Zum Inhalt der Seite

Hinotama

Teil VI der "Späte Erkenntnis"-Reihe
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Home?

Hi! Na, wer hätte gedacht, dass es in eine weitere Runde geht? *g*. Einen hab ich noch, dann ist hoffentlich wirklich Schluss mit "Später Erkenntnis".
 

Fireball drückte auf den roten Knopf seines Telefons uns verstaute das nervige kleine Ding wieder in seiner Hosentasche. Er saß an diesem Tag mit Laura in einem Cafè und genoss die freie Zeit, die er mit ihr verbringen konnte. Schelmisch grinsend erklärte er Laura, wer am Telefon gewesen war: „Soll dir schöne Grüße vom Oberheld ausrichten. Und ja, er hat eine Wohnung gefunden, die groß genug für Besuch ist.“

Dabei zwinkerte Fireball seiner Freundin zweideutig zu. Er hatte die Bande selbst schon wieder länger nicht gesehen, sie waren knapp zwei Wochen nach seiner Operation wieder aufgebrochen. Aber dieses Mal war Fireball der Abschied nicht so schwer gefallen. Sie waren nicht für immer gegangen, keiner von ihnen. Die Telefonate waren regelmäßig, beinahe jeden Tag meldete sich einer der Star Sheriffs bei Fireball. Er selbst war nach wie vor in Japan, wohnte aber nicht mehr im Haus seiner Mutter. Es hatte sich schneller verkauft, als Fireball nach seiner Operation wieder aus dem Bett gekommen war. Und da er Scott die Wohnungssuche vorläufig abgesagt hatte, hatte Laura ihn bei sich einquartiert. Allerdings lag er ihr noch nicht lange auf der Tasche, der Rennfahrer war erst vor wenigen Tagen aus dem Krankenhaus entlassen worden. Wieder mit dem Rat, es ruhig angehen zu lassen und nicht zu übertreiben.

Empört formte Laura ihre Hand zur Faust und boxte Fireball auf die Schulter: „Knallkopf!“

Seit Laura ihrem besten Freund von dem Kuss erzählt hatte, zog Fireball sie damit auf und machte blöde Scherze auf ihre Kosten. Er schien es richtig zu genießen, sie aufzuziehen. Doch die Japanerin war keineswegs auf den Mund gefallen, sie konnte sich verteidigen, verbal und mit ihren Händen. Laura zog die Nase in die Höhe und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust: „Den Kaffee kannst du dir selbst bezahlen.“

Fireball kicherte. Er konnte kaum fassen, dass der blonde Schotte ein derart wunder Punkt für Laura war. Der Rennfahrer beobachtete oft mit dem größten Vergnügen, wie Laura jedes Mal wieder rot wurde, wenn er von Saber sprach. Und dabei war es egal, ob er über Saber schimpfte, oder ihn in den höchsten Tönen lobte. Fireball hatte schnell herausgefunden, weshalb das so war und es hatte nur entfernt etwas mit dem Kuss zu tun. Behände rückte Fireball seine Krücken ein Stück zur Seite, damit er sie nicht unabsichtlich umwarf und streckte Laura anschließend die Hand auf dem Tisch entgegen. Er drehte die Handflächen nach oben und setzte seinen unschuldigsten Blick auf, den er aufbringen konnte, als er sich entschuldigte: „Ach, komm schon, meine kleine Mai. Ich lad dich ein. …Und du weißt doch, wie ich es meine. Ich find’s einfach nur unheimlich süß. Du stellst dich an wie ein Teenager.“

Das war auch nicht unbedingt das gewesen, was Laura beruhigt hätte. Sauertöpfisch legte sie die rechte Hand in seine, mit der anderen stützte sie ihren Kopf ab. Sie verzog sorgenvoll das Gesicht. Schließlich ließ sie den Kopf hängen und schnaubte: „Welcher Teenager verliebt sich schon in einen verheirateten Mann?“

„Laura…,“ Fireball sah ein, dass er mit seinem Späßchen zu weit gegangen war. Offenbar bekümmerte es seine Freundin doch, dass Saber nach wie vor einen Ring um den Finger trug, auch, wenn er inzwischen aus dem gemeinsamen Haus ausgezogen war und dauerhaft von Synthia getrennt wohnte. Der Gesichtsausdruck des Japaners wurde ernster, aber noch nicht ernsthaft genug. Mit einem leichten Lächeln versuchte er, Laura aufzuheitern: „Du hattest schon immer eine Vorliebe für seltsame Männer.“

Unweigerlich lachte Laura auf. Sie konnte Fireball eins reinwürgen, er hatte sich grade zu weit aus dem Fenster gelehnt. Amüsiert konterte sie: „Stimmt, ja. Aber ich hab mich gebessert! Im Vergleich zu dir, ist Saber nur halb so ein psychisches Wrack.“

Fireball zog seine Hand unter Lauras hervor: „Ja ja, reib nur Salz in die Wunde. Ich hab’s ja nicht anders verdient.“

Aber Fireball war nur halb so beleidigt, wie er tat. Er wusste schließlich selbst, dass zwischen Saber und ihm ein haushoher Unterschied bestand. Seine Augen fixierten Laura, während er von seinem Kaffee einen Schluck trank. Noch befand sich der junge Rennfahrer im Krankenstand, aber das würde sich in den nächsten Tagen wieder ändern.

„Wie lange wirst du noch hier bleiben?“, Laura hatte mit beiden Händen ihre Tasse umschlossen und starrte in das bräunliche Getränk. Seit dem Abflug der Star Sheriffs waren inzwischen zwei Monate vergangen, das Glück zwischen April und Fireball hatte ebenso lange angedauert, wie das seltsame Verhältnis, das sie zu Saber aufgebaut hatte. Nämlich bis zum Abflug von Ramrod. Seitdem war das Thema Beziehungen nicht mehr ernsthaft zur Sprache gekommen, Fireball hielt Laura lediglich auf dem neuesten Stand, was seine Freunde und insbesondere Saber betraf. Laura fand, dass es an der Zeit war, mit ihrem besten Freund darüber zu reden, was er nun weiter tun würde. Schließlich war er wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden und er hatte hier in Tokio keine Bleibe. Es ließ für Laura nur einen Schluss zu.

Fireball stellte seine Tasse verdutzt auf den Unterteller und blinzelte Laura an: „Wie bitte?“

Laura seufzte. Der Wuschelkopf ihr gegenüber tat gerade so, als wüsste er nicht, wovon sie sprach. Mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf murmelte sie: „Du gehst doch wieder nach Yuma zurück. Shinji-kun, du hast dir in Tokio keine Wohnung gesucht, hast das Haus deiner Mutter verkauft. Ich denke, du wirst in absehbarer Zeit zu April ziehen. Ich möchte doch nur wissen, wie lange du mir noch erhalten bleibst.“

Die Japanerin war ohne Zweifel traurig über diesen Umstand. Und immer noch hatte sie Angst, alleine zu bleiben. Die Erlebnisse mit Jesse Blue und ihrem Bruder hatten sich unlöschbar in Lauras Gedächtnis gebrannt und ließen sie nachts oft nicht schlafen. Und eines war ihr klar, die Angst war erträglicher, wenn Shinji zumindest in der selben Stadt wohnte. Würde er nach Yuma zurückkehren, wie sie vermutete, war er Millionen Kilometer weit weg. Dann hatte sie niemanden mehr, denn Laura wollte nicht dauernd in die Beziehung zwischen Sarah und Seiji funken.

Überrascht zog Fireball die Augenbrauen hoch. Nachdem er Lauras Worte verdaut hatte, rutschte er im Stuhl hinab und lehnte sich zurück. Ernst erklärte er seiner Gefährtin: „Ich weiß es noch nicht, Laura.“, Fireball sah ihr in die Augen und richtete den Blick anschließend betreten zu Boden. Er wusste es tatsächlich nicht. Schon seit dem Aufbruch der Star Sheriffs zermarterte sich Fireball den Kopf darüber, was er tun sollte. Und jeder Gedanke war unbrauchbarer als der letzte. Er wusste sehr wohl, dass er sich entscheiden musste, aber es fiel ihm so schwer. Auf der einen Seite appellierte seine gute Anstellung hier in Tokio zum Bleiben und auf der anderen Seite schrie sein Herz nach der Nähe zu April. Aber er konnte auch Laura hier nicht alleine zurücklassen, das wollte er nicht. Und irgendwie scheute er sich davor, nach Yuma zu ziehen. Es kam für ihn absolut nicht in Frage, bei April einzuziehen, wenn er nach Yuma ging, würde er sich eine eigene Wohnung dort nehmen. Er würde Commander Eagle doch nicht ins offene Messer laufen und ihm noch einen Grund geben, aus der Haut zu fahren!

Fireball verbrachte den restlichen Nachmittag damit, mit Laura jedes Für und Wider abzuwägen und schlussendlich stand für den Rennfahrer fest: „Komm mit mir nach Yuma, Laura. Du wärst nicht mehr alleine und ich hätte eine gute Freundin dort, die auf mich Acht gibt.“
 

Auf Yuma war schnell der alltägliche Trott wieder eingekehrt. Saber war zwischenzeitlich Dauergast bei Colt auf der Ranch, nachdem er eine Woche lang noch versucht hatte, mit Synthia unter einem Dach zu leben. Aber es ging nicht mehr. Weder halfen geregelte Arbeitszeiten was, noch die Tatsache, dass sich Saber bemühte. Er bemühte sich alleine schon, weil der Schotte seinen Sohn regelmäßig sehen wollte. Aber egal, was er auch unternahm, für Synthia war es endgültig aus und vorbei.

Colt hatte seinem Kameraden gerne ein Zimmer zugeschanzt und half dem Highlander so gut er nur konnte. Dadurch, dass auch Colt seit den letzten Angriffen der Outrider wieder im aktiven Dienst stand, ermöglichte es den beiden, oft den ganzen Tag zusammen zu verbringen. Abends saßen die beiden Männer manchmal noch bei einem Bierchen in der Küche, während Robin die kleine Jessica in ihr Bett brachte.

Robin war die Güte in Person, zumindest soweit es ihre Familie, Saber und April betraf. Sie räumte dem Schwertschwinger alle Rechte im Haushalt ein, er brauchte weder zu fragen noch um etwas zu bitten. Wenn er etwas haben wollte, sollte er es sich einfach nehmen oder auf den Einkaufszettel schreiben. Natürlich fragte Saber weiterhin höflich, wenn er etwas wollte, aber grundsätzlich durfte er tun, was er wollte.

Fieberhaft hatte der Schotte nach einer neuen Bleibe gesucht, er wollte Robin und Colt nicht unnötig belasten. Sie waren gute Freunde, aber trotzdem sollten sie auch ihre eigene Beziehung nicht vernachlässigen, nur weil seine grade in die Brüche gegangen war. Nach knapp zwei Monaten hatte Saber endlich eine passable Wohnung gefunden. Es war nichts Besonders, aber leistbar und gut aufgeteilt.
 

April sahen die beiden Männer auch so gut wie jeden Tag im Oberkommando. Sie hatte sich sofort nach ihrer Rückkehr wieder daran gemacht, dem neuen Ramrod seine Kinkerlitzchen auszutreiben. Bei dem ersten wirklichen Einsatz war der große Cowboy beinahe zu schwach für seinen Gegner gewesen. Die neuen Systeme hatten alle ihre Tücken und das würde April nun mit Hochdruck ausbessern. Die Reparaturen hatten die Jungs noch mit ihr abgestimmt und so ging es momentan lediglich um Software und Betriebssysteme. Da konnten weder Colt noch Saber wirklich helfen, aber ein Team Wissenschaftler wurde zwangsbeglückt.

Die junge Blondine saß in ihrem Büro über Plänen von Ramrod. Aber mit dem Kopf war sie ganz woanders. Seit sie aus Tokio abgeflogen war, fühlte sich April, als würde ihr ein entscheidender Teil fehlen. Obwohl sie mit Fireball mehrmals die Woche telefonierte, vermisste sie ihn. Er war so unendlich weit weg und auch, wenn er ihr auf dem kleinen Monitor entgegengrinste, so wusste April, dass es ihm manchmal nicht gut ging. Die Ingenieurin fragte sich, wie lange es zwischen ihr und Fireball wohl gut gehen würde. Bisher hatte ja kein einziger Versuch unter guten Sternen gestanden und auch dieses Mal schien es kein gutes Ende für ihre Beziehung zu nehmen. April konnte nicht weg aus Yuma und Fireball machte keine Anstalten, wieder auf den Planeten zurückzukehren.

April mied im Moment noch die Nähe ihres Vaters, sie war immer noch nicht darüber hinweg, was er ihr alles vorenthalten hatte. Aber jeden Tag verstand sie ihn ein klein wenig besser. Es musste schwer für ihren Vater gewesen sein, die Frau ziehen zu lassen, die er liebte und deren Kind er ohne zu zögern als seines akzeptiert hätte. Ein wehmütiges Lächeln formte sich auf Aprils Lippen, bei dem Gedanken daran, dass die Kinder, ohne es zu wissen, den Weg der Eltern eingeschlagen hatten.

Es klopfte leise an ihrer Tür. April bat den Besucher herein. Es war ihr Vater. Commander Eagle hatte es nicht mehr ausgehalten, keinen Kontakt zu seiner Tochter zu haben. Innerhalb kürzester Zeit schien ihr Vater um Jahre gealtert zu sein. April bot ihrem Vater einen Stuhl an. Sie schluckte, unsicher darüber, wie sie auf den Besuch ihres Vaters reagieren sollte. Ihr war durchaus klar, dass ihr Vater nicht ohne Grund am frühen Nachmittag bei ihr vorbeischaute. Aber sie glaubte auch nicht daran, dass es beruflicher Natur war, was ihn zu ihr führte. April biss sich kurz auf die Lippen und murmelte dann, ohne ihrem Vater in die Augen zu sehen: „Was kann ich für dich tun, Daddy?“

Commander Eagle streckte die Hand nach seiner Tochter aus. Wochenlang hatte er sich quälenden und beißenden Fragen stellen müssen. Sein Gewissen hatte ihn unbarmherzig auf Trab gehalten. Es war an der Zeit, offen mit seiner Tochter über alles zu reden, ganz offen. Charles atmete tief aus und mit trauriger Stimme bat er: „Bitte verzeih mir, April.“

April schüttelte den Kopf und verdrehte genervt die Augen. Verstand ihr Vater immer noch nichts? Die Blondine legte die Hände auf die Unterlagen und faltete sie: „Solltest du nicht jemand anderen um Verzeihung bitten?“

„Das hab ich schon.“, Charles senkte den Blick auf die Tischplatte. Seit ihn die Nachricht von Hiromis Tod ereilt hatte, glaubte der alte Commander, nie wieder lachen zu können. Ab diesem Zeitpunkt hatte sein Leben eine radikale Wende genommen, er hatte endlich erkannt, was er angerichtet hatte. Aber es schien zu spät zu sein, hoffnungslos zu spät. Der Sohn seines besten Freundes hatte ihn auf der Beerdigung angefahren und es schien, als würde diese Kluft, die zwischen ihm und Fireball, aber auch seiner Tochter und den anderen beiden, entstanden war, unüberwindbar bleiben. Aber Commander Eagle wollte nicht aufgeben. Er wollte nicht einsam und ohne den Beistand seiner Tochter sterben. Und je früher er sich mit ihr aussöhnte, desto ruhiger würden seine weiteren Lebenstage verlaufen. Er liebte April über alles, sie war sein einziges Kind. Sie war alles, was ihn noch an seine Frau erinnerte, was ihn nicht aufgeben ließ. Der Commander hatte April zu einem ehrenwerten Menschen erzogen, der Recht von Unrecht sehr wohl unterscheiden konnte, und deshalb war es ihm unendlich wichtig, sich mit April ausgesprochen zu haben. Wieder setzte er an: „Hat er alles gut überstanden?“

April fiel aus allen Wolken. Meinte er mit dieser Frage etwa Fireball? Die zierliche Frau holte tief Luft und versuchte, sich zu sammeln. Immer wieder geisterten ihr des Nachts Fragen im Kopf herum, spukten manche Ereignisse in ihren Gedanken. Noch immer war April nicht soweit, alles zu verstehen, dafür fehlte ihr einfach der Überblick. Und den hatte sie aus einem Grund nicht, sie war im Prinzip nur eine Dritte, jemand, der beobachtete, aber nicht direkt beteiligt war. Nur ihr Vater und der gehandicapte Rennfahrer wussten alles. April stieß mit dem Knie gegen die obere Kante der Tischplatte, als sie ihre überkreuzten Beine löste. Auf dem Tisch hüpften die Papiere und der Kuli kurz auf, während sich April mit einem verzerrten Gesicht die schmerzende Stelle rieb. Sie beugte sich leicht hinunter und blickte dabei ihren Vater an. Was sollte sie nur machen? Offensichtlich fühlte er sich schlecht, sonst wäre er nicht hier und würde sich entschuldigen. Dass er seine Entschuldigung ernst meinte, sah sie ihm an. April konnte auch sehen, dass er seine Frage nach dem Wohlergehen von Fireball ernst gemeint hatte. So ernst wie selten zuvor eine Frage nach Fireball. April zog einen leichten Schmollmund und antwortete: „Ja, lebt noch. Wieso fragst du?“

Commander Eagle konnte April diese Reaktion nicht übel nehmen. Sie war immer noch verschossen in Fireball, das hatte er dem Gespräch in seinem Büro damals mit links entnehmen können. Vorsichtig, aber ehrlich besorgt, gab Charles Gründe für seine Frage an: „Ich frage, weil ich mir Sorgen um Shinji mache. Seit der Beerdigung hab ich ihn nicht mehr gesehen und damals hat er ausgesehen, als würde er an dem Elend zugrunde gehen.“

Das war das Stichwort für April, um aufzubrausen. Sie schob den Bürostuhl vom Tisch weg, gerade so, dass sie die Tischkanten noch mit ausgestreckten Armen erreichen konnte und stand schließlich auf. April umrundete den Tisch in Windeseile und lehnte sich mit den Hüften an den Tisch, direkt neben ihrem Vater. Abschätzend verschränkte sie die Arme vor der Brust und sah ihren Vater prüfend an. Eigentlich hatte sie freundlicher mit ihm umgehen wollen, immerhin fühlte er sich auch ohne ihre Kommentare schon schlecht genug, aber sie konnte nicht anders. Jahrelang hatte das Verhalten ihres Vaters dazu beitragen, dass sie den Mann, den sie liebte, nicht in die Arme schließen durfte, ein bisschen Wut war wohl mehr als angebracht. April keifte: „An dem Elend bist du nicht unschuldig, Daddy!“

Aprils Vater nickte leicht. Seine Tochter hatte so unsagbar Recht mit diesen harschen Worten. Wären nur wenige Dinge in der Vergangenheit anders verlaufen, wäre diese Welt heute vielleicht eine bessere. Vor allem für April und Fireball. Charles schloss die Augen und sofort flammten Bilder einer besseren Zeit vor seinem inneren Auge auf. Der Commander ließ sich in den Sessel fallen und begann seiner Tochter zu erzählen: „Fireball war ein todunglückliches Kind. Jede Nacht hat er Hiromi und mich um den Schlaf gebracht, weil er ohne ersichtlichen Grund geweint hat. Hiromi konnte ihn überhaupt nicht beruhigen. Der kleine Schlingel hat damals ganz genau gespürt, dass sein Vater nicht wieder kommen wird. …Nacht für Nacht hab ich ihn auf dem Arm gehalten und versucht, ihn in den Schlaf zu wiegen, damit alle wenigstens ein paar Stunden Schlaf ergattern konnten…“

April senkte ihren Kopf zur Brust. Ihre ganze Körperspannung löste sich in Nichts auf. Ihr Vater saß in ihrem Büro und legte seine Beichte ab. Es war eindeutig, dass Aprils Vater alles in seiner Macht stehende versuchte, um es April zu erklären. Und augenscheinlich hatte er sie auf dem richtigen Fuß erwischt. Seit April sprechen konnte, hatte sie ihren Vater immer wieder nach ihrer Mutter gefragt, in der Grundschule hatte sie ihn immer gelöchert, weshalb sie keine Familie waren. Auch heute noch vermisste es April, nie einen richtigen Familienverband kennen gelernt zu haben. Klar, sie war von ihrem Vater geliebt worden, hatte alles von ihm bekommen, aber April war nie in den Genuss gekommen, zwei Elternteile zu haben. Etwas hatte ihr immer gefehlt. April hätte schon fast zu weinen angefangen, als sie gehört hatte, was ihr ihr Vater zu sagen hatte. Die junge Frau schniefte: „Klingt, als wären wir eine zeitlang eine Familie gewesen.“

„Ja, wir waren für ein paar Monate eine glückliche kleine Patchworkfamilie.“, Charles wischte sich verstohlen über die Augen. Die Erinnerung daran würde nie verblassen, das sollte sie auch nicht. So würde Commander Eagle Hiromi für immer in seinem Herzen weiterleben lassen. Aprils Vater strich sich über den Bart und murmelte verbittert: „Bis Hiromi ihre Sachen gepackt hat und einfach gegangen ist. Sie hat mir gesagt, sie würde es nur für ihren kleinen Jungen tun, es hätte nichts mit uns beiden zu tun. Aber ich konnte es ihr nicht glauben. Innerhalb eines Jahres war ich zweimal alleine mit dir zurückgelassen worden. Mit einem kleinen Mädchen, das eine Mutter tausend Mal mehr als mich gebraucht hätte. …Für mich hat es sich damals so angefühlt, als wären wir kein guter Umgang für Fireball gewesen, als hätte Hiromi nicht wollen, dass er mit dir zusammen aufwächst. Es hat mich unheimlich gekränkt und verletzt.“

April nickte nur stumm. Sie wollte den Redefluss ihres Vaters nicht unterbrechen, ansonsten würde er vielleicht nicht mehr alles preisgeben. Und egal wie sehr sie es auch abstreiten würde, April wollte es hören. Sie wollte wissen, was ihren Vater dazu getrieben hatte, Fireball zu einem roten Tuch zu erklären. Bisher verstand April nicht wirklich viel, denn alles, was sie bei dem Gespräch im Büro vor einigen Monaten erfahren hatte, stellte lediglich das Resultat vieler verscharrter und verkümmerter Gefühle und unglaublich vieler Zwischenfälle der letzten zwanzig Jahre dar.

Charles betrachtete seine Hände. Den rechten Ringfinger zierte noch immer der Ehering. Das Pendant zu seinem schlichten goldenen Ring war mit Aprils Mutter beerdigt worden. Aber all die Jahre hatte es der Kommandant nicht fertig gebracht, sich von dem Relikt einer viel zu kurzen Ehe zu trennen. Sein Blick glitt seine Finger entlang. Obwohl seine Hände gepflegt waren, zeichnete die Zeit viele tiefe Falten hinein. Mit unterdrücktem Schmerz fuhr Charles fort. Es gab noch so vieles, was er seiner Tochter erklären wollte: „Wäre es nach Hiromi gegangen, hätten wir nie wieder was von ihr und dem kleinen Shinji gehört, nachdem sie nach Tokio gezogen waren. Durch meinen guten Draht zu Haruto Yamato, einem ehemaligen Schulkollegen von Shinji senior, habe ich doch in regelmäßigen Abständen zu Ohren bekommen, wie es den beiden geht. …Die Jahre sind ins Land gezogen, aus dir ist eine junge Frau geworden und irgendwie hat es auch Fireball geschafft, zu wachsen. Haruto hat mir so oft erzählt, dass Fireball schwer zu bremsen war, egal worum es ging.“, Charles seufzte verbittert: „Dann ist Haruto auf offener Straße erschossen worden. Auf seiner Beerdigung hat Hiromi mit mir kein Wort gewechselt, sie wusste offenbar nichts davon, dass der gute Haruto über all die Jahre Kontakt zu mir hatte. Ich habe viele Leute auf Harutos Beerdigung getroffen, nur einen nicht. Den jungen Hikari.“

April atmete schon fast erleichtert auf. Sie war damals mit auf der Beerdigung von Haruto gewesen und nachdem ihr Saber so spärliche Details erzählt hatte, hatte sich April manchmal gefragt, wie sie Fireball auf der Beerdigung hatte übersehen können. Denn eines war klar. Der junge Japaner wäre April sofort aufgefallen, nicht nur wegen seiner störrischen Frisur, sondern vor allem wegen seiner Augen.

Commander Eagle hatte eine kurze Pause gemacht, in der er aufgestanden war. Er lehnte die Arme auf die Stuhllehne und ließ den Kopf hängen. Er schloss seine Augen und atmete schwer aus. Er durfte nicht zulassen, dass ihn die Wut und der Gram wieder übermannten. Die nächsten Worte würden April vielleicht am besten erklären, weshalb er so empfand: „Ein paar Monate später steht der Junge plötzlich bei mir im Büro. Das Gesicht und die Augen seines Vaters. Keine Frage, ich hab mich gefreut, ihn nach all den Jahren wieder zu sehen. Immerhin gab mir auch dieser Umstand die Hoffnung, Hiromi wieder öfter zu sprechen. Aber dann erhielt ich aus Tokio seine Akte. Erst aus den Berichten habe ich erfahren, dass er mit Haruto zusammengearbeitet hat und dass Fireball an dem Abend, als Haruto umgebracht wurde, mit ihm zusammen Dienst hatte.“, Charles stieß sich vom Stuhl ab und warf den Kopf in den Nacken. Wie sollte er seiner Tochter bloß erklären, welches Bild sich in seinem Gedächtnis von Fireball eingebrannt hatte? Im Nachhinein betrachtet war es vermessen von ihm gewesen, einem sechzehn Jahre alten Jungen die Schuld an allem zu geben, aber damals war er blind vor Wut, Schmerz und Trauer gewesen: „Fireball hat nur gelacht und die Welt als großen Abenteuerspielplatz gesehen, den Eindruck hatte ich nach seinen ersten Wochen im Oberkommando. Er war direkt am Tod von Haruto beteiligt. Der Mann war einer meiner langjährigen Freunde, hat Fireball den Weg ins Leben geebnet und dann geht er nicht auf seine Beerdigung und nimmt dessen Fehlen einfach hin. Fireball war es egal, einen wichtigen Menschen verloren zu haben. Der kleine Rotzlöffel kannte weder Trauer noch Mitgefühl.“

Die letzten paar Sätze hatten April richtig sauer aufgestoßen. Nicht nur deswegen, weil ihr Vater nach wie vor deswegen eine riesige Wut auf Fireball zu haben schien, sondern auch, und das war für April viel schlimmer, weil sie diese Gefühlsregungen auch nie gesehen hatte. Schwer atmend stieß sich April von ihrem Platz am Tisch ab und wanderte im Büro umher. Sie bedachte ihren Vater immer wieder mit Blicken, die alles hätten sagen können. Schließlich rang sie sich doch dazu durch, die Worte von Commander Eagle zu kommentieren: „Er kannte diese Gefühle sehr wohl, Daddy. Nur mit dem Zeigen tut er sich verdammt schwer. Und das hättest du wissen müssen! Immerhin kanntest du sowohl Hiromi als auch Fireballs Vater und er kann nicht so übertrieben aus der Art geschlagen sein, wie du ihm das immer so gerne weis gemacht hast.“

Anerkennend verzog Charles das Gesicht. Seine Tochter war schonungslos ehrlich, sie scheute sich nicht davor, ihrem Vater die unschönen Dinge ins Gesicht zu sagen. Und dennoch. Egal, wie Recht April damit hatte, sie schien ihn überhaupt nicht zu verstehen. Er konnte es nachvollziehen, weshalb das so war, aber schließlich war er hier, um es ihr zu erklären. Charles ließ die Arme seitlich am Körper hinabhängen und setzte noch einmal zu einem Erklärungsversuch an: „Nichts und niemand haben Shinji jemals Worte über sein Zuhause, seine Familie und seine Freunde entlockt. Ich hatte das Gefühl, weder Haruto noch seine eigene Mutter wären ihm wichtig gewesen. Die einzige Gefühlspalette, die ich von Shinji jemals gesehen habe, reicht von leicht angefressen bis zum Tobsuchtsanfall. Klar, da gibt’s auch noch gut gelaunt, aber von traurig, ruhig oder am Boden zerstört hab ich nie was erlebt. Und es war ganz egal, worum es gegangen ist. Und eben weil mir Shinji immer den Eindruck vermittelt hat, nichts läge ihm am Herzen, kein Verlust könnte ihn traurig machen, hat sich in mir die Spirale der Wut nach oben geschraubt. Es hat mich so unglaublich wütend gemacht, weil ich an der Traurigkeit manchmal beinahe zu Grunde gegangen wäre und egal, wie knapp ihr vier wieder an einem Unglück mit Ramrod vorbeigeschrammt seid, er hat das alles nicht so gesehen. Shinji hat’s nicht verstanden. Und ich ...ich konnte irgendwann nicht mehr unterscheiden, ob er tatsächlich einen Fehler gemacht hat, oder aber korrekt gehandelt hat.“

„Du hast nicht nur ihm damit das Leben zu Hölle gemacht, sondern auch mich darunter leiden lassen, Daddy.“, April setzte sich wieder auf ihren Stuhl. Unachtsam stapelte sie ihre Unterlagen auf einen Haufen zusammen und versuchte, Ordnung in ihr kleines Chaos zu bringen. Sie musste mit ihren Händen etwas machen, sonst hätte sie bloß damit angefangen, ihre Fingernägel abzubeißen. Die Blondine steckte in einer emotionalen Zwickmühle, denn obwohl sie ihren Vater durchaus verstehen konnte, so war sie tief enttäuscht von ihm. Verbittert schüttelte April den Kopf und knurrte ihren Vater an: „Du hast mir die Liebe meines Lebens weggenommen, Daddy! Als du ihn rausgeworfen hast, hast du nicht nur sein Leben ruiniert. Du hast ihn aus meinem Leben gerissen. Daddy, hast du eine Vorstellung davon, wie viele Tränen ich seither vergossen habe? ... Alle hätte ich mir sparen können, wenn du Fireball nicht so behandelt hättest, wenn du es uns überlassen hättest, wie sich unsere Beziehung entwickelt. Kannst du dir vorstellen, was seither alles zwischen mir und Fireball steht?“
 

Robin stand in der Küche, um ihre Hüften eine Schürze und ein Messer in der Hand. Colt hatte sich den Nachmittag frei genommen und war mit seiner Tochter in die Wildnis gegangen. Genau genommen, war er mit ihr in den Wald spazieren gegangen, aber für Jessica war das der größte Abenteuerspielplatz, den es gab. Die Lehrerin, Hausfrau und Mutter hatte vorhin das ganze Haus generalüberholt und nun befand sie, es war an der Zeit, ihrem Mann wieder mal was Gutes zu tun. Deshalb hatte sie sich in die Küche gestellt und zauberte ein herzhaftes Kuhhirtenabendessen. Sie war gut gelaunt an diesem späten Nachmittag und das, obwohl sie den ganzen Tag nichts als gearbeitet hatte. Aber sie war glücklich, dass ihr Leben endlich wieder verlief, wie das einer jeden anderen Hausfrau auch. Beschwingt schnitt sie die Zwiebel in kleine Würfel und bewegte sich zur Musik, die in ordentlicher Lautstärke ihre Arbeit schon den ganzen Nachmittag begleitete. Robin war froh, außerhalb der Stadt zu wohnen, niemand konnte an ihre Tür klopfen und sie zwingen, die Musik leiser zu machen oder ihr sonstige Verhaltensregeln erörtern.

Die letzte Zeit war es wieder ruhig um die Outrider geworden, was Robin dem Verdienst ihres Mannes und seiner Freunde zuschrieb. Sie hatte von Colt schon erfahren, dass sie Jesse Blue dieses Mal erwischt hatten. So schnell würde Colt nicht mehr mit Ramrod durch das Universum dösen müssen. Nachdem sie das Wasser für die Kartoffel aufgesetzt hatte, würzte Robin das Fleisch.

Durch den Lärm, den das Radio und auch Robin selbst verursachten, hatte die blonde Lehrerin niemanden eintreten gehört. Erst, als jemand die Arme um sie schlang, wusste auch sie, dass sie nicht mehr alleine im Haus war. Es war Colt gewesen. Er umschlang seine Frau, presste sie förmlich an sich und strich ihr mit einer Hand über die Schürze. Leidenschaftlich drückte er Robin einen Kuss auf den nackten Nacken, die Blondine hatte die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und hauchte ihr schmutzig grinsend ins Ohr: „Ich liebe es, wenn du in einer Schürze vor mir stehst.“

„Colt!“, Robin schüttelte lachend den Kopf. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, welche Gedanken ihr Mann schon wieder hegte, das spürte sie sogar. Auf genau diese Weise war Jessica zustande gekommen und wenn Robin nicht achtsam war, würde Colt sie in Windeseile vom Herd wegzerren. Sie befreite sich aus seiner Umarmung, drehte sich zu ihm um und hielt ihm schief grinsend das Küchenmesser unter die Nase: „Wehe dir, Cowboy! Zuerst wird fertig gekocht und zu Abend gegessen. Sonst muss ich dir leider was abschneiden.“

Seit sie aus Japan zurück waren, wollte Colt quasi immer und überall. Robin wusste sich durchaus zu wehren, zumindest so weit sie das wollte, aber das kam so gut wie gar nicht vor. Im Gegenteil. Die Lehrerin war glücklich über die neu aufflammende Leidenschaft ihrer Beziehung, die hatte die letzten Jahre hindurch nämlich kontinuierlich abgenommen. Das lag zum einen an dem Alltagstrott, der auch Familie Wilcox ereilt hatte, zum anderen aber auch an ihrem Helfersyndrom. Weder Colt noch Robin konnten Freunde im Stich lassen, schon gar nicht, wenn es sich um Saber, April oder Fireball handelte und so war Zeit für die Zweisamkeit Mangelware geworden. Aber seit sich Fireball wieder einigermaßen so anhörte, wie früher, wenn Colt mit ihm telefonierte und Saber sich selbst wieder auf die Beine gestellt hatte, war endlich Zeit für die Beziehungspflege.
 

An diesem Nachmittag war Saber früher aus dem Büro abgehauen, die Arbeit blieb ohnehin bis nächste Woche auf dem Tisch liegen. Er wollte außerdem pünktlich sein, wenn er Matthew abholte. Seit der Trennung von Synthia besuchte Saber seinen Sohn in regelmäßigen Abständen, die Vierzehntageregelung hatte er sich von seiner Frau nicht aufdrängen lassen. Für Sabers Verhältnisse forsch und lautstark hatte er Synthia davon abgeraten, ihm das Besuchsrecht derart herunter zu kürzen. Momentan waren sie weder geschieden noch war einem von beiden das Sorgerecht gerichtlich zugesprochen worden und so würde Saber zumindest jeden zweiten Tag vorbeischauen und Matthew am Wochenende zu sich nehmen. Wie es Saber geschafft hatte, das durchzusetzen, wusste er selbst nicht mehr genau, aber das Ergebnis war das richtige und nur das zählte für Saber.

Überpünktlich stand Saber vor der Tür des gemeinsamen Hauses und klingelte. Der Schotte hatte den Schlüssel bei seinem Auszug abgegeben, er hatte keine Lust darauf gehabt, mit Synthia auch noch deswegen zu streiten. Die Eiszeit war auch ohne andere Streitigkeiten lang und hart genug. Widerstrebend, so zumindest Sabers erste Empfindung, als Synthia die Tür öffnete, begrüßte sie ihren Mann: „Zu pünktlich, wie immer.“

Mit diesen Worten ließ sie ihn am offenen Eingang stehen und ging wieder ins Wohnzimmer. Die ehemalige Kindergärtnerin baute so viel Abstand wie nur irgendwie möglich zwischen sich und Saber auf. Für sie war es endgültig vorbei, der Aufenthalt in Japan hatte ihr mehr als deutlich gezeigt, dass auf Saber nur als Freund, nicht aber als Ehemann, Verlass war. So einen Mann wollte sie nicht, auch, wenn es früher mal ganz reizend gewesen war. Synthia hätte niemals zulassen dürfen, Saber zu viel Sicherheit in der Beziehung zu geben. Denn eines wusste die schwarzhaarige Frau aus der vergangen Erfahrung, hätte sich Saber in der Beziehung nicht so sicher gefühlt, wie er es schlussendlich getan hatte, wäre er nie und nimmer auf die Idee gekommen, einfach wieder mit Ramrod durch das Neue Grenzland zu eiern.

Seufzend putzte sich Saber am Eingang die Schuhe ab, bevor er eintrat. Von drinnen konnte er eine Reihe von Stimmen hören, wahrscheinlich hatte Synthia Freunde eingeladen, die mit ihr bei einer Tasse Kaffee den Nachmittag vertrödelten. Im Gegensatz zu Saber, war Synthia mit der Nachbarschaft auf Anhieb ausgekommen und hatte sich vor allem mit den anderen Hausfrauen gut verstanden. Der Säbelschwinger hätte wahrscheinlich lieber jemanden wie Colt, April und Fireball als Nachbarn gehabt, immerhin war er mit den dreien schon vorher gut ausgekommen. Saber zog sich die Schuhe im Vorhaus aus und begrüßte kurz das volle Wohnzimmer, in dem er sich kurz in den Türrahmen lehnte und die Hand hob: „Guten Tag, die Damen.“

Mit einem Kopfnicken fragte Saber, ob sein Junge im Zimmer oben war. Synthia nickte nur und machte ihren Standpunkt noch einmal klar: „Sonntag um achtzehn Uhr ist Matthew wieder da. Keine Minute später.“

Bekümmert nickte Saber und verdrückte sich aus dem Wohnzimmer. Es tat ihm immer noch weh. Egal, wie sehr Synthia ihn auch ignorierte, seine Gefühle ließen sich im Moment davon nicht ändern. Die dunkelhaarige Frau war immerhin seine Frau, er hatte sie vor nicht allzu langer Zeit geheiratet, weil er den Rest seines Lebens mit ihr verbringen hatte wollen. Und er hatte ein Kind mit ihr. Alleine aus diesem Grund wollte Saber um jeden Preis verhindern, dass der Kontakt zu Synthia abbrach. Aber er merkte auch, dass sie gerade das im Augenblick forcierte, sie ekelte ihn geradezu aus dem Familienverband. Er hätte niemals gedacht, dass er einmal nicht mehr gerne zu ihr und Matthew nachhause kam.

Saber nahm seinen Jungen auf den Arm, packte die Taschen und verließ ebenso leise, wie er eingetreten war, das Haus. Er zog es vor, sich von Synthia nicht mehr zu verabschieden, sie würde ohnehin nichts Konstruktives zu ihm sagen. Mit dem kleinen Matthew im Kindersitz machte sich der Schwertschwinger auf den Weg zu Colt auf die Ranch. Er war zum Abendessen eingeladen worden und er hatte keine Lust, vorher noch in seiner Wohnung vorbeizufahren. Außerdem würde sich der Kuhtreiber freuen, wenn er den kleinen Matt auch mal wach erlebte und mit ihm spielen konnte.
 

Charles saß mittlerweile schon ewig im Büro seiner Tochter, zumindest fühlte es sich für ihn wie eine Ewigkeit an. Die Tochter konfrontierte ihn immer wieder mit Fragen, die er nicht beantworten konnte, weil er aus dem Bauch heraus gehandelt hatte und keine rationale Erklärung für sein Tun geben konnte. April war hin und wieder kurz davor gewesen, in Tränen auszubrechen, aber sie hatte es immer wieder geschafft, die Tränen hinunter zu kämpfen. Es war ihr im Augenblick viel wichtiger, den Zwist mit ihrem Vater beizulegen, ihm wenigstens einen Teil der schweren Last, abzunehmen und ihm das nötige Verständnis für einen gewissen Rennfahrer beizubringen. So hatte April am Anfang versucht, ihn auf die väterliche Art zu erwischen, indem sie ihm ihren Kummer der Vergangenheit schilderte, den sie sich ohne Zweifel hätte sparen können, wenn ihr Vater dem jungen Piloten nur die Chance gelassen hätte. Aber irgendwie war das nicht der richtige Weg gewesen, wie April hatte feststellen müssen. Ihr Vater hatte nämlich dafür eine bessere Erklärung. Eagle schnaubte. Aber es war kein ärgerliches Schnauben, eher stieß er aus Frust die Luft derart durch die Nase aus. Er teilte diese Ansicht absolut nicht mit April: „Shinji kann keine tiefen Gefühle zeigen, wie du selbst schon bemerkt hast. Wie hätte er dir zeigen oder sagen können, dass er dich liebt, April? Wer weiß, wie viel mehr Kummer er dir bereitet hätte, wenn du dich auf ihn eingelassen hättest. Vielleicht wärt ihr ein paar Monate glücklich gewesen, aber früher oder später hätte er dir das Herz gebrochen, ganz sicher.“

„Aber ich bin kein kleines Kind mehr!“, April hielt es abermals nicht mehr auf ihrem Stuhl aus. Die Sturheit ihres Vaters übertraf die des Japaners beinahe mühelos. Aber was April noch viel mehr aufregte, war die Tatsache, dass er sie immer noch wie ein junges, unerfahrenes Ding vor allem Unbekannten in der Welt schützen wollte. Sie war erwachsen, das war sie damals auch schon gewesen, wann würde ihr Vater das endlich verstehen? Sie keifte ihn störrisch an: „Du hast alles in Bahnen gelenkt, wo weder Fireball noch ich zu entscheiden hatten. Und das ist nicht fair, Daddy! Du hast mich so lange belogen, deine eigene Tochter. Dachtest du, es wäre einfacher für mich, wenn ich von alledem nichts wüsste?“ April strich sich die Haare aus der Stirn und keuchte. Sie war unendlich traurig über diese Tatsachen, denn im Vergleich zu ihrem Vater, war sie sich tausendprozentig sicher, dass sie mit Fireball eine glückliche Beziehung führen konnte. Kopfschüttelnd mahnte sie ihren Vater: „Am Anfang vielleicht. Aber in weiterer Folge war das das Schlimmste, was passieren konnte. Ich hab Fireball nichts geglaubt, habe ihm damit weh getan und nur deswegen, weil ich wirklich nichts wusste. Und du solltest auch langsam eingesehen haben, dass ich deshalb das Vertrauen in dich verloren habe.“

Diese Predigt hatte gesessen. Der Commander brach vor April schier in die Knie und hielt sich die Hände vors Gesicht. Es war ein Schlag ins Gesicht, es so deutlich von April zu hören. Nur mit allergrößter Anstrengung konnte es Charles verhindern, zu weinen. Mit brechender Stimme gestand er: „Ich möchte es wieder gut machen, April. Gebt mir die Chance, meine Fehler wieder gut zu machen. Ich habe erkannt, wie töricht ich war. …Heute weiß ich, dass ich Shinji ein Freund und vielleicht sogar ein Vater hätte sein sollen, kein Vorgesetzter und eifersüchtiger Schwiegervater, weil er sein kleines Mädchen an einen Mann verliert.“

April ging ohne zu zögern auf ihren Vater zu, seine letzten Worte hatten alles besser erklärt, als alle Versuche bis dahin. Sie schloss Charles in ihre Arme. Aprils Vater würde seine Fehler ausmerzen, wenn er konnte, dieses Versprechen konnte sie ihrem geliebten Daddy ohne weiteres abnehmen. Commander Eagle hatte all die Jahre, die seit dem Eintritt von Fireball ins Oberkommando vergangen waren, täglich in Fireball alles gesehen, was ihn wütend, ängstlich und zugleich todtraurig gemacht hatte. Wütend, weil er an Fireball nie erkannt hatte, wie sehr diesem das Schicksal ins Leben gepfuscht hatte und wie sehr ihm der Verlust von Haruto tatsächlich zu schaffen gemacht hatte. Ängstlich, weil er nicht hatte wollen, dass Fireball seiner einzigen Tochter das Herz in tausende kleiner Stücke brach, ohne selbst etwas für sie zu empfinden. Und todtraurig, weil Fireball seinem Vater so ähnlich war und er Charles immer daran erinnert hatte, dass er den Freund nicht zurückhalten hatte können, als er den entscheidenden Angriff gegen Nemesis geflogen war. Es war einfacher für Commander Eagle gewesen, jede Ähnlichkeit zwischen Captain Hikari und dessen Sohn zu leugnen, als sich der Gewissheit zu stellen, einem Kind den Vater genommen zu haben. April sah endlich, was ihren Vater dazu getrieben hatte, und augenblicklich schossen ihr wieder die Tränen in die Augen. Sie drückte ihren Vater, wagte es aber nicht, etwas zu sagen. Sie würde mit Worten ohnehin nicht ausdrücken können, was sie fühlte. Wieder begann sich ein Stückchen ihrer Welt neu zu erfinden, wie April mit geschlossenen Augen dachte.
 

Saber trat in das Haus und augenblicklich strömte ihm der Duft von Steaks in die Nase. Schmunzelnd stellte er fest, dass Robin den Kampf für gesundes Essen einmal mehr gegen Fleisch, Bohnen und Kartoffeln verloren hatte und sich dem Schicksal gebeugt hatte. Nach diesem Gedanken trottete er mit Matthew auf dem Arm in die Küche, irgendwie hatte der frisch gebackene Neosingle einen Mordskohldampf. Immer, wenn Familie Wilcox ihn zum Essen einlud, war automatisch auch April eingeladen, die sich sonst den Freitagabend ebenso alleine um die Ohren schlagen musste, wie der Schwertschwinger. Und immer dann fastete Saber den ganzen Tag im Büro, damit er den Mengen, die Robin servierte, überhaupt Herr wurde.

Aber in der Küche stand niemand, auch im Wohnzimmer war niemand außer Jessica, die in den Laufstall gesteckt worden war, zu sehen. Saber runzelte die Stirn. Vorsichtig setzte er Matthew zu Colts Tochter dazu und flüsterte: „Ihr zwei bleibt mal grad fünf Minuten brav hier und ich seh in der Zwischenzeit nach Colt und Robin.“

Saber strich Jessica und Matthew lobend über den kleinen Kinderkopf und ging wieder ins Vorhaus. Prüfend sah er sich um. Weit konnten weder der Scharfschütze noch die kecke Lehrerin sein, immerhin waren sowohl der Herd noch an, als auch die Tochter ohne Babysitter zurückgelassen worden. Saber vermutete, dass beide wahrscheinlich im oberen Stock des Hauses etwas erledigten, da im Erdgeschoss mit Sicherheit keiner war. Er stellte sich an den Treppenabsatz und linste nach oben. Laut, aber nicht unhöflich, rief der Schotte nach oben: „Hey, Colt! Robin! Wo seid ihr zwei denn? Das Essen verkokelt langsam aber sicher!“

Hoffentlich hatten sie ihn gehört und würden bald darauf wieder auftauchen. Saber selbst zog es vor, es bei dieser höflichen Aufforderung zu belassen und kurz in die Töpfe zu gucken, damit nicht wirklich was anbrannte, ehe er zu den Kindern ins Wohnzimmer ging. Er nahm beide aus dem Laufstall und setzte sich mit ihnen auf den Spielteppich. Saber konnte gut mit Kindern umgehen, seine Angst, kein guter Vater für Matthew zu sein, war völlig unbegründet gewesen. Nichts erinnerte an den furchtlosen Anführer der Ramrod Einheit, wenn er wie gerade eben mit den Kindern spielte und sich beschäftigte.

Wenig später traf auch April ein, die etwas zerknirscht die Haustür zum Anwesen der Familie Wilcox aufgestoßen hatte. Aber sie war froh, diesen Abend nicht alleine verbringen zu müssen. Ihr Vater hatte ihr viele kleine Denkaufgaben gestellt und sehr viele Dinge musste sie erst richtig erfassen und verstehen, ehe sie soweit war, ihrem Vater alles zu verzeihen. Obwohl, wenn April es überdachte, alles würde sie ihrem Vater unter Garantie nicht verzeihen, dafür hatte er sich bei manchen Dingen einfach viel zu viel geleistet. Aber sie konnte ihm das Angebot machen, es zu verstehen und das war immerhin besser, als ihn dafür zu verteufeln.

Neugierig steckte die Blondine den Kopf in die Töpfe und rümpfte die Nase: „Schon wieder Fleisch. Dass Colt aber auch nie was anderes essen wird!“

Mit Unverständnis, aber nicht beleidigt, weil der Speiseplan von Colt offenbar eintöniger als die Wüste Alamos war, schlich April ins Wohnzimmer. Die anderen hatten wahrscheinlich nur auf sie gewartet, an diesem Tag war sie wesentlich später als sonst aus dem Oberkommando weggekommen. Aber als sie eintrat, erhaschte sie nur einen Blick auf Saber, der mit den Kindern spielte. Von Colt und Robin war keine Spur. Schulter zuckend setzte sich die blonde Frau zu Saber und den beiden Kleinen auf den Boden. Sie umarmte Saber kurz aber herzlich und drückte ihm einen Kuss auf die Wange: „Hi, Boss!“

Saber erwiderte den Druck und gab April auch einen kurzen Kuss auf die Wange. Die Freunde waren alle wieder enger zusammengerückt, so gut war die Freundschaft zwischen ihnen selten zuvor gewesen. Ein Stück weit hatten sie alle das Colt zu verdanken, der die Freunde noch einmal dazu genötigt hatte, mit der Wahrheit nicht hinterm Berg zu halten. Seither war das Verhältnis untereinander wieder vertrauter. Jeder verstand den anderen wieder besser.

Saber rollte einen großen roten Ball über den Teppich auf Jessica zu und musterte schließlich April. Abschätzend legte er den Kopf schief und fragte: „Wie geht’s Fireball? Hat er sich mal wieder gemeldet?“

April nickte: „Ja, ich hab gestern kurz mit ihm telefoniert.“, mit einem leichten Lächeln erzählte sie Saber: „Er jammert, weil es ihm mit dem Gesundwerden nicht schnell genug geht.“

„Ich bin echt froh, dass nicht alle so ungeduldig sind, wie unser Matchbox.“, Saber lachte leise. Es war unglaublich, wie wenig Zeit sich Fireball gab um richtig gesund zu werden, und das, obwohl es ihm sowohl Ärzte als auch seine Freunde noch einmal nahe gelegt hatten. Wenigstens war Laura bei ihm, die darauf aufpasste, dass Fireball sich dieses Mal wenigstens an die Regeln hielt. Saber richtete seinen Blick an die Decke. Laura. Immer wieder schob sich der Gedanke an sie in den Vordergrund. Ganz unbewusst erkundigte sich Saber nach Laura, wenn er mit dem Rennfahrer einmal die Woche telefonierte. Sie fehlte ihm. Und das war ein Gefühl, das Saber nicht mochte, denn sie durfte ihm nicht fehlen. Weshalb denn auch? Es war nichts passiert, nur ein flüchtiger Kuss auf die Lippen. Sie wurde eher bei Fireball gebraucht, als dass sie ihm die einsamen Nächte verkürzen sollte. Saber ertappte sich selbst bei dem Gedanken und es widerte ihn an. Immerhin, und das versuchte sich der Schotte immer noch vor Augen zu halten, war er von Synthia noch nicht lange getrennt, von einer Scheidung war er noch weit entfernt, und Laura war Fireballs Freundin gewesen. Alleine das letzte Argument sollte Saber eigentlich so weit zur Vernunft bringen, dass er in Laura nicht mehr sehen sollte, als eine Bekannte.

April schenkte Saber einen verständnisvollen Blick. Sie legte ihm behutsam die Hand auf die Schulter und versuchte ihn abzulenken, obwohl sie nicht ahnen konnte, wovon sie ihn ablenkte. Auch sie beteiligte sich an dem Ballspiel, das Jessica ins Rollen gebracht hatte und unterhielt sich mit Saber. Sie umriss kurz, was ihr an diesem Tag passiert war und wie sie das alles einordnete. Tatsächlich brachte es Saber auf andere Gedanken.
 

Die Tage und Wochen zogen ins Land, alles auf Yuma ging seinem täglichen Geschäft nach. Für die Star Sheriffs bedeutete das, sich so weit wie möglich von Allan fern zu halten. Der Colonel schlich nach wie vor im Oberkommando herum und steckte seine Spürnase überall hinein. Glücklicherweise war er noch nicht so weit gekommen, um den letzten Missionsbericht der vier Besatzungsmitglieder von Ramrod in die Finger zu kriegen. Spätestens da wäre ihm nämlich aufgefallen, dass einer im Oberkommando gearbeitet hatte, der laut Statuten keinen Fuß mehr in diese Organisation hätte setzen dürfen. Die Regeln besagten ganz eindeutig, dass jemand, der unehrenhaft vom Dienst ausgeschlossen wurde, das Oberkommando auf Lebzeit nicht mehr betreten durfte.

Sowohl April als auch Colt und Saber verschanzten sich regelrecht vor Allan, der immer wieder den Kontakt zu den Freunden suchte und Antworten einfordern wollte. Die Blondine zog sich immer wieder geschickt damit aus der Affäre, dass sie keine Zeit für Allan hätte, da der große Cowboy so schnell als möglich wieder flott gemacht werden sollte. Der Kuhtreiber hatte Allan sogar einmal vor gut zwanzig anderen Mitarbeitern des Oberkommandos gesagt, er solle sich seine Schnüffeleien sonst wohin stecken, er wisse schon wohin genau. Und Saber machte sich die Ausrede zunutze, seine Schützlinge zu unterrichten, solange er nicht auf Ramrod gebraucht wurde.

Der einzige, der Allan nicht auskam, war Commander Eagle. Der hatte weder eine Ausrede noch konnte er den Colonel so ohne weiteres stehen lassen. Wohl oder übel musste er dem Kopf der Untersuchung Rede und Antwort stehen.
 

Alles in allem aber bewegte sich auf Yuma nichts. Alle Fronten waren verhärtet, in jeder Hinsicht. So war Saber zwar nach wie vor von Synthia getrennt, setzte aber sein Besuchsrecht konsequent um. Die Scheidungsunterlagen ließen weiterhin auf sich warten. Der Colonel konnte auch keine Fortschritte verbuchen, eher machte er jedes Mal aufs Neue zwei Schritte zurück. Bei Colt und Robin war die Ehe noch immer die Bilderbuchehe, die sich die zwei immer gewünscht hatten. Und April hielt ihren Vater weiterhin auf Distanz, sie wollte zuerst mit Fireball darüber reden. Und das war auch schon der nächste Punkt, bei dem sich gar nichts tat. Die Telefonate zwischen den beiden waren wieder spärlicher geworden, je weiter die Genesung des Japaners fortgeschritten war. Mitunter kam es mittlerweile manchmal vor, dass Fireball sich über eine Woche bei keinem seiner Freunde meldete. April dachte vor allem nachts oft an den Rennfahrer und fragte sich, weshalb er sich nicht mehr meldete. Ob er in Tokio wieder in den gewohnten Trott zurückgefunden hatte?
 

Eines Freitag nachmittags war es wieder soweit. Robin hatte zum Essen eingeladen und keiner traute sich, einer so begnadeten Köchin abzusagen. April hetzte aus dem Büro, einen Stoß Auswertungen, die sie am Wochenende zuhause analysieren wollte unterm Arm, und fuhr nachhause. Sie wollte sich noch umziehen, schließlich konnte sie nicht in ihrem roten Overall und dem weißen Ingenieursmantel dort aufkreuzen. Zudem roch sie an diesem Tag nach Schmierölen und Hydraulikflüssigkeit, das wollte sie der feinen Nase ihrer Freundin auf keinen Fall antun. Die Blondine hatte den meisten Tag damit zugebracht, eine Fehlerquelle von Ramrod auszubessern, den tatsächlichen Fehler jedoch hatte sie nicht gefunden.

Frisch geduscht, allerdings noch nicht ganz angezogen rubbelte sich April die Haare mit einem Handtuch trocken, während sie in die Küche ging, um noch nebenbei den Haushalt zu erledigen. Der sonnige Tag neigte sich bereits wieder dem Abend entgegen und die tief stehende Sonne verriet April, dass sie sich beeilen musste, wollte sie nicht die letzte auf der Ranch sein. Als es an der Tür klingelte, warf April das Handtuch achtlos auf das Sofa und schlüpfte noch in ein weißes T-Shirt, ehe sie zur Tür hechtete und diese verwundert öffnete. Mit Besuch hatte sie heute nicht gerechnet, zumal sie Saber und Colt in spätestens einer viertel Stunde wieder sehen würde.

„Ich hab gehört, der letzte hat den Zusammenstoß mit der Wand nicht überlebt.“, eine Hand streckte ihr einen Hibiskus durch den offenen Türspalt entgegen.

Zitternd nahm April den Blumenstock entgegen und setzte ihn auf dem Boden ab. Ungläubig starrte die Blondine auf den Körper, der zu der Hand gehörte, die ihr die Blume übergeben hatte. Ihre Augen wanderten über den Oberkörper zum Gesicht hinauf und am liebsten wäre April umgefallen. Sie konnte nicht glauben, wer sie besuchte. Überschwänglich fiel April ihrem Gast in die Arme und schluchzte: „Fireball!“

Der junge Rennfahrer lachte leise. Seine Überraschung war ihm gelungen. Er hatte April total aus der Fassung gebracht. Als er sie zärtlich in die Arme schloss und seine Wange an ihre legte, spürte er nicht nur ihre weiche Haut und ihre strähnigen nassen Haare, sondern auch eine Freudenträne, die April beim letzten Wimpernschlag über die Wangen davon gekullert war. Fireball drehte seinen Kopf leicht in Aprils Richtung und küsste sie schüchtern, ehe er grinste: „Wein ruhig, so schnell wirst du mich nicht mehr los!“

April brachte sich unverzüglich auf Distanz zu Fireball. Mit zusammengezogenen Augenbrauen musterte sie den Heimkehrer, allerdings ließ sie ihre Arme um Fireballs Schultern nicht von ihm. Sie murmelte überfordert: „Was?“

Fireball zuckte kurz mit den Schultern und legte den Kopf schief. Seine Augen suchten den Kontakt zu Aprils, er hatte die Blondine unendlich vermisst. Sein verschmitztes Lächeln unterstrich seine Worte: „Wenn du mich nicht hier haben wolltest, hättest du mir das eher sagen müssen, Süße, dann hätte ich mir hier keine Wohnung gekauft.“

Die Blondine verstand die Bedeutung dieser Worte absolut nicht. Überglücklich, Fireball überhaupt wieder einmal in die Arme schließen zu können, fiel sie ihm ein weiteres Mal um den Hals, dieses Mal aber drückte sie ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen und hauchte: „Du hast mir so gefehlt.“

Auch Fireball schloss seine Arme wieder um April. Er hielt die Frau, die er liebte, im Arm. Alleine diese Tatsache machte ihn überglücklich. Der Rennfahrer war am Morgen in Yuma gelandet, mit Laura, die er nach ewigen Diskussionen davon überzeugen hatte können, mit ihm den Schritt zu wagen und neu anzufangen. Die Rechtsanwaltsgehilfin hatte mit ihm alle Besorgungen erledigt und ihn anschließend vor dem Haus von April abgesetzt. Sie würden sich später ohnehin wieder treffen, hatte sie gemeint.

Aus heiterem Himmel ließ Fireball April plötzlich los. Ein bisschen eingeschüchtert löste er sich auch aus Aprils Umarmung und kratzte sich hinterm Ohr. Leise murmelte er: „Vielleicht sollten wir erst mal reingehen. …Oder hast du Besuch?“

Den Rennfahrer hatte eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf wieder heimgesucht. Commander Eagle. Es war Fireball noch immer nicht möglich, die Zweisamkeit mit April so zu genießen, wie er es gerne wollte, denn in regelmäßigen Abständen drang die tobende Stimme des Commanders wieder in sein Bewusstsein und drohte ihm Schlimmes an, wenn er April auch nur berührte. Fireball störte es ungeheuer, aber er konnte diese Stimme nicht abstellen oder ausblenden. Sie würde ihm noch lange innige Augenblicke wie diesen vermiesen und ruinieren.

Irritiert von Fireballs ruckartiger und zusammenhangloser Reaktion ließ auch April Fireball los. War sie ihm zu nahe getreten? Es war April plötzlich ebenso unangenehm, mit Fireball im Gang zu stehen, wie unverständlich, was sie gerade wohl getan hatte, dass er den Abstand zu ihr wollte. Verunsichert bat sie ihn in die Wohnung und erklärte ihm, dass sie sich noch schnell die Haare föhnen musste, ehe sie zu Colt auf die Ranch fuhr.

Während April im Badezimmer verschwand, nahm Fireball Aprils Wohnung in Augenschein. Er war seit seinem Rauswurf aus dem Oberkommando nicht mehr hier gewesen. Erinnerungen drangen aus dem Unterbewusstsein wieder an die Oberfläche. Hier hatte er gekniet, als er April seine Gefühle offen legen wollte und unterbrochen worden war. Diese Erinnerung schmerzte, wie Fireball bekümmert feststellte. Deshalb wandte er sich von der Couch und der riesigen Glasfront ab, hin zum Schreibtisch. Aber auch da holten ihn trübsinnige Erinnerungen ein. Da hatte er gesessen, als April ihn zum Teufel geschickt hatte. Fireball schluckte und atmete tief durch. Keine Frage, es war eigenartig, bei April in der Wohnung zu stehen. Aber Fireball hoffte, dass es mit der Zeit einfacher werden würde. Die Zeit sollte ihm einmal wenigstens helfen und nicht alles nur schlimmer für ihn machen.

Endlich kam April aus dem Bad wieder. Sie hatte ihre Haare zu einem Knoten hochgebunden und sich bequeme Klamotten angezogen. Sie schlüpfte in ihre Turnschuhe, schnappte sich ihre Handtasche und zog Fireball mit sich aus der Wohnung: „Komm schon, wir müssen pünktlich sein.“
 

Colt riss die Tür auf und maulte dem Besuch entgegen: „April, seit wann klingelst du denn? Du weißt genau…“, der Redefluss des Scharfschützen erstarb binnen weniger Augenblicke, als er den Besucher erkannte. Eigentlich hatte er mit April gerechnet, und nicht mit den beiden. Er zog das Mädchen zur Tür herein, umarmte sie kurz und lachte: „Baby! Dass ich dich auch mal wieder in meiner Hütte begrüßen darf!“

Überrumpelt ließ Laura die stürmische Begrüßung über sich ergehen und merkte, dass der Rennfahrer seinen Freunden tatsächlich nichts gesagt hatte. Fireball setzte eindeutig auf den Überraschungsmoment. Freundlich lächelnd trat Laura zur Seite und gab den Blick auf einen anderen Bekannten frei: „Ich hoffe wir stören nicht, Colt. …Darf ich vorstellen? Das ist Scott, Shinjis ehemaliger Rennsportdirektor.“

Colt schob sich an Laura vorbei und streckte dem Mann die Hand entgegen: „Ich glaub, ich hab dich schon mal gesehen, Scott. Willkommen in meiner bescheidenen Hütte.“, ehe Scott was erwidern konnte, drehte er sich zu Laura um und lachte: „Ihr bleibt doch zum Essen, bleibt ihr doch? April müsste auch gleich kommen, setzt euch schon mal ins Wohnzimmer.“

Scott lachte dem Scharfschützen entgegen: „Essen ist genau das richtige Stichwort, Colt! Mein Magen hat heute noch nichts Brauchbares gesehen.“

Der Kuhtreiber lachte fröhlich und schob auch Scott zur Tür herein, der keine Anstalten gemacht hatte, das Haus zu betreten. Er deutete in Richtung Wohnzimmer und schickte die beiden Neuankömmlinge gleich zum Kinderhüten hinüber: „Da geht’s in die gute Stube. Ihr könnt dem Säbelschwinger gleich helfen, die zwei kleinen Hosenmatze sind heute überdreht.“

Er selbst verschwand in der Küche um seiner Frau mitzuteilen, dass sie zwei Gäste mehr zum Essen hier hatten. Diese fiel buchstäblich aus allen Wolken. Sie hatte nur für vier Leute eingekauft, und Ersatzplan hatte sie auf die Schnelle keinen parat. So würden die Portionen am heutigen Abend kleiner ausfallen, dafür aber würde es ein Dessert geben.

Laura klopfte an den Türrahmen, um nicht ungebeten einzutreten. Ihr Herz raste. Schüchtern sah sie zu Boden und hielt die Hände vor ihrem Schoß zusammengefaltet. Würde er sich freuen, sie wieder zu sehen? Ihre dunklen Augen blickten vom Boden auf und in das große Wohnzimmer hinein. Saber jagte gerade Jessica hinterher, die keinesfalls stehen bleiben wollte, als er zur Tür blickte. Abrupt blieb er stehen und richtete sich auf. Noch ehe aber richtige Freude in Saber aufkeimen konnte, bemerkte er den fremden Mann hinter Laura. War sie an einen anderen vergeben? Irgendwie verletzt, weil der Highlander gedacht hatte, Laura würde ihn zumindest auch ein wenig mögen, stakste er über das Spielzeug der Kinder hinweg und begrüßte den Besuch. Er reichte Laura die Hand und lächelte sie unsicher an: „Hallo, Laura.“ Er ließ die kleine Japanerin gar nicht zu Wort kommen, er wollte gerade keine Erklärungen von ihr hören, auch keine Begrüßung. Der nächste Rückschlag würde ohnehin nicht lange auf sich warten lassen. Höflich reichte er auch dem dunkelblonden, älteren Herren die Hand: „Guten Abend. …Ich glaube, wir hatten noch nicht das Vergnügen, uns vorgestellt zu werden. Mein Name ist Saber Rider.“

Breit grinsend schüttelte Scott Sabers Hand und erklärte: „Ich bin der gute Scott Patterson. Den Nachnamen brauchst du dir gleich gar nicht zu merken, auf Höflichkeitsfloskeln leg ich nämlich keinen Wert.“

Saber schmunzelte: „Dann schätze ich, sind wir bereits beim Du angelangt.“

Als Scott seinen Namen genannt hatte, war Saber ein Stein vom Herzen gefallen. Er war nicht Lauras Freund, der Kerl da vor ihm war Fireballs Mentor in der Formel 1 gewesen! Seine Gesichtszüge lockerten sich zusehends, die Erleichterung stand ihm beinahe schon ins Gesicht geschrieben. Saber hätte es, aus einem für ihn unersichtlichen Grund, nicht vertragen, wenn Scott Lauras Freund wäre. Bedeutete ihm Fireballs Freundin schon zu viel? Kopfschüttelnd ermahnte sich Saber, dass er nach wie vor verheiratet war. Er wollte und konnte Laura seiner Frau nicht vorziehen, noch nicht.

Als Colt zum Essen rief, nahm Laura Jessica auf den Arm und zeigte Scott, wo es ins Esszimmer ging. Die kühle Begrüßung war ihr aufgefallen und es hatte ihr nicht gefallen. Sie war enttäuscht darüber gewesen, sehr enttäuscht. Postwendend fielen ihr Fireballs Worte ein ‚Du benimmst dich wie ein Teenager’. Wie Recht er damit hatte. Sie verhielt sich wie ein kleines Mädchen, das einen Helden anhimmelte!

Saber hob Matthew hoch und folgte den beiden. Er lobte das große Haus der Familie Wilcox, die beiden Gäste würden an dem Tisch nicht einmal für Platzmangel sorgen. Er schob Matthew den Schnuller wieder in den Mund, den er grade ausgespuckt hatte und murmelte ihm zu, während er auf Laura linste: „Ob sie manchmal an uns gedacht hat?“
 

Colt schob sich gerade die volle Gabel in den Mund, als die Tür zur Ranch erneut aufgemacht wurde. Schulter zuckend sah er kurz seine Frau an und nahm die leere Gabel aus dem Mund. Ohne das weiter zu kommentieren begann Colt mit dem Essen. Es konnte ohnehin nur April gewesen sein, die mal wieder zu spät kam. Die Frau konnte einfach keine Uhr lesen, wie Colt manchmal witzelte.

April stolperte kurz darauf tatsächlich ins Esszimmer und entschuldigte sich: „Hi! Sorry, ich bin aufgehalten worden.“

Während April alle kurz begrüßte, schluckte Colt schnell und lachte: „Klar! Wer hat dich denn dieses Mal aufgehalten?“

Diese Ausrede brachte die Freundin jedes Mal aufs Neue, wenn sie zum Essen zu spät kam. Und Colt konnte sie mittlerweile nicht mehr hören. Einmal hatte er ihr sogar absichtlich die falsche Zeit angesagt, eine halbe Stunde früher als eigentlich ausgemacht gewesen wäre, damit sie ausnahmsweise mal pünktlich zum Essen kamen. Es hatte geholfen, aber als April das herausgefunden hatte, war die Kabbelei mit dem Kuhhirten am Essenstisch perfekt gewesen.

„Ich hab sie aufgehalten.“, Fireball trat hinter April ins Esszimmer und lächelte verlegen in die Runde. Sein Blick glitt über den Esstisch, wo er bereits Laura und auch Scott erkennen konnte. Die zwei waren also Schuss auf die Ranch des Kuhhirten gefahren, um den zu besuchen. Den Gedecken nach zu urteilen, hatte niemand erwähnt, dass auch er noch kommen würde. Innerlich lachend stellte sich Fireball auf Fasttag ein.

Alle blickten unweigerlich vom Esstisch auf, als sie Fireballs Stimme gehört hatten. Laura und Scott schmunzelten, während Robin, Saber und vor allem Colt den Mund gar nicht mehr zu bekamen. Colt sprang vom Tisch auf und riss Fireball bei seiner Umarmung fast von den Beinen. Robin stand auch auf, aber im Gegensatz zu Colt ging Robin schnell in die Küche hinüber, um auch für Fireball aufzudecken. Als Colt seinen Hombre wieder los ließ, erwartete ihn auch von Saber eine herzliche Umarmung: „Das ist eine Überraschung, Fireball.“

Fireball tätschelte Saber kurz auf die Schulter und grinste trocken: „Eigentlich dachte ich, es wäre klar, dass ich auch da bin, wenn Laura in Yuma ist.“

Die Freunde saßen zusammen am Esstisch und unterhielten sich. Das unbeschwerte Lachen drang manchmal bis vor die Haustür der Ranch. Sie erzählten sich den letzten Klatsch und zogen sich mitunter mit gewissen Dingen auf. Die Stimmung war heiter und ausgelassen, das Abendessen entwickelte sich eher zu einem kleinen Fest. Die beiden kleinen Racker wurden nach dem Essen ins Bett gebracht, die Erwachsenen blieben noch lange zusammen sitzen. Auch, wenn Scott zum ersten Mal in dieser Runde saß, so hatte niemand Probleme damit, am allerwenigsten Scott selbst. Der amüsierte sich köstlich mit Colt, der den brachialen Humor mit ihm teilte. Immer wieder trieben die beiden Männer den Frauen die Schamesröte mit ihren Witzen ins Gesicht. Und als dann auch noch Fireball mitmischte, erwischte die zarte Röte auch den Säbelschwinger. Der Rennfahrer gab immer wieder zweideutige Kommentare ab, die sich auf Laura und Saber bezogen und stichelte munter weiter, auch, als Saber ihm einen mahnenden Blick zuwarf.

Colt stand zu später Stunde noch einmal auf und verschwand zusammen mit Robin in der Küche. Wenig später tauchten sie mit zwei Flaschen Champagner und unzähligen Gläsern wieder auf. Jedem wurde eingeschenkt und als alle mit Schampus versorgt waren, hob der Kuhhirte das Glas an und räusperte sich: „Da uns das Schicksal so schön in die Hände gespielt hat und wir heute alle an einem Tisch haben, möchte ich doch schnell was loswerden.“

April lachte amüsiert: „Geheiratet hast du Robin schon. Ein Heiratsantrag kann’s also nicht sein, Colt!“

Der Hausherr überging den Kommentar mit einem leichten Lächeln. Sein Blick fixierte Robins Antlitz, das schöner strahlte, als jeder Schatz es könnte. Als er endlich seine Augen von seiner Frau wieder loseisen konnte, hüstelte er gekünstelt und verkündete: „Für die unter euch, denen es noch nicht aufgefallen ist, Robin und ich sind Eltern einer entzückenden kleinen Prinzessin. …Und na ja, weshalb sich nur mit einem so liebenswerten Kind zufrieden geben, wenn man auch zwei haben kann?“

Alle prosteten dem Ehepaar zu. Colt und Robin ernteten von allen Seiten Glückwünsche. Auch von Saber, aber der konnte sich, entgegen seiner guten Erziehung und seiner Zurückhaltung, die er sonst an den Tag legte, nicht beherrschen und zog die beiden auf: „Deshalb wart ihr wie vom Erdboden verschluckt, als es das letzte Mal Steak mit Bohnen gegeben hat. Und ich hab mich schon gefragt, was ihr über eine Stunde im oberen Stock verloren habt, wenn euer Kind im Laufstall sitzt.“

Robin schoss die Röte ins Gesicht, während Colt vergeblich nach seinem Hut griff und ihn ins Gesicht ziehen wollte. Sabers Worte trafen den Nagel sehr genau auf den Kopf, wie die Gesichter der beiden Angesprochenen eindeutig belegten.

Munteres und ausgelassenes Lachen durchflutete das Haus abermals. Der Abend war nicht nur feuchtfröhlich für die meisten, sondern auch wohltuende Seelenpflege. Vor allem für Saber, dem die Trennung von Synthia immer noch zu schaffen machte. Jedes Mal wieder riss es Wunden auf, wenn er Matthew fürs Wochenende abholte, oder ihn wieder zurückbrachte. Es tat dem Vater unheimlich weh, sein Kind nicht mehr jeden Tag bei sich zu haben. Über den Verlust der Frau kam er da schon wesentlich leichter weg. Synthia war so unnahbar geworden, dass auch Saber schnell eingesehen hatte, dass alles zu spät war. Aber er konnte mit der Beziehung nicht abschließen, solange er nicht geschieden war, solange kein eindeutiger Strich darunter gezogen worden war.

In den frühen Morgenstunden wurden die ersten dann müde. Und entgegen der landläufigen Meinung waren es nicht nur die Frauen. Viel eher waren es die Gäste, die nur zu Besuch auf Yuma waren. Während Scott noch lachen und Scherze machen konnte, sowie dem einen oder anderen Schluck Wein nicht abschwor, wurden die Augen von Laura und Fireball immer kleiner. Laura nickte schließlich am Tisch ein. Sie saß an den Stuhl gelehnt da, ihr Kopf zur Seite geneigt. Saber, der neben ihr saß, bemerkte als erster, dass sie eingeschlafen war. Behutsam und bedacht darauf, weder Laura zu wecken, noch die Aufmerksamkeit der anderen zu erregen, die bloß noch mehr Grund hätten, ihn damit aufzuziehen, brachte er Lauras Kopf in eine Position, von der sie später nicht solche Nackenschmerzen haben würde.

Jedoch blieb Sabers Handeln nicht unbemerkt. Fireball nickte zu ihm hinüber und schmunzelte: „Sie hat auf dem Flug hierher kaum geschlafen.“

Mit diesen Worten erhob sich Fireball vom Tisch und verbeugte sich höflich: „Danke für das fabelhafte Essen, Robin. …Wir sollten langsam aufbrechen, Laura ist schon im Sitzen eingeschlafen und mir fallen auch gleich die Augen zu.“

Colt sah zu Saber und Laura und begann unweigerlich zu lachen: „Bist du dir sicher, dass ihr drei heute alle ins Hotel fahrt?“, sein Blick fiel schließlich auch auf April, die den ganzen Abend über immer wieder die körperliche Nähe zu Fireball gesucht hatte, der allerdings mit Zärtlichkeiten äußerst sparsam umgegangen war. Und zu guter Letzt blinzelte er noch zu Scott, der absolut nicht mehr fahrtauglich war, so wie die meisten am Tisch. Colt schüttelte den Kopf: „Bleibt heute Nacht alle hier, den Platz haben wir ja.“

Damit war es beschlossene Sache, die Freunde nächtigten auf dem Anwesen. Alle erhoben sich allmählich und bereiteten sich für die Nachtruhe vor. Colt teilte noch die Zimmer irgendwie ein, so viel Platz, dass jeder ein eigenes Zimmer beziehen konnte, hatte er dann doch nicht gehabt. Fireball stand neben der schlafenden Laura, die von all dem Trubel nichts mehr mitbekam und wollte sie schon anstupsen, als Saber seine Hand nahm und fragte: „Trägst du sie nicht einfach ins Zimmer hoch?“

Fireball zog seine Hand sofort wieder zurück und blickte seinen Freund durcheinander an. Als er endlich verstand, dass er Laura schlafen lassen sollte, erwiderte er schief grinsend: „Gerne. Wenn du mich dann ins Krankenhaus fährst. Ich soll nicht schwer heben und auch wenn Laura im Vergleich zu anderen Frauen hier im Raum ein Fliegengewicht ist, ist sie für mich schon zu schwer.“

Fireballs Lächeln wurde bei jedem Wort immer größer und im letzten Moment hatte er es sich noch verkneifen können, Saber aufzufordern, die Rechtsanwaltsgehilfin nach oben zu tragen. Wie Fireball wenige Augenblicke darauf feststellte, hätte er das auch gar nicht brauchen, denn Saber trug die schlafende Freundin auf dem Arm nach oben in eines der Zimmer. Ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle war er eben, der gute alte Säbelschwinger.
 

April schlich leise die Treppen hinunter. Obwohl es am Vorabend spät geworden war, war sie sehr früh wieder aufgewacht. Die ersten Sonnenstrahlen hatten sie geweckt. Die Sommersonne stand noch tief an diesem Morgen, aber April wollte unbedingt an die frische Luft. Sich reckend und gähnend trat sie auf die Terrasse des Hauses. Es würde ein herrlicher Tag bevorstehen.

„Der Sonnenaufgang über Yuma ist einzigartig.“ Fireball betrachtete nach wie vor den Himmel über Yuma. Er war zwar hundemüde gewesen, hatte aber nicht schlafen können. Seit Stunden saß er hier, den Blick in die Sterne, in weiterer Folge dann, in den Morgenhimmel gerichtet. Er beobachtete in letzter Zeit oft die Sterne, die letzten Tage in Tokio hatte er kaum ein Auge zugetan. Immer wieder hatte er seine Entscheidung in Frage gestellt, denn damit verbunden waren viele Veränderungen gewesen. Und die Ungewissheit. Schweren Herzens hatte Fireball in Tokio um Versetzung nach Yuma angesucht, doch hier hatte die Polizeistation keine Verwendung für den angehenden Kriminalpolizisten gehabt. Er wusste nicht, in welche Richtung seine berufliche Entwicklung gehen würde, Fireball konnte lediglich ausschließen, wieder in den Rennsport zu gehen oder beim Oberkommando nach einem Posten zu fragen. Für den Sport fehlten dem jungen Mann die Gesundschreibung und die Fahrerlaubnis, fürs Oberkommando der Mut und die Kaltschnäuzigkeit, den Commander um einen Job zu bitten.

Die Blondine setzte sich zu ihm auf die Bank, lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Auch sie richtete den Blick auf den Himmel, der in allen Orange- und Rottönen den Tag ankündigte. April legte ihre Hand sachte auf Fireballs, es war ein gutes Gefühl, ihn wieder für eine Weile bei sich zu wissen. Sie brauchte nichts zu sagen, beide genossen die Ruhe und Stille der frühen Morgenstunde. Fireball strich April mit der freien Hand über die Wange und den Hals. Ihre Gegenwart tat unheimlich gut. Es fühlte sich wie ein Neubeginn an. Es würde noch ein paar Stunden dauern, bis die anderen aus den Federn fanden. Seufzend lehnte sich Fireball zurück und legte April einen Arm um die Schultern. Sie schmiegten sich aneinander und genossen die ungestörte Nähe des anderen.
 

Es dauerte einige Tage bis sich alles auf Yuma wieder normalisiert hatte. Eine Woche lang trafen sich die Freunde jeden Tag und vertrieben sich gemeinsam die Abende. Nicht einmal war die Frage aufgekommen, wann Laura und Fireball wieder nachhause fliegen würden, bis endlich Colt auf die Idee gekommen war. Sie saßen zu viert im Cafe und warteten darauf, dass April und Saber endlich aus dem Oberkommando kamen. Der Kuhhirte stupste sich den Hut aus der Stirn und lächelte. Seit Tagen sah man den Cowboy nur noch lächeln und schmunzeln, ein anderer Gesichtsausdruck erschien nicht mehr auf seinen Lippen. Er trank einen Schluck von seinem Guavensaft und erkundigte sich: „Wann ist euer Urlaub denn zu Ende?“

Fireball zog eine Augenbraue hoch und musterte Colt fragend. Hatte er das gar nicht erzählt? Das musste in dem Trubel der letzten Tage vollkommen untergegangen sein. Fireball tippte mit seinen Fingerspitzen gegeneinander und machte eine bierernste Miene: „Das mit dem Urlaub ist so eine Sache, Colt. Der ist vorbei, wenn ich einen Job hier gefunden habe.“

„Hä?“, der Freund rückte irritiert den Hut zurecht und verstand kein einziges Wort. In diesem Augenblick schneiten April und Saber bei der Tür herein und die Runde war vollzählig.

Fireball wartete, bis sie sich gesetzt und bestellt hatten, ehe er zu einer neuerlichen Erklärung ansetzte. Dieses Mal aber drückte er sich gleich eindeutig aus. April, die ihn beim ersten Mal auch nicht verstanden hatte und immer noch glaubte, er wäre für einige Tage auf Urlaub hier, würde jetzt genauso die Ohren spitzen müssen, wie Saber, Colt und auch Robin. Fireballs braune Augen glänzten leicht, als er wieder ansetzte: „Laura und ich haben uns für einen Neuanfang auf Yuma entschieden, meine Lieben. Nix Urlaub hier. …Ich hab mir eine Wohnung am Westend zugelegt und werde…“

Saber unterbrach Fireball überrascht. Er hatte sich an den ersten Worten aufgehängt, die besagten, Laura und er würden hier bleiben. Hatte sich zwischen den beiden etwas entwickelt, das weder Saber noch April aufgefallen war? Mit einem verletzten Blick auf Laura, die die letzten Tage wieder ständig an seiner Seite verbracht hatte, forderte er seinen Freund auf: „Du kaufst dir eine Wohnung und erzählst uns das nicht?“

Fireball verzog das Gesicht. Keinem konnte man’s recht machen. Mit Galgenhumor erinnerte er sich an seinen Besuch bei April und was die dazu gesagt hatte. Er lachte leise: „Erstens wollte ich euch überraschen. Ich dachte, ihr freut euch, wenn ich wieder hier bin. Aber nix da, weit gefehlt. April fängt zu heulen an, als sie mir die Tür aufmacht und ihr drei schaut mich an, als hätte euch ein Bus angefahren! Laura hat sich hier um einen Job bei einer Rechtsanwaltskanzlei bemüht und wird in zwei Wochen dort anfangen. Wir wollten bei unseren Freunden sein, ist das so schlimm?“

Robin schüttelte energisch ihren blonden Kopf. Sie war die einzige, die im Moment in der Lage war, ein Statement dazu in Worte zu fassen, was sie auch prompt tat: „Nein, ganz und gar nicht.“, sie lachte den vier Star Sheriffs ins Gesicht: „Ich würde sagen, das Dream Team ist wieder komplett.“

Sie reichte Colt unter dem Tisch die Hand und drückte sie aufmunternd. Die blonde Lehrerin wusste, wie sehr der junge Japaner in der Runde oft gefehlt hatte, vor allem ihrem Mann. Sie erinnerte sich an stundenlange Gespräche mit Colt, der immer wieder traurig darüber gewesen war, Fireball nur noch über HyperCom zu sehen und vielleicht einmal im Jahr zu besuchen. Endlich bestand kein Grund mehr, Trübsal zu blasen. Der Hitzkopf hatte sich ganz offensichtlich ein Herz gefasst und sich eine Heimat gesucht. Robin schätzte sich glücklich, dass ausgerechnet sie zu Fireballs und Lauras neuer Heimat gehörten, sie hätten ja auch in Tokio bei Seiji und Sarah bleiben können.

Der Cowboy erwiderte den Druck auf seine Hand leicht und sah seine Frau dankbar an. Sie zeigte ihm die Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit so unauffällig wie sie nur konnte, sie nahm Rücksicht auf sein Ego, das einen Kuss vor fremden Leuten nicht behagt hätte. Das war es, was er an Robin so liebte. Seine Frau drängte ihm ihre Gefühle nicht auf, verstand seine Art sehr wohl und nahm darauf Rücksicht. Sie konnte warten, bis sie zuhause im Bett lagen, und Colt wieder sensibler und zärtlicher wurde. Sein Ego hatte immerhin schon genug unter seinem Vaterdasein gelitten, der harte Cowboy zog bei keinem mehr. Colt lachte bei diesem Gedanken leise auf. Egal! Er liebte seine Frau und bald auch seine zwei Kinder. Er drückte ihr einen Schmatzer auf die Wange und grinste sie herausfordernd an.

April nutzte die Gunst der Stunde und löcherte Fireball mit diversen Fragen zur Wohnung und wie er sie gekauft hatte. Bereitwillig gab der jüngste im Bund Auskunft darüber und gab April einen kurzen Einblick über die Lage der Wohnung, sowie über Größe und Zimmeranzahl.

Unauffällig rutschte Saber zu Laura hinüber. Der erste Eifersuchtsanflug hatte sich wieder gelegt, Saber hatte sich selbst gesagt, dass Laura und Fireball beide keine Beziehungen aufwärmen würden. Sie verstanden sich eben gut und eigentlich, so Sabers wichtigster Gedanke, konnte er froh sein, dass Fireball die Freundin mitgebracht hatte. Laura war Saber ans Herz gewachsen, das konnte er mittlerweile nicht mehr leugnen. Aber er konnte es nicht zeigen. Er wollte keine neuerliche Beziehung zu einer Frau eingehen, solange er noch nicht geschieden war. So nahm es sich der Schotte fest vor, denn er hatte keine Lust darauf, sich von Synthia auch noch Untreue vorwerfen zu lassen.

Als er sah, dass alle sich unterhielten und nur Laura schwieg und beobachtete, rückte er zu ihr heran und tippte sie leicht an der Schulter an: „Du bist eine mutige Frau, Laura Lee.“

Ertappt fuhr Laura zusammen. Sie hatte nur in die Leere gestarrt und angestrengt beobachtet, wie sich Fireball und April verhielten. Ihr war nicht entgangen, dass sich körperliche Nähe und Zärtlichkeit dauernd mit Distanz und unterkühltem Verhalten abwechselten. Und immer war es ihr Freund, der mit einem Mal wieder den Abstand von April suchte. Sie fragte sich, was nicht in Ordnung war. Aber als Saber sie angesprochen hatte, folgten ihre Augen sofort ihrer Bewegung zu dem Schotten hin. Verwundert hakte sie nach: „Wie bitte?“

„Es ist sehr mutig von dir, dein Glück in Yuma zu suchen. Bei… uns.“ Eigentlich hatte Saber ‚bei mir’ sagen wollen, aber dann hatte er sich doch für die andere Variante entschieden. Wer wusste schon, ob Laura auch seinetwegen nach Yuma gezogen war? Schließlich hatte er ihr nicht gesagt, dass er sie mochte oder gar, dass er sie vermisste. Seine ehrlichen blauen Augen verrieten ihn jedoch.

Laura drehte sich ihrem Gesprächspartner zu und lächelte schüchtern, ihr war aufgefallen, dass Saber ihre Nähe suchte: „Nicht mutiger, als alleine in Tokio zu bleiben und darauf zu warten, von seinem Bruder heimgesucht zu werden.“

Saber senkte den Blick. An Tomas und den Vorfall mit Jesse Blue hatte er nicht mehr gedacht. Der blonde Recke hatte vollkommen verdrängt, dass Laura vor nicht allzu langer Zeit Schreckliches widerfahren war und dass sie unendlich viel Angst haben musste. Immer noch. Besorgt fragte er: „Wohnst du alleine hier in Yuma?“

„Shinji lässt mich bei sich wohnen, bis ich was in meiner Preisklasse gefunden habe.“, ihr Blick wanderte wieder zu Fireball und April, die immer noch redeten. Betreten fügte Laura hinzu: „Und ich glaube, ich sollte mich beeilen. Shinji wird sicherlich seine Zeit mit April alleine verbringen wollen.“

Alle Rationalität verabschiedete sich bei Saber, als er Lauras bedrückte Stimme gehört hatte. Selbstlos, aber auch ein bisschen egoistisch, bot er ihr seine Hilfe an: „Dann komm zu mir, Laura. Ich hab genug Platz in der Wohnung für uns beide.“

Die Rechtsanwaltsgehilfin schwieg und blickte stur zu Boden. Sie hoffte und betete, dass Saber ihre roten Ohren nicht sehen konnte. Hätte ihr jemand einen Pulsmesser angelegt, er hätte jede Skala gesprengt. Lauras Herz raste, als würde es gleich zerspringen und dennoch. Sie hatte auch ein wenig Angst. Konnte sie von einem Bekannten verlangen, sie bei sich aufzunehmen? Laura sah wieder über den Tisch zu Fireball hinüber. Er und April brauchten so unendlich viel Zeit füreinander, das wusste die Freundin. Und sie würde nur stören, auch das wusste sie. Ohne Saber anzusehen, nickte sie leicht.

Immer wieder Wochenende

Dieses Mal hats wieder länger gedauert, aber ich hoffe, dafür ist es umso besser geworden. Viel Freude und nicht mit mir verzweifeln.
 

Der Rundgang durch die große Wohnung nahm einige Zeit in Anspruch. Aber Fireball hatte sich die Zeit genommen und April alles gezeigt. Schließlich würde sie in nächster Zeit öfter hier sein und sie sollte sich überall zurecht finden können. Die Räume waren hell und jedes Zimmer besaß zumindest ein Fenster, auch das Badezimmer. Alle Zimmer waren irrsinnig groß, wie April fand, aber sie waren stilvoll eingerichtet. Schlicht aber stilvoll. Beinahe alle Einrichtungsgegenstände waren aus hellem, fast weißem Ahornholz, mit Glas oder Milchglaseinsätzen versehen. Die Küche bestand aus einer großen Kochinsel, davor befand sich gleich der Esstisch. Alles in der Küche war aus mattierten Stahl oder Edelstahl. Im Wohnzimmer stand der einzige Einrichtungsgegenstand mit Farbe. Eine riesige, dunkelrote Couch. Auf dem Milchglastisch stand eine Vase mit frischen Schnittblumen und eine Tageszeitung lag aufgeschlagen daneben.

April richtete ihren Blick auf die gegenüber liegende Wand. Ein großer Flachbildfernseher war genauso platziert worden, dass man von der Couch aus gemütlich fernsehen konnte. Spärlich gesäte Sideboards aus Milchglas beherbergten Bücher, einige CDs und auf einem stand ein Gestell mit drei japanischen Katanas. Die Bilder, die an der Wand hingen, waren mindestens ebenso schlicht, wie die Einrichtung, es waren einige Bleistiftzeichnungen dabei und japanische Schriftzeichen. Neben der Couch hatte Fireball offenbar einen kleinen Ahnenaltar eingerichtet. Das erkannte April an den drei Bildern, die auf dem Altar standen und an den Räucherstäbchen, sowie der dickbauchigen Buddhafigur. Auf den Bildern waren sein Vater und seine Mutter sowie Haruto abgebildet. April kannte die Bedeutung dieser Ahnenaltare aus dem alten Haus der Hikaris, Hiromi hatte es ihr einmal erklärt.

Zu guter Letzt führte Fireball die Blondine noch auf die Dachterrasse hinaus. War ihr das Wohnzimmer schon groß vorgekommen, so überwältigte sie der Anblick der gigantischen Dachterrasse. April wusste nicht, wo sie zuerst hinsehen sollte. Direkt neben der Terrassentür stand eine Gartengarnitur, wo die Freunde leicht alle Platz haben würden, daneben einige Topfpflanzen, die die Sonne hier hoben für sich allein beanspruchten. Die gesamte Terrasse war mit Holzboden ausgelegt worden, April sah keine einzige Steinplatte hervorblitzen. Weiter hinten war ein buddhistischer Steingarten angelegt worden. Die weißen Steine blendeten April regelrecht, aber der rote Zierahorn, der in der Mitte des Steingartens thronte, entschädigte für die strapazierten Augen. Während April aus dem Staunen nicht herauskam, hatte sich Fireball in die Hängematte gesetzt und die Hände gefaltet. Er wartete in aller Seelenruhe ab, bis April alles genau in Augenschein genommen hatte. Neugierig lief April die komplette Terrasse ab, lugte über die Brüstung hinunter auf die wuseligen Straßen Yumas. Es war unglaublich hier! Wie hatte er dieses Schmuckstück nur gefunden? April gefiel es in der Wohnung, auch wenn es den Zimmern noch an persönlicher Note fehlte, aber das würde sich schon ändern. Von der Terrasse war sie begeistert.

Als April wieder zu Fireball zurückkam, zwinkerte er verschwörerisch: „Und? Darf ich die Wohnung behalten? Hab ich dein Einverständnis?“

Die blonde Ingenieurin legte Fireball sachte die Faust auf die Schulter, sie schubste ihn lediglich symbolisch und lachte: „Was fragst du mich das? Dir muss es hier gefallen!“

Der ehemalige Rennfahrer stand auf und trat wieder ins Wohnzimmer hinein. Er wartete auf April, ehe er die Tür wieder schloss. Die große Glasfront hatte verdunkelte Scheiben, so konnte sich die Wohnung im Hochsommer nicht zu sehr aufheizen. Fireball bot April einen Platz auf der Couch an und brachte ihr aus der Küche was zu trinken. Er selbst legte ruhige Musik ein, bevor er sich neben April setzte. Leicht lächelnd informierte er April, als er sich dazu entschloss, auf der Couch gleich umzufallen: „Laura bleibt heute übrigens bei Saber.“

Als ob April nur auf dieses Stichwort gewartet hätte, beugte sie sich über ihn und gab Fireball einen leichten Kuss. Die Blondine wollte die Zeit mit Fireball nutzen, und zwar nicht zum Reden. Es kam im Moment ziemlich selten vor, dass sie alleine waren, denn tagsüber war April im Oberkommando und abends war oft Laura da, oder auch Saber kam zu Besuch. Und wenn jemand anderer dabei war, versteckte Fireball seine Gefühle für die Blondine in der Regel. Er schenkte ihr dann nur unauffällige Blicke, strich ihr ab und zu mal über die Schulter, aber alles andere sparte sich der Rennfahrer in der Öffentlichkeit. Es schien April fast so, als wollte er niemanden wissen lassen, dass er eine Beziehung mit ihr führte. Die Leidenschaft übernahm ab nun die Herrschaft, was beide sehr begrüßten. Fireball erwiderte Aprils zärtlichen Kuss, indem er mit beiden Händen nach ihr griff und ihren Kopf weiter zu sich heranzog. Als er sich sicher war, dass die Blondine ihren Kopf in der Nähe seiner Lippen lassen würde und nicht so bald damit aufhörte, ihn zu küssen, wanderten seine Hände weiter. Er strich April die Haare nach hinten, ehe er ihre Hüften hinunterdrückte.

Vorsichtig setzte sich April auf Fireballs Schoß, vorhin hatte sie sich noch über ihn gebeugt. Sie konnte gar nicht sagen, wie nahe sie Fireball in diesem Moment sein wollte, aber sie waren ohnehin auf dem besten Weg dahin. Ihre schlanken Finger fuhren Fireball durch die Haare, vorbei an seiner langen Narbe am Kopf. Doch April beachtete diese im Augenblick nicht. Sie wollte nur eines: Fireballs Zärtlichkeiten. Inzwischen wanderten ihre Lippen über Fireballs Nacken zu seinem Ohrläppchen. Ihr Atem wurde schneller, ihre Bewegungen und Küsse immer fordernder.

Fireball bedeckte Aprils Wangen mit Küssen, zog sie immer näher zu sich und machte sich an ihrem Shirt zu schaffen. Seine Hände suchten den Weg unter ihr Shirt und schoben es gleichzeitig mit nach oben. Er spürte jeden Zentimeter Haut, von Aprils Hüften aufwärts, so intensiv er nur konnte. Seine Nase sog ihr Parfum ein und vernebelte ihm vollends die Sinne. April war warm, ihre Haut zart und er konnte ihre unregelmäßige Atmung spüren.

‚Wenn du mein Kind auch nur noch einmal schief ansiehst, vergesse ich mich.’ Entsetzt riss Fireball die Augen auf und hielt in seiner Bewegung inne. Augenblicklich schossen seine Hände unter dem Shirt hervor, streiften es April wieder nach unten und schoben die Wissenschaftlerin von sich weg. So gut er nur konnte, drückte er April von sich weg, als er verängstigt hauchte: „Ich kann das nicht.“

Fireball kroch unter April weg und setzte sich auf. Seine Atmung ging schwer, seine Augen hielt er geschlossen. Fireball fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und kratzte sich dabei mit den Fingernägeln, die er mit aller Gewalt in die Kopfhaut drückte. Diese verdammte Stimme! Warum nur, warum ausgerechnet jetzt, musste er sich an Commander Eagles Worte aus dem Krankenhaus erinnern?

April hatte sich auch aufgesetzt. Mit großen Augen verfolgte sie Fireballs Bewegungen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, sie musste was falsch gemacht haben, sonst würde Fireball sie nicht plötzlich von sich stoßen. Es tat April weh, immerhin hatte er bis vor kurzem ihre Leidenschaft noch geschürt und ihre Berührungen und Zärtlichkeiten erwidert. Sie wusste nicht, was sie getan hatte. April kniete sich auf der großen Couch hin und stützte ihre Arme vor sich auf. Sie flüsterte gekränkt: „Was? Was ist los, Fireball?“

„Nichts.“, Fireball schüttelte frustriert den Kopf und vermied es, die Augen aufzumachen. Seine Hände ruhten immer noch auf dem Kopf. Der Rennfahrer spürte, wie Aprils Augen ihn fixierten. Es war ihm unangenehm. Hinter ihm saß die Frau seiner Träume und er dachte an ihren Vater! Unvermittelt hatte er sie von sich gestoßen, ohne ihr einen Hinweis darauf zu geben, weshalb. Sie musste unglaublich verunsichert und enttäuscht von ihm sein. Niedergeschlagen, April nicht so nahe sein zu können, wie er selbst es gerne wollte, murmelte er schließlich: „Es hat nichts mit dir zu tun, Süße.“

„Ach wirklich?“, April setzte sich ordentlich auf die Couch. Alles, was die Blondine im Augenblick verstand, war, dass Fireball sie nicht mehr liebkoste und räumliche Distanz aufgebaut hatte. Und sie reagierte eingeschnappt auf Fireballs Erklärungsversuch. Das konnte er jedem anderen erzählen. Außer ihnen beiden war gerade niemand in der Wohnung, wer sonst, wenn nicht sie, sollte daran Schuld sein, dass mit Kuscheln ohne Vorwarnung Schluss gewesen war? Energisch schüttelte April ihren blonden Schopf und fuhr ihren Freund unabsichtlich an: „Das glaub ich dir kein Stück.“

April konnte beobachten, wie Fireball kurz nach ihren Worten noch weiter in sich zusammensank. Sie war mit ihrem Tonfall etwas zu weit gegangen, aber wie sollte sie ihm sonst ihre Lage deutlicher schildern? Die Blondine fühlte sich im wahrsten Sinne des Wortes weggestoßen. Und es war ein schreckliches Gefühl, wie sie bedauernd feststellte. Endlich hatte sie annähernd eine Vorstellung davon, was sie Fireball auf Ramrod angetan haben musste.

Der Rennfahrer starb gerade tausend Tode. Die Erinnerung an unzählige Auseinandersetzungen mit Aprils Vater, vor allem aber jene im Krankenhaus, schnürten ihm die Luft ab. Und das ausgerechnet in dem Moment, in dem er April einmal für sich alleine hatte. Langsam begann sich der Japaner zu fragen, weshalb sich ihnen immer etwas in den Weg stellte. Am Anfang war es die Arbeit gewesen und das Versprechen ihrem Vater gegenüber, danach war es ihr Vater selbst gewesen und in Japan sein ruiniertes Kreuz. Endlich, so zumindest Fireballs verärgerte Auffassung, sollte es alleine seine und Aprils Entscheidung sein, was sie taten und dann pfuschte ihm seine eigene Erinnerung und wahrscheinlich auch die Angst vor Aprils Vater ins Handwerk! Kopfschüttelnd versuchte er ein weiteres Mal, es April zu erklären: „Es ist wirklich nicht deine Schuld. ...Ich... ich kann nur einfach nicht.“

Ungläubig zog April hinter ihm einen Schmollmund und runzelte die Stirn. Sie konnte es nicht so recht glauben. Eingehend musterte sie ihren Freund, der seit seinem abrupten Innehalten beinahe regungslos auf der Couch saß, den Kopf in die Hände gelegt und den Blick, wenn er dann mal die Augen aufmachen würde, auf den Boden gerichtet. Er kniff die Augen regelrecht zu und verzog das Gesicht, als ob ihm etwas Schmerzen bereiten würde. Nachdem April eine aufmerksame Frau war und ihren hübschen Kopf durchaus auch zum Denken benützte, begann sie unweigerlich zu grübeln. Wenn sie nicht Schuld daran war, dass Fireball ihr nicht mehr nahe sein wollte und Fremdverschulden offenbar ausgeschlossen war, musste es an Fireball liegen. Mit Argusaugen musterte sie den Japaner mit den dunkelbraunen, beinahe schwarzen Haaren. Bis es ihr endlich einfiel. Sie krabbelte näher zu Fireball hinüber und legte ihm behutsam die warme Hand in den Nacken: „Ist es dein Rücken, Matchbox?“

Aprils Finger strichen ihm gegen die Wuchsrichtung der Haare den Nacken entlang. Die Sorge in ihrer Stimme hatte sich nicht verheimlichen lassen, der erste Frust war schneller bei April verpufft, als er aufgekommen war. Plötzlich hatte April Angst, zu ungestüm mit Fireball umgegangen zu sein, in etwa so wie in Tokio nach Hiromis Beerdigung. Aber im Gegensatz zu gerade eben hatte er damals vor Schmerzen regelrecht aufgeschrieen.

Fireball atmete schwer aus und setzte sich aufrecht hin: „Schön wär’s. …Es ist was anderes.“

Spätestens jetzt war April mit der Situation überfordert. Wenn sie nicht Schuld daran war und Fireballs Rücken auch nichts damit zu tun hatte, was war es dann? Im ersten Moment hatte sich alles in April verkrampft, unabsichtlich hatte sie ihm dabei die Fingernägel in den Nacken gestoßen. Ihr behagte die Stille nicht, April hatte unglaubliche Angst, dass ihre Beziehung zu bröckeln begann, noch ehe sie richtig begonnen hatte. Fireballs Schweigen war schlimmer als hunderte von Schimpfworten es sein konnten. Die Blondine schluckte schwer. Sie musste gegensteuern, solange sie noch die Chance dazu hatte. Sie fasste sich ein Herz und schmiegte sich behutsam an Fireballs Rücken. Ihre Hand begann wieder zärtlich über seinen Nacken zu streicheln, während sie den Kopf auf seine Schulter legte und sich an ihn lehnte. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, als April weiter nachhakte: „Aber was ist es dann, Fireball? …Baby, rede mit mir, ich kann es nicht ertragen, dich so zu sehen.“

April brauchte nicht lange auf eine Reaktion zu warten. Fireball lehnte sich zurück, er lehnte sich mit dem Rücken gegen April und legte den Kopf in ihre Hand. Seine Hände suchten nach Aprils zweiter Hand und umschlossen sie schüchtern, als sie sie fanden. Die braunen Augen blickten traurig zur Decke. Auf seiner Haut konnte er Aprils Atem fühlen und endlich begann sich Fireball ein wenig zu entspannen. April war da und würde sich um ihn kümmern, so wie sie es gerade tat. Seine Süße würde an seiner Seite bleiben. Mindestens genauso leise, wie April zuvor nachgefragt hatte, begann Fireball zu sprechen: „Ich hasse es… Ich hatte früher nie Probleme damit, dir nahe zu sein und mit dir ein paar schöne Momente zu verbringen. Aber seit ich wieder fix in Yuma wohne, holen mich manche Phrasen deines Vaters wieder ein. Ich hasse es deshalb, weil es immer dann vorkommt, wenn ich es mir so sehr wünsche.“

Unweigerlich hatte sich April ein wenig aufgerichtet, aber gerade mal so viel, dass Fireball es bemerkte. Sie hielt nach wie vor seinen Kopf in ihrer Hand und spürte Fireball nahe bei sich. April konnte sogar fühlen, wie sich sein Brustkorb mit jedem Atemzug hob und wieder senkte. Der Rennfahrer war ihr so nahe, dass es April immer wieder beinahe den Atem verschlug. Diese wunderschöne Eintracht hatte nur den Haken, dass Fireball offenbar Worte ihres Vaters nicht zur Ruhe kommen ließen und ihm derart zu schaffen machten, dass er sie nicht einmal mehr küssen konnte. Die Blondine rückte ein Stück auf der Couch zurück, immer darauf bedacht, Fireball nicht fallen zu lassen. Behutsam zog sie ihn mit sich, bis sie sich mit dem Rücken gegen die Couch lehnen konnte. Fireball rutschte ein Stück an ihr hinab und kuschelte sich an sie. Sein Kopf lag auf Brusthöhe, als er ihn drehte und sie fragend mit seinen braunen Augen anblickte.

April senkte ihr blaues Augenpaar zu Fireball hinab und nickte kaum merklich. Sie verstand ihn, allerdings schien ihm die stumme Zustimmung noch nicht auszureichen. Deshalb erklärte April, während sie ihm immer noch die Kopfhaut krauelte: „Er hat dich schlecht behandelt, Fireball, ich weiß. Und er hat dir verboten, mich zu lieben. Aber das alles ist lange her. Daddy hat sich geändert. Er bereut es und wird sich in meine Angelegenheiten nicht mehr einmischen. …Versuch es zu vergessen und lass uns unser Leben leben, wie wir es wollen.“

Fireball schloss einen Moment lang die Augen. Es klang zu schön, um Wirklichkeit zu sein. Er liebte April, mehr als er es zu sagen im Stande war. Aber Commander Eagle. Der alte Herr von April warf einen derart langen Schatten über das Glück, dass Fireball alleine bei dem Gedanken daran alles verging. Und er konnte Aprils Worten keinen rechten Glauben schenken. Commander Eagle hatte es die letzten Jahre nicht geschafft, sich aus seinem und Aprils Leben herauszuhalten, wie sollte er es in Zukunft schaffen können? Fireball wusste sehr wohl, dass Charles eine wichtige Lektion in seinem Leben gelernt hatte, aber er bezweifelte, dass es für einen totalen Lebenswandel ausgereicht hatte. Fireball seufzte niedergeschlagen: „Woher weißt du das so sicher, Süße? Woher willst du wissen, dass er mir nicht gleich wieder eine runterhaut, wenn er erfährt, dass du dir mit mir das Bett teilst?“

Etwas hatte Aprils Aufmerksamkeit erregt. Sie setzte sich aufrechter hin und musterte Fireball mit großen, fragenden Augen. Hatte er eben wirklich ‚wieder’ gesagt? Die Ingenieurin kam zu dem Schluss, dass der junge Mann, der es sich auf ihrem Schoß gemütlich gemacht hatte und mit April ein vertrautes Gespräch führte, wie man es von einem Paar erwartete, ihr nicht alles erzählt hatte. Stirn runzelnd ließ April von Fireballs Haaren ab und legte beide Hände auf Fireballs Schultern. Mit einigem Druck strich sie ihm von den Schultern aus über die Arme und ermutigte ihn somit, ihr was zu erklären: „Ich weiß es, weil ich mit ihm gesprochen habe. Er hat seine Fehler eingesehen und mir erklärt, weshalb er so gehandelt hat. Teilweise kann ich ihn sogar verstehen, aber ich verzeihe ihm deswegen noch lange nicht alles. Bitte glaub mir, mein kleiner Fireball, du brauchst dir um Daddy keine Gedanken mehr zu machen. …Aber was heißt hier, wieder eine runterhauen?“

Fireball schmunzelte und schüttelte leicht den Kopf. April bekam aber auch alles mit. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er behaupten, sie hörte das Gras wachsen. Seine Hände begannen, an Aprils Oberschenkeln entlang zu streichen. Er fühlte sich geborgen bei der Blondine und langsam kam auch bei ihm wieder die Lust auf Zärtlichkeiten auf. April schilderte ihm sehr ausführlich, was sie mit ihrem Vater alles besprochen hatte, nachdem er ihr kurz erzählt hatte, wie es dazu gekommen war, dass Commander Eagle die Hand gegen ihn erhoben hatte.

Aprils Hände begannen immer wieder aufs Neue, Fireball über die nackte Haut zu streichen und zwar so leicht und zärtlich, dass der Japaner eine Gänsehaut davon bekam. Langsam richtete sich Fireball auf und drehte sich April zu. Er sah ihr tief in die Augen. Sie glänzten und leuchteten heller als alle Sterne dieser Galaxie zusammen. Er hatte sich so lange nach ihr gesehnt, so viel ihretwegen ertragen. Es hatte sich gelohnt. Alles hätte sich für diesen Augenblick gelohnt, auch dafür zu sterben. Fireball strich ihr die Haare nach hinten und küsste ihren Nacken.

Aprils Hände suchten den Weg unter Fireballs rotes T-Shirt. Sie zog den Japaner immer näher zu sich, spürte seine Lippen auf ihrer Haut. Nie im Leben wollte April aus diesem Traum aufwachen. Endlich, nach so langer Zeit und nach all diesen Entbehrungen und Achterbahnfahrten der Gefühle, war die Blondine endlich angekommen. Sie lag in den Armen des Mannes, den sie liebte. Dabei fiel April plötzlich ein, dass sie es Fireball nie gesagt hatte. Sie hatte ihm bis heute nicht gesagt, was sie für ihn empfand. Leise und mit Tränen in den Augen, hauchte April: „Ich liebe dich. Ich liebe dich, Shinji.“

Fireball sah einen Augenblick zu April auf. Sie hatte ihn bei seinem Namen genannt, und sie hatte ihn ganz bewusst genannt, wie Fireball feststellte. April liebte ihn wie er wirklich war, nicht bloß den ungestümen und dickköpfigen Feuerball, in den sie sich verliebt hatte. Die Blondine hatte gelernt, wer er war und sie hatte verstanden, dass sie ihn mit allen Schikanen bekam. Fireball wusste nicht, wie er reagieren sollte. Ihm schlug das Herz bis zum Hals und Aprils Anblick verbesserte die Lage nicht. Behutsam nahm er ihren Kopf in beide Hände und zog sie zu sich. Überglücklich flüsterte er: „Ai shiteru.“ Fireball gab April einen innigen Kuss.
 

Der Tag neigte sich langsam dem Ende zu, als er endlich seine Wohnungstür aufschloss. Abgekämpft, aber dennoch entspannt, ließ er Laura mit Matthew auf dem Arm durch die Tür treten, während er mit den Einkäufen und der Post nach ihr die Wohnung betrat und die Tür zufallen ließ. Er kickte die Schuhe auf den Boden und seufzte: „Wow, du bist beinahe so ausdauernd, wie April. Die kann innerhalb eines Tages drei Shoppingcenter leer kaufen, wenn sie Lust hat.“

Saber hatte den Nachmittag mit Laura verbracht und auf dem Nachhauseweg noch Matthew abgeholt. Wieder stand ein Wochenende vor der Tür, an dem der Vater seinen Jungen uneingeschränkt sehen durfte. Die kleine Asiatin mochte Rider junior, dessen Haare immer blonder wurden, je älter er wurde, unheimlich gerne. Sie hatte keine Probleme damit, sich am Wochenende auch mit Matt zu beschäftigen. Saber hatte sie ja mittlerweile beinahe jeden Tag.

Sie unternahmen viel zusammen und obwohl Laura das Angebot von Saber zuerst angenommen hatte, war sie noch nicht zu ihm gezogen. Sie hatte eine Nacht darüber nachgedacht und auch mit Fireball darüber gesprochen. Schlussendlich war sie zu der Entscheidung gelangt, den Schwertschwinger nicht in ein noch größeres Theater zu verwickeln, als er ohnehin schon hatte. Saber war nach wie vor noch nicht geschieden, weder er noch Synthia hatten bis jetzt die Scheidung eingereicht. Bei Saber war es einfach zu erklären, weshalb er das noch nicht getan hatte. Er war noch nicht bereit dazu, diesen Schritt zu setzen. Würde er die Scheidung einreichen, hätte die Beziehung zu Synthia überhaupt keine Chance mehr. Denn obwohl sie ihn so kühl und abweisend behandelte, hoffte Saber immer noch darauf, dass sie ihm irgendwann seine Fehler verzieh. Er hoffte alleine schon wegen Matthew darauf. Der blonde Recke wollte sein Kind in einer glücklichen Familie aufwachsen sehen und nicht, dass er herumgereicht wurde, von einem Stiefvater oder Stiefmutter zum nächsten. Und wenn Synthia mit Saber schon keine Beziehung mehr führen wollte, dann sollten sie sich zumindest in Frieden voneinander trennen und nicht um Kleinigkeiten streiten. Aber dazu war Synthia nicht bereit. Manchmal, wenn Synhtia alleine zuhause war, als Saber den Sohnemann abholen kam, versuchte sie ihn in unbedachte Aussagen hineinzureiten, die sie ihm später vorwerfen konnte, doch Saber besprach dann nur das Wichtigste mit ihr. Nein, er würde Synthia nicht die Chance geben, ihm noch mehr vorhalten zu können, egal welche Gefühle noch im Spiel waren. Es hatte dem blonden Highlander gereicht, dass sie sein Pflichtbewusstsein und seine detaillierte Auffassung einer Freundschaft zu einem Strick zusammengezogen hatte.

All das waren Gründe, weshalb das Verhältnis zwischen Saber und Laura immer noch mehr so etwas wie eine Freundschaft war, als eine Liebesbeziehung. Nicht, dass der Schotte die kleine Asiatin nicht attraktiv fand, oder ihre Art nicht atemberaubend, es war schlicht und einfach seine Reserviertheit, die er wegen der missglückten Beziehung mit Synthia hatte. Saber scheute sich noch davor, wieder eine Beziehung einzugehen, die Wunden, die ihm seine Frau zugefügt hatte, waren einfach noch viel zu frisch und er wollte Synthia keinen Anstoß für die Annahme der Untreue geben. Saber mochte viel sein, aber er war bestimmt nicht untreu.

Und Laura verstand das. Sie verstand es, ohne dass Saber es jemals erwähnt hätte. Sie schlugen einfach gemeinsam die Zeit tot, lernten sich dabei besser kennen und erfuhren von sich selbst immer wieder etwas mehr. Beide lernten voneinander. Saber bekam von Laura so klar vor Augen geführt, weshalb er manchmal nicht aussprechen konnte, was er fühlte und Laura lernte, was sie an Männern immer wieder magisch anzog. Und sie verbrachten viel Zeit zusammen, weil beide sonst alleine gewesen wären. Sie wollten weder Colt und Robin noch Fireball und April übermäßig stören, die alle viel Nachholbedarf hatten. Die einen bereiteten sich auf Familienzuwachs vor und verarbeiteten die letzte Mission, während die anderen beiden vor allem die Vergangenheit aufarbeiteten und versuchten, einen gemeinsamen Weg für die Zukunft zu finden.

Während Laura mit Matthew im Schlafzimmer verschwand und den kleinen Mann bettfertig machte, sah Saber kurz die Post durch. Es war ein herrlicher Tag gewesen und auch der Abend versprach erholsam und angenehm zu werden. Sie hatten mit Fireball besprochen, dass Laura erst am nächsten Tag wieder kommen würde, sozusagen als kleiner Hinweis für Fireball, dass April ohne weiteres über Nacht bleiben konnte und die beiden sich einen schönen Tag zu zweit machen sollten. Laura würde also bei Saber bleiben, die erste Nacht überhaupt, aber als gute Freundin, als mehr nicht. Zuvorkommend hatte er ihr das große Bett angeboten, er würde die Couch zu seiner Schlafstätte umfunktionieren.

Viel gab die Post an diesem Freitag nicht her, nur massenweise Flugblätter und zwei Briefe. Der eine entpuppte sich als Werbesendung, er war einfach nur persönlich adressiert worden. Der andere hingegen gab Nachrichten Preis, die sich der Säbelschwinger lieber gespart hätte. Unwissend hatte er das Kuvert aufgemacht und den Brief auseinander gefaltet. Er war vom Oberkommando. Saber fragte sich, weshalb er Post von seiner Arbeit nachhause geschickt bekam, wenn doch jeder Mitarbeiter für solche Fälle extra ein eigenes Postfach dort hatte. Der Briefkopf enthielt das Wort ‚Persönlich’ in dicken, schwarzen Lettern und Saber beschlich ein ungutes Gefühl. Deshalb war er nicht in sein Büro gebracht worden. Hastig überflog der Schotte den Text, wobei seine Mundwinkel immer weiter Richtung Boden zogen und die Laune damit gleich mitnahmen. Der Verteilervermerk enthielt die Namen seiner Freunde und den seines Vorgesetzten. Am nächsten Montag fand eine Anhörung vor dem Untersuchungsausschuss der Kavallerie statt. Saber stieß entmutigt die Luft aus und sank zusammen. Nicht nur seine Ehe ging in die Brüche, auch seine Karriere beim Oberkommando stand auf dem Spiel.

Kraftlos legte Saber den Brief auf den Küchentisch und stützte die Hände dort auf. Seine Freunde hatten auch eine Vorladung bekommen, doch nur Fireball, Commander Eagle und er würden tatsächlich aussagen müssen. April und Colt würden lediglich bei den Zuschauern sitzen und für knifflige Fragen, die drei verschiedene Antworten ergeben würden, gebraucht werden. Er würde seine Freunde an diesem Tag nicht mehr anrufen. Sie sollten den Tag in Ruhe ausklingen lassen, die Probleme würden ihnen ohnehin nicht davonrennen. Es reichte aus, wenn sie sich morgen zusammensetzten und sich gemeinsam einen Schlachtplan zurecht legten. Aber Saber wusste, einer würde bei dieser Anhörung nicht nur sein Gesicht, sondern auch seinen Job verlieren. Der Schotte hoffte, dass nicht er oder Fireball das sein würden. Weder der geschundene Rennfahrer noch er hatten sich Fehler geleistet oder den Regeln zuwider gehandelt. Missmutig klopfte Saber auf den Tisch, er hatte Fireball nicht schikaniert oder ihn unehrenhaft rausgeworfen!

Als Laura mit Matt auf dem Arm wieder aus dem Zimmer kam, zerknüllte Saber den Brief und warf ihn quer durchs Zimmer. Sofort erklärte er Laura seinen kleinen Ausbruch: „Ich kann mir ab Montag einen neuen Job suchen. Das Oberkommando hat einen Untersuchungsausschuss wegen der Sache mit Shinji einberufen. Wenn Aprils Vater nicht fliegt, und das wird er nicht, wie ich befürchte, flieg ich achtkantig. Es kommt auch wirklich immer alles faustdick, wenn es kommt.“

Laura setzte Matthew auf die Spieldecke im Wohnzimmer und hob den zusammengeknüllten Brief auf. Sie hob ihn in Sabers Richtung: „Darf ich?“

Mit einem Nicken gestattete er der Freundin, den Brief zu lesen, was diese kurz darauf auch tat. In den Text vertieft, setzte sich Laura auf das Sofa. Bestimmt dreimal las sie den Text von Anfang bis Ende, ehe sie den Kopf schüttelte. Die schwarzhaarige Rechtsanwaltsgehilfin fand schließlich ermutigende Worte für den Schotten: „Wenn dieser Ausschuss wirklich so unabhängig arbeitet, wie ich vermute, wird er gerecht entscheiden. Und sonst: Fechtet die Entscheidung an. Ich kenn da einen guten Rechtsanwalt, der schon darauf brennt, Missstände im Oberkommando aufzudecken.“

Laura lachte leise. Tatsächlich war ihr neuer Arbeitgeber jemand, der mit Vorliebe für benachteiligte Arbeitnehmer großer Organisationen arbeitete. Sein Ruf als schärfster Anwalt des neuen Grenzlandes war diesbezüglich gerechtfertigt und nicht so übertrieben, wie er klang. Laura hatte schon nach wenigen Arbeitstagen herausgefunden, dass sie als Assistentin dieses Anwalts, einiges aushalten musste und mindestens genauso engagiert arbeiten musste, wie ihr Boss. Bis jetzt, so zumindest ihr Chef, hatte es noch keine länger als ein halbes Jahr bei ihm ausgehalten. Aber Laura hatte nicht vor, die Flinte frühzeitig ins Korn zu werfen. Keck hatte sie ihm erklärt, was sie schon alles erlebt und gesehen hatte und dass sie kein Püppchen war, auch wenn sie wie eines aussah, mit ihrem dezent geschminktem Gesicht und den dunkelroten Lippen.

Sie klopfte mit der flachen Hand auf das Sofa und lotste Saber so zu sich. Er sollte sich setzen, es machte sie nervös, wenn er im Wohnzimmer stand und von einem Bein auf das andere trat. Ein kurzer Blick in Sabers Gesicht genügte der Japanerin, um zu wissen, wie groß seine Sorgen und Ängste im Augenblick tatsächlich waren. Gedanklich ging der Anführer des Team Ramrod nämlich schon die diversen Stellenanzeigen in Zeitungen durch und hoffte, dass sein Erspartes ihn über einige Monate ohne Arbeit retten würde.

Dankbar für die Hilfe und die mitfühlenden Gesten seines Gastes, setzte sich Saber neben Laura. Für ihn war der Abend gelaufen. Saber ließ die Schultern fallen und stützte mutlos die Arme auf den Oberschenkeln auf. Sein Blick fiel auf Matthew, als er traurig murmelte: „Alles, was ich jemals wollte, war ein normales Leben. Ich wollte ein guter Vater, Ehemann und Arbeitskollege sein, aber nichts davon war ich.“

Laura verstand, was Saber damit ausdrücken wollte. Sie hatte genug aus der Vergangenheit der vier Star Sheriffs gelernt und auch gehört um es zu verstehen. Der Recke war immer der große Bruder an Board gewesen, nur selten der strenge kommandierende Offizier. Als aufgekommen war, was alles hinter seinem Rücken passiert war, ohne es zu bemerken, hatte Saber sofort angefangen, sich für alles verantwortlich zu machen. Und Laura wusste, Fireballs Beteuerungen, dass Saber keine Schuld daran traf, hatte dem Säbelschwinger nicht geholfen. Vielleicht, so schob sich der Gedanke kurz durch Lauras Bewusstsein, würde ein gerechtes Urteil dieses Untersuchungsausschusses, den Schuldgefühlen des Highlanders ein für alle Mal den Garaus machen.

Lauras dunkle Augen blinzelten Saber kurz an. Sie ließ sich seine Worte noch einmal durch den Kopf gehen. Die kleine Frau konnte seine Aussage überhaupt nicht nachvollziehen. Denn weder das, was sie mit Saber erlebt hatte, noch das, was sie von Fireball erzählt bekommen hatte, deckte sich mit Sabers Worten. Sie entkräftete seine Zweifel, in dem sie Saber sanft in ihre Arme schloss und flüsterte: „Ein Star Sheriff wird niemals ein völlig normales Leben führen, Saber. Keiner von euch. Aber ihr alle könnt versuchen, euch ein Stück Normalität zu bewahren. Du warst und bist ein guter Vater, mehr noch als du ein guter Vorgesetzter warst. Shinji und die anderen können sich glücklich schätzen, so einen guten Freund wie dich als ihren Vorgesetzten gehabt zu haben.“

Sie konnte alles entkräften, nur seinen eigenen Vorwurf kein guter Ehemann gewesen zu sein, nicht. Immerhin war die Ehe gerade in die Brüche gegangen und Laura wusste aus Erfahrung, dass am Scheitern einer Beziehung niemals ein Partner alleine Schuld hatte. Das hatte sie bei April und Chris gesehen, wo sich alles bis zum großen Knall aufgestaut hatte und auch bei sich selbst und Shinji vor so vielen Jahren. Vielleicht, so kam Laura mit den nötigen Jahren Abstand zu dem Schluss, hätte ihre Beziehung länger gehalten, wenn sie den jungen Polizisten eher verstanden hätte und ihm einen Teil der schweren Last abgenommen hätte. Aber dazu war Laura nicht in der Lage gewesen, mit knapp sechzehn Jahren hatte sie nicht einmal ihr eigenes Leben auf die Reihe bekommen, wie hätte sie Shinji davon überzeugen können, dass Haruto nicht durch seine Schuld gestorben war? Dieses Defizit hatte Laura in späterer Folge ohnehin ausgebessert, nachdem sie Fireball auf dem Friedhof aufgelesen hatte.

Saber war der Appetit durch den Brief gründlich vergangen, weshalb das Abendessen ausfiel. Kurz nach Sonnenuntergang steckten die beiden Matt ins Bett und verbrachten den restlichen Abend vor dem Fernseher. Sie schwiegen, aber es war kein unangenehmes Schweigen. Zumindest empfand es Saber nicht als solches. Denn Laura strahlte so viel Ruhe und Sicherheit aus, dass es Saber beinahe den Verstand raubte. Er konnte mit jedem Tag ein bisschen besser verstehen, weshalb Fireball die kleine Rechtsanwaltsgehilfin so unheimlich gern hatte und ihr damals geholfen hatte, den Weg in ein normales Leben zu finden.
 

„Ich hoffe für dich, dass du einen guten Grund hast, mich am Vormittag schon zu dir zu beordern, Boss!“, Colt trat in die Wohnung des blonden Recken. Der Kuhtreiber kannte die Wohnung bereits zur Genüge, er hatte sie mit Saber zusammen eingerichtet, wieder einmal. Sein Freund und Boss hatte ihn vor einer guten halben Stunde beim Frühstück angerufen und ihn gebeten, her zukommen und zwar ohne Robin. Das erklärte, weshalb Colt eine Fratze zog, die jeden Teufel vor Neid erblassen hätte lassen.

Im Gegenzug dazu hatte Saber Laura und seinen Sohne zu Robin auf die Ranch ausquartiert, zumindest für diesen Tag. Er lenkte und schob Colt vom Vorhaus ins Wohnzimmer und drückte ihn auf das Sofa: „Der Grund ist erstens sehr gut und zweitens eine mittelschwere Katastrophe, sonst würde ich dein Wochenende nicht stören, Colt.“

Saber bot seinem Gast etwas zu trinken an und räumte anschließend das Frühstücksgeschirr ab, das noch auf dem Wohnzimmertisch gestanden hatte. Unachtsam stellte er es in die Spüle und brachte Colt ein Glas Saft, das er genau vor ihm platzierte: „Wohl bekomm’s, Colt.“

Doch der Kuhtreiber hatte ein anderes Thema, das er besprochen wissen wollte. Der gute Colt war weder blind noch blöd, was er als Scout auch nicht hätte sein dürfen, und so war ihm aufgefallen, dass beim Frühstücksgeschirr etwas nicht war, wie man es von einem Singlehaushalt erwartete. Colt schob sich den Hut aus der Stirn und grinste verschmitzt: „Entweder fängt dein kleiner Spross schon verdächtig früh an, Kaffee zu trinken, und das auch noch aus einer Tasse, oder du hattest Gesellschaft.“

„Und wenn’s so war, Colt, was wäre daran so schlimm?“, Saber setzte sich neben seinen Freund und sah ihn herausfordernd an. Der Highlander war gespannt, wie Colt auf diese Provokation reagieren würde. Diese kleine Ablenkung kam ihm gerade recht, denn im Vergleich zu seinem Gast hatte Saber in dieser Nacht nicht ruhig geschlafen. Die schlimmsten Szenarien hatte er sich schon ausgemalt und alles konnte davon am nächsten Montag tatsächlich passieren.

Colt hob sein Saftglas zwar an, aber er trank nicht daraus. Lieber drehte er seinen Oberkörper zu Saber und lachte ihm geradewegs ins Gesicht: „Nö, daran wäre gar nichts schlimm. Musst ja nicht wie ein asketischer Einsiedler leben, nur weil Synthia dich abgeschrieben hat.“

Saber war dankbar für das erneute Klingeln an der Tür. So musste er Colt wenigstens nicht mehr beachten und auch keine Antwort auf dessen dämliche Feststellung geben. Er stand also auf und öffnete seine Wohnungstür ein weiteres Mal.

„Zeit wird’s, dass ich meine Fahrerlaubnis wieder bekomme!“, Fireball drängte sich kopfschüttelnd an Saber vorbei in die Wohnung, ohne seinem Freund einen guten Morgen zu wünschen. Er war ein bisschen blass um die Nase.

Ganz anders April. Deren Gesichtsfarbe war knapp vor einem gepflegten Dunkelrot. Sie umarmte Saber kurz und erklärte ihm empört: „Ein verhinderter Rennfahrer ist der schlimmste Beifahrer, den man sich vorstellen kann. Nachhause kann er laufen, oder ich muss ihn knebeln.“

Aus dem Wohnzimmer kam die gedämpfte Stimme ihres Freundes zurück: „Da laufe ich lieber, will ja schließlich lebend zuhause ankommen, Süße!“

Saber schloss verwundert die Tür hinter sich und begleitete April ins gemütliche Wohnzimmer. Er brachte den beiden noch etwas zu trinken, ehe er sich selbst setzte. Colt unterhielt die beiden Neuankömmlinge in der Zwischenzeit: „Ihr benehmt euch schon wie ein altes Ehepaar, zu süß einfach!“

Fireball lehnte sich neben Colt zurück und verschränkte die Arme im Nacken. Mit dem gewohnten Temperament und der entsprechenden Laune dazu, schilderte er dem Kuhhirten und dem Säbelschwinger seine Nöte mit dem weiblichen Geschlecht: „Frauen gehören einfach nicht hinter das Steuer eines Autos. Laura schneidet laufend den Verkehr und April brettert überhaupt bei Rot über die Kreuzung! Sogar du fährst besser als das kleine Superhirn da drüben, Cowboy.“

Colt kratzte sich an der Nase und sah zu April hinüber. Spaßeshalber entschied er sich, Partei für April zu ergreifen. Er konterte laut lachend: „Wir alle sind bis jetzt unfallfrei im Verkehr unterwegs gewesen, Matchbox. Aber soweit ich mich erinnere, hattest du schon einige…“, Colt machte ein kurze Pause und begann, mit Hilfe seiner Finger aufzuzählen: „Eine Klippe bist du hinuntergestürzt, unzählige Dreher und Verbremser waren dabei, Reifenpannen auch und last but not least ist dir schon ein Baum im Weg gestanden. Und du willst uns was von Sicher Autofahren erzählen? Komm schon, Niki Lauda, eine Fahrschule dürftest du keine eröffnen, dürftest du nicht!“

„Bis auf die alte Kiefer waren das alles Arbeitsunfälle, Freundchen!“, Fireball lachte munter auf, ebenso wie seine Freunde.

April strich sich die Augenbrauen zurecht und schüttelte den Kopf. Sie war froh, Fireball mit seinen Freunden darüber lachen zu sehen, denn Colts Scherz hätte auch ins Gegenteil umschlagen können und ihn wieder unglücklich darüber machen können. Aber das war nicht geschehen, Fireball fand seinen Spaß daran, das Fahrverhalten seiner Freunde zu bekritteln. April lachte: „Trotzdem. Wenn du auf der Heimfahrt nicht den Mund hältst und mich fahren lässt, wie ich fahre, lass ich dich aussteigen und nachhause laufen. Solange du keine Fahrerlaubnis hast, wirst du das Autofahren gefälligst denen überlassen, die einen solchen Papierfetzen haben, Matchbox.“

Fireball lachte immer noch herzlich. Er kniff die Augen zusammen und fuhr sich mit den Händen kurz darüber, um die Lachtränen wegzuwischen, als er bierernst zur Antwort gab: „Gut, dann geh ich gleich Montag früh zu Dr. Perry und hau ihn um eine Gesundschreibung mit allem Drum und Dran an.“

„Verschieb’s auf Dienstag, Fireball. Montagvormittag hast du schon was vor.“, Saber zog verstimmt die Augenbrauen zusammen. Aber er war nicht verstimmt über Fireballs Aussage, nein, er war verärgert über den Termin, dem sie am Montag beiwohnen mussten. Und wie er festgestellt hatte, war die Laune seiner drei Freunde so übertrieben gut an diesem Samstagvormittag, dass sie den Brief entweder noch gar nicht bekommen hatten, oder ihn noch nicht gelesen hatten. Vorsichtig tastete sich Saber deshalb an das Thema heran, als er den fragenden und verständnislosen Blick von Fireball auffing: „Ihr habt nicht zufällig Post vom Oberkommando erhalten?“

Colt blickte ausweichend zur Decke, er überlegte fieberhaft, ob er in der Post was übersehen hatte. Nachdem er alle Möglichkeiten durchgedacht hatte, sah er Saber mit hochgezogenen Augenbrauen an und schüttelte den Kopf. Seine Mundwinkel verzogen sich dabei leicht: „Nope. War nichts vom Oberkommando dabei. Weder in der Arbeit noch daheim.“

Das war eine kleine Lüge gewesen, denn Colt hatte bestimmt die letzten vierzehn Tage nicht mehr in sein Postfach im Oberkommando geschaut, weil es ohnehin immer leer war. Aber Saber musste ja nicht alles gleich wissen. Er würde später ohnehin erklären, weshalb er das fragte.

April schüttelte ebenfalls den Kopf. Sie kratzte sich verlegen hinterm Ohr: „Wenn was dabei gewesen ist, dann bestimmt gestern und ich war den ganzen Tag nicht zuhause. Keine Ahnung, ob was gekommen ist.“

Und auch Fireball enttäuschte die Hoffnungen seines Freundes. Er setzte sich endlich wieder aufrecht hin und hatte die Ohren gespitzt. Sein Instinkt verriet ihm, dass Saber unangenehme Post erhalten hatte. Erstens würde er sonst nicht fragen, ob sonst noch jemand einen Brief bekommen hatte und es wären Laura und Robin auch anwesend. Naserümpfend stellte sich Fireball auf Nachrichten von Allan ein. Fireball fuhr sich mit der flachen Hand über das Kinn und verneinte ebenfalls Sabers Frage: „Bis ich persönliche Post auf die neue Adresse zugestellt bekomme, wird’s wohl noch einige Wochen dauern. Wenn die vom Oberkommando auch was an mich geschickt haben, ist es nach Japan gegangen.“

Seufzend erhob sich Saber. Wohl oder übel musste er ihnen sein Exemplar zeigen. Der Schotte verwettete alles, was er besaß, dass Colt die Post einfach nur nicht durchgesehen hatte. Der Scharfschütze war in der Beziehung nachlässig und hätte er Robin nicht, die den Papierkram einmal die Woche für ihn aufarbeitete, würden sich die Rechnungen und Mahnungen bei Colt stapeln. Dem frisch zueinander gefundenen Pärchen glaubte Saber zwangsläufig. Mit seinem verunstalteten Exemplar kehrte er zu seinen Kollegen und Freunden zurück und legte es offen auf den Tisch. Sie sollten selbst lesen, bevor er sich den Mund fusselig quatschte.

April hob das Papier prüfend vom Tisch und streckte es so weit wie möglich von sich. Der Brief war alles andere als fein säuberlich gefaltet worden. Hatte Matthew den Zettel etwa zwischen seine kleinen süßen, aber alles vernichtenden, Fingerchen bekommen? Tatsächlich, der Absender war das Oberkommando, das Datum das von Vorgestern und der Brieftext an sich ziemlich lange. Sie legte den Brief wieder auf den Tisch und begann ihn vor Fireball und Colt zu lesen. Ihr Gesichtsausdruck war zuerst neugierig, doch dann verfinsterte er sich zunehmend. Bis sie das Papier schließlich von sich stieß und eingeschnappt die Arme vor der Brust verschränkte: „So eine Sauerei!“

Colt und Fireball hatten gespannt abgewartet, was April solche Falten auf die Stirn trieb. Als sie den Brief zum Weiterreichen freigab, schnellten zwei Hände auf den Tisch hervor. Colt war schneller, weil er näher saß, und deshalb riss er Fireball den Brief vor der Nase weg: „Pech gehabt, Rennsemmel. Zuerst bin ich dran. Übe dich in Geduld, das ist eine Tugend, die dir ohnehin gänzlich fehlt.“

Empört schob Fireball die Unterlippe vor und keifte: „Dir fehlen noch ganz andere Tugenden! Aber bitte: Alter vor Schönheit.“

Saber und April sahen sich kurz ungläubig an, dann schweiften ihre Blicke auf die zwei Streithähne. Als ob nie was gewesen wäre! Fireball und Colt benahmen sich, als ob die letzte Schlacht nie geschlagen worden wäre. Es war unglaublich. Ob auch Saber und April wieder nahtlos an alte Zeiten anknüpfen konnten?

Kurz war es still in der Wohnung. Bis Colt das Schreiben energisch von sich stieß und es Fireball in die Hände drückte. Er brummte: „Das willst du gar nicht lesen. Aber du musst.“

Der Rennfahrer überflog das Schreiben nur ganz kurz. Sein Schmollmund wurde dabei immer größer und wäre die Situation nicht so ernst geworden, wäre Colt vor Lachen weg gebrochen. Der junge Pilot zerknüllte das Blatt und warf es über die Schulter nach hinten. Er sah jeden einzelnen kurz an, dann platzte es aus ihm heraus: „Der miese kleine Verräter!“

Saber, der eine Nacht Vorsprung zum Verdauen der Hiobsbotschaft hatte, war der ruhigste in der Runde. Er verschränkte ebenfalls die Arme vor der Brust, überschlug die Beine und begann, auf seinem Platz leicht nach vor und zurück zu wippen. Leise begann er: „Irgendwelche Vorschläge, wie wir uns da rausmogeln?“

In Sabers Worten versteckten sich der Ernst und die Sorge sehr gut, aber er hatte auch nicht gelogen. Sie mussten sich tatsächlich irgendwie da rausmogeln, wenn sie ihre Jobs behalten wollten. Einer würde zu hundert Prozent fliegen und das auch noch ziemlich unschön, wenn die Kommission mit ihnen fertig war.

Fireball machte als erstes einen Vorschlag. Er wusste, wer den Ausschuss einberufen hatte und dieser jemand hatte ihm auch gesagt, dass er zu keinen Antworten gezwungen werden konnte. Bedächtig stand er auf. Wie immer, wenn die derzeitige Lage abzurutschen drohte, brauchte Fireball Bewegung. Und mittlerweile war er wieder ziemlich beweglich. Die Krücken hatte er aus Tokio gar nicht mitgenommen, er brauchte die grauen Gehhilfen nicht mehr. Ihm ging es wieder so gut, dass er immer öfter mit dem Gedanken spielte, sich wirklich gesundschreiben zu lassen und sofort um eine Fahrerlaubnis und auch wieder um eine Rennlizenz anzusuchen. Es juckte ihn nach so langer Zeit ungeheuer, endlich wieder einen Wagen zu steuern, deshalb wurde er von Tag zu Tag ein schlechterer Beifahrer, wie April an diesem Vormittag deutlich zu spüren bekommen hatte. Während er also im Wohnzimmer umhertigerte, meinte er: „Nicht hingehen, geht gar nicht. Aber wir können uns in Schweigen hüllen.“

„Das kann zu unserem Nachteil gedeutet werden, Fireball.“, Saber schüttelte frustriert den Kopf. Aber er hatte Verständnis für die Ansichten des kleinen Japaners. Sicherlich wäre es angenehmer gewesen, gar nichts zu den Anschuldigungen zu sagen, aber da gab es nicht nur das Problem, dass die Aussagen im Prinzip bereits in Papierform existierten, sondern auch, dass ihr Schweigen ein großer Vorteil für Aprils Vater gewesen wäre, der dann nur seine Version erzählen müsste und nie durch andere Argumente aus dem Gleichgewicht oder ins Wanken geraten konnte. Sabers Augen suchten einen fixen Punkt im Raum, den er ohne weiteres länger ansehen konnte. Sachlich entkräftete er Fireballs Argument mit den genannten Gründen und überlegte weiter: „Nichts sagen und nicht hingehen scheiden also de facto aus. Dann bleibt eigentlich nur noch die Frage, was wir sagen.“

Dieses Mal war es Colt, der einen Vorschlag zur Güte hatte. Energie geladen und Feuer und Flamme für seine Idee, erhob Colt die Stimme: „Die Wahrheit!“

Die Idee war so einfach wie genial gewesen, das war allen anderen auch klar. Aber auch die Wahrheit war nicht hilfreich in diesem Fall. Es würde mehr Fehler der Star Sheriffs aufdecken, als die von Commander Eagle. April verzog nachdenklich das Gesicht. Ihre Blicke wanderten immer wieder zu Fireball, der bald Kilometergeld verlangen konnte, wenn er weiterhin so auf und ab rannte. Aber ihre Gedanken waren auch bei ihrem Vater. Würde ihr Vater seinen Posten als Commander verlieren? April wurde bei dem Gedanken daran ganz anders. Aber sie wollte auch nicht, dass einer von ihnen die Stelle an den Nagel hängen musste. Am besten für alle Beteiligten wäre, wenn es zu keiner Anhörung kommen würde. Dafür allerdings hätten sie früher gegensteuern müssen, wie April verbittert bemerkte. Hätte sich doch nur alles früher klären lassen, dann könnten sie sich die neuerlichen Schwierigkeiten sparen!

Unvermittelt blieb Fireball neben seinen Freunden stehen. Er legte April seine Hand zaghaft auf die Schulter. Neben anderen Zärtlichkeiten auszutauschen war nach wie vor Neuland für Fireball, die Japaner waren in der Hinsicht ohnedies unterkühlter als andere. Er biss sich kurz auf die Lippen und raunte: „Ganz ehrlich, Leute? Ich will weder noch.“

Colt rückte mit seinen vier Buchstaben bis an die Kante der Couch vor und legte die Arme auf die Schenkel. Mit starrem Blick musterte er Fireball. Minutenlang war kein Vorschlag mehr gefallen und die einzigen beiden, die sie hatten, kamen für Fireball nicht in Frage. Colt verstand den Spund nicht. Warum nur gab er sich nie mit etwas zufrieden?

Was Colt dabei nicht aufgefallen war, Saber und April aber sehr wohl, war der bedrückte Blick des Rennfahrers. Der Schotte hatte sofort verstanden, dass Fireball keine Vorschläge, sondern die möglichen Urteile mit seiner Aussage gemeint hatte. Der Japaner war auch viel zu gut für diese Welt, wie es Saber durch den Kopf schoss.

April sah Fireball fragend an, wagte es aber nicht, ihn zu fragen, was er meinte. Mit einem tapferen Lächeln streichelte er ihre immer noch roten Bäckchen und murmelte: „Ich will weder, dass einer von uns, oder in dem Fall einer von euch, vom Oberkommando rausgeworfen wird, noch will ich, dass deinem Herren Papa so ein Schicksal blüht.“, Fireball sah Colt und Saber entschlossen an: „Also behaupte ich, wir überlegen uns, was wir von der Wahrheit erzählen und was wir uns sparen.“

Colt schüttelte ratlos den Kopf. Manchmal hatte er das Gefühl, bei Fireball war mehr als nur das Kreuz kaputt gegangen. Jeder andere hätte Commander Eagle dafür zur Schnecke gemacht, nur der kleine Japaner wieder nicht! Dem Kuhhirten drängte sich der Verdacht auf, dass Fireball rationaler und ohne Beeinträchtigung durch seine Gefühle darüber dachte, als sonst jemand in diesem Raum. Er musste einfach eine Lektion in seinem Leben gelernt haben, die die anderen noch nicht lernen mussten. Schulter zuckend beließ es Colt dabei und schenkte Fireball diesbezüglich einfach blindes Vertrauen. Er würde schon wissen, was er tat.

Mit neuerlich gewonnener Zuversicht überdachten alle vier ihre Aussagen, erklärten den anderen, was sie bei Allan erzählt hatten und entschieden sich mehrheitlich dafür, die Sache zwischen April und Fireball generell außen vor zu lassen. Würden dennoch Fragen zu einer angeblichen Liebelei gestellt werden, so konnten sie immer noch ausweichen und etwas von einer undefinierbar guten Freundschaft erzählen. Es war allen wichtig, bei dieser Anhörung am Montag möglichst gut auszusteigen, aber immer behielten sie dabei im Hinterkopf, dass nach Möglichkeit der Commander seinen Posten ebenso behielt.

Irgendwann hatten die vier angefangen, eine Liste zu schreiben, mit Punkten, die sie schonungslos ehrlich vor den Ausschuss rezitieren würden und Dingen, die unter dem Deckmäntelchen des Schweigens verschwinden würden. Die Liste wurde immer länger, bis sie irgendwann nach Einbruch der Dunkelheit davon überzeugt waren, es irgendwie hinzubekommen.

Kraftlos und schon mehr schlafend als wach machten sich Colt, Fireball und April spät abends auf den Nachhauseweg. Die Blondine zog es vor, bei sich zu schlafen, sie hatte die Befürchtung, dass sie neben Fireball im Bett kein Auge zubekommen würde. April setzte Fireball bei sich zuhause ab und fuhr dann zu sich ins Appartement. Colt fuhr nachhause und wollte eigentlich Laura dann bei Fireball abliefern, aber als er zuhause ankam, schliefen Robin und die kleine Asiatin bereits. Sie waren bei laufenden Fernseher eingeschlafen, augenscheinlich waren die zwei kleinen Kinder anstrengender gewesen, als üblicherweise. Colt seufzte und sattelte auf Plan B um. Es würde keinem mehr was helfen, wenn er Laura aufweckte und sie auf Biegen und Brechen aus dem Haus schaffen wollte. Schmunzelnd packte Colt zuerst seinen kleinen Gast und trug ihn ins Schlafzimmer, nachher nahm er seine zierliche Frau auf den Arm und brachte sie ins Bett.
 

Den Tag vor der Anhörung nutzten die vier Star Sheriffs getrennt voneinander. Jeder bereitete sich auf seine Weise auf den nächsten Tag vor, den niemand erleben wollte. Die Nacht war dank des langes Abends für alle erholsam gewesen.

Saber war so einsam in seiner Wohnung wach geworden, wie er eingeschlafen war. Das Aufwachen, alleine in einem Bett, war für Saber mitunter das Schlimmste an der Trennung von Synthia. Es war immer ein wunderschönes Gefühl gewesen, neben der Frau, die er liebte, morgens wach zu werden und in den Tag zu starten. Alles war ihm leichter gefallen, bis zu dem Tag, an dem Synthia ihn nicht mehr bei sich haben wollte. Mit diesen trübsinnigen Gedanken schwang Saber die Beine aus dem Bett und setzte sich auf. Er reckte sich der Sonne entgegen und stapfte in die Küche. Ohne eine Tasse Kaffee würde er gar nichts machen. Mit einer großen blauen Tasse stand Saber kurze Zeit später auf seinem kleinen Balkon und blickte in den Tag. Seine Gedanken kreisten um seine nicht allzu rosig aussehende Zukunft. Was der morgige Tag wohl bringen würde? Wann würde Synthia zum finalen Schlag ausholen und die Scheidung einreichen? Würde sie versuchen, ihm Matthew wegzunehmen? Und wie würde sich das Verhältnis zu Laura weiterentwickeln?

Der Vormittag lief für Sabers Geschmack viel zu ruhig ab. Es war das erste Wochenende ohne Matthew. Und das fiel dem Schotten sofort auf, alles war ganz anders, wenn sein Kind bei ihm war. Saber ertappte sich dabei, wie Matt ihn immer wieder aufheiterte, ihn aus seinen kleinen Krisen, die er doch regelmäßig in letzter Zeit auspackte, riss und ihm neuen Mut und neue Lebenslust schenkte.

Er zog sich gerade die Jacke über und wollte aus der Wohnung gehen, um Laura und Matthew bei Colt auf der Ranch abzuholen, als ihm die beiden aus dem Treppenhaus entgegenlächelten. Erstaunt hielt Saber in seiner Bewegung inne, für einen kurzen Moment hatte es ihm den Atem verschlagen.

Laura hielt Matt auf dem Arm und schunkelte ihn leicht. Dieser quiekte vergnügt auf und hielt sich mit den kleinen Händchen in Lauras Bluse fest. Der Kopf der zierlichen Frau senkte sich auf Matthew hinab, als sie in einem angenehmen Tonfall mit ihm sprach: „Siehst du, Matt. Dein Papa hat dich schon vermisst.“

Lauras Blick war dabei so liebevoll, als wäre es ihr eigenes Kind. Saber schluckte bei diesem Anblick, er versuchte, den Gedanken zu verdrängen, der sich in den Vordergrund schob. Sie wäre ein gute Mutter für Matthew. Sie würde ihm nie das Gefühl geben, das Kind einer anderen Frau zu sein, sollte er mit ihr aufwachsen. Unweigerlich erschrak Saber bei seinen eigenen Gedanken. Erwog er ernsthaft, Synthia das gemeinsame Kind wegzunehmen? Nein! Er selbst wollte ja auch nicht, dass ihm sein Sohn entzogen wurde, Synthia sollte das genauso erspart bleiben. Blinzelnd musterte er Laura und Matt noch einmal. Nein, wahrhaftig. Diesen Anblick würde Saber nie wieder aus seinem Gedächtnis streichen können, denn es verkörperte in diesem Moment alles, was er sich so sehr wünschte aber nicht haben konnte. Eine glückliche, kleine Familie. Die Szene hatte was von einem Sonntagsspaziergang. Wehmütig erinnerte sich Saber an seine eigene, behütete Kindheit. Eduard und Mary, seine Eltern, waren jeden Sonntag mit ihm rausgegangen, egal bei welchem Wetter. Sie hatten immer was zusammen unternommen. Es waren schöne Erinnerungen, aber auch hier trübte die Gegenwart die Idylle von damals. Saber musste seinen Eltern erst noch beichten, dass er als Ehemann versagt hatte.

Saber streifte seine Jacke zurecht und trat aus der Wohnung. Die Tür ließ er zufallen. Der Schotte nahm Laura sachte an der Schulter und drehte sie wieder Richtung Ausgang. Sanft strich er ihr über den Rücken und erklärte: „Lass uns noch ein wenig an die frische Luft gehen und den Tag genießen.“

Laura nickte und setzte sich zaghaft in Bewegung. Ihr war sein Blick nicht entgangen und Laura fragte sich, was er zu bedeuten hatte. Hatte sie etwas falsch gemacht, weil sein Blick immer trauriger geworden war, seit er die Tür aufgemacht hatte? Aber auf der anderen Seite stand diese kleine, unglaublich schöne Geste. Er hatte ihr nie zärtlich den Rücken gestreichelt, oder etwas in der Art. Begann sich Saber für sie zu interessieren, oder brauchte er selbst Trost? Sie umschloss den strampelnden Rider junior etwas fester, damit er ihr nicht entkommen konnte und ging neben Saber die Treppen wieder hinunter.
 

Der Gast war gleich nach dem üppigen Sonntagsfrühstück aus dem Haus verschwunden und Familie Wilcox war wieder unter sich. Colt hatte, sofort nachdem er das Geschirr vom Frühstückstisch in die Küche getragen hatte, die Post durchwühlt. Er suchte nach dem Brief vom Oberkommando, der sich auch tatsächlich in der Post fand. Mit eingezogenem Kopf hielt er das Kuvert in Händen und keuchte: „Au Backe!“

Er hatte Saber also diesbezüglich eiskalt ins Gesicht gelogen, dabei hatte er nur die Post nicht richtig durchgesehen. Ungestüm riss er das Kuvert auf und vergewisserte sich mit kurzen Blicken, ob das tatsächlich der selbe Schrieb war, den er bei Saber am Vortag schon gesehen hatte. Mit einem unbehaglichen Gefühl schlich er anschließend durch das Haus, den Brief fest in seiner rechten Hand. Robin stand gerade im Gästezimmer und machte das Bett. Vorsichtshalber räusperte sich Colt, ehe er anfing: „Hast du mich auch noch lieb, wenn ich kein Star Sheriff mehr bin, Schatz?“

Lachend drehte sich Robin zu Colt um, während sie die Bettdecke aufschüttelte. Ihre Augen blitzten neckisch auf: „Dann liebe ich dich erst recht, Cowboy!“

Als ihr aber auffiel, wie bedrückt Colt wirkte, hielt sie inne. Abschätzend, wie schlimm es sein konnte, verharrte Robin einige Augenblicke in dieser Position, ehe sie die Bettdecke achtlos fallen ließ und auf Colt zuschritt. Sie schlang ihre Arme um den Cowboy und hob den Blick zu ihm empor. Liebevoll und warmherzig klang ihre Stimme: „Ich liebe dich, Colt, egal, was du beruflich machst.“

Erleichtert seufzte Colt. Wenigsten diese Befürchtung löste sich in Wohlgefallen auf. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte er geglaubt, Robin würde ihn weniger lieben, wenn er nicht mehr das täte, was er immer getan hatte. Obwohl es äußerst unwahrscheinlich war, dass er seinen Job morgen verlieren würde, stellte sich Colt auf Jobsuche ein. Er hatte sich am Vorabend noch geschworen, sollte einer von ihnen seinen Job verlieren, würde er aus Solidarität und Freundschaft gleich mitkündigen. Er würde mit Ramrod nirgends hinfliegen, wenn sie nicht das alte Team auf Reise schickten!

Colt drückte Robin an sich, behutsam, aber dennoch fordernd. Er liebte es, sie nahe bei sich zu spüren, wie sich ihr Körper an seinen schmiegte. Noch war vom Zuwachs nichts zu sehen, auch gewichtstechnisch hatte sich noch nicht viel getan, aber Colt konnte schon erahnen, dass es nicht mehr allzu lange dauern würde. Nur ihm und Robin fielen die ersten äußerlichen Veränderungen bereits auf, sie waren einfach zu unbedeutend für einen Außenstehenden. Robin schob ihre Hände in Colts Gesäßtaschen und rückte noch ein letztes Stückchen näher. Auch sie konnte von Colts Nähe nie genug bekommen.

Liebevoll lächelte Colt, als er sich zu ihr hinunter beugte und ihr einen zärtlichen Kuss auf die Lippen drückte. Danach strich er ihr die Haare von der Schulter und raunte: „Für morgen ist ein Untersuchungsausschuss im Oberkommando eingeplant worden. Und wenn einer von meinen Freunden seine Arbeit verlieren sollte, werde ich kündigen. Für so einen ungerechten Sauladen möchte ich dann keine Minute länger meinen Kopf hinhalten.“

Robin legte fragend den Kopf schief. Ihr Mann plauderte auch immer alles nur Häppchen weise aus! Die Hälfte ließ er weg und das andere verstand sie nicht. Mit gespitzten Lippen forderte sie noch einen Kuss von ihm ein, ehe sie nachhakte: „Oberkommando? Untersuchungsausschuss? Weswegen?“

„Wegen Allan. Er will Nägel mit Köpfen machen und seiner Karriere den entscheidenden Kick geben.“, Colt machte eine hilflose Handbewegung. Er wusste doch auch nicht mehr, wie sollte er seiner Frau da erklären, was das Theater zu bedeuten hatte? Seine Augenbrauen hoben sich unsicher und seine Augen prüften argwöhnisch Robins Reaktion.

Doch diese blieb aus. Robin erwiderte Colts Blick standhaft. Lange stand sie einfach nur da und versank in Colts blauen Augen. Bewegungslos und als ob sie aufgehört hätte zu atmen. Colt hatte schon Angst, es ginge ihr nicht gut und sie würde jeden Moment zusammenbrechen, doch er unterschätzte seine Robin jedes Mal wieder. Plötzlich nickte sie kaum merklich, ihre Gesichtszüge verrieten aber, dass sie hinter seiner Entscheidung stand. Kurz darauf sank sie in seine Arme und gab Colt einen leichten Kuss auf das weiße Hemd. Ihr Kopf lehnte sich gegen seine Brust und ihre Arme schlangen sich wieder um den Oberkörper ihres Gatten. Robin murmelte: „Es wird die richtige Entscheidung fallen. Ganz sicher.“

Aber außer dieser klaren Aussage hatte Colt auch noch was anderes herausgehört. Robin würde seine Entscheidung nicht anzweifeln, kritisieren oder als Grund für einen Ehezwist nehmen. Würde er kündigen, war Robin die erste, die voll und ganz hinter ihm stand und ihn dabei unterstützte. Robin würde seine Entscheidung ohne den kleinsten Zweifel mittragen und sie mit ihm gemeinsam durchstehen. Sachte küsste er ihren Scheitel und legte anschließend den Kopf in den Nacken. Er hatte die beste Frau in diesem Universum abbekommen, ganz sicher!
 

Fireball stand am Eingang zu dem riesigen Gebäudekomplex, in dem seine Wohnung lag, und wartete. Nun schon bestimmt eine viertel Stunde, wenn er so einen Blick auf die Uhr warf. Wie war das noch mal mit zehn Uhr? Fireball schüttelte den Kopf und stellte sich auf weitere zwanzig Minuten Wartezeit ein. Seine Verabredung kam auch immer zu spät! Gerade, als er genervt das Telefon aus der Hosentasche holte und anrufen wollte, fuhr ein mausgrauer Wagen vor und hielt an. Die Beifahrertür schwang auf und Scott lehnte halb auf dem Beifahrersitz. Er lachte: „Was ist, Champ? Wartest du auf eine Einladung mit Goldrand?“

Fireball stieg ein und sah Scott verständnislos an. Seine braunen Augen nahmen das Armaturenbrett unter die Lupe, sprangen kurz auf Scott und schließlich zur Gangschaltung hinunter, während er seinen Freund anmaulte: „Die hätt ich wohl besser dir schicken sollen! Hast du nicht extra zu mir zehn gesagt? Ich steh mir hier die Beine in den Bauch, während du wieder nicht aus den Federn kommst.“

Strotzend vor Selbstbewusstsein gab Scott zurück: „Dir muss sowieso mal einer Geduld beibringen, Shinji. Bei dir muss immer alles sofort und auf die Minute sein. Gewöhn dir das ab, so kommst du nie zu einer vernünftigen Frau!“, Scott drückte das Gaspedal scharf durch und zog die großzügige Straße stadtauswärts entlang.

Fireball musterte immer noch den Innenraum des Wagens, während er auf Scott zurück schoss. Die blödsinnigen Unterhaltungen mit seinem ehemaligen Teamchef machten ihm wieder unheimlich Spaß. Der Kerl da am Steuer konnte nicht ein einziges Mal ernst sein. Genau das war der Beweggrund für Fireball an diesem Tag gewesen, was mit ihm zu unternehmen. Scott würde ihm keine blöden Fragen stellen und sonstiges. Sie würden einen netten Tag miteinander verbringen und er würde ihn ablenken. Fireball gab sich die größte Mühe ernst zu klingen, aber sein Lachen verriet ihn: „Ich bin geduldig. Sonst wäre ich schon nicht mehr wie bestellt und nicht abgeholt am Straßenrand gestanden. Dir muss mal einer beibringen, die Uhr zu lesen.“

Scott lachte herzlich auf. Genau den Rennfahrer Shinji Hikari hatte er im Rennzirkus vermisst. Als Fireball ihn heute Morgen angerufen hatte, war Scott sofort klar gewesen, was heute auf dem Programm stand. Und deshalb war er auch wieder später als geplant weggekommen, er hatte vorher noch was organisieren müssen. Scott überholte einige langsamere Autos und grinste übers ganze Gesicht: „Auf meiner Uhr war’s zehn, als ich weggefahren bin!“

Jetzt erst schnallte sich Fireball an. Seit er nur noch Beifahrer war, war er schleißig mit dem Anschnallen geworden, aber bei Scotts Fahrweise wurde selbst Fireball katholisch. Sein Kumpel raste über den Highway wie über eine Rennstrecke und das behagte Fireball nicht. Nachdem der Gurt endlich straff saß und er noch einen prüfenden Blick auf den Tacho geworfen hatte, verschränkte Fireball die Arme vor der Brust und fragte: „Wohin entführst du mich denn jetzt eigentlich? Ich dachte, wir wollten in ein nettes Cafe was trinken gehen, aber die liegen alle hinter uns.“, skeptisch deutete Fireball dabei hinter sich.

„Neugierig und ungeduldig! Das ist der Fireball, den ich kenne!“, Scott konnte sich ein weiteres Mal das Lachen nicht verkneifen. Boshaft stänkerte Scott: „Ich entführ dich nach Honduras, was glaubst du denn? …Mensch, Junge wart’s doch einfach ab, lehn dich zurück und genieß die Vorfreude.“

Die beiden entfernten sich immer weiter aus Yuma City, sie fuhren an kleinen Vororten vorbei, immer weiter aufs Land hinaus. Bis dem Rennfahrer endlich klar wurde, wohin die Reise ging. Von nun an konnte er sich wirklich zurücklehnen und die Vorfreude genießen. Scott hatte wohl seine Gedanken gelesen.
 

April stand im Kontrollraum. Von der Seitenwand hatte sie die Abdeckplatten heruntergeschraubt und entwirrte einen Kabelsalat. Sie musste sich von ihren eigenen Gedanken ablenken. Zuhause wäre ihr beim Frühstück schon beinahe die Decke auf den Kopf gefallen. Auf Ramrod hatte sie eine Aufgabe, da fühlte sie sich wesentlich wohler, als in ihrer Wohnung. Von ihren Freunden hatte sie an diesem Tag noch nichts gehört, und darüber war April auch ein wenig froh.

Während sie die Kabel alle auf Fehler und blank liegende Stellen überprüfte, drifteten ihre Gedanken von ihrer Aufgabe ab. Fireball wollte nicht, dass ihr Vater seinen Job verlor. Aber weshalb? April konnte nicht glauben, dass er so großmütig war. Wäre sie in diese Lage gekommen, sie würde alles dafür geben, um Rache und Vergeltung für die Demütigungen und die Schmach zu erhalten, die man ihr angetan hatte.

April fühlte sich zerrissen. Sie liebte ihren Vater und wollte nicht, dass ihm Schlechtes widerfuhr. Aber sie liebte auch Fireball und sie wollte auch nicht, dass dem was widerfuhr. Klar, sie machte sich auch Sorgen um Saber, aber April hatte vorrangig das Problem, dass sie nicht recht wusste, ob sie zu ihrem Daddy oder zu ihrem Freund halten sollte. Das einzige, was sie wusste, war, dass sie entweder dem einem oder dem anderen helfen sollte.

Es war so schwer! Entmutigt drückte April die Kabel wieder zurück und quetschte die Abdeckplatte wieder darauf. Sie hatte Angst vor dieser Entscheidung, weil sie wusste, dass nur sie alleine sie treffen konnte. Niemand konnte ihr dabei helfen. Denn egal, wen sie dabei um Rat bat, sie alle waren parteiisch und würden April nur einreden versuchen, was sie gerne hätten.

Seit dem Gespräch mit ihrem Vater vor einigen Wochen war der Draht zu ihm wieder etwas besser geworden. Aber April hatte ihm nicht erzählt, dass Fireball wieder hier war. Die Blondine hielt es für das Beste die beiden voneinander fern zu halten. Außerdem half sie so ihrem Vater, sich nicht mehr in ihre Beziehung einzumischen. Wenn er nicht wusste, was war, konnte er sich auch nicht zwischenschalten. Er war seit Hiromis Tod um Jahre gealtert, aus dem stolzen Commander war ein alter Mann geworden, wie April an manchen Tagen vermehrt aufgefallen war. Vielleicht, so fragte sie sich, würde die Anhörung vor dem Ausschuss ihrem Vater den letzten Stoß versetzen.

Und dann war da auch noch ihr geläuterter Freund. Fireball hatte in den letzten Wochen und Monaten genug mitgemacht. Ihr war nicht entgangen, dass er manchmal wie versteinert vor einem Fenster stand und in die Leere starrte. Sie wusste, er war dann mit seinen Gedanken bei seinen Eltern und Haruto. Es war so vieles geschehen, was schwer zu verarbeiten war, besonders für Fireball. Zwischen dem hitzköpfigen Piloten von damals und dem Fireball von heute lagen ganze Galaxien. Inzwischen gab er sich auch gar keine Mühe mehr, das abzustreiten oder zu verbergen. Und April hatte endlich gelernt, dass es gut war, in welche Richtung sich Fireball entwickelt hatte.

Frustriert brummte sie. Die Gedanken halfen ihr bei ihrer Entscheidung kein Stück weiter. Also nahm April die nächste Abdeckung herunter und fingerte an den Kabeln herum. Am liebsten würde sie sich in einem Loch verkriechen und erst wieder rauskommen, wenn der Wirbel mit dem Untersuchungsausschuss vorbei wäre. Niemand würde sie vermissen, wie sich April einreden wollte. Wer würde schon denjenigen vermissen, wegen dem der ganze Mist überhaupt erst geschehen war? Aprils Augen kniffen sich zusammen. Es war wirklich zum Altwerden!
 

„Na, du?“

Erschrocken fuhr April in die Höhe, als sie Fireballs Stimme vernahm. Sie hatte an diesem Nachmittag nicht mehr mit jemanden gerechnet, den ganzen Tag über war es ruhig auf Ramrod gewesen. Mittlerweile war sie schon mit dem Laptop in der Küche gesessen und hatte Kalibrierungen am System vorgenommen. Die großen blauen Augen starrten Fireball, der mit verschränkten Armen lässig am Türrahmen lehnte und sie milde lächelnd musterte, an. Wie war er am Sicherheitspersonal am Eingang des Oberkommandos vorbeigekommen? Verblüfft fragte April: „Wie kommst du denn hier rein?“

Fireball stieß sich von seinem Platz ab und ging auf April zu. Er deutete auf die Tür hinter sich: „Wie alle anderen auch... Durch die Tür, Süße.“

Dabei lächelte er verschmitzt. Fireball wusste genau, dass er mit dieser Art von doofen Sprüchen immer für die richtige Ablenkung sorgte. Und April brauchte dringend Ablenkung. Er war schon einige Zeit in der Tür gestanden und hatte sie beobachtet. Nachdem er den halben Tag mit Scott verbracht hatte, hatte er das Bedürfnis gehabt, nach seiner Freundin zu sehen. Sie hatte sich seit dem gestrigen Abend nicht bei ihm gemeldet und seine Sorge um sie war berechtigt gewesen, wie er gerade festgestellt hatte. Ihr Blick war so traurig gewesen. Sie musste sich furchtbar quälen. Fireball wusste, dass April, wenn sie denn könnte, ihm und ihrem Vater helfen würde. Und was sie bekümmerte war ganz einfach die Tatsache, dass sie das nicht konnte.

April klappte den Laptop zu und stand auf. Sie brummte müde: „Haha, selten so gelacht.“

Die Blondine wusste nicht, ob sie Fireball gerade überhaupt sehen wollte. Im Gegensatz zu ihr war er gut gelaunt, schien sich um den nächsten Tag keine Gedanken zu machen. Der glückliche. April bewunderte Fireball für diese Gabe. Sie würde auch manchmal gerne so unbeschwert durchs Leben gehen. Es gab Situationen, die Fireball nicht im Geringsten beunruhigten. Und sie stand hier, zerbrach sich den Kopf und kam zu keinem Ergebnis!

Fireball legte April einen Arm um die Schultern. Sein Lächeln schrumpfte indes immer weiter zusammen, bis er besorgt dreinblickte. Sanft wollte er wissen: „Wie fühlst du dich, Süße?“

Ein wenig ungestüm drückte April ihn von sich weg. Sie war nicht in der Stimmung zum Kuscheln, deshalb war sie ja zu Ramrod gefahren. Sie hatte nicht so grob mit ihm sein wollen, denn sie hatte sehr wohl die Besorgnis in seiner Stimme und seiner Geste vernommen. Aber ihre unglückselige Gefühlslage schlug sich auch auf ihre Stimmung nieder. Bekümmert drehte sie sich um und murmelte: „Dass ich gerade kein Luftsprünge vor Freude mache, ist wohl verständlich, oder?“

Mit einem leichten Nicken setzte sich Fireball auf den Tisch. Den Laptop und die Unterlagen schob er dabei nach hinten weg. Mit den Händen stützte er sich auf und bedachte die Blondine mit einem verständnisvollen Blick. Einfühlsam definierte er seine Gedanken und Gefühle: „Keiner von uns freut sich auf Morgen, Süße. Und ich weiß, dass vor allem du dir Gedanken machst. Du zerbrichst dir den Kopf, das sehe ich, April. Aber das musst du gar nicht. Ich verstehe deine Gefühle und auch, dass du deinem Vater helfen willst. Mach dir keine Gedanken um mich. Ich bin nicht mehr im Oberkommando.“

Durcheinander nahm auch April Platz. Sie ließ sich auf dem Stuhl nieder, überkreuzte die Beine und nahm eine eher gekrümmte Position dabei ein. Ihre Schultern ließ sie hängen, ebenso den Kopf. Beide Hände ruhten auf Fireballs Oberschenkeln. Unendlich traurig hauchte sie: „Um wen, wenn nicht um dich, sollte ich mir Gedanken machen, Baby? Du bist mein Partner, ich sollte zu dir halten. Zu niemanden sonst.“

Als April zu ihm aufblickte, erkannte Fireball den Streit, der in ihrer Brust tobte. Ihr Herz zerriss sich selbst in zwei Teile. Es schnürte Fireball die Luft zum Atmen ab. Sofort nahm er Aprils Hände in seine, seine Augen ließen sie keinen Augenblick mehr unbeobachtet. Eine Hand führte er zu seinem Hals, damit sie seine Haut spüren konnte. Dabei beugte er sich so weit zu April hinunter, wie er nur konnte, ohne das Gleichgewicht zu verlieren, damit sie seine Nähe wahrnahm. Behutsam nahm er ihr die Last ab: „Um deinen Vater, April. Er ist alles was du noch an Familie hast. Im Gegensatz zu mir hat er im Oberkommando noch etwas zu verlieren. Und ich muss so oder so zusehen, dass ich anderwärtig wieder auf die Beine komme. Niemand verurteilt dich, wenn du in dieser Situation zu deinem Vater hilfst, am allerwenigsten ich.“

April stand wieder vom Stuhl auf. Sie trat an die Tischkante, zwischen seine Beine und drängte sich an ihn. Ihre Arme umschlangen Fireball, während sie den Kopf verzweifelt an seine Schulter lehnte. Sie schluchzte beinahe: „Ja, ich weiß. Aber...,“ April schloss die Augen und krallte ihre Finger in Fireballs Schulterblätter. Es war nicht fair, ihren Vater Fireball vorzuziehen. Sie wollte es nicht wahrhaben, ihr Sinn für Gerechtigkeit ließ es nicht zu und deshalb raunte sie: „Er hätte es verdient. Mehr als jeder andere! Fireball, er hätte seinen ranghohen Posten nicht dazu gebrauchen dürfen, um dich zu peinigen und für etwas zu bestrafen, wofür du nichts konntest!“

April war mit ihrem Latein am Ende, vor Verzweiflung machten sich nun auch noch die ersten Tränen auf den Weg über ihre Wangen. Sie benetzten Fireballs weißes T-Shirt, ihre Augen, die sie ganz fest in den Stoff drückte, hinterließen schwarze Wimpernabdrücke darauf. Ihre Verzweiflung drückte sich durch ihr Verhalten aus. Sie klammerte sich an Fireball, drückte sich so eng wie möglich an ihn.

Überrascht ließ Fireball April gewähren. Er strich ihr über den Rücken, gab ihr Halt und Zuversicht. Die Blondine zerbrach an dem Druck, den sie sich gemacht hatte. Und wieder konnte sich der ehemalige Rennfahrer den Schuh anziehen, April wehgetan zu haben. Er liebte sie und deshalb flüsterte er ihr zärtlich ins Ohr: „Das ist doch nun völlig egal. April, nur dass wir beide noch einmal eine Chance bekommen haben, zählt. Egal, was dein Vater getan hat, er ist ein guter Commander und ein ausgezeichneter Feldherr. Um uns beide geht’s morgen nicht, nur um die Position deines Vaters.“

April drückte sich an Fireballs Brust und schluchzte bitterlich. Sie verstand nicht, weshalb Fireball so großmütig war: „Hast du vergessen, was er dir alles angetan hat, Fireball? All das, was du ertragen musstest?“

Die blonde Frau schüttelte den Kopf. Nein, sie verstand es ganz einfach nicht. Sie hatte nur Ausläufer des Zwistes zwischen Fireball und ihrem Daddy erlebt und die waren schrecklich genug für sie gewesen. Wie unerträglich musste es dann für Fireball gewesen sein? Aber dieser saß hier und versicherte ihr, dass sie ohne schlechtes Gewissen ihrem Vater helfen konnte, ohne sich dabei um ihn kümmern zu müssen.

Ergeben seufzte Fireball: „Vergessen? Wie könnte ich das jemals vergessen?“, der Japaner versteckte das Gesicht in Aprils wallender Mähne. Seine Hände umfassten sie fester und gaben ihr ein Gefühl von Sicherheit. Noch einmal versuchte er ihr seine Sicht der Dinge zu erklären. Er flüsterte ihr ins Ohr: „Die Vergangenheit sollte keinen von uns mehr belasten, keinen. Ich lebe immerhin noch und halte die Frau im Arm, die ich liebe. Und dein Vater ist und bleibt der kompetenteste Mann in dem Sauhaufen hier.“

Fireball schmunzelte bei diesen Worten leicht, sie klangen zum Schluss schon beinahe neckisch. Er hoffte nur, dass sie ihre Wirkung bei April nicht verfehlten. Sie sollte aufhören, daraus so ein riesiges Problem zu machen. Denn für Fireball war es keines. Für ihn war klar, dass April zu ihrem Vater halten sollte, Blut war schließlich immer noch dicker als Wasser und er brachte ihr dafür das nötige Verständnis entgegen. Sonst würde er sie nicht dazu ermutigen.

Dankbar umklammerte April Fireball noch fester. Sie griff mit den Händen seinen Rücken hinauf und hielt sich damit an seinen Schultern fest. Ihr Kinn legte sie auf die linke Schulter. Fireball war in seiner Liebe zu ihr so großherzig und verständnisvoll. Er verlangte nicht von ihr, auf seiner Seite zu stehen. Nur sie selbst. April verlangte von sich selbst, für Fireball in jeder Lage da zu sein, auch wenn es dabei um ihre eigene Familie ging.

Allmählich versiegten die Tränen der Blondine, Fireballs innige und beschützende Umarmung beruhigten sie wieder. Immer wieder holte sie tief Luft, damit keine neuen Tränen mehr aufstiegen, denn sie fühlte sich tatsächlich besser. April hatte erkannt, dass Fireball bei ihr bleiben würde, egal welchen Ausgang der nächste Tag nahm. Sie flüsterte, immer noch überwältigt von den Gefühlen, die wie eine Sturmflut über sie hereingebrochen waren: „Ich lass nicht zu, dass ich dich noch einmal verliere.“

„Na, so schnell wirst du mich auch nicht mehr los!“, Fireball löste die herzliche Umarmung und lachte April mit strahlenden Augen entgegen. Was glaubte die Gute denn? Dass er die selben Fehler zwei Mal machte? Nichts da! Den einzigen Fehler, den er noch machen würde, war sich eine Ehefrau anzulachen. Und wenn er genauer darüber nachdachte, hielt er seine Zukünftige schon in seinen Armen. Mit einem leichten Lächeln nahm er April die letzten Zweifel: „Ich liebe dich, meine kleine Taiyo. Die Wohnung hab ich mir gekauft, weil ich bei dir sein möchte. Ich möchte dich bei mir haben, jeden Tag... für immer... für ewig...“, dabei fuhr er April sanft die Konturen ihres Gesichtes nach. Seine Augen hafteten an ihren, als er ihr einen innigen Kuss gab und flüsterte: „Seelen reisen zusammen, doch wenn sie auf die Erde kommen, werden sie voneinander getrennt. Sie suchen sich oft ein Leben lang, aber wenn sie sich wieder finden, bleiben sie zusammen, bis in alle Ewigkeit.“, wieder bedeckte er Aprils Lippen mit einem zärtlichen Kuss. Fireball konnte die Liebe, die er für April empfand nicht mehr verbergen: „Ich habe meine zweite Seele endlich wieder gefunden.“

April blickte Fireball überrascht an. War das gerade...? Sie konnte nicht einmal daran denken, dass er sie gerade gefragt hatte, ob sie für immer an seiner Seite blieb. Es kam so plötzlich, nie im Leben hätte April damit gerechnet. Nicht jetzt, nicht hier und nicht so. April war sichtlich bewegt, angesichts seiner herzergreifenden Worte, doch war sie nicht im Stande, ihm eine Antwort zu geben. Sie erwiderte seinen zärtlichen Kuss, doch gleichzeitig versuchte sie, etwas Abstand zu Fireball zu gewinnen. Sie schälte sich aus seiner Umarmung und grinste ihn breit an. Sie versuchte herauszufinden, wie ernst er diese Worte gemeint hatte: „Ich weiß nicht, Fire. Bei deiner Lebenserwartung ist die Ewigkeit nicht so ewig.“

Da traute man sich endlich, der Frau seines Lebens seine Gefühle offen zu legen und das war alles, was er dafür erntete? Fireball stieß sich vom Tisch ab und landete auf seinen beiden Beinen. Irgendwie war er enttäuscht von Aprils Worten, hatte er doch eigentlich damit gerechnet, dass sie ihm wenigstens auch sagte, was sie für ihn empfand. Die Enttäuschung verflog allerdings genauso schnell wieder, wie sie aufgekommen war, als Fireball über sein Verhalten nachdachte. Es war einfach nicht der richtige Zeitpunkt dafür gewesen. Wenigstens, so lachte Fireball im Gedanken über sich selbst, hatte er nicht direkt um ihre Hand angehalten, April wäre sonst neben ihm tot umgefallen. So hatte sie ihm wenigstens die Chance gegeben, all das ins Komische hinüberzuretten und den Moment nicht zu zerstören.

Fireball zog beleidigt die Mundwinkel nach unten und verschränkte die Arme vor der Brust: „Hey! Lachst du mich etwa aus?“, herausfordernd fixierten seine dunklen Augen die Blondine: „Mach nur weiter so und ich werf mich vor Verzweiflung in die Arme deines Vaters.“

April lachte herzlich auf. Das war grade noch mal gut gegangen. Sie liebte Fireball zwar, aber noch wusste sie nicht, ob sie mit ihm alt werden wollte. Er sollte ihr einfach noch ein wenig Zeit geben, alles andere würde sich von selbst ergeben. Die Blondine griff nach dem Kuli, der auf dem Tisch lag, und warf ihn mit aller Wucht nach Fireball: „Du!!! Wehe dir!“

Lachend duckte sich Fireball unter dem Kuli hinweg und sprang auf April zu. Stürmisch riss er sie von den Beinen und verfrachtete sie auf die Bank. Er drückte ihre Hände über dem Kopf zusammen und beugte sich lachend über sie: „Heute fliegen die Kulis wieder verdammt tief. Das wirst du mir büßen, Taiyo!“

Die ungezügelte Leidenschaft seines Spitznamens verschloss April immer wieder die Lippen. Zwischen zwei Küssen murmelte April: „Taiyo? ...Was bedeutet das?“

„Sonne, mein kleiner Sonnenstrahl.“, Fireball bedeckte nun lieber mit seinen Lippen ihren Nacken. Inzwischen hatte er ihre Arme losgelassen, weil er beide Hände für ihre Bluse brauchte.

Ausgehorcht

Mit den Gedanken bei April, die er länger als geplant von ihrer Arbeit abgehalten hatte, bog Fireball am späten Nachmittag um die Ecke. April hatte ihm hoch und heilig versprochen, nachher noch zu ihm nachhause zu kommen und die Nacht bei ihm zu verbringen. Er hatte weder in die Richtung gesehen, wo er hinging, noch hatte er aufgepasst. Außerdem war er davon ausgegangen, dass an einem Sonntagnachmittag sowieso niemand auf dem Stützpunkt des Oberkommandos war.

Prompt war er deswegen mit jemandem zusammengestoßen, der ihn beinahe von den Füßen gehoben hatte. Zu Tode erschrocken wandte sich Fireball in die Richtung, aus der der andere gekommen war und griff nach dessen Schultern, während er sich hastig entschuldigte: „Sorry, hab Sie nicht kommen sehen!“

Fireball erstarrte in seiner Bewegung, als er erkannte, wen er da beinahe umgerannt hatte. Seine Hände strichen die Uniform seines Gegenübers entschuldigend glatt, ehe er sie herunter nahm. Fireball stellte sich schon auf lautstarkes Fluchen ein.

Der zweite Beteiligte im Bunde hob die Arme und versuchte, dem jungen Mann wieder zu sicherem Stand zu verhelfen. Als er bemerkte, wie verschreckt Fireball ihn wieder los ließ, senkte er den Blick traurig und murmelte: „Entschuldige, Shinji.“

Mehr brachte Commander Eagle nicht hervor. Der Sohn von Hiromi war wahrscheinlich grade bei April auf Ramrod gewesen. Er musterte den jungen Japaner, der ohne Krücken unterwegs war. Charles freute sich, einen halbwegs genesenen Fireball wieder zu sehen, allerdings war er auch überrascht. Er hatte nicht mit ihm auf dem Stützpunkt gerechnet. Ihm war zwar klar gewesen, dass Fireball auf Yuma war, immerhin hatte er auch einen Brief vom Ausschuss erhalten, aber nicht, dass er im Oberkommando offenbar ein und ausging, wie ein Angestellter.

„Ist das jetzt dein Standardsatz, wenn du mich irgendwo triffst?“, Fireball hob skeptisch die Augenbrauen und fuhr sich unsicher durch die Haare. Er sah dem Commander wie üblich nicht in die Augen, das hatte er sich gleich wieder abgewöhnt, nachdem er ihm nicht einmal helfen hatte können, als seine Mutter gestorben war. Sein Tonfall war ein bisschen aufmüpfig, wie immer.

Commander Eagle spürte deutlich, welche Verachtung ihm Fireball entgegenbrachte. Es behagte ihm nicht, denn zu Recht fürchtete sich Eagle davor, dass Shinji auch am nächsten Tag mit dieser Verachtung vor den Ausschuss treten könnte, und den Kopf seines ehemaligen Vorgesetzten forderte.

Er trat einen Schritt zur Seite, lugte um die Hausecke auf das Rollfeld, auf dem Ramrod stand. Commander Eagle deutete in diese Richtung und erkundigte sich: „Warst du bei April auf Ramrod?“

Fireball drehte sich trotzig von Commander Eagle weg. Erstens hatte er nicht das Bedürfnis mit Eagle über dessen Tochter zu reden und zweitens wusste er selbst, dass er auf dem Gelände des Oberkommandos nichts verloren hatte. Der ehemalige Rennfahrer verkrampfte sich unweigerlich, trotz aller guten Vorsätze war es schwer umzusetzen, ihm freundlich und höflich gegenüberzustehen. Fireball wollte gar nicht daran denken, was morgen alles auf ihn zukam, wenn er einem Ausschuss Rede und Antwort stehen musste, neben Charles. Er knurrte: „Und selbst wenn es so wäre, wär’s nicht dein Bier.“

Charles hatte eigentlich eine ganz natürliche und normale Frage gestellt, doch offenbar fühlte sich Fireball dadurch schon angegriffen. Welchen Schaden musste er angerichtet haben, wenn Shinjis Sohn ihm nicht einmal eine einfache Frage beantworten wollte? Mit einem Kopfnicken wandte Charles den Blick ab, seine Hände ballte er zu Fäusten, damit er nicht noch etwas sagte, was ihm später leid tun konnte. Ruhig, nur mit Mühe konnte Charles seine Stimme unter Kontrolle halten, stimmte er seinem ehemaligen Schützling zu: „Du hast Recht.“, noch einmal setzte Charles an, allerdings nicht fordernd, wie sonst auch: „Verzeih mir, Shinji.“

Fireball hätte sich beinahe den Nacken verrissen, so heftig und entschlossen schüttelte er den Kopf. Wüsste der Commander nur ansatzweise, welche Qualen und Schwierigkeiten er die letzten Jahre ausstehen hatte müssen, würde er ihn nicht so lapidar um Verzeihung bitten, sondern vor ihm im Staub herumkriechen! Fireball fragte sich unweigerlich, weshalb er dem Commander noch mal den Kopf aus der Schlinge ziehen würde. Entweder war er einfach nur irgendwo dagegen gerannt, oder aber die Liebe zu April und die Aussicht auf ruhigere Tage brachten Fireball um den Verstand.

Ohne Aprils Vater etwas zu erwidern, setzte Fireball seinen Weg nachhause fort. Würde er den Mund aufmachen, würden sie bloß wieder zu streiten anfangen, und das auch noch in aller Öffentlichkeit. Der Japaner hatte noch genug von der idyllischen Beerdigung seiner Mutter. Sein Bedarf an Streitereien und Komplikationen war für Jahrzehnte gedeckt. Sollte sich der Commander einen anderen unerfahrenen Soldaten suchen, mit dem er Harakiri machen konnte, Fireball hatte genug davon. Er würde Commander Eagle soweit als möglich von seinem Leben ausschließen, vor allem aber würde er nicht mehr zulassen, dass er ihm April verbot.

Bekümmert sah Charles zu, wie Fireball flotten Schrittes das Gelände verließ. Wie oft er ihn noch um Verzeihung bitten musste? Es war dem Commander natürlich klar, dass er Shinji die Zeit geben musste, aber ihm wäre lieber gewesen, die Zwistigkeiten wären früher als später aus der Welt geschafft. Er hatte die Befürchtung, seine Tochter wegen dem Jungen zu verlieren. April hatte ihm bei ihrem letzten Gespräch erst wieder deutlich gemacht, dass er ihr vieles im Leben deshalb kaputt gemacht hatte, vor allem eine mögliche glückliche Beziehung zu dem japanischen Rennfahrer. Charles senkte den Kopf und entschloss sich, April an diesem Tag nicht mehr zu besuchen.
 

Eine halbe Stunde vor Beginn der Anhörung trudelten endlich auch die letzten ein. Robin hatte Jessica auf dem Arm und deutete zu ihrem Mann nach hinten, während sie Saber und den anderen erklärte: „Mein Angetrauter hätte seine Uniform bald nicht gefunden.“

Gehetzt kam endlich auch Colt bei seinen Freunden an, die auf einem Häufchen vor der Tür des Saales zusammenstanden und augenscheinlich nur noch auf ihn gewartet hatten. Mit der üblichen Portion Galgenhumor begrüßte er seine Freunde: „Es wird Zeit, dass ich mal einen zugeteilten Parkplatz bekomme, dann wär ich auch mal pünktlich.“

Saber schüttelte den Kopf. Auch er hatte die marineblaue Uniform an, doch im Vergleich zu Colt, war er beinahe zugeschnürt. Der Schotte hatte sowohl alle Knöpfe des Hemdes geschlossen, als auch die seiner Jacke. Colt hatte die Jacke noch nicht mal an, geschweige denn sein Hemd richtig zugeknöpft.

Der Schotte wäre an diesem Morgen am liebsten im Bett liegen geblieben, doch er selbst wusste, dass es seine Pflicht war, zu diesem Ausschuss zu erscheinen. Er war alleine hier her gefahren, Laura hatte er schon am Vorabend wieder nachhause gebracht, anschließend hatte er Matt, genauso überpünktlich, wie er ihn abholte, wieder bei Synthia abgegeben. Seiner Frau war aufgefallen, dass sein Gesichtsausdruck schwermütig war, sie hatte ihn sogar darauf angesprochen, doch Saber hatte es vorgezogen, es Synthia nicht zu sagen. Sie wollte doch vom Oberkommando nichts mehr wissen, schon gar nicht etwas, was mit dem Team Ramrod zusammenhing. Trübsinnig hatte er ihr nur erklärt: „Ich fühle mich unseretwegen schlecht, darf ich das nicht?“

April trug ebenfalls ihre marineblaue Uniform, allerdings nicht wie die Jungs mit Hose, sondern mit knielangem Rock. Die Pumps dazu waren unbequem, aber ein absolutes Muss. Ihre Haare hatte sie zu einem strengen, scheitellosen Knoten zusammengebunden. Ihre blauen Augen suchten immer wieder den Flur nach ihrem Vater und auch nach Allan ab. Der Colonel hatte schließlich den Ausschuss einberufen, auch er würde im Saal sitzen und die Lorbeeren seiner harten Arbeit ernten. April warf einen kurzen Blick auf Fireball, der einen schwarzen Anzug mit einem weißen Hemd und einer dunkelroten Krawatte trug. Er war nicht mehr Mitglied des Oberkommandos, deshalb brauchte er auch nicht in Uniform zu diesem Termin aufkreuzen. Und obwohl er kein Mitglied mehr des Teams war, durfte April ihm hier nicht einmal die Hand geben. Sie mussten sich wie Freunde verhalten, niemand sollte etwas von einer Beziehung zwischen ihnen erfahren.

Fireball fing Aprils Blick auf und formte ein Lächeln auf seinen Lippen. Es sollte unbeschwert wirken, doch es blieb lediglich bei dem Versuch. Seine Augen musterten auch Colt und Saber kurz. Sie alle waren beunruhigt und besorgt. Der Rennfahrer nickte ihnen Kraft spendend zu und schwor sie ein: „Wir kriegen das schon hin, Leute. Niemand wird heute seinen Posten im Oberkommando verlieren.“

Saber rückte seine Jacke wieder zurecht, die Uniformen des Oberkommandos passten sich den Körperbewegungen nicht gut an, sie waren für das steife Salutieren geeignet, aber nicht für den normalen Tagesablauf eines Offiziers. Er murmelte: „Hoffen wir’s. Ich hänge an meinem Gehaltsscheck.“

Gegen seinen Willen schmunzelte Saber. Sein eigener Spruch hatte ihn ein wenig aufgeheitert, auch die anderen stimmten leise in das Kichern ein. Die vier würden zusammenhalten, was auch immer geschah. Als die Tür zum Saal geöffnet wurde und die vier aufgerufen wurden, drückte Colt seiner Frau noch einen Kuss auf die Lippen und gemeinsam betraten sie den Raum. Robin schickte ein Stoßgebet gen Himmel und entschied sich, mit Jessica spazieren zu gehen. Die Befragung konnte Stunden dauern, und sie hatte keine Lust, sich hier vor Nervosität alle Nägel abzukauen und alle zwei Minuten auf die große Uhr im Flur zu linsen.
 

Während April und Colt einen Platz in den hinteren Sesselreihen zugewiesen bekamen, wurden Fireball und Saber jeweils zu einem von drei Stehpulten, die in der Mitte des Raumes standen, geführt. Vor ihnen baute sich ein großer Tisch auf, an dem drei uniformierte Mitglieder des Untersuchungsausschusses Platz nehmen würden. Auf dem Tisch lagen dicke Akten und ihre Namenstafeln glänzten frisch poliert. Keiner von ihnen war weniger als ein Commander. Allan saß an einem Tisch, der längs an der Seite zum Tisch der Unparteiischen ausgerichtet war.

Hinter den beiden Freunden füllte sich allmählich der Raum, die Befragung war nicht so privat, wie sie gehofft hatten. Neben April und Colt saßen im Endeffekt zwanzig weitere Mitglieder des Oberkommandos hinter Fireball und Saber, die alle den Ablauf des Ausschusses genau beobachteten und vielleicht auch ein Wörtchen bei der Urteilsverkündigung mit zu reden hatten.

Commander Eagle betrat als letzter den Raum. Er platzierte sich am letzten der drei Stehpulte, somit waren die Befragten komplett. Der Commander stand an der Fensterseite, Saber neben ihm und Fireball hatte den Türplatz bekommen, schön der Rangordnung nach, wie es im Oberkommando Tradition war.

Fireball betrachtete den großen Raum aufmerksam. Mit einem schiefen Lächeln stupste er Saber an und flüsterte ihm mit Galgenhumor ins Ohr, während er auf seine Hände deutete: „Fehlen nur noch die Handschellen, und ich fühle mich wie in unserer Polizeistation beim Untersuchungsrichter.“

Saber schüttelte ebenfalls schief grinsend den Kopf. Wenigstens den Humor hatten sie noch nicht verloren. Da wurde die Tür geschlossen und die drei Mitglieder des Untersuchungsausschusses traten an ihre Plätze. Der Pilot und sein ehemaliger Vorgesetzter warfen sich noch einen letzten Blick zu, ehe sie auf die Mitglieder achteten und hofften, dass das Spektakel ein schnelles, erfreuliches Ende nehmen würde.
 

Alle Anwesenden erhoben sich und hörten dem Vorsitzenden aufmerksam zu, der die Anklageschrift verlas: „Dieser Ausschuss ist einberufen worden, weil es im gegenständlichen Fall zu prüfen gilt, ob es wirklich eine Ausdehnung und Ausübung der beruflichen Kompetenzen auf den Privatbereich gegeben hat, laut dem vorliegenden Bericht von Colonel Allan McRae. Befragt werden hierzu Commander Charles Eagle, der die Überschreitung begangen haben soll, Offizier Saber Rider, als direkter Vorgesetzter des Geschädigten, und Mister Shinji Hikari, der Geschädigte. …Bitte Platz zu nehmen.“

Ein Raunen ging durch die Menge, offenbar hatte niemand der geladenen Gäste gewusst, weshalb sie diesem Ausschuss beiwohnen sollten. Colt legte April einen Arm um die Schultern und drückte sie an sich, ihr Gesichtsausdruck hatte eben Bände gesprochen. Er musste der Freundin beistehen, den anderen beiden konnte er ohnehin nicht helfen.

Noch bevor sich die Vorsitzenden setzen konnten, hatte Commander Eagle mit seiner Verteidigung begonnen. Der Mut der Verzweiflung war ihm sicher, denn hauptsächlich ging es um seinen Ruf im Oberkommando und seine Position als Commander des westlichen Grenzlandes. Er räusperte sich und antwortete: „Ich habe einzig und allein getan, was für das Wohl des Grenzlandes richtig war.“

„Bitte warten Sie den Fragenkatalog ab.“, der Vorsitzende ermahnte Commander Eagle im ruhigen Ton, aber respektvoll, ehe er fort fuhr: „Der ist umfangreich genug und bietet Ihnen genügend Möglichkeit zur Klärung des Sachverhalts und zu Ihrer Verteidigung.“

Ein General saß ebenfalls in diesem Ausschuss. Er schlug die Akte auf und erläuterte, während sein Blick von der Akte weg zu Saber glitt: „Außerdem wird in diesem Fall auch geprüft, ob es zu Versäumnissen und Unterlassungen durch den direkten Vorgesetzten, Offizier Rider, gekommen ist.“

Obwohl Saber genau damit gerechnet hatte, immerhin hatte er sich selbst immer wieder schwere Vorwürfe gemacht, nicht genügend aufgepasst zu haben und kein guter Vorgesetzter gewesen zu sein, musste Saber schwer schlucken. Die Vorwürfe von wildfremden Menschen zu hören, vor einem Untersuchungsausschuss, war schwer zu begreifen.

Betroffen richtete sich Fireballs Aufmerksamkeit auf Saber. Mitfühlend schüttelte er den Kopf. Seine Verschwiegenheit hatte seinen besten Freund in diese Lage gebracht. Er schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Er wartete geduldig auf die ersten Fragen des Ausschusses.

Offenbar war für die Befragung der drei Vorgeladenen der Vorsitzende selbst verantwortlich, denn er richtete den Fragenkatalog zurecht und begann schließlich mit dem am nächsten liegenden Einstieg: „Mister Hikari wurde aufgrund einer persönlichen Empfehlung von Ihnen, Offizier Rider, im Oberkommando aufgenommen. Weshalb wurde nicht, wie sonst auch üblich, vorher auf etwaige Qualifikationen geprüft?“

Erstaunlicherweise lagen die Antworten von Saber und Commander Eagle nicht so weit auseinander, wie befürchtet. Fireball enthielt sich dabei jeglicher Antwort, was sollte er schon groß von seiner Einstellung erzählen?

Commander Eagle erklärte: „Auf die Empfehlungen von Offizier Rider war diesbezüglich immer Verlass. Er wählte seine Mannschaft mit Bedacht aus.“

Verblüfft zog Saber die Augenbrauen hoch und warf Fireball einen kurzen Blick zu. Gefasster glitten seine Augen wieder zum Ausschuss nach vor. Saber entschied sich, seine Entscheidung so zu begründen, wie er es auch damals getan hatte. Er nahm Haltung an und verlieh seiner Stimme Professionalität: „Shinji hat April mit Ramrod aus einer gefährlichen Situation geholfen und damit seine Qualifikationen für den Posten des Piloten mehr als entsprechend unter Beweis gestellt. Ich war der Ansicht, er würde gut in unser Team passen, da zum Zeitpunkt der ersten Angriffswelle das Team Ramrod noch nicht ausreichend besetzt war.“

Anerkennend nickte der Vorsitzende. Ehrliche Worte, so fasste er die beiden Erklärungen zumindest auf, denn sie deckten sich. Aber der Vorsitzende wusste auch, dass die Einstellung nicht der Streitpunkt war, der hier verhandelt wurde, sondern die privaten Differenzen zwischen Commander Eagle und Fireball, die massiv in die Arbeit verlagert wurden und in einer unehrenhaften Entlassung gegipfelt waren. Unbeirrbar fuhr der Vorsitzende deshalb fort: „Offizier Rider. Gab es während der ersten Missionen, nennen wir es mal die Probzeit, begründete Zweifel an der Qualifikation und der Zuverlässigkeit von Mister Hikari?“

Saber verteidigte sich selbstbewusst. Er war der Ansicht, dass er auf seine Mannschaft stolz sein konnte, sie waren immerhin die beste Einheit im gesamten Neuen Grenzland gewesen: „Keinen Augenblick lang. Shinji hat sich schnell in das Team eingefügt und er war ein hervorragender Pilot. Er hat oft genug bewiesen, dass mein Vertrauen in ihn berechtigt war.“

„War seine Vorgehensweise bei Einsätzen riskant? Waren Menschen oder der Erfolg der Missionen in Gefahr?“, mit jeder Frage wurde der Vorsitzende in seiner Fragestellung genauer und in Sabers Ohren auch gefinkelter.

Der Schwertschwinger musste die Wahrheit sagen und diese Frage zwang ihn förmlich dazu, über die schlechten Eigenschaften seines Freundes Auskunft zu geben. Er konnte nicht lügen, so sehr es sich Saber auch gewünscht hätte. Sein Posten als kommandierender Offizier hing an einem seidenen Faden, seine Karriere sollte nicht so enden, wie seine Ehe. Saber warf Fireball einen entschuldigenden Blick zu, ehe er dem Ausschuss Rede und Antwort stand. Er konnte nicht aus seiner Haut: „Er war manchmal ungestüm und forsch.“, es war schwer, schöne Worte für die bittere Wahrheit zu finden: „Aber Shinji hat schnell gelernt und begriffen.“

Das war der geeignete Punkt für den Vorsitzenden, um nachzuhaken und unangenehm für die Befragten zu werden. Er schob seine Brille zur Nasenspitze und sah Saber darüber hinweg etwas finster an. Fordernd verlangte er: „Er hat also schnell gelernt und begriffen, sagen Sie. Was hat er begriffen? Erklären Sie mir das bitte ausführlicher.“

Saber stand der Schrecken darüber ins Gesicht geschrieben. Er klammerte sich an das Stehpult und drückte den Rücken durch. Sauer auf sich selbst, verfluchte er sich für den Fehler, den er gerade begangen hatte. Er hätte nicht sagen müssen, dass Fireball erst lernen musste, wie manche Dinge am besten gehandhabt wurden. So stand Saber nun vor der unangenehmen Aufgabe, es dem Ausschuss auch zu sagen. Glücklicherweise stand dem Säbelschwinger noch ein Hintertürchen offen.

Als die Antwort von Saber nicht sofort kam, drängte der Vorsitzende ungeduldig: „Wir warten auf eine Antwort, Offizier Rider!“

„Shinji kannte die Gepflogenheiten beim Militär noch nicht, Sir.“, der Schotte stieß die Luft zwischen den Zähnen hervor. Er log nicht, die Polizei war etwas völlig anderes als das Militär. Zuversichtlicher fügte er hinzu: „Er musste erst lernen, wie bei uns manche Dinge gehandhabt werden. Aber er hat es, wie gesagt, rasch begriffen und auch umgesetzt. Shinji hat sehr bald gelernt, was alleine bei einer Mission möglich war und wofür es das gesamte Team erforderte.“

Die drei Unparteiischen sahen sich erstaunt an. Die Antwort war sehr gut gewesen, wie sie neidlos anerkennen mussten. So kamen sie bei Saber also nicht weiter. Der Vorsitzende richtete seine Aufmerksamkeit deswegen wieder auf den Schotten und lenkte das Thema in eine andere Richtung: „Also schön, lassen wir diese Antwort so im Raum stehen. Für Sie, als Mister Hikaris direkten Vorgesetzten, hat es also nie zur Debatte gestanden, ihn gegen einen geprüften Piloten und somit ein ausgebildetes Mitglied des Oberkommandos, zu ersetzen. Hatten Sie auch ein dementsprechend gutes Verhältnis zu ihm als Freund und Kollege? Wie würden Sie das beschreiben?“

Saber fühlte sich wie ein Fisch an einem Angelhaken. Er wusste, dass sie ihn hatten, aber er weigerte sich standhaft, sich geschlagen zu geben. Saber hatte sofort gemerkt, dass sie sowohl die Akten als auch den Bericht von Allan gelesen hatten, ihn regelrecht studiert haben mussten, ansonsten würden die Fragen nicht in eine persönliche Richtung abzielen. Aber der Highlander ließ sich auf dieses Spiel nicht ein. Er würde vom Privaten nichts preisgeben, so wie sie es abgemacht hatten. Sie alle würden dadurch noch mehr Schaden erleiden, auch April und Colt hinter ihm und nicht nur der Rennfahrer und er. Saber biss sich kurz auf die Lippen und antwortete: „Wir hatten generell ein sehr gutes Arbeitsklima auf Ramrod. Das betrifft nicht nur Shinji und mich, sondern auch April und Colt. Wir haben immer gut und engagiert zusammen gearbeitet, das beweist nicht zuletzt der Ausgang des Krieges gegen die Outrider. Jeder kannte seine Aufgaben. Und nein, für mich kam es nicht in Frage, Shinji zu ersetzen.“

Sabers sehnlichster Wunsch, das Ende der Befragung, ging nicht in Erfüllung. Just in dem Augenblick, in dem er gedacht hatte, dass sie ihn endlich in Ruhe lassen würden, erklang die Stimme des Vorsitzenden erneut. Sie war kühl und provozierend: „Haben Sie deshalb nichts von den offensichtlichen Differenzen zwischen Mister Hikari und Ihrem gemeinsamen Vorgesetzten, Commander Eagle, mitbekommen? Hat das gute Verhältnis nach Dienstschluss aufgehört, haben Sie mit Ihren Kollegen kein Verhältnis auf freundschaftlicher Basis aufgebaut?“

Dem Schotten schnürte es die Luft ab. Sein Blick ging an die Decke, während er die Hände immer noch fester in das Pult krallte. Diese Frage hob ihn beinahe von den Füßen, hätte Saber sich nicht so gut unter Kontrolle gehabt, wäre er vor den Augen der Vorsitzenden und vor Allans Augen zusammengebrochen.

Sekundenlang war es still im Saal. Niemand schien zu atmen, nur Fireball. Der stieß schnaubend die Luft aus und bedachte den Ausschuss mit wütenden, glitzernden Augen. Einen kurzen Moment lang hatte er geglaubt, er müsste nach vor preschen und den Vorsitzenden erwürgen. Wie konnte er Saber nur eine solche Frage stellen? Wie konnte er Saber nur unterstellen, kein guter Freund gewesen zu sein? Fireballs vulkanähnliches Gemüt stand zum ersten Mal schon kurz vor einem Ausbruch, lediglich Sabers kleine Handbewegung hatte ihn davon abgehalten, nicht laut zu werden und den drei feinen Herren da vorne was von Freundschaft und Arbeitskollegen zu erzählen.

Saber hatte die offene rechte Hand mehrmals leicht nach unten gehalten und Fireball so symbolisiert, dass er sich beruhigen sollte. Dazu hatte er ihn nicht einmal ansehen müssen. Wieder schluckte Saber schwer. Die Anschuldigungen waren hart, sehr hart. Denn sie waren berechtigt. Saber gestand sich ein, dass er als guter Vorgesetzter und Freund irgendwann mal sehen hatte müssen, was wirklich in seinem Team vor sich ging, aber das hatte er nicht. Er hatte es verabsäumt und egal wie oft ihm Fireball dafür noch die Schuld abnehmen wollte, Saber war sich klar darüber, dass er ganz klar Mitschuld an den darauf folgenden Geschehnissen trug. Der Schotte murmelte: „Die Differenzen waren leider nicht so offensichtlich, wie Sie es gerne darstellen möchten, Sir. Sie wissen genauso gut wie ich, dass man im Oberkommando nichts erfährt, wenn man das nicht möchte. Und weder Commander Eagle noch Shinji haben jemals eine Bemerkung in diese Richtung gemacht.“

Der Vorsitzende streute noch Salz in die offenen Wunden, die er Saber gerade aufgerissen hatte: „Trotzdem. Sie als sein Vorgesetzter waren auch Mister Hikaris Ansprechpartner. Ich frage mich, wie wenig Vertrauen im besten Team unserer Organisation vorgeherrscht hat, wenn man Sie nicht von Schwierigkeiten solchen Ausmaßes informiert hat. Es gibt einem zu denken, dass in einem solchen Team nicht über Probleme, welcher Art auch immer, gesprochen wird.“

Mit einem Kopfnicken gab der Vorsitzende an seinen Kollegen ab. Es war ein älterer General, der nun seine Akte aufschlug und mit einem leichten, unterkühlten Lächeln zu Commander Eagle aufschaute: „Nun zu Ihnen, Commander Eagle.“

Saber senkte betroffen den Blick. Der Vorsitzende hatte all das ausgesprochen, was Saber sich immer wieder selbst vorgeworfen hatte. Schmerzerfüllt legte Saber die Hände offen auf das Pult und starrte sie an. Er hätte alles verhindern können, wenn er doch nur auf Anzeichen geachtet hätte. Wenn er hier und jetzt seinen Job als kommandierender Offizier verlieren würde, geschah dies völlig zu Recht. Saber hatte ein Mitglied seines Teams im Stich gelassen, hatte ihn mit seinen Problemen alleine gelassen. So wie er seine Frau alleine gelassen hatte. Saber war hoffnungslos gescheitert. Er war als Ehemann gescheitert, als Vorgesetzter und als Freund.

Fireball schnaubte immer noch vor sich hin, wie eine kleine Dampflok, aber mit jedem tiefen Atemzug beruhigte er sich zusehend wieder. Er hatte die Hände inzwischen in die Hosentaschen gesteckt und stand nicht mehr ganz so akkurat vor dem Ausschuss, wie Saber oder Commander Eagle. Aber wozu denn auch? Die Bürokratensäcke hatten seinen Respekt gar nicht verdient, wenn sie Saber derart eins vor den Latz knallten. Der Rennfahrer riskierte einen kurzen Blick auf die beiden Mitbefragten, Saber und Commander Eagle. Wenn nötig, würde er versuchen, Saber aus dem Schlamassel herauszuhelfen. Er war am allerwenigsten Schuld an Fireballs ungemütlichen Arbeitsbedingungen im Oberkommando. Fireball war schon unehrenhaft aus dem Oberkommando entlassen worden, ihm konnte nichts mehr passieren, egal was er auch sagte. Er stand bereits vor einem Ausschuss, vor ein Disziplinargericht würden sie ihn wohl kaum noch stellen, nachdem er schon seit Jahren kein Mitglied der Kavallerie mehr war.

Commander Eagle begradigte seine Haltung augenblicklich, als der General ihn angesprochen hatte. Es galt seine Haut zu retten, hoffentlich hatte er bessere Chancen als Saber. Der hatte sich unter den Fragen dem Ausschuss beugen müssen, er wollte bestehen, er musste bestehen.

Der General rümpfte die Nase und prüfte die drei Herren, die wahrscheinlich alle versuchen würden, ihnen ihre eigene Wahrheit aufzutischen. Sein Blick blieb auf Commander Eagle hängen. Er kannte den Commander von etlichen Besprechungen und Konferenzen und bisher hatte er nie sagen können, Eagle würde sich Freiheiten herausnehmen. Der General richtete nun auch Fragen an Commander Eagle: „Wie wir bereits gehört haben, ist Mister Hikari einzig und allein aufgrund der persönlichen Empfehlung von Offizier Rider eingestellt worden. Ich frage Sie nun, weshalb Sie so leichtsinnig waren, und die Qualifikationen von Mister Hikari nicht selbst noch einmal nachgeprüft haben?“

Charles hatte Sabers Befragung aufmerksam verfolgt und daraus gelernt. Nur mit der Wahrheit alleine würde er nicht weit kommen. Selbstsicher antwortete er dem Ausschuss: „Im Normalfall ist auf Offizier Riders Menschenkenntnis und sein Urteilsvermögen Verlass. Das Zünglein an der Waage war jedoch meine Tochter, April, die auch im Team war und Shinji, als auch Colt nebenbei bemerkt, ebenfalls empfohlen hat. Wenn beide, unabhängig voneinander, die selbe Auffassung vertreten, kann man davon ausgehen, dass sie Recht behalten.“

Dem General gefiel die Antwort nicht sonderlich. Sie war zwar für jedermann verständlich, doch ein Commander sollte nicht nach Empfehlungen, sondern nach Tatsachen Mitarbeiter auswählen. Er schüttelte den Kopf und murrte: „Unsere Regeln sind eindeutig, Commander Eagle, das wissen Sie genauso gut wie ich. Unsere Mitarbeiter, vor allem in einem solch gefährlichen Einsatzbereich, wie es Team Ramrod ohne Zweifel war, hätten Sie nach den Fakten auswählen sollen. Mister Hikari war weder volljährig, noch hatte er eine militärische Ausbildung. Er besaß keinen Pilotenschein und noch nicht einmal den Grundwehrdienst hatte er zum Eintrittszeitpunkt abgeleistet! Nur eine mündliche Empfehlung eines Offiziers, in seiner erstmaligen Position als kommandierender Offizier. Commander Eagle, all das sind Fakten, die Sie nicht wegzaubern können.“

„Das bestreite ich auch gar nicht!“, Commander Eagle schlug mit der flachen Hand auf die Fläche des Stehpultes vor ihm. Empört richtete er sich auf und sah seinem Gegenüber geradewegs in die Augen, als er sich verteidigte: „Mister Hikari ist Captain Hikaris Sohn und Sie werden mir sicherlich bestätigen, dass an Kinder solcher Ausnahmemitarbeiter besondere Anforderungen gestellt werden. Aber sie bekommen auch Vertrauen entgegen gebracht, von dem andere Neulinge nicht zu träumen wagen. Sie, werter General, hätten ihm ebenso das Vertrauen geschenkt, zumindest in die Art von Captain Hikari zu schlagen, auch wenn ihm das Alter und die Ausbildung dazu vielleicht noch fehlen. Sie kannten den Captain persönlich, genau wie ich. Und wenn Mister Hikari nicht adoptiert ist oder dem Captain als Kuckuckskind untergeschoben wurde, werden Sie mir bestätigen, was ich sage.“

Mit jedem Wort war Commander Eagle selbstsicherer und herrischer im Tonfall geworden. Als er zu sprechen angefangen hatte, warf er Fireball einen kurzen Blick über Saber hinweg zu. Er hatte zu Recht die Anforderungen an Fireball gestellt, wie sein Vater zu sein. Wer hätte das angesichts dieser Ähnlichkeit nicht? Er hatte nicht ahnen können, dass ihn genau diese Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn einmal vergessen lassen könnte, wer vor ihm stand.

Fireball fuhr erschrocken zusammen, als Commander Eagle ihn mit einem dieser Blicke bedachte und lauthals darüber philosophierte, wie viel Vorschussvertrauen man in Kinder von ehemaligen Mitarbeitern haben sollte. Sofort hatte Fireball den Kopf eingezogen, Commander Eagle hatte so deutlich ausgesprochen, was er all die Jahre von ihm erwartet hatte, dass Fireball beinahe vergessen hätte, weiter zu atmen.

Die Mitglieder des Ausschusses sahen sich ratlos an. Alle drei hatten Captain Hikari noch persönlich gekannt, waren teilweise auch gute Bekannte von ihm gewesen. Aber keiner von ihnen hatte gewusst, weshalb dessen einziger Sohn der Streitpunkt der heutigen Verhandlung war. Aufmerksam ließen sie ihre Augen noch einmal auf Fireball ruhen, sie musterten ihn, versuchten, ihn auf die Schnelle mit seinem Vater zu vergleichen.

April wollte aufschreien, doch ihre Worte erstarben, noch bevor sie den Mund verlassen hatten. Sie hatte den Blick ihres Vaters aufgefangen, hatte die Enttäuschung und Wut in seiner Gestik ablesen können. Und sie hatte beobachtet, wie Fireball erschüttert und eingeschüchtert den Kopf zwischen die Schultern gesteckt hatte. Sie wollte aufspringen, ihren Vater zur Vernunft bringen und ihm sagen, dass er aufhören sollte. Er sollte nicht weiter in schmerzhaften Erinnerungen bohren und schürfen, er sollte seine Gefühle nicht an Fireball auslassen. Wieder beging er die selben Fehler, die er seit dem Eintritt von Fireball ins Oberkommando immer wieder begangen hatte. Hilflos klammerte sich April an Colts Arm, sie drückte ihm ihre Fingernägel durch den Hemdärmel in die Haut.

Verdattert verfolgte auch Colt, wie sich die Aufmerksamkeit auf Fireball richtete. Vorhin waren die Augenpaare noch gut verteilt auf die drei Befragten gewesen, nun aber sahen alle außer Saber den ehemaligen Rennfahrer an. Und der hätte sich am liebsten aus dem Fenster geworfen, wie Colt feststellte. Er strich April beruhigend über die Hände, nickte ihr freundschaftlich zu und versprach ihr im Flüsterton, dass alles gut würde. Ohne Schwierigkeiten hatte er gesehen, dass Aprils Nerven blank lagen, sie trotz aller guten Vorsätze nicht wusste, zu wem sie halten sollte.

Sabers blaue Augen fixierten den Commander eindringlich. Diese Worte hätte er sich sparen können. Den Vergleich hätte er sich sparen können, damit brachte er maximal ein paar erstaunte Gesichter hervor, aber die Fragen würden deswegen nicht besser werden. Saber strafte den Commander neben ihm mit seinen düsteren Blicken. Er hatte Fireball Erwartungen aufgebürdet, die er niemals im Leben hätte erfüllen können!

Der General nickte kurz, nachdem er Fireball Millimeter für Millimeter ausgiebig gemustert hatte: „Ich verstehe, was Sie uns damit sagen wollen, Commander Eagle. Er sieht dem jungen Captain Hikari zum Verwechseln ähnlich und Sie hatten verständlicher Weise Hoffnung darin gesetzt, dass er das Werk seines Vaters weiterführen würde.“, der weißbärtige Mann machte eine kurze Pause, in der er seine beiden Kollegen noch einmal fragend ansah. Nun lenkte er das Thema zurück auf den eigentlichen Punkt: „Die Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn mag ein Punkt gewesen sein, weshalb Sie großzügig darüber hinweggesehen haben, dass Mister Hikari keinerlei Qualitäten vorzuweisen hatte. Aber wenn mich nicht alles täuscht, Commander Eagle, hat er Ihre Erwartungen relativ schnell nicht mehr erfüllen können, obwohl Offizier Rider in seinen Berichten nur lobende Worte für Mister Hikaris Entwicklung fand.“

Eagle atmete tief durch, straffte seine Körperhaltung noch einmal und begann schließlich, zu erklären, weshalb er mit Fireball nicht mehr zufrieden war: „Anfangs war er, wie man es von ihm erwartete, bald jedoch hat sich herausgestellt, dass der vermeintliche Glücksgriff für Ramrod immer mehr zu einem Desaster mutierte. Mister Hikari hat unmögliche Umgangsformen, und absolut keinen Respekt vor Vorgesetzten. Sein Verhalten gefährdete nicht nur Missionen, sondern auch Menschenleben. Vor allem das seiner Kollegen an Board von Ramrod. Sie hatten mehr als einmal verdammtes Glück. Ein Beispiel: Er hat König Jarred ohne Erlaubnis geduzt und somit die gesamte Allianz beinahe zum Kippen gebracht! Ohne das diplomatische Geschick meiner Tochter oder dem von Offizier Rider wäre die Allianz nicht mehr zustande gekommen.“

Saber biss sich auf die Lippen. Der Commander erzählte von wahren Begebenheiten, aber er verdrehte die Wahrheit, wie es ihm gerade in den Kragen passte. Wieder wanderten Sabers Augen zu seinem Freund hinüber, der mittlerweile die Augen nur noch stur geradeaus gerichtet hatte und sich mit beiden Armen auf dem Pult aufstützte. Die Verzweiflung in Sabers Augen wäre sogar einem wildfremden Menschen aufgefallen. Es sah ganz und gar nicht gut für die beiden Freunde an der Befragungsfront aus. Commander Eagle hatte die erste Runde bereits für sich entschieden, es würde schwierig werden, die drei Mitglieder vor ihnen noch davon zu überzeugen, dass der Status Quo immer noch die beste Lösung war. Nein, Saber war sich schon zu tausend Prozent sicher, dass er am Ende des heutigen Tages seine EDM abgeben würde. Zuerst seine Ehe, und nun sein Job. Es war nicht sein Jahr.

„Keiner der unzähligen Vorgesetzten, die im Laufe der Jahre das Vergnügen hatten, mit Ramrod zusammenzuarbeiten, hat jemals Beschwerde über das Verhalten von Mister Hikari eingereicht. Und auch König Jarred hat nie ein Wort darüber verloren, dass Mister Hikaris Umgangsformen nicht akkurat wären.“, der General hatte sich vor dieser Verhandlung noch alles, was relevant sein könnte, von Allan heraussuchen lassen. Beschwerde war keine einzige dabei gewesen. Keine über Fireball, keine über Saber und auch keine über April und Colt. Die vier hatten diesbezüglich die weißeste Weste im Oberkommando. Alle waren zufrieden und stolz auf Team Ramrod gewesen. Er machte sich Notizen, hielt kurz schriftlich fest, was er an der Aussage für wichtig hielt und stocherte dann weiter: „Lassen sie mich zusammenfassen Commader. Sie stellten Mister Hikari auf persönliche Empfehlung von Offizier Rider und ihrer Tochter ein. Sie nennen ihn respektlos, eine Gefahr für Allianzen, die dennoch zustande kamen, und mehr noch, einzig Dank des Teams um ihn herum konnten die aufgetragenen Missionen erfolgreich beendet werden. Haben sie sich mit diesem Problem an Offizier Rider gewandt um mit ihm gemeinsam entsprechende Schritte oder eine mögliche Entlassung zu erörtern um das Risiko durch Mister Hikari zu mindern beziehungsweise komplett auszuschalten?“

Der Commander verlagerte sein Gewicht von einen Fuß auf den anderen, seine Hände lagen ruhig auf dem Pult. Er sah der Befragung schon viel gelassener entgegen als noch vor wenigen Minuten. Die Fragen spielten ihm in die Hände, er hatte gute Gründe und die würde er nun nennen: „Zu dem Zeitpunkt, als die Probleme mit Mister Hikari immer häufiger wurden, war Offizier Rider schon befangen. Aus den Kollegen waren bereits Freunde geworden, gute Freunde, wie ich anmerken darf. Wie sollte ich einem Offizier nahe legen, seinen Piloten zu entlassen oder ihn zu maßregeln, wenn er in den höchsten Tönen von ihm sprach? Offizier Rider war nicht länger in der Lage unbefangen zu handeln. So leid es mir tat, dieser Weg war bereits versperrt. Also sah ich nur noch die Chance, Mister Hikari selbst zur Vernunft zu bringen.“

Was Commander Eagle gerade ausgesagt hatte, war das genaue Gegenteil von dem gewesen, was Saber gesagt hatte. Der blonde Schotte ballte die Hände zu Fäusten. Die Mitglieder des Ausschusses würden als nächstes auf die Idee kommen, dass Saber nicht nur seine Pflichten als Vorgesetzter, sondern auch als Freund, vernachlässigt hatte. Sie würden ihm ein Messer an die Kehle setzen, das bei jeder falschen Antwort ein wenig weiter in seine Haut stach, bis sie ihm die Kehle durchtrennten. Saber fühlte sich, als müsse er sterben. Die drei älteren Herren da vorne würden ihm den letzten Funken Selbstwertgefühl nehmen, sie wussten haargenau, wie sie es anstellen mussten und Commander Eagle lieferte ihnen auch noch das richtige Werkzeug dazu.

„Sie meinen tatsächlich, ein Mann, der eine der besten Ausbildungen des KOK absolviert hat, war nicht mehr in der Lage, sachlich und kompetent sein Team zu führen?“, der General hob verblüfft die Augenbrauen. Das war bei Sabers Personalakte kaum vorstellbar. Er bohrte immer weiter, immer unangenehmer wurden die Ausführungen, für alle Beteiligten: „Auf einmal sahen Sie also Grund, an dem Urteilsvermögen von Offizier Rider zu zweifeln. Haben Sie mit ihm darüber gesprochen? Haben Sie Offizier Rider darauf aufmerksam gemacht, dass er aufgrund von unsachlichem und unangebrachtem Verhalten, egal in welcher Weise, vom Dienst suspendiert werden konnte? Haben Sie ihrem Offizier das klar gemacht? Kam es für Sie überhaupt je in Frage Offzier Rider oder Mister Hikari aus dem Team zu nehmen und wenn ja, warum haben sie das versäumt?“

Spätestens jetzt war der Zeitpunkt gekommen, an dem auch dem Commander zum ersten Mal die Worte fehlten. Die Mitglieder dieses Ausschusses hatten wirklich an alles gedacht. Vor allem aber stellten sie Fragen, die im Grunde so einfach zu beantworten waren, deren wahrheitsgemäße Beantwortung aber alle nur noch tiefer in die Misere zog. Charles schloss einen Moment die Augen und dachte angestrengt über seine nächste Aussage nach. Er musste es rational erklären, nicht emotional, das zog beim Ausschuss nicht mehr. Also appellierte er: „Ramrod konnte zu dritt nicht gesteuert werden! In der Phase des Krieges, in der wir uns damals befunden haben, hätten wir auf die Schnelle weder Ersatz für den Piloten noch für den kommandierenden Offizier gehabt. Ich musste es riskieren, alles andere hätte einen Totalausfall von Ramrod zur Folge gehabt. Ein Wechsel hätte das Team noch mehr geschwächt.“

Saber musste neidlos anerkennen, dass die Antworten von Commander Eagle gut waren, fast zu gut. Er hatte den begründeten Verdacht, dass der Commander als Gewinner aussteigen könnte, wenn der Ausschuss ein Urteil gefällt hatte. Ungläubig schüttelte er den Kopf. Saber würde die Strafe für seine blinde Loyalität und sein Vertrauen erhalten. Es machte ihm Angst, weil er sah, dass Commander Eagle mit allem, was er getan hatte, davon zu kommen schien. Es war nicht fair. Es war einfach nicht fair!

Der General hatte noch einige solcher Fragen für Commander Eagle auf Lager. Er befragte ihn, weshalb es ein schwächliches Team, wie Ramrod mit einem solchen Mitglied wie Fireball eines gewesen sein musste, geschafft hatte, ihn wohlbehalten und gesund von der Gefangenscheit der Outrider zu befreien. Doch dem Commander gingen die Antworten nicht aus. So erklärte er dem Ausschuss, dass April ihn als seine Tochter gesucht hatte und die anderen drei lediglich den Vater einer Freundin gesucht hatten, nicht den Commander des westlichen Grenzlandes. Sie seien als Freunde auf die Suche nach ihm gegangen, niemand hatte jemals Team Ramrod einen offiziellen Auftrag zur Suche nach ihm gegeben. Der Commander war geschickt in seinen Antworten, zum Ende hin hatte es den Anschein, dass er die Verweise und den Rauswurf völlig berechtigt vollzogen hatte.
 

Nach Commander Eagles Befragung wurde eine Pause gemacht. Allen im Saal rauchten die Köpfe, sie brauchten einige Minuten, um sich wieder zu fangen. Kaum waren die drei Mitglieder des Ausschusses aus dem Raum gegangen, war Fireball an Saber und Commander Eagle vorbeigezischt und auf ein Fenster zugegangen. Er riss es auf, stützte beide Arme auf das Fensterbrett, beugte den Oberkörper aus dem Fenster soweit hinaus, wie er nur konnte und sah nach unten.

Saber bemerkte mit Unbehagen, wie weit sich Fireball aus dem Fenster lehnte, hielt der junge Japaner dem Druck nicht mehr Stand? Sofort setzte er seinem Freund nach, nahm ihn an der Schulter und murmelte: „Fireball? Was machst du denn da?“

Ruckartig fuhr Fireball herum und brummte: „Ich schnappe frische Luft, weil ich sonst die Wände hochgehe! Ich vertrag das alles hier nicht.“, sein Blick flog flüchtig über den Raum. Als er sah, wie April und auch Colt auf die beiden zukamen, wartete er mit seinen nächsten Worten noch ab, bis auch seine Freunde bei ihnen standen. Dann aber entlud sich sein Gemüt wie ein Kugelblitz. Er maulte: „Die ziehen hier eine verdammte Show mit uns ab. Verdammt, die machen das nur, damit alle sehen, dass dem nachgegangen wurde. Die haben nicht vor, eine gerechte Entscheidung zu treffen!“

Verzweifelt hob Saber die Augenbrauen. Was war in den Rennfahrer gefahren? Wollte er plötzlich etwa doch, dass Eagle seine gerechte Strafe erhielt? Weil Fireball nicht gerade leise gesprochen hatte, blinzelte Saber kurz in den Raum, hoffentlich hatte ihn niemand gehört. Ein flüchtiger Blick auf April und Colt bestätigte seine Vermutung. Auch ihnen behagte die Anhörung nicht, sie hatten beide Angst um ihre Freunde. Während April jedoch nicht in der Lage war, etwas zu sagen, war Colt schier außer sich vor Wut und Hilflosigkeit.

Der Kuhhirte stieß Fireball an die Schulter und keifte seinen Freund an: „Dann tu verdammt noch mal was dagegen, Fireball!“, er wollte sich an den Kopf greifen, um seinen Hut wieder richtig zu positionieren, doch Uniform sei Dank saß an diesem Tag kein Hut auf seinem Haupt. Noch ärgerlicher als ohnehin schon, blaffte er weiter: „Eins sag ich dir, Fireball. Wenn du unseren Säbelschwinger da noch weiter reinreitest, weil du Mister Universum Commander Eagle da raus hauen willst, prügel ich dir den Verstand eigenhändig wieder rein.“

Fireball senkte den Blick und steckte die Hände wieder in die Hosentaschen. Sein Freund hatte Recht. Und der Polizist musste sich eingestehen, dass beides nicht ging. Er konnte nicht Commander Eagles Haut retten und den Job von Saber sichern. Es war fraglich, ob er überhaupt eines von beidem schaffen würde, denn der Ausschuss würde sich mit Halbwahrheiten und Notlügen nicht um den Finger wickeln lassen. Die Mundwinkel soweit wie möglich nach unten gezogen, brummte Fireball: „Du weißt, dass ich meine Freunde nicht im Stich lasse. Das hab ich früher nicht getan und damit werde ich auch jetzt nicht anfangen. Wenn nötig, werde ich alle Schuld auf mich nehmen.“

Dabei linsten seine braunen Augen traurig zu April. Er enttäuschte sie wieder, bevor sie das, was sie hatten, überhaupt eine richtige Beziehung nennen konnten. Wie gern hätte er ihr versprochen, den Kopf ihres Vaters aus der Schlinge zu ziehen und auch Sabers Ansehen wieder gerade zu rücken. Sie hatten die Befragung sehr geschickt aufgezogen, wie Fireball frustriert festgestellt hatte. Die drei hatten vorher Saber und Commander Eagle verhört und sich den Hauptbeteiligten bis zum Schluss aufgehoben. Entweder, er kniff die Augen zusammen und zog es durch, nämlich mit der Wahrheit, die er auch Allan erzählt hatte oder er schwieg. Schwieg auf Gedeih und Verderb zu den Vorwürfen, Fragen und Kommentaren. Aber konnte er das?

April stand neben den drei Jungs, in deren Mitte. Sie hörte aufmerksam zu, was der Cowboy und der Säbelschwinger noch zu besprechen hatten. Die beiden waren sich einig, der Tag war schon gelaufen.

Als die Tür wieder geschlossen wurde, und die Befragung offensichtlich in die nächste Runde gehen sollte, streckte Colt seine Hand nach vor: „Das klingt jetzt abgedroschen, ich weiß. Aber es passt so herrlich zu der Situation. Einer für alle…“

Saber, Fireball und April legten jeweils eine Hand auf Colts und umfassten sich. Sie sahen einander an und vollendeten Colts Satz: „Alle für einen.“

Colt drehte sich um und ergänzte mit einem leichten Lachen: „Hoffentlich nicht für Commander Eagle.“

Er konnte nur noch mit Galgenhumor ertragen, lediglich Zuschauer zu sein. Der Kuhhirte konnte von Haus aus schlecht seinen Mund halten, es zu müssen, machte ihn wahnsinnig. Er nahm April in den Arm und ging mit ihr auf ihren Platz zurück. Freundschaftlich drückte er sie, bevor sie sich setzten und murmelte: „Wir alle sind bei dir, Süße. Zwar nicht körperlich, aber mit dem Herzen.“

Damit spielte er darauf an, dass April Fireball in Gegenwart der hochrangigen Offiziere und Kommandanten des Oberkommandos nicht einmal berühren durfte. Es wäre eine Katastrophe, wenn die drei Weisen aus dem Morgenland auch noch auf die Idee kämen, April hätte damit was zu tun.
 

Fireball stand noch gar nicht richtig an seinem Platz, da sprach ihn der General, der Commander Eagle vorher befragt hatte, an. Er kratzte sich am Kopf, sah Fireball eindringlich an und überlegte offensichtlich, womit er anfangen sollte. Schlussendlich war ihm jedoch bewusst, was er zu sagen hatte. Der General räusperte sich kurz, um sich Fireballs Aufmerksamkeit sicher zu sein und erhob die herrische Stimme, die beinahe so laut war, dass sie im Raum widerhallte: „Wir haben in den vergangen Minuten viel über Ihr ungebührliches Verhalten gehört, Mister Hikari. Was ich allerdings wissen möchte, habe ich noch nicht gehört. Wie hat es Ihnen auf Ramrod gefallen? Wie war die Zeit im Kavallerie Oberkommando für Sie?“

Der ehemalige Rennfahrer verschloss augenblicklich sein Gesicht. Keine einzige Emotion sollte über sein Gesicht huschen, während er dem Ausschuss Fragen beantworten musste. Die Augen fixierten die Bäume, die sich im Wind beugten. Er richtete die Augen zum Fenster hinaus, seine Körperhaltung war so gerade, wie sie sein konnte, als er leise antwortete. Seine Stimme war kaum lauter als das Flüstern, das von den hinteren Rängen zu hören war. Die feinen Herren da vorne sollten sich anstrengen, wenn sie was von ihm hören wollten. Ein Wort war alles, was er dem General auf diese Frage zu sagen hatte: „Durchwachsen.“

„Durchwachsen kann auch der Frühling sein, Mister Hikari!“, es war der Vorsitzende selbst, der die Antwort nicht vertragen hatte und Fireball aufforderte, sofort eine Erklärung abzugeben: „Erörtern Sie uns bitte ausführlicher, wie Sie sich im Oberkommando gefühlt haben.“

Saber konnte die nächsten Minuten kaum ertragen. Immer wieder sah er sich an einem Punkt, an dem er eingreifen wollte, dem allem ein Ende setzen wollte. Sie stellten Fireball noch unangenehmere Fragen als ihm oder Commander Eagle und das machte Saber rasend. Wüssten die feinen Herren auch nur ein bisschen von dem, was Fireball in seinem Leben schon alles durchgemacht hatte, sie hätten sich viele Fragen verkniffen. Der Schotte war ein guter Freund, und deshalb fühlte er sich nun, da er in die Geschicke nicht mehr eingreifen konnte und Fireball seinem Schicksal überlassen war, noch schlechter als bei seiner eigenen Befragung. Seine Augen kontrollierten immer wieder den Gesichtsausdruck seines Freundes. Bei den ersten Anzeichen von Verzweiflung, oder wenn er sich nicht mehr helfen konnte, würde er eingreifen. Saber wurde sich dessen bewusst, dass die Freundschaft zu Fireball, und auch zu den anderen, mehr zählte als dieser verdammte Job. Sollten sie ihn rauswerfen, er würde sich wieder auf die Beine stellen. Saber würde auch woanders unterkommen, notfalls wieder bei der königlichen Leibgarde in den Highlands.

Fireball wehrte sich lange und standhaft gegen die Fragen des Ausschusses. Er antwortete auf jede, ihm gestellte Frage, aber inhaltlich waren die Antworten nutzlos für den Ausschuss. Fireball erklärte: „Durchwachsen heißt ganz einfach, dass es mal bessere und mal schlechtere Zeiten auf Ramrod gegeben hat. Und das ist heutzutage überall so, auch in jeder anderen Einheit des Oberkommandos, Sir.“

Nachdenklich schob der General seine Lippen zusammen. Es musste eine Möglichkeit geben, dem jungen Herren, mit dem asiatischen Antlitz, brauchbare Aussagen zu entlocken. Er hatte den Bericht von Allan vor sich liegen, mit allen schriftlichen Aussagen der heute Befragten. Problem allerdings war, dass keine dieser Aussagen unterschrieben worden war, als Beweismaterial konnte er sie deshalb nicht verwenden. Aber er konnte sie als Anhaltspunkte benützen und wusste somit, in welche Richtung er genauer nachbohren musste. Und was er von den ersten zwei Sätzen von Fireball gehört hatte, brachte ihn eindeutig zu dem Schluss, dass er von dritter Seite vielleicht unter Druck gesetzt wurde und nichts sagen durfte. Er nickte bedächtig und fischte die nächste Frage aus seinem unerschöpflichen Fundus: „Und wie haben Sie sich mit ihren Kollegen an Board verstanden? Wie war das Verhältnis zu Ihren Vorgesetzten?“

Mit einem schelmischen Lächeln bestand Fireball diese Frage. Er lockerte seine verkrampfte Haltung etwas, auf Dauer hätte ihm das steife Stehen sowieso nur Rückenschmerzen eingebracht, und schmunzelte dem Ausschuss entgegen: „Ganz gut. Wenn ich Geschwister hätte, so würde ich das Verhältnis, das ich zu meinen Arbeitskollegen hatte, mit jenem unter Geschwistern gleichsetzen. Wir haben zusammengehalten, uns aufgezogen, gestritten und uns in schweren Zeiten beigestanden. Ja, ich würde behaupten, ich hatte an Board zwei große Brüder und eine große Schwester.“

„Aber auch zu Geschwistern kann man wenig bis gar kein Vertrauen haben, Mister Hikari.“, der General roch schon eine Verschwörung, diese Antworten waren einfach nicht das, was er erwartet hatte oder was er hören wollte. Fireball machte einen so großen Bogen um die Wahrheit herum, dass der General aufpassen musste, dass er nicht vor Ungeduld platzte. Er setzte noch einmal an: „Ich nehme also einfach an, dass Sie ein gutes Verhältnis zu Ihren Kollegen an Board hatten. Auch zu Offizier Rider. Wie viel Vertrauen hatten oder haben Sie noch in ihn?“

Fireball neigte den Kopf zu Saber. Lügen würde er nicht, das durfte er nicht. Und der kleine Japaner wusste, worauf diese Frage nun abzielen würde. Der Ausschuss tastete sich an noch viel unangenehmere Dinge heran. Egal, was Fireball nun auch sagen würde, die nächsten beiden Fragen kannte er bereits. Er brauchte nur noch zu wetten, welche sie als erstes stellen würden. Wahrheitsgemäß brachte der ehemaligen Rennfahrer hervor: „Ich würde dem Säbelschwinger jederzeit wieder mein Leben anvertrauen. Ich hatte vom ersten Tag an Vertrauen zu ihm und das habe ich immer noch. Er ist ein guter kommandierender Offizier, wenn nicht der beste.“

Wenn das nicht mal eine persönliche Empfehlung von einem ehemaligen Angestellten des Oberkommandos gewesen war! Fireball musste höllisch aufpassen, damit er das nicht laut aussprach.

Colt und April rutschten auf ihren Stühlen herum, keiner konnte mehr ruhig sitzen bleiben. Sie waren angespannt, zum Zerreißen angespannt. Colt knöpfte seit Beginn der Befragung schon den zweiten Knopf an seinem Hemd auf und krempelte die Ärmel nach oben. Ihm war viel zu heiß, sprichwörtlich fühlte er sich, als schwitze er Blut und Wasser. Die Jacke hatte er um den Sessel geschwungen, und eine Hand lag auf Aprils Schenkel. Er musste ihr immer öfter zeigen, dass sie nicht allein hier war und nichts sagen durfte. Der Kuhhirte fragte sich, wer sich wohl gerade am elendsten von allen vieren fühlte. Fireball, weil er gerade aussagen musste, Saber, weil er schon ausgesagt hatte und nichts mehr rückgängig machen konnte, oder Colt und April, die beide nichts tun konnten, außer zuzusehen, wie das Schicksal erneut zu einem kräftigen Schlag ausholte?

Nun stellte zum ersten Mal das dritte Mitglied des Ausschusses eine Frage. Auch er war ein Commander, allerdings ein Ausbilder. Die anderen beiden waren aktiv am Kriegsgeschehen beteiligt gewesen, dieser braunhaarige Commander bildete lediglich Rekruten aus. Er stieß den Zeigefinger auf Saber und drehte Fireball das Wort im Mund um: „Nachdem Sie Offizier Rider Ihr Leben anvertrauen würden, weshalb sind Sie dann nicht mit den Problemen, die Sie ja offenbar mit Commander Eagle hatten, zu ihm gegangen? Offizier Rider war Ihr direkter Vorgesetzter, Sie hätten Meldung darüber machen müssen. War das Vertrauen etwa doch nicht so unermesslich in Offizier Rider, wie Sie uns das gerade geschildert haben?“

Mit der rechten Hand fuhr sich Fireball durch die Haare. Unbewusst strich er mit dem Finger die lange Narbe am Kopf entlang. Er stellte sich die Frage, ob es etwas an seinem Schicksal geändert hätte, wenn er den Befehl von Commander Eagle, mit niemandem darüber zu reden, ignoriert hätte, und tatsächlich zu Saber oder gar zu April gegangen wäre. Hätte sich all der Schmerz vermeiden lassen? Der Japaner rückte seine eben getroffene Aussage in die richtige Ecke, der Commander hatte die ja gerade so verschoben, wie er sie gerne gehabt hätte: „Dann lassen Sie es mich anders ausdrücken, Sir. Ich gehöre nicht zu der Gattung Mensch, die anderen ihre Probleme auftischt. Egal ob beruflicher oder privater Natur. Und außerdem: Wer behauptet, dass es zwischen Commander Eagle und mir Probleme gegeben hat?“

Herausfordernd hatte er dem Ausschuss dabei in die Augen geblickt, er war gespannt, wie sie den Satz werteten. Wenn sie ihm das Wort im Mund umdrehen konnten, dann konnte er das noch ein Stückchen besser. Stillschweigend dankte Fireball seiner guten Ausbildung, die er bei der japanischen Polizei genossen hatte und dem unglücklichen Umstand, dass er schon einmal vor einem Untersuchungsausschuss gestanden hatte. Damals war er sechzehn gewesen, er war einberufen worden, nachdem Haruto erschossen worden war. Auch das hatte er überlebt und nun hatte er einige Jahre mehr Erfahrung als damals. So leicht gab er den drei Obrigen nicht nach.

Der General nickte anerkennend, tat Fireball aber nicht den Gefallen klein bei zu geben. Die nächste Frage kam unausweichlich auf ihn zu: „Finden Sie, dass Offizier Rider seinen Job nicht ordnungsgemäß erledigt hat? Immerhin hat er nicht erkannt, in welcher Zwickmühle Sie steckten.“

Fireball zog die Augenbrauen hoch und linste zu Saber. Er kontrollierte nach, ob wenigstens der Säbelschwinger wusste, wovon der Knilch da vorne sprach. Fireball wusste nämlich nicht, was der mit der Zwickmühle meinte. Als ihm auch Saber keine Antwort geben konnte, dessen Augen sahen ihn genauso fragend an, wie er den Säbelschwinger, rümpfte der pensionierte Rennfahrer die Nase und zog die Schultern an: „Welche Zwickmühle? Was meinen Sie damit?“

„Es gab einen Grund, weshalb Sie nicht zu Offizier Rider mit Ihren Problemen gehen konnten. Der Grund sitzt da hinten.“, triumphierend deutete der General auf die hinteren Ränge, zielgenau auf April, die in diesem Moment am liebsten im Boden versunken wäre. Von nun an wurde es ungemütlich. Ungemütlich privat, wie alle Beteiligten feststellten.

Fireball folgte dem Finger des Ausschussmitgliedes und kniff verärgert die Augen zusammen. Seine Ohren begannen unweigerlich zu glühen, er fühlte sich vom Ausschuss ertappt. Aber das Wort aufgeben und alles zugeben kannte er trotzdem nicht. Mit einem aufgesetzten, breiten Grinsen drehte er sich wieder dem Ausschuss zu und lachte: „Colt ist der Grund? Wieso denn das? Ist er etwa Commander Eagles Ziehsohn?“

„Ich meinte auch nicht Mister Wilcox, sondern die Dame neben ihm.“, der alternde General deutete noch einmal in die Zuschauerränge, Fireballs Augen folgten der Richtung wieder. Dem Ausschuss war nicht entgangen, wie ungehobelt sich der Rennfahrer gerade ausgedrückt hatte, aber niemand sah Veranlassung, ihn dafür zu ermahnen, immerhin hatte er niemanden beleidigt oder jemanden das Wort abgeschnitten.

Fireballs braune Augen ruhten einen Moment auf der Blondine. Sie tat ihm so unendlich leid. Er konnte sehen, wie schlecht es ihr gerade ging. Betroffen wand er den Blick wieder von ihr ab und drehte sich wieder dem Ausschuss zu. Als er sich umdrehte, blinzelte er kurz zu Commander Eagle und Saber. Ob der Commander überhaupt sah, wie schrecklich sich seine Tochter fühlte? Fireball steckte die Hände in die Hosentaschen und seufzte ausgiebig. Seine Haltung wirkte, als würde er sich geschlagen geben, als würde er dem Ausschuss jede Frage beantworten. Ohne einen der drei anzusehen, murmelte er: „Was ist mit April?“

Saber zog neben ihm erstaunt die Augenbrauen nach oben. Das klang nicht wonach es gerade ausgesehen hatte. Was hatte Fireball bloß vor? Seine Haltung bedeutete Aufgabe, aber seine Stimme ließ den Sturkopf durchklingen. Saber hatte keine Ahnung, was die nächsten Minuten passieren würde. War das die Ruhe vor dem Orkan?

Der General nickte, nun hatte auch der letzte begriffen, von wem er sprach. Dass der Japaner nicht recht mit der Sprache herausrücken wollte, war ihm klar. Immerhin ging es um die ungerechte Behandlung durch Commander Eagle und eine mögliche, verbotene Liebelei an Board von Ramrod. Gedehnt atmete der General aus und formulierte seine nächsten Worte so haargenau aber provokant, dass Ausweichmanöver keinen Sinn machen würden: „Ich werde Ihnen erklären, was mit Miss Eagle ist, Mister Hikari. Sie war der Grund, weshalb Sie nicht zu Offizier Rider gehen konnten und ihm sagen konnten, dass Commander Eagle Sie unfair behandelte. Miss Eagle ist Commander Eagles Tochter, die einzige, wie die meisten hier ohnehin wissen. Und Sie, Mister Hikari haben heimlich eine Beziehung zu ihr aufgebaut. Niemand sollte davon erfahren, am allerwenigsten natürlich der Commander oder gar die Dienstaufsicht. Offizier Rider hätte jedoch angefangen Nachforschungen anzustellen, wenn Sie ihm von Ihren Schwierigkeiten berichtet hätten. Er wäre hinter ihr Geheimnis gekommen. Deswegen haben Sie all die Jahre still geschwiegen und weiterhin Ihren Job gemacht.“

Niemand im Saal wagte es, einen Mucks von sich zu geben. Saber hatte die Augen geschlossen und hoffte, dass das alles nur ein böser Albtraum war. Colt biss sich auf die Lippen, er hätte dem Ausschuss gerne so viele Dinge nach vor gerufen, die nicht jugendfrei waren, durfte aber nicht. April standen die Tränen in den Augen und ihr Herzschlag war in die Höhe geschnellt. Sie hatte so unglaublich viel Angst vor den nächsten Augenblicken, dass sie zu zittern begann. Unbewusst griff sie nach Colts Hand und drückte sie. Der Commander war blass um die Nase geworden. Endlich hatte er gemerkt, dass dieser Ausschuss auch auf Aprils Rücken ausgetragen werden konnte. Er drehte sich zu ihr um, er kehrte den Mitgliedern den Rücken und bedachte sein Kind mit einem unheimlich traurigen Blick.

Da schnitt Fireballs Stimme durch den Raum. Sie war fest und duldete keinen Widerspruch: „Nicht immer ist eine Frau an einer ungerechten Beurteilung Schuld! Und in dem Fall gar nicht. Und jetzt kein Wort mehr über eine Beziehung zwischen April und mir, weil’s Ihre Zeit ist, die Sie damit verschwenden. Da war nichts, da ist nichts und da wird auch nichts sein. Weil Freundschaft wichtiger ist, als Sex.“

Natürlich war das gelogen, das wusste Fireball besser als sonst jemand im Raum. Aber hier ging es nicht um April und ihn, hier ging es um die Arbeit, die sie geleistet hatten und um die Beurteilung, die sie dafür ausgefasst hatten. Der Rennfahrer wollte April soweit wie möglich da raus halten, sie hatte so schon genug damit zu kämpfen und er würde nicht zulassen, dass die drei feinen Maxen ihr zu nahe traten und ihr noch mehr Schaden zufügen würden. Fireball hoffte, dass die drei Männer vor ihm verstanden hatten, dass er etwas von einer ungerechten Beurteilung gesagt hatte, das sollte sie doch wieder auf die richtige Fährte bringen.

Colt wäre am liebsten aufgesprungen und hätte Fireball applaudiert, aber dafür war es noch zu früh. Noch konnte der Ausschuss Gegenargumente finden, sie konnten Fireball noch den Haken ins Kreuz stoßen. Deshalb beschränkte sich Colt auf ein viel sagendes Grinsen und der Genugtuung, dass sie zumindest alle dumm aus der Wäsche guckten.

Es war der Commander, der als erster seine Sprache wieder gefunden hatte. Er erklärte dem Ausschuss mehr als deutlich: „Sir, Sie wissen, dass alle vier gute Freunde auf Ramrod waren. Und auch, wenn es für manche im Oberkommando so ausgesehen haben mag, dass Shinji und meine Tochter mehr als das sind, so kann ich Ihnen nur folgendes sagen. Meine Tochter hätte mir gesagt, wenn sie mehr als nur freundschaftliches Interesse an Shinji gehabt hätte, denn sie kennt die Regeln und sie hält sich daran.“

Fireball war erstaunt über die unerwartete Schützenhilfe von Commander Eagle. Eigentlich hätte er damit gerechnet, dass der noch einen Satz hinterher warf, der die Vermutung des Ausschusses untermauern sollte. Aber nichts da! Der Commander schlug sich diesbezüglich auf die Seite des Japaners und Fireball freute sich still darüber. So würde April nicht mehr allzu schnell zur Sprache kommen. Blieb nur noch zu hoffen, dass er das Problem mit Saber auch noch aus der Welt schaffen konnte.

Der Vorsitzende übernahm wieder die Befragung von Fireball, offenbar hatte der die meiste Erfahrung mit Befragungen dieser Art. Ohne eine Miene zu verziehen, blätterte er in seinen Unterlagen und stellte beiläufig fest: „Dann sagen Sie also, dass die Beurteilungen von Commander Eagle ungerecht waren, Mister Hikari. Was war mit denen von Offizier Rider? Und natürlich noch einmal die Frage: Weshalb sind Sie nicht zu ihm gegangen, wenn Sie ungerecht behandelt worden sind? Und dieses Mal keine Ausflüchte, junger Mann.“

Fireball schmunzelte. Hatte er doch glatt den richtigen Satz am Anfang fallen lassen. Der ehemalige Pilot steckte die rechte Hand in die Hosentasche, die andere legte er flach auf das Pult. Seine Augen wanderten wieder zum Fenster hinüber. Wesentlich ruhiger als noch kurz zuvor, gab er dieses Mal Auskunft. Die Gefahr für April schien erst einmal abgewendet zu sein, alles andere würde schon irgendwie gehen. Er begann mit einer guten Portion Selbstsicherheit: „Sie wissen genauso gut wie ich, dass es keine absolut ungerechte Beurteilung gibt, Sir. Es war nur meine persönliche Empfindung, dass ich von Commander Eagle nicht so behandelt worden bin, wie ich es von ihm erwartet hatte. Wer sagt denn, dass diese Einträge keine Rechtfertigung haben? Jeder Mensch hat mehr als nur ein Gesicht. Ramrod und Commander Eagle waren für mich immer zwei Paar Schuhe. Ramrod war mein Zuhause, ich bin dort mit dem selben Respekt behandelt worden, den ich auch meinen Freunden entgegen gebracht habe. Deshalb hat Offizier Rider nichts Schlechtes in seine Berichte schreiben können. Er kannte mich nur so und er hat mich auch nie anders kennen gelernt. Ganz im Gegensatz zu Commander Eagle. Ich hasse es, mich rechtfertigen zu müssen, egal für was. Und was anderes tut man bei einer Missionsbesprechung nicht. Ich weiß, dass er all die Fragen stellen musste, aber ich habe niemals eingesehen, dass ich mich für jeden Pups hier im Oberkommando rechtfertigen sollte. Natürlich bin ich laut geworden, jedes Mal wieder, das weiß auch Misses Müller. Und natürlich war es Commander Eagles gutes Recht, wenn nicht seine Pflicht, Vermerke in meine Akte zu schreiben, mich zu verwarnen und gegebenenfalls auch abzumahnen. Das wusste ich, das wusste Commander Eagle und deshalb war es klar, dass Saber dabei keine Rolle spielte.“

Verwundertes Schweigen trat ein. Alle Beteiligten mussten die Worte erst einmal sacken lassen. Die drei Mitglieder des Ausschusses warfen stirnrunzelnd Blicke in ihre Berichte, in die Akte und Allans Zusammenfassung. Die Erklärung von Fireball war so simpel wie einleuchtend gewesen, aber davon war nie auch nur ein Wort in ihren Akten erschienen. Dadurch hatte er sie durcheinander gebracht. Sie mussten sich kurz beraten, neben den Befragten und den Zuschauern, um eine weitere Vorgehensweise zustande zu bringen.

Als Fireball das hektische Getuschel vernahm, formte sich ein triumphierendes Lächeln um seine Lippen. Er hatte es geschafft, den Kahn noch einmal herumzureißen. Wenn Commander Eagle und Saber nur weiter den Mund hielten, standen ihre Chancen wieder besser, unbescholten aus der Sache herauszukommen. Der Rennfahrer war immer noch der Ansicht, dass weder sein Freund seinen Job verlieren sollte noch der Commander suspendiert oder bestraft werden sollte. Auch, wenn das alte Scheusal ihn furchtbar behandelt hatte, Aprils Vater war eine Koryphäe im Oberkommando und ohne ihn wäre der Krieg noch lange nicht vorbei. Fireball drehte sich vom Ausschuss weg und lehnte sich mit den Ellenbogen auf das Pult. Er warf April einen kurzen, prüfenden Blick zu. Ob es ihr wieder besser ging? Erste Enttäuschung machte sich allerdings in ihm breit. Die Blondine sah ihn an und schüttelte traurig den Kopf. Sie war nicht damit einverstanden, dass er alle Schuld auf sich nahm. Fireball senkte kurz den Blick, damit April verstand, dass er nicht anders handeln konnte.

Saber hatte sich zu Fireball gedreht und beobachtete ihn aufmerksam. Als er den Blick seines Freundes auffing, wanderten seine Augen zu April und Colt in die Zuschauerränge. Colt war mindestens genauso wenig begeistert von Fireballs Worten, wie er selbst. Und April würde gleich anfangen, Rotz und Wasser zu weinen, das erkannte Saber meilenweit. Die Blondine zerbrach schier an den Worten, die hier fielen und gefallen waren. Er war gespannt, was noch alles auf sie zukam, die drei Männer vor ihm schienen die Flinte nicht so schnell ins Korn zu werfen, auch wenn Fireball ihnen gerade eine kleine Verschnaufpause verschafft hatte. Saber konnte nicht recht an einen guten Ausgang für die Star Sheriffs glauben.

Und Commander Eagle bekam den Mund vor Staunen nicht mehr zu. Er hätte mit allem gerechnet, vor allem aber damit, dass der junge Hikari dem Ausschuss vorjammerte, wie schlimm es doch für ihn im Oberkommando gewesen war. Der Commander verstand nicht, weshalb Fireball so selbstlos handelte, ein Blinder würde sehen, dass er sich damit noch mehr Ärger einhandelte, als er ohnehin schon gehabt hatte. Immer mehr grämte sich Charles, Fireball für seine eigenen Fehler und für die seiner Mutter bezahlen haben zu lassen. Der Japaner war ein Unikat, noch nie zuvor hatte er einen Menschen gesehen, der alles stillschweigend ertrug und zu allem Überfluss auch dann noch alle in Schutz nahm. Er hatte Hiromis und Shinjis Sohn so Unrecht getan!

Erschrocken fuhr Fireball herum, als der Vorsitzende ihn ermahnte: „Mister Hikari! Sie sollten Ihre Aufmerksamkeit nach vorne richten, und nicht auf Ihre Kollegen hinter ihnen. Die können Ihnen genauso wenig helfen, wie jeder andere im Augenblick!“

Als alle endlich die Augen wieder auf den Ausschuss richteten, begann der Vorsitzende von Neuen: „Sie sagen also über sich selbst, dass Sie ungehorsam und trotzig waren, Mister Hikari. Sie geben auch ganz offen und ehrlich zu, dass Sie Commander Eagle nicht mochten, dass Sie seine Fragen nicht mochten und dass Sie ihm gegenüber laut geworden sind. Commander Eagle behauptet, Sie hätten sich nicht nur ihm gegenüber so verhalten, sondern auch anderen Mitgliedern des Oberkommandos oder unserer Allianz. Was sagen Sie zu den Vorwürfen, dass Sie sich zum Beispiel König Jarred gegenüber nicht gebührlich verhalten haben?“

„Stimmt!“, Fireball hätte beinahe zu lachen angefangen, aber so provozierend durfte er dann doch nicht werden. Was sollte er denn lügen? Er hatte König Jarred ein paar unschöne Dinge ins Gesicht gesagt, war vorlaut gewesen und wenn er ehrlich war, ein richtiger Rotzlöffel. Das konnte hier niemand abstreiten, am allerwenigsten er selbst.

Die Mitglieder rissen die Augen vor Verwunderung auf, Fireballs Antwort war beinahe schon fröhlich gewesen. Langsam aber sicher wurde zumindest der Vorsitzende stutzig. Er wagte einen weiteren Vorstoß, allerdings in eine ganz andere Richtung: „Wenn Sie aber doch mit Autorität offenkundig Ihre Schwierigkeiten haben, Mister Hikari, weshalb haben Sie dann nicht gekündigt? Sie sind ein Mensch, der sich nicht gerne Dinge vorschreiben lässt, der, so hat es sich für mich hier jedenfalls herauskristallisiert, keine Befehle befolgen will und sich nicht an Regeln hält.“

Saber war in diesem Augenblick bereit, seinen Job über Bord zu werfen, er hatte sich bereits aufgebracht nach vor gebeugt und den Mund aufgemacht, doch sagen konnte er nichts mehr.

Der Rennfahrer kam ihm zuvor. Schulterzuckend gestand er: „Ich war gerne im Oberkommando, zumindest auf Ramrod war ich gerne. Weil ich dort ein Zuhause und Freunde gefunden habe.“

Dabei wanderten seine Augen aufmerksam von jedem Ausschussmitglied über Allan und auch Saber bedachte er wieder mit einem Blick. Seine Augen sprachen Bände. Niemand sollte hier verurteilt werden. Und wenn doch, dann sollte Fireball derjenige sein, so fasste Saber den Blick jedenfalls auf.

„Sie haben also den Streit alle vierzehn Tage, oder besser gesagt, den Streit, der bei jeder Missionsbesprechung auf Sie im Büro von Commander Eagle gewartet hat, ertragen, weil Sie Ihre Freunde an Board hatten und diese nicht enttäuschen wollten?“, langsam aber sicher lenkte der Vorsitzende den Japaner doch in die richtige Richtung und erhielt somit die Antworten, die er hören wollte. Zumindest ging er davon aus, weil Fireball eben zuzugeben hatte, dass er auf Ramrod ein Zuhause gefunden hatte.

Frustriert seufzte Fireball. Da hatte er sich auch schon wieder verplappert. Das war eben das Problem, wenn man zwar die Wahrheit sagte, weil man nicht lügen wollte, aber immer nur die Hälfte aussprach. Der Vorsitzende war klug, wie Fireball anerkennend feststellte. Aber trotzdem. Der Rennfahrer war nicht nur hier, weil er hierher zitiert worden war, sondern auch, weil er den beiden Mitbefragten helfen wollte. Fireball wiegte leicht den Kopf und runzelte abermals seine Stirn, bevor er antwortete: „Von Enttäuschen war keine Rede. Meine Freunde, und damit meine ich auch Offizier Rider, hatten niemals Grund, an meinen Fähigkeiten zu zweifeln. Und ertragen habe ich nichts, wie ich nämlich vorhin schon gesagt habe, hab ich Commander sehr wohl die Stirn geboten. Ich habe nichts still ertragen, im Gegenteil. Ich war laut, hab mich zur Wehr gesetzt und dem Commander einen Grund gegeben, mich schriftlich zu verwarnen. Der Commander brauchte keine Gründe dafür an den Haaren herbeizuziehen, er hat selbst immer wieder am eigenen Leib gemerkt, wie respektlos ich Vorgesetzten gegenüber bin. Manchmal…“, Fireball machte eine kurze Pause und fuhr sich mit dem Handballen über die Stirn, es war ziemlich schwierig die Wahrheit so hinzubiegen, wie er sie gerade brauchte ohne dabei zu lügen. Demütig sah er zu Commander Eagle hinüber, der seinen Blick auffing und nicht reagieren konnte, als er sich an eine Geschichte von damals erinnerte: „Manchmal hat mir ein Blick schon genügt, um Commander Eagle am liebsten an die Gurgel zu springen. Er hat großzügig über mein Verhalten hinweggeblickt, weil er wusste, was ich auf Ramrod wert war. Commander Eagle musste viel mehr mich ertragen, als ich ihn.“

Noch einmal versetzte Fireball alle Anwesenden mit seiner Aussage in Erstaunen. Ein leises Schluchzen durchbrach dieses Mal die Stille. Es war die Blondine gewesen, die ihre Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Verzweifelt und todunglücklich über Fireballs Aussagen hielt sie sich die Hände vors Gesicht und senkte den Kopf. Sie zitterte am ganzen Leib, weil sie versuchte, die Tränen zu unterdrücken, es ihr aber nicht gelang.

Colt hatte sie sofort in die Arme geschlossen, sie an sich gedrückt, damit sie spürte, dass jemand da war. Aber es half nichts. Keiner seiner Tricks, die er bei Robin in solchen Fällen immer anwandte, half der Blondine. Sie war aus einem ganz anderen Holz geschnitzt, als seine Liebste zuhause. Mit hektischen Augenbewegungen durchstreifte Colt den gesamten Raum und scannte die Anwesenden auf deren Reaktion. Er begann April gut zuzureden, sie sanft in seinen Armen zu wiegen, aber sie beruhigte sich nicht.

Der Rennfahrer hatte das Schluchzen am Anfang nicht gehört. Aber seit es im Saal mucksmäuschenstill geworden war hörte auch er es. Und er wusste, wer dort hinter ihm zu weinen angefangen hatte. Traurig schloss Fireball die Augen und ließ den Kopf hängen. Ohne auf jemanden zu achten, drehte sich Fireball abermals vom Ausschuss weg und diesmal verließ er auch seinen Platz. Es war das alte Lied. Er konnte es nicht ertragen, wenn April weinte und er würde sie nun trösten, denn der Kuhtreiber war nicht der richtige für den Job.

Saber streckte noch verzweifelt die Hand nach Fireball aus, hatte ihn aber nicht mehr erreicht. Auch er machte sich große Sorgen um April, aber sie befanden sich in einer Anhörung, keiner durfte seinen Platz verlassen. Blankes Entsetzen stand Saber ins Gesicht geschrieben, als er mit ansah, wie sich Fireball vor April hockte.

Colt ließ April augenblicklich los, als Fireball vor den beiden hockte. Es war sein Instinkt, der ihm sagte, dass er das einzige Richtige tat, wenn er an Fireball abgab. Aber sein Instinkt verriet dem Kuhhirten auch noch was anderes. Was Blöderes hätte ihnen nicht passieren können. Er hatte an den Blicken der neben ihnen sitzenden Herrschaften zweifellos ablesen können, was die dachten. Und auch die Mitglieder des Ausschusses machten da keine Ausnahme. Die folgenden Augenblicke würde jedes einzelne Wort von Fireball revidieren und eine völlig andere Geschichte preisgeben, als er den Menschen hatte weismachen wollen.

Fireball zog Aprils Hände von ihrem Gesicht und wischte ihr mit dem Daumen der rechten Hand die Tränen aus den Augen. Die restlichen Fingerspitzen ruhten auf ihrer Wange. April wiederum schlang ihre Arme sofort um Fireballs Hals. Sie drückte sich hilflos an ihn und wimmerte: „Warum nur tust du das, Fire?“

„Weil ich davon überzeugt bin, das Richtige zu tun, Süße.“, Fireball strich ihr beruhigend über den Rücken und ließ ihren Kopf an seine Schulter lehnen.

Seine Worte hatten aber nicht die gewünschte Wirkung erzielt. April heulte jetzt erst so richtig auf und zerbrach beinahe daran. Verzweifelt hielt sie sich an Fireball fest. Sie zitterte am ganzen Körper. Und egal, welche Wohltat Fireballs Anwesenheit im Augenblick war, April konnte nicht aufhören, zu weinen. Sie fühlte sich von allen im Saal beobachtet und es behagte ihr nicht.

Fireball sah kurz zu Colt hinüber, der war sonst doch auch immer für ein Ablenkungsmanöver gut, weshalb hielt er jetzt plötzlich den Mund? Auch Fireball behagten die Blicke der Leute nicht, aber nicht nur deswegen, weil er ihnen vor wenigen Minuten noch versichert hatte, dass da außer einer guten Freundschaft nichts war, sondern auch, weil er dazu erzogen worden war, vor fremden Menschen keine Emotionen zu zeigen. Er konnte April hier nicht so festhalten, wie er es normalerweise täte, er durfte ihr hier nichts Beruhigendes sagen.

Der Vorsitzende hatte die Szene argwöhnisch beobachtet und kam sich mittlerweile völlig ignoriert und Fehl am Platz vor. Ignoriert kam er sich vor allem von Fireball vor, der einfach gegangen war und ihn da vorne alles verteufeln lassen würde, ohne dass es ihn juckte. Mit scharfer Stimme, die unbarmherzig sein Recht einforderte, befahl er: „Mister Hikari! Ich verwarne Sie hiermit, weil Sie Ihren Platz verlassen haben. Stehen Sie auf und kommen Sie sofort wieder nach vorne. Um Miss Eagle können Sie sich auch noch in der nächsten Pause kümmern. Sie stirbt schon nicht!“

Fireball kniff die Augen zusammen, nur nicht was Falsches sagen. Widerwillig war er dabei, April behutsam von sich zu schieben, ihr zu versichern, dass er für sie da war und aufzustehen. Diese kalte Art des Vorsitzenden würde sich noch rächen, das schwor sich Fireball. Solange April hier saß und weinte, ohne dass er sie trösten durfte, solange würde er keine Antworten mehr geben. So oder so war es dann vergeudete Zeit für den Ausschuss.

Kopfschüttelnd drehte sich Saber von seinen drei Freunden weg. Er ballte die Hände zu Fäusten und tat etwas, was ihm später bestimmt leid tun würde. Aber April war auch eine seiner Freundinnen und so dreist durfte der Vorsitzende nicht sein. Außerdem sah Saber zumindest eine kleine Chance in seinem Verhalten, wenn auch er sich für April einsetzte. Es würde nicht alles auf Fireball zurückfallen. So glitzerte Saber die Mitglieder des Ausschusses an: „Sir. Lassen Sie uns die Pause vor verschieben, ich bitte Sie inständig darum. April geht es schlecht.“

Unerwartet meldete sich auch Commander Eagle zu Wort, als der Vorsitzende Saber am liebsten den Kopf abreißen wollte und ihm erklärte, dass er die Pause machte, wann es Zeit war und nicht wenn eine junge Frau zu heulen anfing. Charles wählte eine andere Taktik, als Saber, als er den Ausschuss bat, eine kurze Pause zu machen: „Sir, ich gebe Ihnen den dringenden Rat, jetzt eine Pause zu machen. Wir alle haben es bitter nötig und Sie werden sehen, in fünf Minuten sieht die Welt wieder anders aus. Sie werden Ihre Antworten danach ohne weitere Unterbrechungen bekommen.“

Einsichtiger als bei Saber, aber immer noch verstimmt, schüttelte der Vorsitzende den Kopf. Fragend blickte er auf seine beiden Kollegen, die mit den Schultern zuckten. Der General bedeutete dem Vorsitzenden sogar, dass Commander Eagles Vorschlag akzeptabel sei. Energisch stand der Vorsitzende daraufhin auf: „In fünf Minuten geht es weiter und danach wird jede außerordentliche Unterbrechung nicht mehr toleriert!“

Erleichterung machte sich unter den vier Star Sheriffs breit. Saber nickte dem Ausschuss dankbar zu und verschwand ebenfalls in die Zuschauerränge. Colt atmete schwer aus. Er hatte an den Blicken der drei Interviewer erkennen können, dass nach der Pause Tacheles gesprochen wurde. Sie würden keine weiteren Ausflüchte, Unterbrechungen oder sonstiges mehr dulden. Fireball hatte gleich auf dem Absatz wieder kehrt gemacht und April wieder in seine Arme geschlossen. Und auch Commander Eagle war froh, dass sie zumindest fünf Minuten gewonnen hatten. Sie durften das alles nicht auf Aprils Rücken austragen, sie hatte privat schon genug darunter zu leiden.
 

Ohne den Alarm auszulösen hatten sie es geschafft, ihre Wachen zu überwältigen und sich deren Klamotten inklusive der Sicherheitsausweise anzueignen. Nun war die Flucht kein Problem mehr. Die beiden arbeiteten gut zusammen und auch wenn der blauhaarige Outriderkommandant es niemals geglaubt hatte, es tat manchmal gut, einen Komplizen zu haben. Und Tomas war ein hervorragender Handlanger. So unauffällig wie jede andere Wache im Gebäudekomplex bahnten sie sich ihren Weg nach draußen. Wie stümperhaft im Oberkommando doch gearbeitet wurde! Das war beinahe noch einfacher gewesen, als einem Kind den Lutscher wegzunehmen. Jesse Blue würde sich für die Gefangenschaft bei den vier Star Sheriffs rächen und wenn der Japaner nicht an seinen Verletzungen gestorben war, würde er ihn dieses Mal ganz sicher umbringen. Immer noch schürte alleine der Gedanke an Fireball und dessen Lächeln die Wut von Jesse Blue ins Unermessliche. Er würde bluten. Alle vier würden sie bluten und bezahlen! Das hatte er sich schon geschworen, als Colt ihn in der Kirche überrumpelt hatte. Nie wieder würde er sich von den vieren ins Handwerk pfuschen lassen.

Gemeinsam mit Tomas machte sich Jesse Blue auf den Weg ins Hauptquartier des Kavallery Oberkommandos. Die Staatsoberhäupter würden bald ihr blaues Wunder erleben.

Vater und Sohn

Die drei Jungs hatten sich um April versammelt, während alle anderen den Raum verlassen hatten. Nur die Mitglieder des Ausschusses waren noch im Raum. Sie standen bei Allan und unterhielten sich mit ihm, offenbar brüteten sie die weitere Vorgangsweise aus und die sah vor allem für Fireball nicht rosig aus. Das sah Colt an den Blicken der Männer, die immer wieder auf den Rennfahrer und seine ‚gute’ Freundin gerichtet waren. Commander Eagle hatte den Raum ebenfalls nicht verlassen. Er harrte an seinem Pult aus und hielt Abstand zu den vier Freunden, aber seine Ohren waren gespitzt.

Fireball strich April immer wieder über den Rücken und flüsterte mit ihr. Bestimmt schon zum siebten Mal erklärte er ihr in diesem Augenblick, dass er nicht anders handeln konnte, wollte er das bestmögliche Ergebnis für alle Beteiligten herausschinden. Wieder ließ er ihren Kopf an seine Schulter lehnen. Viel zärtlicher als zuvor liebkoste er sie mit seinen Händen und schenkte ihr die Nähe, die sie brauchte um sich endlich wieder zu beruhigen.

April nahm seine Gesten dankbar an. Sie schlang ihre Arme um Fireball, drückte ihn so fest sie nur konnte an sich. Ihr Körper bebte immer wieder unter den krampfartigen Weinattacken, die sich unbarmherzig den Weg bahnten. Stoßweise begann April immer wieder zu schluchzen, jedes Mal krallte sie sich dabei mehr an Fireball fest. Es brach der Blondine das Herz. Sie konnte kein Verständnis für Fireballs selbstlose Tat aufbringen, im Gegenteil. Es schürte die Angst in April. Sie hatte Angst, unglaubliche Angst, dass ihr Vater nichts daraus lernen würde und es als Ermutigung ansehen könnte, Fireball weiterhin wie das letzte Stück Dreck zu behandeln. Sie wollte es nicht. Er hatte es nicht verdient. Fireballs Tortur sollte endlich ein Ende haben. April wünschte es sich so sehr. Sie wollte endlich mit Fireball glücklich werden, ihn nie wieder verzweifelt oder todunglücklich sehen.

Colt warf frustriert die Hände in die Höhe und maulte seinen Freunden entgegen: „Das ist nicht gut. Das ist sogar richtig scheiße, ist das!“

Auch Saber verzog das Gesicht. Er verschränkte die Arme und verfolgte aus den Augenwinkeln, was die Mitglieder und Allan zu besprechen hatten. Auch seine Ohren waren diesbezüglich sperrangelweit offen, vielleicht waren die vier laut genug, um sie bis nach hinten reden zu hören. Natürlich hatte er auch Colt gehört. Saber pflichtete ihm bei. Mit einem Kopfnicken bestätigte er Colts Worte noch einmal: „Ja, du hast den Nagel auf den Kopf getroffen, Colt. Das ist absolut nicht gut.“

Langsam drehte sich Fireball zu seinen Freunden um. Er wusste, sie sprachen nicht nur davon, dass er April tröstete, sondern auch davon, dass er den Commander in Schutz genommen hatte. Wohl oder übel musste der Rennfahrer sogar seinen Freunden erklären, weshalb er das tat. Er musste es noch einmal erklären, wie Fireball frustriert anmerkte, immerhin hatten sie das vorigen Samstag schon ausführlich diskutiert. Widerstrebend stand Fireball schließlich auf und drehte April den Rücken zu, aber er hielt ihr hinter dem Rücken beide Hände hin, die sie dankbar umschloss. Leise schnaubte Fireball: „Wie oft denn noch, Freunde? Commander Eagle beherrscht seinen Job, er ist meinem Dad nicht umsonst vorgezogen worden. Wenn der Frieden im Neuen Grenzland andauern soll, braucht ihr Commander Eagle zwangsläufig. Er weiß, wovon er redet, er weiß, was er tut. Ich bin aus dem Verein eh schon Jahre draußen, sie können mir nichts mehr.“

„Schön wär’s, wenn’s so einfach wäre!“, Colt krempelte seine Ärmel noch ein Stückchen weiter nach oben. Warum zur Hölle war es hier so heiß? Der Kuhhirte konnte inzwischen für die Kamikazeaktion von Fireball auch kein Verständnis mehr aufbringen. Saber da irgendwie unbescholten raus zu hauen war eine Sache, den Commander für den Mist, den er jahrelang verbrochen hatte, ungestraft davon kommen zu lassen, kompletter Schwachsinn. Colt legte Fireball beide Hände auf die Schultern und schüttelte ihn. Seine Augen funkelten, aber seine Bewegungen waren nur halb so kräftig und schwungvoll, wie sein Blick hatte ahnen lassen. Er behandelte Fireball mit Samthandschuhen, es hatte ihm gereicht, den Japaner beim letzten Mal so hilflos im Bett liegen zu sehen. Eindringlich fixierte er Fireball und zischte: „Die drei da vorne können dir sehr wohl noch was, Fire! Du magst zwar schon unehrenhaft entlassen worden sein, aber das hindert die nicht daran, dir sonst noch was aufzubrummen.“

Wie zum Beweis hielt April Fireballs Hand augenblicklich fester umschlossen. Sie schien Colts Worte damit unterstreichen zu wollen, ihr Nicken konnte er schließlich nicht sehen, wenn er mit dem Rücken zu ihr stand. Aber das von Saber sah er dafür sehr deutlich. Der Schotte bestätigte Colts Worte mit einem zaghaften Nicken. Er fuhr sich mit einer Hand ans Kinn und erklärte Fireball: „Du kannst durchaus noch Strafen bekommen, Fireball. Nicht, weil du dich ungebührlich verhalten hast oder mit Commander Eagle gestritten hast. Dafür bist du unehrenhaft entlassen worden. Aber wegen deiner Beziehung zu April kann dir noch was blühen.“

Funkelnd ruhten Fireballs Augen einen Moment lang auf Allan und den drei Ausschussmitgliedern, ehe er Saber fest in die Augen sah: „Wenn sie auch nur halb so schlau sind, wie sie tun, dann wissen sie, dass ich während meiner Arbeit hier meine Hände nicht an April gelegt habe.“

Beinahe schon starrsinnig drehte er sich wieder zu April. Dieses Mal setzte er sich neben die Blondine auf einen der freien Stühle und strich ihr zärtlich mit den Fingerspitzen über den Nacken. Die kleine Auszeit tat ihm wirklich gut, das ununterbrochene Stehen zehrte am Rücken. So gut sich der Rennfahrer auch die letzten Tage und Wochen gefühlt hatte, ganz gesund war er noch nicht, das hatte er in den letzten Stunden gemerkt. Es würde wohl noch eine Weile dauern, ehe er wirklich bei einem Arzt wegen einer Gesundschreibung anklopfen konnte. Mit Wohlwollen bemerkte Fireball, dass es April wieder besser ging. Ihre Tränen waren inzwischen getrocknet und sie zitterte endlich nicht mehr. Ihre blauen Augen hatte sie allerdings starr auf ihren Vater gerichtet. Sie schien ihm mit ihren Blicken etwas sagen zu wollen und Fireball befürchtete, dass April sich vollends von ihrem Vater abwenden könnte.

Colt konnte sich im Gegensatz zu April absolut nicht beruhigen. Er wollte nicht, dass Fireball für nichts und wieder nichts Strafen aufgebrummt bekam und Eagle mit einem selbstherrlichen Lächeln ausstieg. Die Nerven schon fast über Bord geschmissen, schnaubte Colt abermals: „Die Affen da vorne werden dir kein Wort mehr glauben! Egal, was du ihnen noch zu sagen hast, sie sehen ja, was ist!“

Auf Sabers Lippen stahl sich bei Colts Worten plötzlich ein Lächeln davon. Er legte seinem Scharfschützen einen Arm um die Schulter und zog ihn zu sich. Mit der noch freien Hand deutete er auf Fireball und April hinab, als er Colts Worte kommentierte: „Ja, sie sehen, was ist. …Sie sehen eine Familie vor sich, die durch dick und dünn geht.“

Während Colt den Mund nicht zubekam und dämlich wie selten zuvor aus der Wäsche guckte, zeichnete sich auf Fireballs Lippen ein leichtes Lächeln ab. Er lachte: „Ja, Papa!“

Der Rennfahrer stieß Colt ohne Kraft den Fuß ans Schienbein, er sollte endlich den Mund wieder zubekommen. Sie waren doch wirklich eine Familie! Sie vier würden für immer füreinander da sein.

Auch April lächelte wieder. Sie wischte sich die letzten Tränenspuren aus dem Gesicht und lächelte ihre drei Jungs an. Egal, wie dieser Tag zu Ende ging, oder was weiterhin auf sie wartete, sie würden zusammenstehen und sich nicht im Stich lassen. April stand schließlich auf, strich sich ihre Uniform zurecht und umarmte Colt und Saber kurz. Sie flüsterte ihren beiden Freunden dankbar zu: „Wir bleiben Freunde. Für immer!“, die Blondine drehte sich tapfer lächelnd zu Fireball um: „Und du sieh zu, dass du dir nicht auch noch Fernsehverbot einhandelst, Fire. Ramrodverbot hast du nämlich schon.“

Colt krähte plötzlich vergnügt. War April doch glatt noch zu Scherzen aufgelegt. Ein gutes Zeichen. Sie würde das alles schon packen, wie Colt sich freute. Auch er konnte noch einen drauf setzen, immerhin war er in Punkto Familie der gefestigste in der Runde. Er befreite sich kurzerhand aus Sabers lockerer Umarmung und stemmte die Arme in die Hüften. Schief grinsend bestätigte er: „Da die Rollen in unserer Familie ja schon gut verteilt sind, bleibt für mich nur noch der brave Mustersohn. Und das war ich bekanntlich schon immer!“

Als seine Freunde ihn verdattert anstarrten und den Satz mit dem Mustersohn nicht einordnen konnten, deutete er auf jeden einzelnen von ihnen, beginnend bei Saber: „Papa Rider, Mama Eagle und zum Schluss noch der Rebell der Familie, der kleine Feuerball. Da bleibt doch für den lieben Colt nur noch die Mustersohnrolle übrig.“

Herzliches Lachen erfüllte den Raum. Die vier ehemaligen Star Sheriffs fanden auch in jeder Situation noch den richtigen Scherz um sich wieder aufzubauen. Sie waren gute Freunde, das würden sie immer bleiben. Niemand konnte daran etwas ändern, egal ob es nun ein Outrider war oder derjenige aus den Reihen des Oberkommandos war.

Wenig begeistert über das Lachen der vier beendete der Vorsitzende die Pause und entschied sich, die Befragung noch eine Gangart härter zu machen. Ohne Umschweife begann er damit, das Gesehene mit dem Gesagten abzugleichen und kam zu dem vernichtenden Schluss, dass der junge Japaner von Anfang bis Ende gelogen hatte. Säuerlich hieb er mit der flachen Hand auf den Tisch und machte seinem Ärger Luft. Er verwarnte Fireball: „Sie stehen hier genauso unter Wahrheitspflicht wie bei jedem anderen Gericht, Mister Hikari. Wenn ich Sie noch einmal dabei erwische, wie Sie uns allen hier etwas vorgaukeln, muss ich Sie bestrafen.“
 

Fireball und Saber warfen sich einen kurzen Blick zu. Es wurde verdächtig eng, wie beide bedrückt festhielten. Die nächsten Minuten versuchte vor allem Fireball alles, um die Menschen davon zu überzeugen, dass er mit April niemals zusammen gewesen war, dass er von Commander Eagle auch nicht ungerecht behandelt worden war.

Die Schlinge wurde mit jeder Frage des Ausschusses enger und weder Saber noch Fireball fühlten sich noch wohl dort vorne. Saber tat das nicht, weil er nicht mehr zu Wort kam, er bekam keine einzige Frage mehr gestellt und konnte nicht seine schützende Hand über Fireball halten. Fireball wurde immer unwohler, weil er langsam aber sicher mit seinem Latein am Ende war. Nach wie vor hielt er daran fest, dass er Commander Eagle als auch Saber als Gewinner aussteigen sehen wollte, aber vor allem bei Aprils Dad gestaltete sich das Raushauen schwierig, weil er nicht lügen wollte. Die Ratlosigkeit stand beiden ins Gesicht geschrieben.

Der Kampf für die gute Sache schien verloren, als der Vorsitzende zum finalen Schlag ausholte und Fireball unverblümt fragte: „Wen versuchen Sie zu schützen, Mister Hikari? Wen?“

„Mich.“
 

Es war ein leichtes für Jesse und Tomas gewesen, sich einen Jet zu besorgen. Die beiden flogen auf direktem Weg nach Yuma, ihr Ziel genau vor Augen. Sie würden Rache nehmen. Der Überläufer und der Japaner arbeiteten wie ein eingespieltes Team zusammen. Jesse überlegte manchmal sogar, ob der Krieg für ihn nicht besser gelaufen wäre, wenn er Tomas an seiner Seite gehabt hätte. In dem Japaner floss böses Blut, mehr als alle Outrider zusammen jemals aufbringen könnten. Er brauchte nur die richtige Anleitung und die würde er von Jesse in den nächsten Tagen erhalten. Er würde ihm zeigen, wann, wo und wie man das Herz des Neuen Grenzlandes angriff.

Tomas freute sich auf seine Rache. Beim letzten Mal war sie ihm ja verwehrt geblieben. Aber er hatte viel von Jesse Blue gelernt. Sein neuer Freund war ein hervorragender Taktiker, studierte seine Feinde sehr aufmerksam und machte sich deren Schwächen zunutze. Tomas wollte alles von Jesse Blue lernen, er brachte ihn auf Ideen und führte ihn mit riesigen Schritten in die richtige Richtung. Und die Richtung hieß nun vorrangig Rache für die neuerliche Gefangenschaft zu nehmen. Rache an Fireball, aber den würde er wieder Jesse überlassen müssen. Der ehemalige Kadett des Oberkommandos focht mit dem Freund seiner Schwester einen eigenen Krieg aus, das war Tomas von Anfang an aufgefallen. Aber Tomas musste nicht auf Spaß verzichten. Immerhin hatte er die Chance, dem Neuen Grenzland zu beweisen, dass Ramrod keine Wunderwaffe war. Die Stunden bis zur Ankunft in Yuma schienen ewig zu dauern.
 

Der gesamte Saal richtete seine Aufmerksamkeit auf Commander Eagle. Allan staunte genauso, wie die Mitglieder des Ausschusses und die Zuschauer. Nur die vier Star Sheriffs zogen schockiert die Köpfe ein. Weshalb tat Commander Eagle das jetzt?

Fireball stieß Saber kurz an der Schulter und bedeutete ihm seine Ratlosigkeit. Er wusste nicht mehr weiter. Der Commander kippte alle Versuche einfach um, indem er so etwas tat. Saber griff seinem Freund nur an die Schulter und versuchte ihn wortlos wieder zu beruhigen. Sie sahen sich an einem Punkt, an dem Fireball und Saber zu Zuschauern degradiert worden sind. Und Saber war froh darüber, wenn er ehrlich zu sich selbst war. Seit Beginn von Fireballs Befragung hatte er untätig zusehen müssen, wie Fireball alle Schuld auf sich lud, Schuld die nur einer hier im Raum zu tragen hatte. Und hätte Commander Eagle nun nicht an Fireballs Stelle geantwortet, hätte dieser es beinhart durchgezogen. Der Japaner hätte es geschafft, dem Ausschuss weis zu machen, dass er alle Einträge völlig berechtigt bekommen hatte, dass er zu guter Letzt wirklich wegen Befehlsverweigerung rausgeworfen worden war.

Einsichtig fuhr Commander Eagle fort: „Er versucht mir zu helfen, Sir.“

Seine Augen richteten sich noch einmal kurz nach hinten zu April. Er würde seine Fehler hier und jetzt gutmachen. Charles hatte jedes einzelne Wort, das in der Pause bei den vieren gefallen war, gehört und hatte die nächsten Minuten verzweifelt mit sich selbst gerungen. Seinen Blick hatte er dabei starr auf Fireball gerichtet gehabt, der alles in seiner Macht stehende versucht hatte, um ihm zu helfen. Charles wusste, dass der Sohn von Shinji und Hiromi jede Strafe ertragen hätte, aber endlich war der Commander bereit, für seine Fehler einzustehen. Hier und jetzt würde er das Versprechen Hiromi gegenüber einlösen und für Shinji da sein. Er würde ihrem Sohn helfen.

Der Vorsitzende stotterte beinahe, endlich schien die Befragung ein Ende zu nehmen. Noch einmal umschloss er seinen Kuli fester, damit er jedes einzelne Wort von Commander Eagle oder auch von Fireball niederschreiben konnte. Sein Blick wechselte stetig zwischen den beiden Männern, als er die Augenbrauen zusammenzog und sich nach vor beugte: „Ich verstehe nicht ganz. …Möchte einer von Ihnen seine Aussage revidieren?“

Entschlossen sah Commander Eagle zum Ausschuss: „Ja, Sir. Jedes einzelne Wort.“

Mit einem siegessicheren Grinsen bedeutete ihm der Vorsitzende fort zu fahren. Alle waren gespannt, denn keiner hatte Zweifel daran, die Wahrheit aus Commander Eagles Mund zu hören. Sogar Allan war zum Zerreißen gespannt. Es war eine Sache gewesen, es von den vier Star Sheriffs, die sich offensichtlich noch einmal untereinander besprochen hatten und sich entschieden hatten, nichts zu sagen, zu hören, aber eine völlig andere, den Beschuldigten selbst darüber reden zu hören.

Saber atmete tief aus. Er schloss die Augen und strich Fireball mit der Hand, die auf dessen Schulter noch geruht hatte, über den Arm. Der Schotte drehte sich wieder nach vor, er hatte begriffen, dass Fireball seinen Kampf verloren hatte. Aber, wie er vorhin schon gespürt hatte, tat es ihm nicht leid. Saber war froh darüber, so würde sein Freund einmal wenigstens heil aus einer Sache rauskommen. Nach all den Strapazen hatte er es verdient, sie alle hatten eine gerechte Entscheidung des Ausschusses verdient. Mit gesenktem Kopf hörte er Commander Eagles Ausführung zu.

Der Commander stützte sich auf das Pult und begann leise, aber betroffen zu erklären, weshalb er so gehandelt hatte: „Wie Sie alle wissen, war Captain Hikari mein bester Freund. Mit ihm ist nicht nur ein Held gestorben, sondern auch mein bester Freund. So kurz nacheinander hatte ich meine Frau und meinen besten Freund verloren. Shinji ist das komplette Ebenbild seines Vaters. Bevor er durch April und Offizier Rider ins Oberkommando kam, habe ich ihn nicht mehr gesehen. Er war seinem Vater so ähnlich geworden, egal ob wir nun vom Aussehen oder von der Art sprechen. Shinji hat mich jeden Tag an seinen Vater erinnert. …Und wie Sie alle wissen, sind manche Erinnerungen schmerzhaft. Die an Captain Hikari waren und sind für mich immer noch sehr schmerzhaft. Um auf den Punkt zu kommen. Keiner der Einträge in Shinjis Akte ist gerechtfertigt, seine Entlassung war ebenso wenig berechtigt. Ich habe mich von persönlichen Gefühlen leiten lassen, wenn es um die Beurteilung von Shinji Hikari ging. Er hat sehr gute Arbeit geleistet, war ein mindestens genauso guter Pilot wie sein Vater. Shinji hat immer an das Wohl aller gedacht, bevor er an sein eigenes denkt. Das tut er immer noch. Aus Gründen, die ich nicht verstehe, denkt Shinji, ich wäre wichtig für den Frieden und für das Oberkommando, Sir. Nur deswegen hat er versucht, alle Schuld auf sich zu nehmen.“

Mit wenigen Sätzen hatte Commander Eagle jede Chance zu Nichte gemacht, ohne Strafe davon zu kommen. Fireball schwieg betroffen. Er konnte nicht sagen, woran es lag, aber er fühlte sich schrecklich. Er hatte vom Commander nie gehört, dass er wie sein Vater gewesen war. Alles verkrampfte sich in Fireball, er konnte und wollte nicht zulassen, dass Eagle seinen Posten verlor. Er ballte die Hände zu Fäusten, ehe er flehend zum Ausschuss sah und kaum hervor brachte: „Sir, das ist nicht wahr…“

Der Vorsitzende wusste nicht, wohin er zuerst sehen sollte. Auf den Commander, der Wort für Wort ausführlich geschildert hatte, was der junge Japaner ihm immer vor Augen gehalten hatte, oder auf den Japaner, der ihn anflehte, dem Commander keinen Glauben zu schenken? Er war verwirrt, und wenn er einen Blick auf seine beiden Kollegen warf, so sah er ihnen eindeutig an, dass es ihnen ebenfalls so erging.

Charles sah von seinem Pult auf. Seine Augen blickten zuerst wieder zu April nach hinten. Sie saß regungslos neben Colt, die Augen weit aufgerissen und unfähig, eine Reaktion auf Commander Eagles Worte zu zeigen. Danach musterte er Colt für einen kurzen Moment. Der nickte ihm stillschweigend zu. Der Scharfschütze gab ihm das Zeichen dafür, dass es richtig gewesen war, die Wahrheit zu sagen und Fireball von seiner selbst auferlegten Pflicht zu entbinden. Die Augen von Charles wanderten weiter zu seinen Nachbarn. Sie blieben bei dem blonden Schotten hängen. Der beste Offizier im Oberkommando. Charles war stolz auf Saber, das war er jede Sekunde gewesen, egal was er angefasst hatte. Wenn es nach Commander Eagle ginge, so wäre Saber sein Nachfolger. Es gab niemand sonst, der seinen Job so gut erledigen würde, wie der kommandierende Offizier von Ramrod. Zum Schluss ruhte sein Blick auf Fireball. Die Tränen standen dem Commander in den Augen. Sogar jetzt noch versuchte der kleine Japaner, es allen Recht zu machen, jeden möglichst gut dastehen zu lassen. Fireball hatte ein gutes Herz. Und er hatte Shinji mit jedem Atemzug Unrecht getan, hatte ihn an seiner Entwicklung gehindert und ihm ein Leben verwehrt, auf das jeder andere auch Anspruch hatte.

Kopfschüttelnd und sichtlich geläutert, erklärte Commander Eagle dem Ausschuss: „Es ist wahr, Sir. Jedes Wort ist wahr. Ich habe Shinji ohne Grund verwarnt und Verweise in seine Akte schreiben lassen. Jeder einzelne Vermerk in seiner Akte ist an den Haaren herbeigezogen. …Sir, Fakt ist, Shinji war ein Ausnahmetalent im Oberkommando. Wir hatten Glück, jemanden wie ihn für Ramrod gefunden zu haben.“

Fireball sank mit jedem Wort mehr zusammen. Seine braunen Augen richteten sich auf Aprils Vater, als er stimmlos hauchte: „Commander… Bitte, nicht…“

Es war Fireball so unangenehm, was nicht nur daran lag, dass er von Commander Eagle niemals zuvor ein Lob gehört hatte. Fireball hatte auch Angst. Würde dieser Ausschuss eine gerechte Entscheidung treffen, und davon ging der Rennfahrer inzwischen wieder aus, würden sie Commander Eagle vielleicht frühzeitig in ‚Pension’ schicken. Die letzten Angriffe und Übergriffe der Outrider hatten gezeigt, dass der Frieden lediglich eine kurze Phase gewesen war, es schien bald wieder um alles für das Neue Grenzland zu gehen. Ohne Commander Eagles Routine und Weisheit wäre das Neue Grenzland dem Untergang geweiht.

Der Vorsitzende schloss seine Akten. Für ihn war der Fall damit erledigt. Er würde sich mit seinen Kollegen beraten und in den nächsten Tagen ein Urteil fällen. Aber er war sicher, dass zumindest einer der drei Männer mit Konsequenzen zu rechnen hatte. Er stand auf und nickte Commander Eagle noch einmal anerkennend zu: „Commander Eagle. Sie wissen, was auf Sie zukommen wird.“

Schuldbewusst nickte Charles. Er war bereit, seine Strafe für seine Missetaten und Fehlentscheidungen entgegenzunehmen: „Ja, Sir.“

In diesem Augenblick funkelte ein paar dunkler Augen in die Richtung des Ausschusses. Fireball erhob zornig seine Stimme, bevor die drei Mitglieder den Raum verlassen würden, wollte er ihnen noch ins Gewissen reden. Wenn sogar er sah, dass eine Suspendierung von Commander Eagle der falsche Weg war, weshalb erkannte das sonst niemand? Mit der letzten Kraft der Verzweiflung und dem kleinen Hoffnungsschimmer, den Fireball trotz allem noch in sich trug, trat er vor sein Pult und streckte den Arm aus. Er deutete energisch auf Commander Eagle und auf Saber. Was jetzt folgte, war der kleine Vulkan, den seine Freunde lange nicht gesehen hatten. Fireball richtete sein Wort an die Mitglieder des Ausschusses: „Sehen Sie denn nicht, welchen Fehler Sie im Begriff sind, zu machen? Sie sollten weder Commander Eagle noch unser Superschwert suspendieren! Diesen beiden haben Sie es hauptsächlich zu verdanken, dass Sie nun die Zeit haben, sich mit dem Quatsch hier die Zeit totzuschlagen. Dank Sabers umsichtiger und bedachter Führung des Teams haben wir es immer wieder geschafft, den Outridern in den Hintern zu treten. Und wäre Commander Eagle nicht gewesen, hätte dieser gottverdammte Krieg noch wesentlich mehr Todesopfer gefordert, als er es ohnehin hat. Sie können ihn nicht entlassen, keinen von beiden. Ohne Saber, aber vor allem ohne die hervorragenden Kenntnisse von Commander Eagle, würde es das Oberkommando heute nicht mehr geben. Ich gehe jede Wette ein, dass wir den Krieg verloren hätten, wenn wir die beiden nicht gehabt hätten.“

Unweigerlich fühlte sich Fireball wieder besser. Als ihn der Ausschuss betroffen musterte, war er sich sicher, dass seine Worte Eindruck hinterlassen hatten, in welcher Art auch immer. Kaum traten die drei Herren, gefolgt von Allan auf die Tür zu, lockerte Fireball seine Krawatte und knöpfte sich das Hemd auf. Schlussendlich war auch ihm jetzt heiß geworden.
 

Die Star Sheriffs verließen als letzte den großen Saal. Alle vier hielten sich im Arm und versprachen sich noch einmal leise, alles gemeinsam durchzustehen, egal was da noch kam. Sie traten durch die Tür, hinaus auf den Flur, wo sie bereits von Robin und Jessica empfangen wurden. Colt löste sich von seinen Freunden und stürmte auf sein Kind und seine Frau zu. Er fiel ihr in die Arme. Der Kuhtreiber wollte sie gar nicht mehr los lassen. All die hinuntergeschluckten Beschimpfungen und Beleidigungen, die Colt noch für den Ausschuss auf Lager gehabt hätte, sprudelten aus ihm heraus, als er Robin in allen Einzelheiten berichtete, was sich zugetragen hatte.

Geduldig hörten Robin und auch seine drei Freunde Colt zu. Am ruhigsten dabei war allerdings Fireball. Er war mit dem Kopf bei Commander Eagle, obwohl der zweite Eagle ihm wesentlich lieber gewesen wäre. Gedankenverloren hielt er Aprils Hand und starrte Löcher in die Luft.

Alle waren sich einig, erst mal irgendwohin zu gehen, um was zu essen. Die Befragung hatte Stunden gedauert, mittlerweile war es später Nachmittag geworden. Als endlich feststand, dass sie Laura aus der Arbeit abholen würden und anschließend in ihr Stammlokal gehen würden, blinzelte Fireball verlegen. Er setzte sich als einziger nicht in Bewegung und erklärte leise: „Geht ruhig schon mal vor. Wir treffen uns später.“

April drehte sich sofort zu Fireball um, ihr war nicht verborgen geblieben, wie traurig sich seine Stimme anhörte. Besorgt, aber vor allem immer noch schwer beladen mit allen möglichen Gefühlen, die der Ausschuss wie Staub aufgewirbelt hatte, reichte sie ihm die Hand: „Hey, was hast du, Fire?“

Fireball strich sich die Haare aus der Stirn und schüttelte leicht lächelnd den Kopf. So lieb er April hatte, gerade eben brauchte er fünf Minuten für sich alleine. Er drückte April einen schnellen Kuss auf die Wange und murmelte: „Nichts, meine kleine Taiyo. Ich muss nur kurz meinen Kopf ausrauchen lassen. …Dann komme ich nach, versprochen. Geh mit den anderen voraus, Süße.“

Es war weniger eine Bitte als eine Aufforderung gewesen. April gab ihm ebenfalls einen kurzen Kuss auf die Wange und strich ihm zärtlich über die Brust. Sie würde tun, was immer Fireball von ihr verlangte. Sie wusste, dass er wahrscheinlich noch kurz hier im Oberkommando blieb, ehe er vielleicht noch zu Ramrod ging und in späterer Folge zu ihnen ins Restaurant. April kannte die Zufluchtsstätten von Fireball auf Yuma, seine Wohnung zählte noch nicht dazu, wie sie beinahe schmunzelnd festhielt. Der Japaner musste sich dort erst richtig einleben und das konnte bei ihm noch eine Weile dauern. Es hatte auch auf Ramrod ewig gedauert, bis er sich nicht mehr wie ein Gast auf dem Kampfschiff gefühlt hatte. Mit einem verständnisvollen Blick drehte sich die Blondine um und lief ihren Freunden hinterher.
 

Die Arbeit eines ganzen Tages war wieder auf seinem Schreibtisch liegen geblieben. Seit Wochen kam Commander Eagle seiner Arbeit schon nicht mehr richtig hinterher. Zuerst hatte ihn der Tod von Hiromi aus der Bahn geworfen, danach war er ein paar Tage nicht im Büro gewesen, weil er auf die Beerdigung gegangen war und seit seine Tochter auch wieder in Yuma war und vor allem Allan eine richtige Nervensäge geworden war, wuchs der Aktenberg auf seinem Schreibtisch stetig an. Ganz unten lagen irgendwo die Berichte von der letzten Mission begraben, die er endlich abzeichnen und vor allem ablegen sollte. Der Commander war beruhigt gewesen, als er gemerkt hatte, dass die Mitglieder des Ausschusses nichts von Fireballs neuerlicher Arbeit auf Ramrod mitbekommen hatten. Ansonsten hätten sie ihn nicht eine Sekunde mehr in Ruhe gelassen.

Es klopfte und ehe Charles von den Berichten aufsehen konnte, steckte jemand den Kopf bei der Tür herein und fragte unsicher: „Ist es grad ungünstig?“

Charles rutschte das Herz in die Hose, als er seinen Blick endlich zur Tür gerichtet hatte. Er wunderte sich über den Besuch, der ihn überraschte. Eigentlich war doch bei der Befragung schon alles gesagt worden, weshalb wollte er ihn noch einmal sprechen. Noch lange ruhten seine Augen auf dem Sohn seiner verstorbenen Freunde, der sich kaum traute, zu ihm ins Büro zu gehen, bevor er ihm mit einer Handbewegung bedeutete, sich zu setzen. Wieder hatte Charles ihn gemustert. Wieder legte sich das Bild von Captain Hikari über die Erscheinung seines Sohnes und der Commander konnte keine einzige Abweichung erkennen. Die Erinnerungen verschmolzen mit dem Gefühl, alles falsch gemacht zu haben und ließen Commander Eagles Ausdruck niedergeschmettert erscheinen.

Fireball war noch ewig unschlüssig auf dem Flur vor dem großen Saal gestanden, ehe er sich dazu durchringen konnte, den Commander kurz aufzusuchen. Es hätte ihm ja doch keine Ruhe gelassen. Fireball war wenig glücklich darüber, wie der Tag verlaufen war, vor allem aber spürte er, dass er handeln musste. Seine Jacke und auch die Krawatte hielt Fireball in Händen als er eintrat und vorsichtig die Tür hinter sich schloss. Die obersten Knöpfe seines weißen Hemdes hatte er auch aufgeknöpft, aus dem einfachen Grund, dass er sich so wohler fühlte. Mit einer gehörigen Portion Respekt, aber auch ein wenig Angst, setzte sich Fireball schließlich auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch des Kommandanten des Oberkommandos. Die Blicke von Commander Eagle verunsicherten ihn zusätzlich. Es war eine Qual hier im Büro zu sitzen, Fireball fühlte sich, wie auf einem Prüfstand. Er würde die auferlegten Erwartungen von Commander Eagle nie erfüllen können. Der Commander schwieg ihn an, das behagte dem ehemaligen Rennfahrer erst recht nicht. Leise begann Fireball, während er seine Sachen auf den anderen Stuhl legte: „Sie hätten das nicht tun dürfen, Commander Eagle.“

Charles schloss Sabers Bericht augenblicklich wieder. Kopfschüttelnd stützte er seine Ellbogen auf dem Tisch auf und legte die Hände aneinander. Er schloss kurz die Augen und seufzte. Der Junge nahm immer noch alle Schuld auf sich, und das, obwohl ihn keine traf. Endlich hatte er an diesem Tag gelernt, welchen Fehler er gemacht hatte. Als Charles gesehen hatte, wie liebevoll der Umgang seiner Tochter und dem Rennfahrer war, hatte ihn das unweigerlich an deren Kindheit erinnert. Es hatte sich nichts geändert. Fireball und April standen sich immer noch gegenseitig bei und beruhigten sich. Und Charles hatte versucht, sie mit aller Macht auseinander zu reißen. Das hätte er nicht tun dürfen. Niemals. Die Erkenntnis und die Einsicht lasteten schwer auf Commander Eagle. Er hatte den Kindern ein glückliches Leben verwehrt, weil er blind gewesen war, weil er nicht gesehen hatte, wie sehr sich beide brauchten.

Ruhig widersprach Charles dem Sohn seines Freundes: „Ich hätte es viel früher tun müssen, Shinji. Genau genommen, hätte ich dir das alles niemals antun dürfen. Du hast es nicht verdient.“

Fireball zuckte merklich zusammen, als Commander Eagle seinen Namen aussprach. Sein Standpunkt war klar und er war hier, um ihn auch Aprils Vater offen zu legen. Aber der widersprach ihm genauso wie seine Freunde und der Ausschuss. Keiner wollte ihn verstehen. Offenbar verstand niemand Fireballs Motive, nicht einmal derjenige, dem sie helfen sollten, konnte sie sehen! Deutlicher als zuvor machte Fireball den Commander aufmerksam: „Sie werden Ihren Job verlieren, Commander!“

„Ich weiß.“, Charles senkte betroffen den Kopf, nachdem er gesehen hatte, wie verschreckt Fireball zusammengefahren war. Der Name seines Vaters, sein eigener Name, versetzte Fireball offenbar in Angst und Schrecken. Langsam stand der Commander auf und erklärte: „Du hast deinen Job im Oberkommando auch verloren. Aber wenn ich gehen muss, geschieht das völlig zu Recht, Fireball. Ich werde zu Recht entlassen, nicht wie du.“

Der alte Commander hatte keinen Schimmer, wie er es Fireball besser beibringen hätte sollen, der junge Mann schien sich ohnehin nicht damit abfinden zu wollen. Charles sah immer wieder Captain Hikari vor sich sitzen. Fireball war seinem Vater von Tag zu Tag ähnlicher geworden. Mittlerweile waren Vater und Sohn nicht mehr voneinander zu unterscheiden. Und es riss Commander Eagle das Herz aus der Brust. Shinjiros Sohn saß bei ihm im Büro und versuchte ihm zu erklären, dass der Ausschuss eine falsche Entscheidung treffen würde, wenn er seinen Posten als Commander verlieren würde. Der Japaner war die Güte in Person und Charles begann sich zu schämen. Wie hatte er all das dem Jungen nur antun können?

Fireball lag so vieles auf dem Herzen, so vieles, was ihn noch immer aus seinen Träumen hochfahren ließ. Der Rennfahrer senkte den Blick auf seine Füße, als er leise gestand: „Meine Eltern hätten es nicht wollen. So, wie ich es nicht will.“

Fireball war sich sicher, dass seine Eltern, vor allem aber seine Mutter es niemals zugelassen hätten, dass Commander Eagle seinen Posten verlor. Aber im Sinne seiner verstorbenen Eltern zu handeln, war nicht Fireballs hauptsächlicher Beweggrund, den Commander zu verteidigen. Er war ein guter Vorgesetzter, fachlich kompetent und in allen anderen Fällen fair.

Unweigerlich schmunzelte Charles traurig. Mit einem leichten Kopfschütteln erzählte er Fireball von seinem Vater: „Dein Vater hatte einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Er wollte immer, dass jeder bekommt, was er verdient. Und ich verdiene es nicht anders.“

„Sie waren der beste Freund meines Vaters!“, mit aufflammendem Unverständnis richtete sich Fireball in seinem Stuhl auf und funkelte den Commander an. Sofort ließen Fireballs Augen jedoch wieder von Commander Eagle ab, er brachte es nicht fertig, ihn anzusehen. Wieder ruhiger ließ Fireball die Hände sinken. Leise und beklommen murmelte der ehemalige Rennfahrer: „Ich wollte das alles nicht. Ich will es immer noch nicht, Commander. Das Oberkommando darf Sie nicht verlieren.“

Eigentlich hatte Fireball seinem alten Vorgesetzten nur kurz sagen wollen, dass er sich verantwortlich für das zu erwartende Desaster fühlte, aber sein Pendant verstand ihn nicht. Commander Eagle schenkte ihm keinen Glauben, er vertrat sogar noch die Ansicht, dass seine Beichte richtig gewesen war. Der Commander lockerte seine Haltung ein wenig und setzte sich wieder. Zum ersten Mal, seit er den Sohn der Hikaris kannte, behandelte er ihn so, wie es Fireball verdient hatte. Das Gespräch war von Anfang an ruhig gewesen, es war immer noch so. Charles fand abermals Widerworte für Fireballs Begehren: „Nein. Es hätte dich nicht verlieren dürfen. Oder deinen Vater. …Aber, wenn ich entlassen werde, wird es dem Oberkommando nicht wehtun. Wäre ich nur ein halb so guter Kommandant wie dein Vater, oder nur halb so kompetent, wie du behauptest, dann hätte ich dich fair beurteilt und nicht zugelassen, dass meine Erinnerungen das Bild von dir verzerren.“

Fireball legte seine Hände offen auf den Tisch und lehnte sich ein Stück zu Commander Eagle nach vor. Er war ein Sturkopf, das war er immer gewesen und wenn ihm etwas wichtig war, wollte er seinen Standpunkt so klar wie möglich machen. Energischer als zuvor hielt er den Commander an. Er deutete auf sich und brummte: „Aber ich hab’s doch überlebt.“, missmutig seufzte Fireball und senkte den Blick wieder. Auch er fand nicht die richtigen Worte um dem Kommandanten zu erklären, weshalb er hier war. Ausgezehrt vom heutigen Tag und mit dem Kopf wieder in der Vergangenheit, räumte er dem Commander ein: „Es muss schrecklich für Sie gewesen, als auch meine Mutter damals gegangen ist. Nicht nur Sie haben Fehler gemacht, verstehen Sie?“

Verblüfft spannte sich der Commander. Hatte er sich eben verhört? Die leise Stimme von Fireball war traurig, aber auch bestimmt. Er meinte es ernst, jedes einzelne Wort, wie Charles ohne Mühen herausfand. Seine Augen musterten den ehemaligen Piloten, der mit seinen Freunden das Neue Grenzland selbstlos verteidigt hatte. Shinjiros Sohn verteidigte ihn, den Tyrann, der er all die Jahre für Fireball gewesen war. Charles setzte sich wieder aufrecht hin. Traurig lächelte er und versuchte abermals, Fireball von seinen Schuldgefühlen zu befreien: „Nur du hast keine Fehler gemacht. Du musstest alles ausbaden, Fireball. Und selbst jetzt, nach allem, was passiert ist, nach allem, was das Leben dir aufgebürdet hat, meinst du noch, mir helfen zu müssen. Du hast keine Vorstellung, wie ähnlich du deinem Vater bist, Shinji.“

Fireballs Brust schnürte sich zusammen, ein riesiger Knoten zog sich zusammen. Und mit diesem Knoten stieg die Traurigkeit in Fireball auf. Schon wieder hörte er an diesem Tag, wie ähnlich er seinem Vater war und er konnte nichts darauf erwidern. Seine Mutter hatte so selten über seinen Vater gesprochen, dass er nichts über ihn wusste. Ja, er hatte für das Neue Grenzland gekämpft und war dabei gestorben, aber welcher Mensch war er gewesen? Niemals hatte Hiromi über Charaktereigenschaften seines Vaters gesprochen oder hatte ihm erzählt, was sie an ihm so geliebt hatte, dass sie keinen anderen Mann mehr lieben konnte. Fireball blinzelte einige Male, seine Augen durften sich nicht mit Tränen füllen, während er vor dem Commander saß. Eagle durfte nicht sehen, wie schwer es ihm zu schaffen machte, einen Teil von sich selbst nicht zu kennen. Gebrochen sank Fireball in seinen Stuhl zurück und hauchte: „Warum sagen Sie das, Commander? Ich weiß nichts über meinen Vater, ich weiß nichts über meine Wurzeln.“

Tief bewegt stand Commander Eagle auf und umrundete augenblicklich den Tisch. Es war nicht seine Absicht gewesen, in Wunden zu stochern, die ohnehin niemals verheilen würden. Er hatte nicht ahnen können, dass Hiromi alles konsequent verschwiegen hatte, selbst ihren Mann hatte sie aus ihrem Leben ausradiert, als sie nach Japan zurückgegangen war. Charles blutete das Herz, denn er sah, wie haltlos Fireball dort saß und nicht wusste, wo er hingehörte. Er lehnte sich an die Tischkante und sah auf Fireball hinab. Er war so jung und hatte in seinem Leben schon so viel mitgemacht. Es war absehbar gewesen, dass ihn irgendwann die Kraft und sein Mut verlassen würden. Und Charles schämte sich unendlich, dass er es gewesen war, der genau das immer forciert hatte. Reumütig, aber auch mit Stolz erfüllt, gab er zu verstehen: „Es tut mir leid für dich, Shinji, dass du ihn nie kennen lernen konntest. Im Grunde ist es ganz einfach, etwas über deinen Vater zu erfahren. Sieh dich an. Nicht ein Wort, nicht eine Geste, nicht ein Blick, der nicht hundertprozentig der deines Vaters gewesen wäre. Du bist wie er. Es ist, als wäre er durch dich wiedergeboren.“

Wieder zuckte er bei seinem Namen zusammen, aber was dieses Mal viel schlimmer für Fireball war, waren Commander Eagles Worte. Fireball wusste nicht, woran es lag, es tat ihm unheimlich weh, all das zu hören. Nicht einmal als seine Mutter gestorben war, hatte er weinen können, aber nun schien es, als würde er gleich Tränen vergießen. Immer war ihm nur gesagt worden, er wäre nicht wie sein Vater oder er solle sich an seinem Vater ein Beispiel nehmen, niemand hatte ihm jemals gesagt, dass er war wie sein Vater. Seine Mutter hatte niemals gesagt, er hätte etwas von seinem Vater, niemals hatte sie ihn mit ihrem Mann verglichen. Nun aber saß er hier und Commander Eagle warf wieder einmal alles über den Haufen, wovon Fireball überzeugt gewesen war. Verzweifelt fuhr sich Fireball durch die Haare und schniefte: „Warum nur?“, seine Augen suchten das Büro nach etwas ab, das er ansehen konnte: „Du hast mir immer eingetrichtert, ich wäre nicht wie er. Ich würde ihm niemals das Wasser reichen können.“

Der Vorwurf war wohl mehr als berechtigt. Traurig hielt Charles daran fest, für alles, was die letzten Jahre schief gegangen war, Rechenschaft abzulegen. Er überkreuzte leicht die Beine und blickte auf Fireball hinab. Charles konnte seinen Blick nicht von Shinji lösen, egal, was er auch versucht hätte. Also flüsterte er: „Ich hab es getan, weil ich… Ich wollte mir nicht auch noch die Schuld an deinem Tod geben müssen, wärt ihr jemals von einer Mission nicht zurückgekehrt. Den Gedanken, auch den Sohn meines besten Freundes durch den Krieg zu verlieren, konnte ich nicht ertragen. Es war einfacher, wenn ich mir eingeredet habe, dass du nicht Shinjis Sohn bist, dass du nicht bist, wie er.“

Fireball richtete seine Augen einen kurzen Moment auf das Gesicht des Commanders. Charles sah mindestens so traurig aus, wie er sich anhörte. Der Japaner verstand endlich, dass auch Aprils Vater das Schicksal mehr als einmal übel mitgespielt hatte. Er murmelte einsichtig: „Damals wie heute ist wohl vieles nicht so gelaufen, wie es hätte sollen.“

Es war eher eine Feststellung gewesen. Fireball spürte immer mehr, dass Commander Eagle im Herzen ein guter Mensch war, allerdings war sein Herz mit der Zeit an all dem Kummer verkümmert und er hatte es weggeschlossen. Der Commander ließ nur noch einen Menschen in sein Herz: April. Der Polizist verlor jegliche Scheu, mit dem Commander zu reden. Auch, wenn es nicht klug war, sich Aprils Vater anzuvertrauen. Er schien der einzige zu sein, der ihn ansatzweise verstehen konnte, der wusste, wovon er sprach. Fireball stützte den Kopf auf einer Hand auf und blickte niedergeschlagen zu Boden, als er all seinen Mut aufbrachte und Commander Eagle von seiner Kindheit erzählte: „Ich… hatte als Kind oft das Gefühl, bei uns zuhause hätte etwas gefehlt. Als hätte meiner Mum etwas gefehlt.“

„Das Gefühl kennen April und ich nur zu gut.“, Charles war erstaunt darüber, was Fireball mit ihm nun besprach. Aber er nahm die Hand, die ihm Fireball reichte, dankbar an. Der Commander schloss die Augen, die ersten Monate nach Hiromis und Fireballs Auszug waren qualvoll gewesen. Melancholisch öffnete er seine Augen wieder und prüfte das braune Paar Augen seines Gesprächspartners. Nicht nur in seiner Kindheit hatte ihn das Gefühl oft verfolgt, das sah Commander Eagle sofort, auch als Jugendlicher und selbst jetzt noch, hatte Fireball etwas vermisst. Charles verließ seinen Platz am Schreibtisch und drehte Fireball den Rücken zu. Sein Blick driftete mit seinen Worten in die Vergangenheit: „April konnte viele Nächte nicht schlafen, nachdem du und deine Mutter ausgezogen wart. Sie hat dich lange Zeit vermisst. Obwohl ihr noch so klein wart, du warst damals ja keine zwei Jahre alt, und obwohl ihr nicht lange zusammen aufgewachsen seid, habt ihr euch so unglaublich gut vertragen. Wie Geschwister. Ich wage zu behaupten, dass das die glücklichste Zeit für April in ihrer Kindheit war, als ihr hier gewohnt habt.“

Wieder kam ein Puzzlestück hinzu und allmählich konnte sich auch Fireball ein Bild von seiner Vergangenheit machen. Aber allzu rosig sah es nicht aus, wie er bekümmert festhielt. Auch das hatte Fireball nicht gewusst. Er hatte nicht gewusst, dass er und seine Mutter bei den Eagles eine Zeit lang gewohnt hatten. Verwirrt, weil er die Information im Augenblick nicht verarbeiten konnte, kratzte sich Fireball am Kopf. War ihm April deshalb gleich vertraut gewesen, als er damals mit einem Affenzahn im Oberkommando gelandet war? Schon fast frustriert erklärte er Commander Eagle, als er dessen fragende Blicke einordnen konnte: „Mum hat darüber nie gesprochen. …Ich wusste überhaupt nichts vom Oberkommando oder von dem, was mein Vater getan hat, bis ich durch die Tür da hinten geschoben worden bin.“

Charles’ Gesichtsausdruck hellte sich einen kurzen Moment auf. Deshalb hatte ihn der Junge eben so verständnislos angesehen. Aber seine Worte gefielen dem Kommandanten nicht besonders. Fireballs Stimme war vorwurfsvoll gewesen. Und alles, was Hiromi verdient hatte, es war bestimmt kein Vorwurf von ihrem eigenen Sohn gewesen. Er verteidigte Hiromis Handeln energisch: „Deine Mutter wollte dich schützen, Fireball. Sie wollte dich nicht mit Erinnerungen belasten. Sie hätte doch niemals ahnen können, dass du instinktiv und durch puren Zufall hier landest und die Arbeit deines Vaters fortführst.“

Doch Fireball schüttelte den Kopf. Er war der Ansicht, dass manches einfacher gewesen wäre, hätte er doch nur was gewusst. Der junge Mann hob den Kopf und knurrte säuerlich: „Aber es wäre manchmal ganz hilfreich gewesen, wenigstens ein ganz kleines Bisschen zu wissen.“, sein Ärger verpuffte wieder, weil ihn seine nächsten Worte traurig machten: „Vielleicht hätte ich eher verstanden, weshalb du mich nicht leiden konntest. Und außerdem wäre es weniger grausam gewesen, es von meiner Mutter zu erfahren, als von Colonel Allan McRae.“

„Mach ihr deswegen kein Vorwürfe, Fireball. Das hat sie nicht verdient.“, Charles seufzte ergeben. Im Nachhinein betrachtet, wäre es auch ihm lieber gewesen, wenn Hiromi dem Kind was erzählt hätte. Vielleicht, so stimmte er Fireball zu, wäre manches anders gelaufen. Aber dafür war es nun eindeutig zu spät. So wie es auch für jegliche Art von Entschuldigung zu spät war. Charles schien beinahe daran zu zerbrechen, dass er nichts mehr ungeschehen machen konnte. Seit Fireball sein Büro betreten hatte, sah er eine Gefühlspalette vor sich, von der er immer gesagt hatte, Fireball besäße sie nicht. April hatte Recht gehabt. Seine kleine Tochter hatte mit jedem Wort Recht gehabt, was Fireball betraf. Der Rennfahrer versuchte sich zwar immer noch hinter einem ruhigen und gefassten Gesichtsausdruck zu verstecken, aber seine Worte und Gesten verrieten ihn.

Fireball wehrte sich gegen den Vorwurf, seiner Mutter unrecht zu tun. Er begehrte kurz auf: „Wenn ich jemanden Vorwürfe mache, sieht das ganz anders aus!“, gleich darauf versuchte Fireball jedoch wieder, Verständnis für seine Worte zu erwecken. Das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, wie er es damals bei dem Gespräch mit Allan erlebt hatte, wollte er nie wieder spüren. Nie wieder. Verletzt gestand er: „Ich bin damals aus allen Wolken gefallen, als Allan mir aufgetischt hat, dass …du und meine Mum…“

Charles merkte, dass Fireball sich mit dem Gedanken ganz und gar nicht anfreunden konnte. Die Tatsache, dass ihm das auch noch ein wildfremder Mann erzählt hatte, dürfte das letzte Quäntchen für eine tiefere Krise gewesen sein. Deswegen hielt es der Commander für besser, Fireball erst mal nur die halbe Wahrheit zu sagen. Er hatte ja gesehen, wie seine Tochter aus der Wäsche geguckt hatte, als er ihr damals erzählt hatte, dass er Hiromi geliebt hatte. Charles murmelte bedrückt: „…Freunde waren. Wir waren Freunde, die sich eine Zeit lang beigestanden haben. Mehr nicht.“ Commander Eagle fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen, die Erinnerung daran schmerzte. Der Verlust schmerzte. Noch immer. Er versuchte, Fireball zu erklären, weshalb Hiromi nie etwas erzählt hatte. Sie hatte ganz sicher sogar gute Gründe dafür gehabt: „Wer weiß, was es geholfen hätte, hätte dir deine Mutter von alledem erzählt. Fireball,“, Charles sah den ehemaligen Piloten überzeugt an: „du erträgst die Vergleiche mit deinem Vater immer noch nicht. Du hättest nur früher angefangen, darunter zu leiden. Und wer weiß, vielleicht hättest du dich unter diesen Umständen niemals so entwickeln können. Du wärst an dem Druck wahrscheinlich zerbrochen.“

Fireball sank zusammen. Er konnte dem Commander nicht widersprechen. Niemand wusste, was wirklich passiert wäre, hätte er schon als Kind die Wahrheit erfahren. Vielleicht wäre er niemals aus Tokio weggegangen? Aber eines war sicher, so sicher wie das Amen in katholischen Gebeten. Leichter Sarkasmus flammte in Fireball auf: „Aber der umgekehrte Fall ist auch nicht besser. Ständig gesagt zu bekommen, dass man mit seinem Vater gar nichts gemein hätte, wie du es gemacht hast, war auch nicht netter.“

Diese Worte machten den Commander betroffen. Ja, es dürfte tatsächlich wenig hilfreich gewesen sein, vorgehalten zu bekommen, wie wenig man mit seinem Vater gemeinsam hatte, aber niemals einen Ratschlag, was man besser machen konnte. Einsichtig und traurig nickte Charles. Der Junge hielt ihm im Laufe des Gespräches immer wieder einen Spiegel vors Gesicht, manchmal tat er das vorwurfsvoll, meistens jedoch schien Fireball selbst am meisten darunter zu leiden. Fireball würde alle beschützen, auch die, die er nicht mochte, so viel war klar.

Fireball zupfte an seinem Hemd herum und starrte dabei auf den Boden. Er musste mit seinen Fingern irgendwas anfangen und bevor er an seinen Fingernägel zu kauen begann, war es wesentlich besser, das Hemd ein wenig zu malträtieren. Noch nie hatte er darüber Auskunft gegeben, aber daran würde er irgendwann zugrunde gehen. Und mit April oder Saber und Colt konnte er darüber nicht reden. Sie kannten Hiromi kaum und sie wären nicht so objektiv gewesen, wie Charles. Fireball krallte die Hände in die Oberschenkel und flüsterte erstickt: „Ich hab’s damals nicht fertig gebracht, meiner Mutter zu sagen, dass ich für das Oberkommando arbeite. Sie war so unendlich enttäuscht darüber. Mit allem, was ich getan habe, habe ich sie enttäuscht.“

Tatsächlich erdrückte ihn dieses Gefühl manchmal schier. Hiromi hatte es nie gesagt, aber in ihren Blicken hatte er es ablesen können. Als sie ihn in Yuma im Krankenhaus besucht hatte, zum Beispiel, nachdem sie von Saber erfahren hatte, was ihr Sohn all die Jahre getrieben hatte, wie viele Fehler er sich dabei geleistet hatte und welche Dummheit er nach dem Ball begangen hatte. Selbstmord zu begehen, war für Japaner eine Schande für die gesamte Familie, vor allem, wenn es nicht für die Ehre oder das Vaterland geschah. Er war ein schlechter Sohn gewesen und hatte in jedem Lebensbereich versagt.

Charles nahm Fireball gleich wieder den Wind aus den Segeln. Er kannte Hiromi. Fireball hätte seine Mutter nie enttäuschen können, außer vielleicht, wenn er untätig dabei zugesehen hätte, wie Unrecht geschah. Und das hatte er nicht, das stand fest. Hiromi war niemals enttäuscht von Fireball gewesen, aber erfüllt mit Sorge. Gesprächsfetzen des letzten Telefonats mit Hiromi flammten wieder auf, sie bestätigten Commander Eagles Gedanken. Irgendwie, so seltsam es sich auch anfühlte, Charles wurde das Gefühl nicht los, dass sie beide sich gerade den Kummer von der Seele redeten. Es war beinahe so, wie ein Gespräch zwischen ihm und seiner Tochter April, die sie früher zuhauf geführt hatten. Nur dass statt April ihr Freund vor ihm saß. Charles fragte sich, weshalb es dieses Gespräch nicht früher schon gegeben hatte. Es riss Wunden in der Seele auf, in beiden Seelen, dafür brauchte er kein Hellseher zu sein. Fireball starb mit jedem Satz, den er sich herausquälte, tausend Tode und auch Charles fühlte sich nicht besser. Der Commander legte Fireball eine Hand auf die Schulter und schüttelte den Kopf. Wahrheitsgemäß antwortete er: „Sie war nicht enttäuscht von dir, keine Sekunde, Shinji. Sie war enttäuscht von mir. Sie hat darauf vertraut, dass ich mein Versprechen euch beiden gegenüber halten würde, wenn es einmal so weit kommen würde. Ich habe ihr versprochen, da zu sein, euch zu helfen. Aber das habe ich nicht. Ich habe vor allem dir nicht geholfen.“

Doch der kleine Sturkopf ließ diese Antwort nicht gelten. Fireball richtete sich in seinem Stuhl auf und blickte dem Commander geradewegs in die Augen, zum ersten Mal überhaupt. Er war felsenfest von seinen Worten überzeugt, deswegen fühlte er sich auch so mies. Mit fester Stimme beharrte er: „Sie war nicht enttäuscht, weil ich für etwas eingetreten bin, woran ich glaube. Ich habe sie enttäuscht, weil ich ein schlechter Sohn war. Ich habe meine Freunde enttäuscht, weil ich zu niemanden Vertrauen hatte. Sogar dich hab ich enttäuscht, weil ich meinem Namen nicht gerecht werden kann. Ich hab alle um mich herum immer wieder enttäuscht!“

Fireball war weniger aufbrausend als verzweifelt. Die Vorwürfe gegen sich selbst lasteten schwer auf ihm. Aber es war eine Wohltat, es endlich auszusprechen. Auch, wenn er es dem Vater seiner Freundin, dem Mann, den er zwar respektierte aber nicht unbedingt mochte, sagte. Als er Verständnis in Commander Eagles Gesicht ablesen konnte, richtete Fireball seine Augen wieder eingeschüchtert auf den Boden.

„Du bist der Sohn deines Vaters, Shinji. Allein aus diesem Grund kannst du deine Mutter niemals enttäuscht haben. Und du hast weder mich noch deine Freunde enttäuscht. Dass das zwischen dir und April schief gegangen ist, ist doch meine Schuld. Ich habe…“, Charles konnte nicht weiter sprechen. Er wusste, im Endeffekt hatte er den beiden Kindern mehr Kummer deswegen gemacht, als er vermeiden hatte wollen. Charles hätte eher sehen müssen, wie gut vor allem seiner Tochter der Umgang mit Shinjis Sohn tat. Und dass sie trotz allem noch zueinander gefunden hatten, das war bei der Befragung mehr als deutlich und offensichtlich geworden, bewies lediglich die Stärke ihrer Liebe.

Fireball war konsequent darin, Commander Eagle die Schuld abzunehmen. Auch in diesem Fall wieder. Überzeugt davon, dass der Commander dafür nichts konnte: „Daran kannst du gar nicht Schuld sein, weil du keinen Einfluss darauf hast. Du hattest niemals Einfluss darauf, was aus April und mir wird.“

Commander Eagle sank hilflos zusammen. Und ob er etwas damit zu tun hatte, ob aus seiner Tochter und dem Rennfahrer was wurde. Kleinlaut und bedrückt widersprach Charles abermals: „Das war doch der Grund für deine unehrenhafte Entlassung. Ich habe doch gesehen, was sich da bei euch beiden angebahnt hat.“

Verlegen schmunzelte Fireball. Sein Gesicht nahm eine leicht rötliche Farbe an, es war also für jeden offensichtlicher gewesen als für ihn damals. Fireball hatte ewig gebraucht, bis er erkannt hatte, was April ihm bedeutete. Zum einen hatte das sicherlich daran gelegen, dass er immer brav im Hinterkopf die Worte ihres Vaters gehabt hatte, zum anderen aber auch, weil er auch Angst davor gehabt hatte. Schließlich hatten ihre Gefühle füreinander sie beinahe ihre Freundschaft gekostet. Fireball lächelte gutmütig: „Tja… Ich glaube, das haben alle vor uns gewusst.“

„Davon kannst du ausgehen.“, Charles huschte auch ein leichtes Lächeln über die Lippen. Es war damals mehr als offensichtlich gewesen, wie gerne sich Fireball und April hatten. Nicht zuletzt war diese Frage ja auch heute in der Befragung aufgetaucht. Jeder hatte sehen können, wie tief die Zuneigung der beiden war.

Fireball lehnte sich wieder etwas zurück und musterte seinen alten Vorgesetzten. Langsam aber sicher fühlte er sich besser. Der Commander hatte ihm in diesen Minuten viel Kummer abgenommen, auch, wenn er es vielleicht nicht wusste. Obwohl er nicht wusste, weshalb, suchte er nach einer Erklärung für seine Gefühle. Er glaubte, er müsse Aprils Vater einen Grund nennen, weshalb er sich in April denn verliebt hatte. Deshalb murmelte Fireball, während er mit seinen Augen wieder den Boden fixierte: „Sie ist eine großartige Frau.“

Commander Eagle betrachtete Fireball eingehend. Ihm wurde klar, dass seiner Tochter nichts Besseres hatte passieren können. Er spürte, dass Fireball der Richtige für April war. Mit einem leichten Kopfnicken, aber einem selbstsicheren Lächeln konterte er: „Sie hat einen großartigen Partner verdient.“

Da Commander Eagle seinen wohlwollenden Blick auf Fireball gerichtet hatte, wusste dieser, dass er damit gemeint war. Aber der Rennfahrer war sich nicht sicher, ob so viel Vertrauen in ihn gerechtfertigt war. Eingeschüchtert, vor allem aber enorm verunsichert, zog er den Kopf ein und entkräftete die Aussage: „Ich würde keine all zu großen Erwartungen und Hoffnungen in mich setzen.“

Verwirrt blinzelte Commander Eagle, er verstand den jungen Spund nicht. Hatte er vor, April wieder zu verlassen? Fragend runzelte er die Stirn: „Warum sollte ich keine Hoffnungen in dich setzen?“

„Ich selbst würde keine Hoffnungen in mich setzen.“, mit Fireballs Selbstvertrauen war es immer noch nicht weit her. Er würde sich immer noch nichts zutrauen, die letzten Ereignisse hatten doch wieder bewiesen, dass alles, was er anfasste, zwangsläufig daneben ging. Fireball schluckte schwer, ehe er dem Commander gestand: „Versteh mich nicht falsch. Ich liebe April. Aber ich frag mich ab und an, was sie mit einem wie mir will. Ich bin unzuverlässig, ziehe das Chaos magisch an. Ich habe keinen Job und ich kann für sie nicht der sein, der ich sein möchte.“

Fireball plagten diese Zweifel tatsächlich. Er zweifelte nicht an Aprils Liebe, auch nicht an der Ernsthaftigkeit ihrer Beziehung. Aber er bezweifelte, dass er der Mann fürs Leben für April war. Weshalb hätte sie sonst am Vorabend so lange gezögert und schließlich doch keine Antwort gegeben?

Commander Eagle schnaubte leicht. Er warf die Hände in die Höhe und gab Fireball Recht: „Ja, ich frage mich auch, was sie mit dir will!“, seine Stimme triefte vor Ironie. Aber Charles wusste nicht, wie er Fireball sonst sagen sollte, dass seine Zweifel allesamt unbegründet waren. Überzeugt zählte er auf: „Du bist bloß zuverlässig, eine treue Seele und stehst hinter meiner Tochter. Trotz aller Schwierigkeiten, die ihr zu bestehen hattet, bist du immer noch an ihrer Seite und würdest jederzeit dein Leben für sie geben! Also ehrlich, ich versteh absolut nicht, was sie mit einem wie dir will.“

Fireball wäre am Anfang fast tot umgefallen, als er Commander Eagles Worte vernahm. Aber als dieser angefangen hatte, allerhand Eigenschaften aufzuzählen, hatte auch er verstanden, dass es dem Commander nicht so ernst war. Aprils Vater bekräftigte, was Fireball selbst wusste, auch wenn er es ausblendete. Unauffällig nickte Fireball und gestand: „Ich will, dass sie glücklich ist.“

Augenblicklich wurde auch Charles wieder ernst. Er stimmte Fireball zu: „Das will ich auch. Und deswegen werde ich mich in Zukunft an die Regeln halten, die mir April gegeben hat.“

Der Rennfahrer zog die Augenbrauen hoch. Was hatte die Blondine hinter seinem Rücken bloß wieder ausgeheckt? Er wusste nichts von irgendwelchen Regeln, was sein Gesichtsausdruck zusätzlich unterstrich. So viele Fragezeichen dürfte der Commander noch nie auf einer Stirn gesehen haben, wie in diesem Moment.

Charles schmunzelte. Das sah seiner Tochter wieder ähnlich, einfach was zu bestimmen und niemanden einzuweihen. Fireballs Blick war göttlich, aber zu lachen durfte er nicht anfangen, egal wie verführerisch es auch gewesen war. Mit einem unterdrückten Kichern erklärte er: „Die wichtigste Regel lautet, mich nicht mehr in eure Beziehung einzumischen. Und daran werde ich mich halten.“

Fireball war sich der Ehrlichkeit in Commander Eagles Worten durchaus bewusst. Mit einem leichten Lächeln, aber einem eindringlichen Tonfall, nickte Fireball: „Das wäre ganz nett, ja.“, der Japaner dachte einen Moment lang daran, was April alles noch nicht wusste und keuchte deswegen frustriert: „Wir haben ohnehin genug… Gesprächsbedarf.“

Commander Eagle kratzte sich am Kopf und sah Fireball entschuldigend an: „Nachdem ich für den Gesprächsbedarf gesorgt habe…“

„Ich hatte auch noch ein Leben neben deinen Erniedrigungen.“, Fireballs Stimme war leise. Aber wieder nahm er den Commander in Schutz. Der eine Satz war ein zweischneidiges Schwert gewesen. Einerseits hatte Fireball seinem ehemaligen Vorgesetzten noch einmal unterschwellig erklärt, wie er seine Behandlung hier empfunden hatte, auf der anderen Seite aber nahm er ihm die Schuld ab, an seinen Problemen mit April hauptsächlich verantwortlich zu sein.

Charles hatte das sofort erkannt. Wieder kam Captain Hikari in Fireball zum Vorschein, wie so oft zuvor schon. Fireball hatte sich ein unglaublich gutes Herz bewahrt, auch wenn seine Zunge ziemlich scharf geworden war. Als er bemerkte, wie sich Fireball zum Gehen richtete, stand auch Commander Eagle auf und trat vor Fireball. Mit einem guten Ratschlag entließ er Fireball endgültig: „Bewahre dir deine Stärken, Shinji.“

Fireball nickte leicht, auch wenn er nicht genau wusste, welche Stärken der Commander meinte. Er griff nach seiner Jacke und der Krawatte, ehe er sich zur Tür drehte und gehen wollte.

Charles fiel es unglaublich schwer, aber wen, wenn nicht Fireball hätte er darum bitten sollen: „Wenn du April nachher siehst, sag ihr…“

Er konnte nicht zu Ende sprechen. Commander Eagle vermisste seine Tochter, seit dem Gespräch in ihrem Büro hatte er sie selten gesehen. Meistens hatten sich ihre Gespräche nur noch auf den Beruf beschränkt, April schloss ihren Vater konsequent von ihrem Leben aus. Und es schmerzte dem alten Mann. Er wollte nicht auch noch seine Tochter verlieren.

All diese Gefühle konnte Fireball an Commander Eagles Haltung und Mimik ablesen. Er nickte verständnisvoll und versprach: „Ich werde ihr sagen, dass ihr Vater sie liebt und sie wieder öfter um sich haben möchte.“

Beide waren sich einig, dass April sich nicht von ihrer Familie abwenden durfte. Fireball aus dem einzigen Grund, weil er es nicht wollte. Er wusste schließlich, wie schrecklich es war, die Familie zu verlieren. Und Charles liebte seine Tochter. Es war ihm egal, ob mit oder ohne Fireball, er wollte seine Tochter wieder öfter sehen. Sie war alles, was er noch hatte.

Charles flüsterte: „Danke.“

Der alte Commander bedankte sich für alles, auch für den Versuch ihm zu helfen. Er war dankbar, dass Fireball nicht nachtragend war. Aber es tat ihm weh, dass er all die Jahre ein solcher Esel gewesen war und nicht gesehen hatte, was er anrichtete. Mit jedem Atemzug wünschte es sich Charles mehr, alles ungeschehen zu machen.

„Jederzeit wieder.“, Fireball lächelte leicht, er würde garantiert wieder in die Breschen springen, wenn es darum ging, dem Commander seinen Posten im Oberkommando zu sichern. Mit Fireball verschwand auch die Erinnerung von Captain Hikari aus Commander Eagles Büro und ließ ihn alleine dort zurück.
 

Die Freunde saßen an diesem Abend noch lange zusammen. Nachdem Fireball doch noch nachgekommen war, war die kleine Truppe vollständig versammelt gewesen und die sechs Freunde konnten gemeinsam den Tag verarbeiten. Zuerst war die Stimmung eher gedrückt, was nicht zuletzt an den Mienen der vier Star Sheriffs lag, aber im Laufe des Abends steigerte sich auch wieder die Laune. Der Kellner hatte an diesem Abend alle Hände voll mit den Freunden zu tun. Nachdem sie auf den Geschmack gekommen waren, jagten sie den Kellner immer wieder mit ihren Bestellungen quer durch das Lokal. Und Colt veräppelte ihn zu allem Überfluss auch noch.

Die nächsten Tage brachten die Freunde mit bangem Warten zu. Es war jedem klar gewesen, dass die drei Mitglieder des Ausschusses diese Entscheidung nicht sofort fällen konnten, aber das Warten war fast noch unerträglicher, als vor dem Ausschuss zu stehen und Fragen zu beantworten.

Colt, Saber und vor allem April gingen ihrer Arbeit im Oberkommando nach, solange niemand Bescheid bekam, waren alle noch im Dienst. Der Kuhhirte hatte sich bereit erklärt, den Ausbildnern im Stützpunkt ein wenig zur Hand zu gehen und den jungen Hitzköpfen ein paar Schießstunden zu geben. Saber versuchte seine Klassen so gut als möglich zu unterrichten. Und April werkte und schraubte an Ramrod. Der Traktionsstrahl hatte größeren Schaden angerichtet als sie zuerst vermutet hatte und immer wieder taten sich andere Fehlerquellen auf. Hatte sie gedacht, einen Fehler beseitigt zu haben, tauchten dafür zwei neue auf. Mit der Mechanik half ihr manchmal Fireball, obwohl er im Oberkommando eigentlich nichts mehr verloren hatte. Aber April war dankbar für die Hilfe, die sie von ihrem Freund bekam, er hatte ein wesentlich besseres Gespür für die Triebwerke, die Hydraulik und Mechanik als sonst jemand auf dem Stützpunkt. Aber nicht immer hatte Fireball Zeit, wenn die blonde Ingenieurin seine Hilfe brauchte.
 

Am späten Nachmittag öffnete er die Tür und dirigierte seinen Komplizen ins Büro der Blondine. Es war einfach gewesen, in das Büro von April einzudringen. Jesse und Tomas hatten sich als Servicepersonal ausgegeben, das die Klimaanlage wartete. Niemand hatte Verdacht geschöpft. Während der Japaner Schmiere stand, durchstöberte der ehemalige Kadett den Schreibtisch von April. Schnell fand er wonach er suchte. Die Pläne von Ramrod! Sie lagen für jedermann einsehbar auf der Tischplatte, daneben ein dicker Ordner, ebenfalls aufgeschlagen. Ein triumphierendes Lächeln formte sich um Jesse Blues Lippen. Das waren die Fehlerprotokolle. Und das auch noch reichlich davon. Dieses Mal würde Ramrod seinen Zielraumhafen nicht mehr erreichen, so viel stand fest.

Etwas anderes fiel ihm plötzlich auf Aprils Schreibtisch auf. Interessiert nahm er die Bilder vom Schreibtisch und betrachtete sie. Es waren Fotos ihrer Freunde, samt Familie. Saber und Colt hatten eine Familie gegründet. Die vier Star Sheriffs wurden immer angreifbarer, sie sammelten sich ihre Schwachpunkte selbst.

Hektisch stapfte Tomas auf seinen Komplizen zu, als ihm aufgefallen war, dass dieser anstatt zu arbeiten lieber Fotos ansah. Er giftete Jesse an: „Verdammt! Was machst du da?“

„Ich finde ihre Schwachpunkte, Dummkopf!“, störrisch hielt er Tomas das Gruppenfoto vor die Augen und deutete anschließend auf die zwei fremden Frauen: „Das da ist Colts Weibilein und das da ist Sabers Holde. Sie alle haben Familien gegründet. Frau und Kind, verstehst du?“

Tomas ging auf dieses Argument vorerst allerdings nicht ein. Sie brauchten zumindest die Pläne von Ramrod, wenn sie mit ihrer Rache Erfolg haben wollten. Energisch packte er die Pläne deshalb selbst. Er hielt Jesse an: „Beeil dich mit dem Finden ihrer Schwachpunkte gefälligst, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit!“

Jesse begann sofort darauf, Aprils Schubladen aufzureißen und durchzustöbern. Er suchte nach ihrem Adressbuch und anderen persönlichen Gegenständen, die ihnen nützlich werden könnten. Das Adressbüchlein war kein Problem gewesen, das hatte Jesse gleich als erstes gefunden. Neugierig durchstöberte er die anderen Schubladen, allerhand kam dabei zum Vorschein. Von einem kleinen Handspiegel und einem Kamm, war alles vertreten, was Frau im Büroalltag so brauchen konnte. Da glitzerte etwas. Neugierig zog Jesse eine Kette hervor, an der ein Anhänger baumelte. Er lag in einer Schublade auf einer weißen Karte, doch die war nebensächlich für Jesse geworden. Mit kalten blauen Augen musterte er das Schmuckstück: „Sieh mal einer an, von wem sie das wohl hat.“

Tomas begutachtete die Kette. Sie war schlicht silber, enggliedrig und der Anhänger war einfach. Glänzend aber einfach ohne Schnörkel. Die Handschrift kannte er doch. Schulterzuckend deutete er auf die Kette und gab Jesse die Information, die er offenbar noch nicht hatte: „Die hat er ihr bestimmt geschenkt. Laura hat auch einen Anhänger von ihm geschenkt bekommen. Genauso schlicht wie der da. Der hat soviel wie Weisheit und Stärke bedeutet.“

Hasserfüllt ballte Jesse seine Hand zu einer Faust, in der das Amulett verschwand. Er knurrte: „Dieser verdammte Rennfahrer! Der hat doch weniger Tiefgang als eine Pfütze. Woher will der wissen, was zu ihr passt?“

Durchtrieben lachte Tomas. Er hatte grade wieder was gelernt. Und zwar hatte er Jesses Schwäche herausgefunden. Vielleicht nützte es ihm später etwas. Grinsend deutete er auf Jesses Faust: „Die kleine Blondine scheint’s dir ja angetan zu haben. Die kannst du von mir aus gerne haben, ich steh nicht drauf. Und jetzt pack endlich ein, was du brauchst, Jesse. Bevor sie uns noch auf die Schliche kommen.“

Jesse starrte ungläubig auf Tomas. Er wagte es, ihm etwas vorzuschreiben? In jedem anderen Fall hätte Jesse denjenigen erschossen, aber in dem Fall konnte er das nicht, weil Tomas Recht hatte. Sie mussten schleunigst wieder hier raus, sollte ihr Racheplan aufgehen. Der blauhaarige Outriderkommandant ließ die Kette samt Anhänger in seiner Hosentasche verschwinden, das Adressbruch steckte er ebenfalls ein, während er Tomas die restlichen Unterlagen, die sie brauchten, in die Hände drückte: „Die Rache ist unser.“

Verhängnisvolle Nächte

Kaum zu glauben, aber wahr! Hinotama geht in die nächste Runde. Es hat jetzt ewig gedauert, aber schließlich konnt ich mich dazu durchringen, dass ich an meinen Schwachstellen arbeite... Naja, viel gebrabelt, wenig Sinn... Lest selbst...
 

Die Woche war rum gegangen, ohne dass der Ausschuss eine Entscheidung getroffen hätte. Wie jeden Freitagabend hatte Saber seinen Sohn bei Synthia abgeholt. Laura war auch wieder bei ihm. Sie verbrachte beinahe jeden Tag bei ihm, schlief mittlerweile auch bei ihm. Großzügig hatte er ihr das Bett überlassen, jede Nacht aufs Neue. Solange Saber nicht endgültig von seiner Frau getrennt war und somit auch geschieden, konnte er Laura nicht in jeden Bereich seines Lebens einbeziehen. Sie hielten immer noch Abstand zueinander. Aber Laura respektierte diese Distanz, immerhin wusste sie genau, weshalb er so war.

Völlig verschlafen und durcheinander hetzte Saber in sein Schlafzimmer und machte Licht. Er öffnete seine Schranktür und suchte hastig ein paar Sachen zusammen. Verärgert erinnerte sich Saber an die oberste Regel als Star Sheriff: immer eine gepackte Tasche zuhause zu haben, für den Fall der Fälle. Er hatte natürlich keine gepackte Tasche irgendwo stehen gehabt, die letzten Monate war es wieder ruhig gewesen und es war demnach keine Gefahr in Verzug.

Verwirrt rieb sich Laura die Augen. Sie war vom Einschalten des Lichtes wach geworden, es hatte sie geblendet. Sie murmelte: „Was ist denn los?“

Er hatte komplett vergessen, dass Laura hier war. Irritiert und gestresst fuhr Saber zu ihr herum und erklärte: „Laura… Es… Entschuldige. Das Oberkommando wird angegriffen. Ich muss sofort los.“

Die Asiatin schrak empor. Jetzt war sie hellwach und voller Sorge. Angsterfüllt blickte sie zu Saber und hielt sich die Hand vor die Brust: „Oh, Gott.“

Dem Schotten schwirrte gerade so viel durch den Kopf, dass er keinen klaren Gedanken fassen konnte. Er ging im Gedanken durch, was er alles noch packen musste, was er alles brauchte und dann fiel ihm auch noch sein Sohn ein. Verlegen stopfte Saber einige Hemden in die Tasche und fragte Laura: „Kannst du bitte auf Matt aufpassen, oder soll ich ihn gleich zu Synthia bringen?“

Es war Sabers völliger Ernst gewesen. Hätte Laura nicht genickt, wäre er um drei Uhr nachts mit Matthew zu seiner Frau gefahren und hätte ihn schweren Herzens wieder bei ihr abgegeben. Aber wenigstens diese Sorgen nahm ihm die schwarzhaarige Frau ab. Laura stand auf und schob Saber von der Tasche weg. Ihr Kopf war nicht so voll, sie würde ihm schnell die Tasche fertig packen. Ruhig sprach sie mit ihm: „Lass Matt schlafen, ich bring ihn morgen zurück. Mach dir keine Gedanken darum.“

Dankbar schlich Saber ins Bad um seine Zahnbürste und die anderen Sachen zu holen. Er unterhielt sich mit Laura, während beide alles zusammensuchten: „Danke, Laura. Du bist Gold wert. …Wo sind die dämlichen Handtücher?“

„Im Schrank oben links!“, Laura konnte ein Kichern nicht unterdrücken. Wer schlief hier bei wem in der Wohnung? Saber kannte seinen eigenen Haushalt nicht, das war irgendwie niedlich. Sie legte seine Hosen säuberlich in die Tasche und betrachtete schließlich ihr Werk. Sie fragte: „Brauchst du sonst noch was?“

Der Schotte kam wieder aus dem Bad, schlichtete die Handtücher und die restlichen Toilettesachen in die Tasche und überlegte kurz. Er schüttelte den Kopf: „Nein, hab alles!“

Dabei war ihm aufgefallen, wie eingespielt sie zusammengearbeitet hatten. Laura hatte in seinem Leben Einzug gehalten und half ihm sogar schon, seine Tasche für eine Mission zu packen. Es war unglaublich. Hätte Synthia so etwas jemals getan? Saber schüttelte den Kopf. Er durfte Laura mit seiner Frau nicht vergleichen. Das hieße, er würde beide auf die selbe Stufe stellen, beide wären ihm somit gleich wichtig. Aber das durfte er nicht. Er durfte Laura nicht auf die selbe Stufe mit seiner Frau stellen. Eilig schlüpfte der Schotte in seine Schuhe und warf sich die Jacke um. Er musste langsam los, die Situation war brenzlig, sonst hätten sie ihn nicht mitten in der Nacht angerufen.

Laura folgte ihm mit der Tasche in der Hand. Es war seltsam, das musste sie sich eingestehen. Während sie Saber in den Flur begleitete, erkundigte sie sich noch: „Soll ich Matt nächstes Wochenende wieder abholen?“

Die Frage verwirrte Saber. Er hoffte, nicht so lange weg zu sein, aber was war wirklich, wenn er nächste Woche noch nicht zuhause sein sollte? Würde er sich nicht penibel an die Zeiten halten, die er mit Synthia ausgemacht hatte, konnte er sich das Besuchsrecht schneller in die Haare schmieren, als er Steed besteigen konnte. Unsicher nickte er: „Wäre nett von dir.“

Laura öffnete dem Schotten die Tür. Der Abschied fiel ihr unglaublich schwer. Mit der größtmöglichen Vernunft, die sie um diese Uhrzeit schon aufbringen konnte, redete sie sich ein, dass er nicht ihr Partner war. Sie durfte solche Gefühle nicht zulassen. Noch nicht. Sie sollte sich gefälligst wie eine gute Freundin um ihn sorgen, nicht wie eine Lebensgefährtin!

Saber ging an Laura vorbei, doch auf ihrer Höhe machte er Halt. Schnell lehnte er sich zu der schwarzhaarigen Frau hinab und hauchte ihr einen unbedachten Kuss auf die Lippen. Er murmelte verlegen, als er sich wegdrehte: „Wirf auch ein Auge auf Fireball.“

Laura nickte eifrig, zu einer anderen Reaktion war sie nicht in der Lage. Sie konnte den Kuss und die darauf folgende Handlung nicht verstehen. Was hatte das alles zu bedeuten? Endlich bemerkte die Asiatin, dass Saber bereits im Treppenhaus war und die ersten Stufen hinuntergegangen war. Sie lief ihm barfuss nach und murmelte: „Komm bald wieder, ja?“

„Versprochen.“, Saber schloss kurz die Augen und nickte Laura beruhigend zu. Er hatte nicht vor, ewig aus zu bleiben. Immerhin hatte er wieder einen Grund, gerne nachhause zu kommen, nicht wie bei ihrer letzten Mission. Hastig verschwand Saber.
 

„Erinner mich das nächste mal daran, das blöde Ding auszuschalten, wenn wir schlafen gehen!“, Colt machte seinem Ärger um die nächtliche Ruhestörung Luft. Aber alles half nichts, er musste los.

Robin stand neben ihm und begutachtete, was ihr Mann alles in seine Sporttasche warf und pfefferte. Sie hatte es längst aufgegeben, ihm die Sachen ordentlich gefaltet hinein legen zu wollen. Wie schon beim letzten Mal, als Colt zu einer Mission aufbrach, fiel Robin ihrem Mann nicht in den Rücken. Sie würde ihn nicht darum bitten, bei ihr und dem Kind zu bleiben. Immerhin wusste die Lehrerin, dass Colt gebraucht wurde. Ihr Mann war Teil des besten Teams im Neuen Grenzland, die vom Oberkommando hatten nicht ohne Grund mitten in der Nacht hier angerufen.

Allerdings sträubte sich Colt dieses Mal noch mehr als bei seinem letzten Aufbruch, das gemeinsame Haus zu verlassen. Robin war schwanger. Er wollte seine Frau mit einem kleinen Kind und einem Ungeborenen nicht alleine lassen. Colt hatte unglaubliche Angst, dass seiner Frau etwas zustoßen könnte. Sie war schließlich ganz alleine auf der Ranch, im Notfall wäre niemand hier, der ihr helfen könnte.

Als schließlich alles gepackt war, hasteten Colt und seine Frau ins Erdgeschoss hinunter, wo Colt die Tür aufstieß und hinaustrat. Eigentlich hatte er sich nicht zu Robin umdrehen wollen, aber den coolen Abschied brachte er nicht fertig. Schmerzerfüllt ließ Colt die Tasche auf den Boden plumpsen, drehte sich zu seiner Frau um und zog sie in seine Arme. Mit Tränen in den Augen flüsterte er: „Sag mir, dass ich hier bleiben soll, Robin. Sag mir, dass ich bei dir bleiben soll.“

Robin schlang ihre Arme um Colt und presste sich an ihn. Sie schüttelte energisch den Kopf und gestand mit Tränenerstickter Stimme: „Das kann ich nicht! Colt, du wirst gebraucht.“

Colt weigerte sich zu glauben, dass jemand ihn mehr brauchen konnte, als seine Frau und seine Tochter und das Ungeborene. Regungslos verharrte er mit Robin im Arm. Er drückte seine Frau so eng an sich, wie er nur konnte, der Abschied war die größte Qual auf Erden für ihn. Colt wollte seine Frau nicht alleine zurücklassen. Zitternd küsste er Robin zum Gruß. Dann drehte er sich um und lief zum Wagen. Colt hob die Hand und jaulte: „Wenn ich wieder nachhause komme, werde ich nie wieder gehen. Nie wieder, Robin!“

Robin setzte sich mit einer Wolldecke bewaffnet auf den Treppenansatz vor dem gemeinsamen Haus, nachdem Colt losgebraust war. An Schlaf war für die blonde Frau nicht mehr zu denken. Sie hatte gespürt, wie widerstrebend Colt gefahren war. Robin wusste, er hatte es ernst gemeint. Er wollte nicht mehr gehen. Gedankenversunken legte sie ihre Hände auf ihren gewölbten Bauch. Hoffentlich wurde es ein Junge. Robin wollte Colt einen Jungen schenken, er wünschte es sich so sehr. Tränen bahnten sich ihren Weg, plötzlich kam sich Robin verlassen vor. Sie war alleine mit Jessica zurückgeblieben. Aber sie würde stark sein, sie musste stark sein. Nicht nur für Jessica, sondern auch für Colt und für sich. Robin könnte es sich niemals verzeihen, Colt noch mehr Kummer zu bereiten, als er sich selbst schon machte.
 

Fireball rückte im Bett wieder näher zu April. Sie hatte sich bewegt, das war nicht fair. Verschlafen hatte er gehört, dass sie geredet hatte und als sie auch noch aufstand und Licht im Schlafzimmer machte, brummte Fireball schlaftrunken: „Ist es schon wieder halb sieben? Süße, kuschle dich wieder zu mir, die Arbeit kann warten.“

Doch April war nicht mehr nach Kuscheln zumute, dafür hatte sie auch keine Zeit mehr. Eilig zog sie sich ihre Sachen an und packte alles ein, was sie inzwischen bei Fireball gehortet hatte. Sie wohnte nicht bei ihm, deswegen hatte sie so gut wie nichts in seinem Haushalt. Nur das Nötigste und das würde unter diesen Umständen auch für Ramrod reichen müssen. April ärgerte sich maßlos über den Zwischenfall. Die Blondine sprang ins Badezimmer um zumindest ihre Zahnbürste und ein paar geborgte Handtücher mitnehmen zu können, als sie Fireball erklärte: „Nein, Fireball. Ich kann nicht. Das Oberkommando wird angegriffen, ich muss los!“

Das war der Moment, in dem in der gesamten Wohnung die Lichter angingen. Zumindest kam es April so vor. Kaum hatte sie den Satz beendet, brannte im Flur Licht und Fireball stand neben ihr. Von schlaftrunken war bei ihm nichts mehr zu sehen, dafür aber das blanke Entsetzen. Der Rennfahrer hatte es kaum geschafft, in seine Trainingshose zu finden, aber meckern konnte er schon: „Warum in Dreiteufels Namen sagst du das nicht gleich?“

Grummelnd zog sich Fireball das nächstbeste T-Shirt über den Kopf, das er vor dem Schlafengehen im Bad ausgezogen hatte. Ebenso eilig wie seine Freundin griff er nach allem, was er auf Ramrod brauchen würde.

Erstaunt und fassungslos hielt April inne. Half er ihr beim Einpacken? Als April allerdings genauer hinsah, erkannte sie, dass es sich um Fireballs persönliche Habe handelte, nicht um ihre. Er würde doch nicht ernsthaft? April legte die drei gemopsten Handtücher zur Seite und griff nach Fireballs Kamm, als er ihn wegnehmen wollte. Sie fragte ihn verständnislos: „Was machst du denn da?“

„Ich komme mit!“, der Rennfahrer rümpfte empört die Nase. Weshalb fragte sie so seltsam? Bis auch ihm wieder einfiel, dass er weder eine Gesundschreibung noch einen Sicherheitsausweis fürs Oberkommando besaß. Fireball erklärte April eilig: „Nee, also alles, was Recht ist, aber ich lass euch doch nicht alleine weg! Nix da, ich helfe euch.“

„Nein, Fireball!“, April fuhr Fireball an. Wie konnte er nur so leichtsinnig sein? Hatte ihm sein letzter leichtsinniger Ausflug nicht gereicht? Die Blondine schob Fireball aus dem Badezimmer, die Zeit drängte. Sie hatte nicht mehr die Zeit, ihm einen guten Grund zu liefern, im Grunde sollte die Ingenieurin schon längst auf Ramrod sein und mit Colt und Saber die bösen Buben verhauen.
 

Colt war kurz nach Saber auf Ramrod eingetroffen. Missmutig und übel gelaunt hatte er seine Tasche in sein Quartier geworfen und war auf die Brücke gestapft. Der Kuhhirte ließ sich in seine Satteleinheit fallen und begrüßte Saber grantig: „Wunderschöne Nacht um Outrider zu verdreschen, findest du nicht, Boss?“

Der Schotte überging diesen Kommentar, er konnte Colt sehr gut verstehen. Dieses Mal hatten sie keine Zeit gehabt, sich auf eine Mission vorzubereiten und sich von ihren Familien zu verabschieden. Seit er auf Ramrod angekommen war, versuchte er an alle wichtigen Informationen zu kommen, was den riesigen Überfall auf das Oberkommando betraf, doch der Rechner spuckte nicht viel aus. Saber gähnte verstohlen: „Hattest du schon deine Koffeindosis, Cowboy?“

Den Wink hätte Colt selbst noch verstanden, wenn er einen kleben gehabt hätte. Sofort stand er wieder auf und verließ den Kontrollraum. Aber zuvor machte er noch einen Abstecher zu Saber hinüber. Er klopfte ihm schief grinsend auf die Schulter: „Ich nehme an, du willst auch Buffalo Barneys Lieblingsgetränk.“

Sabers Lachen sprach Bände. Dieser Einsatz begann schon so seltsam, wie würde er sich wohl weiter entwickeln? Sabers Augen wanderten auf die mittlere Satteleinheit. Die letzten Monate hatten sie sich wieder vehement dagegen gewehrt, einen Bewerber für den Posten des Piloten auszusuchen oder zu testen. Nun fiel den drei Freunden diese Politik auf den Kopf. Sie würden zu dritt starten müssen. Ohne Piloten, ohne Fireball. Sabers Lachen verschwand stetig, bis es nur noch ein wehmütiges Lächeln war.

Die beiden Männer hatten jeweils schon eine Tasse Kaffee in Händen, als April endlich in den Kontrollraum gelaufen kam. Colt drehte sich zu seiner Kollegin um und grinste breit. Wenn er sich von dem schmerzlichen Abschied irgendwie ablenken konnte, dann würde er das auch tun. Es war noch mitten in der Nacht, aber April konnte er auch jetzt schon aufziehen. Er lachte: „Na, du? Konntest du dich nicht von Matchbox loseisen, weil du jetzt erst kommst?“

„Musste sie auch nicht!“, Fireball ließ sich spitzbübisch lächelnd in seine Satteleinheit nieder. Diesen Platz würde er niemals räumen unter keinen Umständen. Sofort begann er, die halb gewarteten Triebwerke und die Steuerkonsolen hochzufahren.

Colt deutete mit dem Zeigefinger auf die Nachbarsatteleinheit. Seine Augen wurden immer größer und er verstand gar nichts mehr. Durcheinander wollte er wissen: „Aber, wenn du hier bist, wer hütet dann unsere Kinder, wenn unsere Frauen keine Zeit haben, Niki Lauda?“

Der Kuhhirte war davon ausgegangen, dass Fireball auf dem Boden bleiben würde. Eigentlich hatte er sogar fest damit gerechnet, denn ansonsten hätte er Robin nicht alleine gelassen. Colt hatte gedacht, dass Fireball eine schützende Hand über seine Familie und auch über Sabers halten würde.

Der Rennfahrer lachte munter auf. Auf dem Weg zum Stützpunkt hatte sie die kühle Nachtluft wach gemacht und auch, wenn er zu wenig geschlafen hatte, kontern konnte Fireball immer. Er stellte die Sensoren der Steuerung neu ein, während er Colt heiter versetzte: „Bin doch nicht euer Kindermädchen! Das einzige, was ich hüte, ist unser Riesenbaby hier und das war’s dann!“

Das erheiterte tatsächlich auch Colt und die anderen beiden. Es war herrlich. Zum ersten Mal seit langem fühlte sich ein Ritt mit Ramrod wieder wie damals an. Das unsichtbare Familienband hatte sich wieder zwischen den vieren gespannt und verwoben. Sie waren Freunde, mehr als das. Sie waren wieder eine Familie.

Als Fireball seinen Boss fragte, wohin es genau gehen sollte, damit er endlich starten könne und das Oberkommando nicht vollends nieder gefackelt wurde, äußerte Saber seine Bedenken. Er hatte weder was davon gehört, dass der Rennfahrer gesund war noch, dass er sich legal an Board befand. Der Schotte konnte sich nicht vorstellen, dass Fireball von Commander Eagle darum gebeten worden war. Er murmelte etwas verunsichert: „Ich glaube, du hütest hier besser gar nichts, Fireball.“, mit einem leichten Lächeln deutete er auf den Piloten. Das Gerede von Familie hatte ihn auf eine Idee gebracht: „Der Rebell ist nicht gesundgeschrieben, soweit ich das im Blick habe und außerdem darf er nicht bei seinen Eltern und dem Mustersohn da drüben auf Arbeit rumtoben.“

Bei diesen Worten deutete Saber auf seine beiden Freunde, damit auch ja keine Missverständnisse aufkommen konnten. Tatsächlich wäre es auch Saber lieber, wenn Fireball wieder von Board ging. Aber nicht, weil sie ihn nicht brauchen konnten, oder weil er für Matt einen Babysitter brauchte, aufgrund der immer noch fehlenden Gesundschreibung dürfte der Japaner nach wie vor nicht hundertprozentig einsatzfähig sein.

Lachend drehte sich April zu ihren Jungs um und erklärte: „Er hat Mami um den Finger gewickelt. Aber unser Kleiner musste mir versprechen, an Board zu bleiben.“

Saber verzog das Gesicht, als er maulte: „Und der Vater wird nicht gefragt? Sehr schön, noch eine von der Sorte und immer bin ich der Gelackmeierte.“

Ohne Mühen hatten Colt, April und Fireball erkannt, dass Saber dabei vor allem seine Frau gemeint hatte. Er hatte zwar leicht gelächelt, aber der Schmerz und die Bitterkeit in der Stimme hatten den Anführer locker verraten. Synthia hatte Saber das Herz gebrochen und sie war gerade dabei, ihm das Leben zur Hölle zu machen. Die drei Freunde konnten es kaum ertragen, Saber darunter leiden zu sehen, aber einmischen war in Beziehungsdingen eine Todsünde. Das hatten nicht zuletzt April und Fireball am eigenen Leib zu spüren bekommen.

Ehe der Schotte noch verbitterter oder gar traurig über Synthias Taten werden konnte, konterte Fireball gespielt gereizt: „Hey, ich bin vielleicht schon erwachsen! Da haben die Eltern ohnehin nichts mehr zu melden.“, etwas ernsthafter fügte er hinzu, als er die Triebwerke startete und Ramrod etwas ruppiger als früher abheben ließ: „Also, ab zu den Sternen.“

Endlich fand auch Saber wieder den nötigen Ernst, den die Lage ohne Zweifel erforderte. Er schnallte sich an, ließ ein weiteres Mal den Computer nach Informationen suchen und musterte Fireball eingehend. Ein kurzer Blick zu April nach hinten. Sie war bei Fireball gewesen, ganz eindeutig. Und beide hatten nicht gerade gut aus den Federn gefunden. Das war angesichts der späten Störung auch nicht weiter ungewöhnlich. Aber Saber konnte ahnen, dass April mit dem Rennfahrer vor ihrer Abreise noch ein ernsthaftes Wörtchen gewechselt hatte. Wenn die Blondine sagte, Fireball hätte sie um den Finger gewickelt, dann war dem Säbelschwinger auch klar, wie er das gemacht hatte. Wahrscheinlich hatte er eine Ewigkeit mit April diskutiert, während sie alles nötige gepackt hatte und dem jungen Piloten immer wieder das Mitkommen verboten hatte. Saber konnte sich die Szene bildlich vorstellen, das war auch der Grund, weshalb der Sturkopf in der Satteleinheit neben ihm nur eine schwarze Trainingshose und ein schlabberiges T-Shirt anhatte. Fireball hatte April erst in letzter Sekunde dazu überreden können, sie begleiten zu dürfen.

Erfuhren die falschen Leute von diesem Einsatz zu viert, würden dieses Mal alle ihren Kopf hinhalten müssen. Bedrückt seufzte Saber. Ob Fireball das auch wusste? Wieder blinzelte er zu seinem Kumpel hinüber und fragte schließlich: „Du weißt, was uns blüht, sollten wir die Mission überleben?“

Überrascht, aber nicht sprachlos richtete sich Colt in seiner Satteleinheit auf. Er überlegte kurz und mit dem nötigen, angeborenen Galgenhumor stellte er fest: „Tot oder tot… Das sind doch mal Aussichten!“

Fireball drosselte die Geschwindigkeit des Kampfschiffes, damit sie nicht zu sehr durchgeschüttelt wurden, wenn sie aus der Atmosphäre des Planeten austraten. Mit schuldbewusstem Blick nickte er: „Mehr oder weniger, ja leider.“, erklärend fügte er hinzu, damit alle wussten, dass sie nicht umsonst Ärger bekommen würden: „Aber ihr werdet mich brauchen.“

April brachte einen weiteren Gedanken mit ein. Sie mussten ja niemandem sagen, dass sie zu viert auf diese Mission gegangen waren. Sie zwinkerte verschwörerisch: „Es muss ja niemand erfahren, dass Matchbox mit geflogen ist.“

Nachdenklich wiegte Saber den Kopf, ehe er Aprils Gedanken verwerfen musste: „Das dürfte uns nur sehr schwer gelingen, nach dem Wirbel, für den wir alle gesorgt haben. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass wir das geheim halten können.“

Der Scharfschütze schwang die Beine unvorsichtig aus der Satteleinheit und lachte frech. Ihm war es ziemlich schnurz, was die Obrigen im Oberkommando veranstalten würden. Ein falscher Ton und Colt ging ohne zu zögern in den Ruhestand, sie sollten sich nur nicht einbilden, sie könnten sie die Welt retten lassen und das Team dann zerfetzen. Er grinste: „Dann lassen wir es umso lauter krachen. Lass uns noch mehr Wirbel machen, Turbofreak!“

Die Angriffslust war keinem entgangen, Colt war schon in seiner Welt. Colt würde alle aufmischen, egal ob Outrider oder Mitglied des Oberkommandos. Der Kuhhirte war unverbesserlich, wie April schmunzelnd bemerkte.

Wie zum Beweis beschleunigte Fireball das Schiff ruckartig. Er holte alles aus den Triebwerken heraus, was sie hergaben, als er unschuldig lächelte: „Aber nicht doch, Colt. Ich verhalte mich ruhig und unauffällig, wie immer.“

Die Beschleunigung von Ramrod drückte die Passagiere in ihre Sitze. Saber hielt sich demonstrativ an den Kanten seiner Satteleinheit fest und bestätigte: „Sehr beruhigend, wirklich.“, er richtete sein Augenmerk noch einmal auf Fireball, bevor er hinzufügte: „…dich an Board zu wissen.“

Der Schotte begann schon kurz nach dem Start, sich die schlimmsten Dinge auszumalen. Er machte sich immense Sorgen, das alles wurde wieder ungemütlich zur Potenz. Der Ausschuss würde zuerst Fireball den Kopf abreißen, dann ihm und Commander Eagle, wenn sie dahinter kamen. Aber schlimmer waren eindeutig die Sorgen, die sich Saber jetzt schon um Fireball machte. Die letzte Mission war eine Gradwanderung der vier gewesen, einer hätte sie beinahe nicht überlebt. Und dieser Jemand saß am Steuer, immer noch mit Platten im Rücken und der selben Unvernunft wie beim letzten Ausflug mit Ramrod. Okay, April hatte Fireball das Versprechen abgerungen, an Board zu bleiben, aber würde sich der Hitzkopf daran halten, wenn es soweit war? Saber hatte die Befürchtung, dass Fireball das mit Sicherheit nicht tat, wenn es die Situation erforderte.

„Und wehe dir, wir müssen dich danach wieder in ein Krankenhaus bringen. Dieses Mal wird sich hier an Anordnungen gehalten und Befehle befolgt. Und goldene Regel für dich ist, an Board zu bleiben, haben wir uns verstanden, Matchbox?“, es war ausgerechnet Colt, der Sabers Gedanken laut und drohend ausgesprochen hatte. Auch der Scharfschütze machte sich Sorgen um Fireball. Diese Mission sollten nach Möglichkeit alle unbeschadet überstehen.

Mit dem unschuldigsten und gleichzeitig durchtriebensten Zwinkern meldete sich der Pilot noch einmal zu Wort: „Hab ich jemals was getan, was ich nicht sollte?“

Die Frage stand offen im Raum, jeder hätte sie beantworten können. Während Fireball von Saber und Colt nur verständnislose Blicke und Grummeln vernahm, quiekte seine Freundin aus ihrer Satteleinheit hinter ihm vergnügt: „Das aufzuzählen würde ewig dauern, Fire.“

„Ich meine ja auch, seit der Ausschusssitzung.“, obwohl der Rennfahrer das Ereignisfeld erheblich eingegrenzt hatte, verschwanden die Blicke nicht.

Aber Colt begann lauthals zu lachen, als April ein weiteres Mal antwortete: „Ach, so einiges, Baby!“

Der Kuhtreiber bekam sich fast nicht mehr ein, was daran lag, dass er das Geplänkel der beiden Jüngsten in den zweideutigen Hals bekommen hatte. Wenn das bei den beiden auch so lief, wenn sie alleine waren, dann gute Nacht. Colt war sich sicher, dass der Rennfahrer mit dem geschienten Rücken auch im Bett nicht immer das tat, was er sollte oder durfte. Dafür war nicht zuletzt das Bild nach Hiromis Beerdigung Beweis genug. Colt kringelte sich vor lauter Lachen, die zwei Frischverliebten hatten die nächsten Wochen keinen Augenblick Ruhe mehr.

Saber hob währenddessen verwundert die Augenbrauen zu Colt. Danach lugte er in seine Tasse Kaffee, die bereits leer war. Was war in dem Kaffeesatz gewesen, was sein Scharfschütze nicht vertragen hatte? Der Schotte entschied sich einfach nur abzuwarten und zu hoffen, dass es ihn nicht auch noch erwischte. Er lenkte die Aufmerksamkeit seiner Freunde wieder auf Wichtigeres: „Meine Daten besagen, dass der dringendste Notruf aus Alamo kommt. Und zwar vom Stützpunkt des Oberkommandos dort.“

April nickte und setzte den richtigen Kurs: „Dann suchen wir mal die Koordinaten raus, damit sich der Azubi auch ja nicht verfliegen kann.“

Colt fiel beinahe aus seiner Satteleinheit, als er das gehört hatte. Er lachte schallend auf und deutete auf Fireball: „Ich wusste doch, dass du total unerfahren bist, wusst ich es doch!“

Fireball war klar, dass Colt nicht seine Flugkünste damit meinte, aber er verkniff sich jeglichen Kommentar. Bestätigung musste er dem Kuhhirten keine geben, dafür genügten die glühenden Ohren, die dank der kurzen Haare einwandfrei zu erkennen waren.

April und Saber wechselten einen Blick. Während Saber leicht lächelte und Colts Kommentar richtig verstand, nahmen auch Aprils Wangen eine zarte Färbung an. Dass Colt auch immer ein Golden Goal schoss mit seinen Behauptungen. Saber amüsierte sich still und heimlich darüber. Es genügte, wenn Colt die nächsten Wochen das breit treten würde und am laufenden Band versuchen würde, es Fireball unter die Nase zu reiben. Der Anführer war froh, dass der Humor wenigstens wieder Einzug auf Ramrod gehalten hatte. Es würde das Zusammenarbeiten wieder immens erleichtern.
 

Alle Einheiten waren ausgerückt um dem Treiben Herr zu werden. Doch auf Alamo hagelte es Schüsse der Outrider, und das Oberkommando hatte nicht genug Personal, um die Jumper aufzuhalten. Wirklich alle, auch die Kadetten aus dem Ausbildungsresort, waren in dieser Nacht auf den Beinen und bis auf die Zähne bewaffnet. Selbst General Whitehawk hatte zu einem Blaster gegriffen. Er war mit einer ausgewählten Mannschaft zum Raumfahrtzentrum aufgebrochen, um dort persönlich für den Schutz der neuen Geheimwaffe des Oberkommandos zu sorgen. Der alte General würde sie mit seinem Leben verteidigen. Aber soweit wollte er es nicht kommen lassen. Seine Gedanken waren bei den Star Sheriffs. Er hoffte, sie würden noch rechtzeitig eintreffen und zur Hilfe kommen. Der Stützpunkt glich mittlerweile einem Himmelfahrtskommando.

„Sieh an, sieh an! Welche Überraschung. Es wundert mich, dass Sie noch unter den Lebenden weilen, General. Bei Ihrem Alter.“, der ehemalige Kadett war soeben mit einem Trupp Outrider eingetreten. Sofort hatte er seinen damaligen Vorgesetzten erkannt. Der alte Indianer, der ihm diese Schmach zugefügt hatte und ihn vor allen Leuten suspendiert hatte. Noch ein Opfer mehr auf seiner Racheliste, die sich stetig füllte, aber auch abgearbeitet wurde. Da war sich Jesse Blue sicher.

Der General wollte Jesse Blue aufhalten, zielte mit seinem Blaster auf ihn, doch sofort stellten sich ihm mehrere Outrider in den Weg. Mit mahnender Stimme forderte Whitehawk seinen ehemaligen Schützling auf: „Warum können wir das nicht in Ruhe regeln, Jesse Blue? Du opferst das Leben deiner damaligen Kollegen und Freunde mit dieser Vorgehensweise.“

Jesse schritt zwischen den Wranglern hindurch, er entwaffnete den General, indem er ihm die Waffe aus der Hand schlug. Danach drehte er den Befehlshaber um und deutete galant auf ein großes Schiff, das noch von Gerüsten umgeben war. Kühl besprach er den weiteren Plan: „Sie werden mir dieses hübsche Schiff aushändigen, General. Ich weiß, dass es fertig ist, Ihre regelmäßigen Berichte an April habe ich alle gelesen, also erzählen Sie mir bloß nichts anderes. Vielleicht verschone ich dann das Leben von Ihnen und den Hilfssheriffs hier.“

Jesse Blues diabolisches Grinsen verriet das Gegenteil. Er hatte nicht vor, die zukünftigen Star Sheriffs davon kommen zu lassen. Der Stern von Team Ramrod war im Sinken begriffen, das hatte Jesse schon bei ihrem letzten Aufeinandertreffen gemerkt, die neue Generation sollte gar nicht erst die Chance erhalten, ihm in die Quere zu kommen. Er würde die Eliteschmiede des Oberkommandos zerstören. Und es bot sich keine bessere Gelegenheit als diese.

Jesse packte den General fest am Oberarm und schritt mit ihm auf das Raumschiff zu. Er forderte Whitehawk auf, ihm Zutritt zu verschaffen und ihm die Bedienung zu erklären. Doch der alte Mann weigerte sich. Er sträubte sich, Jesse Blue die Anleitung zu geben, um sich am gesamten Oberkommando rächen zu können. Stattdessen richtete er sich noch einmal an das Gewissen, das bestimmt auch im Überläufer schlummerte: „Du wirst eine fürchterliche Strafe für dein Verhalten erhalten, Jesse. Nicht von mir, nicht vom Oberkommando, auch nicht von den Star Sheriffs. Aber vom Schicksal. Sieh deine Missetaten ein, besinne dich auf den Grundsatz des Neuen Grenzlandes. Alle haben hier Platz zum Leben, es gehört jedem. Noch ist es nicht zu spät für dich, du kannst noch immer einen anderen Weg einschlagen, Jesse.“

Ungeachtet dieser Worte stieß Jesse seinen alten Vorgesetzten die Rampe hinauf. Er wollte sie nicht hören, es interessierte ihn nicht. Der blauhaarige Outriderkommandant hatte nur ein Ziel vor Augen. Zuerst würde er sich die neue Waffe aneignen und dann würde er sich ein für alle Mal holen, was ihm gehörte. Er würde April besitzen, und wenn er jeden einzelnen in diesem Universum dafür umbringen musste. Sie würde sein werden.
 

„Okay, ich hab zwei Theorien dafür parat.“, Fireball trat als letzter wieder auf die Brücke, allerdings nicht in seinem Kampfanzug, wie Saber, Colt und auch April. Er deutete an sich hinab und hob die Schultern an: „Entweder hat jemand meinen Schutzanzug mitgehen lassen oder aber ich bin hier nicht mehr erwünscht.“

Auch, wenn sie keine Zeit mehr für solche Diskussionen hatten, immerhin waren sie ihrem Ziel Alamo schon sehr nahe und schon von Weitem konnte man den Kampf dort unten toben sehen, so war doch mehr als deutlich, dass diese Lage noch geklärt werden musste.

Saber drehte sich Fireball zu, der sich wieder in seine Satteleinheit setzte, und tippte sich nachdenklich an die Stirn. Wenig ernst ließ er schließlich eine Antwort hervor, die der Wahrheit entsprach: „Wenn du mich so fragst, gehe ich von letzterem aus, das dürfte ziemlich hinkommen, Fireball.“

„Krankenbetthüter!“, Colt stichelte munter drauf los. Er war ziemlich froh darüber, dass Fireballs Schutzanzug nicht an Board von Ramrod war. So war wenigstens sichergestellt, dass der Rennfahrer auf dem Schiff blieb. Er kam gar nicht erst in Versuchung, dort unten mitmischen zu wollen.

Ärgerlich verzog Fireball das Gesicht auf Colts Kommentar hin. Daran wollte er nicht erinnert werden. Da kam gleich wieder das Gefühl in ihm auf, ein Krüppel zu sein. Das Gefühl nicht erwünscht zu sein, war bereits beim Abflug gekommen. Einstimmig wie selten, hatten die drei Freunde ihren Unmut Kund getan. Der Zwiespalt zwischen Vernunft, jemanden an Board zu haben, der nicht hier her gehörte und dem guten Gefühl, den besten Piloten für Ramrod bei sich zu wissen, war Fireball schnell aufgefallen. Trotzdem half ihm das gerade wenig, das Unbehagen, das er empfand, zur Seite zu schieben.

Kleinlaut ließ sich dazu nun auch April vernehmen. Das schlechte Gewissen hörte man ihr meilenweit gegen den Wind an, als sie herumdruckste: „Ich dachte, du würdest nie wieder zurück kommen.“

Tatsächlich war es so, dass April bereits bei ihrem Umbau alles aus Fireballs Besitz von Ramrod verschwinden hatte lassen. Essbesteck, persönliche Gegenstände und natürlich auch den Kampfanzug. Fireball war nicht mehr eingeplant gewesen und nur, weil er sie gutmütig bei ihrer letzten Mission unterstützt hatte, hatte April die gut verstauten Kisten trotzdem nicht mehr hervorgeholt. Nun hatte sie das Gefühl, ihnen könnte das zum Verhängnis werden.

Demonstrativ wandte sich Fireball seiner Aufgabe wieder zu. Er schnallte sich an und bereitete Ramrod auf den Eintritt in die Atmosphäre von Alamo vor. Etwas bissig gab er seinen Freunden zurück: „Das ist natürlich ein Argument.“, er drosselte den Schub ein wenig und versuchte, den großen Vogel stabil eintreten zu lassen: „Dann muss es wohl auch ohne gehen.“

Ihm war klar, dass er nun wirklich an Board bleiben musste. Schon zum zweiten Mal hatten sie ihn zum Boardpersonal degradiert. Bei der letzten Mission schon und nun schon wieder. Langsam kam er sich eingesperrt und zum alten Eisen gelegt vor, aber der Rennfahrer baute darauf, dass er mit Ramrod mehr ausrichten konnte, als er es mit seinem Red Fury hätte können.

Colt richtete sich erschrocken in seiner Satteleinheit auf. Wie musste er das denn verstehen? Irritiert plätscherte er: „Also, dass du leicht lebensmüde angehaucht bist, weiß ich ja inzwischen, aber das ist selbst für dich rekordverdächtig wahnsinnig.“

Während sich Ramrod direkt in den gröbsten Unruheherd senkte und Colt schon mit den ersten Schüssen auf die Outrider beginnen musste, war Fireball noch nicht ganz mit dem Kopf beim Kampfgeschehen. Er runzelte die Stirn: „Wie meinst du das bitteschön?“

Er war viel, aber lebensmüde nicht mehr. Fireball hatte aus seinen Fehlern gelernt, er hing mittlerweile wieder an seinen Lebensgeistern, die so spärlich und widerstrebend nach seinem Rendezvous mit dem Baum wieder gekehrt waren.

Colt zielte mit den Maverickwaffen auf ein größeres Schiff der Outrider, schoss und fuhr sofort darauf ausschweifend mit den Händen in die Höhe. Unschuldig, aber durchtrieben setzte er zu einem Erklärungsversuch an: „Ach, weißt du. Ein heißer Tango mit den Schmutzfüßen da draußen ohne Kampfanzug und einem Rückrat wie Gummi… Naja, sei mir nicht böse, aber recht viel leichtsinniger geht’s selbst auf deiner Richterskala nicht mehr.“

Geschickt wich Fireball einem Schuss der Outrider aus, Ramrod drehte eine behäbige Schleife. Seine drei Freunde mussten höllisch aufpassen, dass ihnen nicht schwindelig wurde, aber der Rennfahrer meinte nicht viel bei diesem waghalsigen Manöver. Er war in seinem Element, war eins mit der Steuerung, und deshalb hatte er auch noch Zeit, sich vor Colt und den anderen zu rechtfertigen: „Dieses Mal kann ich meine Hände in Unschuld waschen. Es ist nicht meine Schuld, dass ich gar keine Sachen mehr an Board von Ramrod habe und mein Rücken ist wieder fit. Ich wart halt nur noch auf das ärztliche Okay. Aber an und für sich ist da hinten wieder alles so, wie es sein sollte.“

Fireball wollte seinen Freunden so die aufkeimenden Sorgen etwas nehmen. Bereits beim Start hatte er gemerkt, dass vor allem Saber auf die Sicherheit bedacht war. Auch Colt und April hatten ein mulmiges Gefühl, sie hatten alle noch im Hinterkopf wie das letzte Zusammentreffen mit den Outridern für Fireball ausgegangen war. Aber, und das war der Fireball angeborene Galgenhumor, es konnte nur besser werden. Er hatte kein Familienmitglied mehr, das ihm einfach wegsterben konnte und er hatte keinen Grund mehr, kampflos aufzugeben.

Saber atmete tief durch. Er stand Fireballs Erklärungsversuch skeptisch gegenüber. Wäre sein Rücken wirklich wieder wie früher, dann hätte er die ärztliche Bescheinigung schon aus Tokio mitgebracht. Aber nada. Weder hatte Dr. Shirota den Hitzkopf gesund geschrieben, noch hatte es einer der Ärzte auf Yuma getan. Ergo war Fireball immer noch geschwächt, und alles andere als wieder bereit für den Dienst eines Star Sheriffs. Aber, auch das war Saber vollkommen klar, dafür war es jetzt zu spät. Und wenn er sich das Getümmel unter Ramrod so ansah, wurde ihm auch bewusst, dass sie mit dem Riesenbaby alleine nicht viel helfen konnten. Der Schotte erhob sich aus seiner Satteleinheit und nickte Colt zu: „Mit Ramrod alleine nimmt das da unten nie ein Ende. Wir müssen uns ins Abenteuer stürzen. Colt?“

Der Kuhhirte sprang erfreut aus seiner Satteleinheit auf und stürmte an Saber vorbei: „Aber immer doch. Denen treten wir vor Ort in den Allerwertesten, treten wir doch.“

Schneller, als Saber damit gerechnet hatte, war Colt auch schon weg und er hatte alle Hände voll damit zu tun, zu seinem Freund aufzuschließen. Da erhob sich auch April. Sie würde ebenfalls mit Nova für Unterstützung sorgen: „Ich komme auch mit, Saber.“

Kurz überlegte Saber, ehe er April zunickte: „Geht klar.“, er ließ April an sich vorbei aus dem Kontrollraum gehen und wandte sich noch einmal Fireball zu. Todernst richtete er einen Zeigefinger auf den Piloten: „Und du, mein Freund, rührst dich keinen Zentimeter vom Fleck.“

„Aber nie nicht!“, Fireball nickte, etwas anderes blieb ihm nicht übrig. Dieses Mal musste er wirklich unter allen Umständen hier bleiben. Alle drei hatten ihm drohend nur diese eine Alternative gelassen, und ohne Ausnahme alle würden ihn lynchen, sollte er da wirklich rausgehen. Fireball öffnete die Rampe und ließ seine drei Freunde mit einem unguten Gefühl ins Freie. Hochkonzentriert hielt er ihnen den Rücken frei, solange er konnte.
 

Sofort verteilten sich die drei in entgegen gesetzte Richtungen. Colt hielt auf eine Gruppe Hyperjumper zu, die sich wie die Schmeißfliegen an einen Trupp Ausbilder mit deren Kadetten geheftet hatten. Geschickt ballerte er die ersten beiden Jumper vom Himmel, bevor die Outrider ihn überhaupt kommen sahen. Als sie ihn endlich bemerkten, war es bereits zu spät für einen weiteren Jumper.

Mit dem üblichen überdrehten Lachen öffnete Colt einen Funkkanal zu den Hilfesuchenden. Er kicherte: „Na, sind euch die Übungsstunden im Fort langweilig geworden?“

Colt hatte sofort einen der Ausbilder wieder erkannt, die er bei seinem letzten Besuch in Alamo getroffen hatte. Er wusste, der Offizier vertrug seine spitzen Kommentare und Sprüche. Nicht umsonst hatte er sich mit ihm stundenlang köstlich amüsiert. Es war nur die Frage, ob der auch angesichts einer solch prekären Situation noch zu Späßen aufgelegt war. Nicht jeder, und das hatte Colt schmerzlich lernen müssen, war in brenzligen Momenten noch zu solch derben Scherzen aufgelegt, wie die vier Star Sheriffs.

Doch Colt hatte Glück. Sein Freund, ein Offizier mit hellen Haaren und ein paar Sommersprossen im Gesicht, hatte Humor und meldete zurück: „Das haben wir schon abgefackelt, danke der Nachfrage. …Danke für eure Hilfe.“

Colt wollte gerade etwas erwidern, als den Broncobuster ein Schuss streifte. Der Cowboy geriet ins Strudeln und fluchte herzhaft: „Ey! Kennst du die Regeln nicht? Die Guten werden nicht beschossen, du elender-.“

Der Farmer aus Leidenschaft wurde kühl von seinem neuen Gesprächspartner unterbrochen. Wie sich herausstellte, war es jemand, den Colt von Früher kannte: „Die Guten werden heute sterben, soviel steht fest, alter Kuhtreiber. Ihr habt bereits verloren, nur wisst ihr es noch nicht.“

Erstaunt, überrascht, fast sogar schockiert riss Colt an der Steuerung seines Broncobusters herum. Das konnte nicht wahr sein. Der Kuhhirte musste erst einmal kräftig schlucken und tief durchatmen, hätte er sofort auf den Funkspruch seines Widersachers geantwortet, hätte dieser seine Überraschung in der Stimme hören können. Und diesen Erfolg gönnte Colt ihm einfach nicht. Als er sich gefangen hatte, nahm Colt das Schiff ins Fadenkreuz, das ihm einen miesen kleinen Streifschuss verpasst hatte, und brummte: „Das ist doch immer die selbe Leier bei euch, ehrlich. Wie wollt ihr uns denn dieses Mal besiegen, Jean-Claude? Habt ihr neue Ideen aufgegabelt, oder habt ihr an irgendwelchen Gasen zu lange geschnüffelt?“

Jean-Claude war an diesem Überfall am Oberkommando also beteiligt. Colt beschlich das untrügerliche Gefühl, dass er nicht der einzige ranghohe Outriderkommandant war und seine Logik steckte ihm, dass sie das Ausbildungslager des Oberkommandos nicht nur zum Spaß angriffen. Aber was war in Alamo, das für Outrider wie für Kavalleristen gleichermaßen wichtig war?
 

Den Schotten ereilte ein ähnliches Schicksal. Er schlug sich wacker mit Steed, enthauptete und zweiteilte mit seinem Säbel einige Outrider, bis ihm die Wrangler auszugehen schienen. Plötzlich hatten alle die Flucht ergriffen. Saber rümpfte die Nase, das konnte schlecht sein. Bis vor wenigen Augenblicken hatten sie erbittert gekämpft, waren den Siedlern und Kavalleristen auf die Pelle gerückt und nun, da sie einen einzigen Star Sheriff erblickten, ergriffen sie die Flucht? Da war was faul an der Geschichte und diese Vermutung bestätigte sich auch schon wenig später. Plötzlich wurde der Himmel über Saber dunkel. Der Schotte hob mit zusammengekniffenen Augen und einer dunklen Vorahnung den Blick. Es war wohl kaum Ramrod, der solch dunkle Schatten über ihn warf.

Tatsächlich war es ein Zerstörer der Outrider, der Saber da im Licht war. Unweigerlich umschloss Saber die Zügel mit seiner linken fester und hinderte Steed daran, unruhig umher zu tänzeln. Auch sein Robotpferd spürte die Bedrohung.

Im nächsten Moment öffnete das Outriderschiff seine Luken und ließ eine ganze Schwadron Wrangler und Jumper frei. Im Nu hatten sie Saber umzingelt. Das würde böse enden. Der Schotte schluckte, ehe er einen Funkspruch absetzte: „Saber an Ramrod. Fireball, wenn du Zeit und Muße findest, greif mir mit Ramrod bitte unter die Arme. Hier wird’s ungemütlich.“

Abschätzend überflog Saber die Massen an Gegnern. Dabei fiel ihm sofort ein Jumper auf, der nach einem Kommandoschiffchen aussah. Kurz darauf erhielt er einen überheblichen Funkspruch: „Ihr habt uns lange genug im Weg gestanden, Gesetzeshüter!“

Der Highlander traute seinen eigenen Sinnen nicht mehr über den Weg. War das wirklich der Outriderkommandant, der ihnen so viele Steine in den Weg gelegt hatte? Der sie so viele ruhige Abende gekostet hatte? Der fieseste aller Outrider höchstpersönlich kümmerte sich um Saber. Gattler.
 

April kämpfte wie eine Löwin, doch der Anzahl der Outrider konnte sie sich nicht erwehren. Immer mehr griffen die furchtlose Reiterin an, viele von ihnen konnte sie mit einem gut gezielten Schuss wieder in die Phantomzone zurückschicken. Sie drängten die Blondine immer weiter von den eigentlichen Angriffen ab, hinaus in die Wüste. Erst viel zu spät bemerkte April, dass sie wie ein verletztes Tier von der Herde getrennt worden war.

Mit ordentlich Angst behaftet funkte nun auch April nach Verstärkung, als ihr übles für ihre Zukunft vorschwebte: „Jungs? Könnt ihr mir helfen? Ich bin ihnen ins Netz gegangen und das wird gleich ziemlich unschön.“

Mit leicht zitternden Händen griff April die Zügel fester und drehte ihr Pferd um die eigene Achse, um die Lage besser einschätzen zu können. Im nächsten Moment erstarrte April zur Salzsäule. Sie war ringsum von Dutzenden Outridern umzingelt, alle hatten ihre Waffen auf sie gerichtet. Doch im Hintergrund konnte sie das Geräusch von Triebwerken ausmachen. War die Unterstützung schneller unterwegs, als sie gedacht hatte?

Voller Hoffnung hob sie die Augen in den rot glühenden Morgenhimmel. Es war ein Schiff der Kavallerie. Würde ihr Fireball aus dieser misslichen Lage helfen? Er war immer ihr sicherer Helfer in der Not gewesen, dieses Mal würde er ihr wieder das Leben retten. Aber es war nicht Ramrod. April gefror das Blut in den Adern. Deshalb hatten die Outrider Alamo so erbittert angegriffen! Sie hatte vergessen, was auf diesem öden Planeten in den letzten Monaten und Jahren gebaut worden war. Doch nun, da es sich so heroisch und stark über ihre Köpfe hinwegsetzte, rief es sich auch wieder in Aprils Gedächtnis. Jede Hilfe kam zu spät. All die Angriffe waren nur das Ablenkungsmanöver für einen großen Coup gewesen. Die Blondine schluckte schwer. Sie konnte sich vorstellen, was das zu bedeuten hatte.

Das große Schiff senkte sich neben April und den Outridern auf den sandigen Boden hinab. Kaum war es gelandet, öffnete sich die Rampe und gab den Blick auf ein bekanntes Gesicht frei. Augenblicklich rissen zwei Wrangler April von ihrem stählernen Pferd und schleiften sie auf die Rampe zu.

„Endlich erfüllen sich meine Träume.“, das diabolische Grinsen würde ihm so schnell nicht mehr vergehen. Jesse Blue war im Besitz des neuen Friedenswächters und endlich war auch April dort, wo sie seiner Meinung nach hin gehörte. An seiner Seite. Unwirsch packte er April am Handgelenk und zog sie in das Schiff hinein. Sie würde ihm helfen, das Ungetüm zu steuern.
 

„Ach, du heilige…! Was wird das denn?!“, Fireball sah sich plötzlich alleine einem riesigen Renegade gegenüberstehen. Außer ihm war niemand an Board und schwer schluckend fielen ihm allerhand Dinge ein, die April ihm die letzten Wochen über die laufenden Reparaturarbeiten von Ramrod geschildert hatte.

Der Renegade zielte direkt auf die Schnauze des Schiffes und feuerte aus allen Rohren. Der junge Pilot zerrte hektisch an den Schubreglern, um Ramrod noch eine Schleife fliegen zu lassen und so den Schüssen ausweichen zu können, aber er war zu langsam gewesen. Ramrod folgte zwar dem vorgegebenen Kurs, aber nicht so, wie Fireball es gerne gehabt hätte. Die Steuerung des Friedenswächters war noch nicht wieder vollständig wiederhergestellt. Die Schüsse trafen Ramrod alle. Dabei ging eines der Triebwerke über den Jordan.

„Okay, Plan B.“, wild entschlossen änderte Fireball die Taktik. Eile war geboten, vor kurzem waren zwei Funksprüche kurz hintereinander bei ihm eingegangen. Als Fireball zu April aufbrechen wollte, hatte sich ihm der platinfarbene Renegade in den Weg gestellt. Ein abgekartetes Spiel, wie es Fireball durch den Kopf schoss. Auch, wenn es riskant war, er musste es zumindest versuchen. Ohne seine drei Freunde leitete Fireball die Challangephase ein und schickte ein Stoßgebet an die Verantwortlichen ihres Schicksals.

Nichts… Fireball riss panisch die Augen auf, das war schlecht. Ramrod transformierte sich nicht einmal mehr. Ein Triebwerk war ihm ausgefallen. Da blieb nur noch der Notfallplan für alle Fälle. Durchalten und zusehen, dass einem nicht die Schwanzfedern ankokelten. Aber das war in diesen Momenten wesentlich leichter gesagt als getan.
 

„Jaja, Fireball, wer rastet, der rostet.“, Jesses Grinsen wurde immer breiter. Er hatte nur Warnschüsse abgegeben, nicht einmal ernsthaft gezielt und trotzdem hatte er Ramrod schon fast besiegt. Der neue Friedenswächter der Kavallerie war Gold wert. Herablassend wandte er sich an April, die er mit Handschellen an eine der Satteleinheiten gefesselt hatte: „Dein Ramrod ist Geschichte. Ebenso wie die kleine Rennsemmel.“, ein kurzer Blick auf Ramrod draußen bestätigte Jesse.

Es würde nicht mehr lange dauern, der große Cowboy fiel bereits jetzt schon halb auseinander. Bis sich Ramrod in eine gute Position für einen gewagten Verteidigungsschuss bringen konnte, würde es noch dauern. Genug Zeit für Jesse. Er erhob sich aus der mittleren Konsole und ging auf April zu. Behutsam kniete er sich neben die Blondine und strich ihr mit den Fingerspitzen über das Gesicht. Langsam drehte er ihr Gesicht auf das Panoramafenster zu, sie sollte sehen, was gleich passierte. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. Er konnte ihre Wärme spüren, dieser Tag würde unvergesslich werden. Jesse hauchte April ins Ohr: „Sieh es dir an, April. Du sollst sehen, wie dein Ramrod von euren eigenen Waffen geschlagen wird. Und bitte vergieß keine Träne, nur weil ich euren Piloten nicht verschonen werde. Sieh hin, wie er durch meine Hand stirbt, April, sieh es dir gut an. Es wird das letzte sein, was du von dem verdammten Japaner jemals sehen wirst.“

April konnte nicht nach draußen sehen. Als Jesse ihren Kopf herumgedreht hatte, hatte sie ihre blauen Augen instinktiv geschlossen. Sie konnte nicht mit ansehen, wie Fireball starb. Jesse Blues Worte taten April weh, verängstigten sie. Es war ihr egal, wenn Ramrod diesen Kampf verlieren sollte, aber niemand durfte sterben. Tränen sammelten sich in ihren geschlossenen Augen. Es durfte nicht vorbei sein. Es hatte doch noch gar nicht richtig zwischen ihnen begonnen! April begann zu zittern, Jesses Nähe war ihr unerträglich. Mit ihren Gedanken war sie bei Fireball an Board.

Jesse strich April die Haare aus dem Nacken. Während er aufstand, machte er April aufmerksam: „Du hättest dich von Anfang an für mich entscheiden sollen, April. Nur ich bin der einzig richtige für dich.“

Er startete die Zielerfassung, lokalisierte die schwächste Stelle Ramrods und feuerte aus allen Rohren. Alles, was der neue Friedenswächter der Kavallerie zu bieten hatte, legte Jesse zusammen. Er kostete diesen Moment in vollen Zügen aus. Es war besser als er es sich ausgemalt hatte. Dieses erhabene Gefühl. Er war seinen ärgsten Widersachern überlegen, in jedem Fall.

In dem Moment, als Jesse Blue den Schuss abfeuerte, hielt April die Luft an und kniff die Augen zu. Heiße Tränen stahlen sich über ihre Wangen. Warum nur trennte Jesse sie nachdem sie erst vor kurzem zueinander gefunden hatten? Das Glück schien ihnen nicht vergönnt zu sein. Leise wimmerte April: „Shinji.“

Schutzengel

So, Ende im Gelände... Das ist das letzte Kapitel von Hinotama.
 

Nach einer schlaflosen Nacht packte sich Laura zusammen und verließ Sabers Wohnung. Mit dabei hatte sie den kleinen Matthew. Er war aufgewacht, nachdem Saber sie verlassen hatte. Als der kleine Mann auch noch gemerkt hatte, dass er alleine mit Laura war, hatte er immer wieder herzzerreißend aufgeweint und „Papa!“ geflüstert. Die Japanerin hatte ihn stundenlang auf dem Arm durch die Wohnung getragen, ihn gewiegt und ihm gut zugesprochen. Sie fragte sich, ob es auch Synthia manchmal so mit ihrem Sohn ging. Immerhin weinte er nicht nach seiner Mama sondern nach dem Papa. Matthew weinte sich die Seele nach seinem Vater aus dem Leib. Die Rechtsanwaltsgehilfin befürchtete, dass dies mit ein Grund für die Trennung von Saber und Synthia war. Ganz sicher waren Synthia nach den ersten Nächten die Ideen ausgegangen, um Matt zu beruhigen. Und mit der Unbeholfenheit und Ratlosigkeit war die Wut auf Saber gekommen. Der kleine Junge würde sich nicht die Nächte mit Weinen um die Ohren schlagen, wäre sein Vater bei ihm. Laura überlegte, ob Synthia diese Probleme auch jetzt noch, nach der Trennung von Saber, mit Matthew hatte. Für die schwarzhaarige Frau war es vorstellbar, immerhin hing der kleine Mann an Saber.

Gedankenverloren spazierte sie mit Matthew auf dem Arm durch die Straßen Richtung Stadtrand. Es war noch früh an diesem Morgen, es waren kaum Autos unterwegs und die Luft roch von der Nacht gereinigt und taufrisch. Der Wind hatte etwas aufgefrischt, aber er brachte angenehmere Temperaturen mit sich.

Ihr Weg führte sie zur Ranch der Familie Wilcox, Laura wollte nach Robin sehen. Sicherlich ging es ihr nicht gut. Ihr Mann war mitten in der Nacht überstürzt aufgebrochen, niemand wusste, was genau los war und die blonde Lehrerin war mit einem kleinen Kind alleine gelassen worden. Laura sah in Robin eine sehr gute Freundin, sie hatte sich auf Anhieb mit ihr verstanden. Auch, wenn sie sich nicht besonders ähnlich waren, so teilten sie doch grundlegende Ansichten. Laura ahnte, dass Colts Frau nun viel Zuspruch brauchen würde und Hilfe. Hilfe, die sie nur von ihr und Fireball bekommen konnte, Synthia würde der blonden Frau wohl kaum noch zur Seite stehen.

Die Asiatin schritt die Einfahrt entlang. Sie sah Robin schon auf dem Treppenabsatz des Hauses sitzen, mit einer Decke um die Schultern geschlungen. Wahrscheinlich hatte sie sich seit Colts Abschied nicht vom Fleck bewegt. Die Blondine sah zerrüttet aus, mitgenommen und völlig erledigt. Laura beschleunigte den Schritt instinktiv. Die Freundin brauchte jemanden zum Anlehnen.

Behände setzte sie sich neben Robin auf die Treppe, nahm Matthew auf den Schoß und strich mit der freien Hand über Robins aschblondes Haar. Sie hauchte: „Sie kommen heil und gesund zurück. Ich weiß es.“

Entgegen ihrer Natur warf sich Robin in Lauras Arme. Sie begann bitterlich zu schluchzen und ihre Tränen wollten nicht versiegen. Zitternd hielt sie sich an Laura fest und biss sich auf die Lippen. Immer wieder schüttelte Robin den Kopf. Sie heulte auf: „Ich will meinen Mann zurück haben. Colt soll wieder nachhause kommen.“

Laura entschied sich dafür, Matt auf den Boden zu setzen und ihn beim Krabbeln zu beobachten. Als sie endlich beide Hände frei hatte, schloss sie Robin in die Arme und versuchte, Colts Frau zu beruhigen. Es war schwer. Sehr schwer. Denn Laura konnte die Gefühle und Wünsche ihrer Freundin verstehen. Auch sie hatte sie alle. Laura wollte Saber gesund und munter wieder bei ihnen wissen, vermisste ihn schmerzlich und machte sich unendliche Sorgen um ihn. Doch Laura durfte diese Gefühle nicht zulassen. Sie durfte sich um Saber maximal solche Sorgen machen, wie um Colt oder April, das war ihr klar. Zumindest vom Kopf her, das Herz vermeldete da ganz andere Töne. Die drei würden ganz sicher zu ihnen zurückkommen. Laura wusste es.
 

Selbst mit dem größtmöglichen Einsatz konnte Saber seine Siegchancen an einer Hand abzählen, wenn er denn eine Hand frei gehabt hätte. Der Schotte hatte alle Hände voll damit zu tun, nicht von einem Geschoss der Outrider getroffen zu werden. Bisher hatte Gattler noch nicht eingegriffen, aber auch so verlangten die unerbittlichen Angriffe dem Highlander alles ab. Langsam begann er daran zu zweifeln, dass die Verstärkung zu ihm kommen würde. Lange schon hatte sich niemand mehr über Funk bei ihm gemeldet und einen kurzen Lagebericht abgegeben. Saber ging davon aus, dass auch die anderen drei hart an der Grenze des Machbaren schrammten. Allmählich zeigten sich auch die ersten Ermüdungserscheinungen bei ihm. Es war anstrengend, die Outrider auf Distanz zu halten, von zurückschlagen und einen Sieg erringen, war noch lange keine Rede.

Wieder musste er einem Jumper ausweichen. Während Saber mit vollem Einsatz durchzog und mit dem Säbel das Schiff samt Piloten aufschlitzte, verlor er den Halt auf Steed. Er war aus dem Sattel gerutscht, hatte den Halt auf den Steigbügeln verloren und drohte vom Pferd zu fallen. Mit der freien Hand schaffte es Saber gerade noch rechtzeitig, die Zügel zu fassen zu kriegen und sich daran festzuhalten. Als der Jumper neben ihm in Flammen aufging, griff auch die zweite Hand nach den Zügeln. Schwer atmend zog sich Saber wieder auf das Pferd. Er bedankte sich mit einem leichten Tätscheln bei Steed, der sich ruhig verhalten hatte und Saber somit eine unsanfte Landung erspart hatte.

Doch der Schotte hatte keine Zeit zum Verschnaufen. Schon kamen zwei neue Hyperjumper auf ihn und sein Ross zugeflogen. Entschlossen, niemals aufzugeben, umfasste Saber sein Schwert so fest er nur konnte. Es war seine einzige Waffe um zu überleben.
 

Colts Broncobuster geriet gehörig ins Trudeln. Immer wieder trafen ihn Streifschüsse der unzähligen Jumper, die ihm in den Canyon gefolgt waren. Er konnte sie ums Verrecken nicht abschütteln. Und dann trübte noch jemand seine Gedanken ein. Colt konnte sich nicht richtig auf seine Arbeit konzentrieren. Jean-Claude schürte mit giftigen Funksprüchen das böse Blut in Colt. Immer wieder versetzte er ihm Spitzen und der Outrider genoss es in vollen Zügen. Er hätte damals schon wissen müssen, wie man Colt aus der Bahn warf, dann hätte er das viel früher schon getan. Aber ihm genügte auch die Rache, die er im Moment bekam. Von seinem sicheren Platz aus beobachtete Jean-Claude, wie sich Colt gegen die Übermacht der Outrider zur Wehr setzte. Erhaben gab er Colt einen Tipp: „Mit Angsthasespielen erreichst du bei uns nichts, Kuhhirte. Gib auf und du hast vielleicht das große Glück, deine Frau und dein liebreizendes kleines Töchterchen noch einmal sehen zu dürfen.“

Colt krallte die Finger um seine Steuerung. Aufgeben?! Er, niemals! Eben weil er seine Frau und seine Kinder wieder sehen wollte, durfte und konnte er nicht aufgeben. Er versuchte die Jumper in Fehler zu locken, damit sie an den Felsen zerschellten, denn die Munition war ihm schon vor einigen Minuten ausgegangen. Doch Colt musste selbst höllisch aufpassen, nicht einen Vorsprung des Canyons zu küssen, die Gedanken an zuhause trübten seine Konzentration. Er wollte zu Robin und Jessica zurück. Der Cowboy wollte seine Kinder aufwachsen sehen und mit Robin gemeinsam alt werden. Und dafür musste er durchhalten. Wieder flog er eine riskante Schleife, hängte die Hyperjumper kurzfristig ab, nur um sie wenig später wieder hinter sich zu lokalisieren. Er hatte so viele feindliche Signale auf seinem Radar, dass er sich langsam fragte, ob er seine Freunde noch ausmachen konnte, wenn sie in seine Nähe kamen. Aber so, wie es im Moment aussah, standen die Chancen mehr als schlecht, die drei noch einmal zu Gesicht zu bekommen.
 

„Geh, und sieh nach, ob er es auch wirklich nicht überlebt hat. Sollte er noch atmen, bring es zu Ende!“, Jesse schloss den Funkkanal zu seinem Verbündeten wieder. Ramrod war vor ihm in Flammen aufgegangen, der alte Friedenswächter lag in Schutt und Asche, so wie es das Ausbildungslager tat. Und hoffentlich war Fireball mit dem großen Cowboy unter gegangen. Da von Ramrod ganz sicher keine Gefahr mehr ausging, ließ Jesse den neuen Friedenswächter wieder transformieren und landete ihn sicher abseits der Kämpfe.

Das große Kampfschiff war geräumig, viel gewaltiger als Ramrod es gewesen war. Und dennoch. Wieder war das Raumschiff für vier Personen konzipiert worden, das bemerkte man bereits beim Eintreten. Im Grunde genommen, so empfand es Jesse, war dieses Schiff nur die größere und auf Hochglanz polierte Ausgabe der Ramrodinfanterie. Er erkannte kaum Unterschiede zu dem zerstörten Schiff, lediglich das größere Platzangebot und die andere Lackierung. Schwarz war out, Platin war die neue Modefarbe im Kavallerie Oberkommando. Als ob Farben etwas an der Stärke der Maschine ändern würden! Wie töricht waren die Kavalleristen eigentlich?

Jesses Grinsen wurde immer herablassender. Wieder kniete er sich zu April hinunter. Sanft strich er ihr die Haare aus dem Gesicht, fuhr die Konturen ihres Antlitzes nach. Sie war schön, viel zu schön, um überhaupt wahr zu sein. Sein sehnlichster Traum war es immer gewesen, April an seiner Seite zu haben. Und jedes Mal aufs Neue war der Traum wie eine Seifenblase zerplatzt. Fireball hatte dazwischen gefunkt, war quasi die Nadel für seine Seifenblase gewesen. Aber nun, endlich, konnte er sich sicher sein, dass der vermaledeite Rennfahrer ins Gras gebissen hatte. Er stand ihm nicht mehr im Weg, nie wieder. April gehörte ihm, ihm alleine. Dieser Gedanke jagte Jesse wohlige Schauer über den Rücken. Er malte sich bereits aus, was er mit April alles machte. Leise, aber mit einem dreckigen Unterton in der Stimme, hauchte er ihr ins Ohr: „Ich habe es genossen dabei zuzusehen, wie Fireball stirbt. Es war den ein oder anderen Blick durchaus wert, liebste April.“
 

Laura und Robin entschlossen sich dazu, im Laufe des Vormittags nach Fireball zu sehen. Der Freund war des nächtens genauso verlassen worden, wie die beiden Frauen. Aber er hatte sich bisher noch nicht gemeldet. Laura wettete darauf, Shinji auf der Dachterrasse sitzen zu finden. Oder aber er tigerte auf der geräumigen Dachterrasse auf und ab und zog ein undefinierbares Gesicht. Sie konnte sich genau vorstellen, welche Gefühle in Fireball gerade hausen mussten, umso weniger verstand sie, weshalb er sie bisher noch nicht angerufen hatte. Er musste vor Sorge beinahe platzen.

Die zierliche Asiatin schloss die Wohnung auf und ließ Robin mit den beiden Kindern eintreten. Es war verdächtig ruhig. Unsicher sah sich Laura um, in der Wohnung war er nicht. Er musste also wirklich auf der Dachterrasse sein Unwesen treiben. Laura wunderte sich, die Küche und das Wohnzimmer sahen aus, als wäre die Wohnung überstürzt verlassen worden, die große Glasfront war völlig verschlossen. Fireball konnte ergo auch nicht auf der Terrasse sein. Aber wo war er dann?

„Der Junge wird doch nicht mitgeflogen sein?“, Robins Frage war mehr eine Feststellung. Sie umschloss die Hand ihrer kleinen Tochter fester und hielt Matthew enger am Körper. Colt hatte ihr versprochen, dass Fireball hier bliebe und den beiden Frauen zur Seite stehen würde. Die Angst der blonden Frau schlug in Wut um. Nun kam sie sich zu allem Überfluss auch noch abgeschoben vor. Kopfschüttelnd und aufgebracht blickte sie zu Laura: „Diese Unvernunft kann ihm nichts und niemand austreiben.“

Auch Laura ertappte sich dabei, wie sie langsam aber sicher stinksauer auf Fireball wurde. Weshalb ging er mit den Star Sheriffs mit? Es gab so viele Gründe, weshalb er hier bleiben hätte sollen. Nicht zuletzt, weil Robin und ihr wesentlich wohler gewesen wäre, wenn zumindest der pensionierte Rennfahrer bei ihnen geblieben wäre. Aber nein, der Herr stürzte sich viel lieber in ein riskantes, waghalsiges und vollkommen unsinniges Abenteuer! Hatte er nichts dazu gelernt? Schnaubend ließ sich Laura auf die rote Couch nieder: „Komm du mir nachhause, Shinji Hikari!“

Ratlos blickten sich die beiden Frauen daraufhin an. Sie wussten nicht recht weiter. Sie waren alleine, hatten niemanden außer sich selbst, der ihnen half. Robin war zudem noch schwanger, vor allem sie hätte einen Mann bei sich gebraucht, um sich sicherer und besser aufgehoben zu fühlen. Der Hormonhaushalt von Robin spielte verrückt, so wie er es bei jeder schwangeren Frau tat, im Minutentakt schwankte ihre Laune aus unerfindlichen Gründen. Aber gerade war sie eindeutig und zu Recht sauer auf ihren gemeinsamen Freund. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als zu warten und zu bangen.

In aller Eile überdachte Laura die wichtigsten Punkte. Das Um und Auf war jetzt, alles irgendwie am Laufen zu halten. Ein kurzer Blick zu Robin und Laura war klar: „Ich bleibe solange bei dir, bis die Chaoten wieder da sind, Robin.“

Jeden Tag würden sie den drei verlassenen Wohnungen von April, Saber und Fireball einen kurzen Besuch abstatten, damit der Briefkasten nicht überquoll und die Blumen nicht verwelkten. Und dann war da noch ein unliebsames Aufgabengebiet, das Laura am liebsten ganz auf Robin übertragen hätte. Matthew. Genau genommen war es die Mutter des kleinen Mannes. Laura musste Matthew an diesem Abend überpünktlichst bei Synthia absetzen, aber alles in der Japanerin sträubte sich. Sie hatte ein ungutes Gefühl. Wie sollte sie ihr nur erklären, weshalb sie Matthew brachte und nicht Saber?
 

Staub. Überall war nichts als Dreck und Staub. Doch da lugte was aus dem Sand. Es war eine Hand. Tomas zog seinen Blaster und trat auf die einsame Hand zu. Sah nicht mehr übertrieben lebendig aus, aber wahrscheinlich war der Rest noch dran. Sollte sich noch etwas bewegen, schoss er einfach noch einmal darauf.

Jesse hatte Recht behalten. Der Rennfahrer war dieses Mal wirklich ins Reich der Toten übergetreten. Und irgendwie breitete sich ein unbefriedigendes Gefühl in Tomas aus. Jesse Blue hatte Fireball umgebracht, nicht er. Tomas hatte seine Rache wieder nicht bekommen. Mit den Schuhspitzen schob er neben der Hand etwas Sand weg, ja, es war definitiv der Körper noch am Arm dran. Ohne sich zu bücken, drehte er mit einem gezielten Ausheber den bewusstlosen Körper auf den Rücken.

„Es ist vorbei, Shinji Hikari, Mechaniker aus Tokio.“, mit versteinerter Miene musterte er den leblosen Polizisten. Endlich war er am Ziel seiner Träume angekommen, aber Tomas empfand keine Genugtuung. Zu gerne hätte er Fireball die Lichter ausgeblasen.
 

„Hoppla!“, Saber verlor sein Schwert im Getümmel. Da blieb nur noch seine Winchester. Hastig versuchte der blonde Recke, sie mit einer Hand aus der Satteltasche zu ziehen, doch es gelang ihm nicht. Außer der Kraft verließ ihn mittlerweile auch die Geschicklichkeit ein wenig. Also musste er Steeds Zügel loslassen und mit der zweiten Hand nachhelfen. Ein gefährliches Unterfangen. Doch ganz ohne Verteidigung würde er es auch nicht schaffen. Saber würde kämpfen, bis zum Umfallen, wenn es sein musste. Er war den Armeen von Gattler alleine nicht gewachsen, aber Hilfe war weit und breit nicht in Sicht. Saber hatte nicht einmal die Zeit gehabt, sich nach dem Getöse umzudrehen, das Ramrod in seine Einzelteile zerlegt hatte. Der Schotte hatte keine Zeit gehabt, sich darum auch noch zu kümmern.

Im nächsten Augenblick hatte Saber unglaubliches Glück gehabt. Weil er seine Waffe nicht so ohne weiteres aus der Halterung bekommen hatte, hatte er sich mit dem Oberkörper auf Steed gelehnt, um besser hantieren zu können. Genau in diesem Moment hatte ein Gleiter abgedrückt. Der Schuss verfehlte Saber um Haaresbreite. Als er hinter ihm im Boden einschlug, drehte Saber den Kopf nach hinten und keuchte: „Jetzt hab ich langsam aber keine Lust mehr auf diese Metzchen!“
 

Der Cowboy flog immer wieder im Zickzack um seine Angreifer in Fehler zu locken. Aber wirklich dezimieren wollten sie sich nicht lassen. Der Kuhhirte schwitzte Blut und Wasser unter seinem Helm, langsam ging ihm sein Allerwertester auf Grundeis und seine Funksprüche Richtung Ramrod verhallten ungehört. Ramrod antwortete nicht, April hatte sich schon selbst mit Problemen abgemeldet, blieb eigentlich nur noch einer, der dem Texaner das Leder retten konnte. Und prompt wechselte Colt die Funkfrequenz, immer darauf bedacht, nicht doch nebenbei ein oder zwei Jumper zu erledigen. Stöhnend fragte er an: „Hey, Oberheld? Hier ist deine bezaubernde Aushilfe! Komm her und hilf mir die Genies wieder in ihre Flaschen zu wünschen.“

Es knackte ein paar Mal unangenehm in der Leitung und Colt kassierte einen unschönen Treffer. Er trudelte auf einen Felsen zu, konnte seinen Bronco aber noch rechtzeitig abfangen. Nun hieß es endgültig raus aus dem Canyon. Hoffentlich meldete sich der Schwertschwinger wenigstens, wenn auf den Rennfahrer schon kein Verlass war.

„Ich hoffe, du willst mir jetzt nicht meine Memos, die auf meinem Schreibtisch liegen, vorlesen, Colt. Dafür hab ich nämlich keine Zeit.“, Sabers Stimme ertönte in Colts Ohren. Noch ehe er etwas antworten konnte, erfragte sich der Anführer Colts Position. Der Schotte schrie: „Ich befinde mich ein bisschen südlich von dir, Kumpel. Schlag den Weg in wärmere Gefilde ein und komm mir entgegen.“

Der Scharfschütze verstand sofort: „Mach ich doch glatt, mach ich das doch! Hör mal, bevor uns ein anderes Schicksal ereilt: Du ziehst nach unten weg und ich nach oben, sonst stehen wir uns im Weg.“

Der Kuhhirte schöpfte neue Hoffnung. Beide, er und Saber, würden eine Meute an Verfolgern hinter sich herziehen. Es war ihre einzige Chance, sich derer zu entledigen, auf Hilfe konnten sie nicht mehr warten. Zumal sie eigentlich die Hilfe für das Oberkommando gewesen wären.
 

„Hkm… Verdammt, war das knapp!“, er hustete und keuchte, als er das Bewusstsein wieder erlangte. Wären ihm doch beinahe alle Lichtlein ausgegangen. Der Japaner wusste nicht, wie er es noch aus Ramrod geschafft hatte, aber die Tatsache, dass er hier im Sand lag und schon ausgebuddelt worden war, empfand er schon mal als sehr positiv. Hustend setzte er sich auf, schüttelte den meisten Staub ab und fuhr sich über die Augen, die voller Sand waren und die er noch nicht richtig aufgebracht hatte. Am liebsten allerdings hätte er sich den Sand gleich wieder Kübelweise in die Augen geschaufelt, als er sein neues Aufgabengebiet zu sehen bekam.

Er blinzelte direkt in den Lauf einer Waffe. Das war nicht die Art von Begrüßung, die Fireball erhofft hatte. Mit zusammengekniffenen Augen lugte er an der Waffe vorbei. Grummelnd ließ er sich schließlich vernehmen: „Du schon wieder! Zwei Mal einbuchten reicht dir wohl nicht.“

„Steh auf und spar dir die Luft, Shinji!“, ungeduldig drückte er Fireball den Lauf gegen die Stirn. Er würde nicht lange fackeln. Tomas bekam seine Chance zur Rache, der zähe Polizist gab ihm noch einmal einen Lichtblick.

Der Rennfahrer war vom Regen in die Traufe geraten. Aber wenigstens war er dieses Mal weich dabei gelandet und noch machte der Rücken keinerlei Probleme. Fireball brauchte einige Augenblicke, bis er die Lage richtig einschätzen konnte. Er und Tomas waren allein auf weiter Flur. Allerdings, und da verwettete Fireball alles, was ihm lieb und teuer war, darauf, war Jesse Blue mit dem glänzenden Etwas nicht weit weg. Schon beim letzten Mal hatten sie ihm gemeinsam aufgelauert, dieses Mal würde es nicht recht viel anders sein.

Kurzerhand streckte Fireball seinem Widersacher die Hand entgegen und lächelte: „Dann hilf mir bitte. Das Aufstehen klappt leider nicht so wie es sollte.“
 

Ewig schien sie schon hier zu stehen, mit einem Kind auf dem Arm. Noch einmal warf sie einen Hilfesuchenden Blick zu ihrer Begleiterin. Das Donnerwetter konnte sich Laura schon lebhaft ausmalen. Sie stellte es sich in etwa so vor, wie Synthias Ausraster auf der Beerdigung vor wenigen Monaten erst, nur gewürzt mit mehr Biss und die verletzenden Worte würden in diesem Fall für sie bestimmt sein.

Endlich öffnete die Ehefrau von Saber die Tür zum ehemals gemeinsamen Haus. Laura war überpünktlich gewesen, aber das war nicht der einzige Grund für Synthias verblüfftes Gesicht. Fragend sah sie an den beiden Frauen mit den Kindern vorbei, aber der blonde Recke war nicht zu entdecken. Deshalb widmete sich die ehemalige Kindergärtnerin wieder dem Babysitter. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und zischte Laura an: „Weshalb bringst du Matthew? Hatte der Herr Papa keine Zeit?“

Laura sank unweigerlich zusammen. Synthia sprach abfällig über Saber, das hätte sie ihr niemals zugetraut. Immer, wenn sie die schwarzhaarige Frau und Saber in Japan getroffen hatte, war Synthia eine ruhige, gut erzogene und hilfsbereite Frau gewesen. Sie hatte Verständnis gehabt, ja sogar für Fireball. Synthia war die einzige gewesen, die verstanden hatte, dass Fireball nicht alles auf einmal verarbeiten konnte. Wo war dieses Verständnis geblieben? Wie kalt war diese Frau in den letzten Monaten nur geworden?

Synthia griff nach Matthew und nahm ihn fest in den Arm. Sie seufzte unterdrückt und sah dann Robin an, da sie von Laura noch immer keine brauchbare Antwort bekommen hatte: „Also, wo ist der edle Recke? Ist er mit Colt und Fireball derart abgestürzt, dass er immer noch nicht wieder nüchtern ist, oder ruft die ach so wichtige Pflicht nach meinem Gatten?“

Robin wollte gerade zu einer Predigt ansetzen. Ihre Jungs stürzten nicht ab und wenn doch, dann auf der Ranch der Familie Wilcox. Robin war kurz davor, laut zu werden, sah ihre ehemalige Freundin nicht, dass sie beide nur aus einem Grund hier waren? Saber konnte Matt nicht bringen, weil er mit ihrem Mann und April und Fireball zusammen das Neue Grenzland retten musste! Es gab höhere Ziele als das familiäre Glück. Gab es keinen Frieden im neuen Grenzland, konnte es auch keine glücklichen Familien geben, war das der Frau von Saber noch nicht bewusst? Robin machte bereits den Mund auf, aber noch ehe sie laut werden hätte können, war sie bereits unterbrochen worden.

Laura hob ihre offene Hand und bedeutete Robin so, nichts zu sagen. Die Situation würde so oder so eskalieren, das lag bereits in der Luft. Aber wenigstens sollte sich Robin nicht noch mehr mit Synthia zerstreiten. Die Freundschaft der beiden Frauen stand ohnehin auf der Kippe. Denn, wie sollte es anders sein, Robin stand voll und ganz hinter Saber, das hieß aber gleichzeitig für sie, dass sie Synthia kein Bisschen verstand. Und das, obwohl sich die beiden Frauen vor noch nicht allzu langer Zeit sehr gut vertragen hatten. Die Asiatin erklärte diplomatisch: „Synthia, bitte hör zu. Die Star Sheriffs sind mitten in der Nacht zu einem Notruf beordert worden. Es geht um sehr viele unschuldige Menschenleben. Er hat mich gebeten, auf euer Kind solange Acht zu geben und Matthew gesund und munter wieder bei seiner Mutter abzugeben.“

Ehrliche, aber diplomatische Worte waren nicht immer der Garant für ein erfolgreiches Gespräch. Entgegen aller Erwartungen hatte Synthia ihrer Nachfolgerin aufmerksam zugehört. Leise und drohend erhob sie die Stimme: „Und er konnte Matt nur zu dir bringen?“

Synthia tat ihre Vermutung auf ihre Weise kund. Saber war nicht mitten in der Nacht plötzlich vor Lauras Tür gestanden, das war nicht seine Art. Da wäre es wahrscheinlicher gewesen, dass ihr treuer Gatte den kleinen Bengel bei Robin abgegeben hätte. Die schwarzhaarige Frau war nicht verwundert darüber, Laura auf Yuma zu sehen. Viele Bekannte und Freunde hatten ihr Gerüchte zugetragen. Fireball wäre wieder nach Yuma gezogen, mit einem zierlichen, hübschen Mädchen im Schlepptau. Zierlich und hübsch mochte Laura ja sein, aber sie hing nicht in Fireballs, sondern in den Netzen ihres Mannes. Synthia war sich sicher, Saber hielt es mit der Treue nicht. Laura war in dieser Nacht bei ihrem Mann gewesen, sonst hätte er Matt nämlich mitten in der Nacht zu ihr zurückgebracht. Der Schotte hätte sie aus ihren Träumen gerissen, ganz sicher.

Robin setzte sich auf die Treppe, neben Synthia und Laura. Die eine stand an der Türschwelle, die andere am Ende des Weges, der zum Haus führte. Die Lehrerin konnte nicht mehr stehen, ihre Beine waren schwer und sie fühlte sich nicht wohl. Etwas war bei dieser Schwangerschaft anders, als bei der letzten. Sie hatte Angst. Angst um ihren Mann und um das ungeborene.

Laura strich sich die Haare hinter die Ohren zurück. Ihre halblangen, glatten Haare wurden immer wieder vom Wind verweht. Sie betrachtete Sabers Frau eingehend. Die Asiatin konnte Synthia nicht anlügen, das durfte sie nicht. Alles andere wäre nicht fair ihr gegenüber gewesen. Mit viel Respekt trat Laura einen Schritt auf Synthia zu. Wahrheitsgemäß antwortete sie: „Nein, das hat er nicht.“, Laura schöpfte neuen Mut, denn Synthia nickte lediglich. Sie fuhr fort und erklärte Sabers Frau, weshalb sie beim Schotten gewesen war: „Saber kommt sehr schwer damit zurecht, dass ihr beide euch getrennt habt, Synthia. Er vermisst Matthew, da hilft es auch nicht, wenn er ihn jedes Wochenende sehen kann. Ihm fehlt seine Familie… Auch du fehlst ihm.“

Synthia schloss seufzend die Augen. Das konnte sie schlicht und einfach nicht glauben. Kopfschüttelnd nahm sie die Tür in die Hand und trat ins Haus: „Das soll ich dir glauben? Der Frau, wegen der mich Saber verlassen hat?“

Robin sprang auf. Sie wollte Synthia eine Predigt halten, das war einfach nicht wahr. Aber nur ein schnaubender Laut verließ Robins Mund. Sie durfte sich nicht einmischen, es ging sie schließlich nichts an. Der Ehezwist war eine Angelegenheit zwischen Synthia und ihrem Mann, weder Laura noch die blonde Lehrerin durften einschreiten. Sie umschloss Lauras Hand fester. Auch, wenn Fireballs ehemalige Freundin eine ruhige und überlegte Frau, aber hier war sie befangen. Niemanden war entgangen, dass sich die junge Asiatin in Saber verguckt hatte. Sie drückte ihre Hand fester, Laura durfte sich auf keinen Streit einlassen.

Die zierliche Asiatin senkte den Blick. Laura tat Synthias Aussage unendlich weh, es verletzte sie. Weil es nicht wahr war. Laura hatte nicht den Platz von Synthia eingenommen, war nicht in ihre Ehe eingedrungen. Die Kindergärtnerin hatte ihren Mann aus dem gemeinsamen Haus geworfen, hatte es ihm übel genommen, dass er seine Arbeit gewissenhaft erledigte. Und nun unterstellte sie Fireballs Jugendfreundin, sie hätte den Zwist in die völlig zerrüttete Ehe gebracht. Laura kniff die Augen zusammen und verzog das Gesicht. Leise, aber zitternd gab sie klein bei: „Saber wird wieder zurückkommen, bestimmt sogar.“

Synthia schnappte nach Luft: „Er soll dort bleiben, wo der Pfeffer wächst. Saber hat in diesem Haus nichts mehr zu suchen.“

Das war zuviel für die zierliche Frau. Ungestüm riss sie sich von Robins Hand los und krallte die Hände in ihren weiten Rock. Mit blitzenden Augen berichtigte sie Synthias Worte: „Weil du ihn rausgeworfen hast, Synthia! Saber würde jeder Zeit wieder zurückkommen. Er lässt niemanden im Stich, das würde er niemals tun.“

Sie verteidigte den blonden Recken auf Gedeih und Verderb. Niemand hatte das Recht, Saber Gleichgültigkeit oder sonst etwas zu unterstellen. Der Schotte war die treueste Seele im ganzen Universum. Es war unklug, wenn nicht sogar töricht von Laura, nun mit seiner Frau einen Streit vom Zaun zu brechen, aber sie hatte in den letzten Monaten soviel gehört und gesehen, sie konnte nicht einfach nur dastehen und zu allem „Ja“ und „Amen“ sagen.

Die Tür zum Riderhaus flog krachend wieder auf und Synthia stand blitzschnell wieder auf dem Absatz der Treppe. Ihre Stichworte waren gefallen, Laura hatte die unterkühlte Kindergärtnerin aufgestachelt. Synthia schluckte. Emotionsgeladen wie selten, verteidigte sie ihre Ansicht: „Er lässt niemanden im Stich? Nein? Was macht er dann mit Matt, mit seiner Familie? Saber lässt sein Kind alleine! Er fliegt lieber mit seinen Freunden durch die Gegend, anstatt bei seiner Familie zu sein und sich um seinen Sohn zu kümmern. Matthew zählt für ihn überhaupt nicht.“

Robin wich einige Schritte zur Seite. Synthia war fuchsteufelswild. Eine Frau, die ihre Familie zu retten versuchte, sah in Robins Augen zwar anders aus, aber sie erkannte im Blindflug, dass Synthia genau das versuchte. Sabers Gattin wollte ihrem Mann eine Lektion erteilen, hatte gehofft, dass er um sie und seinen Sohn kämpfte, aber das hatte er in ihren Augen nicht. Saber hatte ihren unbarmherzigen Test nicht bestanden.

Und Laura trat eine Stufe nach oben. Sie ließ sich von Synthia nicht wie ein dummes Schuldmädchen vorführen. Sie war ohnehin nicht die Größte, aber von oben herab musste sie sich auch nicht behandeln lassen. Sie stemmte die Arme in die Hüften, bedachte Matt mit einem entschuldigenden Blick und beging die Todsünde. Sie setzte sich für Saber ein. Mit fester Stimme brachte sie hervor: „Saber kämpft für ein friedliches und sicheres Zuhause. Er kämpft nicht, weil er ein Held sein will, sondern weil er seinem Sohn eine sichere Zukunft schenken will. Nichts anderes versucht Saber. Warum willst du denn nur nicht sehen, dass dein Mann all das nur für seine Familie tut? Warum tust du ihm das an und untergräbst seine grundehrlichen Prinzipien?“

Wow. Laura hatte wohl zu sehr aus dem Nähkästchen geplaudert, wie sie gleich nach ihrem Statement verwundert feststellte. Synthia sah sie mit großen Augen an. Verschreckt trat sie wieder einen Schritt nach hinten. Was war nur in sie gefahren?

Ihre dunklen Augen ruhten Momente auf Laura. Sie konnte nicht einordnen, was sie gerade empfand. War es Wut über Sabers kaltes Verhalten, Schmerz über die Ignoranz, die ihr Mann an den Tag legte oder Kummer, ihn nicht so gut zu kennen wie Laura? Synthia wurde schlagartig klar, dass sie in Saber niemals all das gesehen hatte, was Laura ihr gerade vorhielt. Woher nahm sich dieses junge Ding das Recht heraus, ihr ihre Absichten zu erläutern? Sabers Frau rang plötzlich mit den Tränen, aber sie wusste nicht, weshalb. Um ihre Überraschung zu überspielen, schlug Synthia eine andere Richtung ein. Halbherzig warf sie der Freundin ihres Mannes vor: „Für seine Familie? Du träumst wohl. Saber ist für alle da. Ja, der große Held hat ein großes Herz und hilft jedem, nur für seinen Sohn ist er nicht da. Saber steht ohne zu zögern jemanden wie Fireball bei, aber nicht seinem Sohn!“

Synthias Argumentation ging nun auf den Grundstein der Schwierigkeiten los. Fireball. Seit der Rennfahrer diesen schrecklichen Unfall gehabt hatte, war Saber immer für ihn da gewesen. Ganz gleich, ob der Japaner um Hilfe gebeten hatte oder nicht. Saber hatte alles für seinen Freund aufs Spiel gesetzt, war ohne zu überlegen zur Beerdigung von seiner Mutter gefahren, anstatt zuhause zu bleiben und zu versuchen, seine Ehe wieder in Ordnung zu bringen. Hätte Saber doch nur ein einziges Mal gesagt, dass die Familie das Wichtigste für ihn war, hätte er ihr doch nur ein Mal gezeigt, dass er Matt und sie nicht mutterseelenalleine lassen wollte, sie hätte ihn sofort zurückgenommen. Doch von Saber waren keine derartigen Aktionen gekommen. Er war stur seiner Pflicht im Oberkommando nachgekommen, hatte mit einer Freude wieder auf Ramrod gedient. Die Familie existierte für Saber nicht. Ihre Enttäuschung überwog in diesem Moment. Egal, was noch gesagt oder getan wurde, es war zu spät. Für die Rettung ihrer Ehe war es zu spät, der Zug war schon lange abgefahren. Noch einmal richtete Synthia ihren Blick auf Laura. Saber hatte sich schon getröstet. Mit einer Frau, die ihr augenscheinlich einiges voraus hatte. Synthia schluckte schwer. Es war Zeit den Mann loszulassen.

Laura begehrte unterdessen auf. Niemand durfte in einem Satz gleich zwei ihrer Freunde anfeinden. Die beiden Männer waren die wichtigsten Menschen in ihrem Leben, niemand durfte es sich anmaßen, so über sie zu urteilen. Die Japanerin schnappte: „Das glaub ich ja wohl nicht! Hätte Saber deiner Meinung nach seinem besten Freund nicht beistehen dürfen? Fireball hat Sabers Hilfe dringend gebraucht, das weißt du.“

„Fireball ist alt genug um sein Leben endlich selbst in den Griff zu bekommen. Matthew nicht! Sein Sohn braucht jetzt einen Vater und nicht in zehn Jahren. Jetzt muss er für Matt da sein und nicht erst, wenn er aus dem Gröbsten raus ist. Verstehst du?“, Synthia standen die Tränen in den Augen, als sie ins Haus stürmte und die Tür hinter sich zuschlug.
 

„Ich sehe ein Licht am Ende des Tunnels!“, Colt jubelte in den Funkverkehr, als er eine Wolke von Outridern vor sich ausmachen konnte. Denn vorne weg flog ein schwarzes Robotpferd mit einem schwarz gekleideten Reiter. Glucksend und vollter Hoffnung schob Colt seinen Steuerknüppel nach vor um seinen Broncobuster noch ein bisschen mehr zu beschleunigen.

„Pass auf, dass aus dem Tunnel keine Sackgasse wird, Kumpel!“, auch Saber konnte Colt mit einer Unzahl von Verfolgern ausmachen. Hoffentlich brachten sie ihr kleines Kunststück gut über die Bühne.
 

Jesse musterte den Komplizen, der seine wertvolle Fracht vor sich hertrieb. Der Kerl stand ja noch! Und das auf seinen eigenen zwei Beinen! Grimmig verzog Jesse das Gesicht zu einer Fratze. Er hatte eigentlich mit Fireball Puzzle spielen wollen, aber wieder einmal machte ihm der Rennfahrer einen Strich durch die Rechnung. Aber na gut, er kannte noch eine Vielzahl grausamer Foltermethoden und –spielchen. Er lächelte Tomas und Fireball entgegen: „Wird man dich nie los? Du bist ja schlimmer als eine Katze, die nippelt nach neun vergeudeten Leben wenigstens ab und du willst uns immer noch nicht verlassen.“

Fireball spürte die Mündung der Waffe ganz deutlich in seinem Nacken. Das Metall war kalt, aber im Vergleich zu Jesse Blues Lachen noch richtig warm. Kurz überflogen Fireballs Augen den Raum. Schon an der Rampe unten hatte der Japaner das Gefühl gehabt, auf Ramrod zu stehen, der Kontrollraum bestätigte ihm sein Gefühl abermals. Das Schiff war größer und offensichtlich auch neuer als der schwarze Ramrod. Gehörte das Kampfschiff am Ende zum Oberkommando? Es besaß eine große Glasfront, drei Satteleinheiten vorne und eine hinter der mittleren hinten, die mit dem Rücken zur Glasfront stand. Ja, das konnte Ramrod in Neu sein.

Fireball seufzte und machte eine ausschweifende Handbewegung: „Mach dir nichts vor, Jesse. Du brauchst mich. Ohne Erzfeind fehlt dir jegliche Lebensaufgabe und du hättest keinen Grund mehr weiterzuleben.“, ein kleines Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Bis seine dunklen Augen April wahrnahmen. Seine Miene verdunkelte sich und die Augen gaben einen Vorgeschmack auf seine Worte.

Jesse fiel sofort auf, wo Fireballs Augen hängen geblieben waren. Es war ein erhebendes Gefühl. Er hatte etwas, was der Rennfahrer um jeden Preis haben wollte, es aber niemals besitzen würde. Selbstgefällig ging er neben April auf die Knie, drehte sich wirsch ihr Gesicht herum und gab der Blondine einen aufdringlichen Kuss. Egal, wie sehr diese sich ekelte und wegdrehte, sein beinharter Griff gab sie nicht frei. Überheblich lachend versetzte er Fireball einen verbalen Tiefschlag erster Güte: „Sieh her, Rennsemmel. So holt man sich, was man haben will. Es ist ganz einfach. Du musst sie nur von deinen Vorzügen überzeugen.“, er machte eine kurze Pause, in der er Fireball, der inzwischen von Tomas zurückgehalten wurde, abschätzend musterte. Abfällig korrigierte sich der Blauhaarige selbst: „Ach nein, warte! Du hast keine Vorzüge, wovon solltest du sie überzeugen können? Du erbärmlicher Krüppel, zu nichts zu gebrauchen. Und trotzdem willst du nicht sterben. Das werden wir ändern.“

Jesse befahl Tomas, Fireball endlich zu fesseln und ihn irgendwo anzuketten. Er kannte den pensionierten Rennfahrer nur zu gut. Fireball mochte zwar verkrüppelt sein und erheblich schwächer als vor ein paar Jahren, aber die Wut und Rage verliehen dem schmächtigen Jungen ungeahnte Kräfte. Wenn Tomas nicht aufpasste, würde der kleine Japaner jeden unachtsamen Moment sofort zur Flucht nutzen.
 

Saber flog im Zickzackkurs auf Colt zu. Immer wieder musste er Laserschüssen seiner Verfolger ausweichen. Zusätzlich kamen nun auch noch Schüsse direkt auf ihn zu. Und zwar jene, die für Colt bestimmt waren, den Scharfschützen jedoch verfehlt hatten. Der Schotte freute sich zwar, dass Colt die Schüsse nicht getroffen hatten, aber er verfluchte es, weil er seine Aufmerksamkeit nun auch nach vorne richten musste. Saber atmete schwer aus, er war bereits ausgezehrt. Aber das Wort aufgeben kam in seinem Wortschatz genauso wenig vor, wie in dem seiner Freunde. Er würde kämpfen, solange, bis er von seinem Ross fiel und leblos im Sand liegen blieb.

Seine Gedanken rotierten. Zum ersten Mal, nun, da Aussicht auf ein schnelles Ende bestand, dachte Saber an die anderen beiden. Wo war April und was war mit Ramrod passiert? Ihr Friedenswächter war nicht mehr hier. War Fireball in ein Gefecht außerhalb verwickelt worden, weil er in der Umgebung nicht mehr auszumachen war? Sorgen griffen in Saber wie Buschfeuer um sich. April hatte sich schon lange nicht mehr über Funk bei ihnen gemeldet. Auch von ihr war nichts mehr zu sehen gewesen. Hoffentlich war der liebgewonnen Kameradin nichts zugestoßen.

„Au, verdammt!“, irritiert griff sich Saber an die rechte Schulter. Er war unachtsam gewesen. Der brennende Schmerz durchfuhr ihn wie ein Blitz. Ein Laser hatte ihn gestreift! Saber ließ vor Schmerz die Zügel von Steed los, er konnte sie mit der rechten nicht mehr halten. Es war nur ein Streifschuss, aber der war schmerzhaft genug. Keuchend funkte Saber: „Colt? Hast du die Güte noch einen Zahn zuzulegen? Mir geht langsam die Puste aus.“

„Aber selbstverfreilich! Und nicht vergessen: Gut festhalten und nach unten wegtauchen, Boss.“, Colt gab seinem Bronco die Sporen. Er hatte sehen können, was passiert war. Nun war es wirklich an der Zeit, dem Ganzen ein Ende zu bereiten, bevor einer der Star Sheriffs noch ernsthaften Schaden erlitt.
 

Tomas zog an der linken Hand des Rennfahrers und wollte ihn an die Satteleinheit fesseln. Nachdem die Gegenwehr vor wenigen Minuten völlig ausgeblieben war und Fireball Hilfe beim Aufstehen gebraucht hatte, war Tomas unvorsichtig. Fireball war auf dem Weg hierher öfter ins Wanken geraten, Tomas glaubte fest daran, dass der Rennfahrer dieses Mal keine Gefahr darstellte. Doch er hatte sich getäuscht.

Ruckartig drehte sich Fireball herum, schlug Tomas die geballte Faust direkt auf die Nasenwurzel und hebelte ihn von den Füßen. Der Rennfahrer riss sich los und hechtete auf Jesse Blue und April zu. Dafür würde der Verräter bezahlen müssen. Er konnte mit April nicht einfach machen, was er wollte!

April hatte aus den Augenwinkeln beobachtet, was geschehen war. Sie war die ganze Zeit über leise gewesen, hatte sich nicht zu irgendwelchen Kommentaren hinreißen lassen. Bis Fireball in Begleitung von Tomas eingetreten war, hatte die Blondine noch mit ihrem Schiksal gehadert. Sie hatte wirklich gedacht, den Japaner für immer verloren zu haben. Nun aber hatte sie neuen Mut gefasst. Der Kampf war ausgeglichen, es standen sich jeweils zwei Kontrahenten gegenüber. April würde sich von ein paar Fesseln nicht aufhalten lassen. Sie würde Fireball einen kleinen Vorteil verschaffen. Mit einem gezielten Tritt.

„Du kleine Wildkatze!“, Jesse sank auf den Knien zusammen. Aprils Absatz hatte die empfindlichste Stelle getroffen. Auch der Überläufer war nur ein Mann, wie April lächelnd feststellte.

Fireball riss Jesse von hinten auf den Boden und verpasste ihm eine Gerade. Die Wut und Angst hatten in ihm unbändige Kräfte hervorgerufen. Er würde es bereuen, ganz sicher, weil er diese Anstrengung nicht gewöhnt war, aber es war allemal besser, als dabei zusehen zu müssen, wie Jesse Blue seiner Freundin Schmerzen zufügte. Der Japaner beugte sich über Jesse Blue und drückte diesen mit aller Kraft rücklings auf den Boden.

Jesse fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Er schmeckte Blut. Der verdammte kleine Rennfahrer hatte ihm die Lippe aufgeschlagen. Das schrie nach Rache. Es war dem Überläufer vollkommen egal, wo sich Fireball in dem Moment befand, der vermaledeite Aushilfspilot hätte auch auf ihm liegen können, er verschaffte sich den Platz, den er brauchte. Mit zwei gezielten, wuchtigen Schlägen gegen die Brust des Rennfahrers trieb er Fireball von sich. Jesse war dabei sofort aufgefallen, was Tomas sträflich vernachlässigt hatte. Der Krüppel war nicht mehr ganz so schwach, wie noch vor wenigen Monaten. Dieses Stehaufmännchen hatte sich wieder aufgerappelt, dabei war Fireball bei ihrem letzten Aufeinandertreffen dem Tod noch wesentlich näher gewesen, als dem Leben. Das Funkeln in den Augen verriet Jesse eindeutig, dass Fireball neuen Lebensmut hatte. Aber egal. Nachdem sein Komplize vom Boden nicht mehr hochkam und verzweifelt nach Luft rang, musste er es selbst in die Hand nehmen. Fireball mochte zwar den ersten Treffer gelandet haben, aber er würde ihn umbringen. Der Japaner hatte keine Chance.

Fireball kam auf seinem Hintern zum Sitzen, nachdem Jesse ihm auf die Brust geschlagen hatte. Der Treffer hatte gesessen. Das gab aus der Distanz wieder ein nettes Andenken von Jesse Blue. Fireball rieb sich kurz die getroffene Stelle, ehe er sich mit beiden Händen auf dem Boden abstützte und wieder aufstand. Er verfluchte in dem Moment seine enorme Steifheit in den Gliedern, die er nach wie vor hatte, vor allem im Rücken, aber es würde ihn nicht daran hindern, Jesse Blue eins vor den Latz zu knallen. Sie hatten mehr als nur eine Rechnung offen. Immer wieder waren Jesse Blue und er im Laufe der Jahre aneinandergeraten, der Krieg zwischen den beiden war persönlich geworden.

Nachdem der Verräter gemerkt hatte, dass April ihn aus nur einem Grund hatte abblitzen lassen, war Fireball sein erklärtes Lieblingsziel geworden. Seine Nachforschungen hatten die Wut nur noch mehr geschürt. Fireball, dieser vom Glück verwöhnte Nichtsnutz, hatte ihm seinen Platz im Oberkommando streitig gemacht, hatte ihm das Mädchen weggenommen, das er geliebt hatte. Egal, was die Rennsemmel auch anfasste, es verwandelte sich in Gold und er, der immer hart für alles gearbeitet hatte, war leer ausgegangen. Nicht zuletzt deswegen hasste Jesse Blue den Rennfahrer. Ein schmutziges Lächeln umspielte seine Lippen, als er Fireball verbal angriff. Er hatte ihr letztes Zusammentreffen nicht vergessen: „Ist sie es überhaupt wert, Fireball? Sie liebt dich nicht, das wird sie niemals. Was sollte sie auch mit einem wie dir? Ist sie es trotzdem wert, dass du für sie in den Tod gehst?“

Der Blauhaarige hatte inzwischen sicheren Stand, er wartete nur auf eine unüberlegte Reaktion von Fireball. Jesse spekulierte auf den Hitzkopf, auf den normalerweise immer Verlass war. Man brauchte Fireball nur richtig zu reizen, dann würde er etwas Unüberlegtes tun und darauf verließ sich Jesse. Sein herablassendes, kaltes Lächeln wurde immer größer. Seine Augen betrachteten den Erzrivalen eingehend. Wirklich erbärmlich. Fireball war ein Schatten seiner selbst geworden, wie Jesse amüsiert feststellte. Egal, ob der Rennfahrer stärker geworden war als noch bei ihrem letzten Aufeinandertreffen, er war ihm nicht gewachsen. Der schmächtige, kleine Rennfahrer. Wie sollte Jesse ihn bloß ernst nehmen? Stand der Japaner doch in einer schwarzen Trainingshose und einem schlabbrigen, viel zu weitem T-Shirt vor ihm. Eine erbärmliche Gestalt. Ein belustigendes Zucken umspielte Jesses Mundwinkel.

Doch Fireball war reifer geworden. Er war nicht mehr der hitzköpfige Pilot von einst. Fireball war erwachsen geworden, hatte dazugelernt. Die Schule des Lebens war hart genug für den ehemaligen Piloten gewesen, und nun trug sie Früchte. Er würde sich bestimmt nicht noch einmal das Kreuz von Jesse Blue brechen lassen. Fireball brachte sich in eine standfeste Position und hob beide Arme auf Brusthöhe an. Während er den linken Arm abwinkelte, streckte er den rechten aus und machte mit der Hand eine auf sich winkende Bewegung. Er forderte Jesse Blue auf: „Worauf wartest du noch, Jesse? Wenn du dich beeilst, hast du vielleicht noch eine Chance, mich endlich umzubringen und aus dem Weg zu schaffen.“

Doch Jesse Blue formte lediglich ein noch herablassenderes Lächeln. Er schritt auf Fireball zu, großkotzig wie eh und je: „Und das soll mich beeindrucken? Komm schon, Milchreisbubi, mit Yogaübungen kannst du mich maximal einschläfern, aber nicht besiegen.“
 

April warf immer wieder ein Auge auf die beiden Streithähne und auf Tomas. Der schien sich langsam wieder zu fangen und darauf wartete Jesse. Der Überläufer würde Fireball nicht anfassen, bis nicht endlich Tomas hinter ihm stand und ihn unterstützen würde. Jesse machte sich die Hände nicht schmutzig. Das hatte er niemals getan.

Inzwischen war die Blondine ganz froh, dass ihr keine Aufmerksamkeit zuteil wurde. Der neue Friedenswächter war noch nicht fertiggestellt. Das sollte Aprils Rettung werden. Die Satteleinheiten hatten allesamt noch scharfe Kanten, sie hätten erst abgeschliffen werden sollen, nachdem die Technik einwandfrei funktionierte. April begrüßte diesen Wink des Schicksals. Sie war nur mit einem Seil angebunden worden, nicht in Ketten gelegt. April war aufgestanden und rieb ihre Fesseln mit so viel Zugkraft wie nur möglich an der Kante. Mit Wohlwollen beobachtete sie den Fortschritt, die Kante war so scharf, dass sie das Seil förmlich durchschnitten. Ruhig sah sich April immer wieder um, sie versuchte die Lage richtig einzuschätzen. Als Tomas zu Boden gegangen war, hatte er seinen Blaster fallen lassen. Der war nicht allzu weit weg von Lauras kriminellem Bruder, aber der achtete nicht darauf. Sobald sie frei war, würde sie Fireball helfen. Gemeinsam würden sie den beiden Bösewichten Herr werden, ganz sicher. Und dann mussten sie dringend Colt und Saber suchen.
 

Jesse blickte über Fireballs Schulter hinweg. Tomas stand bereits wieder. So bedächtig er voher auf Fireball zugegangen war, so blitzschnell reagierte er nun auf die nahende Verstärkung. Es würde Jesse das größte Vergnügen sein, Fireball umzunieten. Wie eine Dampfwalze warf er sich auf Fireball und brachte diesen somit zu Fall. Nun lag Jesse über Fireball und der kleine Rennfahrer würde sich nicht mehr wehren können. Hoffentlich hatte ihm die Wucht des Aufpralls etwas gebrochen. Jesse griff sofort nach der Kehle des Rennfahrers. Fehlte ihm die Luft, brauchte er keine Gegenwehr mehr zu erwarten.

Fireball hatte Glück im Unglück. Obwohl Jesse ihn mit voller Wucht umgestoßen hatte und ihn zu allem Überfluss noch auf den Rücken befördert hatte, war er glimpflich davongekommen. Durch den breiten Stand, den er sich vorhin noch vorsichtshalber verschafft hatte, hatte sich Fireball nach hinten abrollen können. Die Kraft des Aufpralls war dadurch wesentlich schwächer geworden. Aber Jesse war schwer und als der nach seiner Kehle griff, hörte für Fireball der Spaß auf. Mit aller Kraft schob er seine Arme zwischen die von Jesse und drückte sie weg. Jesses Hände verfehlten ihr Ziel kläglich, beide rammten in den Boden neben Fireballs Hals. So nahe wollte Fireball seinem Kontrahenten nicht kommen. Jesse beugte sich über ihn und zwar so dicht, dass er Jesses aufgeheizten Atem im Gesicht spüren konnte. Fireball nahm alle Kraft zusammen, die er aufbringen konnte und drückte Jesse die flache rechte Hand ins Gesicht. Er drückte ihn so weit wie möglich von sich weg. Jesses Kopf musste dieser Bewegung zwangsläufig folgen, ebenso wie der Oberkörper des Überläufers. Fireball keuchte: „Runter von mir, das find ich nicht erotisch!“

Jesse hatte sich dagegenstemmen wollen, doch die Hand war wider Erwarten stärker als sein Nacken gewesen. Widerwillig richtete sich Jesse Blue auf, nur um im nächsten Moment Fireballs Hand von seinem Gesicht zu schlagen. Immer noch lag der Japaner unter ihm, und da würde er auch bleiben, wenn es nach Jesse ging. Er drückte Fireball beide Knie so fest wie möglich in die Seiten, das würde dem Krüppel nicht schmecken. Fireball war schwächer als Jesse, um vieles, auch, wenn er sein kleiner Konter gerade gelungen war. Das war Fireballs letztes Aufbäumen, wie Jesse versprach: „Sag ‚Auf Wiedersehen’ zu dieser Welt, Rennsemmel!“

Der Blauhaarige drückte die Knie so fest wie möglich in die Seiten, er konnte den Widerstand der Rippen deutlich spüren. Fireballs Gesichtsausdruck dazu bestätigte seine Theorie. Das tat höllisch weh. Wieder beugte er sich über seinen Widersacher und drückte ihm mit der rechten Hand den Kiefer zusammen.

„Das rate ich dir nicht, Jesse!“, April drückte ihm die Mündung des Blaster an die Schläfen. Noch im richtigen Moment war sie an den Blaster gekommen, hatte Tomas damit noch einmal schön auf die ohnehin schon stark ledierte Nasenwurzel geschlagen und den somit für die nächsten paar Minuten außer Gefecht gesetzt. April war eine sensible Frau und hatte oft Bedenken, körperliche Gewalt anzuwenden, doch wenn es drauf ankam, konnte die zierliche Blondine schon zulangen. In diesem Fall ging es um den Mann, mit dem April noch viele Abende verbringen wollte und das war es allemal wert, den Blauhaarigen mit einer Waffe zu bedrohen.

Bedächtig, weil ihm gerade nichts anderes übrig blieb, lockerte Jesse seine Umklammerung und stand auf. Sein durchtriebendes Lächeln jedoch verriet, dass er sich nicht geschlagen geben würde. Die blonde Frau vor ihm konnte ohnehin nicht abdrücken, das wusste er noch. Er hob bereitwillig die Hände und gestand: „Ich bin beeindruckt, liebste April. Du musst Fireball das Leben retten, sollte es nicht eigentlich umgekehrt sein? Verkehrte Welt ist das bei euch beiden.“

Von unten schnaubte Fireball verächtlich. Großartig! Genau das hatte er für seinen perfekten Tag noch gebraucht. Ein Kommentar von Jesse Blue, der sich ganz klar äußerte. Fireball hatte sehrwohl verstanden, dass Jesse, wenn er denn von einer Beziehung zwischen April und dem Rennfahrer ausging, die Meinung vertrat, April hätte die Hosen an.

Der Frieden hielt an Board des neuen Friedenswächters allerdings nicht lange an. Jesse würde niemals aufgeben. Ungeachtet der Waffe, die ihm an den Kopf gehalten wurde, holte er noch einmal zu einem kräftigen Tritt aus. Fireball lag noch immer unter ihm und Jesse Blue hatte ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Die Schwachstelle des Japaners war mehr als offensichtlich. Die Kraft fehlte dem ehemaligen Rennfahrer aufgrund seines mehrfach operierten Rückens. Und wenn es nach Jesse ging, konnte er sich gleich einen neuen Termin für die nächste Operation geben lassen. So fest er nur konnte, trat Jesse zu, April konnte von ihrer Warte aus nicht mehr einschreiten.

Blitzschnell schossen Fireballs Hände auf den herannahenden Fuß zu und umklammerten ihn. Noch während er den Fuß zu fassen bekam, drehte er seinen Körper von der Gefahr weg. Ohne richtig zu überlegen, übernahmen Fireballs Reflexe alles weitere. Vom Wegdrehen hatte Fireball genug Schwung mitnehmen können, seine Hände hielten den Fuß seines Angreifers fest umschlossen und drehten ihn nach außen weg. Fireball verdrehte Jesse den Knöchel auf schmerzhafte Weise und brachte seinen Rivalen zu Fall. Während Jesse mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Hosenboden saß und nach seinem verletzten Knöchel griff, raffte sich Fireball auf und trat mit einem fiesen Lächeln auf das dazugehörige Schienbein. Er grinste Jesse an: „Na, tut’s gut?“

Schmerzerfüllt verzog Jesse das Gesicht. Ein Laut würde seine Lippen nicht verlassen, diese Genugtuung würde er dem verhinderten Star Sheriff niemals geben. Jesse verfluchte sich für den Fehler, Fireball unterschätzt zu haben. Der Rücken mochte kaputt sein, aber seine Reaktionen, die ihn für den Job als Piloten damals empfohlen hatten, waren noch da gewesen.
 

Fireball drehte sich zu April. Er nahm ihr den Blaster ab, sie fühlte sich mit einer Waffe in der Hand niemals wohl und umarmte sie kurz. Ein gehauchtes „Danke“ verließ seine Lippen, ehe er sich Jesse wieder zuwandte und ihn hochzerrte.

April drehte sich weg und ging auf Tomas zu. Der saß auf dem Boden neben der hinteren Satteleinheit und versuchte vergebens, die Blutung zu stoppen, die die zertrümmerte Nasenwurzel verursachte. Er hatte nicht nur sich eingesaut, sondern auch den Boden rings um sich. Obwohl auch April den neuen Friedenswächter bisher nur von Berichten und einigen Fotos gesehen hatte, fand sie sich hier schon zurecht. Fireballs Gefühl hatte ihn nicht getäuscht, es war ein neuer Ramrod, alles befand sich noch an Ort und Stelle von der Lage her, allerdings eine oder zwei Nummern größer. Auch der Verwahrungsraum war dort, wo er auf Ramrod gewesen war.

Jesse kam nicht daran vorbei, Fireball noch einmal einen Seitenhieb zu verpassen, als dieser ihn in die Zelle zu Tomas stieß. Er knurrte den Rennfahrer an: „Wir beide tragen das noch einmal fair aus. Irgendwann. Ohne deine Beschützerin, Reiskocher.“
 

Colt zog den Steuerknüppel mit aller Gewalt zu sich, damit er so steil wie nur irgendwie möglich aufstieg und schloss die Augen. Das letzte, was er gesehen hatte, war der Recke gewesen, direkt vor seiner Nase. Dann hatte er mit aller Macht nach oben hin weggezogen, im sprichwörtlich letzten Augenblick. Nun vernahm er lautes Krachen und Explosionen unter sich. Er hatte es geschafft, er war in Sicherheit. Aber was war mit Saber? Hatte er rechtzeitig nach unten weggezogen? Mit zitternder Stimme funkte Colt nach seinem Boss und Kameraden: „Hey, Säbelschwinger? Wie schaut’s aus, ist noch alles dran?“

Saber rappelte sich gerade wieder auf, als ihn Colts Funkspruch erreichte. Ja, nach unten wegtauchen war schon eine clevere Idee gewesen, aber keiner von beiden hatte dabei bedacht, dass unten auch zwangsläufig bedeutete, dass Boden in der Nähe war. Saber war mit Steed unsanft und mit viel zu viel Schwung aufgekommen. Er war vom Pferd gefallen und buchstäblich im Dreck gelandet. Aber er war aus dem Gröbsten raus, denn die Outrider hatten sich alle selbst abgeschossen. Saber griff sich an die verletzte Schulter und sprintet geduckt zu seinem Pferd, das bereits wieder auf allen vieren stand. Erleichtert meldete er sich bei Colt: „Weiß nicht, Kumpel. Ich hatte noch keine Gelegenheit, meine Knochen zu zählen. Lass uns hier abhauen und zusehen, dass wir April und unseren Krankenständler auftreiben.“

Colt flog über Saber hinweg, endlich hatte er den Schotten gefunden. Kein einziger Jumper hatte diese Attacke überlebt. Überhaupt war es still rund um sie geworden. Etwas weiter entfernt kämpften noch einige Kavalleristen gegen Outrider, aber ansonsten war die Gefahr gebannt. Die Schlacht schien geschlagen, aber wo zum Kuckuck waren April und Fireball abgeblieben? Die Blondine und Nova waren nicht auszumachen und auch vom Rennfahrer und dem nicht ganz so leicht aus den Augen zu verlierenden Ramrod fehlte jede Spur. Nicht nur, um Saber Zuversicht zu geben, sondern auch um sich selbst Mut vorzugaukeln, spöttelte Colt: „Die zwei sitzen bestimmt schon bei General Whitehawk im Büro und halten ein nettes Schwätzchen, während wir uns hier abrackern müssen, Boss.“

„Na, wenn du das sagst, muss ich es ja fast glauben.“, Saber saß wieder einigermaßen fest im Sattel und ließ Steed zu Broncobuster aufsteigen. Auch Saber ließ seinen Blick über die Steppe Alamos gleiten. Es rauchte und qualmte überall, soweit das Auge reichte kam Alamo einem riesigen Schlachtfeld gleich. Seine blauen Augen gingen in Richtung Himmel. Nichts. Kein Kommandoschiff der Outrider, aber auch kein Ramrod in Sicht. Unbehagen stieg in Saber auf. Es musste etwas passiert sein.
 

„Na, das hat ja schon fast professionell ausgesehen!“, Fireball lachte herausfordernd in den Funkverkehr von Colt und Saber. Er und April hatten den platinfarbenen Friedenswächter gestartet, nachdem sie Jesse und Tomas sicher verstaut hatten und hatten sich auf die Suche nach ihren Freunden gemacht. Sie hatten das waghalsige Manöver noch erleben können, auch wenn sie beinahe zu weit weg dafür gewesen waren.

Erleichtert rutschte Saber auf dem Sattel nach hinten. Ein Teil der Anspannung fiel ab. Er war am Ende mit seinen Kräften und egal, was noch kam, er wollte nur noch an Board. Hinter seinen leichtfüßigen Worten verbarg Saber die Mühe, die es ihn mittlerweile kostete, auf dem Rücken des Pferdes zu bleiben. Er schäkerte: „Sind ja die Helden, Fireball. War eine unserer leichtesten Übungen.“

„Dann kommt mal rein in die gute Stube.“, April öffnete mit einem Lächeln die Rampe und ließ den Recken und den Scharfschützen endlich an Baord gehen. Sie waren sicherlich erschöpft und ausgezehrt, nach einem solchen Kampf wie diesem. Es war knapp gewesen, mal wieder.

Ohne zu zögern nahmen die beiden Männer das Angebot an. Sie waren so fix und alle, dass ihnen an diesem Tag nichts mehr auffiel. Weder die fremde Farbe noch die größere Gestalt des Friedenswächters machte die beiden Neuankömmlinge stutzig. Sie ließen sich in ihre Satteleinheiten fallen und nahmen die Helme ab. Sie brauchten ungefilterte Luft, sonst erstickten sie noch.

Saber fühlte nach seiner Schulter und drehte den Kopf auf die getroffene Stelle. Es war wirklich halb so schlimm. Sein Kampfanzug hatte das Schlimmste verhindert. Es war nur schmerzhaft für ihn. Zuhause würde er einen Arzt aufsuchen und sie verletzte Schulter einbandagieren lassen. Er war einen Blick auf seine Freunde. Colt schwitzte, der Schweiß rann ihm in großen Tropfen über die Stirn, aber er war gesund. Dem Scharfschützen war nichts geschehen, alles andere hätte er Robin nicht erklären wollen. Die mittlere Satteleinheit war staubig und schmutzig. War der Rennfahrer am Ende doch von Board gegangen? Saber zog eine Augenbraue hoch, das würde Fireball auf dem Rückflug noch erklären müssen. Ein kurzer Blick auf April über die Schulter hinweg. Sie sah mitgenommen aus. Hatte sie etwa geweint? Ihre Augen waren gerötet, es deutete alles darauf hin. Ihre langen Haare waren durcheinander, auch April hatte mit vollem Einsatz gekämpft. Aber allen vieren ging es gut, sie hatten es überstanden und dem Neuen Grenzland wieder einen wertvollen Dienst erbracht.

„Ab Richtung Heimat, Fireball.“, Saber gab den Befehl zur Heimreise und lehnte sich in seine Satteleinheit zurück. Nur nachhause.
 

ENDE



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (23)
[1] [2] [3]
/ 3

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Misano
2008-11-12T19:44:58+00:00 12.11.2008 20:44
Eine grandiose Schlacht! Du hast es wunderbar geschildert, mit Wortwitz der Charaktere und genauer Anschaulichkeit des Geschehens. Ich konnte die ausgedruckte ff wirklich nur im unbedingten Notfall (Oje, ich musste zwischendurch auch mal zur Arbeit, bin prompt zu spät gekommen... 0_o) zur Seite legen. Einfach nur genial!
Von:  April_Eagle_Wilcox
2008-08-26T07:58:11+00:00 26.08.2008 09:58
ich hoffe Fireball kommt noch irgendwie raus ... aber nur wie ohne Anzug... *seufz*

Böser böser Jesse .. armes Appilein.

Tolles Update meine Süße! Super geschrieben und hat mich voll gepackt!
So... und nun will ich wissen, wie es weiter geht :-p
Von: abgemeldet
2008-08-25T14:40:43+00:00 25.08.2008 16:40
Klase gemacht, wieder eine sehr gelungene Story von dir! Dein Schreibstil hat sich echt verbessert über die Jahre und noch immer lese ich deine April-Fireball geschichten gern. Mach auf alle fälle weiter so ;)
Von: abgemeldet
2008-08-24T22:02:32+00:00 25.08.2008 00:02
Was für eine Schlacht. Ich bin begeistert. :-)
Ein wirklich schönes Ende.
Wir lesen uns bestimmt, ich bin jetzt zu müde um mehr zu schreiben.

*dicke eins geb*

fühl dich geknuddelt
Von:  Sannyerd
2008-08-24T21:28:18+00:00 24.08.2008 23:28
hy klasse!!!!!
Danke danke....
Von:  Sannyerd
2008-08-10T10:03:21+00:00 10.08.2008 12:03
jaaa es geht weiter *freu*knuddel*....

ohohohoho das wird wieder spannend....der böse jesse (iwi mag ich ihn ja)

Von: abgemeldet
2008-08-07T22:20:08+00:00 08.08.2008 00:20
Da ist man mal einen Tag lang nicht im Netz und schon gehts weiter. *freu*

Super klasse Kapitel. Es ist wieder ganz die alte Truppe. Ich hab mich auf dem Flug nach Alamo köstlich amüsiert. :-) Du hast die Situation sowas von überzeugend eingefangen.

Wir hatten ja schon drüber geredet, wie ich das Team Jesse/Tom liebe, aber das du noch ein paar andere alte Bekannte mitspielen läßt, find ich genial.
So wie es aussieht, wird es für unsere Superhelden ziemlich schwierig. *gg*


Wird Fireball den Agriff überleben und kann er seine große Liebe retten....?
all das sehen sie in einer neuen Spannenden Folge in..
"Saber Rider and the Star Sheriffs"
Von:  Kittykate
2008-08-07T18:30:08+00:00 07.08.2008 20:30
oh nein! Böser Jesse! Pfui, Aus! Finger weg von Waffen *grummel und ganz böse und streng auf Klein-Jesse gucken und Zeigefinger erheben*

So, zum Thema: *lach* SUPER, SUPER und einfach nur SUPER! Ganz toll! Schön dass es weitergeht! Ich gehe davon aus, dass alles gut ausgeht und schreibe deswegen: (tatarataaa:) Weiter so!

Von:  Kittykate
2008-06-08T20:15:12+00:00 08.06.2008 22:15
Jesse und Tomas... So so, schleichen sich einfach in Aprils Büro... Schlawiner...

Hoffentlich gehts bald weiter. Denn ich bin echt gespannt wie es für Fire Saber und Commander Eagle ausgeht. Muss einer gehen? Ich hoffe doch nicht... Nicht mal für Aprils Dad, da er seine Fehler einsieht, auch wenns nicht richtig ist was er gemacht hat.

Von: abgemeldet
2008-05-08T06:44:13+00:00 08.05.2008 08:44
Cool, einfach nur cool. Bin wie immer gespannt, wie es weitergeht.

LG, Flora


Zurück