A Seaside Meeting von Jerra (Sweeney Todd meets Abandoned) ================================================================================ A Seaside Meeting ----------------- „Nun probieren Sie schon, nur keine Scheu!“ Argwöhnisch beäugte Arkas das ihm angebotene befremdlich wirkende Gebäckstück. Genau wie bei seinem Gegenüber hatte er das Gefühl, dass es nicht das war, was es zu sein vorgab. „Vielen Dank, aber ich bin selbst ganz ausgezeichnet versorgt“, antwortete er mit einem freundlichen Lächeln und einem leichten Zwinkern, von dem er hoffte, dass es seine Wirkung erzielte – immerhin handelte es sich bei seinem Gegenüber ganz offensichtlich um eine Dame, auch wenn ihre Kleidung ein wenig exotisch anmutete. Wie um seine Worte zu bekräftigen, zog er eine Birne aus seiner Tasche, von der er nun froh war, sie dabei zu haben. „Oh... ich sehe schon, sie scheinen mir nicht zu trauen. Dabei kann ich selbst für die Güte dieser Pasteten garantieren – schließlich habe ich sie selbst gemacht!“, gab Mrs. Lovett mit einem leicht gekränkt wirkenden Augenaufschlag zurück. „Oh... wirklich?“, bemühte sich Arkas um ein positiv überraschtes Lächeln, „... na dann.“ Langsam nahm er das runde Etwas in die Hand. Ein wenig abseits von den beiden, die sich auf einem umgestürzten Baumstamm niedergelassen hatten, saß Mrs. Lovetts Begleiter auf einem Stein am Rand der Klippe und starrte finster auf das Meer hinaus, eines seiner Rasiermesser nachdenklich in der Hand hin- und herwendend. Varis, der Arkas bei seinen Versuchen – welcher Art auch immer sie angehörten – nicht stören wollte und möglichst gar nicht erst in die Schusslinie geraten wollte, sollte sich die junge Dame nach einem neuen Opfer für ihre Pasteten umsehen, wandte sich von den beiden ab und Sweeney zu. Dass er mit Arkas auf seinem Weg zwei solch merkwürdigen Spaziergängern begegnet war, mochte Zufall sein, aber an dem Mann, dessen Alter man schlecht einschätzen konnte – er schien vorzeitig gealtert – , hatte er sofort Interesse gefunden. Etwas in seiner Ausstrahlung glich einem Gefühl, das Varis gut kannte, nur schien es von einer wesentlich chaotischeren, gefährlicheren aber auch verletzbareren Natur zu sein. „Das ist ein gut gearbeitetes Stück“, sagte Varis mit einem kurzen Blick zur Seite, als er neben dem Mann mit den dunklen Schatten unter den Augen Platz nahm. „Danke. Ich schätze es auch sehr“, bekam er nach kurzem Schweigen zur Antwort. „Sie kennen sich aus mit Rasiermessern...?“ „Nun... vielleicht. Sagen wir: Ich bin nicht so spezialisiert. Besitze eher ein allgemeines Interesse.“ Ein leichtes, kaum merkliches Lächeln huschte wie ein geheimes Einverständnis über die Gesichter der beiden Männer. Nach einer weiteren Pause erhob der ältere der beiden die Stimme, und während er sprach bildeten seine Gesichtszüge einen Ausdruck von Wehmut und Entschlossenheit: „Ja... sie sind meine Freunde.“ Varis erschauderte unwillkürlich bei diesen Worten. Sei es, weil darin so deutlich das Wörtchen „einzig“ unhörbar mitschwang, oder sei es, weil er selbst immer eine kühle Objektivität gegenüber seinen Waffen zu wahren versucht hatte, so dass er sie lediglich als Werkzeuge ansah, oder aber, weil in den Augen des anderen Mannes so etwas wie Wahnsinn aufblitzte – in diesem Moment wurde ihm bewusst, was sie beide unterschied. Und er bekam Angst. Angst, was aus ihm selbst hätte werden können, wären seine Kräfte damals nicht in Bahnen gelenkt worden, die es ihm ermöglichten, sie zu kontrollieren. Angst, seine Objektivität zu verlieren und die Auswirkungen seiner täglichen Arbeit zu begreifen. Angst, ein Leben leben zu müssen, dessen einzigen Halt die gnadenlose Kälte einer frisch geschliffenen Klinge ausmachte. Und in einem Anflug von Dankbarkeit stand er auf, entschlossen seinem Begleiter aus der Pasteten-Patsche zu helfen und diesen todgeweihten Mann hinter sich zu lassen. „Arkas!“ Mit einem äußerst gequälten Gesichtsausdruck drehte sich der Angesprochene herum, in der Hand eine knochenharte Pastete, von der er eben abgebissen zu haben schien. „Grauenhaft, nicht wahr? Es tut mir leid, das macht einzig und allein das Fleisch, das man hier oben bekommt. Wissen Sie – normalerweise bin ich berühmt für meine Pasteten, aber so richtig gut scheint der Laden nur daheim zu laufen.“ Seufzend und mit entschuldigender Miene gesellte sich Mrs. Lovett zu den beiden. „Oh, nein, es schmeckt wirklich... interessant!“, zwang sich Arkas zu einer Grimasse und schwor sich innerlich niemals diesen Ort, wo man sich von derartigen Lebensmitteln ernährte, aufzusuchen, was für ein exotisches Land auch immer es war. „Wir müssen nun leider aufbrechen“, verkündete Varis mit ruhiger Stimme. „Oh, ja, natürlich. Dann will ich Sie nicht länger aufhalten!“, erwiderte die Pastetenbäckerin mit einem Lächeln, „Es war schön, Sie getroffen zu haben!“ „Gleichfalls...“ murmelte Varis, mit einem flüchtigen Blick zu Sweeney, während Mrs. Lovett dem sich sträubenden Arkas zwinkernd noch drei weitere „Pastetchen für die Reise“ zusteckte. „Merkwürdige Begegnung“, meinte Varis einige Zeit später zu Arkas, nachdem sie ihren Rastplatz hinter sich gelassen hatten und die Klippe mit den beiden Bekanntschaften nur noch in der Ferne zu erkennen war. „Hm?“, antwortete Arkas, der in kürzester Zeit mithilfe der Pasteten zum Schwarm aller Möwen aufgestiegen war. „Ein sehr nettes Paar, oder nicht?“ Arkas sah Varis lächelnd an. Und tatsächlich – vor dem blutroten Sonnenuntergang, der sich nun über dem Meer ergoss, wirkten die beiden mehr als zuvor wie jemand, den ein gemeinsames Schicksal einte. Etwas beruhigter von diesem Anblick drehte Varis sich um und setzte seinen Weg fort. Hosted by Animexx e.V. 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