Frühlingsduft von ChasingCars ================================================================================ Frühlingsduft ------------- Als ich auf dem Weg zurückblickte, begegnete mir all die Tristheit, die der Februar mit sich brachte. Und immer wenn ich meinen Schritten lauschte, wünschte ich mir, dass dieser Weg der letzte sei, den ich ging. Der Wind blies mir so scharf in mein Gesicht, als ob es tausend Messer streiften. Ich war völlig allein auf dem Weg. Ganz so wie es sein sollte. Mein Weg war schon festgelegt, in der nasse Erde war eine Spur gezogen worden, der ich folgen musste. Und Links und Rechts umgab mich das Meer. Es gab keine Chance zur Flucht. Und ich hatte mich damit abgefunden. Auf meinem Weg war nur Platz für einen Menschen, und der war ich. Niemand wollte und konnte mit mir kommen. Eine junge Frau mit Kinderwagen überholte mich. Sie lächelte mir freundlich zu, ich starrte weiter auf meine Füße. Was sollte ich mit den Menschen hier, wenn ich doch bald woanders sein würde? Was sollte ich weiterhin auf dieser Welt, wenn ich nur noch blieb, um mich zu verabschieden? Wie lange konnte so eine Verabschiedung dauern? Die Kälte, die langsam an mir hinaufkroch, spürte ich kaum. Ich war weit, weit weg. Irgendwo, wo ich für immer bleiben konnte. Es war schon spät, aber ich wollte nicht nach Hause gehen. Ich wollte nirgendwo hingehen. So weit wie möglich weg von der Realität verweilen. Was war schon Realität? Alles war ein Albtraum für mich geworden, und ich wusste nicht, wie lange ich ihn noch träumen würde. Meine Füße trugen mich immer näher der Straße, in der ich wohnte. Mein Kopf war weit zurück geblieben, noch immer auf dem Weg. Meine Hand öffnete mit dem Schlüssel die Tür und meine Füße brachten mich durch den Flur ins Wohnzimmer, wo meine Mutter einige T-Shirts bügelte. „Ah, da bist du ja! Sehr pünktlich, das freut mich! Wir können gleich essen.“ „Ok.“ „Ich muss nur noch eben zu Ende bügeln…“ „Kein Problem.“ Ich setzte mich an den Küchentisch und wartete. Warten konnte ich gut. Ich wartete seit einigen Jahren. „Ich gehe.“ „Wohin willst du denn jetzt noch?“ „Ich bin eingeladen.“ „Hast du gar nicht erzählt…“ „Tut mir Leid.“ „Naja, dann geh meinetwegen. Aber pass auf dich auf. Und komm nicht zu spät. Um zehn bist du wieder hier! Viel Spaß, Schatz!“ „Tschüss, Mama.“ Ich schlang die Arme um den Rücken meiner Mutter und drückte ihr einen kalten Kuss auf die Wange. „Wow, was ist denn mit dir los?“, lachte sie. Ich deutete ein kleines Lächeln an und verließ das Wohnzimmer. Der Wind empfing mich, als meine Schritte auf dem nassen Sand des Weges in der Dunkelheit wiederhallten. Die nassen Finger des Februars umschlungen mich, bedrohlich senkten sie sich auf mich herab und ließen nicht von mir ab, gingen den Weg mit mir, den ich zurücklegte. Das Schwarz der anbrechenden Nacht schützte mich vor neugierigen Augen, vor denen ich mich in der Einsamkeit, die sich um mich herum ausbreitete, kaum zu fürchten brauchte. Ich war angekommen. Nur noch die Absperrung, die ich mit Leichtigkeit überwandt. Jeder einzelne Muskel gehorchte mir besser denn je, ich fühlte mich so klar und besonnen. Es war wunderschön. Die dunkle Grube, die sich vor mir auftat, war tief, das wusste ich. Schon als kleines Kind hatte ich hier oft gestanden. Das war damals gewesen, als ich noch glücklich gewesen war. Zu glücklich, um mich daran zu erinnern. Was war bloß mit mir geschehen, dass ich Erinnerungen nicht mehr zulassen konnte? Eine ganze Menge. Und ich konnte es nicht länger aushalten. Mein Körper war müde vom langen Warten, aber noch mehr hatte meine Seele gelitten. Es war einfach, ihr Leiden zu beenden. Noch einen Schritt vorwärts, bloß keinen zurück. Der nächste würde der entscheidende Schritt sein. Doch was war schon entscheidend? Die wichtigste Entscheidung in meinem Leben war schon lange gefallen. Und ich hatte nicht mitentscheiden können. Ich konnte Schatten erkennen, tief unten. Es waren Steine. Groß, hart und mit scharfen Kanten. Mit einer gewissen Genugtuung betrachtete ich die Schatten, musterte sie und machte meinen Kopf frei von jedem Gedanken, der mich jetzt noch aufhalten konnte. Und dann war es so weit. „Auf nimmer Wiedersehen, Leben. Du hast mir schon genug Verzweiflung beschert.“ Ich spürte keine Angst. Auch keine Panik. Ich fiel. Ohne Emotionen. Es war so leicht. Endlich war ich erlöst. ... Was war das? Es war nichts Sichtbares, etwas Unsichtbares, eine Empfindung, die sich so schnell in mir ausbreitete, dass jede zeitliche Vorstellung ihre Bedeutung verlor. Und diese Empfindung war das beste, was ich je erlebt hatte. Wie eine Antwort auf die Frage nach dem Warum. Es war das erste Mal, dass ich sie spürte. Gleichzeitig war es wie ein alter Traum von etwas Wunderbarem, der sich plötzlich wiederholte. Zu schön, um wahr zu sein. Ein Funken Hoffnung. Sinn. Kraft. Mein Mund öffnete sich, ich wollte schreien, kreischen, solange bis jemand kommen und mich retten würde. Panik sammelte sich in mir an. Ich konnte nicht schreien. Verzweifelt riss ich den Arm in die Höhe, suchte nach einem letzten Halt, doch da war nichts. Nichts, das mich jetzt noch halten konnte. War ich verloren? Das konnte doch nicht sein! Da streifte meine Hand etwas Festes. Ich versuchte, mich daran zu klammern. Schaffte es nicht. Ich hatte keine Chance. Spürte nur noch, wie Blut über meine Hand rann, als sie das Feste streifte. Und ich fiel. Es war zu spät zum Leben. Ich hatte entschieden. Meine Entscheidung hatte mein Leben zerstört. ENDE Totes Mädchen in alter Baumaterial-Deponie gefunden Gestern wurde die Leiche eines 14-Jahre alten Mädchens in der alten Baumaterial-Deponie im Waldstück Ginsterwalde geborgen. Gefunden wurde sie von spielenden Kindern, die hinter die Absperrung geklettert waren. Wie ein Sprecher der örtlichen Polizei sagte, ist noch nicht sicher, ob es Selbstmord, ein Unfall oder Mord gewesen ist. Am Unterarm des Mädchen sind Abschürfungen festgestellt worden, die für diese Unsicherheit sorgen. Anscheinend litt die 14-jährige schon seit einigen Jahren an einer unerforschten und deshalb auch unheilbaren Krankheit, an der sie bald sterben sollte. Die Polizei könnte sich vorstellen, dass das Mädchen die Belastung ihrer Krankheit nicht mehr ausgehalten hat und deshalb von dem Steinvorsprung hinter einer Absperrung auf die Naturstein-Lagerstätte gesprungen ist. Die Ermittlungen laufen noch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)