „Daisuke,“ rief er vorsichtig, während er um die Ecke bog, „ich glaube wir sollten besser-...“ Die Worte blieben ihm im Halse stecken, als er plötzlich vor sich anstelle seines Freundes eine große Gestalt sah, die hämisch auf ihn herablächelte. Ehe er sein Schwert ziehen konnte, traf ihn ein dumpfer Gegenstand hart am Kopf und er wurde auf den dreckigen Boden geschleudert. Blut tropfte aus einer Platzwunde an seiner Stirn und er verlor augenblicklich das Bewusstsein. -- Kenshins starrte auf die krakelige Schrift, als wäre sich eine Erscheinung und nicht Realität. Langsam las er die kurze Botschaft ein zweites Mal. Doch auch nach dem dritten Mal konnte er noch nicht realisieren, was dort eigentlich geschrieben stand. Sollte das ein Scherz sein? Von wem war der Zettel? Sein erster Gedanke war, dass dies die Tat von Onaka Iamatsu sein musste. Dieser verfluchte Hund konnte wahrscheinlich nicht mit der Demütigung von heute Nachmittag fertig werden und versuchte sich nun offensichtlich so an ihm zu rächen. Grimmig packte er seinen Schwertgriff, bevor er ihn mit einem Kopfschütteln wieder losließ. „Lass dein Urteilsvermögen nicht von persönlichen Gefühlen durcheinanderbringen,“ ermahnte er sich selbst mit den Worten, die ihm sein Meister so oft und so schmerzlich beigebracht hatte. Er atmete einmal tief durch und versuchte, die Sache möglichst nüchtern zu analysieren, als ob es ihn überhaupt nicht persönlich betreffen würde. Shinsakusen-Gasse. Das war, soweit er wusste, tiefster Shogunats-Bezirk, hauptsächlich von verschiedenen Einheiten aus Aizu bewohnt. Onaka jedoch wäre viel zu stolz, um seinen ehrbaren Namen und seinen Clan zu verraten, in dem er sich mit irgendeiner Aizu-Gruppe verbünden würde. „Und trotz aller Hinterhältigkeit würde er es nicht wagen, sich noch einmal mit mir anzulegen,“ grübelte Kenshin. „Und selbst wenn er sich trauen würde, wäre Yoshida nie mit Onaka mitgegangen. Denn Yoshida muss freiwillig die Herberge verlassen haben, sonst wäre das sofort jemandem der Herumstehenden aufgefallen.“ Das war die Lösung, dämmerte es Kenshin plötzlich. Wer auch immer den Zettel geschrieben hatte, er musste dieses Zimmer betreten haben, um ihn dort zu platzieren – und draußen im Gang standen jede Menge Zeugen. Hastig stopfte Kenshin das Blatt Papier in seinen Ärmel und trat mit entschlossenem Blick in den Gang hinaus. Sofort verstummten abermals die Gespräche der Männer und sie sahen ihn alle mit misstrauischer Zurückhaltung an. Forsch trat Kenshin auf die Gruppe Samurai zu, die ihm am nächsten Stand. Er kümmerte sich nicht darum, dass sie vor Überraschung, so plötzlich angesprochen zu werden, ein paar Schritte zurückwichen. Auch war er sich nicht bewusst, dass seine Augen inzwischen ein gefährliches Leuchten bekommen hatten. „H-Himura-san,” nickten die Männer ihm zu. Kenshin ignorierte die Förmlichkeiten und fragte ohne Umschweife: „Hat irgendjemand außer mir und Yoshida in den letzten Stunden dieses Zimmer betreten?“ Etwas verblüfft sahen sich die Samurai an. Einer murmelte, „als ob wir hier stehen würden, um die Zimmertüren zu bewachen.“ Kenshin hatte das gehört und fixierte den Mann. Sein Blick wurde noch bedrohlicher. Der Mann schluckte und sah schließlich betreten weg. Das Gesicht eines anderen Samurais hingegen, Uchida, hellte sich plötzlich auf. „Mir fällt gerade ein, Himura-san, noch nicht einmal vor einer halben Stunde kamen Yoshida und Daisuke hier vorbei. Die beiden hatten es anscheinend wohl ziemlich eilig.“ Wortlos starrte Kenshin durch Uchida hindurch. Sein Gesicht verriet nichts, aber seine Hände ballten sich zu Fäusten. Daisuke?! Ohne sich weiter um die ihm verwundert und argwöhnisch hinter ihm herschauenden Samurai zu kümmern, hastete Kenshin an ihnen vorbei. Der einzige Mann, den er jetzt um Rat fragen konnte und musste, war Izuka! Schnell durchquerte er den Innenhof und ging zum anderen Teil des Gebäudes, in dem die Führungskräfte untergebracht waren. Der erste Schock war schon längst einer kalten Wut gewichen. Hatte ihn Izuka nicht vor Verrätern gewarnt? Und war nicht Daisuke derjenige gewesen, der Yoshida alles über ihn und seine Aufträge als Hitokiri erzählt hatte? Wie hatte nur so unvorsichtig sein können! Kenshin war so damit vertieft, voller Wut in seinen Gedanken Teile des Puzzles zusammen zu setzen, dass er fast mit Izuka zusammengestoßen wäre, der gerade sein Zimmer verlassen hatte. „Himura!“ rief er überrascht aus und legte dann seine Stirn in Falten, als er den düsteren Gesichtsausdruck des rothaarigen Jungen sah. „Was ist passiert?“ Doch Kenshin antwortete nicht. Wie gebannt starrte er an Izuka vorbei auf die zwei Samurai, die einen großen, schwankenden Mann mit gefesselten Händen aus dem Zimmer führten. Der Mann schluchzte, doch ließ sich widerstandslos von den beiden Soldaten wegführen. Beim Vorbeigehen erkannte Kenshin sein Gesicht. „Buntaro?“ rutschte es ihm entsetzt über die Lippen. Der Angesprochene reagierte nicht und Kenshin sah erschüttert zu, wie er abgeführt wurde. Izuka trat hinter ihn. „Ja, leider. Ich habe dir doch von den Verrätern erzählt. Er ist einer davon und hat gerade eben alles gestanden.“ Kenshin starrte dem gebrochenen Mann hinterher, den er als so ernst und zuverlässig kennen gelernt hatte. „Und... wer sind die anderen?“ presste er langsam zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Izuka zuckte zurück. Die Stimme des Jungen war plötzlich kalt und gefährlich. „Daisuke... und dein Zimmergenosse, Yoshida.“ Kenshin fuhr herum. „Yoshida? Unmöglich!“ Seine Maske der Ausdruckslosigkeit zerbröselte und ihm stand nun Erschrecken und Ungläubigkeit ins Gesicht geschrieben. Izuka lächelte schief. „Ich habe dir ja gesagt, Himura, gib dich mit keinem der Männer ab. Du bist Katsura Kogoros persönlicher Hitokiri. Wenn du dich mit jemandem anfreundest, dann kannst du deinen Arsch drauf verwetten, dass diese Schwäche sofort ausgenutzt wird.“ „Schwäche...“ murmelte Kenshin und starrte geradeaus. Izuka legte ihm die Hand auf den Arm. Er spürte die angespannten Muskeln des Jungen unter dem warmen Stoff. „Es tut mir leid... Aber dein Urlaub ist vorbei.“ Langsam wanderte Kenshins Blick von Izukas Hand zu seinem Gesicht. „Was?“ Tiefe Erschütterung war in dem kleinen Wort zu hören. „Verrat ist Verrat,“ zuckte Izuka mit den Schultern. „Anbetracht der Umstände habe ich leider noch keine Zeit gehabt, schwarze Briefumschläge zu schreiben. Aber du weißt auch so, was zu tun ist. Buntaro hat sich durch sein Geständnis die Ehre erkauft, sein Leben selbst zu beenden. Er darf noch seine Angelegenheiten regeln, bevor er im morgengrauen Seppuku begehen wird. Schließlich war er Mal im Dienste einer angesehenen Familie aus Choshuu.“ Kenshin starrte auf Izukas Lippen, der über die ganze Sache sprach, als würde es um irgendeine banale Begrüßungszeremonie gehen. „Finde die anderen zwei und töte sie.“ Die Worte kamen unvermittelt und trafen Kenshin wie einen Schlag ins Gesicht. Mit großen, blauen Augen schaute er Izuka ungläubig an. Mit einem weiteren Schulterzucken trat dieser näher an ihn heran und Kenshin spürte, wie es ihm eiskalt den Rücken hinab rann, als er seinen Vorgesetzten leise in sein Ohr flüstern hörte: „Es ist deine Pflicht. Töte sie, bevor sie noch mehr Schaden anrichten können. Falls sie schon Informationen weitergeben konnten, versuche, sie zu vernichten. Egal ob es Dokumente oder Menschen sind. Vergiss nicht, die Verräter haben schon einmal einen Anschlag auf Katsura geplant – und auf dich. Du weißt, mit Katsura steht oder fällt die Revolution.“ „Katsura,“ schoss es Kenshin durch den Kopf und er sah das Gesicht des Anführers, dem er Treue bis in den Tod geschworen hatte, vor sich. Langsam gewann er seine Fassung wieder. Izuka nickte ihm anerkennend zu. „So ist es richtig. Vergiss deine persönlichen Gefühle. Die sind für dich nur schwächend. Du als Hitokiri musst stark sein und bedingungslos gehorchen. Du bist Katsuras Waffe und er vertraut auf dich.“ Kenshins blaue Augen füllten sich mit einem kalten Glanz. Izuka klopfte ihm bestätigend auf die Schulter. „Geh, und bring es hinter dich!“ Kenshin drehte sich um, sein Gesicht war wie in Blei gegossen, ausdrucks- und leblos. Izuka schaute ihm zufrieden hinterher. Dieser Junge war so einfach zu manipulieren. War es richtig gewesen, auch Yoshida beseitigen zu lassen? Immerhin hatte deswegen Buntaro überhaupt gestanden – um Yoshida aus der ganzen Sache rauszuhalten. Izuka schüttelte den Kopf. Es war besser, alles gründlich zu bereinigen. Er hatte bereits Katsura eine Botschaft übermitteln lassen, in der er Buntaro, Daisuke und Yoshida als Verräter identifiziert hatte. Und egal wie sehr letzterer nun in diese Sache verwickelt war, Izuka selbst würde seinen Fehler nur ungern zugeben. Morgen früh würden alle Beteiligten bereits tot sein und so war es besser. Ein Beispiel für die anderen Ishin Shishi und ein Beispiel für Himura: Leichtfertig Freundschaften schließen konnte sich ein Hitokiri nicht erlauben. Schon gar nicht einer mit dem Können von ... ...Battousai. Izuka lächelte. Er mochte diesen Namen. Bald, wenn die neue Offensive der Ishin Shishi beginnen würde, würde dieser Name in aller Munde sein und Angst und Schrecken auf den Strassen verbreiten. Und Himura, der Einzelgänger der er war, würde nicht länger in seiner Konzentration durch Emotionalitäten wie Freundschaft gestört. Izukas Grinsen wurde noch ein Stückchen schiefer, als er sich klar darüber wurde, wie sehr doch alles nach seinen Plänen verlief. Himura – bald von allen gefürchtet - würde nur noch Katsura Kogoro und ihn selbst als Ansprechpartner und Vertraute haben. Damit hätten sie es geschafft, den Jungen in weniger wie zwei Monaten zu der perfektesten, kontrollierbarsten und tödlichsten Waffe zu machen, mit der je in einer Revolution gekämpft worden war. -- Langsam schritt Kenshin durch die Herberge, die Augen auf einen unbestimmten Punkt vor ihm fixiert. Alles, was an persönlichen Empfindungen in ihm nach der Aufmerksamkeit seines Bewusstseins schrie, schloss er in einem dunklen Winkel seiner Seele weg. Er würde sich von diesen Gefühlen nicht beeinflussen lassen. Statt dessen kalkulierte er kühl seine Möglichkeiten und machte sich einen Plan. Auch wenn er nur eine Waffe in diesem Krieg war und Befehlen gehorchen musste – er würde nicht einfach so, ganz ohne Beweis, glauben, dass Yoshida ein Verräter war. Daisuke und Buntaros Schuld war erwiesen, aber Yoshida? Nein, offensichtlich versuchte Daisuke, der Yoshida gut kannte, ihn zu benutzten. Yoshida sollte der Köder für ihn sein. „Meine... Schwäche.“ Kenshin spürte sein Herz schmerzhaft zucken. Schuldgefühle – er hatte Yoshida zur Zielscheibe gemacht. Er hätte es besser wissen müssen. Durch seine eigenen Schuld wurde Yoshida da mit hineingezogen. Und jetzt sollte er ihn sogar töten? „Wenn er unschuldig ist, dann kann ich das nicht tun,“ dachte Kenshin. Wenn Yoshida aber unschuldig war, dann hatte Buntaro Izuka angelogen. Buntaro hatte ihn ans Messer geliefert, aus welchem Grund auch immer, vielleicht um nicht allein zu sterben. Wenn das der Fall war, dann, so schwor sich Kenshin, während ihm ein Kribbeln den Rücken hinab lief, dann würde er ihn persönlich für diesen Verrat töten, und zwar noch heute Nacht. „Aber“, meldete sich eine kalte Stimme in seinem Kopf zu Wort, „was, wenn Yoshida gar kein Köder ist? Sondern nur als solcher erscheinen soll? Was ist, wenn sie wirklich beide Verräter sind, Daisuke und Yoshida? Wenn alles von Anfang an geplant war - wenn ihre Freundschaft von Anfang an den Zweck hatte, mich zu schwächen?“ Grimmig lockerte Kenshin seinen Schwertgriff. Er bemerkte gar nicht die Männer, ihm auf seinem Weg zur Tür hastig Platz machten. Auf keinem Fall wollten sie dem rothaarigen Mann in die Quere kommen – nicht bei diesem tödlichen Funkeln in seinen Augen und dieser furchteinflössenden Aura, die er ungebremst verströmte. Auf der Strasse angekommen, holte er nochmals den Zettel hervor. Sein Ziel war die Shinsakusen-Gasse in der westlichen Altstadt. Nur dort würde er herausfinden, ob der, den er bisher für seinen einzigsten Freund gehalten hatte, in Wahrheit ein Verräter war oder nicht. Vereinzelte Schneeflocken wirbelten an ihm vorüber und gefroren schnell auf der Straße. Kenshin fröstelte, aber nicht vor Kälte. Trotz allen besseren Wissens hatte er nicht nur sich sondern auch Yoshida verwundbar gemacht – diese Schwäche würde er ein für alle Mal aus der Welt schaffen. -- Das erste, was Yoshida wahrnahm, während wer langsam wieder zu Bewusstein kam, war das unglaubliche Dröhnen in seinem Schädel. Schmerzhaft pochte das Blut durch sein Gehirn, als ob es kurz davor wäre, zu explodieren. Langsam spürte er sich wieder zu Kräften kommen, doch als mit seiner Hand nach seinem Kopf tasten wollte, konnte er sich nicht bewegen. „Wieso wollt ihr mir nicht glauben?!“ Yoshida blinzelte. Es fiel ihm schwer, seine Augen zu öffnen um sehen zu können, wer da gesprochen hatte. Es hatte sich nach jemand Bekanntem angehört. Daisuke!? Yoshidas Augen sprangen auf. Ein Hinterhalt! Ihm fiel alles wieder ein. Wie er durch den dunklen Gang gehastet war und Daisuke hatte warnen wollen, nur um dann plötzlich von einem riesigen Mann niedergeschlagen zu werden. Entgeistert sah er sich um. Er lag in einer Ecke in einem spärlich beleuchteten Raum. Die Wände waren aus Stein und es gab keine Fenster, noch dazu roch es modrig und feucht. Höchstwahrscheinlich befand er sich in einem Keller. Er versuchte sich erneut zu bewegen und erst jetzt stellte er mit bangem Gefühl fest, dass sowohl seine Hände wie auch seine Füße gefesselt waren. Yoshida schluckte. Hatte ihn das Bakufu gefangen? Wenn ja, dann wusste er, was mit ihm geschehen würde. Erst ein Verhör und dann die Exekution. Yoshida erschien keines der beiden Dinge besonders verlockend. Vorsichtig sah er sich um. Halb erwartete er, Daisuke irgendwo neben sich liegen zu sehen, aber er war alleine in dem Raum. Dann hörte er wieder die Stimmen, die wie das Licht durch die schmale Öffnung der Holztür zu kommen schienen. „Warum lasst ihr mich dann nicht gehen?“ hörte er jemanden laut rufen – es war wirklich Daisuke. Dann hörte eine bedrohlichere, leisere Stimme und einen plötzlichen Aufschrei seines Freundes. Yoshida rann es eiskalt den Rücken hinab. Wurde Daisuke bereits gefoltert? Doch es folgten keinen weiteren Schreie und Yoshida entspannte sich wieder etwas. Es war schwer, etwas von dem dumpfen Stimmengewirr zu verstehen, doch irgendwann hörte er wieder ganz deutlich Daisuke sprechen. Offenbar war er sehr aufgeregt, denn seine Stimme überschlug sich fast. „Ihr versteht nicht! Ich habe euch doch alles gegeben, wonach ihr verlangt habt. Wir hatten eine Abmachung!“ Yoshida stutzte. Abmachung? Das hörte sich nicht nach einem Verhör an. „Ihr habt den Jungen und er wird kommen, um ihn zu befreien. Dann habt ihr ihn, den wichtigsten Hitokiri der Ishin Shishi, Katsura Kogoros persönlichen Killer!“ Yoshida konnte seinen Ohren nicht trauen. Hatte er da richtig gehört? Das konnte nicht sein. Trotz heftigster Kopfschmerzen robbte er sich verbissen über den schmierigen Steinboden näher an die Tür heran, um dem Gespräch besser folgen zu können. „Für wie dumm hältst du uns eigentlich?“ hörte er jetzt deutlicher wieder die drohende, leise Stimme. „Was für eine Garantie haben wir, dass du mit dem Geld nicht einfach verschwindest und uns vorher noch einen ganzen Trupp Ishin Shishi auf den Hals hetzt? Wer weiß, ob dein großartiger Hitokiri überhaupt kommt? Ich jedenfalls habe noch nie von einem Killer gehört, der kommt, um ein Leben zu RETTEN!“ Heißeres Gelächter. Dann wieder Stille. Yoshida hörte die Männer nervös mit dem Füßen scharren. „Ihr werdet sehen, er kommt,“ beteuerte Daisuke. „Warum gebt ihr mir nicht einfach das Geld und lasst mich gehen? Immerhin war so die Abmachung.“ „Abmachung?“ Ein leises Lachen. „Ich kann mich an die letzte Abmachung erinnern. Die Informationen über die Reiseroute Katsura Kogoros von Tosa nach Kyoto hat uns erst erreicht, als alles schon zu spät war. Unsere Mittelsmänner, Asakura Yukonori und Sasuke Yamaka wurden von einem Hitokiri getötet, ehe sie einen Plan schmieden konnten.“ „Nicht ein Hitokiri. Das war er! Den ich euch ausliefern will! Und für die Informationen über die Reiseroute war Buntaro und nicht ich verantwortlich!“ Buntaro?! Yoshida hielt den Atmen an. Das war zuviel. Träumte er vielleicht all das nur? Doch das schmerzhafte Pochen an seiner linken Schläfe schien ihn eines Besseren belehren zu wollen. „Das ist mir egal,“ knurrte der Mann mit der leisen Stimme. „Ich weiß nur eines: Dieses Mal bin ich lieber zu vorsichtig als zu nachsichtig. Vor allem mit Verrätern wie dir. Immerhin hast du deinen Freund hier ausgeliefert, nur um dich mit einem hübschen Geldbetrag absetzten zu können. Wer sagt uns, dass du uns nicht vorher noch genauso in den Rücken fällst?“ Yoshida hörte plötzliches Stühle-Rücken, aufgeregtes Rufen, schließlich einen erneuten Aufschrei von Daisuke und ein dumpfes Plumpsen. „Wo wolltest du so plötzlich hin?“ rief ein weiterer Mann mit tiefer, grollender Stimme. „Du bleibst schön hier, bis wir den Hitokiri haben. Dann kannst du dein Geld nehmen und verschwinden, immerhin halten wir uns an Abmachungen. Aber nicht vorher!“ Yoshida hielt die Luft an. Die ganze Situation kam ihm plötzlich so unglaublich unreal vor. Daisuke, sein Freund seit fast zwei Jahren, hatte ihn verraten – ihn als Köder benutzt, um Himura auszuliefern? Und das alles nur für Geld? Und was hatte Buntaro damit zu tun? Hatte er die Reiseroute verraten? Verzweifelt rüttelte er an seinen Fesseln, doch sie waren so stramm, dass er seine Gliedmaßen kaum noch spüren konnte. Hilflos ließ er seinen Kopf auf den dreckigen, kühlen Steinboden sinken. Was sollte er nur tun? Raues Gelächter ließ ihn weiterlauschen. „In Ordnung,“ ertönte Daisukes brüchige Stimme. „Aber ihr braucht mehr Männer. Nur zu fünft könnt ihr mit ihm nicht fertig werden, falls er kämpfen will.“ „Machst du Witze?“ lachte die hohe, durchdringende Stimme. „Wir sind gute Schwertkämpfer und nach allem, was du uns erzählt hast, ist der Hitokiri nicht mehr als ein Junge!“ „Unterschätzt ihn deshalb nicht. Man nennt ihn nicht umsonst Battousai.“ „Battousai?“ Die Männer lachten. „Ein sehr überheblicher Name, nicht wahr?“ Der Mann mit der leisen, kalten Stimme schaltete sich wieder in die Unterhaltung ein. „Wir werden diesen... Battousai....nicht unterschätzen, Daisuke. Wir haben schon nach Verstärkung gesandt. Hioshi, ein guter Freund von mir, ist in einer Einheit der Mimiwarigumi. Und er bringt noch ein paar Leute mit. Alles ausgezeichnete Schwertkämpfer. Sie werden bis Mitternacht hier sein. Und wenn dein Hitokiri wirklich kommt und sich ergibt, werden sie ihn mitnehmen und im Namen des Shogunats ... verhören.“ Yoshida lief es eiskalt den Rücken hinunter, als er die leise Stimme boshaft lachen hörte. „Außerdem,“ sagte der Mann mit der tiefen Stimme, „wenn der Hitokiri wirklich seinen Freund retten will, dann kommt er sowieso ohne Waffen und liefert sich uns aus, so wie du es von ihm gefordert hast. Ich vermute allerdings, er nimmt in Kauf, dass wir die Geisel töten und greift uns direkt an. Doch wenn Hioshi mit seinen Männern kommt, sind wir genug, um ihn fertig zu machen. Und auch für einen toten Hitokiri gibt es eine Belohnung.“ „Etsuke, Kijoshi, begleitet Daisuke nach oben,“ befahl der Mann mit der leisen Stimme. „Ihr wartet dort auf Hioshi. Ich werte hier unten soweit alles vorbereiten.“ Es folgte zustimmendes Grummeln und das Quietschen einer Tür. Dann war es eine zeitlang ruhig. Yoshida hörte sein Herz laut schlagen. „Was meinst du, Shinzo?“ Der zweifelnde Ton in der tiefen Stimme des Mannes war kaum zu überhören. „Du kennst meine Meinung, Genwa: Verrätern kann man nicht trauen.“ Die unheimliche leise Stimme Shinzos wurde noch ein bisschen leiser und Yoshida musste sich anstrengen, um noch etwas verstehen zu können. „Wenn dieser Hitokiri Battousai wirklich der direkte Untergebene von Katsura Kogoro ist, dann ist er Gold wert. Wenn er den Köder anbeißt und sich ergibt, dann übergeben wir ihn Hioshi und den offiziellen Bakufu-Streitkräften und bekommen eine hohe Belohnung.“ „Und wenn nicht?“ fragte Genwa. Wieder dieses unheimliche, leise Lachen. „Dann kämpfen und töten wir ihn. Doch eins ist sicher – bevor ich mich von dem Killer töten lasse, töte ich die Geisel. Und den Verräter gleich mit.“ Genwa stimmte seinem Anführer Shinzo mit einem Grunzen zu. „Auch wenn sich dieser Battousai ergibt, was ich übrigens für genauso wahrscheinlich halte wie den Sieg dieser ganzen Ishin Shishi-Bande, wird Hioshi trotzdem den Verräter und die Geisel töten lassen.“ fuhr die leise Stimme sachlich fort. Die tiefe Stimme antwortete ungerührt. „Ich weiß.“ Heißer Zorn flammte in Yoshida auf und er rüttelte an seinen Fesseln, die nur noch tiefer in sein Fleisch schnitten. Doch auch der Schmerz konnte die große Hilflosigkeit und Bitterkeit, die in ihm aufwallte, nicht verdrängen. „Himura,“ betete er in Gedanken, „bitte liefere dich nicht aus!“ Stumm rann ihm eine Träne über die angeschwollene Wange und versickerte im dreckigen Steinboden. „Bitte,“ flehte Yoshida verzweifelt, „lass mich nicht deine Schwäche sein.“ -- Uff, ein langes Kapitel. Wird Kenshin sich ausliefern oder kämpfen? Und wird der Verräter selbst am Ende zum Verratenen? Im nächsten Kapitel werdet ihr es erfahren! ^^ Vielen Dank für’s lesen und kommentieren! Domo arigatou gozaimasu! Japanische Wörter: Engawa – traditionelle, hölzerne Veranda an japanischen Häusern. Kohagiya – Herberge und Geheimversteck der Choshuu Ishin Shishi in Kyoto. Seppuku – ritueller Selbstmord der Samurai-Klasse. Der höchste, ehrbare Tod außerhalb des Kampfes, gerade, wenn es darum geht, verlorene Ehre wieder herzustellen Aizu-Munashidai - Von mir frei erfundener Clan aus Aizu. Mitglieder u.a. Shinzo (Anführer), Genwa, Etsu, Keijoshi... Shinsakusen-Gasse - Erfundene Strasse in Kyoto Mimiwarigumi – Dem Bakufu unterstehende Kämpfereinheit, die zusammen mit den Shinsengumi für Recht und Ordnung in den Strassen Kyotos sorgen sollte. Hiko Seijuro XIII – Kenshins Meister Choshuu Ishin Shishi – besonders aggressive Vereinigung von Samurai aus der Provinz Choshuu, die gegen das Shogunat eingestellt waren. Versuchten, durch einzelne, terroristische Aktionen die Ordnung der Regierung weiter zu destabilisieren und dadurch dem Kaiser zur Macht zu verhelfen. Katsura Kogoro – Anführer der Choshuu Ishin Shishi Bakufu – die militärischen Streitkräfte des Shogun Katana – Langschwert Wakizashi – Kurzschwert. Daisho – traditionelles Schwerterpaar der Samurai (Katana, Wakizashi) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)