Divine Justice von MajinMina (Göttliche Gerechtigkeit) ================================================================================ Kapitel 22: Kapitel 22 - Die Kunst der Täuschung ------------------------------------------------ Frohes neues Jahr ^_^ etwas verspätet aber immerhin... es hat diesmal keine drei Monate gedauert... Saito muss sich mit einer unangenehmen Sache aus der Vergangenheit auseinandersetzen. Tomoe stellt Kenshin Fragen, die er nicht beantworten kann... Und jeder spinnt seine eigenen Pläne des Verrats. Kapitel 22 – Die Kunst der Täuschung Das Blut rauschte so laut in seinen Ohren, dass er kaum die hell klingende Stimme Okitas hörte, der neben ihm die Straße entlang eilte und versuchte, mit ihm Schritt zu halten. Vor seinem inneren Auge sah Saito immer noch das hagere Gesicht von Takeo Ubei, seine verschlagen dreinblickenden Augen hinter schweren Lidern, seine hervorstehenden Wangenknochen und die noch viel hervorstehendere Narbe, die quer über sein rechtes Auge verlief. Dieses Überbleibsel der Verletzung war in keiner Art und Weise eine Genugtuung. Saito biss die Zähne zusammen, um nicht vor Wut laut zu schreien. Wie hatte ihn dieser Mann vorhin gedemütigt! Vor Okita und, noch schlimmer, vor Kondo Isami. Dieser abscheuliche Mann – Saito sah ihn vor sich stehen, damals, als sie sich das letzte Mal gesehen hatten, vor über drei Jahren, Ubei mit Angstschweiß und Blut im Gesicht. Saito konnte sich noch an die Freunde erinnern, die er verspürt hatte, als er das warme Rot dieses Mannes seine Hände glitschig werden ließ... Erst, nachdem er geschlagene 20 Minuten durch die Strassen gehetzt war, erlaubte er seinen Füßen und denen von Okita, die ihm tapfer gefolgt waren, eine Pause. Es war Vormittag, die warme Frühlingsluft wehte ihre gezackt gemusterten Umhänge zur Seite, der Duft von Blumen lag bereits in der Luft. Saito befahl seinen Sinnen, sich auf die Knospen des Kirschbaumes zu konzentrieren, in dessen Schatten er Halt gemacht hatte und gegen dessen Stamm er jetzt lehnte. Wie beiläufig stellte sich Okita neben ihn und schaute in den Himmel. Saito bewunderte Okita. Obwohl er so jung war und manchmal sehr nervtötend sein konnte, so hatte er doch stets ein kaum fehlbares Gefühl dafür, wie man sich in welcher Situation zu verhalten hatte. Zweifellos, hätte Okita alleine mit Kondo Isami und Takeo Ubei verhandelt, alles wäre entspannt verlaufen. Doch er, Saito Hajime, hatte seine Wut nicht zügeln können. Das war es, was ihm am meisten zu schaffen machte. Ein professioneller Kämpfer wie er hätte im Stande sein müssen, seine Gefühle im Beisein von Kondo zu kontrollieren. Statt dessen hatte er sich in Gegenwart seines obersten Befehlshabers aufgeführt wie ein aufmüpfiger, trotziger Soldat im ersten Lehrjahr. Er hatte sich von Ubeis herablassender Art provozieren lassen. Ungeduldig begannen Saitos Hände, wie von alleine in seinen Taschen nach Tabak zu kramen. Erst als er die Zigarette zwischen den Lippen hielt und spürte, wie der Rauch in seine Lunge eindrang und durch seine Nasenlöcher wieder hinausströmte, erlaubte er sich einen Seufzer. Das Zeichen, auf das Okita taktvoll gewartet hatte. „Mmh... Saito-san,“ begann der jüngere Kommandant der Shinsengumi zögerlich, „vorhin bei Kondo... ihr...“ „Ich habe mich benommen wie ein Idiot.“ Okita lachte überrascht. „So hätte ich das nicht formuliert. Aber ich will nicht anzweifeln, dass es unklug von euch war, Kondo Isami den Befehl zu verweigern.“ „Das einzig Kluge,“ murrte Saito finster, „wäre gewesen, Ubei sofort zu töten. Aku Soku Zan.“ Das Lächeln in Okitas Gesicht verrutschte und er blieb einen Moment lang still. „Bitte, Saito-san,“ begann er nach ein paar schweigsamen Minuten erneut, „als euer Partner in dieser Mission muss ich wissen, was zwischen euch und Takeo Ubei steht.“ Saito lächelte seinen Freund kalt an. „Zwischen uns steht? Das ist eine interessante Formulierung. Ich würde sagen, zwischen uns steht nichts, was sich nicht beseitigen ließe.“ „Beseitigen? Das gibt es also gar kein ernstes Problem?“ Okita klatschte erleichtert in die Hände. „Kein Problem, nein.“ Saitos Augen glitzerten seltsam. „Ich werde Ubei töten oder er mich. Daran ist nichts problematisches und es wird auch niemand dazwischen stehen.“ Okita starrte seinen Freund mit offenem Mund an. Saito musterte ihn abschätzig. „Fängst du Fliegen? Lass uns zurück zum Hauptquartier gehen. Ubei wird inzwischen wieder in das Dreckloch gekrochen sein, aus dem er herauskam. Ich habe noch andere Dinge zu regeln.“ Damit lief er zügigen Schrittes wieder den Weg zurück in den Altstadtbezirk, in dem das Hauptquartier lag. Hinter ihm stolperte ein nun ziemlich verwirrt aussehender Okita her. „Saito-san,“ rief er aus dem Schatten der mächtigen Schultern des dritten Kommandanten der Shinsengumi, „ich habe das Gefühl, dass ich euch daran erinnern muss, dass ihr den Befehl von Kondo Isami angenommen habt. Ihr habt euch am Ende bereit erklärt, mit Takeo Ubei zusammen zu arbeiten! Ihr könnt ihn nicht einfach töten!“ Abrupt blieb Saito stehen, so dass der kleinere Mann fast in ihn hineingerannt wäre. „Einfach nicht,“ flüsterte er, in seinen Augen immer noch ein gefährlicher Glanz. „Aber ich bin davon überzeugt, das Ubei selbst für sein Ende sorgen wird. Das hat er schon einmal fast geschafft.“ „Saito! Dieses Rätselraten nervt!“ Okita baute sich mit trotzigem Blick vor seinem Freund auf, die Hände in die Seiten gestemmt. „Wir können nur zusammenarbeiten, wenn ich die Fakten kenne. Was ist da vorgefallen zwischen Ubei und euch? Erzählt es mir!“ Mit einem Fingerschnipsen beförderte Saito die inzwischen herabgebrannte Zigarette auf den Erdboden direkt in eine Pfütze, wo sie sofort mit einem Zischen erlosch. Dann sah er seinen Freund ernst an. „Später.“ Saito lief weiter, in Gedanken schon damit beschäftigt, wie er den lästigen Ubei ein für alle Mal loswerden konnte. Dabei fiel ihm Hioshi Shideki, der ehemalige Kommandant der Mimiwarigumi ein und ein Plan begann in seinem Kopf zu reifen... Okita blieb beleidigt stehen und bohrte mit seinen Blicken Löcher in den Rücken des im Gedrängel verschwindenden Wolfes von Mibu. Er würde seinen störrischen Freund schon noch weich klopfen, früher oder später. Aber sicher nicht so spät, wie Saito sich das vorstellte, dafür würde er sorgen. Jetzt hatte er selbst auch erst einmal wichtigere Dinge zu erledigen, als Saitos Anhängsel zu sein. Zielstrebig bahnte sich Okita den Weg durch die belebte Straße, bis er vor dem Fenster stehen blieb, aus dem die verräterischen Gerüche zu strömten schienen. Langsam senkte sich die rechte Hand des Anführers der ersten Einheit der Shinsengumi zu seinem Schwertgriff – bis sie die neben dem Katana befestigte Geldbörse befingerten. Lächelnd wandte er sich zu dem Mann, der aus dem Fenster lugte. „Eine Portion heiße Soba, bitte.“ -- „Die erste Regel beim Glücksspiel,“ lachte der Mann, „ist, sich weder Gewinn noch Verlust ansehen zu lassen. Dein Gesicht muss glatt sein wie ein Spiegel.“ Ein anderer Mann, dessen Konturen ebenfalls im Halbdunklen nur schemenhaft zu erkennen waren, ergänzte: „Niemand darf dir ansehen, was du denkst oder was du vorhast. Keiner darf deine wahren Absichten erraten.“ Lichter flackerten um sie herum, Gestalten kamen und gingen, es war laut, die Luft stickig von Tabak und Alkohol, Fetzen von schief klingenden Volksliedern, die irgendwo im Raum gegrölt wurden, drangen an sein Ohr. Ihm war heiß. Er sah zu den beiden Männern, die ihn erwartungsvoll anblickten. „Was muss ich tun?“ fragte er. Seine Stimme klang verzerrt, doppelt so langsam als normal, seine Zunge schien am Gaumen festzukleben. „Du musst als erstes Eines lernen,“ sagte wieder der erste Mann und trat nun näher an ihn heran. Zu Sake und Tabak mischte sich nun auch der Geruch von Schweiß. „Glücksspiel ist nicht erlernbar. Selbst wenn du dich nach allen Seiten absicherst, du kannst immer noch verlieren.“ Ein tiefes Lachen. Yoshida blinzelte. Warum nur konnte er das Gesicht nicht scharf erkennen? Ehe er sich versah, hatte der andere Mann ihn zu Boden gedrückt. Vor sich sah er einen Würfeltisch. Jemand versuchte, ihm die Regeln zu erklären, doch es ging alles so schnell. Yoshida blinzelte erneut, doch jedes Mal, wenn er die Augen schloss, drehte sich alles nur noch hastiger um ihn, wie ein Wirbelsturm. Er würfelte, verlor. Männer lachten. Irgendwo dazwischen eine schrille Frauenstimme. Seine Freunde neben ihm ermunterten ihn mit heißerem Gegröle, es noch einmal zu versuchen. Er hörte sich Fluchen. Die Würfel rutschten aus seiner feuchten Hand. Ebenso wie das Geld aus seinem Beutel. Es kam ihm wie ein weiteres Blinzeln vor, da hatte er auch schon alles verloren, wurde vom Würfeltisch weggezerrt, stolperte ins Freie. Die kalte Nachtluft strömte schmerzhaft in seine Lungen, die Wirkung des Alkohols ließ langsam etwas nach. Er sah auf zu den beiden Männern, die neben ihm standen. „Yoshida,“ meinte der eine nur kopfschüttelnd, „du hast das Prinzip nicht verstanden.“ „Prinzip?“ Ärgerlich strich sich der jüngere Mann die Haare aus der verschwitzten Stirn. „Ich dachte, es geht hier um Glücksspiel. Hieß es nicht gerade eben noch, dass es dafür kein Prinzip gibt?“ Der andere Mann neben ihm lachte. „Du hast also doch aufgepasst.“ Yoshida spürte einen Arm um seine Schultern. Er sah in das Gesicht des Mannes. „Das Spiel, seine Regeln und seine Willkür ist die eine Sache.“ Yoshida fühlte den schweren Atem von Buntaro in seinem Gesicht. „Eine andere Sache ist der Spieler.“ „Genau.“ Vor ihm sah er Daisuke, der bekräftigend nickte. „Glücksspiel ist nicht einfach nur ein Warten auf Glück. Man muss es sich holen, in dem man es den anderen Mitspielern abluchst.“ Er tippte sich an sein von Bartstoppeln übersätes Kinn. „Glücksspiel ist die Kunst der Täuschung.“ Daisuke... Buntaro... Yoshida spürte, wie sich plötzlich wieder alles zu drehen begann. Ihm war heiß und schlecht, er brauchte Luft, Luft. Vor sich sah er plötzlich andere Bilder, keine heitere Trinkhalle mehr, kein Würfelspiel unter Freunden, die in Wahrheit Verräter waren, nein: er war jetzt in einem Keller, neben sich eine in rot gehüllte Gestalt, überall rot, der Boden schwamm darin, und in der Brühe zwei Körper, die aufgerissenen Augen von Daisuke und Buntaro, die ihn leblos anstarrten. Und immer wieder ein Satz, der sein Gehirn durchschnitt wie die tödliche Klinge des roten Mannes, der niemand anderes war als der einzig wahre Freund, den er je gehabt hatte. „Glücksspiel ist die Kunst der Täuschung.“ Mit einem gequälten Stöhnen warf Yoshida die warme Decke, die schwer auf seinem Oberkörper lastete von sich. Noch eine Minute länger in diesem Bett und er würde ersticken. „Bleibt liegen, Yoshida-san,“ hörte er neben sich eine aufgebrachte Stimme und kräftige Hände drückten ihn wieder zurück in die Decken. „Euer Fieber hat noch nicht nachgelassen.“ „Unsinn,“ murmelte er wütend, begriff aber gleichzeitig, dass er, kaum imstande, sich aus den Decken zu befreien, wohl auch nicht sicher auf den Füßen würde stehen können. Seufzend ließ er schließlich vom Wiederstand gegen seinen Pfleger ab und sank zurück in die Kissen. Dieser verdammte Regen. Nur ihm hatte er es zu verdanken, dass er sich auf der Expeditionstour mit seiner Einheit an den Grenzen Choshuus erkältet hatte. Mit letzter Kraft hatte er es auf eigenen Beinen wieder zurück ins Lager der Kihei-Tai geschafft, dann war er zusammengebrochen. „Wie viel Zeit ist vergangen?“ fragte Yoshida laut. „Nicht mehr als ein Tag. Ihr habt tief geschlafen, bis jetzt. Dann haben euch Fieberträume heimgesucht.“ Vier Tage also, seit er beschlossen hatte, Kenshin zu schreiben. Yoshida drehte den Kopf und kniff die Augen zusammen, um den Arzt, der neben seinem Bett stand, deutlicher sehen zu können. Der grauhaarige Mann im hellgrauen Arztkittel lächelte ihm aufmunternd entgegen. „Eine normale Grippe,“ redete er weiter und sein Schnurrbart hüpfte dabei. „Ihr habt das Schlimmste überstanden. Ruht euch nun noch ein bisschen aus und kommt wieder zu Kräften. Ich werde euch noch einen starken Beruhigungstee verabreichen, damit ihr fest durchschlafen könnt. Dann seid ihr morgen wieder auf den Beinen.“ „Domo,“ bedankte sich Yoshida halbherzig und starrte wieder an die Holzdecke des Krankenzimmers, in dem er lag. Dieser Tee würde wirklich ein Segen sein. Er hatte nicht vor, den Traum von gerade eben noch einmal zu durchleben. Vor allem weil es gar kein Traum gewesen war. All das war wirklich passiert... Der junge Mann schloss die Augen. Warum kam ihm ausgerechnet jetzt diese Erinnerung in den Sinn? Es war ein lustiger aber teurer Abend gewesen, er hatte Spaß gehabt und gelacht – damals, in Kyoto, zusammen mit Buntaro und Daisuke. Die ihn später verraten hatten. Ans Messer geliefert. Als Geisel missbraucht. Um sich selbst zu bereichern und Kenshin zu Fall zu bringen. Kenshin... Mit einem Schaudern wurde Yoshida sich bewusst, dass er die ganze Sache in Kyoto nicht einmal halb so gut verarbeitet hatte, wie er das bisher glaubte. Viele neue Aufgaben hatten seinen Geist bei den Kihei-Tai abgelenkt. Nun, da er Ruhe hatte und untätig im Bett lag, kam all das, was er bisher verdrängt hatte, wieder zurück. Das Schockierende daran war, dass dies nicht in erster Linie die schrecklichen Bilder Kyotos waren – blutige Körper, Todesangst, Verrat, das Scheitern von Freundschaft und Werten. Nein, es waren die Bilder einer schönen Vergangenheit, vor der Eskalation der politischen Situation, vor Kenshin: Damals, als er mit Buntaro und Daisuke seine ersten Nächste in Kyoto verbracht, die beiden besser kennen gelernt und als seine Freunde betrachtet hatte. Eine schöne Zeit – die ihm nun ihre Schattenseiten offenbarte. „Die Kunst der Täuschung...“ Mit schmerzverzerrtem Gesicht drehte Yoshida sich zur Wand. Hätte er damals das gewusst, was er heute wusste... wäre dann alles anders gekommen? Wäre er auch zum Verräter geworden? Oder hätte er das Weite gesucht? Am wahrscheinlichsten war, dass er es nicht geglaubt hätte, wahrscheinlich nicht einmal, wenn die Beiden es ihm selbst erzählt hätten. Er hätte das ganze wahrscheinlich für einen Scherz gehalten. Wer würde schon mit einem Würfel spielen, feiern oder auch nur endlos über irgendeinen Schwachsinn diskutieren können – das, was Freunde tun – und einen dann im nächsten Moment ohne mit der Wimper zu zucken verraten? Das konnte nicht sein. Das war mehr als... unwahrscheinlich. Mit einem grimmigen Lächeln warf sich herum und wühlte in seiner Tasche, die er am Boden neben seinem Bett entdeckt hatte. Das Papier raschelte leise, als er es herauszog und auf dem Bettlaken ausbreitete. Yoshida schielte etwas schuldbewusst zur Tür, während er das kleine Dösen mit Tintenpulver befeuchtete, doch der Arzt war schon verschwunden und würde sich erst im Nachhinein über eventuelle Tintenkleckse auf den weißen Bettlaken beschweren können. Rasch tauchte Yoshida den feinen Schreibpinsel in das Döschen. Dabei dachte er immer wieder voller Bitterkeit an seine zwei vermeintlichen Freunde, beide tot. „Daisuke, Buntaro...“ murmelte er, während sein Tintenpinsel vor dem weißen Papier kurz innehielt, „ihr hattet Recht: ich bin ein hoffnungsloser Fall. Ich werde wohl nie die Kunst der Täuschung erlernen.“ Dann begann er, die Kanji von Kenshins Namen auf das Papier zu schreiben. -- Er hatte sie erwartet, als sie nach dem Frühstücksdienst zurück in sein Zimmer kam. Kaum da sie den Raum betrat, stand er von dem Platz an der Wand auf, an dem er auch gesessen hatte, als sie heute morgen aufgestanden war. Er drehte sich von ihr weg und schob das Fenster auf. Tomoe bedankte sich stumm. Mit ihm in einem Raum und sofort kam ihr die Luft stickig vor. Eine Frühlingsbriese wehte herein und sein rotes Haar nach hinten. „Seltsam,“ dachte sie, „dass es in seinem Zimmer gut riecht, nicht nach Blut. Es riecht nach Seife und frischer Wäsche.“ Sie sah seinen Rücken an. „Es ist sauber und es riecht gut. Wie kann ein Mörder gut riechen, so... rein?!“ Er wirkte so klein, fast schwächlich, aber sie wusste, dass dies alles nur Fassade war, denn er hatte sie, als sie auf der Strasse ohnmächtig geworden war, mühelos wegtragen können. Nichts an seinem Äußeren, kam Tomoe zu dem Schluss, verrät, was für eine Person er wirklich ist. Was für ein Täuschungskünstler... ein Monster... „Gomen nasai,“ begann Tomoe leise, als sie fand, dass die Stille zwischen ihnen beiden zu lange gedauert hatte, „ich war gestern Nacht sehr betrunken.“ Verwundert drehte er sich zu ihr um. „Betrunken?!“ murmelte er mehr zu sich selbst. „Dann...“ Er brach ab. „Aber ich weiß, dass du dich um mich gekümmert hast.“ Ihre Stimme war kaum noch ein Flüstern. „Ich danke dir.“ Sie ekelte sich vor ihren eigenen Worten. Er starrte sie nur an, mit diesem ausdruckslosen Gesicht, den roten Haaren und diesen Augen. Als ihr Blick die Narbe auf seiner linken Wange streifte, musste sie eine plötzliche Welle von Hass unterdrücken, die sie zu überschwemmen drohte. Sie senkte ihren Kopf, um das verräterische Funkeln ihrer Augen zu verbergen und war dankbar, dass er nicht antwortete sondern sich wieder von ihr weg gedreht hatte. Ihre Finger krampften sich in den Stoff ihres Kimonos, während sie so da kniete und um Fassung und die nächsten Worte rang. Doch sie konnte jetzt nichts sagen, das Zittern ihrer Stimme würde sie verraten. Sie hatte Angst, oh ja, so schreckliche Angst. Sie wusste, wozu dieser rothaarige Dämon fähig war, sie hatte es gestern Nacht gesehen, alles, und nichts vergessen. Ob Kiyosato auch so gestorben war? Einfach aufgeschlitzt, innerhalb eines Blinzelns ausgelöscht? Sie spürte keinen Schmerz, als sich die Fingernägel noch tiefer in ihre Oberschenkel gruben. Dieser Mann war ein Monster und sie saß mit ihm in einem Raum. Alles in ihr schrie, jetzt sofort aufzuspringen, und ihn zu töten, ihm die Kehle durchzuschneiden, wie sie es geschworen hatte - doch sie hatte nichts, außer ihren bloßen Händen. Ihr Tanto, ihr Rachewerkzeug, war verloren... „Vergiss, was du letzte Nacht gesehen hast,“ hörte sie seine weiche aber keinen Widerspruch duldende Stimme. „Verlass diesen Ort so schnell wie möglich.“ Sie schüttelte innerlich den Kopf. Es gab für sie keine Möglichkeit mehr, diesen Ort unbeschadet zu verlassen. Ihr blieb nur der Weg nach vorne. Sie musste jetzt ihre Rolle spielen. „Störe ich dich? Okami-san scheint mich zu mögen.“ Kenshin seufzte, drehte sich zu ihr um und setzte sich zu ihr auf den Boden. An diesem Morgen verlief nichts annähernd so, wie er es sich vorgestellt hatte. Er musterte diese Tomoe, die den Blick auf ihre Knie geheftet hatte. Wieder einmal kam ihm von ihr eine Welle der verschiedensten Empfindungen entgegengeschwappt. Das war nicht annähernd so, als ob man die Ki eines Gegners lesen würde. Die Ki dieses Mädchens – das war das absolut Rätselhafteste, was er je gesehen hatte. Unruhig rutschte er hin und her. Vielleicht konnte er auf einem anderen Weg versuchen, sie zum Weggehen zu bewegen. „Deine Familie macht sich sicher um dich Sorgen.“ Ihr Kopf schoss nach oben und da waren sie wieder, diese seltsam glühenden Augen, die es ihm abwechselnd heiß und kalt werden ließen. „Denkst du, ich würde mich abends alleine in einer Kneipe betrinken, wenn ich eine Familie hätte, zu der ich zurückkehren könnte?“ Sie sprach belanglos, als ob es nicht um sie selbst gehen würde und doch entging Kenshin nicht der vorwurfsvolle Ton, der in ihrer Stimme mitschwang. Nein, er hatte sich das hier wirklich anders vorgestellt. Langsam holte er den Tanto aus seinem Ärmel und legte ihn neben Tomoe. Ihm entging nicht, dass sich ihre Augen kurz weiteten. „Er gehört dir, nicht wahr?“ Sie nahm ihn in ihre Hände, ihre Finger zitterten leicht. „Danke, dass du ihn mir zurückgibst,“ hörte er sie murmeln. Er senkte den Kopf. Sie hatte also doch Angst! „Besser, du gehst. Verlasse Kyoto so schnell wie möglich. Es ist gefährlich hier und ein kleiner Dolch wird dir an solch einem düsteren Ort auch nicht helfen. Finde einen anderen Platz, an dem du leben kannst, einen Ort, an dem du so eine Waffe nicht brauchst.“ Sie starrte geradeaus. „Ein Ort ohne Mörder und Hitokiri?“ fragte sie und der Klang ihrer Stimme ließ ihn zusammenzucken. „Verstehe.“ „Wir haben hier keine Zeit, uns um dich zu kümmern.“ Seine Stimme war kälter, als er es beabsichtigt hatte. Sie sah ihn ruhig an. „Und wenn ich nicht gehe? Tötest du mich dann? Wie du den Mann gestern Nacht getötet hast?“ Seine Augen verschmälerten sich. Das Wechselbad der Gefühle tendierte nun eindeutig zu kalter Wut. Was erlaubte sich dieses naive Ding, so über ihn zu urteilen? Wo sie doch von nichts eine Ahnung hatte! „Du kannst denken, was du willst,“ begann er sich zu verteidigen, sah sie dabei aber nicht an. Warum machte er sich überhaupt die Mühe? Warum war ihm das, was dieses alberne Mädchen von ihm dachte, nicht einfach egal? Doch seine Zunge redete wie von selbst weiter, er kam sich vor wie ein kleiner Junge, der sich vor seinem Shishou wegen irgendeiner Dummheit rechtfertigen musste. „Ich tue, was ich tue für eine bessere Welt. Eine Welt, in der jeder in Frieden leben kann.“ Seine Augen blitzten blau auf. „Ich töte nicht wahllos, sondern nur Soldaten des Bakufu oder bewaffnete Männer, die sich uns in den Weg stellen. Natürlich gibt es auch Zivilisten, die gegen uns sind aber... ich würde nie einen unbewaffneten Menschen erschlagen.“ Er sah sie an, sein Atem stockte. Sie sah immer noch unberührt geradeaus. Er spürte, wie ihm wieder heiß wurde. Hatte sie ihm überhaupt zugehört? Hatte sie ein Wort von dem verstanden, was er gesagt hatte? „Ich verschwende meine Zeit,“ dachte er frustriert und wollte schon aufstehen, als sie ihn plötzlich doch ansah und mit ihren schwarzen Augen an Ort und Stelle versteinern ließ. „Also tragen deiner Meinung nach schlechte Menschen Waffen und gute Menschen nicht?“ Ihr Blick war so durchdringend, dass Kenshin nicht wegschauen konnte. „Wenn ich also letzte Nacht ein Schwert bei mir getragen hätte,“ redete sie mit ruhiger Stimme weiter, „hättest du mich dann auch getötet?“ Die Stille, die folgte, war schwerer als Blei. Ehe Kenshin Worte fand, die er ihr hätte entgegnen können, war sie schon aufgestanden und hatte die Tür aufgeschoben. „Nun,“ meinte sie mit einem kalten Blick zurück auf ihn, während sie in den Flur trat, „bitte sag mir Bescheid, wenn du eine Antwort auf meine Frage gefunden hast.“ „Warte!“ rief Kenshin zur zugeschobenen Tür, „du kannst nicht einfach so hinausgehen!“ Doch. Und jetzt saß er alleine im Zimmer. „Verdammt,“ knurrte er und hielt sich den Kopf. Ihre Worte hatten ihm ganz schwindelig werden lassen. Was war nur mit ihm los? Was war nur mit IHR los? Warum hatte dieses Mädchen mit ihrem komischen Blick so eine Macht über ihn? „Bin ich jetzt am durchdrehen...“ murmelte Kenshin, während er sich einige rote Haarsträhnen aus der Stirn strich und aus dem Fenster starrte, „... oder beginnen die Dinge langsam einen Sinn zu ergeben?“ Unten in der Küche stand Tomoe, den Oberkörper über den Tisch gebeugt, die Hände in die holzigen Kanten gekrallt, schwer atmend. Sie hatte es geschafft. Sie hatte ihre wahren Gefühle verbergen können, er hatte sie nicht durchschaut. Der Dämon war auf ihre Täuschung hereingefallen. Nie hätte sie gedacht, dass ihr diese Kunst so gut gelingen würde. Dennoch... sie fühle keinen Triumph. Was er da gerade eben gesprochen hatte... was SIE ihm entgegnet hatte... es war alles viel zu nah an den ehrlichen Gefühlen gewesen, die unter der Täuschung lauerten. Was war das, was ER mit ihr anstellte? Er war der Mann, nein, der Junge, den sie bis auf den Grund ihres Herzens hasste und dennoch... als er davon gesprochen hatte, dass er all das nur für eine Zeit des Friedens tat, war keine Lüge in seinen hellen, blauen Augen gewesen. Keine Täuschung. Das Äußere und das Innere schienen eins gewesen zu sein... „Wer ist er?“ keuchte sie, als der Anfall langsam vorüber ging und sie wieder atmen konnte. „Wer ist er und warum ist er, was er ist?“ „Es ist egal,“ murmelte eine kalte Stimme in ihrem Kopf. „Er ist ein Mörder und er wird bekommen, was er verdient.“ Die linke Hand Tomoes krallte sich noch fester in den Tisch, so dass die Knöchel weiß hervortraten, während sie mit der rechten Hand hilfesuchend den kühlen Griff des Dolches umfasste, den sie wieder in ihrem Obi versteckt trug. „Er ist ein Mörder,“ formten ihre zitternden Lippen, während sie noch immer seine rätselhaften, blauen Augen vor sich sah, „und er wird bekommen... was er verdient.“ Doch in diesem Moment hasste Tomoe jemand anderen weitaus mehr als den Mann mit der länglichen Narbe auf der linken Wange. Sie hasste die Person, die sich trotz allem für diesen Hitokiri interessierte. Die tief in ihrem Inneren wissen wollte, wie er dazu fähig sein konnte, so viele Menschen umzubringen und damit zu leben. Die verstehen wollte, warum er sich für diesen Weg entschieden hatte. Die IHN verstehen wollte... Sie hasste sich dafür, dass sie alle anderen täuschen konnte... nur nicht sich selbst. -- Erneut saß Izuka vermummt in einem zugigen, dunklen Tempel, morbides Holz unter seinen Füßen, klappernde Dachlatten über ihm, traurig raschelndes Reispapier, das zerrissen in den Holzrahmen hing und ihn an fliehende Gespenster erinnerte. Izuka hasste Gespenster. Und diesen Ort. Seit dieses Mädchen vor einer Woche Einzug in seinem, oder vielmehr Battousais Leben gehalten hatte, kamen ihm Tempel dieser Art wie sein zweites Zuhause vor. Ständig musste er einen günstigen Zeitpunkt abwarten, sich aus dem Kreise der zunehmend misstrauischer werdenden Ishin Shishi davonstehlen, Meilen um Meilen zu einem entlegenen Schrein hasten und dort erst einmal warten. Je nachdem wie gut es die Oniwabanshu mit ihm meinten, konnte diese Wartezeit zwischen einer Minute und einer Stunde betragen. Innerhalb dieses Zeitraumes jedoch konnte Izuka fest damit rechnen, dass hinter ihm plötzlich eine Gestalt wie aus dem Nichts erscheinen würde und ihn zu Tode erschreckte. Einen Aufschrei konnte Izuka bisher erfolgreich unterdrücken, aber seine Mordlust stieg bei jedem neuen Treffen. Vor knapp einer Woche erst hatte er Takeo Ubei kennen gelernt, in einem – wie konnte es anders sein – baufälligen Tempel. Jedoch reichte das, um Izuka klar zu machen, dass er den Mann nicht mochte. Es war nicht die Art, wie er ihn ständig ansah – verschlagen, die Augen träge immer halb geschlossen, ein süffisantes Lächeln in den Mundwinkeln, kurz: arrogant – nein. Es war seine Stimme, die ihn so nervös und angespannt machte. Dieses sanfte Gesäusel, das er von sich selbst kannte und das er immer dann benutzte, wenn er jemanden manipulieren wollte. Jemanden zu seiner Marionette machen wollte. Und dann kurz vor dem Tanz würde das Lächeln verschwinden. Die Fäden würden angezogen, die Marionette zitternd darin hängen, unfähig zu einer eigenen Bewegung, ausgeliefert, ausgedient. Izuka hatte nicht all die Monate so hart gearbeitet, um tot in den Fäden eines arroganten Mannes zu hängen. Er zog sich seinen Umhang noch ein Stück tiefer über den Kopf. Diese Shinsengumi hatten doch keine Ahnung. Nicht einmal die Oniwabanshu. Nur er allein wusste, wozu Battousai wirklich fähig war. Izuka unterdrückte den Drang, seinen Schnurrbart zu zwirbeln. „Immerhin,“ dachte er zufrieden, „habe ich ihn zu dem gemacht, was er ist. Eine perfekte Waffe, gnadenlos und akkurat, und: meinen Befehlen hörig.“ Er lächelte leise in seinen Umhang. Ubei wollte ihn zu seiner Marionette machen? Das sollte er erst einmal versuchen. Er selbst tat schon seit Monaten so, als sei der die Marionette von Katsura Kogoro. Es war ein leichtes für ihn, ein paar Tage die Puppe von Takeo Ubei zu spielen. Eine plötzliche Bewegung im Raum ließ ihn herumfahren. Sekunden später entspannte er sich wieder, denn wer sonst konnte die verhüllte Gestalt, die fast mit der Schwärze des Raumes eins zu werden schien, sein, als einer der Oniwabanshu. Die Entspannung hielt jedoch nur kurz an. Denn wie immer in den letzten Tagen folgte auf den Abgesandten der Ninja der Abgesandte der Shinsengumi. „Ubei.“ Izuka nickte steif, als eine hagere, großgewachsene Gestalt den Tempel betrat. Immerhin war das einzig positive an diesem Mann, dass er die Tür benutzte und sich nicht wie der Ninja einfach aus einem Loch im Dach abseilte. Der Angesprochene nickte leicht zur Begrüßung. „Noch ein Vorteil,“ dachte Izuka, „er kennt meinen Namen nicht, ich dafür seinen,“ und er lachte hämisch ob dieser leichtsinnigen Arroganz, die nur Männer besaßen, die sich ihrer selbst entweder ziemlich sicher waren, oder ziemlich dumm, oder beides. Bei Takeo Ubei tippte Izuka auf letzteres. „Und?“ Ubei legte den Kopf schief. Izuka räusperte sich. „Ich weiß nicht, ob man schon so weit gehen und es als Fortschritt bezeichnen kann, aber... sie zeigt Wirkung.“ „Inwiefern?“ „Nun... sie schläft in seinem Zimmer.“ Takeo machte eine wegwerfende Handbewegung. „Es interessiert mich nicht, ob sie seine Nutte geworden ist. Ich will wissen, ob sie ihre Rolle spielt oder ob wir sie austauschen müssen.“ Izuka musste ein Lachen unterdrücken. „Sie ist nicht seine Nutte.“ Er musste an den ständig nervösen Rothaarigen denken. Izuka fand es höchst amüsant, ihn seit ein paar Tagen beim Mittagessen immer Rot werden zu sehen. „Eher das Gegenteil – genau, wie wir geplant haben, beginnt er sich, für sie zu interessieren.“ „Und das heißt?“ fragte Ubei ungeduldig. „Das heißt, dass er nervös wird. Verliebt würde ich ihn noch nicht nennen, aber seine Arbeit ist schlampiger als sonst. Irgendetwas beschäftigt ihn und stört seine innere Balance, und das kann nur das Mädchen sein.“ Ubei zog beide Augenbrauen hoch. „Schlampig? Soweit ich weiß, hat er doch Vorgestern Toyoma Ryoka in seinem Haus zusammen mit seinen gesamten Anhängern umgebracht. Das waren an die 10 Leute, alles ausgebildete Samurai.“ Izuka grinste in seinen Umhang. In der Tat, für einen Laien sah es vielleicht nach dem perfekten Attentat aus. Er selbst hatte die Zettel mit der Aufschrift „Tenchuu“ überall auf den Leichen verteilt, die in der Villa herumlagen wie abgeschlachtetes Vieh. Sie waren alle schnell gestorben, aber Izuka war nicht entgangen, dass die meisten Männer vorher noch gekämpft hatten. Battousai hatte sie nicht heimlich erschlagen, er hatte sie kämpfen lassen. Soweit Izuka es an dem Blutbesudelten Hitokiri erkennen konnte, hatte er sogar eine kleine Schramme davongetragen. Das WAR – für Battousai... schlampig. Aber das brauchte Takeo Ubei nun nicht so genau zu wissen. Immerhin reifte in Izukas Gehirn gerade ein Plan, wie er diesen unliebsamen Shinsengumi-Gesandten weitersenden konnte, und zwar so, dass er nie mehr den Weg zu ihm zurückfand. Sich, sozusagen, endgültig verabschieden würde. „Sie macht Battousai nervös,“ fuhr er in geschäftsmäßigem Ton fort und tat ein paar Schritte auf den knarrenden Dielen. „Das ist die Chance, die ihr nutzen müsst. Wenn er erst einmal beginnt, Fehler zu machen, dann ist er leichte Beute für euch.“ „Dann scheint es also,“ lächelte Ubei, „dass der Plan der Oniwabanshu funktioniert. Scheint, dass dieser Battousai doch nicht so ein perfekter Hitokiri ist, wie einem alle glauben machen wollen. Er entwickelt Gefühle für dieses Mädchen... was für ein Anfänger.“ Er lachte höhnisch. Izuka verkroch sich tiefer in seinem Umhang. Wie leicht sich dieser Mensch doch täuschen ließ. Schon hing er in seinen eigenen Fäden. Takeo konnte ja nicht wissen, dass Battousais Schwert immer noch das tödlichste in ganz Kyoto, wenn nicht Japan, war, und dass daran ein dahergelaufenes Mädchen auch nichts so schnell ändern würde. Er hatte Himura beobachtet die letzten Tage, sehr genau, und eines war sicher: Der Junge konnte Privatleben und Beruf erstaunlich gut trennen. Sobald er ihm einen schwarzen Briefumschlag übergab, verwandelte er sich zurück in den erbarmungslosen Killer, seine sonst so leeren Augen wurden von einem unheimlichen Feuer erfüllt, dass, seit dieses Mädchen bei ihm war, beunruhigend intensiver geworden war. Und kälter. Toyoma Ryoka und seine Samurai? Das war doch nur ein Abend der Woche. Ein Bruchteil der Aufträge. Takeo Ubei hatte keine Ahnung. Und Izuka keine Wahl. Im zugigen Tempel entschloss er sich rasch, diesen Mann verschwinden zu lassen. Er war ihm zu ähnlich. Und das war beunruhigend. Denn dann würde er, wenn er alle seine Dienste für die Shinsengumi eingelöst hätte, von ihnen nicht mit Gold in den Taschen sondern einem Messer im Rücken entlohnt. Und dafür war er sich zu schade zum Sterben. „Es gibt noch weitere, wichtigere Informationen,“ verkündete Katsura Kogoros vermeintlicher Mann für die Geheimoperationen laut. „Wichtiger, als das Mädchen...“ Takeo Ubeis Augen wurden schmal und auch der Ninja trat näher. Izuka senkte seine Stimme, um die Wichtigkeit seiner gerade eben ausgedachten Botschaft noch zu steigern. „Es geht um Katsura Kogoro persönlich... und nicht nur um ihn.“ Ubeis süffisantes Lächeln verschwand und ein gieriges Flackern trat in seine Augen. „Ein Zusammentreffen?“ fragte er, seine Stimme vor Erregung bebend. Izuka nickte ernst sein verhülltes Haupt. „Alle Ishin Shishi-Anführer?“ „Alle.“ „Endlich!“ zischte Ubei und schritt aufgeregt durch den Raum. „Es wurde auch langsam Zeit.“ Er trat wieder zurück zu Izuka. „Wann?“ Izuka ließ sich einen Moment Zeit. Immerhin durfte er jetzt keinen Fehler machen. „Morgen,“ antwortete er schließlich. „Morgen schon?!“ Ubeis Stimme klang plötzlich unnatürlich schrill. „Und wo?“ setzte er nach. „Tja...“ Izuka drehte sich zur Seite. „Das ist allerdings ein kleines Problem.“ „Wieso zum Teufel?“ schnappte Ubei ungehalten. „Gibt es einen Treffpunkt oder gibt es keinen?“ „Das ist ja das Problem. Es gibt nicht nur einen Treffpunkt... sondern drei.“ „Drei?!“ schrie Ubei und der Ninja zuckte zurück. Der Mann der Shinsengumi trat näher an Izuka. „Wieso gibt es drei Treffpunkte?“ presste er hervor, mühsam seine Wut beherrschend. „Weil Katsura Kogoro kein Idiot ist. Natürlich fürchtet er einen Verrat. Daher teilt er selbst seinen engsten Verbündeten den Ort des Treffens erst kurz vorher mit.“ Ubei fuhr sich mit der Hand über die Augen. Diese Überlegung war durchaus plausibel und entsprach so jemandem mit verschlagenem Charakter wie Katsura Kogoro. Nicht umsonst hatte er sich bisher in der Unterwelt von Kyoto so gut halten können. „Nennen sie mir die drei Treffpunkte,“ verlangte er. Izuka gehorchte und gab die Informationen preis. Der erste Ort, völlig unbedeutend, eine große Fischhalle am Hafen. Der zweite Ort, noch unbedeutender, ein Bordell im Gion-Viertel. Der dritte Ort, bedeutend, eine Taverne am Rand des Tempelbezirkes. Natürlich schaffte es Izuka, Takeo Ubei zu überzeugen, dass das Bordell der umschmeichelnden Sakura-Blüten der Ort war, an dem das Treffen stattfinden würde. Es genügten leichte Andeutungen, ein paar Zusatz-Informationen, und am Ende des Gespräches war Ubei der Meinung, er selbst hätte seinem Gegenüber alles Wissenswerte abgepresst und sich zusammengereimt. „Natürlich,“ flüsterte Ubei aufgeregt, seine Augen funkelten, „ist eine Fischhalle viel zu auffällig. Gerade Nachts sind zu viele Fischer unterwegs. Und was soll diese Taverne am Tempelbezirk? Ein öffentliches Gebäude zu einem so wichtigen Treffen? Unwahrscheinlich. Vor allem, weil Katsura die Besitzerin der umschmeichelnden Sakura-Blüten kennt und sie ihm einen Gefallen schuldig ist...“ Izuka hörte mit einem unsichtbaren Lächeln den geflüsterten Gedankengängen seines Gegenübers zu. Takeo Ubei kam schließlich zu dem Schluss, an allen drei Orten Leute zu postieren, jedoch mit der größten Einheit das Bordell zu stürmen. Falls er sich irren sollte konnten die anderen Einheiten immer noch schnell genug nach Verstärkung schicken. Mit hastigen Schritten und ohne Verabschiedung verschwand Takeo Ubei aus dem Tempel, Sekunden später gefolgt von einem gesichtslosen Schatten. Izuka wartete einen Moment, bevor auch er sich auf den Heimweg machte. Leise summend betrat er durch den Hintereingang die Küche des Kohagiya. Im Nebenraum hörte er es plätschern. Battousai, der sich die Hände wusch. Nein, nicht Battousai: das fanatische Ritual des Händereinigens war ein Überbleibsel von Kenshin Himura. Izuka lugte zur Tür hinein. „Was ist passiert?“ fragte er lässig, aber neugierig. Immerhin hatte Himura für heute Abend keine Aufträge von ihm erhalten. Statt dessen war er mit Katsura unterwegs gewesen. „Wie ist das Treffen gelaufen?“ Kenshin schaute nicht auf. Er starrte auf seine Hände in der hölzernen Waschschüssel. „Schlecht.“ Izuka zog die Augen hoch und nickte in Richtung der Blutspritzer auf Kenshins hellgrauen Hakama. „Und das?“ Kenshins Hände erstarrten kurz. „Auf dem Heimweg.“ Dann plätscherte es weiter. „Wer?“ fragte Izuka. Endlich sah Kenshin auf. Der Blick in seinen Augen ließ Izuka kalt werden. Die perfekte Waffe... „Ich weiß es nicht. Sie waren zu fünft und griffen uns ohne Kommentar an.“ Er schaute wieder zurück in die Schüssel, rieb sich ein letztes Mal noch die Hände, dann leerte er das blassrosa Wasser langsam aus. „Sie sind tot.“ Langsam nickte Izuka. „Gut gemacht. Wir haben überall Feinde.“ Dann lächelte er wieder und zwirbelte sich den Schnurrbart. „Wie läuft’s mit Tomoe?“ Langsam stellte Kenshin die leere Holzschüssel neben das Waschbecken. Dann fixierte er Izuka und sein Blick war leer. „Auch gut.“ Izuka zuckte mit den Schultern. „Seh nur zu, dass du morgen gut ausgeruht bist. Ich habe einen wichtigen Auftrag für dich.“ Kenshin nickte. Immer noch der leere Blick. Izuka wandte sich zum Gehen. Dann blieb er kurz stehen und sah über die Schulter zurück auf Kenshin, der in der halbdunklen Kammer stand und seine Hände abtrocknete. „Ach übrigens...“ Er nickte in Richtung von Kenshins Hakama. „Die würde ich ausziehen. Du weißt schon... Frauen stehen nicht so auf Blut.“ Damit war er verschwunden. Kenshin stand alleine im Dunkeln. Die Augen leer. Mechanisch ging er ins Badehaus und begann, seinen ganzen Körper abzuschrubben, die verschmutzte Kleidung weit von sich in die Ecke geschleudert. Eimer um Eimer schüttete er klares Wasser über sich und verharrte dann, sein Spiegelbild in den nassen Bodenfließen betrachtend. Alles, was er sehen konnte, war rot. Und mitten darin das Gesicht von Tomoe. „Also tragen deiner Meinung nach schlechte Menschen Waffen und gute Menschen nicht?“ Er sah ihren Blick, durchdringend und klar und ihre Stimme schnitt in sein Herz. „Wenn ich also letzte Nacht ein Schwert bei mir getragen hätte, hättest du mich dann auch getötet?“ Mit steinernem Gesicht zog sich Kenshin frische Sachen an, nahm seine zwei Schwerter, ging in sein Zimmer und sie lag da am Boden, atmete ruhig und die Luft war schwer von ihrem Pflaumenblütenduft. Er blieb einfach stehen, sah sie an und überlegte, wie einfach es wäre, die Gedanken abzuschalten, seinen Schutzmantel der Gleichgültigkeit wieder anzuziehen wenn er einfach das Schwert wie schon hundert Mal vorher aus der Scheide ziehen und in ihr Herz bohren würde. Er blinzelte. Schnell legte er die Klingen zu Boden und setzte sich daneben an die Wand. Mit der linken Hand schob er das Fenster einen Spalt breit auf und sah in den Nachthimmel. Fünf Menschen heute. Wie viele waren es gestern? Diese Woche? Wie viele in diesem Jahr? Und wie viel Blut insgesamt? Mehr als die Sterne am Himmel? Oder weniger? Wie viel Sterne gab es am Himmel? War jeder Stern ein Toter? Lebten dann die Toten und starrten auf ihn herab? Er schob das Fenster wieder zu. „Wen will ich täuschen?“ seufzte er leise, während er das Katana gegen seine Schulter lehnte. Die Gedanken und Zweifel waren wiedergekommen. Und mit ihnen Fragen, die nicht beantwortet werden konnten. So wie ihre. „Hätte ich sie getötet oder nicht?“ Kenshin starrte in seine Handflächen. Sie waren mehr als sauber, alles an ihm war sauber, aber er fühlte sich schmutzig und ekelte sich vor dem Blut, dass er immer noch unter seinen Fingernägeln kleben sah. Nein, er wusste keine Antwort auf ihre Frage. Vielleicht hatte er auch Angst, dass es eine Antwort geben könnte. Eine Antwort, mit der er, egal in welchem Fall, entweder sich selbst oder sie betrügen würde. „Ja, ich hätte dich getötet,“ und sie wäre weg, weg aus seinem Leben, sie würde einfach gehen und vielleicht irgendwo ihr Glück finden, Hauptsache, nicht hier. Nicht in Kyoto und nicht bei jemandem wie ihm. „Nein, ich hätte dich nicht getötet,“ und sie würde vielleicht bleiben, aber wem würde das etwas nützen? Vielleicht würde er sich dadurch besser fühlen. „Vielleicht,“ argumentierte die kalte Stimme tief in ihm, „belügst du dich damit nur selbst. Du willst dir nicht eingestehen, dass du dazu fähig wärst, sie zu töten. Aber du bist dazu fähig, du bist Battousai, jeder fürchtet dich. Willst du etwa sagen, du könntest sie nicht töten, wenn sie dich mit dem Schwert oder ihrem lächerlichen kleinen Tanto angreift?“ Kenshin schloss die Augen und lehnte den Kopf gegen das Holz des Fensterrahmens. Die Stimme hatte recht. Er würde ihr sagen, dass er sie getötet hätte. Sie würde gehen und mit ihr die Fragen und er hätte wieder seine Ruhe. Seine Arbeit wäre nicht mehr schlampig und er... würde sich nicht mehr der Selbsttäuschung hingeben, dass noch irgendetwas Unschuldiges in ihm übrig geblieben war. Grimmig packte er wie um Unterstützung suchend sein Schwert. Das würde eine lange Nacht werden. Im Zimmer roch es immer noch nach Pflaumenblüten. Er hörte ihren ruhigen Atem. Und... er schlief ein. Tief und fest. Das erste Mal seit knapp einem halben Jahr. -- Nächstes Kapitel: Was ist in der Vergangenheit zwischen Takeo Ubei und Saito passiert? Was hat Izuka für Pläne? Eines ist sicher: Es wird Kampfesgetümmel geben, wenn Shinsengumi und Battousai zum ersten Mal direkt aufeinandertreffen... Bis demnächst ^^ Danke für alle, die sich für meine kleine FF noch interessieren und weiterlesen. Ich freu mich über jeden Kommentar! LG, Ju-Chan Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)