Echte Kerle von moko-chan (Dean+Sammy) ================================================================================ Kapitel 9: Verlustangst ----------------------- Sam musterte den graumelierten Herrn, der sich ihnen als Mr. Johnston vorgestellt hatte, und schaffte es beim besten Willen nicht, ihn sich mit seinem Vater in einem Raum vorzustellen und noch viel weniger als dessen Anwalt. Als Mr. Johnston ihn und Dean nun aber begrüßte, sie freundlich bat, Platz zu nehmen und schließlich sogar eine Keksdose hervorzauberte und ihnen den Inhalt anbot, wusste Sam, dass zumindest Deans Herz im Sturm gewonnen worden war, und harrte geduldig den Dingen, die da kommen mochten. Mr. Johnstons Sekretärin hatte sie genötigt, sich auszuweisen, bevor sie sie in Mr. Johnstons Büro vorgelassen hatte, und er wurde das Gefühl nicht los, dass ihm nicht gefallen würde, was Mr. Johnston ihnen zu sagen hatte. Da Sam seine Gefühle in der letzten Zeit allerdings eher suspekt waren, gab er nicht viel darauf, sondern beobachtete aus dem Augenwinkel, wie Dean sich einen Keks nach dem anderen einverleibte. Mr. Johnston erklärte ihnen mit seiner ein wenig heiseren Stimme, dass er sich im Auftrag ihres Vaters mit ihnen in Verbindung gesetzt habe, und hob mahnend die Hand, als Dean Anzeichen machte zu protestieren und zu diesem Zweck tatsächlich die Keksdose auf den Schreibtisch stellte. „Verstehen Sie mich bitte nicht falsch“, erklärte Johnston gelassen. „Ich habe Ihren Vater seit über 5 Jahren nicht mehr gesehen.“ Dean blinzelte verwirrt, und Sam hätte ihm am liebsten einen Keks in den Mund gesteckt, weil das so unglaublich putzig aussah – 5 Punkte Abzug auf der Männlichkeitsskala – und Johnston fuhr fort. „Er hat mir allerdings aufgetragen, mich mit Ihnen in Verbindung zu setzen, wenn ich bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nichts von ihm gehört hätte – und dieses Datum ist, wie Sie sich vermutlich denken können, kürzlich verstrichen.“ Dean nickte grimmig und verschränkte die Arme vor der Brust, und Mr. Johnston schloss eine Schublade seines ausladenden Schreibtischs auf, entnahm den Inhalt und reichte Dean einen großen Umschlag. „Das ist für Sie.“ Dean nahm den Umschlag, blickte Mr. Johnston fragend an und hob schließlich die Augenbraue. „Das war alles?“ Mr. Johnston nickte lächelnd. „Das war alles.“ Sam und Dean blinzelten um die Wette, Mr. Johnston erhob sich aus seinem Ledersessel und komplimentierte die Herren Winchester freundlich aber bestimmt zur Tür hinaus. Draußen angekommen warfen sich die Beiden einen aussagekräftigen Blick zu und stiegen dann synchron in den Impala, warfen synchron die Türen hinter sich zu, und Dean riss sofort den Umschlag auf und besah sich die Photos, die ihm entgegen purzelten, und Sam ging sprichwörtlich das Herz auf, als er ihn lächeln sah. „Keine Ahnung, warum er die bei nem Anwalt hinterlegen musste, aber schön sind sie trotzdem“, murmelte Dean versonnen, reichte die Photos an Sam weiter und durchsuchte den Umschlag auf weiteren potentiellen Inhalt. Sam erblickte auf 3 Photos zuerst sich selbst im Alter von zwei Monaten in den Armen seiner Mutter, dann in den Armen seines Vaters, und dann – furchtbar bezaubernd – in Deans Armen, der strahlte wie ein Honigkuchenpferd und ihm gerade in die Nase kniff. Offenbar hatte er das schon immer gern getan. Sam arbeitete sich lächelnd durch alle 25 Photos – jedes einzelne Zeuge einer glücklichen Familie in längst vergangenen, ungefährlichen Zeiten – und es war gut möglich, dass er sich schon lange nicht mehr so sicher und beschützt gefühlt hatte. Sicher, ihre Welt war jetzt sehr viel bedrohlicher als die des Großteils der Weltbevölkerung, aber jedes weitere Photo, auf dem er und Dean gemeinsam zu sehen waren, bestärkte die Überzeugung in ihm, immer jemanden zu haben, der für ihn da wäre, jemanden, auf den er sich rückhaltlos verlassen konnte. Sam lachte leise auf, als er auf ein Photo stieß, auf dem Dean mit ihm in den Armen eingeschlafen war und ihn so festhielt, dass es aussah, als habe er Angst, man würde versuchen, ihm Sam wegzunehmen. Der Gedanke, dass Dean schon immer einen Bruderkomplex gehabt hatte – ganz ohne Monster und Dämonen – war unglaublich beruhigend, und Sam verlor sich für einen Moment in der Vorstellung, wie es wäre, wenn Dean ihn auch jetzt noch ab und zu so festhalten würde, und wurde erst wieder auf Dean aufmerksam, als der einen Laut ausstieß, der ihn unwillkürlich an einen Ertrinkenden erinnerte. Sam wandte ihm sofort beunruhigt den Blick zu und erschrak, als er sah, dass Dean totenbleich geworden war, und als er registrierte, dass in Deans Schoß ein Dokument lag, das ihm augenscheinlich aus der Hand gefallen war, griff er danach, überflog es, und dann gab er den gleichen erstickten Laut von sich wie zuvor Dean, und das Blatt Papier fiel aus seinen kraftlosen Händen in seinen Schoß. Das konnte doch nicht wahr sein – das durfte nicht wahr sein! Es musste sich um einen Fehler handeln, Mr. Johnston hatte sie verwechselt … hatte ihnen die falschen Papiere ausgehändigt – aber wie ließen sich dann die Photos erklären? Sam schluckte trocken und für einen grässlichen Moment fürchtete er sich davor, Dean anzusehen. Er nahm die Adoptionspapiere aus seinem Schoß, las sie noch einmal und sehr aufmerksam durch und ignorierte den Kloß in seinem Hals, genauso wie er die aufsteigenden Tränen ignorierte, die ihm die Sicht zu nehmen versuchten. Dean war nicht sein Bruder. Dean war von seinen Eltern adoptiert worden, als er erst ein paar Tage alt gewesen war. Dean war nicht sein Bruder. Noch nie hatte Sams Verstand sich so hartnäckig geweigert, etwas zu akzeptieren. Die Existenz von Monstern, Geistern und Dämonen war so viel leichter zu begreifen und zu ertragen als die Nichtexistenz seines großen Bruders. „Zumindest ist jetzt klar, dass die Banshee mit ihrem Gejaule nicht dich gemeint haben kann“, hörte Sam Deans leise, um Beherrschung ringende Stimme, und er wollte ihn umarmen, aber er wusste nicht, ob Dean ihn lassen würde, und dann drehte er sich herum und schlang seine Arme um ihn und hielt ihn fest, ignorierte, dass die Photos von seinem Schoß in den Fußraum des Impalas rutschten, genau wie die einzelne Träne ignorierte, die über seine Wange rollte und in Deans Shirt verschwand. Er spürte, wie Dean seine Umarmung erwiderte, und seine Finger krallten sich wie von selbst in Deans Shirt, als ob ihm das den emotionalen Halt geben würde, den er jetzt so dringend brauchte. „Alles klar mit dir, Sammy?“, erklang erneut Deans Stimme, und es drückte Sam beinahe die Luft ab, dass Dean ihn das tatsächlich fragte. Erstens war allein die Vorstellung, mit ihm könne alles klar sein, völlig absurd und zweitens sollte er das wohl eher Dean fragen! „Ja“, log er also tapfer, löste sich eher widerstrebend von Dean und schaffte es nicht, seinen Blick wieder von ihm abzuwenden, nachdem er sein Gesicht gestreift hatte. Noch nie zuvor hatte Dean so traurig, gebrochen und gleichzeitig so wütend und enttäuscht ausgesehen. Wie hatte sein Vater es nur mit sich selbst vereinbaren können, es ihm nie persönlich gesagt zu haben? „Schon gut, Sammy … das ist nett von dir, aber ich möchte nicht …“ Sam ignorierte Deans Stimme, die viel zu sanft, viel zu abwesend, viel zu Dean-untypisch klang, und drängte ihm mit sanfter Gewalt eine heiße Schokolade auf. Dean protestierte nicht länger, nahm die Tasse an, und dann starrte er wieder apathisch ins Leere – exakt wie er es die letzten Tage in so gut wie all seinen wachen Stunden getan hatte. Sam hegte die absurde, aber dennoch nicht zu unterdrückende Angst, dass Dean sich einfach in Luft auflösen und ihn allein lassen würde, wenn das so weiter ging. Er sandte einen stummen Fluch an die Unterlagen, die er in die untersten Schichten des Kofferraums des Impalas verbannt hatte – wo sie nun darauf warteten, in den Wagen assimiliert zu werden – und nahm einen Schluck von seiner eigenen heißen Schokolade. Diese blöde Adoptionsurkunde hatte seinen Bruder augenscheinlich komplett vom Erdboden getilgt, denn der Mann, der ihm gegenüber saß, hatte nichts mit dem Dean gemein, den er vor einer gefühlten Ewigkeit mal gekannt hatte. Der Mann, der ihm gegenüber saß, war so damit beschäftigt, seine Wut, seine Trauer, kurzum, all seine Gefühle zu verdrängen, dass er nicht mehr weit von jenen geisterhaften Halbwesen entfernt war, die sie für gewöhnlich zur Strecke brachten. Sam fragte sich unwillkürlich, ob es auch übernatürliche Wesen gab, die durch einen schweren emotionalen Schock entstanden, und beschloss, dass es sie nicht gab, weil der Gedanke viel zu beängstigend war. Er selbst hatte so gut wie alle wachen Stunden der letzten Tage damit verbracht, Dean zu beobachten – genau das tat er auch jetzt – und dessen Blick hätte für verträumt gehalten werden können, wäre da nicht die intensive Trauer gewesen, die in den Tiefen seiner Augen lauerte. Sam fuhr sich ungeduldig mit der Hand durchs Haar und verpasste sich selbst mentale Ohrfeigen, weil jetzt wohl kaum der passende Augenblick war, Dean anzuschmachten – auch wenn dessen Augen wirklich unverschämt hübsch waren, und von der abnormen Länge seiner Wimpern wollte er gar nicht erst anfangen. Sam konnte sich sowieso nicht ganz entscheiden, ob er nun erleichtert sein sollte, weil seiner – nun nicht länger inzestuösen – Zuneigung Dean gegenüber zumindest in der Theorie nichts mehr im Weg stand, oder ob es ihm lieber gewesen wäre, bis ans Ende seiner Tage seinem großen Bruder nachzuschmachten. So wie Dean nämlich jetzt war, hatte er quasi nichts mehr mit der Person gemein die … die … ach verdammt, er konnte es genauso gut zugeben: in die er sich verliebt hatte. Kurz war Sam in Versuchung, diese Gedanken an Dean weiter zu leiten, in der leisen Hoffnung, dass der dadurch aus seiner Lethargie gerissen werden und ihm ein paar Punkte von der Männlichkeitsskala abziehen würde, aber andererseits konnte es auch sehr gut sein, dass ein derartiges Geständnis Dean nur noch mehr belasten würde, und ihn somit vollends zum melancholischen Einsiedler mutieren ließ. Sam trank seine heiße Schokolade aus, stand auf, um sich eine neue zu holen, und beobachtete aus dem Augenwinkel noch immer Dean, der den Kopf auf die linke Hand gestützt hatte – in der rechten hielt er seine heiße Schokolade, die er offensichtlich vergessen hatte – und aus dem Fenster starrte und so furchtbar verloren wirkte, dass Sam ihn schon wieder umarmen wollte. Und das hatte rein gar nichts damit zu tun, dass er das sowieso die ganze Zeit machen wollte. Er wandte sich zum Tresen um und so sah er nicht, wie Deans Blick sich plötzlich fokussierte, sich beinahe irritiert auf die Tasse in seiner Hand richtete, und dann lächelte Dean und nahm einen Schluck. Sam war schon irgendwie niedlich, wie er ihn mit sowas Banalem wie heißer Schokolade aufzuheitern versuchte – das Schlimme war nur, dass es sogar irgendwie funktionierte, weswegen er die Tasse jetzt auch in einem Zug leerte und dann beschloss, dass er noch eine Zweite vertragen könne. So wie Sam in den letzten Tagen um ihn herum scharwenzelt war, war es höchst unwahrscheinlich, dass er ihn einfach sitzen lassen würde, weil sie keine Brüder waren, und auch, wenn Dean sich noch immer widerlich sensibel und emotional fühlte, war es jetzt wohl langsam an der Zeit, sich zusammenzureißen. Er wusste nur noch nicht so ganz, wie er das anstellen sollte. Dean seufzte, stand auf und ging an den Tresen, und dann fiel ihm auf, dass Sam nicht mehr im Café war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)