Speechless von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Es war noch nicht mal eine Stunde vergangen und sie vermisste ihn bereits. Fest hatten sie sich einander zum Abschied gedrückt und er war nicht umhin gekommen, ihr noch einmal zuzuzwinkern, bevor sie sich abwandte und mit den anderen gemeinsam den Weg nach Hause einschlug. Über die Bedeutung des Zwinkerns wollte sie lieber nicht nachdenken, dafür war er ihr ein wenig zu übermütig, wie es sich allein auf der Festung mal wieder herausgestellt hatte. Wie ausgelassen und fröhlich war der Abschied zelebriert worden, nicht zu vergessen mit der dazugehörigen großen Menge der besten Rebe von ganz Paris. Der Wein im Hause Bonacieux’ war seit dem Einzug in das altneue Heim und der Neuaufnahme der Geschäfte wieder recht üppig vorhanden und wurde auch dementsprechend ausgeschenkt. Schon morgen wollte D’Artagnan in die Gascogne aufbrechen, um seine Großeltern zu besuchen, die er seit solch einer langen Zeit nicht mehr gesehen hatte. Innerlich hoffte sie, dass sich der junge Bursche nicht von seinen Großeltern bereden ließ und wieder nach Paris zurückkehrte, so wie er es auch vorausgesagt hatte. Wenn sie es recht bedachte, sollte sie ihre Zweifel verwerfen, wartete doch schließlich Constance auf ihren Herzensbrecher in Paris. Ja, allein wegen ihr würde er zurückkehren. Sie müsste sich nicht sorgen. Diesen Gedanken weiter verfolgend schmunzelte sie leicht, was von dem hochgeschlagenen Kragen ihres Mantels verheimlicht wurde. Jäh wurde sie aber in die unheimliche Wirklichkeit zurückgeholt, als sie die laut johlende Stimme eines kräftigen Musketiers neben sich vernahm. „Fréreee Jacqueee, fréreee Jacque...“ Aramis erahnte, dass Porthos inbrünstig versuchte zu singen, was jedoch kläglich aufgrund seiner lallenden Stimme scheiterte. Sollte sie ihn darauf hinweisen oder würde Athos zu ihrer rechten, der ebenso gequält zu Porthos hinüberschielte, dies erledigen? Zu viel Wein. Eindeutig zu viel Wein. Normalerweise war Porthos stets derjenige, der als letzter noch gerade gehen konnte, doch heute Abend schien die rote Sünde ihn schneller einzunehmen, als Aramis und Athos zusammen. Würde er umfallen, würden sie es aber nicht gemeinsam schaffen, ihn nach Hause zu bringen... zu schleppen... zu ziehen, oder wie immer man dies dann auch bewerkstelligen konnte. Weit einladend breitete er die Arme vor sich aus und bekräftigte seine Melodie mit erneuten schiefen Tönen. Aramis konnte nicht anders als zu kichern. Dabei muss sie Athos Blick auf sich gezogen haben, der einen Moment zu lang auf ihr verweilt hatte. Sie hatte es bemerkt und als sie ihn wegen des Grundes mit ihren Augen durchleuchten wollte, wandte er sich ab und lenkte seine volle Konzentration wieder auf den großen Hünen, der sich nun tänzelnd die Straße entlang bewegte. Das ständige Beobachten... Unausgesprochene Worte... Leidvolle Blicke, die man nicht deuten konnte... Wann war alles derart kompliziert geworden? Wenn sie es recht bedachte, war mit Athos eigentlich seit Beginn an alles chaotisch und verwirrend. Nur bemerkte es niemand. Sie mochte es nicht, dass er stets in sich gekehrt war. Athos sprach nur, wenn seine Worte Bedeutung hatten. Selbst zu geselligen Abenden in der oft heimgesuchten Schänke war er wortkarg. Dahingehend würde er sich wohl nie ändern. Und trotz allem gab es diesen Ausdruck in seinen Augen, in welchen sie lesen konnte, an was er gerade dachte. Oft ließ er sie gewähren und teilte ihr stumm mit, was ihm Kummer oder tiefes Sinnen bescherte. Aber es gab auch Momente, in welchen er ihr den Eintritt verweigerte und sie sich fragte, was der Grund dafür sei. D’Artagnan und Porthos waren da um so vieles anders. Sie waren ungestüm und offenherzig. Was sie auch bedrückte, sie würden stets offen darüber sprechen, oftmals lauter, als man es sich wünschte... Ihr Blick zog sich wieder auf die große wankende Gestalt, die plötzlich bedrohlich zur Seite kippte. Athos hatte es ebenfalls gesehen und hastete nach vorn, um ihn unterm Arm packen zu können, dabei nicht bedenkend, dass es sich nicht um den kleinen D’Artagnan handelte, dessen Last nun auf seinen Schultern wog. Mit einem Grinsen stellte Aramis fest, dass Athos einige Kraft benötigte, um gegen die Körpermasse Porthos’ anzukämpfen, die ihn allmählich in die Knie zwang. Langsamer als es hilfreich war, ging sie um die beiden Männer herum und bedachte Athos mit einem gespielt leidigen Blick. „Wäre es erdreist zu fragen, ob du mir helfen könntest?“, fragte Athos mit fast gebeugten Haupt unter der Last von Porthos Körper und Aramis konnte vernehmen, wie viel Anstrengung ihn das gekostet haben musste, dabei noch so beherrscht zu klingen. Den Zeigefinger an das Kinn legend, überlegte sie und nach Athos Auffassung grübelte sie eindeutig zu lang. „Gerade ich, Athos? Ich würde unter dieser dicken Last namens Porthos zusammenbrechen“ „Spiel nicht den Gebrechlichen, Aramis. Wir alle wissen, dass mehr Kraft in dir ruht, als andere vermuten würden...“ Hatte sie sich da eben verhört? War das etwa ein Lobspruch auf ihre Fähigkeiten. Sie war irritiert. Sowas hatte sie bis dato noch nie aus seinem Munde vernommen. Ein lang gedehntes „Aramiiis...“ holte sie aus ihrer Überraschung zurück und schnell griff sie nach dem anderen stämmigen Arm und legte diesen um ihre Schultern. Porthos zwischen sich wissend, gingen die beiden stumm die Straße hinab. Es hatte sie irritiert solch anerkennende Worte aus Athos Mund zu vernehmen. In all den Jahren, die sie nun einander kannten, war er mehr als sparsam mit Lobesreden umgegangen. Oft hatte er seine Worte nie direkt an den jeweiligen Begünstigten gerichtet, sondern vielmehr zwischen den Zeilen verlauten lassen, was er von eben getaner Arbeit hielt. Spannung lag in der Luft, wie sie Aramis selten erlebt hatte. Am heutigen Abend war ihr ihr langjähriger seltsam fremd. Lag es daran, dass D’Artagnan die Stadt verließ und sie nicht genau wussten, wann er wiederkehren würde? Vermutlich trug er der gleiche freundschaftliche Sehnsucht in sich wie sie selbst. Die unangenehme Stille zwischen ihnen unterbrechend und vor allem damit den murmelnden Sangestönen von Porthos zu trotzen, schlug Aramis vor „Ich würde sagen, wir bringen Porthos zu mir nach Haus. Ich bin genauso wenig wie du in der Lage, ihn bis ans andere Ende von Paris zu eskortieren, nur damit er unbeschadet in sein Bett kommt und wir beide abgekämpft den gesamten Weg zurückgehen müssten. Er könnte bei mir auf der Chaiselonge übernachten. Ich nehme mal an, dass er das in seinem derzeitigen Zustand sowieso nicht bemerken würde... Was hältst du davon?“ Etwas überrascht über diesen Vorschlag, blickte Athos ihr über den hängenden Kopf von Porthos hinweg, in die Augen. Sie erkannte, dass er kurz alle Möglichkeiten durchdachte und wohl schließlich ebenfalls zur Einsicht gelangte, den Abend nicht noch später als nötig werden zu lassen „Nun gut, wenn du eine unruhige Nacht freiwillig auf dich nehmen möchtest, dann bringen wir ihn zu dir...“ Das hatte sie natürlich nicht bedacht. Sie wusste das Athos Anspielung darauf abzielte, dass Porthos laut schnarchte. Gleichzeitig kam ihr in den Sinn, dass zu allem Überfluss er auch ihre Essensvorräte zum nächsten Tage plündern würde. Etwas geschockt über ihren eigenen Vorschlag im Nachhinein, überhörte sie beinahe Athos nächste Worte „Deinem Gesichtsausdruck nach zu deuten, hast du eben daran gedacht, dass deine Küche morgen früh geplündert sein wird...“ Wie war das nur möglich, dass er ihre Gedanken lesen konnte? Überrascht erwiderte sie seinen Blick und verweilte dabei einen Moment zu lang, sodass sie in die Tiefe seiner Augen versinken durfte. Er ließ es zu, doch konnte sie nichts darin erkennen. Es lag ein Ausdruck darin, den sie vorher niemals an ihm wahrgenommen hatte. Athos wandte sich wieder ab und zog bedächtig Porthos mit. Beinahe hatte Aramis vergessen, ihre Füße wieder in Bewegung zu setzen. Nachdenklich versuchte sie Möglichkeiten abzuspielen, wie sie Porthos morgen früh davon abhalten konnte, sich an ihren Essensvorräten zu vergreifen. Ein Vorhängeschloss... Ja, das würde Wirkung zeigen. Nicht einmal Porthos würde es wagen, einen Schrank aufzubrechen in ihrem Haus, der von einem Schloss gesichert war. Soviel Anstand konnte sie ihm zumuten. Bevor sie darüber nachdenken konnte, wo sich in ihrem Haus ein solches Schloss noch befinden würde, waren die Drei bereits vor ihrer unteren Eingangstür angekommen. Etwas müde und benommen stieß Aramis beinahe kraftlos die Tür auf. Athos winkte ab und deutete ihr damit, dass er Porthos die letzten Schritte allein stützen würde. Während sie zustimmend nickte und die beiden eintreten ließ, folgte sie ihnen und verharrte in der Küche. Sie beobachtete Athos, der den müden Porthos in das Nebenzimmer beförderte und den Geräuschen nach zu urteilen, auf die Chaiselonge fallen ließ. Völlig zusammenhangslos erinnerte sie sich auf einmal an die erste Begegnung mit den beiden. Sie war frisch in den Musketierchor eingetreten und hatte von anderen Anwärtern bereits vernommen, dass man sich vor dem intelligenten Athos und dem großkräftigen Porthos hüten müsste. Sie seien bekannt für ihre Fechtkunst gewesen und das sich bisher niemand mit ihnen messen hat können. Aus irgendeinem ihr unerfindlichen Grunde, hatte sie an diesem Tage lang in dem Anwesen de Tréville verweilt. Der Respekt der Musketiere gegenüber Athos und Porthos hatte sie nachdenklich gestimmt. Sie hatte geglaubt, wenn sie es auch nur im entferntesten mit einem von den beiden aufnehmen hätte können, dann würde ihr der Rache an dem Mord ihres Verlobten sicher nichts mehr im Wege stehen können. Sie hatte gewusst, dass sie gut im Fechten war. Francois hatte es ihr gelehrt und diese Tatsache allein gab ihr Kraft und Mut und das notwendige Selbstvertrauen dessen Tod eines Tages zu rächen. Ihren Degen vor sich balancierend, hatte sie plötzlich ein Geräusch hinter sich vernommen und sich abrupt umgedreht. Unter dem schmalen Baum inmitten des Hofes, hatte sie einen Mann von hochgewachsener Gestalt erkannt. Sein Blick hatte unbeirrt auf ihr geruht und es schien, als ob er sie schon eine Weile bei ihren Fechtübungen beobachtete hatte. In seiner Haltung und seiner autoritären Ausstrahlung hatte sie geglaubt, einen Adligen vor sich zu haben, der grundlos seine Zeit vergeudete. „Kann ich etwas für Euch tun?“, hatte sie in gereiztem Ton gefragte, da ihr nicht gefallen hatte, wie er sie unentwegt musterte. Fast so, als ob ihm etwas auf den Lippen brennen würde, was er augenblicklich ihr gegenüber hatte äußern würden. Da hatte sich ihr Gegenüber plötzlich geregt und war einige wenige Schritte auf sie zugekommen „Ich bin auf der Suche nach Kapitän de Tréville. Ich habe eine Nachricht für ihn...“ „Nun, dann seid Ihr umsonst gekommen. Der Kapitän ist bereits seit einiger Zeit aus dem Haus und er hatte nicht vor, heute noch einmal zurückzukehren. Ihr müsst Euch mit dem morgigen Tag begnügen...“, als ob damit ihre Unterredung beendet gewesen wäre, hatte sich Aramis wieder abgewandt und war ihren Fechtübungen weiter nachgegangen. Doch sie hatte bemerkt, dass der Fremde nicht den Hof verlassen hatte. Noch immer hatte er an gleicher Stelle gestanden. Es hatte sie in gewisser Art beunruhigt. Doch ihre Nervosität sollte in Ärger umschlagen, als sie plötzlich folgende Worte des Fremden vernommen hatte „Junge, deine Schrittführung ist zu mäßig. Würde sich ein Angreifer jetzt vor dir befinden, wüsste er genau, welchen Hieb du als nächstes ausführen würdest...“, es hatte weder vorwurfsvoll noch überheblich geklungen und dennoch begann die Abneigung in ihr gegenüber dem Fremden zu wachsen. Was bildete er sich ein, dass er ihr gegenüber Kritik äußerte? Übermütig wie sie gewesen war, hatte sie sich wieder zu ihm herum gedreht und hatte gereizt geantwortet „Ich wüsste nicht, dass ich um Eure Meinung gebeten hätte, Monsieur. Ihr scheint vom Fechten nicht viel zu verstehen...“ „Und mir scheint, dass du übersehen hast, dass ich ebenfalls einen Degen bei mir trage...“, hatte er noch immer in seiner ruhigen Art geantwortet und war nahe an sie herangetreten. Unbeirrt von seiner Körpergröße, hatte sie seinem Blick standgehalten und erwidert „Dass Ihr einen Degen bei Euch tragt, sagt noch nichts über Eure Fechtkunst aus, Monsieur“ Nun hatte er sich scheinbar herausgefordert gefühlt, denn das plötzlich auftretende Funkeln in seinen Augen war ihr nicht entgangen. Umso mehr hatte es sie überrascht, dass sich seine Mundwinkel leicht zu einem Lächeln verzogen hatten „Junge, ich glaube nicht, dass du dich mit mir duellieren möchtest...“ Ohne die Konsequenzen zu bedenken, hatte sie daraufhin ihre Degenspitze in Höhe seiner Brust gerichtet und gemeint „Warum sollte ich das nicht wollen?“ Und da hatte sie gesehen, wie sich sein Blick verdunkelte. Sie hatte erkennen können, dass sie soeben ein Duell eingeleitet hatte, welches nun nicht mehr abwendbar war. Der Fremde hatte seinen Degen gezogen und dies mit einer Beherrschtheit und inneren Ruhe, dass Aramis Zweifel an ihrer Herausforderung gekommen waren. Was hatte sie schon von diesem Mann gewusst? Sie hatte mutwillige Behauptungen aufgestellt, weil sie ihren Ehrgeiz mal wieder nicht zügeln konnte. Hoffentlich würde diese Entscheidung nicht ihren Kopf kosten. Andererseits war dies die erste Gelegenheit gewesen zu beweisen, dass sie der Rache ihres Verlobten würdig war. Ihre Klingen hatten sich gekreuzt und damit war der Beginn des Duells gefallen. In einer fließenden Bewegung hatte sie den Degen in Höhe seiner Brust gestoßen und erkannt, dass er durch einen mühelosen Seitschritt diesem Angriff pariert hatte. Erneut ausholend, hatte sich ihre Degenbewegung auf seine Oberschenkel gerichtet, doch auch hier hatte er diesem durch zwei kleine Schritte nach hinten trotzen können. Immer wieder hatte sie ihn angegriffen, aber alle ihre Versuche waren fehlgeschlagen, dabei hatte er seinen Degen ihr gegenüber noch nicht einmal genutzt. Diesen Gedanken beiseite drängend, hatte sie einen Trick anwenden wollen um ihn zu irritieren. Sie hatte einen Seitenhieb angetäuscht, worauf sie erwartet hatte, dass er erneut zur Seite ausweichen würde. Seine Bewegung hatte ihr verraten, dass er tatsächlich so handeln würde, sodass sie sich unerwartet mit dem Rücken zu ihm gedreht hatte, um ihn den Seitenstoß von entgegengesetzter Richtung zuzuführen. Doch wider Erwarten, war sie in ihrer Drehung gestoppt worden, indem sich von hinten sein Arm um ihren Hals gelegt hatte und sich seine Klinge nun in ihrer Augenhöhe befunden hatte. Ihre Hand, in welcher ihr Degen gelegen hatte, hatte er fest umklammert und von ihrem Körper weggedrückt, sodass sie sich nicht mehr hatte wehren können. Noch hatte sie versucht sich aus seinem Griff zu befreien, doch er hatte sie hartnäckig festgehalten und seine Klinge näher an ihren Hals gelegt. Sie war regungslos stehen geblieben. Nahe an ihrem Ohr, hatte sie seine Worte vernommen „Kehre deinem Gegner niemals den Rücken, auch wenn du glaubst, dass du seine nächsten Bewegung erkannt hättest...“ In diesem Moment der Niederlage, hatte Aramis erkannt, dass sie längst nicht die gute Fechterin war, für die sie sich gehalten hatte. Dies war die Realität gewesen, die ihr eiskalt zu verstehen gegeben hatte, dass sie erst ganz am Anfang ihrer Bestimmung stand. Wie würde sie Rache nehmen können, wenn sie nicht einmal einen einfachen Mann mit ihren Angriffen außer Atem gebracht hatte? Ihre Glieder waren schwach geworden, ihr Degen kraftlos an ihre Seite geglitten und der Fremde hatte erkannt, dass sie sich geschlagen gegeben hatte. Bestürzt darüber dass der Kampf so schnell geendet hatte, war ihr Blick leer geworde und sie hatte erkannt wie viele Erwartungen sie in ihr erstes Duell gesteckt hatte. „Athos! Wo bleibst du denn?! Ich habe schon einen Bärenhunger!“, hatte plötzlich eine tief brummende Stimme hinter ihnen gerufen. Aramis hatte sich überrascht herum gedreht und einen großen Hünen mit dunklem Haar und einem etwas schmollenden Gesichtsausdruck erkannt. Daraus hatte bereits der ungeheure Appetit, den dieser Mann verspürte, gesprochen. Und da war ihr bewusst geworden, wie er den Fremden vor ihr genannt hatte „Ihr seid Athos? Athos, der Musketier?!“, über ihre Frage hatte sie von ihm ein leichtes Nicken erkannt, welches ihren Schock über die gesamte Situation nicht wirklich gemindert hatte. „Ich hätte mich zuerst vorstellen sollen, bevor wir uns duellieren“, hatte er ihr höflich geantwortet, doch hatte Aramis darunter ein kleines Grinsen erkennen können. Sie war freiwillig in die Falle getappt und war nun völlig lächerlich gemacht worden. Morgen hätten sicher alle anderen Musketier-Anwärter über den Vorfall Bescheid gewusst und sie noch tiefer in die Schmach gezogen. Warum hatte auch ausgerechnet Athos ihr als erster Gegner bevorstehen müssen? „Du scheinst Aramis zu sein“, hatte Athos gesprochen und damit wieder ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen „der Kapitän hat mir von dir berichtet. Er erzählte mir, dass du ein äußerst geschickter Fechter bist...“ „Nun, diese Ansicht wäre wohl damit hinfällig“, hatte Aramis sarkastisch entgegnet und tat ihrem Unmut über ihre von vornherein feststehende Niederlage kund. Athos hatte daraufhin den Kopf geschüttelt und gemeint „Das sehe ich nicht so. Deine Angriffe waren äußerst präzise und wohl überlegt. Dir schien entgangen zu sein, dass du mich stets nur um Haaresbreite verfehlt hast...“, dann hatte er leicht auf ihre Füße gedeutet und hinzugefügt „Einzig und allein deine Schrittführung hat dich verraten. Anhand dessen konnte ich deine nächsten Bewegungen voraussehen, aber das ist nichts, was man nicht mit ein oder zwei Übungsstunden ändern könnte. Sei morgen zum Sonnenaufgang hier, dann arbeiten wir daran...“, und mit diesen Worten hatte sich der Musketier abgewandt und war auf seinen Freund zugegangen, der sich bereits leidvoll seinen Bauch gerieben hatte. Zurück war eine verdutzte Aramis geblieben, die sich nicht im geringsten hatte erklären können, was eben in so kurzer Zeit geschehen war. Nur hatte sie gewusst, dass sie zum ersten Mal den beiden besten Musketieren, Athos und Porthos, begegnet war und dieses Erlebnis sicher nicht so schnell wieder vergessen würde. „Aramis?“ Sie blickte auf und erkannte Athos vor sich, der ihr besorgte Blicke zuwarf. „Ist alles in Ordnung mit dir? Du scheinst so abwesend...“, fügte er leise hinzu, fast so, als ob er sie nicht erschrecken wollte. Sie erlangte ihre Fassung wieder, um vollkommen in die gegenwärtige Zeit zurückzukehren. Ihr Blick ihm gegenüber wurde klar und sie begann zu lächeln „Ja... Ja, mir geht es gut“, und sie überlegte kurz ob sie ihm mitteilen sollte, an was sie soeben gedacht hatte oder ob sie es lieber für sich behalten sollte. Als sie sah, dass sein Blick weiter fragend auf ihr ruhte, entschied sie sich für ersteres „Ich habe mich gerade an unser erstes Treffen erinnert und daran, wie leichtgläubig und einfältig ich gewesen bin...“, träumerisch bewegte sich ihr Blick durch die Küche, ohne dabei Athos Reaktion aus den Augen zu verlieren. Dieser schien ebenso überrascht über ihre Antwort, besann sich jedoch schnell und meinte „Ich würde das nicht einfältig nennen... Ungestüm wäre die bessere Bezeichnung. Aber das bist du nun überhaupt nicht mehr...“. Und wieder war ein versteckter Zuspruch gefallen, den sie deutlich herausgehört hatte. Bevor sie sich über die seltsame Art Athos’ an diesem Abend wieder Gedanken machen konnte, fragte er jedoch weiter „Wie kommt es, dass du dich daran erinnerst?“ Eigentlich war es eine beiläufige Frage, eine Frage der Höflichkeit, die Ausdruck für die Aufmerksamkeit eines anderen war, aber warum glaubte Aramis dann, dass diese Frage soviel größere Bedeutung hatte, als es augenscheinlich der Fall war? „Ich weiß nicht, warum ich mich gerade jetzt daran erinnere. Vielleicht liegt es daran, dass D’Artagnan für einige Zeit Paris verlassen wird... Vielleicht erkenne ich mich in ihm wieder. Zumindest das was noch davon übrig ist...“, meinte sie leise und musste wieder lächeln. Ja, ihrer Ansicht nach, war sie früher um so vieles gleich gewesen wie D’Artagnan, bevor das Leid und die Verzweiflung über sie gekommen war. „Du bist keineswegs wie D’Artagnan und wirst es auch niemals sein, Aramis“, widersprach Athos und es klang keinesfalls so, als ob es nett gemeint gewesen wäre. Das irritierte sie, weshalb sie wieder den Blick zu Athos suchte. Er wirkte plötzlich unnahbar, fast kalt auf sie. Allmählich erahnte sie, dass seine Worte nicht davon gehandelt hatten, inwiefern Aramis und D’Artagnan charakterlich einander glichen. Es ging weit darüber hinaus und Aramis war sich sicher, dass sie diese Art von Unterredung mit Athos jetzt auf keinen Fall wollte. Sie wollte dem aus dem Weg gehen und sich abwenden, schnellstens eine ablenkende Beschäftigung finden, damit er sie darauf nicht ansprechen konnte, aber schon wie damals bei ihrem erstmaligen Treffen, erkannte er ihre Absicht und hielt sie am Arm fest, damit sie nicht flüchten konnte. Leidvoll blickte sie auf seine Hand nieder, die ihren Arm umgriff. Für einige Sekunden verharrten beide regungslos inmitten der Küche, ohne einander anzusehen. Noch immer suchte sie in Gedanken einen Ausweg, der sie unbeschadet aus dieser Situation brachte, doch mit jeder weiteren Sekunde erkannte sie, dass Athos nicht mit sich verhandeln lassen würde, sich nicht vertrösten lassen würde auf eine weitere Woche oder auch nur einen weiteren Tag. Athos erkannte, dass sie sich nicht wehrte, dass sie sich geschlagen gegeben hatte und er ihr die Frage stellen könnte, die ihn seit so langer Zeit Tag und Nacht unruhige Stunden bescherte „Wann wirst du endlich dieses Spiel beenden, Aramis?“ Über seine gewählten Worte verärgert, sah sie ihm ins Gesicht und konnte nur schwer ihre Wut unterdrücken „Falls du es vergessen haben solltest, hat es sich hier nicht um ein Spiel gehandelt, sondern darum denjenigen zu rächen, der mir am meisten in meinem Leben bedeutet hat...“ „Das hast du getan, Aramis! Du hast Manson ausfindig gemacht und ihn seine Strafe zukommen lassen. Und nun? Willst du weiter in Männerkleidern durch Paris jagen, stets mit der Angst lebend vor Inquisition?“, und damit hatte er das Thema begonnen, was für Aramis unausweichlich gewesen war. Auch wenn sie sich noch so sehr gesträubt hatte, auch wenn sie noch so sehr ihre Gedanken daran verdrängt hatte, dass Athos ihr eines Tages diese Worte entgegensprechen würde, so hatte sie fortan gehofft, dieser Tag wäre noch fern. Es war nun endgültig zu spät diesem Gespräch zu entfliehen. Sie würde sich dem stellen müssen. „Ja! Genau das will ich! Was gibt dir das Recht über mein Leben zu entscheiden, Athos? Du hast ja nicht einmal die leiseste Ahnung wie es ist, dieses Leben zu führen. Ein Leben kennen zu lernen, dass mir als Frau von vornherein versagt geblieben wäre. Welches Recht hast du, um über mich zu urteilen?!“, rief sie wutentbrannt und versuchte nun sich zumindest aus seiner körperlichen Überlegenheit zu befreien, doch bewirkte sie damit genau das Gegenteil, da Athos nun ihren anderen Arm für sich beanspruchte und sie damit zwang ihm weiterhin entgegen zu blicken. „Du gabst mir damals dein Wort, Aramis!“, entgegnete Athos über ihre Reaktion bestürzt, beinahe traurig, was sie in ihrem Ausbruch von Wut wieder ein wenig besänftigte. Seine Worte hingen schwer und andachtsvoll in der Luft. Wie hatte sie es nur vergessen können? Athos entging ihr Sinneswandel nicht. Es brachte ihn dazu, den festen Griff um ihre Arme zu lockern. Er hatte kurzzeitig die Beherrschung verloren, was noch nie geschehen war. Augenblicklich tat es ihm unglaublich leid, wie er sie behandelt hatte. Dabei war es doch sein Herz, dass aus ihm gesprochen hatte... Traurig senkte er seinen Blick und sprach leise „Ich habe dir damals versprochen, den Mörder deines Verlobten zu finden und niemandem gegenüber ein Wort darüber zu verlieren, wer du wirklich bist. Ich habe mich an mein Versprechen gehalten... Das solltest auch du tun...“ „Athos...“, ihre Stimme brach und mischte sich mit Wehmut. Glasklar drang die Erinnerung zu ihr vor, an die Nacht, vor so vielen Jahren, in welcher sie ihm ihr Wort gegeben hatte, das Leben eines Musketiers aufzugeben, sobald sie ihre Rache verübt hatte. Doch seitdem hatte sich so vieles verändert. Sie selbst hatte sich verändert. Warum konnte er es nur nicht verstehen „Es ist soviel geschehen seit damals, Athos. Ich bin nicht mehr der Mensch, der ich früher einmal war...“ „Das weiß ich...“, entgegnete Athos gedrückt, ließ sie los, und musste Halt an einem der Küchenstühle suchen, der sich neben ihm befand. Seine Reaktion verwunderte sie. Vor ihr befand sich plötzlich nicht mehr der unantastbare und autoritäre Athos. Seine Haltung verriet Kummer und Traurigkeit und war für Aramis das erste mal greifbar. Sie erkannte, dass es wegen ihr war. Den ganzen Abend über bereits, wenn nicht schon die letzten Wochen, war das seltsame Verhalten von Athos allein wegen ihr. „Warum dann, Athos? Warum möchtest du dann, dass ich an dem Versprechen festhalte?“, fragte sie sanft und beugte sich dabei zu ihm, um in seine Augen schauen zu können. Er nahm ihre Bewegung wahr und erwiderte ihren Blick, blieb jedoch stumm. Innerlich trug er einen lautlosen Kampf mit sich aus, ob er dem Menschen vor ihm offenbaren sollte, weshalb ihn solch ein Wehmut begleitete, wenngleich er damit alles bisher da gewesene zerstören könnte. Es war so vieles, was ihn mit Aramis verband. Seit Beginn ihrer Freundschaft hatten sie sich blind verständigt. Ihr Mut und ihr Kampfgeist hatten ihn aus Gefahren geborgen, denen er allein niemals hätte entfliehen können. Ihr Wesen und ihre Ausstrahlung hatten schwärzeste Tage für ihn heller wirken lassen. Nie hatte er es ihr gezeigt, dass er sich wohlfühlte in ihrer Gesellschaft, nie hatte er ihr zu verstehen gegeben, dass er sie als ebenbürtig erachtete. Seit er herausgefunden hatte, dass sie in Wirklichkeit eine Frau ist, war er ihr gegenüber verstohlen und zumeist abweisend, dabei lag es nur daran, dass sie ihn seit damals nur noch verwirrte. Zwar hatte er ihr damals das Versprechen gegeben, den Mörder Francois’ zu finden, doch konnte er von da an, nur schwer gleichermaßen mit ihr umgehen, wie es zuvor der Fall gewesen war. Warum also wollte er, dass sie an ihrem Versprechen ihm gegenüber festhielt? „Weil ich dachte, ich hätte dich bis dahin für mich gewonnen...“, hatte er derartig leise geflüstert, dass Aramis die Worte fast nicht ganz verstanden hätte. Zunächst verstand sie die Bedeutung seines Geständnisses nicht. Doch dann traf es sie unvorbereitet und warf sie gänzlich aus den Bahnen ihres Lebens. Sie stolperte rückwärts und konnte nicht anders als ihn nur anzustarren. Kein Wort drang über ihre Lippen, nicht einmal ein Gedanke formte sich in ihrem Verstand, alles was sie fühlte, war ihr Herz, dass kurz mit Schlagen aussetzte und die Welt für einen Moment zum Stillstand brachte. Wenn sie geglaubt hatte, dass ihre Beziehung zu Athos bis dato kompliziert gewesen war, dann würde sie für diese Situation nun keine Worte mehr finden können. Sie nahm war, wie er sich von seiner beugenden Haltung über dem Stuhl aufrichtete und auf sie zutrat. Sie konnte nicht beschreiben, was sie augenblicklich empfand, wie also konnte sie ihm nun darauf antworten? Das war gar nicht möglich, doch ahnte sie nicht, dass er ihr die Entscheidung abnehmen würde. Er blieb nahe vor ihr stehen und versuchte sie mit seinen Worten aus der Trance zu befreien „Es tut mir leid, wenn ich heute Abend alles was uns einstmals verbunden hat, zum Untergang gebracht habe. Aber da du damals mir gegenüber soviel Ehrlichkeit entgegengebracht hattest und mir von deinem Verlobten erzähltest, bin ich der Meinung, dass ich dir gegenüber ebenso viel Ehrlichkeit entgegenbringen sollte. Mir war schon seit langer Zeit bewusst, dass du dein jetziges Leben nicht aufgeben würdest, dafür liebst du es viel zu sehr...“ Bei diesen Worten zuckte sie zusammen und kehrte voll und ganz zurück, in seine Ausstrahlung und in seine Wärme, die er plötzlich ihr gegenüber preisgab. Sie sah, wie er sanft lächelte, wie er auf einmal um so vieles anders ihr gegenüber war, wie es noch vor wenigen Minuten der Fall war. Die Last war von seinen Schultern genommen wurden und hatten ihn befreit. Nur stand Aramis nun vor den Trümmern, die er mit seinem Geständnis hervorgebracht hatte. Und sie wusste nicht, wie sie diese jetzt beseitigen sollte. Er hatte so sehr gehofft, dass sie auf irgendeine Art und Weise reagieren würde. Ihr stummes und regloses Verhalten hatte er nicht erwartet, doch dies schmerzte ihn um so tiefer. Sein Lächeln verschwand, sein Ausdruck glich Leid und Qual und er entschied sich dafür, sie ohne weitere Worte zu verlassen. Er ging an ihr vorüber und sie bemerkte, dass sie ihn nicht so gehen lassen konnte. Nur wegen ihr versank er in diesen Gemütszustand. Sie konnte nicht verantworten, dass sie ihn stumm gehen ließ. Sie drehte sich herum und erkannte, dass er bereits an der Tür angelangt war „Warte Athos!“ In zwei großen Schritten war sie bei ihm, gerade rechtzeitig, als er sich ihr zuwandte. Ihre Hände schnellten unter ihrem Mantel hervor, die bis dahin den Schutz darunter gesucht hatten, doch nun umfassten sie in einer fließenden Bewegung seinen Nacken und zogen ihn zu sich hinab. Sanft legte sie ihre Lippen auf seine Wange und ließ einen langanhaltenden und liebevollen Kuss darauf zurück. Er wagte nicht, sie zu berühren, stattdessen schloss er seine Augen und verinnerlichte das Gefühl sie einmal so nah bei sich zu wissen. Ihre Hände lösten sich von seinem Nacken und strichen unmerklich an seinem Hals hinab. Sie selbst sank leicht zurück und betrachtete ihn mit einem leichten Lächeln „Du bist mir der liebste und beste Freund, Athos... Vergiss das nie...“. Und obwohl es nicht der Satz war, den er sich seit so vielen Jahren innerlich gewünscht hatte zu hören, war er auf eine surreale Art trotz allem glücklich darüber, dass sie ihn ihm gegenüber gesagt hatte. Er wusste, dass sie Francois noch immer liebte und dies vermutlich auch immer tun würde und dies noch über ihr Leben hinaus. Er würde sie mit hindurch begleiten, so wie er es die letzten Jahre über getan hatte. Er war zu ihrem Schatten geworden, ohne dass sie sich dessen bewusst war. Er erkannte, wie ihre Wange glitzerte. Fürsorglich strich er mit seiner Hand darüber, was Aramis bewusst machte, dass er soeben eine Träne von ihr fortgewischt hatte. Und dann wandte er sich ab und verließ ihr Haus. Aramis blieb verwirrt und durcheinander zurück. Ihre Hand strich über ihre Wange, wo noch immer die Berührung Athos’ zu spüren war. Dabei beobachtet von einem großen Hünen, der an der Ecke zum Nebenzimmer im Dunkeln verweilt hatte. ~ Ende ~ Kapitel 2: ----------- Gelangweilt senkte sich ihr Kopf in ihre offene Hand und stütze sich träge ab. Obwohl geschäftiges Treiben im gesamten Anwesen der Musketiere herrschte, war ihr die Last auferlegt worden, nervenaufreibenden Papierkram zu erledigen. Warum nur, war ihr keine Ausrede gegenüber Tréville eingefallen, als er ihr die Schreibarbeit aufgedrängelt hatte? Während er sich nun im Louvre amüsierte, dabei wohlwollend verheimlichend, dass er dort nur verweilte in der Hoffnung Madame Gaillard anzutreffen, saß sie nun inmitten des Gemeinschaftsraumes und blätterte desinteressiert durch die vielen Dokumente, die vor ihr lagen. Als sich herumgesprochen hatte, dass der Kapitän außer Hauses war und noch dazu das Gerücht gestreut wurde, er würde eine ihm bekannte Dame antreffen, waren der Großteil der Musketiere überein gekommen, den Abend und ganz besonders die Nachtwache mit einem Schlückchen edlen Wein zu beginnen und vermutlich mit mehreren leeren Flaschen zu beenden. Schon lange war bekannt, dass der Kapitän in letzter Zeit häufiger als sonst für ihn üblich den Louvre aufsuchte und das konnte nur eine besondere Bewandtnis haben, die Aramis auch noch mit Namen kannte. Ein hilfloses Seufzen entkam ihren Lippen und wurde von den übrigen anwesenden Musketieren nicht wahrgenommen. Ihr Blick glitt durch den Raum, vorüber an Luc, der abseits der übrigen Männer an der Wand saß, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und dabei selbst das bunte Treiben der übrigen beobachtete; weiter über den Schäferhund, der sich in der Nähe des brennenden Kamins ein Stückchen Freifläche für sich allein vereinnahmt hatte und selig vor sich hindöste... Moment. Ein Schäferhund? De Tréville verabscheute es, Tiere im Anwesen zu wissen. Diese Bande von Musketieren erlaubte sich alles, sobald der Kapitän ihnen auch nur den Rücken kehrte. Aber die Feuertaufe würde folgen, dem war sich Aramis sicher. Tréville hatte mindestens ein so gutes Gespür und geschärfte Sinne wie ein Hund auf der Jagd nach Vergeltung. Sie selbst hatte seine Impulsivität schon oft ertragen müssen, was sich in schlechten Zeiten in lautem Schreien ihr gegenüber geäußert hatte und in guten Zeiten in zu harten aber aufrichtig gemeinten Klopfen auf ihre Schulter, um ihr seinen Respekt ihr gegenüber zu zollen. Leider überwiegten die schlechten Zeiten, soviel war sicher. Zuviel Unsinn hatte sie in den letzten Jahren zusammen mit Athos und Porthos angestellt, ganz zu schweigen von den täglichen Sorgen über ihre wahre Identität die sie dem Kapitän seit jeher bereitete... Ihr Blick suchte weiter den Raum ab, nicht ahnend, dass sie etwas bestimmtes hatte finden wollen. Vor ihren Augen eröffnete sich das Bild, welches sie innerlich erhofft hatte, zu sehen. Die Beine gelassen übereinander geschlagen, tief in den Stuhl zurückgelehnt und dabei die wohlige Wärme des Kamins zulassend, hatte sich Athos am anderen Ende des Raumes Bequemlichkeit verschafft. Seine Gedanken schienen sich nicht von dem Buch in seinen Händen lösen zu können, kein Muskel regte sich, kein Augenzwinkern war zu erkennen. Leise fragte sich Aramis, was er wohl wieder lesen mochte. Hatte Athos einmal ein Buch in seinen Händen, das seine Aufmerksamkeit erregte, wurde die Welt um ihn herum zu Eis. Niemand würde ihn dort herausholen können, es sei denn, er selbst witterte Gefahr. Doch das würde im Musketier-Anwesen wohl sehr selten passieren. Ein wenig schien es sie zu stören, dass er ihr keinerlei Beachtung schenkte, hatte er doch noch hören können, dass Tréville ihr die Dokumente übertragen hatte. Ein wenig seines Mitleids hätte er ihr gegenüber ruhig zum Ausdruck bringen können. Stattdessen genoss er sichtlich die freie Zeit, die ihm für den restlichen Abend zustand, die scheinbar ausschließlich für die Lektüre in seinen Händen vorbehalten war. Unwillkürlich musste sie an den Abend von D’Artagnans Abschied zurückdenken. Wenn sie im Nachhinein dessen Verlauf betrachtete, kam ihr die erlebte Situation mit Athos beinahe surreal vor. Dabei waren seit seinen Worten nur wenige Wochen vergangen und trotz allem glaubte sie, dass dieser Abend vor ihren Augen zu verschwimmen begann. Und diese Tatsache machte sie auf eine Art traurig, warum, konnte sie sich jedoch selbst nicht erklären. Nur wusste sie, dass alles so geschehen war, wie es hatte sollen. Oder nicht? Was ließ sie daran zweifeln? Warum konnte sie die Erinnerung an die Aussprache mit Athos nicht mehr loslassen? War es ihre Beunruhigung darüber, dass sie ihr Versprechen ihm gegenüber gebrochen hatte? Nein, das konnte nicht sein. Er hatte es akzeptiert und ihr keinerlei Vorwürfe gemacht. Er hatte es schließlich verstanden, dass sie ihr Leben als Musketier nicht mehr missen wollte. Sie konnte auch nicht behaupten, dass sich ihre Beziehung seit dem Geständnis verändert hätte, im Gegenteil, es schien als ob Athos befreiter und ungezwungener mit ihr umging, als es zuvor der Fall gewesen war. Als ob sich sein Vertrauen in sie weiter intensiviert hatte, dabei hatte sie eine Sünde begangen, die einer Freundschaft jegliches Ende bereiten würde. Erreicht hatte sie aber scheinbar das Gegenteil. Es verwirrte sie und ließ sie zugleich zweifeln. Nichts hatte sich verändert, aber gleichzeitig wieder alles. Ihre Gedanken verweilten so oft bei ihm, wie noch niemals zuvor. Und als ob er ihre stummen Bekundungen gefühlt hätte, glitt sein Blick für einen Moment von seinem Buch fort, geradewegs in ihre verträumten Augen, die ihn unentwegt gemustert hatten. Ihr Kopf schnellte auf, gab zu erkennen, dass sie sich ertappt fühlte und als ob es ihr nicht unangenehm genug gewesen wäre, spürte sie, wie die Wärme in ihre Wangen stieg und sie erröten ließ. Doch entgegen aller ihrer Erwartungen, wie er reagieren würde, zeichnete sich ein kurzes Lächeln auf seinen Lippen ab, bevor er sich wieder den geschriebenen Worten vor sich widmete. Seine erneut eingenommene ruhige Haltung betrachtend, hatte sie dieses Lächeln von ihm wiedererkannt. Es glich dem, welches sie vor so vielen Jahren bereits einmal bei ihm wahrgenommen hatte. Als sie auf die Dokumente vor sich hinabblickte, fand sie sich in der Zeit von vor sechs Jahren wieder. Unablässig klapperten ihre Zähne aufeinander. Gerade erst war sie in ihr Haus von der Spätschicht heimgekehrt. Den gesamten Weg über hatte sie ein kalter und unbarmherziger Schneesturm begleitet, der den Wind bedrohlich durch die schmalen Gassen von Paris streifen ließ. Es hatte nicht genützt, dass sie ihren Hut tief ins Gesicht gezogen hatte, dass sie mit Hilfe des hochgeschlagenen Kragens ihres Mantels versuchte die ihr entgegenfallenden unscheinbaren Eiskristalle aufzuhalten. Als sie schließlich ihre Haustür erreicht hatte, hatte sie sich wie ein lebendiger Eiszapfen gefühlt. Von möglichst schneller Hand hatte sie den Kamin entzündet, doch schien es für sie Jahre zu dauern, bis der Raum endlich fühlend an Wärme zugenommen hatte. Sie hatte noch einige Dokumente auf ihrem Tisch liegen, die es zu bearbeiten galt, als es unerwartet klopfte. Nur dumpf hatte sie es vernommen, toste draußen doch noch stetig der Sturm vor den Fenstern und es war nicht selten, dass sie das Geräusch umgefallener Gegenstände ausgemacht hatte. Eine leise Vorahnung beschlich sie, wer der ungebetene Gast hatte sein können und sie wurde von ihrer angeborenen weiblichen Intuition mal wieder nicht enttäuscht, als sich ein durchgefrorener Athos in ihrem Türrahmen präsentierte, wohl darauf bedacht das Zittern seines Leibes so gut wie möglich zu verbergen. Sie winkte ihn an einzutreten, was er dankend annahm. Kurz verharrte er inmitten des Raumes, um die Umgebung zu mustern. Aramis wusste bereits jetzt warum er gekommen war und sie hoffte, dass das herannahende unaufhaltsame Gespräch sich zu ihren Gunsten entscheiden würde. „Möchtest du einen Tee um dich aufzuwärmen?“, fragte sie ihn, woraufhin er sich umdrehte und ihr einen verstohlenen Blick zuwarf. Dies war Antwort genug für Aramis „Aha, lieber einen Cognac, ich verstehe schon...“, kurz war sie zur Küche entschwunden und kehrte danach zurück zum Tisch, an welchem Athos bereits Platz genommen hatte. Während sie die kleinen Schwenker mit der goldbraunen Flüssigkeit füllte, fragte sie „Ich schätze, du bist hier, um mir deine Entscheidung mitzuteilen?“ Sein Blick sagte nichts, ruhte jedoch weiter auf ihr. Erst als er den ersten Schluck des Getränks in sich aufgenommen hatte, richtete er die ersten Worte an sie „Ich möchte ehrlich mit dir sein...“, er nahm einen weiteren Schluck „Ich kann noch immer nicht recht glauben, wer du tatsächlich bist. Ich meine, du gibst dich wie ein Mann, du sprichst und verhältst dich so, du kannst außerordentlich gut fechten und plötzlich vor nicht nahezu einer Woche, erfahre ich durch solch unerwartete Umstände, dass du in Wirklichkeit kein Mann bist. Was soll ich von solch einer Überraschung nur denken, außer dass du Porthos und mich seit Beginn unseres Kennenlernens betrogen hast?“, wieder ein Schluck des edlen Cognacs, Aramis musste bereits nachschenken. Es war richtig. Die Umstände auf welche Art, Athos die Wahrheit herausgefunden hatte über ihre wahre Identität war keinesfalls die, die Aramis gewünscht hätte. Sie hätte es ihm und Porthos lieber gesagt, vorausgesetzt sie hätte sich jemals in ihrem Leben dazu überwunden. Und das wäre wohl nie der Fall gewesen. Was geschehen war, war aber nun mal geschehen und nun konnte sie nur hoffen, dass Athos ihr Geheimnis verschlossen bei sich behalten würde, so wie sie ihn darum gebeten hatte. Nun, ihn darum angefleht hatte, würde die Situation vor einer Woche besser beschreiben. Anstatt zu antworten, hatte sich Athos jedoch Bedenkzeit genommen und nun war er bei ihr, um ihr seine Entscheidung mitzuteilen. Gedankenversunken auf seinen Cognac blickend, murmelte Athos „Du bist eine Frau...“ „Ja...“ „In Männerkleidung...“ „Ja...“ „Bei den Musketieren...“ „Ich unterbreche dich wirklich nur ungern, Athos, aber könntest du etwas sagen, was ich noch nicht weiß?“, fragte Aramis und in jeder anderen Situation hätte sie über das Verhalten von Athos sicher gelächelt, jedoch bestätigte der darauffolgende Blick von Athos ihr, dass ihm nun keinesfalls zum Scherzen zumute war. Und er hatte recht, das wusste sie. Von seiner Entscheidung hing ab, ob sie morgen von den übrigen Musketieren an einen Pfahl gebunden und ausgepeitscht wurde; theatralisch gesprochen, glaubte sie zumindest. Unerwartet erhob sich Athos und ging zur Eingangstür. Aramis glaubte, in diesem stummen Verhalten seine Entscheidung zu erkennen und freundete sich im Innern bereits mit dem Gedanken an, wieder einmal alles zurücklassen zu müssen, wofür sie so lange gekämpft hatte. „Erwarte nicht von mir, zukünftig weiter so mit dir zu sprechen, wie es vorher der Fall gewesen war...“, sprach er schließlich mit dem Rücken zu ihr gewandt, was Aramis wieder aufblicken und vor allem hoffen ließ. Wählte er etwa gerade den anderen Weg? Konnte es sein? Ungläubig starrte sie seiner abweisenden Haltung entgegen, unfähig etwas zu erwidern, was ihm zu verstehen geben würde, dass sie seine Worte wahrgenommen hatte. Er drehte sich zu ihr um und vollführte eine Tat, die sie so wohl in diesem Moment niemals erwartet hätte – er lächelte. Augenblicklich fühlte sich Aramis schuldig der Lüge wegen, die sie ihm auferlegt hatte. Es war noch nicht an der Zeit Porthos das Geheimnis anzuvertrauen. Er würde es nicht derartig hinnehmen. Athos’ Entscheidung in dieser Form hatte sie, wenn sie ehrlich war, nicht verdient. Sie glaubte zumindest etwas von dem gutmachen zu müssen, was sie jahrelang verschwiegen hatte „Möchtest du den Grund erfahren, weshalb ich zu den Musketieren ging?“ „Nein... Vielleicht irgendwann, aber nicht heute...“, war seine kurze aber ernste Antwort hierauf gewesen. Dies würde einige Monate später in einer Nacht am Lagerfeuer geschehen, was beide zu diesem Zeitpunkt nicht geahnt hatten. Und es würde eben die Vertrauensbasis zwischen beiden wieder herstellen, die bereits beim ersten Kennenlernen vor vielen Jahren entstanden war. Die Tür fiel zu. Athos war fort und Aramis allein in ihrer Gedankenwelt zurückgelassen, entsinnend was für einen wahren Freund sie in Athos gefunden hatte. Eine zweite Chance gab es nicht für jeden im Leben... „Also, wenn du diesen Papierkram heute noch erledigen willst, solltest du endlich aufhören vor dich hinzustarren. Du hinterlässt damit nicht gerade einen arbeitswütigen Eindruck...“ Erschrocken fuhr Aramis zusammen und fand sich in der Gegenwart wieder. Als sie die Zeitreise durchlebt hatte, war ihr nicht bewusst geworden, wie sich Athos zu ihr gesetzt hatte. Sprachlos starrte sie ihn an. Das musste aufhören. Wo war ihre Schlagfertigkeit geblieben? Mehr und mehr begann sie an sich selbst zu zweifeln, was sie von all den Ereignissen der letzten Wochen halten sollte. Den Kloß in ihrem Hals herunterschluckend, zuckte sie mit den Schultern „Es war ja auch nicht gerade hilfreich von dir gewesen, dass du nichts unternommen hast, als Tréville mir das alles aufbürdete...“ „Weißt du, was ich glaube?“ „Was?“ „Tréville hat nur dir die Arbeit aufgetragen, damit dein loses Mundwerk nicht wieder anfängt zu plappern...“ Dieser Zusammenhang war ihr jetzt doch etwas befremdlich „Wie meinst du das?“ „Ich meine damit, dass Tréville dir keine Gelegenheit geben möchte, in welcher du den anderen Musketieren erzählst, bei wem es sich um seine geheime Liebschaft handelt...“ „Als wenn ich die erste Person wäre, die solche Geheimnisse ausplaudert“, gab Aramis schmollend zurück und konnte nicht glauben, dass man sie für eine Tratschtante hielt. Siegessicher lehnte sich Athos neben sie zurück in den Stuhl und verschränkte die Arme vor der Brust „Und was war damals, als Porthos ein Verhältnis mit dieser etwas – um es gelinde auszudrücken – reiferen Dame hatte und er uns gebeten hatte, niemanden etwas davon zu erzählen?“ „Das kann man ja wohl nun nicht miteinander vergleichen, Athos! Ich hatte etwas gebraucht, um ihm seinen letzten Streich heimzuzahlen und es war ja wohl mehr als sicher, dass Porthos und diese Dame nicht für die Ewigkeit bestimmt waren...“, ärgerlich wandte sie sich wieder den Dokumenten zu und musste doch zugeben, dass das Ausplaudern dieses Geheimnisses von Porthos nicht unbedingt fair gewesen war. Trotz allem war es zu lustig gewesen, wie Porthos in den darauffolgenden Wochen von den übrigen Musketieren aufgezogen worden war. Damit hatte er am eigenen Leib zu spüren bekommen, wie es ist, ständigen frechen Sprüchen ausgesetzt zu sein. Diesbezüglich hatte sie zu Beginn ihrer Musketierzeit mehr als hart zu kämpfen. Oft genug wäre sie fast daran gescheitert. „Wie war es in Troyes?“, fragte Athos schließlich, als Stille zwischen ihnen eingekehrt war. Dies veranlasste Aramis die Feder vom Pergament zu nehmen und sich wie Athos in ihren Stuhl zurückzulehnen. „Es war...“, nachdenklich drehte sie die weiße Feder in ihren Händen und versuchte das richtige Wort zu finden, um ihre letzten Erlebnisse in Troyes zu beschreiben „...fremd. Die Menschen dort haben mich nicht wiedererkannt...“ „Wie könnten sie auch, bei einem Musketier in Uniform?“, schlussfolgerte Athos, der nicht recht verstand, weshalb sie diese Tatsache beschäftigte. Den Blick dem sie ihm daraufhin zuwarf, ließ die Ahnung in Athos aufkommen, dass er mit seiner Vermutung falsch gelegen hatte; gewaltig falsch gelegen hatte. Überrascht zu erkennen, dass Aramis nicht als Musketier nach Troyes gegangen war, ließ ihn etwas in sich zusammensinken „Oh... Aha...“, mehr hatte er hierauf nicht antworten können. „Keine Sorge, Athos, es war einmalig gewesen...“, meinte Aramis schmunzelnd und erkannte dabei nicht, wie viele Gedanken sie damit in Athos hervorgerufen hatte. Sie sich als Frau vorzustellen erwies sich noch immer als schwierig, obwohl er ihr Geheimnis nun schon so lange kannte. Nun zu erfahren, dass sie als Frau in ihre Heimatstadt zurückgekehrt war, wenn auch nur kurzzeitig, ließ ihn sich etwas verraten fühlen, hatte sie doch noch vor einigen Wochen gemeint, dass sie das Leben eines Musketiers niemals aufgeben würde. „Ich hatte es getan, weil ich das Grab von Francois besucht hatte...“, rechtfertigte sie sich, da sie anhand seines Gesichtsausdruckes allmählich seine Gedanken erahnte. Und tatsächlich konnte Athos anhand dieses Geständnisses verstehen, weshalb sie Troyes in dieser Art und Weise aufgesucht hatte „Warum hast du nichts gesagt?“ und am liebsten hätte Athos noch die Worte hinzugefügt, dass er sie gern begleitet hätte, einfach um ihr beizustehen. „Ich wollte das für mich tun“, murmelte sie und schloss die Augen als Empfindung tiefster Sehnsucht „Ich wollte mit diesem Teil meines Lebens endlich abschließen...“ und als sie ihre Augen öffnete und ihm entgegenblickte, war ihr Ausdruck darin so stark und zielgerichtet wie schon seit langer Zeit nicht mehr. Mit dem Besuch in Troyes hatte sie sich schließlich endgültig dazu entschieden ihr altes Leben nie wieder aufzunehmen. Was Athos jedoch nicht ahnte, war, dass diese Entscheidung zu wanken begann, wegen einem Gefühl, dass Aramis noch nicht bereit war zu akzeptieren, geschweige denn zu erkennen. Für einen kurzen Moment erlaubte es sich Athos ihr länger in die Augen zu schauen, als es für einen guten Freund üblich war. Seit der Nacht in ihrem Haus, als er sich selbst und ihr Gefühle eingestanden hatte, die ihre Freundschaft zu Fall hätte bringen können, hatte er sich geschworen, alles erdenkliche zu unternehmen, um ihre Freundschaft nicht zu gefährden. Aber Tag für Tag wog die Last schwerer und die Empfindung tiefer, dass es ihm fast gänzlich unmöglich erschien an diesem Versprechen festzuhalten. Athos bemerkte wie Aramis sein Wesen veränderte, ohne eigenes Zutun. Innerlich wuchs der Wunsch zeitlos in ihrer Nähe zu verweilen. Während sein Verstand mit aller Macht versuchte sich dem zu widersetzen. Ihm aus der jetzigen Situation heraushelfend, stand plötzlich Porthos vor ihnen. Er ließ ein Stück Pergament auf den Tisch vor ihnen fallen und wollte beinahe sich schon wieder abwenden, als Athos überrascht fragte „Was ist das, Porthos?“ Als dieser sich den beiden daraufhin zuwandte, entging Aramis dessen verärgerter Gesichtsausdruck keineswegs. „Ein Bote brachte das gerade. Es ist von D’Artagnan. Er lässt ausrichten, dass er bereits wieder aus der Gascogne zurück ist und uns heute Abend in der Schänke nahe seines Hauses treffen möchte...“ Diese Neuigkeit beförderte sofort ein Lächeln auf Aramis Lippen, die nicht damit gerechnet hatte, dass D’Artagnan schon so bald wieder in Paris eintreffen würde. Porthos hingegen war bereits wieder auf dem Weg den Raum zu verlassen. Sein gesamtes Verhalten erschien Aramis fraglich. Sie beobachtete nachdenklich Athos, der das Schriftstück zur Hand nahm und die Zeilen geschwind überflog „Kommt es mir nur so vor oder verhält sich Porthos mir gegenüber abweisend?“ Dies ließ Athos aufblicken „Hast du ihm mal wieder böses getan, dass er Grund hätte dich so zu behandeln?“ „Nein, ganz im Gegenteil. Wenn ich es recht bedenke, gab er mir gar keine Möglichkeit dazu, da wir schon seit Wochen nicht wirklich miteinander gesprochen haben...“ Athos zuckte mit den Schultern „Nun ja, du warst ja auch einige Zeit in Troyes, vielleicht hat es sich einfach noch nicht ergeben, dass ihr mal in Ruhe miteinander sprechen konntet. Mir gegenüber ist er jedenfalls normal und er hatte auch nichts wegen dir erwähnt, also glaube ich, dass du dir das womöglich einbildest...“ Aramis schüttelte jedoch widerwillig mit dem Kopf „Aber selbst an dem Abend, als er in meinem Haus übernachtete, war er am nächsten Morgen bereits verschwunden, was mich sowieso mehr als gewundert hatte. Sonst nimmt er doch jede Gelegenheit war, um sich bei mir den Bauch voll zu schlagen.“ Zugegebenermaßen hatte Athos hierauf keine Antwort parat und wenn er ehrlich war, hatte er in den letzten Wochen auch nur das nötigste an Worten mit Porthos gewechselt als üblich. Doch bisher hatte er sich keine Sorgen oder Gedanken darum gemacht, was wohl auch daran liegen mochte, dass Athos derzeit zu sehr mit sich selbst beschäftigt war. Dies erschien ihm Porthos nun gegenüber ungerecht „Lass uns abwarten, was der Abend bringen mag, wenn endlich die vier Musketiere wieder vereint sind. Bestimmt machst du dir unnötige Gedanken, immerhin gab es in den letzten Wochen viel zu tun...“, mit diesen Worten erhob sich Athos von seinem Stuhl „Soll ich auf dich warten, bevor ich nachher zur Schänke aufbreche?“ Aramis schüttelte als Antwort mit dem Kopf und wies auf die ausgebreiteten Dokumente vor sich „Nein. Ich glaube, dass könnte hier noch etwas Zeit in Anspruch nehmen, ich werde dann später nachkommen, in der Hoffnung, dass ihr drei noch nicht betrunken unter dem Tisch zum Erliegen gekommen seid.“ „Wie werden sehen...“, erwiderte Athos und machte sich ebenfalls, wie Porthos zuvor, auf den Weg aus dem Raum. Seine Schicht war bereits beendet, weshalb er nun die Gelegenheit wahrnahm noch einmal kurz zu seinem Haus zu reiten, bevor er sich später mit Porthos und D’Artagnan treffen würde. Als er im Hauptgang des Musketier-Anwesens um eine Ecke bog, stieß er unerwartet mit Kapitän de Tréville zusammen „Excusez-moi, mon Capitaine, das war keine Absicht...“, sprach er augenblicklich und deutete mehr aus Gewohnheit als einer weiteren Entschuldigung eine leichte Verbeugung an. Tréville winkte mit eisernem Ausdruck ab, was Athos erahnen ließ, dass sich die Laune des Kapitäns erheblich verschlechtert hatte seit er zum Louvre aufgebrochen war. Auch diese Tatsache schien eng mit der Bekanntschaft namens Madame Gaillard verstrickt zu sein „Darf die Frage erlaubt sein, ob Kapitän sich nicht wohl fühlen?“ „Weibsbilder!“ „Pardon, wie meinen?“ „Weibsbilder, alle sind gleich, bekommen sie jenes nicht, erhalten wir Männer anderes nicht, immer das gleiche...“, sprach der Kapitän barsch und gab Athos damit nur weitere Rätsel auf, aber eine Vermutung drängte sich bei seinen Worten in jedem Fall auf. Unbändig erzählte Tréville jedoch weiter, merklich seinem Ärger Luft machend „Weiber verlangen Schmuck, Kleider, Essen, dass man ständig Konversation mit ihnen betreibt und dann verlangen sie wieder Schmuck, Kleider und Essen und zu guter letzt, wenn sie glauben eine gute Partie zu machen, verlangen sie, dass du sie ehelichst, damit die Forderungen sich auch in der Ehe fortsetzen können...“, Athos war sichtlich überrascht seinen Kapitän derart in Rage vorzufinden, einerseits da er kein Geheimnis daraus machte, weshalb er kürzlich öfter als sonst den Louvre aufsuchte, andererseits hatte er doch geglaubt, dass Tréville nach all den Jahren des Kampfes und der Führung eines Regiments nun endlich die richtige Frau gefunden hatte, mit welcher er sich zur Ruhe setzen könnte. Doch scheinbar war Madame Gaillard auf vieles andere bedacht, als darauf Tréville ehrliche Gefühle entgegenzubringen. Dies hatte er sich wahrlich nicht für seinen Kapitän gewünscht, zumal dieser kein Mensch von Oberflächlichkeit war. „Nicht alle Frauen müssen so sein, mon Capitaine...“, murmelte Athos, worauf er von Tréville einen verständnislosen schließlich aber überraschten Blick erhielt. Tréville wusste seit einiger Zeit, dass neben ihm auch Athos und D’Artagnan das Geheimnis von Aramis kannten und diese Erkenntnis bereitete ihm einige schlaflose Nächte mehr. Er war sicher, dass nicht alle die Täuschung Aramis in dem Maße verkraften würden, wie Athos und D’Artagnan und es schien eine Frage der Zeit, bis Aramis ernsthafte Probleme bewältigen müsste. Erste Bauchschmerzen bereitete ihm schon das Verhalten Athos’ in den letzten Wochen. Er war zu sehr in sich gekehrt und zu unkonzentriert und der eben gesagte Satz bestätigte Trévilles Vermutung, dass dies unmittelbar mit Aramis zusammenhing. Er würde sich da nicht einmischen. Diese Musketiere waren schließlich alt genug um zu wissen, welchem Schicksal sie entgegentreten wollten. Mit schütteltenden Kopf und hängenden Schultern ließ er Athos plötzlich wortlos zurück und ging Richtung Aufenthaltsraum der Musketiere. Im ersten Moment über das wandelnde Verhalten des Kapitäns überrascht, betete Athos schließlich, dass die anderen Musketiere keinen Hörschaden in den nächsten Minuten davontragen würden. Noch auf dem Weg zum Haupteingang vernahm Athos das schallende Geräusch lauter Beschimpfungen, die wie ein Donnergrollen über das Anwesen niedergingen. War da gerade auch eine Flasche zerborsten? Als Athos die schwere hölzerne Eichentüre öffnete, konnte er erst einen Schritt ins Freie tätigen, nachdem ein ängstlicher Schäferhund hinter ihm herannahte und durch den Türspalt sprang, um Zuflucht außerhalb des Hauses zu suchen. Eilig schritt Aramis durch die engen Gassen. Es war bereits dunkel geworden und sie ahnte, dass sie zu dem vereinbarten Treffen mit D’Artagnan und den anderen viel zu spät kommen würde. Dank des Wutausbruchs des Kapitäns – so wie sie es bereits befürchtet hatte – war sie zunächst gezwungen gewesen ihm Rede und Antwort zu stehen, dafür dass sie nichts gegen die abendliche Sauferei der Musketiere während der Dienstzeit unternommen hatte, obwohl sie die Aufsicht inne gehabt hatte. Sie hatte daraufhin erwidert, dass ihr keinesfalls die Aufsicht über die Nachtschicht übertragen worden war, sondern lediglich Dokumente in die Hände gelegt worden waren. Dies hatte Tréville verstummen lassen und Aramis hatte erkannt, dass seine Wut von ganz anderer Natur herrührte und sie leider nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war. Nichtsdestotrotz hatte er von ihr verlangt, dass sie die Bearbeitung der Dokumente noch an diesem Abend zu beenden hatte. Dem hatte sie sich lieber nicht wiedersetzen wollen, einfach um einen weiteren Tobsuchtsanfall von ihm zu vermeiden. Um so mehr ärgerte sie sich nun, dass sie D’Artagnan erst viel später als die anderen begrüßen durfte. Schon als sie die Türe zur Schänke aufstieß, kam ihr ein beißender Geruch von Moder gemischt mit Bier entgegen. Die leicht bekleideten Damen, die sich um die männlichen Gäste räkelten und wanden, hatte sie im Laufe der Jahre gelernt zu übersehen. Seltsamerweise war sie einem solchen Anblick heute nicht einmal an dem Tisch der ihr drei bekannten Musketiere ausgesetzt, die schon einige leere Bierkrüge zur Seite gestellt hatten. Sie drängelte sich an den vielen fremden Menschen vorbei ins hintere Eck der Schänke, dabei begleitet von unterschiedlichsten Gerüchen und Geräuschen. Auch dies hatte sie in den letzten Jahren gelernt nicht mehr wahrzunehmen. Schließlich hatte sie die drei erreicht und stieß D’Artagnan unsanft in den Rücken. „Na endlich, Aramis! Wir dachten schon, du würdest überhaupt nicht mehr kommen!“, rief D’Artagnan freudestrahlend, sprang auf und umarmte sie fest zur Begrüßung. „Nachdem Tréville wie ein Drache Feuer spuckte, musste ich alle Dokumente neu aufsetzen, schon allein das hat ewig gedauert“, lachte Aramis und betrachtete sich den jungen Musketier nun eingehender „Ist das Schmutz in deinem Gesicht?“ „Ein Bart“, entgegnete D’Artagnan beleidigt. „Bist du schon alt genug für einen Bart?“ „Hör auf, Aramis! Constance sagt, es steht mir gut...“ „Constance möchte ja auch, dass du älter ausschaust, als du bist“, witzelte Aramis und hatte sichtlich Freude daran ihn zu verunsichern. Und genau das hatte sie auch geschafft, begann D’Artagnan nun vorsichtig sein Gesicht abzutasten. Kurz grüßte Aramis die anderen beiden, dabei den abweisenden Blick von Porthos übersehend. Zwar war damit offensichtlich, dass Aramis doch beunruhigt sein sollte, was das Verhalten ihres kräftigen Freundes betraf, aber vorerst würde sie ihre Frustration hierüber und über den Verlauf des Tages herunterspülen. Noch bevor sie ein Handzeichen zur Bestellung des Bieres geben konnte, stand bereits ein voller Krug vor ihrer Nase. Sie bemerkte, dass sie in letzter Zeit zu häufig diese Taverne aufgesucht hatten, kannte die Bedienung doch bereits die Vorlieben der vier Musketiere. In der ersten Stunde war Aramis nicht zu Wort gekommen. Euphorisch hatte D’Artagnan von seinem Besuch in der Gascogne berichtet und wie überrascht sein Heimatdorf gewesen war, als er plötzlich dieses Monstrum namens Elefant einmarschieren lassen hatte. Viele waren verängstigt in ihre Häuser zurückgewichen, andere hatten gar nicht den Weg räumen wollen. Und seine Großeltern waren einfach nur sprachlos gewesen. Hin und Wieder kam ein anerkennendes Lächeln seitens Athos und Porthos während seiner Erzählungen und es schien, als würde D’Artagnan alle Erlebnisse bereits ein zweites mal an diesem Abend berichten. Nun ja, das war das Los derer, die einen Freund als erste wiedersahen. Aramis hingegen konnte um so lauter lachen, was jedoch auch den scheinbar unzähligen Bierkrügen auf der Holztafel mit zu verdanken war. Sie konnte nicht genau sagen, wie viel sie getrunken hatte, aber anhand D’Artagnans nicht enden wollenden Redeschwall erkannte sie, dass er ebenso angetrunken war wie die beiden anderen, die teilweise ins Leere griffen, als sie zum Trinken ansetzen wollten. Irgendwann holte D’Artagnan Luft um eine weitere Bestellung dem Wirt zukommen zu lassen, das war der Moment, den Aramis nutzte, um Porthos gerade heraus zu fragen „Was ist eigentlich mit dir los, Porthos?“ „Was soll schon mit mir sein?“ Er hatte sie nicht einmal angesehen und sein Ton war derart kalt gewesen, dass es für Aramis Empfinden einen Augenblick frostig im Wirtshaus geworden war. „Nun, da du seit Wochen nicht mehr normal mit mir redest, drängt sich mir die Vermutung auf, dass du wütend auf mich sein könntest. Also sag einfach, was los ist und wir können das klären...“ „Ich glaube nicht, dass sich sieben verschenkte Jahre mit dir bei nur einem Bier klären lassen!“ Krach. Obwohl irgendwo im Tumult der Schänke nur ein Glas auf den Boden gefallen und zu Bruch gegangen war, glaubte Aramis, dass dies der Eröffnungsschuss zu einer Auseinandersetzung gewesen war, derer sie nicht entrinnen konnte. D’Artagnan, der glaubte, sich verhört zu haben, senkte ungläubig seinen Arm, der bis eben noch nach dem Wirt gewunken hatte. Er sagte jedoch nichts. Stattdessen mischte sich Athos ein „Was sagst du da, Porthos? Was ist nur in dich gefahren?!“ „Ich habe erwartet, dass du zu Aramis halten würdest, du hast mich ja schließlich auch jahrelang getäuscht, du Verräter!“ Schlimme Vorahnungen machten sich in Aramis breit, was Porthos mit seinen Äußerungen anvisierte. Und allmählich befürchtete sie, dass an dem Abend in ihrem Haus etwas von ihm gehört worden war, was noch nicht für seine Ohren bestimmt gewesen war. Anhand von D’Artagnans Gesichtsausdruck konnte Aramis abschätzen, dass er ebenfalls ahnte wovon Porthos sprach. Hilfesuchend wandte er seinen Blick zu Athos, der jedoch keinerlei Miene verzog. Nach schier endlos erscheinenden Sekunden sprang Pothos plötzlich ruckartig von der Bank auf, musste sich jedoch am Tisch abstützen, um nicht zu schwanken. Der Alkohol hatte doch kräftiger bei ihm zugeschlagen, als Aramis vermutet hatte. „Ihr seid wirklich wahre Freunde!“, rief er melodramatisch, was jedoch ein ernster Hinweis darauf war, dass er mehr als wütend war „Jahrelang hab ich euch vertraut, dachte, euch zu kennen...“, sein Zeigefinger kreiste bedrohlich in der Luft zwischen Aramis und Athos „Und dann höre ich nur durch Zufall, wer du eigentlich bist! Dass du in Wirklichkeit eine-...“ Aramis sprang auf „Sag es nicht! Ich bitte dich! Du kannst mich verurteilen, du kannst mich beleidigen, du kannst dich von mir aus mit mir schlagen; alles! Aber bitte, sag es nicht jetzt, nicht hier!“, sie war Porthos zuvor gekommen, bevor er an solch einem öffentlichem Ort, wo die Wände Ohren hatten, ihre wahre Identität herausgeschrieen hätte. Sonst hätte sie es ihm nicht zugetraut, aber Männer konnten unberechenbar unter der Wirkung von Alkohol werden. Einen Moment schien er darüber nachzudenken, dann senkte sich seine Hand etwas. „Es tut mir leid, Porthos“, murmelte Aramis, was in dem Tumult der Schänke fast nicht zu hören war. Athos wollte zu seinem Freund gehen und ihn ebenfalls um Verzeihung bitten, doch so schnell wie ihm diese Idee in den Sinn gekommen war, so schnell war sie ihm aus dem Kopf geschlagen worden; von Porthos selbst. Von dem schweren Kinnhaken war Athos zu Boden gegangen und konnte nur langsam realisieren, dass ihn sein langjähriger Freund soeben einen Fausthieb versetzt hatte. Schmerzerfüllt rieb er sich sein Kinn und war innerlich froh, dass sein Kiefer nicht gebrochen war. Besorgt half Aramis Athos wieder auf die Beine und konnte nicht so recht glauben, was sich eben abgespielt hatte. D’Artagnan hatte zwar sehen können, wie Porthos mit der Hand ausgeholt hatte, doch auch sein Pegel an Alkoholwert im Blute war ausschlaggebend, dass er ihn von seinem Vorhaben nicht rechtzeitig hatte zurückhalten können. Die Faust hatte bereits ihr Ziel getroffen. Etwas geschockt blickte er ebenfalls zu Athos. Sichtlich in Rage rief Porthos als Verteidigung Aramis entgegen „Dich kann ich ja nun nicht mehr schlagen! Aber Athos hatte es verdient, dafür, dass er ebenfalls dein Geheimnis kannte und nichts gesagt hat!“ Als D’Artagnan dies hörte, wäre er am liebsten im Erdboden versunken; tief zog er den Kopf in seine Schultern in der Angst jeden Moment ebenfalls die Wut Porthos’ zu spüren zu bekommen. Doch das Schicksal schien sich zu erbarmen, tauchten doch unerwartet einige Männer der Leibgarde Richelieus am Tisch auf „Nun, sieh sich das einer an! Die stinkenden Musketiere sind dabei sich gegenseitig zu hinzuraufen. Das sind wohl die einzigen Kämpfe, die Ihr noch gewinnen könnt unter Eures gleichen, wie mir scheint!“, schallendes Gelächter folgte, während einer der Männer sich in der Nase bohrte und ein anderer sich an Stellen kratzte, die man ungern genauer in Augenschein nahm. Aramis geriet augenblicklich in Wut. Als wenn Porthos sie nicht schon genug in Rage gebracht hatte an diesem Abend, mussten nun auch noch diese Taugenichtse einen Streit beginnen. Zu allem Überfluss waren sie Zeuge der Auseinandersetzung zwischen Porthos und Athos geworden, was sich nicht gut in dem Klatsch und Tratsch des Königshauses machen würde, zumal der Kapitän davon erfahren würde und sicher den Grund für den Streit erfahren wollte. Ehe Aramis dem Gespött verbal entgegentreten konnte, meldete sich Porthos bereits wieder zu Wort „Soll ich dir dein dreckiges Grinsen aus dem Gesicht schlagen, du einfältiger Narr?!“ Und bevor alle Anwesenden ihre Handlungen überdenken konnten, was sich aber angesichts der Schwere des verzehrten Bieres sowieso als schwierig erwiesen hätte, wurde das Wirtshaus Schlachtplatz einer der gröbsten Auseinandersetzungen zwischen Musketieren und Soldaten der Leibgarde Richelieus. Nur schleppend kamen sie voran. Sich gegenseitig stützend, murmelten sie halb singend und halb lallend unverständliche Lobeshymnen auf ihr Geschick und ihre Schlagfertigkeit gegenüber Richelieus Männern. „So gut hab ich mich schon ewig nicht mehr gefühlt“, lachte Aramis und stolperte erneut über einen Stein in der Dunkelheit, sodass sie Athos wieder auf die Beine ziehen musste „Ja, ich glaube, wir haben uns gut geschlagen. Diese Kerle glaubten doch tatsächlich, dass sie uns besiegen könnten, nur weil wir etwas mehr Bier getrunken hatten. Wie einfältig muss man eigentlich sein?“, witzelte Athos in dem Wissen, dass die Realität etwas anders aussah. Ihrer beider Kleidung war größtenteils zerfetzt und für nichts mehr zu gebrauchen. Die Haare klebten beiden nass im Gesicht vom Schweiß der Anstrengung und sie waren nicht umhin gekommen einige blaue Flecken und Kratzer davon zu tragen. Auch das mühsame Gehen durch die Straßen von Paris war mehr auf den Kampf zurückzuführen als auf Trunkenheit. D’Artagnan und Porthos war es nicht anders ergangen, wobei Porthos sich bereit erklärt hatte den jungen Gascogner nach Hause zu bringen. Nichtsdestotrotz empfanden es Athos und Aramis als einen der besten Abende seit langem, was wohl nicht zuletzt daran gelegen haben mochte, dass nun auch endlich Porthos das Geheimnis Aramis’ entlarvt hatte. Lügen gab es nun keine mehr. Sicherlich würde es lange dauern, bis er überhaupt je wieder zu ihr Vertrauen fassen würde, geschweige denn sie als ihm ebenbürtig erachten würde. Aber die Schlägerei der Nacht hatte sie diesbezüglich zumindest wieder ein Stück zusammen geführt, so bizarr das auch klingen mochte. „Porthos ist einmal dazwischen gegangen, als dieser Hurensohn von Lancée dir einen Stuhl hinterrücks über den Kopf ziehen wollte...“, murmelte Athos ihr zu und erkannte darauf einen sanften Blick in ihren Augen „Ja, auf Porthos kann man sich verlassen, genauso wie auf D’Artagnan und dich...“, flüsterte sie und klang dabei zunehmend schläfriger. Bei seinem weiteren Gedankengang musste Athos lächeln und schließlich sagte er „Constanze wird außer sich sein, wenn sie morgen früh sieht, was D’Artagnan zugestoßen ist. Dann heißt es bestimmt, wir wären die Aufrührer gewesen und hätten D’Artagnan in die Schlägerei mit reingezogen...“. „Nein... Wie könnten wir nur?“, erwiderte Aramis ironisch und musste wie ein kleines Kind grinsen. Für den ersten Abend zurück in Paris war es für D’Artagnan sicher nicht das gewesen, was er sich vorgestellt hatte. Für sie selbst war es dafür umso befreiender gewesen. „Ich hoffe, dass Porthos D’Artagnan nicht den Kopf abschlagen wird, wenn er erfährt, dass D’Artagnan auch die ganze Zeit über Bescheid wusste...“, grübelte Athos, bekam jedoch kaum eine Regung Aramis hierauf als Antwort. Der Schlaf hatte sie fast übermannt und Athos war froh, ihr Haus allmählich am Ende der Straße im Dunkeln zu erkennen. Viel länger hätte er nicht die Kraft aufgebracht, sie durch die Straßen zu ziehen. Umständlich öffnete er die hintere Eingangstür und trat mit ihr in den Wohnraum ein. Ohne Umwege brachte er sie zur Chaiselongue und ließ sie darauf sinken. Obwohl er nun eilends seine eigene Wohnung hätte aufsuchen sollen, um sich endlich dem nötigen Schlaf hinzugeben, verharrte er. Er spürte, dass er sein Versprechen ihr gegenüber brechen würde. Er würde sie nicht mehr als einen guten Freund betrachten können. Eigentlich tat er dies schon lange nicht mehr. Niemand anderes würde sie so sehen, wie er es tat; würde sie bewundern für ihren Kampfgeist, würde sich sorgen, wenn sie sich duellierte, würde selbst glücklich sein, wenn er sie nur einmal lächeln sah. Und dennoch, er würde nie an erster Stelle in ihrem Herzen treten können. Aus seiner tiefen Sehnsucht heraus, beugte er sich zu ihr hinab und berührte ihre Lippen. Das Verlangen nach ihr zerrte ihn auf und konnte nur sanft gestillt werden in dem Wissen, wie es wäre sie zu küssen. Es fühlte sich für ihn richtig an, als ob es dieses kleine Stück gewesen wäre, was ihm zu seiner vollkommenen Zufriedenheit im Leben gefehlt hatte. Als er sich von ihr löste, hörte er ihre Stimme, die leise ins Dunkel flüsterte „Dafür dass du mein liebster Freund bist, verzeihe ich dir das, was du eben getan hast...“ Hatte sie es gespürt oder hatte sie nur im Schlaf daher geredet? Er wusste es nicht genau, aber es machte ihm deutlich, dass er niemals wieder die Möglichkeit haben würde, sie als Frau berühren zu dürfen. Sein Leben würde unglücklich bleiben, immer verzehrend nach der einen Liebe, die niemals erwidert werden würde. Als er still ihr Haus verlassen hatte, war eine Bewegung im Dunkeln zu erkennen. Ihre Hand strich beinahe ehrfürchtig über ihre Lippen. Sein Kuss war noch immer zu spüren. Sie würde sich niemals eingestehen, dass es sich gut angefühlt hatte, nach all den vielen Jahren wieder eine sanfte Berührung zu erfahren, die sie als Frau empfinden ließ und dass sie diesen Kuss nur bei Athos und niemandem sonst zugelassen hätte. Auf ihrer Wange bildete sich eine Tränenspur und Aramis würde nach dieser Nacht ebenfalls wieder in ihr unerfülltes Leben zurückehren, obwohl sie unlängst eine andere Entscheidung hätte treffen können. Kapitel 3: ----------- Sie konnten sehen, wie die breiten Finger des Kapitäns unruhig auf die Tischoberfläche vor sich tippten. Kein gutes Zeichen. Zwar hatte Tréville schon vor einigen Minuten bemerkt, dass seine vier besten Musketiere sein Arbeitszimmer betreten hatten, doch seitdem hatte sich an seiner nachdenklichen und denen der Musketiere strammen Haltung nichts geändert. Die vier Soldaten ließen sich ihre Unsicherheit bezüglich des Verhaltens des Kapitäns nicht anmerken, lediglich eine Augenbraue D’Artagnans, die unaufhörlich in die Höhe zuckte, konnte Ausdruck immensen Unbehagens sein. Aramis erkannte, dass Tréville seinen Blick ihnen schließlich zugewandt hatte und besonders die Haltung Aramis’ genau musterte. Konnte es sein, dass der ärgerliche Blick des Kapitäns ausschließlich ihr galt? Was hatte sie nun wieder verbrochen, dass sein Zorn nur über sie einfallen würde? Andererseits befand sie sich nicht allein in seinem Arbeitszimmer, schließlich waren die anderen drei ebenso herbeigerufen wurden. Sie versuchte den Gedanken innerlich abzuschütteln. „Als ihr vier vor einer Woche aussaht, als ob ihr von einer Viehherde überlaufen worden seid, hatte ich keine Fragen gestellt. Schließlich handelt es sich ja um eure Knochen, die man entweder wieder zusammensetzen kann oder nicht. Und ihr seid Musketiere, die sich ab und an die Hörner abstoßen müssen, auch das ist mir durchaus bewusst“, sprach Tréville schließlich in seiner betont tiefen autoritären Stimme und die vier Freunde erkannten, dass ihre letztige Schlägerei in der Taverne doch nicht folgenlos für sie enden würde, sonst hätte der Kapitän wohl kaum über eine Woche später dieses Thema nun doch zur Sprache gebracht „Heute habe ich aber vernommen, dass der Anlass des Streits nicht von Richelieus Männern ausging, sondern dass ihr euch bereits vorher untereinander geschlagen hattet und die rote Garde dies lediglich als Willkommenheit betrachtet hatte sich mit einzumischen“, er trat vor seine vier Untergegebenen und bediente sich eines Mittels, das hoffentlich Wirkung zeigte, er wurde lauter „Wie zum Teufel kommt ihr dazu euch gegenseitig zu schlagen?! Was macht es für einen Eindruck beim König, wenn die Musketiere untereinander uneinig sind? Nach außen müsst ihr geschlossen auftreten und dürft euch bei persönlichen Auseinandersetzungen nichts anmerken lassen! Zu allem Überfluss ist mir vollkommen schleierhaft, warum sich gerade meine vier besten Musketiere, die Tag ein und Tag aus nicht voneinander zu trennen sind, sich eine Rauferei bescheren?! Gibt es hierauf vielleicht eine Erklärung?!“ „Wir entschuldigen uns dafür, Kapitän!“, kam es gut einstudiert einstimmig von den vieren. „Das ist keine Erklärung!“ Die Musketiere erkannten, dass sich der Kapitän dieses mal mit einer einfachen Entschuldigung nicht zufrieden geben würde. Aramis glaubte, dass es daran liegen mochte, dass das Ansehen der Musketiere durch ihr aller Verhalten geschädigt worden war, doch der erneute intensivärgerliche Blick Trévilles in ihre Richtung, gab ihr zu verstehen, dass Tréville scheinbar sie in erster Linie dafür verantwortlich glaubte. Und als ob ihre Vermutungen berechtigt waren, wandte sich Tréville geradewegs an sie „Nun, Aramis? Gab es einen bestimmten Vorfall von welchem ich wissen müsste?“ Was hatte er jetzt bitte von ihr hören wollen? Konnte die Intuition des Kapitäns derart genau sein, dass er ahnte, dass mittlerweile Athos, Porthos und D’Artagnan ihr Geheimnis kannten? Es war naheliegend, dass dies der einzige Grund gewesen sein könnte. Entgegen ihrer sonstigen Offenheit, sagte sie mit fester Stimme „Bier, mon Capitaine!“ „Wie bitte?!“, ein verdutzter Gesichtsausdruck folgte. „Sehr viel Bier, mon Capitaine!“ Tréville wurde durch diese Antwort um ein vielfaches unruhiger „Willst du mich zum Narren halten, Aramis?! Ich kann nur schwer glauben, dass bei euren aller sonstigen Maßen an Bier und Wein, dies ein Problem zwischen euch schüren könnte!“ Sein Augenmerk auf Aramis verschärfte sich um ein weiteres, was darauf hindeutete, dass sich die Geduld des Kapitäns dem Ende neigte „Könnte ich wohl nun endlich eine Antwort von dir erhalten, die mich nicht an dem Respekt, der mir von dir entgegengebracht werden sollte, zweifeln lässt?!“ Innerlich ärgerte sich Aramis darüber, dass sie scheinbar allein für die Misere verantwortlich gemacht wurde, andererseits musste sie zugeben, dass sie tatsächlich der Auslöser für die entflammende Wut Porthos‘ gewesen war. Nur wegen ihr war es zum Streit unter den Vieren gekommen. Sie konnte nicht leugnen, dass Tréville mit seiner Vermutung so nah an der Wahrheit lag, dass eine einfache Entschuldigung für ihre letzten Worte nicht ausreichen würde. Gerade als Aramis zur Erklärung ansetzte, wurde sie von Athos unterbrochen „Es war meine Schuld gewesen, mon Capitaine! Ich war derjenige gewesen, der den Streit begonnen hatte. Porthos erteilte mir dafür die Lektion, die ich verdient hatte. Dies ändert jedoch nichts an unserer Freundschaft. In Zukunft wird ein derartiges öffentliches Auftreten meinerseits nicht wieder vorkommen. Wir haben das Problem geklärt und nun bin ich bereit für mein unentschuldbares Verhalten die Konsequenzen zu tragen!“ Überrascht hatte sich Tréville bei dieser huldvollen Rede seinem treuesten und intelligentesten Soldaten zugewandt. So ganz konnte er ihm seine Worte nicht glauben, überdies bemerkte er, dass Aramis erneut zu Erklärungsversuchen ansetzte und Athos dabei mit bösen Blicken bedachte. Allein das Verhalten von Athos und Aramis genügte Tréville nun um zu erkennen, was tatsächlich vor sich ging. Innerlich seufzte er und erinnerte sich selbst, dass er diese Wendung zwischen beiden doch schon vor Jahren vorausgesehen hatte. Warum musste er auch immer recht behalten? Tréville kannte Athos zu lange und zu gut, um zu erkennen, dass er Aramis hilflos verfallen war. Mit einer kurzen Handbewegung wies er Aramis an, zu schweigen. Lautlos ging Tréville an seinen vier Untergebenen vorüber und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Die Augen der vier Musketiere waren wachsam geradeaus gerichtet und erwarteten weitere Anweisungen. Während Tréville Unsicherheit bei Porthos und D‘Artagnan erkannte, waren in den Augen von Athos Mut und Aufopferung erkennbar. Aramis jedoch bildete das absolute Gegenteil. Tréville sah in ihren Augen den Ausdruck verletzten Stolzes, den Athos durch sein Verhalten eben hervorgerufen hatte. Aber Tréville war es egal. Früher oder später würde sie ihm doch verzeihen, daher musste er nun keine weiteren Erklärungen von irgendjemanden hören. „Es ist unerheblich, wer gegen wen den Streit hervorgerufen hat. Ihr alle wurdet dort gesehen und seid dadurch in jedermanns Munde. Deshalb werdet ihr alle für die nächsten zwei Wochen Nachtwache schieben und die Musketieranwärter einweisen. Ich dulde keinen Widerspruch und erwarte über jeden einzelnen Tag einen schriftlichen Bericht von euch…“ Bei der Strafverteilung hatte Tréville wahrlich nicht gespart. Es gab weitaus bessere Aufgaben unter den Musketieren als rotznasige Bengel in die Fechtkunst einzulernen. Augenblicklich sank die Stimmung der vier Musketiere ins bodenlose. Aber sie würden keine Widerrede erheben, andernfalls hätte sich die Strafe sogleich in weitere zwei Wochen verlängern können. Mit einer flachen Handbewegung, verdeutlichte Tréville, dass die Vier sich nun endlich entfernen sollten. Im leeren Gemeinschaftsraum unten angekommen, hatte D‘Artagnan sich ein lautes Seufzen nicht verkneifen können „Wie soll ich das nur Constance beibringen?“ „Es gibt weitaus schlimmeres im Leben, D‘Artagnan“, lachte Athos, was jedoch trotz allem kein Zweifel daran zurückließ, dass er die Worte so meinte, wie er sie sagte. Athos sprach nie über unerhebliche Dinge. „Da kennst du Constance aber schlecht…“, murmelte der junge Gascogner verärgert, jedoch gerade so laut, dass es nur Porthos verstand, der neben ihm stand. Unerwartet fuhr Aramis aufgebracht herum „Was sollte das gerade, Athos?“ „Ich habe D‘Artagnan eben zu verstehen gegeben, dass…“ „Nicht das!“, unterbrach ihn Aramis „Sondern die Tatsache, dass du den Kapitän eben angelogen hast…“ Athos bedachte sie bei diesen Worten mit einem kritischen Blick „Das ist aber nicht das, was dich verärgert, nicht wahr?“ „Nein, völlig richtig! Mich macht es wütend von dir ständig bevormundet zu werden!“ „Ich weiß nicht, wovon du sprichst…“, beteuerte Athos und war sich ganz offensichtlich keiner Schuld bewusst. „Du musst nicht den Sündenbock vor Tréville spielen, nur um dich damit als Held der Schwachen aufzuspielen!“, Aramis‘ Anschuldigungen trafen ihn hart und unvorbereitet, hatte er doch geglaubt, sie damit dem Fegefeuer Trévilles entziehen zu können. Jetzt zu vernehmen, dass sie diese Tat ganz und gar nicht guthieß, verwirrte ihn und machte ihn zugleich wütend „Willst du etwa sagen, dass du Tréville mal ganz nebenbei den wahren Grund für den Streit unterbreitet hättest, obwohl dies zur Folge gehabt hätte, dass du die längste Zeit Musketier gewesen wärst?!“ „Natürlich!“ „Natüüürlich…“, erwiderte Athos sarkastisch und war von jeher davon überzeugt, dass dies sicher niemals eingetreten wäre, da Aramis um jeden Preis die Offenbarung ihres Geheimnisses verhindert hätte. Erst recht hätte sie alles unternommen, damit Tréville niemals dahinter kommen würde. Athos konnte nicht erahnen, wie sehr er sich diesbezüglich irrte. „Du weißt nicht, wovon du sprichst, Athos! Es wäre möglich gewesen, Tréville alles zu erklären, was an dem Abend in der Taverne geschehen war, zumal er mit Sicherheit den wahren Grund bereits erahnen wird!“, rief Aramis unbeeindruckt und erntete hierauf nur verständnislose und fragende Blicke seitens Athos und Porthos. D‘Artagnan hingegen war schon vor Wochen informiert worden, wer alles die wahre Vergangenheit des blonden Musketiers kannte. Als ob es zur Alltäglichkeit für ihn wurde, sank sein Kopf tief in seine Schultern, in der Hoffnung mit einem mal unsichtbar für die anderen zu werden. „Kann mir endlich mal jemand erklären, wovon Aramis eigentlich spricht?“, kam es von Porthos von der anderen Seite des Raumes und es schien, als wäre sich Aramis erst jetzt bewusst, dass sich der Koloss und Jüngling im gleichen Zimmer aufhielten. Mit beherrschter Stimme meinte Aramis schließlich „Tréville weiß längst, wer ich wirklich bin. Schon von dem ersten Tag an, als ich mich hier vorgestellt habe. Er hatte mir auch oft genug zu verstehen gegeben, dass ich mich hier auf einer Gratwanderung befinde, was meine Freundschaft zu euch betrifft. Tréville weiß also meiner Meinung nach genau, weshalb wir uns in der Taverne gestritten hatten…“. Bei diesem weiteren Geständnis wurden Athos‘ und Porthos‘ Augen größer und größer und Aramis mit jedem Augenblick klarer, wie tiefgründig ihre gesamte Vorspiegelung des Lebens eines Mannes doch eigentlich war. D‘Artagnan hingegen bereitete sich innerlich auf ein Sturmfeuer vor, welches hervorzubrechen drohte. Sekunden verstrichen, doch Schweigen erfüllte den Raum. Plötzlich zuckte Porthos mit den Schultern und ließ sich auf den Stuhl hinter sich fallen „Irgendwie überrascht mich bei Aramis allmählich gar nichts mehr. Es scheint, als verdienest du Anerkennung dafür, dass du uns alle hier zum Narren gehalten hast…“, doch seine Worte klangen härter, als er sie eigentlich meinte. Letztlich lächelte Porthos und bewegte seine Gedanken bereits wieder in Richtung Abendessen. Athos wandte sich dem Koloss verärgert zu „Ach, sollen wir uns jetzt noch bei Aramis dafür bedanken, dass nichts ist, wie es scheint?! Selbst Tréville war früher eingeweiht worden als wir“, er blickte Aramis wütend entgegen und sagte „Solange trage ich dein Geheimnis nun bei mir und du hast es niemals für nötig erachtet, mich wegen Tréville einzuweihen. Das habe ich nicht verdient, Aramis!“ „Was macht Tréville für einen Unterschied?“, entgegnete sie hartnäckig „Je weniger Menschen untereinander meinetwegen Bescheid wussten, desto besser. Damit ist aber immer noch nicht dein Verhalten von eben gerechtfertigt. Ich bin gut fähig mich allein vor Tréville zu verteidigen. Du hast dich darin nicht einzumischen, Athos!“ Selten hatte D‘Artagnan Aramis derart aufgebracht erlebt. Diese verhielt sich äußerst seltsam und machte einem engen Freund Vorwürfe, die so gar nicht zu ihm passten. Andererseits musste er zugeben, dass sich Athos in letzter Zeit äußerst besorgt um Aramis verhielt. Auch wenn es für andere nur schwer erkennbar war, so sah D‘Artagnan ab und an die angespannte Haltung Athos‘, sobald das Gespräch auf Aramis gelenkt wurde. Mit stetigen aufkommenden Gedanken, begann D‘Artagnan dämlich zu grinsen, als das Streitgespräch zwischen Aramis und Athos größere Wogen schlug. Porthos derweil hielt Ausschau nach etwas Essbarem im Raum und bemühte sich die beiden zu überhören. Irgendwann fielen nur noch Worte wie ‚Kindermädchen‘; ‚alt genug‘; ‚Held der Armen‘ und weitere Dinge, die D‘Artagnan noch näher zu seiner Vermutung und deren Überzeugungskraft trieb, dass die beiden mehr miteinander verband, als es zu ihm je der Fall sein würde. Einige Augenblicke später warf ein wutentbrannter Athos die Türe von außen zu und es kehrte wohltuende Stille im Raum ein. Heftig atmend und mit hochroten Gesicht wandte sich Aramis dem jungen Gascogner zu und entdeckte dessen dämlich grinsendes Gesicht „Darf man fragen, was du so lächerlich findest?!“ Das Grinsen nicht ablegend, entschied sich D‘Artagnan nach einiger Zeit doch zu antworten „Ihr beide habt euch gerade wie ein altes Ehepaar gestritten…“, und ohne die Reaktion von Aramis abzuwarten, brach D‘Artagnan in schallendes Gelächter aus, das Porthos regelrecht ansteckte. „Wollt ihr beide heute noch aufrecht nach Hause laufen?“ Das Lachen erstarb augenblicklich. ~~~ Die Tage vergingen und mit ihnen die ersten Strafarbeiten im Hauptquartier der Musketiere. Aramis hatte sich bereit erklärt die ersten Tage das Fechttraining der Anwärter zu koordinieren und zu beaufsichtigen. Dabei musste sie derart streng gewesen sein, dass einige junge Soldaten das Anwesen kreidebleich oder stotternd verlassen hatten. Für D‘Artagnan und Porthos war es offensichtlich gewesen, dass sie ihre Wut und Frustration über Athos den Anfängern zukommen ließ; sie selbst meinte jedoch stets, dass es sich bei den jungen Musketieren um Taugenichtse handelte, die den Dienst im Namen des Königs unterschätzten. Tréville schien es nicht so gesehen zu haben und trug ihr auf neben der Nachtwache noch Dokumente zu bearbeiten, die er selbst hätte anfertigen müssen. Seitdem war kein Wort mehr über Aramis‘ Lippen in Gegenwart Trévilles oder ihrer Freunde gedrungen; ganz zu schweigen davon, dass sie seit Tagen nicht mehr mit Athos gesprochen hatte. Als D‘Artagnan jenen Abend im Musketieranwesen eintraf, fand er Aramis und Porthos wie gewohnt im Gemeinschaftsraum vor. Leise trat er an Porthos heran, der gelangweilt einige Karten über den Tisch warf. Als er den jüngsten erkannte, schien er sichtlich erleichtert, endlich weitere Gesellschaft neben Aramis zu erhalten. Verstohlen blickte D‘Artagnan zu Aramis hinüber, die es sich am Kamin gemütlich gemacht hatte und ihn scheinbar nicht bemerkt hatte oder nicht bemerken wollte. Letzteres erschien ihm zutreffender. „Was ist mit Aramis?“, fragte D‘Artagnan leise und beobachtete dabei wie Aramis auf der anderen Seite die Schreibfeder vor sich von einer Seite auf die andere durch ihren Atem bewegte. Porthos empfand dieses Verhalten weniger aufregend, sodass es der vielen Erklärungen nicht bedurfte „Das macht sie schon seit Stunden… Beachte sie einfach nicht, schließlich macht sie das gleiche ja mit uns… Wollen wir Karten spielen?“, das plötzliche entzückte Gesicht Porthos‘, als dieser galant einige Karten zuspielte, verwirrte D‘Artagnan kurz, schließlich erhob er sich aber und eilte zu Aramis hinüber. Aramis selbst derweil war tief in Gedanken versunken. Sie bemerkte die Annäherung ihres Freundes nicht, sondern fühlte sich in die Zeit vor einigen Jahren zurückversetzt. ~ „Wir Musketiere haben Feinde…“ „Haben wir?“ Athos konnte nicht recht zuordnen, ob der blonde Jüngling scherzte oder tatsächlich einfach nur unwissend war. Ein kritischer Blick folgte und bestätigte ersteres auf dem Gesicht des Neuankömmlings. Aramis grinste. Hatte er geglaubt, sie wäre derart einfältig? Nirgendwo gab es keine Feinde. Wenn ihr eines bewusst war, dann war es diese Tatsache; seit dem Tod ihres Verlobten. Beide durchschritten die engen Gassen der Pariser Innenstadt. Seit ihrem Ausbildungsbeginn waren einige Monate ins Land gezogen und in Aramis selbst kamen heimische Gefühle auf. Erst vor kurzem hatte sie eine geräumige Wohnung in der Nähe des Hauptquartiers bezogen, die zwar noch recht spärlich eingerichtet war, doch wenn sie ehrlich mit sich selbst war, verbrachte sie dort derzeit sowieso nur die Nachtruhe. Ein Musketier war mit zuviel Arbeit beladen, gerade dann, wenn man einen Ausbilder wie Athos zur Seite hatte. Primäres Ziel des Stadtrundganges war es, sich die genauen Wege durch Paris einzuprägen, die im Falle von Verfolgungsjagden von Straftätern durchaus von Vorteil sein konnten. „Richelieus Leibgarde ist dir bekannt, sodass dir bewusst ist, dass diese Männer äußerst gefährlich werden können, solltest du dich ihnen in den Weg stellen. Doch seitdem Lord Rochefort als Kapitän erwählt wurde, scheint mir die Leibgarde unberechenbarer als je zuvor…“, erklärte Athos, während seine Augen aufmerksam die Menge vor sich beobachtete. Aramis nickte zustimmend. „Unter den Musketieren ist es ein offenes Geheimnis, dass Richelieu die Macht über das Land für sich beanspruchen möchte. Merkwürdigerweise ist er einer der wenigen Menschen Frankreichs, die den König besser kennen, als seine eigene Mutter. Gerade aus diesem Grund müssen wir zukünftig besonders bedacht gegenüber Richelieus Garde vorgehen. Sollte der Kardinal der Meinung sein, einen Feind bei den Musketieren ausgemacht zu haben, so würde er alles daran setzen, seine Position nicht zu gefährden, wodurch wir zu dem Schluss gelangen -“ „- dass Richelieus Nummer eins - Lord Rochefort - den Auftrag gewissenhaft ausführen würde“, endete Aramis an Athos‘ statt, worauf dieser Aramis mit einem wissenden Blick bedachte „Der Kardinal setzt großes Vertrauen in Rochefort und genießt dessen loyale Ergebenheit, deshalb sollten wir nur in Notsituationen der Leibgarde entgegentreten, wenn es sich absolut nicht vermeiden lässt…“ Plötzlich auftretender Lärm vor ihnen in der Nähe einer Metzgerei, ließ Athos seinen Satz vorzeitig beenden. Soweit beide Musketiere in der einherschreitenden Dämmerung erkennen konnten, waren zwei in schwarz gekleidete Männer bei dem Versuch den Metzger um die Einnahmen seines Tages zu berauben. Mit gezogenem Dolch, drohten sie dem älteren Mann um sein Leib und Leben. Potentielle Kunden hatten das Geschäft panisch verlassen und den Mann mit seiner Angst allein zurückgelassen. Soviel zur bürgerlichen Pariser Verbundenheit, dachte Aramis verärgert und erinnerte sich dabei unwillkürlich an ihr Leben auf dem Lande zurück, wo solche Überfälle durch nachbarschaftliche Hilfe vermieden worden waren. „Es scheint, es hätten nicht nur wir Musketiere Feinde“, sagte Aramis leise und überlegte bereits, wie sie die prekäre Situation zu zweit am besten abwenden konnten. Ihr mittlerweile geschulter Verstand, berechnete schnell mögliche Vor- und Nachteile eines Eingriffs in das Geschehen. Eindeutige Nachteile waren, dass es sich um zwei bewaffnete Männer handelte, deren Körperbau unter der Kleidung schlecht erkennbar war, sodass Aramis nicht einschätzen konnte, ob es sich um zierliche oder starke Gestalten handelte. Vorteil war natürlich die Überlegenheit Athos‘ in der Fechtkunst und dessen Erfahrungen der Beurteilung solcher Situationen. Aramis genügte es bereits Vorteile für sich zu wissen, um dem Metzger zu Hilfe zu eilen, unter anderem auch verursacht durch ihren stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und ihrer gleichzeitigen risikobehafteten Übermütigkeit. Sie wollte sich einfach auf die Räuber stürzen, in der Annahme, sie wäre der Situation nach ihrem langen Training gewachsen, doch Athos hielt sie am Arm zurück „Nein, Aramis! Benutze deinen Verstand! Was habe ich dich die letzten Monate gelehrt?“ „Dass man hilflose Menschen nicht im Stich lassen soll?“, es war mehr ein Zischen ihrerseits als eine ernstzunehmende Antwort. Ihre Worte strafte Athos sogleich mit einem streng autoritären Blick ab „Der Feind ist dir überlegen, wenn du ihm unterlegen bist“, sprach er taktisch „also wollen wir doch das Gegenteil bewirken, nicht wahr?“ Kurz erklärte er ihr daraufhin ihre Aufgabe, während er sich danach den Räubern näherte und sich Aramis etwas starrsinnig aus dem Blickfeld der Räuber neben dem Eingang des Metzgerladens platzierte. Aramis hörte Athos einige Worte zu den Räubern sprechen, um eine friedvolle Lösung ohne Waffen herbeizuführen. Er schlug ihnen sogar vor, das Geschäft noch ohne Festnahme verlassen zu können, würden sie die Beute zurücklassen wie auch ihre Dolche. Schweigen folgte, wodurch sich Aramis unsicher wurde, wie sie sich zu verhalten hatte. Als sie jedoch das Ziehen des Degens aus der Scheide seitens Athos vernahm, war sie sich bewusst, dass die friedliche Debatte bereits geendet hatte und sie sich nun auf die Angreifer stürzen konnte. Sie trat um die Ecke und erkannte, dass sich Athos bereits auf einen der Räuber gestürzt hatte und versuchte ihn zu entwaffnen. Dabei war es dem zweiten Mann möglich gewesen hinter den Musketier zu treten und damit eine eindeutig überlegene Position einzunehmen. Aramis wusste, dass dies der Zeitpunkt war in dem sie einschreiten musste. Gekonnt näherte sie sich dem zweiten maskierten Räuber und bekam seinen Arm zu fassen, den sie ihm auf den Rücken drehen konnte; jedoch in der irrtümlichen Annahme, dass er in dieser Hand den Dolch hielt. Es war eine fatale Fehleinschätzung mit gefährlichen Konsequenzen. Aramis konnte noch sehen, wie Athos einigen Attacken seines Angreifers ausweichen konnte, als ihr ‚Opfer‘ plötzlich die Oberhand gewann. Mit einer schnellen unkontrollierten Bewegung konnte sich der Räuber ihrem Griff entziehen und sich ihr zuwenden. Vollkommen überwältigt und erschrocken war Aramis unfähig ihren Degen korrekt einzusetzen. Der Räuber hatte ihre Hand zur Seite geschlagen und ließ den Dolch auf sie niedergehen. Sie spürte wie der Dolch ihr Gesicht knapp verfehlte, als sie dem Angriff auswich. Sie glaubte sich in Sicherheit zu wissen, als sie unerwartet brennenden Schmerz verspürte. Der Räuber hatte sie getroffen, doch konnte sie nicht genau ausmachen, wo er sie verwundet hatte. Augenblicklich fühlte sie sich gelähmt und brach in sich zusammen. Noch nie hatte sie derart körperlich betäubendes Leid erfahren. Wohlbehütet war sie aufgewachsen und hatte sich nicht mit Gewalttaten auseinanderzusetzen. Bilder ihres früheren Heims verschleierten ihren Blick, als sie zu Boden fiel und hart mit dem Rücken aufkam. Dumpfe Geräusche waren im Hintergrund zu hören, doch Aramis sah nur die grünen Wiesen, über welche sie als Kind gelaufen war und roch den frischen Wind, der durch ihr Haar wehte. Und sie fragte sich, ob es richtig war nach Paris zu kommen. Ihr Leben wäre friedvoller verlaufen, hätte sie nicht eine Entscheidung getroffen, die ihr gesamtes Dasein von nun an verfälschte. Scheppernd landeten einige Gegenstände des Ladens neben Aramis auf dem Boden, als Athos seine gesamte Kraft aufwenden musste, um den Mann vor sich davon abzuhalten ihn zur Wand zu treiben und damit die Falle zuschnappen zu lassen. Mit einer letzten gekonnten Degeneinsetzung war es Athos schließlich möglich den Fremden vor sich zu entwaffnen, der sich daraufhin sofort einige Schritte von ihm entfernte. Erst jetzt konnte Athos erkennen, dass der zweite Maskierte über Aramis gebeugt war und dabei war nochmalig zuzustechen, um Aramis endgültig zu beseitigen. Hastig griff Athos nach dem Dolch in seinem Gürtel und warf diesen gegen den Angreifer. Der Dolch verfehlte sein Ziel und schellte gegen die Wand hinter den Räubern. Dennoch kam es zu einer kurzen eigenartigen Stille zwischen den Kämpfenden, die sich plötzlich reglos einander gegenüber standen, um die Überraschung des geworfenen Dolches zu realisieren. Die wenigen getauschten Blicke zwischen Athos und den Maskierten entschieden darüber, wie das Duell weiter verlaufen würde. Zu Athos‘ Verwunderung ließ der Angreifer von Aramis ab und deutete seinem Gefährten, dass sie aus dem Laden fliehen würden. Athos hatte sich das plötzliche und unerwartete Verhalten der beiden Räuber nicht erklären können, dabei hätte er die Lösung in der Fähigkeit seiner Degenführung erkennen müssen. Aus seiner Trance erwachend, als die Banditen den Laden verließen, eilte Athos zu Aramis, die sich am Boden vor Schmerz krümmte. Als er einen Blick auf ihren Oberkörper warf, sah er lediglich Blut, das bereits ihre Uniform durchtränkt hatte. Solch ein kleiner Dolch, mit solch immenser Wirkung, wenn man ihn nur richtig zu führen wusste, schoss es ihm durch den Kopf. Er nahm ihre Hand und presste sie gegen die Wunde unterhalb der Schulter, soweit er diese ausmachen konnte „Lass deine Hand dort und drücke mit aller Kraft dagegen“, murmelte er ihr zu, was sie willenlos geschehen ließ. Ihre Augen flatterten und ließen das Weiß darin hervortreten und er konnte nicht einschätzen, ob sie im nächsten Moment womöglich ihr Bewusstsein verlieren würde. Kurz blickte er sich im Laden umher, nahm die Verwüstung um sich herum jedoch kaum wahr, da er in Gedanken abwog, ob es Aramis zumutbar war, sie von dort fortzuschaffen, um den nächstmöglichen Mediziner aufzusuchen oder ob er selbst schnellstmöglich Hilfe gehen holen würde. Doch die Gefahr erschien ihm zu groß, Aramis allein zurück zu lassen, die Räuber hätten sich noch immer in der Nähe aufhalten können und auf den verängstigten Metzger am anderen Ende des Ladens konnte er sich wohl kaum verlassen. Während er nach dem anderen Arm von Aramis packte und sie hochzuziehen versuchte, meinte er „Ich bringe dich jetzt auf schnellstem Wege zu einem Arzt, soviel Kraft musst du noch aufbringen…“ Bei diesen Worten schienen plötzlich alle Geister in Aramis wieder zu erwachen. Mit schockiertem Blick sah sie zu Athos auf und sagte atemlos „Nein! Kein Arzt!“ „Was redest du da? Natürlich! Deine Wunde muss versorgt werden oder ziehst du es vor zu verbluten?“ Er war bereits dabei, sie zum Ausgang des Ladens zu ziehen, als sie wieder angsterfüllt sprach „Bitte, kein Arzt! Athos… Wenn dir etwas daran liegt, dass ich bei den Musketieren bleiben soll, dann bring mich bitte nach Hause…“, ihre Worte waren so undeutlich, dass Athos alle Mühe hatte sie zu verstehen. In all der ganzen Zeit seit sie sich kannten, hatte sie ihn niemals um etwas gebeten, umso zwiegespaltener dachte er über ihre Worte nach, die fast schon verzweifelt klangen. Benommen fiel ihr Kopf träge nach vorn, während er sie weiter durch die enge Gasse zog, unentschlossen welchen Weg er überhaupt wählen sollte, doch nahm er weiter ihr stetiges Murmeln wahr, das darum bat, keinen Arzt aufzusuchen… Sie konnte nicht einordnen, wie spät es war, als sie in einem fremden Bett erwachte. Die Vorhänge des Fensters über ihr waren zugezogen, ließen aber ein wenig Sonnenlicht durchdringen. Ihre Gedanken waren verschleiert und gaben erst allmählich letzte Erinnerungen preis. Als sie schließlich an den Überfall zurückdachte, ging damit der Schmerz in ihrer Schulter einher. Sie legte ihre Hand auf den Verband an ihrer Schulter, als ob sie hoffte, ihr Leid dadurch mindern zu können. Und plötzlich traf sie die bittere Erkenntnis, dass ihr Geheimnis nun kein Geheimnis mehr war, schließlich lag sie in einem unbekannten Bett, man hatte ihre Stichverletzung behandelt und ihr frische Kleidung angelegt, die nicht ihre eigene war, da das Leinenhemd auf ihrer Haut wesentlich weiter war als ihres. Augenblicklich sah sie das Bild ihres Rachefeldzuges vor sich zerfallen. Durch Unvorsicht und Übermut hatte sie sich enttarnt und glaubte das Lauffeuer über diese Tatsache schon von der Straße her hören zu können. Dabei hatte sie ihm gesagt, er solle sie nach Hause bringen, dachte sie verzweifelt bei sich und übersah dabei, dass er sie wohl dann dem sicheren Tod ausgeliefert hätte. Die Tür am anderen Ende des Raumes öffnete sich „Dachte ich mir doch, dass ich etwas gehört hatte. Du bist also endlich wieder zu dir gekommen…“, sprach Athos während er auf ihr Bett zutrat, einen Stuhl dabei mit sich zog und ihn vor dem Bett abstellte. „Wo bin ich?“, diese Frage seitens Aramis erschien schon fast überflüssig, wenn man Athos‘ legere Kleidung näher betrachtete, was auch Aramis nach einem Moment schamhaft feststellen musste. Trotz allem bemerkte Athos ausdruckslos „Du bist in meinem Haus, in meinem Bett, in meiner Kleidung…“, dabei verschränkte er die Arme vor der Brust und übersah dabei höflich den leicht rosa Ausdruck auf ihrem Gesicht und die Tatsache, dass sie die Bettdecke noch ein wenig höher zum Kinn schob. Als sie keine Regung zeigte, in irgendeiner Weise eine Erklärung hervorzubringen, fühlte sich Athos genötigt, sie durch Aufforderung dazu zu bewegen, ansonsten wäre er vermutlich äußerlich explodiert „Ich denke, du hast mir ein paar Dinge zu beichten, Aramis…“ „Du bist nicht mein Beichtvater“, kam es unverhohlen unter der Bettdecke hervor, was Athos Wut sicherlich nicht linderte, doch das war Aramis im Moment egal. Sie war vor seinen Augen entblößt wurden und konnte ihre Zukunft bei den Musketieren vergessen, warum also sollte sie nun noch vor Athos Angst haben oder ihm Rechenschaft abliefern? Erstaunt über ihre trotzige Antwort war Athos einen Augenblick sprachlos und musste seine weitere Vorgehensweise überdenken „Ich gehe vermutlich richtig in der Annahme, dass Aramis nicht dein wahrer Name ist?“ „Und was ist mit dir, Athos? Und Porthos? Ich glaube, für uns alle gab es einen Grund, weshalb wir unsere wahren Namen abgelegt haben, nicht wahr?“, meinte sie missmutig und begann sich langsam aufzurichten und sich an die Wand hinter sich zu lehnen. An Athos abwehrender Haltung hatte sich nach wie vor nichts geändert. Sie seufzte auf „Es tut mir leid, dass deine Zeit umsonst gewesen ist…“ „Was meinst du damit?“ „Nun, ich meine damit, dass ich nun wohl kaum weiterhin ein Musketier sein werde, wenn nicht sogar schon die Inquisition meinen Namen ganz oben auf ihrer Liste vermerkt hat. Also war die gesamte Ausbildungszeit umsonst gewesen…“, stellte Aramis betrübt fest und trauerte tief im Inneren der vergangenen Zeit bereits nach. „Bis jetzt habe ich Tréville lediglich mitgeteilt, dass du bei dem letzten Rundgang verletzt wurdest und dich zu Haus auskurierst…“, meinte Athos lapidar und erkannte dabei den sofort aufkommenden hoffnungsvollen Blick in ihren Augen, sodass er etwas kälter beifügte „…was nicht bedeuten soll, dass ich meine Meinung nicht noch ändern würde. Ich muss mir vorerst selbst im Klaren werden, was ich von dir halten soll und ob ich dir jetzt überhaupt noch vertrauen kann…“ „Obwohl wir scheinbar beide unsere Geheimnisse haben, vertraue ich dir jedoch blind“, sagte Aramis und es war ihr unheimlich wie ungemein schnell und leicht diese Erkenntnis über ihre Lippen gekommen war. Ein Gedanke in ihrem Kopf sagte ihr, dass sie es konnte, denn sonst hätte er sie niemals zu sich nach Haus gebracht und ihre Wunde selbst versorgt, ohne jemand anderem davon zu erzählen. Sie musste sich eingestehen, dass sie tief in seiner Schuld stand, vorausgesetzt er würde auch weiterhin ihr Geheimnis wahren. Obwohl Tréville ihr Geheimnis bereits kannte, hätte es ihn als Kapitän der Musketieren bloßgestellt, wenn er nach einer möglichen Offenbarung seitens Athos, Aramis weiterhin als Musketier behalten hätte. Die Befugnisse von Tréville reichten weit, aber nicht so weit, dass er im Mitwissen anderer Aramis weiterhin würde schützen können. Über dieses Geständnis seitens Aramis etwas fassungslos, erhob sich Athos von seinem Stuhl und bedachte sie mit einem nachdenklichen Blick. Er musste zugeben, dass sie eine ungeheure Kraft besaß, die er selten erlebt hatte. Nicht wenige waren an seinen Trainingsmethoden als Musketieranwärter gescheitert, nicht jedoch Aramis. Mit einer befremdlichen Verbissenheit hatte sie jede seiner Anweisungen in den letzten Monaten befolgt. Ausdauernd hatte sie die unendlichen Fechtstunden in sengender Hitze oder unmenschlicher Kälte ertragen und war mit jedem Tag besser geworden. Innerlich gab er sich die Schuld für ihre Stichverletzung, obwohl dies nicht stimmte, was Athos jedoch nicht erkennen wollte, da sein typischer Beschützerinstinkt über seinen Schützling erwacht war, ob nun deshalb weil er Aramis ausgebildet hatte oder weil sie schlicht und einfach eine Frau war, würde Athos erst lange Zeit später herausfinden. „Ich konnte dir bereits Medizin besorgen, die neben dir auf dem Nachtschrank steht, falls deine Schmerzen schlimmer werden sollten. Deine Wunde sah letztlich verheerender aus als sie glücklicherweise war, aber den Verband solltest du trotzdem regelmäßig wechseln. Ich habe zwar versucht die Verletzung so gut wie möglich zu desinfizieren, aber man sollte dennoch sichergehen…“, Athos wandte sich ab und ging schließlich zur Tür, ohne zurück zu sehen vernahm er ein letztes Mal ihre Stimme, die leise ein ‚Danke‘ flüsterte, bevor er das Zimmer verließ. Es war ihre Art sich für die Rettung ihres Lebens bei ihm zu bedanken und er hatte es angenommen.~ Auf die vergangenen Ereignisse zurückblickend und dabei die Feder vor sich auf dem Tisch stets im Auge behaltend, murmelte Aramis leise „Vermutlich habe ich ihm doch Unrecht getan…“ und sie erkannte ihren Fehler, dass sie zu aufbrausend gegenüber Athos reagiert hatte, obwohl er ihr Vertrauen in all den Jahren niemals missbraucht hatte. Sie war ihm mehr schuldig in ihrem Leben, als man es in Worte fassen konnte. Sie bemerkte nicht, wie D‘Artagnan an sie heran getreten war und versuchte sie aus ihren Tagträumen zu reißen „Hast du es schon gehört, Aramis?“ Sie blickte überrascht über seine plötzliche Anwesenheit auf „Was gehört?“ „Ich habe eben gehört, dass Athos angegriffen wurde und zu Hause ist, er wird heute nicht mehr zum Dienst erscheinen…“, meinte D‘Artagnan bedrückt und musste im Inneren über sich selbst staunen, wie gut er die Tonlage seiner Stimme gewählt hatte. Augenblicklich war Aramis aufgesprungen und hellwach „Wie? Er wurde angegriffen? Ist er verletzt?“ D‘Artagnan zuckte undeutlich mit den Schultern. „Worauf warten wir dann noch? Wir müssen schnellstens zu ihm!“, und noch bevor jemand etwas anderes erwidern konnte, war sie bereits zur Tür hinaus verschwunden. Porthos, der sich immer noch am anderen Ende des Raumes befand, sagte besorgt „Aramis hat vermutlich Recht, oder? Wir sollten wirklich nachschauen, ob es Athos gut geht…“. D‘Artagnan hingegen durchschritt den Raum, nahm gegenüber von Porthos Platz und mischte die Karten neu, die die letzten Minuten unbeachtet verstreut auf der Tischoberfläche gelegen hatten „Lass mal… Aramis wird das schon übernehmen…“. So ganz wollte Porthos in diesem Moment nicht verstehen, weshalb sie einen verletzten Freund nicht umgehend besuchen sollten. Das unbeteiligte Verhalten D‘Artagnans war sonst nicht seine Art gewesen. Auf einen verwirrten Blick seitens Porthos, begann der Gascogner lediglich zu grinsen - und ein Licht über Porthos Kopf entbrannte daraufhin. „Die letzte Zeit mit uns, hat dir gut bekommen, D‘Artagnan. Du bist ein Schlitzohr geworden…“ Hastig hatte Aramis ihr Pferd gesattelt und sich auf den Weg zu Athos Haus gemacht. Nicht im geringsten hatte sie darüber nachgedacht auf D‘Artagnan und Porthos zu warten. Sie schienen es ihrer Meinung nach, auch nicht unbedingt für nötig erachtet zu haben, Athos schnellstmöglich zu besuchen. Waren sie denn nicht um ihn besorgt? Schließlich hatten sie nur Bruchstücke des Ganzen als Information erhalten und konnten daher seinen Zustand überhaupt nicht einschätzen. Fassungslos erkannte Aramis, dass man Athos allein zu Hause zurück gelassen hatte. Was war, wenn er Hilfe benötigte? Wenn sein Zustand sich verschlimmerte? Die grausigsten Szenen reimte sie sich in ihrem Kopf zusammen und bemerkte dabei nicht, wie einige Mägde erschrocken zur Seite sprangen, als sie ihr Pferd durch die viel zu engen Gassen manövrierte. Bösartige Schimpfworte wurden ihr nachgerufen, aber sie hörte sie nicht, da sie sich innerlich über den banalen Streit mit Athos und ihren eigenen Trotz in den letzten Wochen ärgerte. An seinem Haus angekommen, kam ihr die Straße davor eigenartig ruhig vor. Die Gegend war noch nie sehr lebhaft gewesen, aber dass nicht einmal Kinder auf der Straße spielten, erschien ihr dann doch etwas befremdlich. Sie jagte die Treppe zu seiner Wohnung hinauf, nahm dabei zwei Stufen auf einmal und fiel laut in seine Wohnung ein ohne vorher anzuklopfen. Sie hatte einen freien Blick auf die Galerie vor sich und zu ihrer linken, wo sich sein Schlafgemach befand, stand die Tür offen - doch Athos war nicht auszumachen. Etwas außer Atem näherte sie sich dem Geländer der Galerie und trat seitlich zum Treppenabsatz, um das untere Stockwerk, wo sich Küche und Wohnraum befanden, in Augenschein nehmen zu können. Sie rief nach ihm und wunderte sich, dass er nicht im Bett gelegen hatte, wenn er eine Verletzung davon getragen haben sollte. Als sie die ersten Stufen hinab ging, trat er endlich aus der Küche unterhalb der Galerie hervor und schenkte ihr einen verwirrten Blick über ihre Anwesenheit „Was machst du denn hier?“ Sie überhörte gekonnt die Frage und wollte besorgt wissen „Wie geht es dir? Bist du verletzt?“ „Was soll ich sein?“, der Gesichtsausdruck Athos‘ machte deutlich, dass er absolut keine Ahnung hatte wovon sie eigentlich sprach. Erst jetzt wurde Aramis misstrauisch und verharrte mittig auf der Treppe und schaute zu ihm hinab. Er machte nicht wirklich den Eindruck, als ob er gekämpft hatte, obwohl er schon etwas blass um die Nase schien. Zudem überkam sie plötzlich ein bekannter Duft nach Kamille und Minze, der sich im gesamten Raum verteilt hatte. „D‘Artagnan meinte, du seiest angegriffen worden und würdest heute nicht mehr zum Dienst kommen, da habe ich mir Sorgen gemacht…“ „Wie kommt er denn darauf?“, Athos verzog verwundert das Gesicht „Das einzige, was mich angegriffen hat, ist eine Erkältung, so wie die gesamte Nachbarschaft auch…“, meinte er schließlich lapidar und rieb sich dabei nicht gerade galant mit dem Finger unter der Nase, um das aufkommende Juckgefühl zu verscheuchen. Allmählich dämmerte Aramis der Grund, weshalb D‘Artagnan ihr dieses Märchen vorgetragen hatte. Mit ihrem Unmut darüber einhergehend, ging sie verärgert nun schneller die Treppe hinab „Dieser Unhold! Ich werde jeden seiner Barthaare einzeln herausreißen!“, doch bevor es dazu kommen sollte, hatte sich der Körper Aramis‘ lieber vorher dazu entschieden eine Stufe nicht ordentlich zu betreten, auszurutschen und dabei mit ihrem gesamten Körpergewicht nach vorn zu fallen - genau auf Athos, der den Sturz ebenfalls nicht mehr abfangen konnte und daher mit dem Rücken hart auf dem Boden aufkam zusammen mit Aramis auf ihn, die nicht gerade leicht in diesem Moment gewesen war. Ein schmerzendes Ächzen ging von Athos aus, der sich den Ausklang des Tages wahrlich anders vorgestellt hatte, als mit einer beginnenden Grippe und einigen Rippenbrüchen. Für einen Moment nahm sie den Duft von Athos wahr, der seiner Kleidung entströmte und teilweise von ihm selbst war und sie war für einen Augenblick außerstande einen klaren Gedanken zu fassen. „Es tut mir leid!“, meinte sie schnell und versuchte von ihm hoch zu kommen. Als sie endlich wieder sicher auf beiden Füßen stand, griff sie nach seiner Hand und zog ihn ebenfalls nach oben „Ich glaube dafür, dass es dir jetzt vermutlich noch schlechter gehen mag, weil ich meine Beine nicht unter Kontrolle habe, bin ich dir einen Tee schuldig, oder?“, schlug Aramis vor und dirigierte ihn vor den Kamin auf die Chaiselonge, um sich auszuruhen. Athos selbst war derartig kraftlos nach diesem ‚Überfall‘, dass er nicht widersprach und ihre Anordnung umgehend befolgte. Als er sich hingelegt hatte und sie für einen Moment ungestört ihre Gedanken ordnen konnte, war sie etwas verwirrt über ihre kurzzeitige Sprachlosigkeit gewesen. Sie redete sich ein, dass es sich nur um ein peinliches Missgeschick gehandelt hatte, dass vor weiteren Scherztiraden seitens Porthos und D‘Artagnan nicht sicher war, sobald sie davon erfahren würden und dennoch war es ihr unverständlich, warum sie unentwegt darüber nachdenken musste. Als sie mit zwei vollen Teetassen beladen zum Kamin neben der Chaiselonge zurückkehrte, bemerkte sie, dass Athos eingeschlafen war. Als er seine Augen öffnete, erkannte er, dass es draußen bereits dunkel war. Eine dicke Wolldecke war über ihn gelegt worden zusammen mit einem nasskalten schweren Tuch, das auf seiner Stirn lag. Er glaubte, dass seine Wangen äußerlich glühten und das obwohl ihm ein unangenehmer Schauer über den Rücken ging. Er musste innerlich seufzen, als er die Symptome eines Fiebers feststellte und er wusste schon jetzt, dass eine ständige Unzufriedenheit die nächsten Tage in ihm auftreten würde, da er ans Bett gefesselt wäre. “Ich hasse es krank zu sein…”, seine Stimme war belegt. Aramis, die auf dem Boden gesessen und mit dem Rücken an die Chaiselonge gelehnt war, wandte sich ihm zu “Du hasst alles, was du nicht kontrollieren kannst, Athos…”, meinte sie belustigt und legte das Buch, was sie bis eben gelesen hatte auf das Bärenfell unter sich, auf welchem sie saß. ‘Nein, dich hasse ich nicht, obwohl du das Unkontrollierbarste bist, was ich je erlebt habe…’, dachte Athos bei sich und musste über seinen eigenen Gedanken lächeln. Es schien, als würden ihm seine Gedanken noch mehr entgleiten, wenn er infolge einer Grippe außer Gefecht gesetzt wurde. “Ich weiß, du möchtest jetzt keine Moralpredigten hören, aber du solltest die nächsten Tage wirklich zu Hause bleiben und dich schonen. In den letzten Stunden hattest du plötzlich Fieber bekommen, das rasant anstieg”, sagte sie besorgt und behielt dabei für sich, dass er sogar im Schlaf undeutlich daher geredet hatte, doch entging ihr dabei nie, dass er oft ihren Namen gemurmelt hatte. Irgendwie fühlte sie sich für ihn verantwortlich und hatte daher beschlossen in seinem Haus zu bleiben. Als das Fieber dann einsetzte, war sie über ihre Entscheidung froh gewesen und hatte begonnen kalte Umschläge auf seiner Stirn zu wechseln. Einen Moment lang besah er sich Aramis eingehend, die ihren besorgten Gesichtsausdruck nur schlecht verbergen konnte. Der Streit der letzten Tage schien vergessen, was jedoch nicht heißen sollte, dass er sich nicht noch bei ihr dafür entschuldigen würde. Athos konnte nicht ahnen, dass Aramis ebenfalls um Verzeihung bitten wollte, aber es schien, als ob beide auch ohne Worte das Gefühl des anderen in diesem Moment empfinden konnten. Ihnen war nicht bewusst, wie sehr ihre Freundschaft in den letzten Jahren gewachsen war und das noch viel mehr, als es je zu einer anderen Peson der Fall gewesen wäre. Die Mauer zwischen ihnen, hatte schon seit dem Abend als Athos seine Gefühle offenbart hatte, Risse bekommen und dennoch war Aramis zu unbeholfen mit dieser neuen Art der Zuneigung umzugehen. “De la Fére…”, sagte Athos schließlich unerwartet und durchbrach dabei die aufkommende Stille zwischen beiden. Auf den fragenden Blick von Aramis hin, erklärte er “… ich musste mich den einen Tag daran erinnern, dass ich dir niemals meinen wahren Namen genannt hatte… Das ist er also - Olivier de la Fére” Im ersten Moment zu erstaunt über die Möglichkeit, dass beide die gleichen Gedanken in letzter Zeit miteinander verbunden hatten, musste sie plötzlich lachen. Das war ihr alles zu unheimlich, als ob das Schicksal beabsichtigte sie in seine Arme zu treiben. Wie sollte sie das verhindern, wenn er ein absolut liebenswerter und aufrichtiger Mensch war? “Warum lachst du?” “Weil dieser Name nicht so ganz zu deinem Wesen zu passen scheint”, stellte sie fest, was jedoch nicht exakt der Wahrheit entsprach, aber ihre Gedanken über ihn, wollte und konnte sie nicht aussprechen. Sie verschränkte die Arme auf seiner Decke und legte ihren Kopf schräg, eine Geste, die sie unheimlich weiblich auf ihn wirken ließ “Lunette”, meinte sie einsilbig und Athos brauchte nicht weiter nachzufragen “Lass uns das aber lieber für uns behalten, sonst wird Porthos die nächsten Wochen mich vollkommen in der Hand haben und völlig humorlose Scherze parat haben…” “Geht in Ordnung…” Kurz warf sie einen Blick auf das Kaminfeuer, welches noch angenehm loderte und den Raum in wohlige Wärme hüllte. Momentan fühlte sie sich ausgelassen und wohl und das mochte größtenteils an der Versöhnung mit Athos liegen. Vielleicht auch an dem eklatanten Machtgefühl, Athos hilflos vor sich zu sehen mit der Möglichkeit ihn zu versorgen, ohne dass er sich dagegen sträubte. Als ihr Blick auf ihn zurückfiel, bemerkte sie, dass er wieder eingeschlafen war, kurz war sie darüber betrübt, da sie gehofft hatte, länger mit ihm sprechen zu können, doch dann wurde ihr bewusst, wie albern dieser Gedanke war, da seine Gesundheit Vorrang hatte und sie später genug Zeit haben würden miteinander zu sprechen. Eigentlich herrschten soviel unausgesprochene Dinge zwischen ihnen, die ihre Beziehung zueinander zwar zu etwas besonderem aber gleichzeitig kompliziertem werden ließen. Und so lange Aramis für sich nicht eine Entscheidung dazu treffen würde, bliebe es bei allem Ungesagtem und sie würden weiter nebeneinanderher leben und weiter Vorwände suchen, um nur einmal ungestört in der Nähe des anderen verweilen zu dürfen. Ohne es zu planen, vollständig zu realisieren oder sich auch nur im geringsten dagegen zu wehren, legte sie sich zu ihm, einen Arm beschützerisch über seine Brust, das Gesicht an seine Schulter gelehnt. Ein sanfter Blick hatte sich in ihre Augen geschlichen zusammen mit dem angenehmen Gefühl seiner Nähe und ihrem leichten Lächeln auf den Lippen. Seinem gleichmäßigen Atem lauschend, wusste sie, dass er sie niemals allein lassen würde, so wie sie ihn auch nicht… Kapitel 4: ----------- Dunkle Gestalten wanderten die Straßen entlang. Vor dem Jardin des Tuileries zusammengefunden, hatten sie ihren Weg über die Rue Saint Florentin fortgesetzt, schleichend, um sich blickend, stets darauf bedacht so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erregen. Die Straßen Paris’ waren leer und stumm. Die Geräusche des Tages waren der Ruhe der Nacht gewichen und verwandelten die Stadt in einen düsteren, menschenleeren Ort. Zu groß waren die Ängste vor Plünderungen und Überfällen, als dass die Menschen in Dunkelheit weiter durch die Straßen schritten. Stattdessen suchten sie Frieden und Geborgenheit hinter dichten Fensterläden, gemeinsam mit ihren Familien. Und solche, die Vorsicht dem Vorrang vor Vergnügen gaben, sollten Recht behalten, waren die dunklen Gestalten doch dazu aufgebrochen, um Blutgeld einzutreiben. Schnell überquerten sie die Rue Saint-Honoré, nach Südosten blickend, um das prachtvolle Lichterwerk über der Stadt, ausgehend vom Louvre und Palais Royale zu erkennen. An der Ecke Rue Duphot angekommen, blickte sich einer von ihnen misstrauisch um. Er glaubte Stimmen unmittelbar in der Nähe wahrgenommen zu haben. Er drängte seine Gefährten zur Vorsicht, doch wurde dem keine weitere Beachtung geschenkt. Hinter einer Häuserfassade verbargen sich ihre Verfolger. Ein brünetter Jüngling, angespannt von der Konzentration die seine Aufgabe erforderte, die dunklen Gestalten nicht aus den Augen zu verlieren, ein Koloss, der sich verwundert in alle Richtungen wandte und nach Atem rang, da ihm das derzeitige Versteck des viel zu engen Häuserdurchgangs klaustrophobisch werden ließ, ein blonder langer, der am liebsten ebenfalls die Verfolgten im Auge behalten hätte, was aber aufgrund der Enge der Gasse nicht möglich war, um sich an dem Koloss vorbei zu schieben, und ein älterer, autoritär wirkender Kämpfer, dem jedoch die Sorgenfalten in der Stirn standen, als er zurückblickte und befürchtete, dass die Verfolgung ein jähes Ende finden würde, wenn sie entdeckt werden würden. “Das geht so nicht, Athos!”, sagte Aramis und drehte sich ihm zu, was sich aufgrund der Enge des Durchganges bereits als Problem darstellte “Wir müssen uns aufteilen, sonst werden wir irgendwann entdeckt. Außerdem ist unsere Schlagkraft größer, wenn wir sie von zwei Seiten einkreisen und dann angreifen…” Athos bedachte sie nur mit einem besorgten Blick, den ganzen Abend über, seit sie sich auf die Spur der Banditen begeben hatten, plagte ihn bereits ein ungutes Gefühl “Wir kennen aber ihr Ziel noch nicht. Was ist, wenn sie einen Treffpunkt aufsuchen, bei dem noch viel mehr von ihnen sein werden? Es könnte sich um eine organisierte Untergrundbewegung handeln. Du weißt, dass sie in den letzten Wochen Angst in Paris verbreitet haben…” “Gerade deshalb sollten wir dem ganzen jetzt ein Ende bereiten und diese Bande in das Chatêlet Gefängnis werfen lassen!” “Aramis hat Recht”, meldete sich nun D’Artagnan zu Wort, der noch immer in gebeugter Haltung an der Häuserecke ausharrte “soweit ich sehen kann, haben wir gerade mal fünf Männer vor uns, mit denen wir es aufnehmen müssten. Außerdem führen nur drei von ihnen Degen bei sich…” “Was nicht heißen soll, dass sie nicht über andere Waffen verfügen”, stellte Athos bedenklich fest. Ihm war überhaupt nicht wohl zumute. “Ich glaube, du wurdest überstimmt, Athos”, meinte Porthos “lasst uns diese Bande zur Strecke bringen, damit wir heute Nacht noch unsere Betten aufsuchen können…”, es entsprach nicht der üblichen Eifrigkeit Porthos’, wo er doch stets eher dem Essen den Vorrang gab, als einer Schlafgelegenheit, aber Aramis musste zugeben, dass es sie auch nach einem warmen Bett verlangte. Zu viele Nachschichten hatten sie die letzten Wochen auszusitzen, woran diese neuerliche Bande nicht gerade unschuldig war. Athos gab sich widerwillig geschlagen “Also gut, wir werden uns aufteilen, aber sobald ihr glaubt, dass der Feind euch überlegen ist, flüchtet ihr, habt ihr verstanden?” Diesmal waren es seine drei Gefährten, die widerwillig auf die Aufforderung hin nickten. Athos konnte nur innerlich darauf hoffen, dass sie Wort halten würden. Ohne weitere Beratungen wussten alle drei, was sie zu tun hatten. Sie teilten sich auf, wobei es bereits außer Frage stand, wer sich wem anschließen würde. Bereits seit Wochen war dies unausgesprochen zwischen den Freunden derartig gehandhabt worden. Athos und Aramis schlichen die schmale Gasse zurück und folgten der äußeren Häuserzeile, in der Hoffnung die Verdächtigen nicht zu verlieren, wenn sie nun außer Sichtweite waren. Porthos und D’Artagnan hingegen gingen den Gestalten unmittelbar auf der Straße nach, darauf achtend sich im Schatten zu halten und gebührenden Abstand zu ihnen zu haben. Aus dem Augenwinkel hatte Aramis sehen können, wie einige Ratten in Schlupfwinkel flüchteten, als sie mit Athos vorüber ging. Die Hinterhöfe waren herunter gekommen und erzeugten einen ekelhaften Geruch, den man nur aufgrund jahrelanger Nichtbeachtung ertragen konnte. Es schmerzte stets zu sehen, dass in solchen Gegenden Familien mit Kindern wohnten. Doch auf diese Gedanken durfte sich Aramis nun nicht einlassen. Sie musste ihre Konzentration auf das Ziel vor sich richten, darauf vorbereitet jederzeit angegriffen zu werden. Etwas streifte sie. Es war seine Hand gewesen. Ihre Haut schien diese Berührung regelrecht aufzusaugen. Es verunsicherte sie. Wie hatte sie sich in den letzten Wochen nur derart von ihren Emotionen vereinnahmen lassen können? Sie kam sich unglaublich naiv und verletzbar vor, als ob sie all ihre kämpferische Härte verloren hätte. Er erkannte ihre innere Auseinandersetzung mit sich selbst nicht und deutete nur mit der Hand hinter sich, in eine weitere dunkel verwinkelte Straße hinein. Aramis folgte ihm und sah schon bald ein wenig Licht aufkommen, vom Schein der Straßenlaternen und der beleuchteten Familienhäuser. Gemeinsam wandten sie ihren Blick um die Häuserwand. Was sie sahen, ließ ihre Kinnladen nach unten fallen. “Na, das ging ja diesmal schnell”, bemerkte Aramis tonlos über das sich vor ihnen eröffnende Szenario. Eingekreist von den dunklen Gestalten, hatten D’Artagnan und Porthos ihre Degen gezogen und waren bereits mitten im Kampfgetümmel gelandet. “Sind die beiden verrückt geworden?!”, rief Athos erzürnt und machte sich auf, um die beiden zu unterstützen, die scheinbar die Situation nicht beherrschen konnten. Aramis folgte ihm umgehend und stürzte sich auf eine der dunklen Gestalten, die gerade den jüngsten Musketier von hinten einen Dolch in den Rücken rammen wollte. Soviel zu anderen möglichen Waffen… Rechtzeitig stieß sie den Angreifer zur Seite, sodass er kurzzeitig ins Taumeln verfiel. D’Artagnan sah Aramis hinter sich stehen und nickte ihr zu, um zu zeigen, dass er sich für ihre schnelle Hilfe bedankte. Aramis versuchte sich einen Überblick zu verschaffen. Sie befanden sich inmitten eines überschaubaren Platzes, der von Häusern umringt wurde, sodass es ein leichtes gewesen wäre, von höher gelegenen Fenstern hinunter zu schießen. Sie konnte nur hoffen, dass sich keine Verbündeten der Bande hinter den Fensterläden befanden. Porthos befand sich auf der anderen Seite des Platzes, ihr gegenüber und war damit beschäftigt einen Schmächtigen der Kerle unterm Arm eingeklemmt zu haben und sich zugleich mit einem anderen zu duellieren. Auch Athos hatte sich einen Gegner herausgesucht und trieb ihn mit gekonnter Degenführung zur Häuserwand. Ihr eigener Angreifer hatte sich nun wieder aufgerappelt und zog etwas aus dem Innern seines Mantels hervor. Für einen Moment war Aramis abgelenkt, da sie mit D’Artagnan zusammen stieß, der rücklings blind seinem Gegner ausgewichen war. Als sie aufblickte, hörte sie nur noch das schallende Geräusch, was ihr allzu gut durch einige unliebsame Bekanntschaften in Erinnerung geblieben war. Instinktiv hob sie den Arm und konnte den Peitschenschlag abwehren. Zu ihrem Glück bekam sie das Ende des Lederriemens zu fassen und zog unerwartet so fest daran, dass der Angreifer ihr entgegen stolperte und sie ihm die Peitsche entreißen konnte. Sie trat ihm den Dolch aus dem Handgelenk und danach in den Bauch, doch es schien, als ob dies das Gegenteilige in ihm bewirkte. Voller Zorn stieß er Aramis von sich und bekam seinen Dolch wieder zu fassen. Unüberlegt warf er sich auf Aramis, die ihre jahrelange Fechterfahrung dazu trieb, den Dolchstich zu parieren. Merkwürdigerweise war der Unbekannte sehr behände mit seiner Waffe, obwohl ihre Klinge das Doppelte an Länge maß. Sie konnte nicht sehen, dass die Pflastersteine hinter ihr uneben waren und sie sich dadurch mit ihren Stiefeln darin verkeilte. Sofort hatte der Angreifer ihr Taumeln bemerkt und ließ das reine Silber auf sie niederfahren. Dem ausweichend drehte sie sich gekonnt zur Seite und dennoch hörte sie, wie es ihre Uniformjacke zerriss. Ihre schmerzende Seite ignorierend, holte sie mit der Faust aus und traf den Fremden mitten im Gesicht. Sich nach dem Schlag nicht mehr auf den Beinen haltend, fiel er der Länge nach zu Boden, wobei sich Aramis der Blick über den Platz wieder eröffnete, welcher plötzlich von weiteren dunklen Gestalten aufgesucht worden war. Schnell hatten sie sich über dem gesamten Platz verteilt und versuchten ihre Gegner einzukreisen. Sie hörte einen Schuss und wurde im gleichen Moment umgerissen und zurück in die Häusergasse gestoßen. Hart prallte sie mit dem Rücken gegen die steinerne Wand und vergewisserte sich, dass sie ihren Degen noch in Händen hielt. “Bist du in Ordnung?”, fragte Athos atemlos nach, der sie soeben vor einem tödlichen Schuss gerettet hatte. Unfähig zu realisieren, ob sie tatsächlich schwer verletzt war, nickte sie nur, und wusste, sie würde es erfahren, wenn ihre Beine sie nicht mehr würden tragen können. Athos war sich nicht sicher, ob D’Artagnan und Porthos die weiteren Ankömmlinge bemerkt hatten. Ihre Überzahl machte sie nun noch gefährlicher als die Übrigen ohnehin aufgrund ihrer guten Fechtkenntnisse bereits gewesen waren. Athos pfiff laut und sah, dass D’Artagnan und Porthos sich ihren Angreifern bereits entledigt hatten. Beide flüchteten ebenfalls in eine parallel gelegene Häusergasse. Athos griff nach Aramis’ Arm und zog sie mit sich. “Musketiere fliehen nicht!”, protestierte sie. “Musketiere sterben auch nicht sinnlos!”, sein Griff um ihren Arm verstärkte sich. Am Ende der Häuserzeile angekommen, tauchten D’Artagnan und Porthos ebenfalls gehetzt auf, Blut klebte an ihren Uniformen und einige Kratzer waren im fahlen Mondlicht in ihren Gesichtern zu erkennen. “Wir teilen uns auf und verschwinden!”, rief Athos während sie die Straße hinunter jagten. Porthos und Aramis schien dieser Befehl nicht zu gefallen, was ihre zornigen Mimiken allzu sehr verdeutlichten. “Sucht euch für heute Nacht ein Versteck, um sicher zu gehen, dass sie unsere Wohnorte nicht aufspüren, wenn sie uns heute Nacht verfolgen sollten…”, Athos konnte nicht ahnen, wie richtig er mit seiner Vermutung lag, da hinter ihnen plötzlich eine Handvoll Männer wieder auftauchte “Wir treffen uns morgen früh an der Mühle wieder!”, kaum waren die Worte ausgesprochen, trennten sich ihre Wege und Athos zerrte Aramis eine Seitenstraße entlang. Bei jedem Schritt schmerzte ihre Seite und sie presste ihre Hand darauf, um den Blutfluss zu stoppen. Die Gegend um sie herum wurde dunkler und noch dazu legte sich ein Schleier über ihre Augen, den sie mit aller Macht zu vertreiben versuchte. Sie konnte nicht einordnen, ob sie noch immer verfolgt wurden, da sie nur ihre eigenen widerhallenden Schritte vernahm. Unerwartet kam Athos vor einem großen unscheinbar wirkenden Haus zum Stehen und stemmte sich gegen das morsche Holztor, das den umgrenzenden hohen Lattenzaun um das Haus verband. Irritiert und geschwächt ließ sie sich willenlos von ihm in den Vorgarten des Hauses ziehen, als er selbst müde gegen die Rückwand des Zaunes fiel und sie dabei an seiner Seite zum Ruhen kam. Während er den umliegenden Geräuschen lauschte, in der Hoffnung die Verfolger würden das Haus nicht beachten, war sie in eine Traumwelt getrieben worden, die sich mit jungen Erinnerungen auseinandersetzte. ~Die Feuchte des langen dunklen Ganges war auf ihrer Haut zu spüren, als sie dem Gefängniswächter folgte. Fäkalien, Schimmel und der Geruch nach Tod ließen sie nach Atem ringen. Nahe der Treppe, die zu den unteren Zellen führte, konnte sie angsterfüllte Schreie aus weiter Ferne vernehmen. Schon zu oft war sie Besucher dieses Gefängnisses gewesen. Manche Schreie verfolgten sie bis in ihre Alpträume. Wie hatte sie es nur soweit kommen lassen können, ihn inhaftieren zu lassen? Es wäre ihm ein leichtes gewesen, vor ihr und den übrigen Musketieren zu fliehen, stattdessen hatte er ihre Kapitänsstellung nicht kompromittieren wollen, da er ahnte, dass sie mit ihrem Handeln eine bestimmte Absicht verfolgt hatte. Sein Vertrauen war auch nach ihrem Verrat ungebrochen gewesen. Wie konnte sie ihm nach ihrer Tat, sich als Marionette der Feinde benutzen zu lassen, noch in die Augen sehen? Sie selbst müsste in dieser Zelle sitzen, zusammen mit Ratten, alten Knochen und der Angst der sich unter ihr öffnenden Hölle. Sie hatten seine Zelle erreicht. Der Wächter schloss auf und wollte eintreten. Aramis hielt ihn zurück “Ihr wollt sicher nicht an unlauteren Vernehmungsmethoden teilhaben…”, sagte sie ihm tonlos, doch ihr Gesichtsausdruck gab zu verstehen, dass es sich um einen Befehl handelte. Wortlos öffnete der Fremde ihr die Tür. Mit einem Blick über die Schulter vergewisserte sich Aramis, dass der Wächter ihr nicht ins Innere gefolgt war und lauschte, ob er sich einige Schritte wieder entfernte, was er auch tat. Sie richtete ihren Blick ins Dunkel, da die Zelle nur spärlich vom Tageslicht beleuchtet wurde, obwohl sie sich in einer der oberen Etagen befand. Es gab nur eine Holzpritsche mit einer mottenzerfressenen Decke darauf. Ansonsten befand sich nichts im kargen Steingemäuer. Sie spürte seine Anwesenheit, obwohl er sich unbeweglich am anderen Ende der Zelle befand und nur schwer zu erkennen war. “Ich sehe kein Essen in deiner Hand, was also, willst du hier?”, kam es kühl von ihm, von was sie sich aber nicht abschrecken, sondern sie nur besorgt fragen ließ “Wie geht es dir, Athos?” Er trat aus dem Schatten auf sie zu “Bis auf die Tatsache dass ich übel rieche, das Essen hier unzumutbar ist und ich zuweilen das Gefühl habe, hier drin den Verstand zu verlieren, kann ich mich nicht beklagen…” Sie starrte ihn an. Etwas brach in ihr, Vorwürfe ihrer inneren Stimme drangen hervor und die Erkenntnisse der letzten Wochen holten sie schlagartig wieder ein. Was hatte sie alles verloren und gleichzeitig erreicht? Die letzte Distanz überwindend, ging sie nach vorn und umarmte ihn fest “Es tut mir so leid, was ich getan habe! Sofort würde ich-” “Keine Entschuldigungen”, unterbrach er sie, seine Arme erwidernd um sie legend und die Stimme nun sanfter als zuvor “Du sagtest mir, dass du etwas herausfinden musstest. Ist es dir gelungen?” Für einen Moment drückte sie sich noch fester an ihn, als ob er das Licht wäre, was sie der Dunkelheit entkommen ließ. Hatte sie soviel Verständnis von einem Menschen überhaupt verdient? “Manson ist es gewesen…”, ihre Stimme brach, als sie sich auf ihre Füße zurücksinken ließ, um ihn ansehen zu können. “Francois?”, fragte Athos prüfend nach, um die Zusammenhänge auch tatsächlich zu erkennen. Als einzelne Tränen sich aus ihren Augen lösten, nickte sie bestätigend. Trost spendend strich Athos über ihr Haar. Wie viele Opfer hatte Aramis erbringen müssen, um zu diesem Punkt zu gelangen, fragte er sich. Einige davon hatte er selbst erlebt, bei anderen hatte er ihr nicht zur Seite stehen können. Wie viel Kraft musste es sie gekostet haben, ihr Schauspiel vor D’Artagnan, Porthos und den Feinden aufrecht zu erhalten, den Märtyrer zu spielen und geächtet bei allen übrigen Musketieren zu sein, die ihrem Befehl nur Folge leisteten um nicht selbst auf der Liste der Abtrünnigen zu landen. Ihre Vergangenheit hatte sie eingeholt und nun gab es die Möglichkeit sie so zu beenden, wie sie es sich einst geschworen hatte. “Du hast das richtige getan, Aramis”, bestärkte er sie, schließlich hatte sie nun endlich den wahren Mörder ihres Verlobten gefunden. “Habe ich das?”, hinterfragte sie und ließ betrübt ihren Kopf gegen seine Schulter sinken “Porthos und D’Artagnan vertrauen mir nicht mehr und wegen mir ist Porthos alsbald der meist gesuchteste Verbrecher in ganz Paris…” “Als ob das Porthos stören würde”, murmelte Athos und ein Lächeln umspielte Aramis’ Mundwinkel. “Die beiden werden es verstehen, überlass das mir”, beruhigte er sie, worauf ein Schniefen von ihr zu vernehmen war. “Danke”, hauchte sie und dies galt nicht nur seiner Aufopferung ihr gegenüber, sondern auch dafür, dass er ihr noch immer vertraute und ihr noch immer den Rücken stärkte. Als sie nach Paris gekommen war, hatte sie niemals geglaubt solch tiefe Freundschaft erfahren zu dürfen. Athos war zu ihrem besten Freund und Vertrauten geworden, schon deshalb durfte sie ihn hier nicht zurücklassen “Ich kann dich hier herausbringen. Den Wachmann können wir leicht überwältigen”, meinte sie plötzlich, von ihrem Kämpferwillen aufgefordert. Athos legte seine Hände auf ihre Schultern, um ihr in die Augen sehen zu können “Lass gut sein. Wenn du einem Gefangenen beim Ausbruch verhilfst, wirst du ebenfalls von den übrigen Soldaten gesucht werden. Momentan ist deine Position als Kapitän der Musketiere hilfreicher, da du Manson und Milady dadurch im Auge behalten kannst. So kannst du Porthos und D’Artagnan Nachrichten zukommen lassen…” “Aber was ist mit dir?” “Ich werde meinen Aufenthalt hier noch ein wenig genießen”, schmunzelte er. Aramis war nicht zum Lachen zumute. Sie konnte sich keinesfalls mit dem Gedanken anfreunden Athos hier zurückzulassen. Mit letzter Überzeugungskraft sagte sie “Du weißt, dass ich Manson töten werde, wenn ich die Gelegenheit dazu habe?” Er nickte “Ja- und ich würde dich nicht aufhalten…” Er würde ihr Handeln verstehen, schließlich war dies der Grund gewesen, weshalb sie so viel Leid auf sich genommen hatte die letzten Jahre. Nur war er beunruhigt, dass ihr dabei etwas zustoßen könnte. Überraschend griff sie nach ihrem Dolch und reichte ihn ihm “Warum-?”, weiter kam er nicht, da sie seine Hand, die den Griff des Dolches umfasste, mit ihren Fingern verschloss “Du wirst ihn dringender benötigen als ich, wenn Mylady dir anderweitigen Besuch zukommen lassen sollte…”, sie seufzte und flüsterte dazu „Du kannst ihn mir zurück geben, wenn wir uns das nächste Mal wiedersehen…“ “Das werde ich”, versprach er. Ihr würde nichts passieren. Er betete dafür. Aramis wandte sich ab und ging zur Zellentür. Sie hatte vieles gut zu machen, gegenüber D’Artagnan, Porthos und ganz besonders gegenüber Athos.~ Zurück in der Gegenwart bemerkte sie, wie Athos ihren Arm um seinen Hals legte, um sie zu stützen. Zusammen gingen sie zum Hintereingang des Hauses. Allmählich erwachten ihre Geister wieder zum Leben. Argwöhnisch musterte sie die gepflegte Balustrade am Balkon über ihnen und den aus weißem Alabaster gefertigten Rundbogen über der Eingangstür. “Was ist das hier?” “Ein Zufluchtsort…” “Für wen?” “Protestanten, Heimatlose, Freidenker-”, er wandte sich ihr zu “Frauen, die sich als Mann verkleiden…” “Sehr witzig…” Athos klopfte in einem bestimmten Rhythmus gegen die Tür. “Und du glaubst, dass wir hier sicher sind?” “Ganz sicher”, kam es überzeugend von ihm, was Aramis innerlich etwas beruhigte. Ein spaltbreit wurde das schwere Ebenholz zur Seite geschoben und ein milchigweißes Gesicht mit dunklen Augen kam zum Vorschein. Aufmerksam wurden Athos und Aramis gemustert, bevor sich die Bewohnerin ganz zu erkennen gab und die beiden eintreten ließ “Athos, welch Überraschung”, sagte die junge Frau und verschloss die Tür wieder “Was führt dich zu solch später Stunde in unser Haus? Noch dazu in Begleitung?”, sie begutachtete Aramis eingehend und stellte alsbald die äußerliche Verletzung fest, die sie jedoch nicht zu schockieren schien. Athos rang mit einem Lächeln “Entschuldige, dass wir in euer Haus einfallen, aber uns blieb keine andere Möglichkeit, um unseren Verfolgern zu entkommen-” “So ganz scheint ihr ihnen dann doch nicht entkommen zu sein”, mit einer Handbewegung deutete sie auf Aramis’ Verletzung. “Ja, du hast recht”, nickte Athos bekümmert und fragte ohne Umschweife offen heraus “können wir für heute Nacht um Schutz in eurem Haus bitten? Ich wäre dir unendlich dankbar dafür, Claudine…” Kurz betrachtete Claudine die beiden Musketiere noch einmal eingehend und schien abzuwägen, ob sie den beiden helfen sollte oder nicht. Dann schob sie sich an den beiden unerwarteten Besuchern vorbei und öffnete eine Tür hinter ihnen, die ganz offensichtlich zur Küche führte “Wenn das deine einzige Bitte ist, sollte es kein Problem sein”, sie blickte über ihre Schulter auf die beiden zurück und im fahlen Licht konnte Aramis erkennen, dass sie ihnen kurz zuzwinkerte. Scheinbar war man in diesem Haus auf solch nächtliche Niederkünfte bereits eingerichtet, mutmaßte Aramis und bedankte sich im Stillen bei der ihr unbekannten Claudine. Claudine schritt auf die andere Seite der Küche vor ein hohes und breites Regal, in welchem Gewürze und allerlei Kochutensilien gelagert wurden und zog es mit einigem Kraftaufwand zu sich heran , sodass es etwa einen halben Meter schräg in den Raum hineinragte. Danach tastete sie die Wand in einer geraden Linie ab und bevor sich Aramis über ihr Verhalten wundern konnte, eröffnete sich ihr ein versteckter Hinterraum, der in vollkommenem Schwarz getaucht war. Für einen Moment verschwand Claudine darin, bis schließlich schwaches Kerzenlicht die Umrisse des Raumes wiedergab. Scheinbar hatte Aramis ihren überraschten Gesichtsausdruck nur schlecht verbergen können, da Athos meinte “Es grenzt an Zauberei, nicht wahr?” “Wohl kaum”, antwortete Aramis “eher ein gut behütetes Versteck, welches wir sicher nicht als erste aufsuchen…” “Das ist richtig”, bestätigte Athos, doch Aramis fragte nicht näher nach, dazu würde sie später noch genug Zeit haben. Jetzt hoffte sie nur, dass D’Artagnan und Porthos das gleiche Glück an einem anderen Ort von Paris zukommen würde. Alsbald erschien Claudine wieder in der Küche und deutete den beiden, dass sie das Zimmer betreten konnten. Athos schob Aramis um das Regal und ließ sie auf einen kleinen Tisch neben der Wandöffnung sinken. Er selbst ging zu Claudine zurück und nahm Verbandszeug, eine dunkle Flasche und Medizin von ihr entgegen, welches sie derweil vorsorglich herausgesucht hatte. Aramis beobachtete sie. Sie bemerkte die Vertrautheit der beiden und versuchte das unaufhaltsam aufkommende Gefühl zu unterdrücken, dass Athos und Claudine eine besondere Beziehung miteinander verband. Der sich gegenseitig gehauchte flüchtige Wangenkuss zum Abschied, als Claudine die Küche verließ, bestätigte das unwohlige Gefühl von Aramis, über welches sie hartnäckig weiterhin hinwegsah. Und in diesem Moment wurde ihr etwas bewusst. Wie genau kannte sie Athos tatsächlich? Sicherlich war er ihr Freund und Vertrauter, aber setzte dies nicht voraus, dass sie ebenso seine Gedanken an die Vergangenheit und seine Gefühle kannte? Er hatte erfahren wollen, was Schlimmes in ihrem Leben geschehen war, dass sie bereit war alles hinter sich zu lassen, ihre Familie zu verlassen und einsam nach Paris zu kommen. Stets hatte er stumm zugehört, sobald sie Trost suchte und ihr Leid mitteilen wollte. Doch hatte sie ihm jemals die gleiche Aufmerksamkeit zukommen lassen? Natürlich war Athos von jeher niemals redselig gewesen, aber zuzuhören und nachzufragen sind zwei wesensunterschiedliche Dinge und sie glaubte, keines dieser Dinge jemals bei ihm getan zu haben. Sie hatte ja noch nicht einmal gewusst, dass Athos andere Vertraute wie Claudine neben ihr und Porthos hatte - wenn nicht gar auch Geliebte? Sie war töricht gewesen zu glauben, dass Athos auf ewig bei ihr verweilen würde. Schon vor Monaten waren die Anzeichen da gewesen, dass er tiefere Gefühle für sie hegte, nur war sie egoistisch genug gewesen, diese zu übersehen. Ihre Chance war da gewesen - nur hatte sie sie nicht ergriffen. Die Einsicht traf sie hart und unvorbereitet. War es denn schon bei ihrer ersten Begegnung mit Athos so gewesen? An dem sich ihr Lebensweg geändert hätte, wenn sie es zugelassen hätte? Sie war verunsichert über ihre verstreuten Gedanken, welche sich an ihre Gefühle banden, weshalb sie zuerst nicht bemerkte, wie Athos wieder im Zimmer erschienen war und ihr die Medizin reichen wollte. Doch stattdessen ergriff Aramis die Flasche in seiner anderen Hand, die sich als hochprozentiger Alkohol herausstellte und nahm einen tiefen Zug daraus. Danach schnürte sie ihre Uniform auf und warf sie über den Stuhl neben sich. Wortlos beobachtete Athos ihre Bewegungen. Als ihr blutdurchtränktes weißes Leinenhemd zum Vorschein kam, wandelten sich Athos Gesichtszüge in besorgte Blicke um. “Ich glaube, es sieht schlimmer aus, als es tatsächlich ist…”, versuchte Aramis sich selbst zu beruhigen, als sie ihr Hemd von der Wunde hob “Es blutet schon gar nicht mehr…” Seitens Athos war darauf nur ein Nicken zu erkennen. Er machte sich daran einige frische Tücher mit dem Alkohol zu tränken und damit ihre Wunde abzutupfen. Einige Male waren schmerzerfüllte Geräusche Aramis entwichen, als der Alkohol die frische Wunde berührte, doch als diese Tortur überstanden war und Athos die von Claudine ausgehändigte Salbe auf der Haut Aramis’ einrieb, entspannte sie sich allmählich. Obwohl seine Hände vom jahrelangen Fechten rau und grob waren, bemühte er sich ihre Haut so seicht wie möglich zu berühren. So ganz konnte sie nicht sagen, ob er ihr einfach nur nicht weh tun wollte oder ob die körperliche Nähe zu ihr ihn nervös machte. Es faszinierte Aramis wie sehr sie Athos zuweilen durcheinander bringen konnte. Doch verwirrte es sie zugleich, wie angenehm sie seine Berührungen empfand. Gerade als sie sich in dem Gefühl seiner Nähe verlieren wollte, entdeckte sie auch bei ihm Blut. Zunächst verunsichert, ob es von ihr stammen konnte, entschloss sie sich mit Athos die Plätze zu wechseln, damit sie die Wunde besser in Augenschein nehmen konnte. Als wäre es eine Selbstverständlichkeit, entledigte sie ihn seiner Uniform und legte seinen Degen zur Seite. Athos schien selbst nicht bemerkt zu haben, dass er sich während des Duells mit einem der Angreifer verletzt hatte, um so erstaunter blickte er auf seinen rechten Oberarm, als er sein Leinenhemd über die Schulter zog, wo noch einiges Blut auf seiner Haut klebte und eine Risswunde zu erkennen war. Sofort behandelte Aramis ihn ebenso fürsorglich wie er es zuvor für sie getan hatte. Sie spürte wie seine Blicke dabei auf ihr lagen und er mehr ihre Gesichtszüge studierte, als ihre Handlungen beobachtete. Um sich selbst die Aufregung über die Wärme und Nähe seines Körpers zu nehmen und ihrer damit einhergehenden inneren Unruhe, fragte Aramis leise “Woher kennst du diesen Ort hier? Du hast mir noch nie davon erzählt…” “Ich durfte niemandem davon erzählen. Die Bewohner des Hauses sind sehr darauf bedacht Vorsicht in jedweder Lebensmöglichkeit walten zu lassen. Es hatte mich gewundert, dass sie uns eingelassen hatten, obwohl sie dich nicht kennen. Aber umso dankbarer bin ich ihnen für unsere Aufnahme…” “Du sprichst in Rätseln, Athos”, lächelte Aramis “Und wieder hast du eine meiner Fragen derartig beantwortet, dass es keine wirkliche Antwort ist…” Athos überlegte kurz “Ja, du hast recht”, wunderte er sich über sich selbst und musste schmunzeln “Als ich vor vielen Jahren nach Paris gekommen war, bin ich mittellos gewesen, ohne Sinn im Leben, ohne Hoffnung. Da begegnete ich inmitten der Straßen Claudine und ich erkannte sie als die Tochter eines Nachbarn meiner Eltern wieder, obwohl ich sie seit Kindheitstagen nicht mehr angetroffen hatte. Sie brachte mich hierher und gewährte mir Unterkunft. Bald wurde mir klar, dass dieses Haus für geheime Treffen von Protestanten und Rebellen des Königshauses genutzt wurde. Doch für die Gastfreundschaft Claudines, versprach ich ihr niemandem von dem Haus zu berichten …-” “-… worin du bis heute Wort gehalten hast”, vollendete Aramis seinen Satz und trat noch etwas näher an ihn heran “Daher also die verbotenen Schriften bei dir zu Haus”, schlussfolgerte sie und Athos musste lachen “Gut, dass du mich daran erinnerst, ich sollte diese Bücher nicht so frei in meinem Hause liegen lassen…” Für einen Augenblick sah sie von seinem Oberarm auf und verlor sich in dem dunklen Grau seiner Augen “Danke für deine Hilfe vorhin. Wenn du nicht gewesen wärst, würde ich vermutlich jetzt nicht hier vor dir stehen…” “Ich habe damals geschworen auf dich Acht zu geben”, erwiderte Athos sanft, was Aramis leidvoll aufseufzen ließ. Es wäre alles so einfach gewesen und gleichzeitig war es dennoch so kompliziert. Wie konnte er nur solch liebevolle Worte an sie richten, wohl wissend, dass sie ihn und seine offenen Arme abgewiesen hatte? “Du machst es nicht einfach für mich…”, flüsterte sie, während sie stur weiterhin auf seine Wunde starrte. Sie konnte die fragenden Blicke von ihm förmlich auf ihrer Haut spüren. Sie dachte, dass sie ihn zu gut und zu lang kannte, um seine nächsten Handlungen vorhersehen zu können, doch zu ihrer Überraschung meinte er “Es ist auch für mich nicht einfach. Aber ich habe mich für einen Platz in meinem Leben entschieden und werde alles daran setzen ihn so lange wie möglich beizubehalten…” “Das darfst du nicht, Athos”, meinte Aramis daraufhin energisch “Auf dich wartet ein erfülltes und glückliches Leben. Du kannst den anderen Weg noch wählen, bevor es zu spät ist…” “Das möchte ich aber nicht…” “Aber was willst du dann noch von diesem Leben?”, rief Aramis verzweifelt. Es war unfassbar gewesen, wie schnell sie sich in solch eine emotionale Situation hatte manövrieren können und das Tor zum Schicksal geöffnet hatte- “Ich will dich, Aramis!” Er hatte nach ihren Händen gegriffen und sie fest umschlossen. Sie konnte sich nicht mehr dagegen wehren ihm in die Augen zu schauen und es würden sie Blicke voller Sanftmut, Entschlossenheit und tiefer Liebe erwarten “Und ich will Lunette. Ein und dieselbe Person und dennoch so unterschiedlich wie Feuer und Wasser. Ich will dein Lächeln, dein Leid, deinen Mut, deine Sturheit, deine Freundschaft, deinen Zorn, deinen Lebenswillen… Dafür lohnt es sich zu kämpfen und dafür habe ich mich entschieden.” So unmerklich wie sich die Tränen in ihre Augen geschlichen hatten, so unmerklich war ihr geteiltes Herz zusammen gesetzt worden und wurde zu einer Erkenntnis geführt, die schon lange vor ihr gelegen hatte. Und sie musste sich an die Abende mit ihm erinnern, bei welchen sie diskutierten und philosophierten und sich des Öfteren den Wein geteilt hatten, an die Tage wo er mit seinen Worten die schwärzesten Wolken vertrieben hatte und mit seinem Lachen ihr ein Lächeln gezaubert hatte und an die Stunden in denen er vor ihr gestolpert war und sie den Rest des Tages damit verbracht hatte, sich immer wieder darüber lustig zu machen, an die unzähligen Duelle die sie einander geliefert hatten, nur um später völlig erschöpft zu Boden zu sinken und noch immer dem anderen nicht nachgeben zu wollen, an die kalten Winterabende in denen er durchgefroren vor ihrer Türe verweilt hatte, nur um ihr seine neuesten Thesen zu einem besseren Frankreich erzählen zu können …- -… und die Tränen drangen hervor und suchten den Weg zum Licht und wurden von seiner Hand aufgefangen, so wie sie selbst unzählige Male in den letzten Jahren von ihm aufgefangen worden war. Und sie überwand ihre innere Zerstreutheit, ihre Unsicherheit, den letzten Weg den sie zu beschreiten hatte und lehnte sich zu ihm. Und es war, als würde all das Leid, die Qual, die Traurigkeit der letzten Jahre einen Sinn ergeben, der sie zu eben diesem Moment führen sollte. Zu dem Moment als sie seine Lippen berührte und mit ihm in einen tiefen Kuss verfiel und sie erkannte, dass aus ihrem besten Freund und Vertrauten Athos der Mann geworden war, den sie begehrte, dem sie schon seit ihrem ersten Treffen vor vielen Jahren verfallen gewesen war. *** Der nächste Morgen brach kalt und ehrfürchtig herein und war für Aramis dennoch von einer Leichtigkeit getragen, die scheinbar nur sie selbst empfinden konnte. Die Nacht hatte ihr nur wenig Schlaf gebracht, doch sie fühlte sich lebendiger als je zuvor. Athos sah wie immer besorgt und unglaublich nachdenklich aus, doch Aramis Blick für ihn hatte sich erweitert und sie erkannte vollkommene innere Zufriedenheit hinter seinen strengen Augen. Auf Grund ihrer überschäumenden Gedanken zu den Geständnissen der letzten Nacht, war der Weg zur Mühle außerhalb von Paris in Windeseile zurück gelegt. Als die Sonne vollständig den Horizont überwunden hatte, hatten sie die Mühle erreicht, an dem damals all ihre Abenteuer mit D’Artagnan begonnen hatten. Sie stiegen die Treppe im Innern empor und trafen auf ihre Freunde, die wesentlich unausgeschlafener drein blickten, als sie. Zudem wurde nun bei Tageslicht das komplette Ausmaß des gestrigen Überfalls offensichtlich. D’Artagnan hatte ein faustgroßes blaues Auge davon getragen und sein Hut lag zerrissen vor ihm auf dem Boden. Porthos hatte zumindest keine größeren Blessuren im Gesicht, hingegen schien einer der Angreifer sein Bein verletzt zu haben, da er seine Hose nahe der Wunde zerschnitten und behelfsmäßig mit Teilen seiner zerfetzten Uniform verbunden hatte. “Ist alles in Ordnung mit euch?”, fragte Aramis beinahe zurückhaltend, nicht sicher, ob noch immer Zorn in beiden wegen des gestrigen Überfalls brodelte. “Wonach sieht das für dich bitte aus?”, kam Porthos’ patzige Antwort, was die Vermutung von ihr sogleich bestätigte “Darf man fragen, wo ihr gewesen seid?! Es scheint nämlich, dass ihr nicht in der nächtlichen Kälte im Freien habt übernachten müssen, so wie wir beide!” Aramis war dabei weiter nach vorn zu gehen, um Porthos eine ebenso wütende Antwort zurück zu schleudern, als Athos seinen Arm hob und sie damit um Einhalt bat “Zu allererst beruhigen wir uns alle und danach möchte ich zunächst von euch beiden erfahren, wie es dazu kommen konnte, dass ihr gestern ohne unser Zutun euch auf die Räuber gestürzt hattet. Hatte ich nicht ausdrücklich gesagt, ihr solltet nicht voreilig handeln?” “Sie hatten uns bemerkt, Athos!”, meldete sich der Jüngste nun zu Wort “Vermutlich hatten sie schon längst geahnt, dass sie von uns verfolgt wurden. Als wir uns trennten und ihr beide außer Sichtweite gewesen seid, waren wir auch schon angegriffen worden…” Diese Erkenntnis ließ alle zunächst verstummen. Scheinbar hatten sie es mit einem äußerst gerissenen und übervorsichtigen Gegner zu tun. D’Artagnan seufzte tief “Es wäre ein Wunder, wenn die nicht bemerkt hätten, dass wir Musketiere sind. Sie werden uns verfolgen und sie werden herausfinden, dass ich bei Constance wohne und dann -” “Moment, D’Artagnan, ganz ruhig”, unterbrach ihn Aramis sanft, um schlimmere Gedanken von ihm fern zu halten “Wir wissen überhaupt nicht, ob die sich noch weiter für uns interessieren nach gestern Nacht. Vielleicht glauben die, wenn sie uns einmal erfolgreich in die Flucht geschlagen haben, werden wir jedwede Unternehmungen unterlassen…” “Außerdem können wir nicht mit Bestimmtheit sagen, ob die erkannt haben, dass wir schon längere Zeit nach ihnen gesucht haben…”, ermutigte Athos ebenfalls die Runde, was jedoch mit einem Schnauben seitens Porthos zunichte gemacht wurde “Das glaubst du doch selbst nicht, Athos! Die wussten ganz genau wie sie uns angreifen mussten. Wir hatten in der Falle gesessen und waren nur um Haaresbreite entkommen. Und gerade weil wir flüchten konnten, werden sie uns von nun an suchen und uns ein weiteres Mal in die Enge treiben…” Die Erkenntnis der Bedrohung lag schwer in der Luft und rief bei allen Verbitterung hervor. Selten hatten sie sich in einer solch hilflosen Lage gesehen, ohne viele Möglichkeiten der Gegenwehr. Für einen Moment schloss Athos seine Augen, um ihre derzeitige Situation überschauen zu können, doch drangen ungewollt einige Bilder der letzten Nacht dabei in seine Gedanken, die er nicht zurückhalten konnte. “Wir werden in die Stadt zurückkehren und uns mit Tréville beratschlagen. Wenn es sein muss, werden sich alle Musketiere in ganz Paris auf die Suche der Übeltäter begeben. Wenn die eine solche Übermacht gegen sich wissen, werden sie nicht mehr viele Rückzugspunkte in der Stadt haben…”, und damit war für Athos alles gesagt. Alles Weitere würden die nächsten Tage ergeben, er wandte sich ab und ging die Treppe hinab, um nach draußen zu gelangen. Als er auf der Wiese vor der Mühle zum Stehen kam, war er sogleich von Aramis eingeholt worden “Selbst wenn alle verfügbaren Musketiere durch Paris ziehen werden um diese Bande ausfindig zu machen, so wissen wir immer noch nicht wo wir mit der Suche beginnen sollen…”, äußerte sie ihre Bedenken und blickte dabei etwas besorgt drein. Sie hätte gelogen, wenn sie nicht von nun an befürchtete von einem der Angreifer aufgelauert zu werden, sobald sie sich außer Reichweite ihrer Freunde befand. Athos nickte “Ja, du hast recht, aber ich werde Claudine darum bitten, sich umzuhören. Wenn jemand Kontakte zu einer Untergrundbewegung hält, dann einer ihrer rebellischen Besucher. Sicher wird es jemanden geben, der von dieser Bande bereits gehört hat…” “Warum hast du das den beiden nicht gesagt?” “Weil so wenige wie möglich von Claudine und der heimlichen Treffen in ihrem Haus erfahren sollen…” “Glaubst du nicht, dass Claudine ein Mitglied der Bande sein könnte?”, fragte Aramis mit gerunzelter Stirn, da die Ausmaße der Machenschaften Claudines allmählich überhandnahmen. Athos schüttelte den Kopf “Dann hätte sie uns heute Nacht an sie verraten und uns ausgeliefert…” “Ich weiß nicht so recht, es könnte eine Falle sein…”, ihr Unmut darüber Claudine nicht weiter zu kennen und dass Athos sich womöglich von ihr umgarnen ließ, stieg weiter an “Sieh es mal so, wenn du Kontakt zu Claudine hältst, könnte sie uns immer einen Schritt voraus sein…” “Nun, dann werde ich wohl nur das nötigste sagen können”, meinte Athos kühl, wandte sich von ihr ab und fügte hinzu “Und das solltest du gegenüber D’Artagnan und Porthos auch tun, du hast mir letzte Nacht dein Wort darauf gegeben…” Verärgert über seine abweisende Haltung, die nur bei ihm aufgetreten war, weil sie ihre Zweifel gegenüber Claudine geäußert hatte, drehte sie sich ebenfalls um und ging wieder in die Mühle hinein, um ihre beiden Freunde zu holen. Wollte Athos nicht sehen, dass alle Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung mittlerweile potentielle Verräter sein konnten? Sie selbst wusste, wie gut man ein fremdes Leben anderen vorspiegeln konnte, nur um damit seine eigenen Ziele durchzusetzen. Ihr missfiel es, dass Athos derart großes Vertrauen in Claudine setzte. Sie hatte ein ungutes Gefühl dabei… Das ungute Gefühl sollte sich aber zunächst darin äußern, dass D’Artagnan unerwartet vor ihr aufgetaucht war “Was sollen Porthos und ich nicht erfahren eurer Meinung nach?”, fragte er gerade heraus, sodass offensichtlich wurde, dass er zumindest dem Ende des Gesprächs gelauscht hatte. Sein Gesichtsausdruck ließ erahnen, dass er über die Heimlichkeiten seitens Athos und Aramis ganz und gar nicht erfreut war. Aramis blickte betrübt zu Boden “Tut mir leid, D’Artagnan, ich kann es dir nicht sagen, ich habe Athos mein Wort gegeben…” Er trat einen Schritt auf sie zu und meinte “Was ist zwischen dir und Athos vorgefallen, dass ihr beiden uns ausgrenzt?” Über diese unerwartete Frage erschrocken, fehlte Aramis plötzlich der Atem, um sich zu verteidigen. Sie und Athos waren der Überzeugung, dass es besser war, die beiden noch nicht über ihre neue tiefgründigere Beziehung in Kenntnis zu setzen. Zunächst einmal mussten sie beide selbst lernen mit dieser neuen Situation umzugehen, die sich einerseits vollkommen richtig anfühlte und ihnen andererseits noch nicht vertraut und ungewöhnlich erschien. Als ob der jüngste geahnt hatte, was Aramis und Athos nun miteinander verband, hatte er diese Frage geradeheraus gestellt. War es für ihn denn so offensichtlich gewesen, was in naher Zukunft zwischen ihnen geschehen würde? “Wir grenzen euch nicht aus”, bestritt Aramis “aber in diesem Fall habe ich Athos mein Wort gegeben bestimmte Dinge für mich zu behalten, die aber nicht das geringste mit euch zu tun haben, glaub mir das!”, rechtfertigte sie sich eifrig in der Hoffnung dadurch das Vertrauen von D’Artagnan zurück zu gewinnen. “Ich kann vorerst damit leben…”, erwiderte er, fügte jedoch stirnrunzelnd hinzu “Ich denke aber, dass Porthos weniger erfreut sein wird, wenn er dahinter kommt, dass ihr ihm etwas verschweigt und ihm seid ihr um einiges mehr schuldig als mir, da ihr euch schon wesentlich länger kennt…”, und mit diesen Worten beschritt er den Weg, den Athos noch vor wenigen Sekunden gegangen war und machte sich bereit in die Stadt zurückzukehren, eine innerlich zerrüttete und völlig betrübte Aramis hinter sich lassend. *** To be continued… *** Anmerkung: Meine ursprüngliche Absicht zu diesem Kapitel war gewesen, eine in sich geschlossene Story zu erzählen, wie es bei den vorherigen Kapiteln zu dieser Fanfiction der Fall gewesen ist. Da die Story aber entgegen meiner damaligen Absicht immer mehr an Handlungsstränge hinzu gewinnt, habe ich mich dazu entschieden, dieses Kapitel *unvollendet* hochzuladen und die Fortsetzung in einem weiteren Kapitel zu schreiben. Ich hoffe, dass euch das aktuelle Kapitel gefällt und natürlich würde ich mich sehr über Kritik und sonstige Kommentare freuen! Gerne könnt ihr mir auch Denkanstöße zukommen lassen, wie ich meine FF verbessern könnte. Die Erinnerung Aramis' in diesem Kapitel ist zwischen der Festnahme von Athos durch Aramis (wobei Porthos fliehen konnte), aber noch vor ihrer Entdeckung, dass König Louis XIII einen Zwillingsbruder hat, anzusiedeln (in Anlehnung an die Anime-Serie). -Milagro- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)